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Was für eine Klatsche

Das Obergericht hebt das Urteil gegen Vincenz & Co. auf.

Kaum ein Fall der jüngeren Rechtsgeschichte war von dermassen viel Vorverurteilung begleitet wie der Fall des gefallenen Starbankers Pierin Vincenz und seines Kompagnons.

Aus einem simplen Spesenbetrug wollte die Staatsanwaltschaft ungetreue Geschäftsführung zwirbeln. Denn sie hatte sich selbst unter Zugzwang gesetzt, indem sie den Banker und seinen Kompagnon für über 100 Tage in Untersuchungshaft genommen hatte. Wäre am Schluss ein mickriger Spesenbetrug übrig geblieben, wäre das grob rechtsmissbräuchlich gewesen.

Also wurden die Medien immer wieder mit saftigen Storys aus dem Bankerleben von Vincenz angefüttert. Ausflüge in den Rotlichtbezirk, eine unselige Vorliebe für Striptease-Schuppen wie die Haifisch-Bar, knappe Spesenbelege mit einer Zahl und einer Unterschrift drauf, alles aber durchgewinkt vom völlig unfähigen VR-Präsidenten von Raiffeisen, der bis heute an der HSG ausgerechnet über Corporate Governance doziert.

Wie diese Interna an die Öffentlichkeit und vor allem in die Hände des damaligen Tamedia-Oberchefredaktors Rutishauser gerieten – ein Geheimnis. Das sich aber einer logischen Deduktion nicht entzieht. Einblick hatte die Staatsanwaltschaft, die Verteidigung – und Raiffeisen als Privatkläger. Dreimal darf man raten …

Nun aber die Granate aus dem Obergericht. Nach dem Schuldspruch mit happigen Gefängnisstrafen hatten alle Beteiligten inklusive Staatsanwaltschaft appelliert. Im Sommer hätte die Verhandlung vor dem Obergericht stattfinden sollen. Ist abgeblasen.

«Das Urteil vom 11. April 2022 sowie das Nachtragsurteil vom 22. August 2022 des Bezirksgerichts Zürich, 9. Abteilung, werden aufgehoben

So eine oberrichterliche Klatsche hat Seltenheitswert. Denn sie erfolgt nur, wenn «schwerwiegende, nicht heilbare Mängel des erstinstanzliche Verfahrens» festgestellt werden müssen. Das ist zunächst eine gewaltige Ohrfeige für den zwischenzeitlich triumphierenden Staatsanwalt Marc Théodore Jean-Richard-dit-Bressel, der seine lange und erfolglose Karriere endlich noch mit einem Blattschuss abrunden und beenden wollte. War nix. Seiner Anklageschrift wird vom Obergericht vorgeworfen, sie sei «teilweise ausschweifend», wiederhole sich, sprenge den gesetzlichen Rahmen mit ihrem Umfang von 364 Seiten.

Das gilt ähnlich auch für das Urteil, das sagenhafte 1200 Seiten lang war.

Normalerweise flickt das Obergericht solchen Bruch einfach, indem es in seinem Urteil und seiner Begründung all das zurechtrückt, was die untere Instanz in den Sand setzte. Hier ist es nun offensichtlich so, dass die drei Oberrichter nicht die geringste Lust verspürten, sich durch diese Papierberge hindurchzuwühlen. Stattdessen: alles wieder auf Start. Nochmal von vorne.

Das bedeutet: alleine Vincenz und Stocker bekommen mal eine Entschädigung von zusammen 100’000 Franken. Insgesamt schüttet das Gericht 400’000 Franken aus. Also der Steuerzahler blutet für den Schrott, den die untere Instanz zusammengeschraubt hat.

Das bedeutet: der Fall wird an die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen. Dort kann der Pechvogel mit dem langen Namen nochmals eine Anklageschrift basteln – oder den Fall abgeben. Gelingt das, wird nochmal am Bezirksgericht Klage eingereicht.

Das bedeutet: bislang ausser Spesen nichts gewesen. Für alle Beteiligten (ausser dem Staatsanwalt und dem Bezirksgericht) gilt weiterhin die Unschuldsvermutung. Obwohl die noch nie so mit Füssen getreten wurde wie hier.

Das bedeutet vor allem: da die Chose wieder bei der Staatsanwaltschaft hängig ist, laufen die Verjährungen weiter. Also dürfte die neue Anklageschrift entschieden dünner werden, weil einige Anklagepunkte inzwischen aus den Traktanden gefallen sind.

Das bedeutet aber auch: die Vermögenswerte von Vincenz und seinem Kompagnon bleiben weiterhin «sichergestellt», das heisst, sie haben seit vielen Jahren und weiterhin keinen Zugriff darauf. Was so ein Nebenskandal in diesem Justizskandal ist.

Keine mildernden Umstände

Es darf gelacht werden. Wie man um entscheidende Fragen herumrudert.

Die Ausgangslage war vertrackt. Bianca Lüthi, in der Wirtschaft zuständig für «Tourismus, Detailhandel und Immobilienmarkt», interviewt den Medienprofessor Urs Saxer zum Vincenz-Urteil. Nicht nur, dass sie frei von Sachkenntnissen ist. Es gibt noch ein zweites Problem. Denn das Thema ist die Frage, ob der Strafabzug von neun Monaten wegen medialer Vorverurteilung  zu recht erfolgte.

Klares Verdikt Saxers:

«Ich finde die neun Monate Strafmilderung nicht angemessen»

Er fügt zwar hinzu: «Gewisse Medien hätten in der Berichterstattung zurückhaltender sein können und sich das eine oder andere genüssliche Detail sparen können.» Auf der anderen Seite habe aber Vincenz selbst als Prominenter immer das Licht der Öffentlichkeit gesucht. Es ist allerdings schon ein kleines Kunststück, um die entscheidenden Fragen in einem längeren Interview herumzureden.

Aber wir verstehen das als Arbeitsplatzsicherung von Lüthi, bei der anhaltenden Sparwelle bei Tamedia. Zunächst einmal hatten die beiden Hauptangeklagten von der Staatsanwaltschaft einen Maulkorb bekommen; sie durften sich während der ganzen Strafuntersuchung und sogar noch nach Einreichung der Klage vor Gericht nicht zu den Vorwürfen öffentlich äussern. Ein absolutes medien- und prozessrechtliches Unding.

Erst kurz vor dem Prozess traute sich Beat Stocker aus der Deckung und gab der NZZaS ein eher verunglücktes Interview; Vincenz schwieg die ganzen vier Jahre lang, abgesehen von einem kurzen Statement nach der drakonischen U-Haft. Da hätte doch interessiert, was der Medienrechtler dazu gesagt hätte. Aber man müsste ihn halt fragen.

Um den ganz grossen Elefanten im Raum wird auch herumgeredet. Denn das Thema in diesem Fall ist ja nicht eine allfällige Vorverurteilung durch breite mediale Berichterstattung. Angesichts der Person des Angeklagten und seiner ehemaligen Position ist es klar und selbstverständlich, dass ausführlich berichtet wird.

Aber was überhaupt nicht thematisiert wird: wie steht es denn mit der kontinuierlichen Veröffentlichung von strikt vertraulichen Dokumenten aus der Strafuntersuchung? Die unter Bruch von Amts- und Geschäftsgeheimnis an die Öffentlichkeit gelangten? Was könnte ein Medienprofessor dazu sagen, dass selbst die Anklage vollumfänglich schneller in den Medien war als bei den Angeklagten?

Dazu könnte er sicherlich einiges sagen. Hätte man ihn gefragt. Kleines Problem für Lüthi: Ihr Oberchefredaktor Arthur Rutishauser war an vorderster Front, wenn es um die Veröffentlichung möglichst saftiger Details, Dokumente, Verhaltensweisen, Spesenabrechnungen von Vincenz ging. Genüsslich zitierte er Mal um Mal aus Unterlagen, die ihm zugespielt worden waren.

Dabei fragte er sich nicht einmal, in wessen Interesse es denn liegen könnte, damit den Ruf von Vincenz schon vor der Verhandlung restlos zu ruinieren. Denn in der ganzen Strafuntersuchung hatten ja nur drei Parteien Zugang zu diesen Akten. Die Staatsanwaltschaft, die Angeklagten – und Raiffeisen als Zivilkläger im Prozess. Nebenbei ist da noch ein Zivilprozess zwischen Raiffeisen und Vincenz/Stocker im Gange, bei dem es um richtig viel Geld geht; um über 100 Millionen Franken.

Das wären doch interessante Fragen an einen Medienrechtler gewesen; wie einfach sich heutzutage Medien instrumentalisieren lassen. Wie leicht sie sich anfüttern lassen. Wie hemmungslos sie aus ihnen zugespielten, eigentlich strafbewehrten Dokumenten zitieren. Aber eben, auch das hätte die interessante Medienfrage aufgeworfen, ob sich eine Redaktorin trauen darf, solche Fragen zu stellen – und das im Amt überlebt.

Verständlich, wenn auch bedenklich, dass Lüthi das nicht gewagt hat.

«Die A…lochkarte gezogen»

In diesem Titelzitat ist die ganze Verlogenheit der Medien konzentriert.

Es ist Rampenverkauf im Fall Vincenz. Der Prozess biegt in die Zielgerade ein; nach kürzerer oder längerer Schamfrist wird das Urteil verkündet. Danach wird appelliert, man sieht sich so in einem Jahr vor dem Obergericht Zürich, dann vor dem Bundesgericht. Wer weiss, vielleicht auch noch in Strassburg.

Die Aufmerksamkeits- und Erregungskurve hat ihren Höhepunkt überschritten. Zum Urteil ist der Stehsatz schon geschrieben. Unterbietet es deutlich die für die Hauptangeklagten geforderten sechs Jahre Knast, dann hat der Staatsanwalt eine weitere Klatsche abgeholt.

 

Bleibt es im unbedingten Bereich oder liegt es nur unwesentlich unter dem Strafantrag, dann haben die Beiden ihre wohlverdiente Strafe gekriegt, wird zu wildem Spesengebaren und dem Schaufeln in den eigenen Sack ein Riegel geschoben.

Ist noch etwas nicht ausgeschlachtet worden?

Aber vorher muss noch weg, was man noch im Archiv hat. Das ist nicht mehr allzu viel, nachdem drei Jahre lang eigentlich jedes Dokument, das während der elend langen Strafuntersuchung zum Vorschein kam und sich skandalisieren liess, den Weg in die Medien fand.

Verklemmt ein Wort nicht ausschreiben,
aber ungehemmt aus vertraulichen Protokollen zitieren …

Also Höhepunkt die gesamte Anklageschrift, die schneller in der Presse war als bei den Angeklagten. Dass das alles dem Amtsgeheimnis unterliegt, ach ja, ein paar müde Ermittlungsversuche gegen unbekannt, pro forma und aussichtslos.

Dabei hätte eine Überwachung der Kommunikationsmittel einschlägig bekannter Journalisten genügt, um das Offenkundige zu beweisen. Da weder Lukas Hässig noch Arthur Rutishauser in die elektronischen Archive eingebrochen sind, wurden ihnen all die saftigen Trouvaillen zugesteckt.

Angefangen mit einer dubiosen Banküberweisung, die unter klarem Bruch des theoretisch immer noch existierenden Bankgeheimnisses ihren Weg zu «Inside Paradeplatz» fand. Erst viel, viel später bequemten sich die Strafverfolgungsbehörden, Untersuchungshandlungen deswegen zu imitieren.

Ene mene, mu, wer war’s?

Zudem sind die möglichen Quellen an drei Fingern abzählbar. Die Staatsanwaltschaft, was bei dem Ausmass der geleakten Dokumente sehr unwahrscheinlich ist und keinerlei Präzedenzfälle kennt. Dass der Staatsanwalt die Medien und vor allem Rutishauser dafür instrumentalisierte, immer wieder das baldige Ende der Untersuchung anzukündigen – bis das so lächerlich wurde, dass es fortan unterblieb – geschenkt. Aber Weiterleitung von beschlagnahmten Unterlagen? Ausgeschlossen.

Kenntnis davon hatten die Beschuldigten, inzwischen Angeklagten. Plus deren Anwälte. Dass hier ein Interesse vorhanden sein könnte, oberpeinliche Details von Spesenrittertum und fragwürdigem Geschäftsgebaren an die Öffentlichkeit zu bringen, kann man ausschliessen.

Bleibt der dritte Finger. Auch ein Privatkläger hat vollständige Akteneinsicht. Raiffeisen ist Privatkläger und hat mit Vincenz und Stocker auch noch zivilrechtlich ein paar Hühnchen zu rupfen. Aber natürlich gilt die Unschuldsvermutung, of course.

Nun räumt Arthur Rutishauser in der aktuellen «SonntagsZeitung» noch die letzten Reste aus seinem Archiv weg und zitiert ausführlich aus Abhörprotokollen von Telefonaten, die zwischen den Hauptbeteiligten und auch dem damaligen CEO von Raiffeisen geführt wurden.

Dass der Beitrag lausig redigiert ist, Tipp- und Orthografiefehler enthält, den Nachfolger von Vincenz als seinen Vorgänger adressiert – alles Indizien für die zunehmende Qualitätsverluderung bei Tamedia.

Ohne Wissen der später Angeklagten wurden im Februar 2018, kurz vor ihrer Verhaftung, die Telefone von Pierin Vincenz und Beat Stocker abgehört. Anlass dazu bot eine Strafanzeige, die die Kreditkartenfirma Aduno eingereicht hatte.

Der interne Knatsch bei Investnet

Wenn die Protokolle echt sind, wovon man ausgehen muss, zeichnen sie die Auseinandersetzung nach, die zwischen den Gründern von Investnet und dem in Ungnade gefallenen Vincenz stattfanden. Der war an der Firma beteiligt und Präsident des Verwaltungsrats.

Man wollte sich nun dringend von ihm trennen, während Vincenz frustriert feststellte, dass er ja die «Arschlochkarte gezogen» habe. Das sei auch so, bestätigte einer der Investnet-Gründer gegenüber Stocker.

Dann geben die Aufzeichnungen ein eigentlich übliches Gefeilsche wieder; Vincenz wollte 20 Millionen plus spätere Gewinnbeteiligung von 15 Millionen für seinen Ausstieg, Investnet wollte nur 10 Millionen zahlen. Dann wurde Druck aufgesetzt; das Angebot gelte noch 24 Stunden, dann sei Schluss. Vincenz lehnte ab und bestand auf mindestens 32 Millionen.

Eigentlich wollte er Anfang März sich ein, zwei Wochen Ferien in der Karibik und eventuell in Brasilien gönnen. Stattdessen wurden Vincenz und Stocker am 27. Februar verhaftet und blieben bis 12. Juni 2018 in U-Haft.

Das beendete das Gefeilsche sozusagen mit anderen Mitteln. Zudem sind die beiden bis heute mit Raiffeisen über Kreuz, dabei geht es um über 100 Millionen Franken. Hintergrund sind komplizierte Vertragswerke. Grundlagenirrtum, Aktionärsbindungsverträge, Juristenfutter satt.

Wo eigentlich die Musik spielt …

Aber auf diese Zusammenhänge wird kaum bis nie hingewiesen. Es siegt das fast kindische Vergnügen, immer wieder aus streng vertraulichen, durch das Amtsgeheimnis geschützten Dokumenten und Protokollen zu zitieren.

Immerhin, Rufschädigung findet dadurch nicht mehr statt; der Ruf von Vincenz ist vollständig und unwiderruflich ruiniert. Natürlich gilt für ihn – kicher, gröl, schenkelklopf – weiterhin die Unschuldsvermutung.

Für Rutishauser allerdings nicht. Nur macht das ihm nix.

Blöd, blöder, «Blick»

Der Ticker, die Fotos, die «Fachleute», das atemlose Japsen.

So sah’s am Dienstagmorgen bei «Blick» aus. Gibt es etwas Älteres, Unwichtigeres am Donnerstagmorgen?

Kein Kommentar …

Vom Elend der Medien

Credit Suisse im Katastrophenmodus. Na und? Vincenz ist wichtiger.

Am Dienstag beherrschte mal wieder die Bankenwelt die Schlagzeilen und vertrieb sogar Corona aus der gewohnte Pole Position.

Die zweitgrösste Bank der Schweiz gab eine vorzeitige Gewinnwarnung heraus, nachdem am Vortag (ein Leck?) der Kurs um sagenhafte 7 Prozent abgeschmiert war. Mit Fr. 8.28 Schlussnotierung ist die CS-Aktie nicht mal halb so viel wert wie die der UBS.

Wie häufig bringt es Lukas Hässig auf «Inside Paradeplatz» auf den Punkt: «CS in freiem Fall – Notverkauf der Immobilien». Rote Zahlen im Investmentbanking, Kundenabflüsse, Rückstellungen für Rechtshändel, Abschreiber aus der Vergangenheit, dagegen werden einzig Erträge durch Immobilienverkäufe generiert.

Das ist beunruhigend, um es zurückhaltend auszudrücken. Denn die Bank ist «too big to fail», systemrelevant, leckt sie nicht nur aus vielen Löchern, sondern droht sie abzusaufen, darf der Steuerzahler wieder ans Gerät – wie weiland bei der UBS.

Ob er auch diesmal seinen Einsatz zurückbekäme: zweifelhaft. Gleichzeitig beschäftigt sich die Führungsmannschaft mit Hofintrigen; gerade ist es einem internen Heckenschützen gelungen, via Medien den erst wenige Monate im Amt befindlichen VR-Präsidenten abzuschiessen.

Der CEO ist – seit zwei Milliardenflops – angeschlagen, unter Druck. Der dritte VRP in kurzer Zeit muss schon die nächste Krise meistern. Das ist alarmierend, um es weniger zurückhaltend auszudrücken. Hier geht es um Milliarden. Um eine Bank in echten Nöten. Das müsste natürlich in den Medien breit verhandelt und analysiert werden. 168 Treffer verzeichnet das Medienarchiv SMD am Dienstag. Immerhin.

Milliarden hier, wenige Millionen dort

Im Fall Vincenz hingegen geht es um Spesenbetrug in der Höhe von ein paar hunderttausend Franken und um möglicherweise ungerechtfertigte Gewinnmitnahmen in der Höhe von ein paar Millionen.

Beide Vorwürfe stehen auf sehr wackeligen Füssen, wie der angesehene Strafrechtsprofessor Marcel Niggli offen kritisiert: «Bin konsterniert, wie schwach die Anklageschrift ist».

Zudem geht es hier um Vorfälle an der Verjährungsgrenze. Es geht auch um die Frage, wieso der damalige Verwaltungsratspräsident von Raiffeisen, der alle Spesen abnickte, nicht in Haftung genommen wird.

Es geht hier um den Prozess gegen den ehemaligen CEO von Raiffeisen, der die Bank zur Nummer drei hinter UBS und CS gemacht hat, die Bilanzsumme verdoppelte. Es geht mit anderen Worten um Peanuts, um eine Abrechnung im Nachhinein. Raiffeisen steht weiterhin stockstabil da, hat sich nie verzockt, musste nie Milliardenabschreiber hinnehmen, wurde keinerlei krimineller Aktivitäten beschuldigt oder gar überführt. Musste nie Milliardenbussen zahlen.

Da werden die Qualitätsmedien doch in der Berichterstattung sicher die richtigen Prioritäten setzen. Nun ja, 168 Treffer für Credit Suisse, 298 für Vincenz am ersten Verhandlungstag. Dabei war ihm nur «ich bin unschuldig» und «kein Kommentar» zu entlocken.

Sackschwach. Mal wieder.

Vincenz: die andere Seite

Jahrelang krochen ihm die Medien überall rein. Zu Recht.

Kein Organ zu klein, um Scharfrichter zu sein. Eigentlich könnte sich die Justiz den heute beginnenden Prozess auch sparen. Er findet nicht zu Unrecht in einem Theatersaal statt. Unsere Schwarzweiss-Medien haben schon lange von Weiss auf Schwarz umgeschaltet.

Drei Jahre dauerte die quälende Untersuchung durch einen Staatsanwalt, bis der endlich eine Anklage hingewürgt hatte. Noch nie in der jüngeren Geschichte wurde die Öffentlichkeit so rundum und kontinuierlich mit allen saftigen Details der Untersuchung bespasst.

So ziemlich jedes Dokument, das dazu dienen konnte, den Ruf des gefallenen Starbankers zu ruinieren, wurde an die Medien durchgestochen. Herausragend dabei der Oberchefredaktor von Tamedia, der sich nicht zu schade war, immer wieder als Lautsprecher zu dienen. Ohne sich ein einziges Mal zu fragen, in welche Dienste er sich da stellte.

Selbst die dicke Anklageschrift fand schneller den Weg in die Öffentlichkeit als zu den Angeklagten. Um den Medien genügend Zeit zur Nachbearbeitung zu lassen, brütete dann das Bezirksgericht Zürich ein Jahr lang über einem Prozesstermin. Nun ist’s so weit, und als weiterer Höhepunkt juristischen Schaffens stellt sich heraus, dass nicht genügend Prozesstage eingeplant wurden.

Nun ist’s endlich so weit, der Prozess beginnt

Denn überraschenderweise wird bei einen Staatsanwalt, sieben Angeklagten und einem Privatkläger länglich das Wort ergriffen, Plädoyer gehalten. Wer konnte das auch ahnen.

In einer letzten Climax geben die Qualitätsmedien nochmal alles und kehren  die letzten Krümel aus ihren Archiven. Denn sie wissen: dann ist’s mal vorbei, endet der Prozess mit einem Urteil und garantiert mit einem Weiterzug ans Ober- und dann ans Bundesgericht. Aber das dauert wieder.

Der «Blick» gerät ins Stottern und bringt den gleichen Artikel zweimal …

Vincenz hat tatsächlich dermassen viele Angriffsflächen geboten, mit seinem unseligen Hang zum Halbseidenen und mit Rotlicht Beschienenen, mit seinem Hang zum Spesenrittertum und mit seinen Versuchen, sich die Taschen zu füllen, dass jeder Kleinschreiber genügend Anlass findet, moralisch mit dem Zeigefinger zu wackeln und sich zu entrüsten.

Welch ein Leistungsausweis des gefallenen Starbankers

Dabei geht völlig vergessen, dass Vincenz auch was geleistet hat. Als er 1999 bei Raiffeisen antrat, war das ein Verbund meist verschnarchter Bauernbanken. Provinz- und Lokalfürsten wachten eifersüchtig über ihre Herrschaftsgebiete. Moderne IT, modernes Banking, Anlagemöglichkeiten, selbst banale Sicherheitsmassnahmen: alles unbekannt. Es gab noch Filialen, da wurde das Bargeld in der Schublade eines Holzschranks aufbewahrt.

Als Vincenz 2015 abtrat, war er zur nationalen Berühmtheit geworden und Raiffeisen zur Nummer drei im Schweizer Finanzmarkt, zur Nummer eins bei der Hypothekenvergabe. Mit Geschick, jovialem Charme und der ewigen Aussage, dass er nicht etwa der Boss sei, sondern sogar 300 Chefs habe, hatte Vincenz ein kleines Wunder vollbracht.

Finanzkrise, Steuerstreit, Schwarzgelder, Skandale: als wäre er (und seine Bank) aus Teflon, alles perlte von Raiffeisen ab. Er konnte sogar, im Sinne seiner Bündner Bundesrätin, offen das damals noch heilige Schweizer Bankgeheimnis in Frage stellen.

Er wurde nicht nur von den Boulevardmedien gehätschelt, als Gast an allen Promi- und Cervelat-Anlässen, immer zu einer Homestory bereit, immer bereit, den einfachen Bündner Wandersmann zu geben, den Naturburschen mit Berglercharme.

Dabei pfiffen es damals schon die Spatzen von den Dächern in St. Gallen, dass er eine unselige Vorliebe für Stripclubs und leichte Damen hatte.

Aber wer Erfolg hat, ist unantastbar. Im schreienden Kontrast dazu wirtschafteten seine Kollegen die einstmals grossen Traditionsbanken UBS und CS an den Rand des Abgrunds. Vernichteten Milliardenwerte, zerstörten Reputation und Renommee, beschmutzten den Namen mit einer Kette von Skandalen, Flops, sogar kriminellen Handlungen.

Sie fuhren die Banken fast gegen die Wand und den Börsenwert in den Keller – während sie obszöne Gehälter abkassierten, Boni im geschmacklosen Bereich.

Seine Kollegen schaufelten Millionen – er schuf Mehrwert

Demgegenüber wurde das Gehalt von Vincenz gedeckelt. Er schuf dann für ein Zehntel des Einkommens seiner Versagerkollegen echten Mehrwert – was ihn kräftig angurkte. Ob er dann für die Selbstbereicherung zu unerlaubten Mitteln griff, das wird der Prozess erweisen.

Was die aktuelle Berichterstattung über ihn allerdings mit ausgewogener Information, Faktentreue und allen Qualitätsmerkmalen zu tun haben soll, mit denen die Mainstreammedien dafür werben, mit einer Milliarde Steuergelder unterstützt zu werden?

Nichts hat sie damit zu tun, einfach nichts. Skandalisierung, Einseitigkeit, Hetzjagd, rumtrampeln auf einem, der schon am Boden liegt, vorverurteilt wurde und sich niemals mehr von dieser Rufschädigung erholen wird. Völlig unabhängig davon, ob er am Schluss verurteilt oder freigesprochen wird.

Noch zwei Monate, bevor Vincenz als bislang einziger Bankenlenker in U-Haft kam, bekam er vom heutigen Oberchefredaktor der «Blick»-Gruppe Christian Dorer Gelegenheit, sich in einem «was wollten Sie schon immer mal sagen»-Interview reinzuwaschen und gegen alle Vorwürfe zu verteidigen. Mit diesen typisch kritisch-unkritischen Fragen, die in solchen Fällen gestellt werden.

Müsterchen: «Haben Sie sich bereichert?» – «Das stimmt absolut nicht.»

Es gilt bis heute die Unschuldsvermutung. Was für ein Witz. Für die Schweizer Massenmedien gilt sie garantiert nicht.

Vincenz. Alles anders

Vincenz ist neuerdings für Ringier der Watschenmann. Das war schon mal anders.

Wenn Gieri Cavelty ein «Editorial» schreibt, lässt er selten die ganz grossen Fettnäpfe aus. Diesmal nimmt er sich einen jahrealten Lobestext eines Politikers auf Pierin Vincenz zur Brust: «Pirmin Bischof ist nicht der Einzige, auf den frühere Äusserungen bleischwer zurückfallen», schreibt er zur Hinrichtung von Vincenz im aktuellen SoBli.

Nix Neues, aber sauber in chronologische Reihenfolge gebracht.

Das erinnert an einen alten italienischen Polit-Thriller:

Knallt das Monster auf die Titelseite.

Nun zeichnet gerade den Boulevard-Journalismus aus, dass er über ein ausgesprochen schwaches Kurzzeitgedächtnis verfügt. Denn während sich die «Blick»-Familie über die angeblichen Untaten und das Spesenrittertum des gefallenen Raiffeisenstars gar nicht mehr einkriegt, war das vor nicht allzu langer Zeit noch ganz anders.

Das Gegen-Protokoll:

Lob und Hudel aus dem Jahre 2004.

2007 durfte Vincenz sogar den SoBli mitgestalten.

2009 punktete er «mit einem blendenden Jahresabschluss».

Auch 2011 durfte er ganz Mensch sein.

Noch 2012 konnte er «mit gutem Gewissen» in die USA reisen.

Hier war noch eitel Minne und Sonnenschein bei den Ehepaaren Vincenz und Marc Walder:

Natürlich sülzte auch die «Schweizer Illustrierte» kräftig mit, wo Vincenz regelmässsig zu den wichtigsten 100 Schweizern des Jahres gehörte:

«Von Erfolg zu Erfolg»,«mit sonnigem Lächeln», «im Herzen ein Bergler», der «wasserdichte Banker».

Vielleicht sollte Cavelty nicht so bleischwer mit Steinen auf andere werfen, angesichts dieser Strecke von Lobhudeleien aus der Vergangenheit des Hauses Ringier. Aber nirgends mehr als im Journalismus gilt natürlich: Was geht uns unser dummes Geschwätz von gestern an?

Wenn man allerdings schon ganze 9 Seiten darauf verbrät, Vincenz zwei Tage vor dem Prozess in die Pfanne zu hauen, nachdem auch der «Blick» monatelang die Recherchen von «Inside Paradeplatz» verschnarcht hatte, wäre eine klitzekleine Prise Selbstkritik vielleicht möglich gewesen. Als Bausteinchen zum Wiederaufbau von Glaubwürdigkeit und Vertrauen.

Aber doch nicht bei Cavelty.

Wie aus Kübeln

Aburteilung vor dem Prozess: armer Vincenz.

Sicherlich ist der tief gefallene Bankerstar von Raiffeisen persönlich nicht gerade ein Sympathieträger. Obwohl er perfekt den jovialen, volksnahen Banker spielte, dafür auch extra die letzten hundert Meter zu Versammlungen im sportlichen Berglerschritt zurücklegte: privat liess er es gewaltig krachen. Und die Anfahrt legte Pierin Vincenz im Audi A8 mit Chauffeur zurück, gerne auch mal im Helikopter.

Dabei hatte er offenbar eine unselige Vorliebe für drittklassige Striplokale und auch ihre weiblichen Angestellten. Eine Terminkollision führte nicht nur zu einem demolierten Hotelzimmer, sondern auch zu dringendem Finanzbedarf, um eines der beteiligten Girls ruhigzustellen.

Bankfiliale à la Vincenz.

Nicht mal das gelang ihm wirklich, zudem scheint er einer der schlechtesten Aktienspekulanten der jüngeren Zeit zu sein. Das ist das eine.

Dass er aus einer verschnarchten Versammlung von Bauern- und Ofenbänklein, eifersüchtig kontrolliert von Lokalfürsten, die Nummer drei im Schweizer Banking machte, ist das andere.

Letzte Welle vor dem Beginn des Prozesses

Beides ändert nichts daran, dass er eine Anklage am Füdli hat, die von ungetreuer Geschäftsführung über Spesenbetrug zu qualifiziertem Betrug umgemöpselt wurde. Es ändert nichts daran, dass fast drei Jahre lang intime Details aus der Untersuchung an die Öffentlichkeit durchgestochen wurden, inklusive vollständige Anklagschrift. Ein Skandal.

Es ändert nichts daran, dass wohl selten bis nie die Unschuldsvermutung dermassen ins Absurde geführt wurde, ins Lächerliche gezogen.

Am Dienstag beginnt nun der Prozess; vier Jahre nach Beginn der Affäre. Im Vorfeld legen die Medien noch Sonderschichten ein. Herausragend der «Blick».

Mit gleich vier Artikel als Online-Aufmacher heizt er die Stimmung an:

Vorverurteilung mit Sozialneid.

Dabei kündigt er an, dass das erst mal der Anfang sei, die Vorspeise sozusagen. Nachdem ein serbischer Tennisspieler mit seinen Einreiseproblemen in Australien abgetischt ist, wird die nächste Sau durchs Dorf getrieben. Im Sinne des zurückhaltenden und ausgewogenen Journalismus, dem sich die «Blick»-Familie angeblich verschrieben hat.

Dass «Inside Paradeplatz» gleich mit sechs Artikeln zum Thema vertreten ist, kann man hingegen verstehen. Denn Lukas Hässig war der Erste – und lange Zeit der Einzige –, der auf Merkwürdigkeiten im Finanzhaushalt von Vincenz aufmerksam machte.

«watson» erklärt’s für Dummies.

Vom gefeierten Star zum Watschenmann

Aber damals war der Bündner Naturbursche noch der gefeierte Star, der Banker zum Anfassen, schlagfertig und witzig bei den Staatskomikern Giacobbo und Müller, gerne gesehen an öffentlichen Promi-Anlässen, eng mit Ringiers Marc Walder. Damals erschienen noch Lobhudel-Artikel en masse, konnte gar nicht dick genug aufgetragen werden, was für ein toller Hecht Vincenz doch sei – und dabei Mensch geblieben, dem Einfachen zugetan.

Aber es ist eine alte Boulevard-Regel, dass Hochgeschriebene tief fallen. Wohl allerdings nicht ohne Rücksprache mit den Bossen des Verlags …

Bei allem Spass an saftigen und den Sozialneid fördernden Spesenritterdetails: fände es Marc Walder komisch, wenn die Öffentlichkeit Einblick in seine Spesenabrechnungen nehmen könnte? Würde es Pietro Supino gefallen, wenn unablässig Details aus seinem Privat- und Geschäftsleben an die Medien durchgestochen würden?

Fände es der Coninx-Clan komisch, wenn auch ausserhalb der «Weltwoche» seine Kunstsammlung kritisch unter die Lupe genommen würde? Wäre die NZZ amüsiert, wenn das Ferienverhalten des Ehepaars Gujer ausserhalb von ZACKBUM gewürdigt würde?

Auf Jahrmärkten beliebt: der Watschenmann.

Vincenz und Beat Stocker haben zudem den Fehler gemacht, eisern zu schweigen. Vincenz wendete sich in all den Jahren ein einziges Mal an die Öffentlichkeit, als er aus der über dreimonatigen U-Haft entlassen wurde. Diese Erfahrung wünsche er niemandem, teilte er offenbar angeschlagen mit, und dass er sich mit allen Mitteln gegen die Anschuldigungen wehren werde.

Falsch beraten und Pech gehabt

Sein Kompagnon schwieg ebenfalls, liess sich unwidersprochen von der «Bilanz» als «Schattenmann» und Strippenzieher und Mastermind vorführen. Bis er dann Anfang Jahr der NZZaS ein Interview gab, das bewies, dass er sehr, sehr schlecht beraten ist und hoffentlich bessere Anwälte als PR-Menschen um sich hat.

Beide haben offenbar dreifaches Pech. Sie sind einem Staatsanwalt in die Hände gefallen, der gegen Ende seiner nicht gerade erfolgreichen Karriere noch einen Treffer landen will. Sie stehen vor einem Gericht, das zuerst über ein Jahr über der Anklage brütete, um dann kurz vor Beginn des Prozesses rumzueiern. Auch hier ist wohl zum letzten Mal Richter Aeppli vor seiner Pensionierung am Gerät; und wie.

Hämisch berichtet Hässig:

«Schon jetzt ist klar, dass Aepplis Verhandlungs-Planung ein Desaster ist. Der erfahrene Richter hat viel zu wenig Sitzungstage einberechnet. Nun sucht er verzweifelt Zusatztage im März – über Doodle machte er gestern 10 Vorschläge.
Damit droht ein Scherbenhaufen: Die Zeit läuft dem Gericht und der Anklage davon. Im April verjährt einer der vier geheimen Vorab-Investments von Pierin Vincenz und Co.»

Ruf restlos ruiniert, jahrelang in den Medien durchs Schlammbad gezogen, Unschuldsvermutung der Lächerlichkeit preisgegeben – und das eigentliche Kampffeld verschwindet hinter diesem Nebel.

Bei einer vertraulichen Einvernahmen abgeschossen …

Denn eigentlich geht es um über 100 Millionen Franken, um die sich Raiffeisen auf der einen Seite, Vincenz und Stocker auf der anderen streiten. Aber das interessiert kein Qualitätsmedium.

 

Vincenz-Prozess: ein Monster

Auf die nächste Woche freut sich Raiffeisen Schweiz sicherlich.

Von Dienstag bis Freitag findet der Prozess gegen Pierin Vincenz und sechs Mitangeklagte statt. Es wird eine Monsterveranstaltung.

Die «Abba Story» und «Marco Rima» sind abgesagt im Volkshaus Zürich. «Der Nussknacker» und «Schwanensee» werden aber gegeben.

Gleichzeitig findet im grossen Theatersaal dank grosser Nachfrage der Monsterprozess gegen den gefallenen Starbanker von Raiffeisen statt.

Theatersaal: Normalerweise geht’s so zu …

Schon die Vorgeschichte sprengt jede Dimension. Im Dezember 2017 wurde eine Strafanzeige gegen Vincenz eingereicht, im Februar 2018 wurden er und ein Mitangeschuldigter verhaftet und schmorten 106 Tage in U-Haft. Das ist noch keinem anderen Schweizer Bankführer widerfahren, obwohl es genügend gäbe, die es verdient hätten.

Ein Staatsanwalt unter Druck

Damit wurde die Affäre zum Skandal. Mit dieser drakonischen Massnahme setzte sich ein zuvor mehrfach gescheiterter Staatsanwalt unter Erfolgsdruck. Er begann, wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung zu ermitteln. Vincenz und sein Kompagnon sollen zum Schaden von Raiffeisen in den eigenen Sack gewirtschaftet haben.

Schwierig zu beweisen, vor allem braucht es den Nachweis des Vorsatzes. Also eierte der Staatsanwalt rum und wechselte plötzlich auf Spesenbetrug. Ebenfalls ein Straftatbestand, leichter zu beweisen – aber kein Grund für diese U-Haft. Nun versucht er, das zu einem gewerbsmässigen Betrug hochzuzwirbeln, damit er nochmals drakonische 6 Jahre Gefängnis für die beiden Hauptangeklagten fordern kann.

Von der Ermittlung an dauerte es bis November 2020, bis die Strafanklage fertig war. Drei Jahre. Diverse Vergehen sind bereits verjährt oder in Gefahr, zu verjähren. Im Verlauf der Untersuchung wurden unzählige Einvernahmen durchgeführt, Hausdurchsuchungen, Unterlagen im Gigabyte-Bereich beschlagnahmt und ausgewertet.

Die Öffentlichkeit war immer informiert

Viel skandalöser war allerdings, dass im Verlauf der Untersuchung ständig interne Unterlagen an die Medien durchgestochen wurden. Konkret an den Oberchefredaktor von Tamedia. Arthur Rutishauser konnte Mal um Mal mit saftigen Details über Spesenabrechnungen, Ausflüge ins Rotlichtviertel von Zürich und andere anrüchige Verhaltensweisen von Vincenz berichten.

Zugang zu all diesen dem Amtsgeheimnis unterliegenden Dokumenten hatten nur drei Beteiligte. Die Staatsanwaltschaft, die Angeschuldigten – und der Privatkläger Raiffeisen. Man überlege.

Als Höhe- oder eher Tiefpunkt der Affäre wurde die 368-seitige Anklageschrift schneller den Medien zugespielt als dass sie per Paketpost bei den Angeschuldigten landete. Mit all diesen Schmankerln wurde Reputation und Image des ehemaligen Starbankers rettungslos zerstört.

Die Floskel «es gilt die Unschuldsvermutung» wurde zur Lachnummer. Aber die Mainstream-Medien hatten Nachholbedarf, nachdem der Einzelkämpfer Lukas Hässig als Erster auf mögliche Unregelmässigkeiten im Finanzhaushalt von Vincenz hingewiesen hatte. Was lange Zeit niemand aufnahm.

Natürlich darf man auf keinen Fall von Vorverurteilung sprechen, denn es gilt eben die Unschuldsvermutung. Selten so gelacht.

Reden und reden und reden

Nun hat sich die 9. Abteilung des Bezirksgerichts Zürich vorsorglich erkundigt, mit welchem Zeitraum sie für die Plädoyers rechnen müsse. Denn in der Schweiz gilt das schöne Prinzip, dass während der Verhandlung nicht Stunden und Tage Akten gewälzt werden. Deshalb dauern hier solche Prozesse entschieden kürzer als beispielsweise in Deutschland.

Allerdings lupfte es dem vorsitzenden Richter Sebastian Aeppli Hut und Robe, als er anfing, die Angaben zusammenzuzählen. Alleine der Staatsanwalt träumt von einem Plädoyer von sieben Stunden. Insgesamt, wenn auch alle Verteidiger das Wort ergreifen und lange nicht mehr loslassen, ergäbe das einen Sprechmarathon von 39 Stunden.

Theatersaal, neues Stück.

Laut «Inside Paradeplatz» hat daher der Richter die Parteien gebeten, ihre Ausführungen zu «verdichten». Auf max. 4,5 Stunden pro Nase und Mund. Das machte dann, der Privatkläger Raiffeisen ist in den 39 Stunden noch nicht inbegriffen, das machte also für sieben Angeklagte, einen Staatsanwalt und einen Privatkläger «nur» noch 40,5 Stunden. Es geht bei dem Prozess ja um Zahlen, aber das scheint nicht wirklich die Kernkompetenz des Richters zu sein.

Theater im Theatersaal

Die zahlreich erwarteten Zuschauer müssen sich auf jeden Fall auf harte Zeiten einrichten. Es gibt aber einen Lichtblick. Da der Theatersaal einige Male für anderes Theater gebucht ist, muss jeweils so gegen 17 Uhr abgebrochen werden.

Ganz harte Teilnehmer können sich anschliessend «Dornröschen» oder «Schwanensee» reinziehen. Aufgeführt vom «Russian Classical Ballett». Ausser, das würde zur Truppenbespassung an der ukrainischen Grenze abkommandiert.

Gerichtsszene. Pardon, «Schwanensee».

Dort geht es allerdings um Krieg und Frieden, hier nur um eine skandalöse öffentliche Hinrichtung. Apropos, das grosse Werk Tolstois dauert in der Hörbuchfassung lediglich 28 Stunden

Ex-Press 2022

Neues Jahr, alter Wein in alten Schläuchen.

Sicher, diese Festtage sind alles andere als journalistenfreundlich gelegen. Der 31. ein Freitag, dann am 1. mit schwerem Kopf Content für die Sonntagsblätter produzieren, das ist hart.

Natürlich gab es jede Menge Vorgefertigtes, so ein ellenlanges Interview mit einem der beiden Hauptangeschuldigten im Raiffeisen-Prozess gegen Pierin Vincenz. Aber es blieb noch genügend Platz, um sich weiter vom Flüssigen ins Überflüssige zu schreiben.

Seitdem die Corona-Kreische Marc Brupbacher zwangsweise pausieren muss («Ich mag den fortwährenden Kreis der Idiotie nur nicht mehr kommentieren»), entdeckt die SoZ die positiven Seiten des Lebens und der Geschichten. Bild aus dem Gebiet Sauglattismus, eine richtig gute Nachricht daneben: die Alka Seltzer und Aspirin und Bloody Marys scheinen gewirkt zu haben.

Aber es muss auch ein Kollateralschaden gemeldet werden. Während die Triage auf IPS weiterhin im normalen Bereich stattfindet, ist die Jugendpsychiatrie offenbar völlig überlastet. Wer sich im Januar 2022 mit einem dringenden Problem dort meldet, ob als Betroffener oder als Eltern, kann 2023 mit einem Termin rechnen. Wenn’s dann überhaupt noch einen braucht.

Es gibt allerdings ein Thema, das Jahreswechsel, die Logik, gutes Zureden, Selbstreflexion und die Frage, wie viele Leser solches Geschwurbel interessiert, schadlos übersteht:

Nein, das muss man nicht verstehen, das sollte man auch nicht zu verstehen versuchen. Wenn die Verbissenheit einer der Rädelsführerinnen beim Protestschreiben von 78-Tamedia-Frauen nicht so beelendend wäre, wäre es erheiternd:

Aleksandra Hiltmann kommentiert: «Nur 0,4 Prozent der Befragten gaben in der neuen Sotomo-Studie zu Geschlecht und Identität an, explizit nonbinär zu sein.» Thema erledigt. Aber nein, denn es gibt ja das Patriarchat, diesen Schlingel:

«Dazu gehören auch jahrhundertelang vermittelte Normen der Heterosexualität und binären Vorstellung der Geschlechter. Diese einfach so abzuschütteln – schwierig, auch im vermeintlich woken Zeitalter.»

Was passiert daher Schreckliches mit uns? «Das Resultat: Wir haben Angst vor unseren eigenen Wünschen und Identitäten und sind eingeschränkt von der Gesellschaft, in der wir selbst leben. Wir alle

ZACKBUM ist nur ein Einzelner. Aber der hat keine Angst. Er will auch nichts abschütteln. Allerdings schüttelt es ihn. Es geht aber noch weiter:

Nicht nur Männer, vor allem alte und weisse, sind der Feind des Feminismus. Nein, noch schlimmer sind Frauen. Wie zum Beispiel Alice Schwarzer, die grosse Kämpferin für Feminismus und Emanzipation in Deutschland. Aber: sie hat sich nicht genügend für schwarze Frauen eingesetzt. Tatsache. Immerhin: in diesem Artikel ist die Autorin (!) in der Lage, die völlige Lächerlichkeit dieser Vorwürfe mit genügend Distanz darzustellen. Könnte sich Hiltmann ein oder zwei Scheibchen davon abschneiden.

Aber auch männliche Autoren müssen schwer unter einem Kater (männlich) gelitten haben. Anders ist dieses Stück Recherchierjournalismus über das neue Bundesratsfoto nicht zu erklären.

Nur das Kopfweh aller Beteiligten kann vielleicht verständlich machen, wie ein solcher Flachsinn ins Blatt kam. Rechter Fuss von Bundespräsident Cassis steht teilweise in Italien? Jessas, daraus lässt sich ein Scherz herausquetschen. Die Uhrzeit steht auf 1848? Grandios durchschaut, aber sollte sie stattdessen nicht besser auf 2022 (aktuell!) oder gar 2030 (Klimaziele!) stehen? Scherz lass nach.

Von der Beliebigkeit zur Überflüssigkeit und schliesslich zur Lächerlichkeit sind es nur kleine Schritte. Die geht mit grossen Fussstapfen der Chefredaktor des SoBli. Ist halt auch blöd, wenn er gerade schlaumeierisch einen Beitrag zur Annahme des Milliardensubventionsgesetzes im Februar leisten will:

Gut gegeben, auch nicht gerade staatstreue Medien wie WeWo oder «Schweizerzeit» hätten schon Subventionen kassiert – und seien dadurch ja wohl nicht zum Sprachrohr der Regierung geworden, merkt Gieri Cavelty an. Das stimmt; die haben halt auch nicht einen CEO wie Marc Walder, der das dekretiert, wie man inzwischen weiss.

Wie die SoZ in übellauniger Katerstimmung auch dem mässig interessierten Leser (ausser, der wäre Journalist) mitgibt: Ringier tut wirklich manches, um sich lächerlich zu machen. Nach grosser Lobesorgie und Staatsempfang für den ewigen Klatschreporter André Häfliger erfolgte die kalte Dusche: «freigestellt» eröffnete ihm der SI-Chefredaktor (inzwischen selber wegbefördert). Häfliger nimmt’s gelassen, da es so einen wie ihn in der Schweiz kein zweites Mal gibt. Und vermutet, dass er sich zu offen über die Unzulänglichkeiten des ehemaligen Ringier–Schlachtschiffs SI geäussert habe, dessen Auflage eher nach «Titanic» riecht.

Selbst die NZZaS ist vor Nachwirkungen froher Feiern nicht ganz gefeit. So fantasiert Aline Wanner in ihrer Medienkolumne von «Booster-Shots», die in Form von kleinen Gläsern, gefüllt mit Wodka, «um 4 Uhr früh (in einer Vollkontaktrunde in einer Bar)» serviert würden. Echt jetzt? Ein Shot ist durchaus gängige Währung in nicht gerade vornehmen Bars, aber ein Booster-Shot? Hat sich Wanner hiervon inspirieren lassen?

Das wird, Scherz lass auch hier nach, als Wodka-Booster-Shots angepriesen. Kleiner Inhalt, dafür sauglatt und schweineteuer.