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Wumms: Helge Timmerberg

Wenn ein Imitator alt wird, wird’s ätzend.

Helge Timmerberg weckerte schon, als er in Zeitgeist-Postillen seinen Hunter S. Thompson-Abklatsch veröffentlichte. Gonzo-Reportagen, zu Recht eine vergessene Phase von Schrott-Journalismus.

Alle wollten sich anhören wie William S. BurroughsNaked Lunch»), keiner schaffte es in seine Nähe.

Nun wird Timmerberg 70, ist in St. Gallen greifbar und wird vom «NZZ am Sonntag Magazin» interviewt. «Ich habe LSD im Kühlschrank. Wollen Sie? – Meine wahren Vorbilder sind Hermann Hesse und Charles Bukowski. – Ich muss kiffen, um zu schreiben.»

Gehabe als Haltung verkaufen, mit 70 immer noch den Wilden spielen, zwei Fragende mit offenen Mündern dasitzen lassen: wo bleibt hier die Qualitätskontrolle?

Peinlicher ist nur, wenn Tamedia einen Tag später mit einem weiteren Interview nachklappert …

Sternstunde des Interviews

ZACKBUM ist bekennender Schmidt-Fan. Danke, NZZ.

Für einmal ist der Lead nicht zu hoch gegriffen: «Das Harald-Schmidt-Interview gilt längst als eigenes journalistisches Genre.»

Liegend besser als manche stehend: Harald Schmidt. (Screenshot NZZ)

Am 3. Januar wurde das neue Jahr mit einem solchen Glanzlicht durch die NZZ erhellt. Wenn man meckern will, und wann will man das nicht: es ist gemein, dass das hinter der Bezahlschranke versteckt ist. Diese Perlen hätten es verdient, von allen genossen zu werden …

«Ein guter Interviewer kommt erst einmal mit einer Frage, die einen völlig in Schlagsahne bettet. In meinem Fall wäre der ideale Einstieg: «Für mich sind Sie eine Art Frank Sinatra, der Nietzsche zu Ende denkt.» Dann denke ich, da ist einer, der mein Lebenswerk kennt.

Und dann fängt man an, sich um Kopf und Kragen zu reden.

Die tödlichste Kombination ist es, wenn der alte Hase, dessentwegen man zugesagt hat, einen jungen Kollegen mitbringen muss, der vor Ehrgeiz strotzt und als Erstes fragt: «Was macht das mit Ihnen, dass Sie beim vierten Sender rausgeflogen sind und keiner Sie mehr sehen will?» Der will natürlich abends im Klub oder in der Patchwork-Hölle sagen können: Dem hab ich gleich mal einen eingeschenkt.»

«Ja, ich bin jetzt Privatier, aber – Achtung, neue Pointe, die ich noch nicht verheizt habe – Fernsehen kann ich mir finanziell nicht mehr leisten. Ich bin gespannt, wie der Satz nach draussen wirkt. Meine Maxime war immer: Ihr könnt froh sein, dass ich überhaupt auftrete.»

«Als Gläubiger brauche ich keine Theologie. Ich glaube einfach. Ich kenne Frauen in den Neunzigern, die gehen jeden Sonntag in die Kirche und beten täglich den Rosenkranz. Die wissen nicht einmal, dass es überhaupt Theologieprofessoren gibt.»

Harald Schmidt, alles andere ist Dampfplaudern.

 

 

 

 

Doppel-Verwertung

Wie man aus einem Interview eine Fortsetzung saugt.

Das nennt man Arbeitsteilung. In der NZZaS erscheint ein ausführliches Interview mit dem in der Causa Vincenz Mitangeklagten Beat Stocker.

Ein kleiner Donnerschlag, denn obwohl so ziemlich alle Details, vor allem unappetitliche, in der jahrelangen Strafuntersuchung an die Öffentlichkeit durchgestochen wurden, haben die beiden Hauptbeschuldigten eisern geschwiegen.

Pierin Vincenz bis heute, abgesehen von einer kurzen Meldung, nachdem er aus der U-Haft entlassen wurde. Er sei unschuldig und werde das auch beweisen. Stocker hingegen, von der «Bilanz» auch schon als «Schattenmann» auf den Titel geklatscht, meldete sich nun kurz vor Prozessbeginn ausführlich zu Wort.

Er wolle sich erklären, er sei unschuldig, das wollte er offensichtlich rüberbringen. Natürlich nicht im SoBli und auch nicht in der Tamedia Muppet Show.

Nun zieht die NZZ nach und lässt zwei Litigation-Spezialisten die Absichten von Stocker in die Pfanne hauen:

«Justiz auf Amerikanisch hat im Fall Vincenz wenig Erfolgschancen», lautet das Verdikt.

«Ich würde den Angeklagten die Botschaft nicht selbst überbringen lassen», kritisiert einer der Fachleute: «Qui s’excuse, s’accuse». Der zweite sekundiert: «Seine Message ist: Ich bin unschuldig. Aber er schafft es nicht, zu überzeugen.»

Schliesslich sei dann das Strafmass und die Beurteilung der Reputation Stockers der Massstab, um den Erfolg – oder Misserfolg – dieser Strategie zu bewerten:

«Man wird sich fragen, ob es geschickt war, am zweiten Neujahrstag mit einem solchen Interview herauszukommen.»

Das war allerdings für Stocker – und das Schwesterblatt NZZaS – keine Frage.

Lustige Zeiten im Journalismus. Mehr oder minder offene Kollegenschelte greift immer mehr um sich.

 

 

Kleine Insel der Vernunft

Über 1000 Treffer am Montag für Corona im Medienarchiv. Da muss man sich auf eine Insel retten.

Der Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa ist auch nicht mehr der Jüngste. Der 82-Jährige macht Zwischenstation in Zürich, wo ihn Tagi-Redaktor Rico Bandle interviewte, weil bei dem die journalistischen Reflexe noch funktionieren.

Entstanden ist ein Gespräch voller Altersweisheit mit einem Schriftsteller, der zu den ganz Grossen der lateinamerikanischen Weltliteratur gehört. «Die Stadt und die Hunde», «Das grüne Haus», «Der Krieg am Ende der Welt», «Das Fest des Ziegenbocks», «Harte Jahre», immer verwob Vargas Llosa Fiktion und Geschichte, sah seine Werke als mögliche Besserungsanstalt für die Welt.

Allerdings gehörte er nie dem linken Mainstream der lateinamerikanischen Literatur an, was ihm die Verachtung der Salonlinken in Europa einbrachte. Dass er ein herausragendes Werk geschaffen hat, mindestens auf der Höhe des anderen Literaturnobelpreisträgers Gabriel García Márquez, ist unbestreitbar.

Streitbar ist Vargas Llosa bis heute geblieben, immer wieder mischte er sich in die politischen Geschehnisse seines Heimatlandes Peru ein, kommentierte aus liberaler Sicht die Entwicklungen in anderen lateinamerikanischen Ländern. Zunehmende Distanz hilft ihm auch dabei, seit vielen Jahren lebt er in Madrid.

Natürlich musste das Gespräch auch das Thema Corona enthalten, unvermeidlich. Viel ergiebiger sind aber die Ansichten von Vargas Llosa zur zunehmenden Unfähigkeit zum Dialog über ideologische und weltanschauliche Differenzen hinweg. Das betrifft zum einen ihn persönlich:

«Vor allem an den Universitäten hat sich eine Woke-Kultur durchgesetzt, die alles auslöschen möchte, was nicht der eigenen Ideologie entspricht. Man beschimpft mich als Faschisten. Dabei hasse ich den Faschismus! Ich bin zu hundert Prozent ein Demokrat. Aber ständig verunglimpft man mich als Faschisten. Das ist doch unglaublich. Da ist kein Interesse an anderen Haltungen, man stellt politische Gegner absichtlich falsch dar.»

Dabei hat Vargas Llosa selbst politisch einen weiten Weg zurückgelegt. Er war lange Jahre Mitglied der Kommunistischen Partei, die in Peru verboten war. Er erinnert sich, dass man damals noch bis hin zu den Christdemokraten miteinander diskutierte: «Man sprach noch miteinander. Heute tut man das nicht mehr. Das ist ein Rückschritt in längst überwunden geglaubte Zeiten.»

Vargas Lllosa hat auch eine Erklärung dafür, wieso das verloren gegangen ist:

«Ich glaube, eine Ursache liegt beim kolossalen Scheitern der grossen sozialistischen Länder. Die Sowjetunion brach zusammen, Chinas Kulturrevolution war ein schrecklicher Flop, Zehntausende von Menschen starben. Mit Vernunft ist der Sozialismus nicht mehr zu verteidigen. Seit Descartes wissen wir aber, dass die Vernunft die Grundlage der Kommunikation ist. Ohne Vernunft bleibt nur die Ausflucht zur Beleidigung und Ausgrenzung. Genau das passiert heute – und das ist sehr gefährlich. Denn ohne Dialog können Ideologien nicht überwunden werden.»

Es bleibt das Bedauern, dass solche Stimmen bald verstummen werden, dass Vargas Llosa in Europa, in der Schweiz nie so gewürdigt wurde wie seine grandios, aber politisch korrekt scheitendern literarischen Kollegen.

Es bleibt die Freude, dass sogar bei Tamedia noch einsame Sternstunden des Journalismus möglich sind. Dazu bräuchte es so wenig. Der Verzicht auf Rechthaberei und das Belästigen des Leser mit der eigenen Meinung. Einen aufmerksamen Blick auf Besucher und Gäste in Zürich. Und einfach ein Gespräch über Gott, die Welt, Aktuelles und Vergangenes. Und schon schafft Journalismus einen Mehrwert, für den der Leser gerne bezahlt.

Wenn man nur drei Bücher von ihm lesen sollte …

(Leider hinter Bezahlschranke)

Interview mit Nobelpreisträger Vargas Llosa: «Ich erachte es als sehr gefährlich, was zurzeit überall auf der Welt geschieht»

Er gehört zu den grössten lebenden Autoren der Welt. Ein Gespräch mit Mario Vargas Llosa in einem Zürcher Hotelzimmer über die neue Intoleranz, das Coronavirus und die Tragödie Südamerikas.

 

Wenn eine Bank auf dem Weg nach unten ist

Die «Financial Times» berichtete, dass der VR-Präsident seinem CEO das Vertrauen entzogen habe. Die Reaktion: ein Doppelinterview – im SoBli.


«How low can you go?» Ein sinnvolle Frage – beim Limbo. Beim Fine Swiss Banking ist sie eher deplatziert.
Die FT, neben dem WSJ die Benchmark in der Wirtschaftsberichterstattung, beschrieb in einem längeren Artikel die Differenzen zwischen dem neuen VR-Präsidenten Ontario Horta-Osório und dem auch nicht so lange amtierenden CEO Thomas Gottstein.

Stein des Anstosses: Die Doppelklatsche, die die Credit Suissse mit Greensill und Archegos einstecken musste. Exponiert in einem Fonds eines vorbestraften Hasadeurs in den USA, investiert in ein durchschaubar lusches Geschäftsmodell eines australischen Hasardeurs. Nicht angeleiert vor Gottstein, aber von ihm nicht gestoppt, bis es zu spät war.

Soll der neue VRP nicht so toll gefunden haben, deshalb schaue er nach Ersatz oder spiele sogar mit dem Gedanken, die Position des CEO temporär selbst zu übernehmen. Zudem führe er Gottstein an sehr kurzer Leine, berichtet die FT.

Ob das so ist, lässt sich von aussen schwer beurteilen. Normalerweise publiziert die FT allerdings nur, wenn sie ihrer Sache verdammt sicher ist. Andererseits: solange der Break nicht vollzogen ist, sind solche Meldungen sehr schädlich für eine Bank. Was tun? Gegensteuer geben, natürlich.

Zwei ganz dicke Freunde, wie man auf dem Foto oben sieht

Wie das? Am einfachsten, indem man zu zweit ein Interview gibt und Friede, Freude, Eierkuchen zelebriert. Problem dabei: die FT ist dafür nicht zu haben. Die NZZ auch nicht. Nicht einmal Tamedia oder die Schweizer Wirtschaftspresse. Was tun? Plan B, wohl eher Plan C: gemeinsames Interview im Zentralorgan der gehobenen, seriösen Wirtschaftsberichterstattung. Dem «SonntagsBlick».

Nichts gegen den SoBli. Aber man stelle sich kurz die internationale Resonanz vor. FT berichtet dies, die beiden CS-Spitzen dementieren, im SoBli.

Where? What the heck is the «SonntagsBlick»? Is this serious? Are they kidding?

So ungefähr die Reaktion auf den internationalen Finanzmärkten.

Haben die beiden wenigstens Substanzielles zu sagen? Nun ja; der SoBli geht in medias res, obwohl er den Ausdruck sicher nicht kennt. Fragt knallhart, ob der VRP seinen CEO auswechseln und selbst die operative Führung übernehmen wolle. Knallharte Antwort: zweimal ein «Nein».

Nach einem knallharten Doppelnein fliegen Wattebäusche

Nachdem das geklärt ist, kann man das übliche Banker-Gequatsche ablassen: «Wir sind heute in einer viel besseren Position als zuvor.» Aktienkurs im tiefen Keller, nach der Klatsche ist sicherlich vor der Klatsche, die CS wäre zu einem Schnäppchenpreis zu haben, ihr passiert das nur deswegen nicht, weil alle noch weitere Leichen im Keller befürchten. Aber super Position.

Könnte man vielleicht denken, dass es mit der Handhabung von Risiken, so angesichts von Milliardenverlusten, etwas hapert? Ach nein: «Historisch verfügt die CS über eine sehr ausgeprägte Risikokultur. …  Aber es ist klar, dass es seither gewisse Versäumnisse gab.» ( Gottstein) «Wir müssen den Risikoappetit zügeln und die Anreize richtig setzen.» (Horta-Osório).

Gut, damit wäre das auch geklärt, worüber reden wir denn noch? Vielleicht über die wirklich wichtigen Sachen:

Frage: Sie sind ein sehr guter Tennis-Spieler, Herr Gottstein ein begnadeter Golfer …
Horta-Osório: Moment! Ich bin okay. Aber Thomas spielt besser Golf als ich Tennis.
Gottstein: Da bin ich mir nicht so sicher.
Horta-Osório: Du hast am letzten Sonntag beim Golfen unentschieden gespielt, ich habe meine Tennispartie verloren. Das ist Beweis genug. (lacht)

Haben die beiden seelenverwandten Sportskanonen vielleicht noch weitere Ratschläge auf Lager, ein Anlagetipp möglicherweise? Nun, das nicht, aber:

Horta-Osório: «Ich vermeide Gluten und Milchprodukte. Ich versuche, mich ans Intervallfasten zu halten, um meinen Körper zu entgiften. Auch ein wichtiger Aspekt ist der Schlaf.»

Nun gibt der VRP bekanntlich die Strategie und die grossen Linien vor, der CEO führt aus. Hier allerdings schwächelt Gottstein bedenklich: «Da ist er disziplinierter als ich.»

Damit gewinnen die beiden jede Limbo-Meisterschaft mit Abstand. Und bei Corporate Communication der CS sollten vielleicht ein paar Stellen neu besetzt werden. Schon alleine das Foto (oben am Anfang des Artikels als Bildzitat) freizugeben, müsste zu einer fristlosen Entlassung führen. Eigentlich.

 

 

Corona? War da mal was?

Lockerungen, Tests nicht mehr gratis, Wissenschaftler warnt. Alles normal.

Wollen wir mal über die Kosten der Corona-Bekämpfung sprechen? Ihre Auswirkungen auf Wirtschaft, Gesellschaft, Sozialsysteme, die Zukunft? Ach was, das zahlen doch die nächsten Generationen, also was kümmert uns das.

Ein wichtiges Anliegen aller Virologen ist es nach wie vor, immer mal wieder in den Medien aufzutauchen. Denn sie spüren, dass sich die das Ablaufdatum ihres Promi-Status nähert. Ist Corona mal vorbei, heisst es wieder zurück ins Labor, und kein Schwein schaut. Nur wenigen ist es gelungen, wie Marcel Salathé zum Status eines Superstars aufzusteigen und sich beruflich deutlich zu verbessern.

Der «Infektiologe» Jan Fehr spielt in der unteren Mittelliga, was seine Bekanntheit und die Anzahl seiner Auftritte in den Medien betrifft. Aber er hat sich mal wieder ein Interview im Blatt mit dem Regenrohr im Titel ergattert. Was tut er im «Blick»? Richtig, er «warnt»:

«Wir brauchen eine Impfquote von 80 Prozent».

Interviewt wird er übrigens von Ladina Triaca. Die eignet sich in der Ringier-Journalistenschule das nötige Rüstzeug an und kann als ausgebildete Virologin Fehr auf Augenhöhe begegnen. Oh, Pardon, sie ist ausgebildete Politologin, aber immerhin, die Endung ist doch die gleiche.

Alles Stehsatz oder was.

So darf Fehr routiniert das ganze Klavier der Corona-Themen bespielen. «Überlastung der Spitäler ist nach wie vor nicht ausgeschlossen», «wir müssen also mehr tun», «nicht der Zeitpunkt, die Tests kostenpflichtig zu machen», «kann nicht sein, dass wir extra ein Zertifikat geschaffen haben und es dann nicht zum Einsatz kommt».

Richtiges Foto, Name stimmt: alles Wichtige richtig gemacht.

Das ist nun alles etwas lauwarm, einen richtigen Knaller hat Fehr nicht auf Lager, so schafft er es nie in die erste Liga. Vor dem Abstieg in die Amateurliga gibt Martin Ackermann im gleichen Organ sein «Abschiedsinterview». Die Fragen stellt Guido Schätti. Der Wirtschaftsjournalist wurde vor Kurzem wegen Guy Lachappelle in den Senkel gestellt und flüchtet sich lieber in weniger konfliktive Themen.

Der letzte kleine Auftritt des grossen Ackermann

Ackermann darf nochmal in die ganz grosse Tröte blasen.

«Ich lag jede Nacht wach»,

erinnert er sich mit Schaudern an «die schlimmste Zeit seines Lebens». Er war «das Gesicht» der Task Force to the Bundesrat. Die Landesregierung hatte sich dieses Gremium geschaffen, um unabhängiger von den Expertenscharen in den Bundesämtern zu werden. Diese Truppe von Wissenschaftlern hätte eigentlich diskret den Bundesrat beraten sollen und nur in Absprache mit dem BAG an die Öffentlichkeit gehen.

Aber aus Profilierungssucht schwang sich die Task Force unter Ackermann zum Oberlehrer auf, beraumte eigene Pressekonferenzen ein und masste sich an, allen anderen, inklusive Bundesrat, Noten zu verteilen und Forderungen aufzustellen. Wohlfeil und verantwortungsfrei.

So kannte man Ackermann: platzend vor Wichtigkeit.

Schliesslich platzte selbst dem geduldigen BR Alain Berset der Kragen und er sah sich genötigt, darauf hinzuweisen, dass Expertenmeinungen zwar wichtig seien, die Entscheidungen aber immer noch von den dafür gewählten Volksvertretern getroffen werden, nicht von der Task Force.

Aber vor solchen kritischen Themen schreckt Schätti natürlich zurück, sein Auftrag ist offensichtlich, ein Wohlfühl-Interview zu führen, nach der Massgabe: Mit welcher Frage kann ich Ihnen möglichst tief in den Enddarm eindringen?

Kuscheliges Wohlfühlen-Interview

Daher darf auch Ackermann das murmeln, was man halt so sagt, wenn nur mit Wattebäuschen geworfen wird. Wie wird die vierte Welle? «Eine Prognose ist extrem schwierig.» Ausweitung der Zertifikat-Pflicht? «Das ist ein politischer Entscheid.» Impfpflicht? «Ich habe keine Mühe zu akzeptieren, wenn sich jemand bewusst gegen eine Impfung entscheidet.» Eigene Bedeutung?  «Ich bin froh, wenn sich die Taskforce möglichst schnell auflösen kann.» Krachende Fehlprognosen im Frühling 2021? «Ja, zum Glück lagen wir falsch.» Kritik an ihm? «Die Anfeindungen gingen an die Substanz.»

Schliesslich die Frage aller Fragen, wie hat Ackermann seine Tätigkeit «als Mensch» erlebt?

«Ich habe noch nie eine derart schwierige Zeit erlebt. Das Ausmass an Stress ging weit über das hinaus, was ich zuvor kannte.»

So gurgelt dieses Nicht-Interview das Regenrohr hinunter und versickert geräuschlos im Nichts. Ackermann ist wieder handzahm geworfen, denn ihm fehlt nun die Plattform, um sich als ständiger Gast in der «Tagesschau» und überall sonst zu profilieren. Also geht’s zurück ins Labor, zurück in den Kampf um Forschungsgelder, Assistenten und Doktoranden, zurück ins beschauliche Leben einer grauen Labormaus, an deren Tätigkeit die Öffentlichkeit nicht wirklich Anteil nimmt.

Um das zu symbolisieren, zeigt sich die Aufnahmequalität bei «Blick TV» in sehr bescheidener Unschärfe:

Gewählte Gemeinplätze aus professoralem Mund.

Blasen, Blähungen, Geblubber

Die Credit Suisse hat ihre GV abgehalten. Die NZZ bringt ein grosses Interview – mit dem UBS-CEO.

Das ist ganz grosses Kino, für einmal aus der NZZ. Wie kann man zum Ausdruck bringen, dass es über die Credit Suisse wirklich nichts zu berichten gibt, obwohl dort diverse Verwaltungsräte zurückgetreten sind, der neue CEO bereits ums Überleben kämpft?

Mit harscher Kritik, mahnenden Worten, die über einen «ordnungspolitischen Zwischenruf» hinausgehen? Nein, das wäre nicht die feine Art. Die feine Art ist: die NZZ bringt ein grosses Interview mit UBS-Chef Ralph Hamers.

Das ist auch schon die gute Nachricht. Denn Hamers hat sich mit einer Videobotschaft an seine Untergebenen gewandt. Das sieht «Inside Paradeplatz» so:

Kindergarten, Märchenstunde, dazu noch falsch gekleidet. Setzen, Schnauze. Sagt Lukas Hässig. Das sieht die NZZ nun entschieden anders: Hamers habe «erste Eckwerte der künftigen Strategie seiner Bank präsentiert».

Aber erfahrende NZZ-Leser wissen: Wenn das Titel-Quote lautet: «Wir wurden schon dafür kritisiert, zu konservativ zu sein», dann muss man sich auf das Schlimmste gefasst machen. Auf gähnende Langeweile. Und so ist es dann auch.

Wir fragen, was Sie wollen. Sie antworten, was Sie wollen

Wie ist es denn so nach 8 Monaten UBS? Diese Frage wird gestellt, die Fortsetzung nicht: in denen man von Ihnen nichts hörte, ausser das Gurgeln von vielen Millionen, die in Sie hineingeflossen sind. Deshalb kann Hamers auch ein Märchen aus 1001-Nacht erzählen:

«Von aussen professionell, solide, manchmal vielleicht etwas kühl», wirke die Bank, «von innen strahlt sie viel mehr Wärme aus.»

Echt jetzt?

Spricht Hamers von seinen Erfahrungen in der Männergruppe «lernen zu weinen?» Oder von einer Grossbank, die nur sagen kann: den Kollegen drüben von der CS geht’s noch dreckiger? Und die haben immerhin einen neuen VR-Präsidenten gekriegt. Unserer nimmt nur an Umfang zu, nicht an Bedeutung.

Wie sieht’s denn technologisch bei der UBS aus, fragt die NZZ. Und fügt nicht hinzu, wie die Bank denn das in der Finanzbranche übliche Problem schaukle, dass so viele Systeme nebeneinander laufen, aneinander genäht wurden, dass längst pensionierte Programmierer sich ein nettes Zubrot verdienen, weil ausser ihnen uralte Sprachen nicht mehr beherrscht.

Deshalb kann Hamers aus dem Stehsatz, Pardon, aus dem Stehgreif antworten: «Operativ gut unterwegs, Digitalisierung Schritt für Schritt voranbringen, stehen nicht unter Druck.» Nun kommen sicher Nachfragen. Block Chain, Cryptowährungen, eigene Währungen von Grosskonzernen, teure Flops mit eigenen, kontaktlosen Zahlungssystemen? Kniefall vor Apple Pay? Ach was, die NZZ möchte doch nicht, dass Hamers gegelte Langhaarfrisur in Unordnung gerät.

Konkrete Ziele? Was ist das, kann man das essen?

Stattdessen giesst die Zeitung die Tatsache, dass Hamers keine einzige Zahl in seinem ersten Auftritt nannte, in die vornehme Frage: «Warum haben Sie sich bisher mit konkreten Finanzzielen zurückgehalten?» Pandemie, «Strategie weiter konkretisieren», und nun kommt wirklich ein Satz, den man unbedingt in die eiserne Reserve von Nonsens-Gequatsche aufnehmen sollte:

«Wir wissen zwar, dass wir das, was wir bereits heute tun, auch morgen tun wollen – aber besser.»

Statt sich vor Lachen auf die Schenkel zu klopfen und mal nachzuhaken, fragt die NZZ nur scheu, was denn noch an Plänen fehle. «Wenn Sie beispielsweise in Asien schneller wachsen wollen, spielt China eine wichtige Rolle.» Auch ein Satz von monumentaler Flachheit. Wenn sie gross und stark werden wollen, spielt die Ernährung eine wichtige Rolle. Und dafür kriegt man wirklich Millionen nachgeschmissen?

Dann geht die NZZ gnadenlos an die heissen Themen. Archegos? «Wir sind von dieser Situation auch enttäuscht.» Was ging denn schief? «Das schauen wir uns jetzt genau an. Offensichtlich ging etwas schief.» Das Offensichtliche gelassen aussprechen, das muss man auch erst mal bringen.

Modern, gebürsteter Stahl, gegelte Haare, Pochettli statt Krawatte. Aber der Inhalt?

So plätschert es dahin, gehen Ruf und Reputation von Hamers und der NZZ gemeinsam in den Orkus. Ganz am Schluss erlaubt sich das Blatt noch «eine persönliche Frage». Wie stehe es denn mit der Wiederaufnahme des Geldwäschereiverfahrens in Holland? Da war Hamers immerhin CEO einer Bank, die die grösste Busse aller Zeiten in Holland zahlen musste. Und will von nichts gewusst haben. In der Bio-Box «Der digitale Niederländer» wird seine Tätigkeit für die ING ausführlich geschildert, dieses kleine Detail grosszügig ausgelassen. Die ING musste ja nur eine Busse von 775 Millionen Euro auf den Tisch legen. Peanuts für die UBS.

Blasen, Blähungen, Geblubber. Aber Werte.

Was sagt Hamers? «Voll und ganz zusammengearbeitet, nach bestem Wissen und Gewissen, konzentriere mich auf meine Arbeit bei der UBS». Einfühlsam will die NZZ dem durch diese unverschämt kritische Frage vielleicht angefassten Hamers noch die Gelegenheit für ein goldenes Schlusswort geben; was werde denn in fünf Jahren gleich sein wie heute?

«Die Swissness. Swissness steht für Stärke, für Vertrauen, für Zuverlässigkeit. Diese Werte sind und bleiben Kern der UBS.»

Da kann man für die Interviewer nur hoffen, dass sie sich anschliessend in der UBS-eigenen Tränke «Widder» auf Kosten des Hauses ein paar Single Malts hinter die Binde gegossen haben. Zum Weggurgeln.

 

 

Es darf gelacht werden: Über den Bauchnabel

Der entwickelt sich immer mehr zum wichtigsten Organ des Journalisten. Sein eigener, natürlich.

 

Tagi: Über die neuen 40

30 werden war früher, heute wird man 40. Hä? Muss man nicht verstehen. Aber man darf sich wundern, wieso Tamedia kein Extrablatt herausgebracht hat. Wir halten deshalb ein ganz heisses Thema für fürchterlich unterverkauft.

Denn: Haltet die Druckmaschinen an, die Seite eins kommt neu! Priska Amstutz, the one and only, hat ein Buch geschrieben. Das wurde auch gedruckt! Vom Knesebeck-Verlag in München, die Adresse für Buntes und Lebenshilfe. «Das neue 40» heisst das Meisterwerk. Unter Mithilfe einer Co-Autorin, mit vielen bunten Bildern und furchtbar interessanten Gesprächen mit schrecklich unbekannten Frauen – nur einer der Lieblinge von ZACKBUM ist dabei, die unvermeidliche Patrizia Laeri – lotet Amstutz aus, wie man sich denn so fühlt, ab 40. Als Frau.

«Das neue» oder «die neuen»? Ist doch egal

Wahnsinn, wenn man bedenkt, dass diese Altersschallgrenze ja erst seit Kurzem immer wieder von Frauen durchbrochen wird. Man könnte nun entscheiden, ob man für die 240 Seiten stolze 39.90 bei Orell Füssli ausgeben will, oder 29.50 bei Exlibris. Oder ob man sich dafür nicht lieber einen neuen Lippenstift kauft. Ich als Mann würde Lippenstift wählen.

Kann nichts, muss weg.

Nun ist Amstutz (1977) auch noch Co-Chefredaktorin des «Tages-Anzeiger». Davon merkt man weiter nix, ausser, dass sie deswegen natürlich im eigenen Blatt von einer Untergebenen interviewt wird. Da gibt Silvia Aeschbach alles, um nicht ganz direkt zu sagen:

liebe Chefin, was wolltest du schon immer über dein tolles, neues Buch sagen?

Nein, natürlich wird zum strengen Sie gewechselt, und Amstutz werden Erkenntnisse von ewiger Gültigkeit und grosser Tiefe entlockt. Zum Beispiel; wie war’s denn so beim 40. oder 41. von Amstutz? «Ich realisierte plötzlich, dass ich am Anfang eines neuen Lebensjahrzehntes stand.»

Meiner Treu, ich gestehe plötzlich, dass ich diese Erfahrung auch schon machte. Sogar mehrfach. Aber deswegen schreibe ich doch kein Buch drüber. Und veranstalte auch nicht die Peinlichkeit, mich als Chef in meinem eigenen Blatt interviewen zu lassen. Selbst dann nicht, wenn sonst keiner von meinem Buch Notiz nimmt …

 

Eingeschlafene Füsse

Apropos niemand nimmt Notiz; was macht eigentlich die Kultur-Journalistin des Jahres? Simone Meier hatte doch auch ein Buch geschrieben, das immerhin auf Verkaufsrang 774 bei books.ch steht. Ach ja, das liebedienerische Interview auf «watson» ist schon durch, was gibt’s Neues?

Nun, als Kulturjournalistin muss man heute Allrounder sein, also hat Meier einen Film angeschaut. Der heisst «Sami, Joe und ich». Genau, drei Freundinnen aus der Agglo, ein wunderbarer Sommer, der dann doch nicht so wunderbar wird.

Das Werk hat nun nur ein – unverschuldetes – Problem. Es spielt 2019. Genau, seither hat sich auch bei Coming-of-Age-Filmen die Umwelt ein bitzeli verändert, was man nicht nur an den hier fehlenden Masken bemerkt. Nun hat sich Meier den Film aber angeschaut, dieses Erlebnis kann sie doch nicht einfach wegschmeissen. Gut, «warum nicht?» wäre eine Frage, die dem Leser viel Qual ersparen könnte. Also grübelte Meier lange, wie sie einen Film aus anderen Zeiten in die Gegenwart transportieren könnte. Glücklicherweise erinnerte sie sich an die Sentenz: dem Redaktör ist nichts zu schwör. Und da der Kampf gegen Sprachsexismus gerade Pause hat, bezog sie das auch auf sich.

Daraus entstand dann der wunderprächtige Titel: «Jugend ohne Corona ist auch ein Alptraum – im neuen Schweizer Teenie-Film».

Im nicht mehr so neuen Teenie-Film, während sich die Jugend heutzutage eher mit dem Problem rumschlägt, wie man dem Alptraum mit Corona entfliehen könnte. Aber vielleicht liegt es daran, dass Meier selbst diese Zielgruppe doch seit Kurzem verlassen hat.

Die NZZ und die letzten Fragen

Wie es sich für das Intellellenblatt für die geistig gehobenen Stände gehört, beantwortet die NZZ problemlos auch die letzten Fragen der Menschheit. Also zumindest in der Welt der Banker.

Denn, Überraschung, auch die UBS hat durch den Bankrott des Archegos-Fonds eine Stange Geld verloren. Aber die NZZ weiss Trost:

«800 Millionen sind nicht 5 Milliarden.»

Da sieht man mal wieder, was ein Black Belt in Accounting wert sein kann: auf diese messerscharfe Analyse kämen wir Banausen niemals. Aber die NZZ kann noch nachlegen: «Sie leichtfertig zu verspielen, ist dennoch nicht ratsam.»

Schade aber auch, nachdem ich gelernt hatte, dass schlappe 800 nicht 5 Mia. sind und gerade damit zum Casino aufbrechen wollte, erklärt mir die NZZ, dass das doch nicht ratsam sei. Gibt es denn sonst noch Fragen, vor denen wir wie der Ochs am Berg stünden, wenn die NZZ nicht Durchblick verschaffen würde?

Jein, muss man hier sagen. Denn schon der Titel dieses Ratgebers verwirrt: «Einmal keinen No Shrimp, bitte!». Leider reist die Autorin hier mit erkenntnistheoretisch eher leichtem Gepäck: «Wenn man ist, was man isst, was ist man dann, wenn man eine Nicht-Garnele isst? Oder ein Nicht-Ei, ein Nicht-Schwein oder ein Nicht-Chicken? Die vegane Küche konfrontiert uns mit verwirrenden Fragen.»

Wirklich? Das tut doch nicht erst die vegane Küche. Die Fragen waren damals auch überhaupt nicht verwirrlich, wenn der DDR-Bürger bei der Nahrungsaufnahme eine Sättigungsbeilage erhielt, zum damit gereichten Formfleisch. Der Name ist immerhin schon schöner als «Klebefleisch». Das bedeutete zum Beispiel, dass das «Jägerschnitzel» so wenig mit einem Jäger wie mit einem Schnitzel zu tun hatte. Es bestand aus zusammengeklebten Fleischstücken, die einfach in die Form eines Schnitzels gebracht worden waren.

Alte Erfahrungen, neu serviert: kalte Küche bei der NZZ

Das galt für viele Leckereien aus dem Nahrungsmittelfundus; auch für Fische, Wild, selbst für Mutters Klopse (Hamburger). Die bestünden ja schon aus gewolftem Fleisch, aber zum Strecken wurden gerne Produkte verwendet, die mit Fleisch eigentlich nichts zu tun hatten. Wenn sie auch farblich anders gestaltet waren, half die Lebensmittelchemie mit ein paar Farbtröpfchen nach. Das galt natürlich auch für die Delikatesse «Broiler» (Brathähnchen).

Steckte er am Drehspiess, konnte man einigermassen auf ein Originalprodukt vertrauen. Kam er aber in Einzelteilen auf den Teller, sah das schon ganz anders aus.

Also hier muss man leider sagen: NZZ, ungenügend. Das muss doch besser gehen. Der alte Scherz mit der Nicht-Existenz und deren existenzialistischen Folgen, da war ja Jean-Paul Sartre schon weiter.

 

«Blick» schickt Klartext durchs Rohr

Die einzige Zeitung der Welt mit einem Regenrohr im Titel verkünstelt sich nicht und überliefert glasklare Antworten. So ballert ein Titel: «Vanessa Mai platzt wegen der Kilo-Frage der Kragen». Weil der dann geplatzt ist, verwendet «Blick» ein Foto der Sängerin ohne Kragen, aber mit Einblick.

Wie äusserte sich denn das Platzen? Ziemlich ruppig:

«Geht Euch einen Scheiss an!»

Klare Frage, klare Antwort, völlig sinnbefreit. So lieben wir den Boulevard. Gibt er noch mehr Antworten? Aber hallo, jeden Menge. «Das sagen die Sterne». Exklusiv: Alpha Centauri plaudert im «Blick» aus dem Nähkästchen. «Die wichtigsten Grundsätze für den Roulette-Erfolg». Endlich, für alle Skeptiker, die immer noch meinen, dass nur die Bank gewinnt. Oh, ich sehe gerade, das ist ja eine «bezahlte Promotion mit jackpots.ch». Da kommt man doch ins Grübeln, wie objektiv diese Ratschläge sind.

Ein letztes Beispiel? Sicher, der «Blick» gibt ja nicht nur geistige Nahrung, er kümmert sich auch um die leibliche. «Das sollten Sie nicht täglich zum Frühstück essen», warnt Sonja Zaleski-Körner. Was denn nicht, und warum? Zum Beispiel «Pancakes mit Ahornsirup». Da werden Millionen von Schweizern aufhorchen, die sich das täglich gönnen. Aber es wird noch schlimmer: «Weissbrot oder Toast sättigen nicht lange und machen schnell dick.» Ob das Vanessa Mai weiss?

Aber wie steht es dann mit dem Inhalt einer brutzelnden Speckpfanne? «Wegen dem Fett und vielen Salz ist dieses Gericht leider nicht gesund.» Fett, was für Fett? Echt jetzt, das sollte man nicht zum Frühstück trinken? Wenn wir den «Blick» nicht hätten, wären viele von uns schon nach dem Z’morge halbtot.

 

«Und, wie fühlen Sie sich?»

Sportlerinterviews sind voraussehbar. Aber nicht immer.

Interviews mit Sportlerinnen und Sportlern sind oft langweilig. Uninspirierte Fragen, zaghafte Antworten. Emotionale Ausbrüche wie die Weizenbieraffäre auf ARD oder Carlos Varelas Ausraster («Heb de Schlitte») sind Mangelware. Verpasst haben das Nachhaken kürzlich auch Sandra Studer und Rainer Maria Salzgeber. Sie moderierten die Liveshow «Sports Awards» zur Kürung der besten Sportlerinnen und Sportler der letzten 70 Jahre. Die nominierte Kunstturnerin Ariella Kaeslin wollte über ihre Depression nach dem Rücktritt erzählen. Und wurde schnöde überhört. Negatives, Trauriges, Ernstes hat oft nichts zu suchen in der Sportberichterstattung. Schneller, höher, weiter. Die Verlierer, die Geschichte hinter dem Sieg, die Zweifel und Abgründe interessieren weniger. Zumindest nicht die Reporterschar.

Als Ausnahme aufgefallen ist der NZZ-Artikel von Sportredaktor Flurin Clalüna, erschienen am 5. Januar 2021. Eine ganze Seite schreibt er von all den Vorkommnissen, über die er nie schreiben durfte oder wollte. Cholerische Fussballclubpräsidenten, falsche Teammanager und aufgebrachte Trainer, die in der Nacht zum Telefonhörer greifen. Weil der Text nur via Bezahlschranke zu lesen ist, hier das pdf.

Aber warum schreibt Clalüna so offen und ehrlich? Weil er das Ressort wechselt. Er geht zum Folio. Schade für den Sportteil, gut fürs Folio.

Wohl eines der besten Sportinterviews der vergangenen 12 Monate hat Michael Luisier mit Petra Kronberger geführt. Die Österreichern ist eine der erfolgreichsten Skirennfahrerinnen der Renngeschichte. Dreimal gewannt sie den Gesamtweltcup, dazu Abfahrtsweltmeisterin und Doppelolympiasiegerin. Heute, gut 25 Jahre später, ist sie Frauenbeauftragte des Österreichischen Skiverbandes. Luisier fragt einfühlsam und doch nicht unterwürfig. Das Resultat sind interessante und überraschenden Antworten. Die einzige Kritik: gerne hätte man erfahren, warum Petra Kronberger nicht Nachfolgerin des streitbaren ÖSV-Präsidenten Peter Schröcknadel werden möchte.

Speziell am gelungenen Interview ist, dass Michael Luisier zum Team von Radio SRF 2 gehört. Nicht unbedingt der Sender, dem man Sportkompetenz geben würde. Schön, wird man immer wieder überrascht.

 

 

 

 

 

 

Jouschu-Leiter Hannes Britschgi will bis 2024 weitermachen

Und schwärmt von seinen angehenden Journalisten.

Hannes Britschgi leitet seit 11 Jahren die Ringier Journalistenschule (Jouschu). Von seinen Schülern hält er viel, nur der Arbeitseinsatz könnte höher sein.

ZACKBUM: Bei Frauen muss man da etwas vorsichtig sein, bei Ihnen hoffentlich nicht: Sie sind 65 Jahre alt und diesen Sommer hört Ihr Klassenzug auf. Gehen Sie dann golfen?

Hannes Britschgi: Nein, geplant ist der nächste Ausbildungsgang 2022 bis 2024. So könnte ich 2024 das 50-Jahr-Jubiläum der Jouschu feiern. Vorausgesetzt, Ringier und meine Gesundheit lassen das zu.

Bleiben wir doch beim Thema Alter. Sie sind über 40 Jahre älter als Ihre Schülerinnen und Schüler. Sprechen Sie eigentlich noch die gleiche Sprache wie die?

Machen Sie sich da mal keine Sorgen. Meine drei Töchter sind etwa in dem Alter meiner Schülerinnen und Schüler. Aber es ist klar, dass auch ich mich ständig in den neuen Technologien fortbilden muss.

Sie sind Leiter einer einzigartigen Schule für Journalismus. Im Unterschied zu den teuren Lehrgängen am MAZ, zahlt Ringier seinen Volontärinnen und Volontären sogar einen Lohn (im ersten Jahr 1625 Franken pro Monat, danach 3250 Franken). Der Unterricht findet in einer Villa statt. Lohnt sich das wirklich für Ringier?

Ja, das tut es. Schauen Sie, als ich vor 10 Jahren die Schulleitung übernahm, ging das mit einer gewaltigen Budgetreduktion einher. Ich habe lange studiert, wie man die Qualität sichern und trotzdem sparen kann. Die Lösung: Ich habe die Schlagzahl der Lehrgänge reduziert. Jetzt schreiben wir in zehn Jahren nur noch drei Klassen aus.

Stichwort Qualität: Einer der Jouschu-Dozenten ist Ralph Donghi …

… ja, richtig, Ralph ist einer von rund vierzig Dozentinnen und Dozenten. Und er ist einer der interessantesten. Er erklärt den Schülern im Modul «Feldrecherche» seine Arbeitsmethode. Aber wissen Sie was? Seine Lektionen führen zu heftigen Diskussionen unter den Studenten. Will ich diese nötige Auseinandersetzung den angehenden Journalisten vorenthalten? Nein, sicher nicht.

Werden Ihre Leute überhaupt Journalisten oder machen sie später irgendetwas mit Medien?

Gute Dreiviertel der Abgängerinnen und Abgänger der jüngsten Jouschu-Klassen erhielten einen festen Arbeitsvertrag bei Ringier und leisten wertvolle Arbeit für den Verlag: Zum Beispiel Helena Schmid mit ihren Primeurs im News-Ressort der Blick-Gruppe oder Alexandra Fitz mit ihren grossen Geschichten im SonntagsBlick – sie ist dort stellvertretende Leiterin des Magazins – oder die talentierte Schreiberin Rahel Zingg im Style, jetzt in der Schweizer Illustrierten, oder der gescheite Bundeshausredaktor Simon Marti vom SonntagsBlick. 

Sie haben über 40 Jahre Journalismus im Blut und kennen den Nachwuchs aus nächster Nähe. Was hat sich verändert?

Nicht sehr viel. Wir erhalten zwar weniger Anmeldungen, aber die, die dann kommen, brennen für den Beruf. Ich bin jedes Mal fasziniert von unseren Talenten. Etwas hat sich geändert. Früher gab es für angehende Journalisten keine Nacht und keinen Sonntag. Junge Erwachsene von heute trennen Job und Freizeit stärker als früher. Einerseits ist das gut und überzeugend, andererseits irritiert mich der dosierte Einsatz nach Dienstplan.

Hannes Britschgi, 1955, studierte an der juristischen Fakultät Bern und machte 1984 das Berner Anwaltspatent. Seit über 30 Jahren ist er Journalist. Zuerst beim Schweizer Fernsehen: «Karussell», «Max», «Kassensturz», «Rundschau». Für seine «Rundschau»-Interviews erhielt er den «Telepreis 1997». 2001 wechselte er als Chefredaktor zum Schweizer Nachrichtenmagazin «FACTS». 2005 übernahm er die Programmleitung von «Ringier TV». 2008 wurde er «SonntagsBlick»-Chefredaktor. Seit 2011 leitet er die Ringier Journalistenschule.