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Schreibtäter Tobler

Ein Realitätsverweigerer nennt einen anderen so.

Der frischgebackenes Leiter des «Teams Gesellschaft/Debatte» von Tamedia mag Ueli Maurer nicht. Andreas Tobler mag auch die SVP nicht. Das ist so bekannt wie langweilig.

Nun hatte sich der Alt-Bundesrat ausgerechnet Tamedia ausgesucht, um zum ersten Mal seine Meinung zu den Erkenntnissen der PUK zum desaströsen Untergang der CS zum Besten zu geben. Dazu gehört auch die erstaunliche Aussage, dass er den Bericht gar nicht gelesen, dennoch eine dezidierte Meinung dazu habe.

Wie jeder Politiker weist Maurer jegliche Schuld an der Katastrophe weit von sich, räumt lediglich ein, dass er vielleicht von der CS-Spitze etwas eingeseift worden sei. Das ist nun alles schon Altpapier, bevor das Interview gedruckt wurde. Schnee von gestern. Unerheblich. Keine Sternstunde Maurers.

Aber für den Brachialjournalisten «Rammstein-Konzerte absagen»-Tobler Anlass genug zum Nachtreten. Dabei wäre doch seine Beförderung eine gute Gelegenheit gewesen, mal ein wenig Selbstkritik nach einer solchen Anzahl von Fehlleistungen zu üben, die ihn in jedem anständigen Medienhaus zum Ausgang und nicht nach oben geführt hätten.

Oder vielleicht war es ein wenig Neid, dass der Interview-Crack Tobler (er kroch schon Bärfuss, Neubauer oder Friedman verbal hinten rein) nicht höchstpersönlich mit Maurer sprechen durfte.

ZACKBUM kann sich nicht oft genug wiederholen:

Wer solchen Unsinn verzapft, wer die Unschuldsvermutung mit Füssen tritt, wer künstlerische und wirtschaftliche Existenzen rücksichtslos vernichten möchte, ist eigentlich für ein sogenanntes Qualitätsmedium nicht mehr tragbar.

Stattdessen nun ein gähnlangweiliges Abarbeiten am politischen Feindbild:

«… Ueli Maurer selbst, der sich im Interview hartnäckig den Fakten verweigert … seine Aussage ist vor allem komplett faktenfrei … auch sonst verweigert sich Maurer wiederholt den Fakten … Maurer ist daher kein Sündenbock, sondern ein Realitätsverweigerer» usw.

Das ist Polemik auf niedrigstem Niveau. Gäbe es im Hause Tamedia noch Niveaukontrolle, würde ein solcher Kommentar als zu tiefergelegt schlichtweg vor der Publikation abgefangen und gelöscht werden. Aber doch nicht hier. Also kann Tobler so sicher wie das Amen in der Kirche am Schluss noch sein Gewäffel von Maurer auf die SVP ausweiten:

«Um glaubwürdig zu bleiben, müsste die SVP – die längst zur Classe politique gehört – sich mit der Kritik auseinandersetzen, dass sie in den Jahren der CS-Krise mit zahlreichen Vorstössen die Finma zu schwächen versuchte – und dass sie mit Ueli Maurer einen überforderten Bundesrat stellte, der sich nun aus der Verantwortung stehlen will.»

Das ist mal wieder ein Stück Zeigefingerjournalismus vom Unfeinsten. Tobler befiehlt der SVP («müsste»), was sie zu tun habe, um angeblich glaubwürdig zu bleiben. Tut sie das nicht, ist sie also nach seiner Logik unglaubwürdig. Und Maurer sei überfordert gewesen und wolle sich aus der Verantwortung stehlen.

Schau an, wer da spricht. Hat sich Tobler jemals gegenüber einer seiner vielen Fehlleistungen der Verantwortung gestellt? Hat man jemals ein selbstkritisches Wort von ihm gehört, nachdem er die Absage der Rammstein-Konzerte in der Schweiz forderte («es gilt die Unschuldsvermutung») und dann sämtliche gegen den Sänger der Band erhobenen Vorwürfe in sich zusammenfielen?

Wieso schreibt er nicht: Um glaubwürdig zu bleiben, müsste Tamedia sich mit der Kritik auseinandersetzen, dass sie mit zahlreichen Verstössen den Journalismus zu schwächen versucht – und mit Tobler einen überforderten Ressortleiter stellt, der sich immer aus der Verantwortung stehlen will.

Das wäre wenigstens lesenswert. Aber eher friert die Hölle ein, als dass wir das lesen können.

Unerträglich

Patrik Müller lotet schamfrei Tief- und Sumpfgebiete aus.

Die Bachelorette der Politik hat’s mal wieder geschafft. Alleine auf Deutsch verzeichnet die Mediendatenbank SMD an einem Tag 66 Treffer. «Exklusiv-Interview», trompeten Patrik Müller und Thomas Wegmann und verschwenden fast 19’000 Anschläge, um einem politischen Leichtgewicht Bedeutungsschwere zu verleihen.

Natürlich hat sich die Dame, deren Namen wir hier nie mehr nennen wollen, sorgfältig überlegt und ausgesucht, wo sie ihren Rückweg ins Scheinwerferlicht und die Öffentlichkeit antreten wird. Mit ihrer eigenen Partei, mit ihrem Parteichef spricht sie kein Wort und lässt sich verleugnen. Aber da ihr die mediale Aufmerksamkeit wie dem Gummibaum die Büroluft fehlte, konnte sie nicht länger an sich halten. War sie vorher krank, sei sie nun wieder gesund geworden.

Und CH Media bietet ihr willig die grosse Bühne. Riesen-Aufmacherfoto auf der Front der «Schweiz am Wochenende», immerhin das auflagenstärkste Wochenendblatt. Dann eine Doppelseite (!) Interview, geschickt getimt in der Adventszeit, mit einem Titelzitat, das vor schleimiger Scheinheiligkeit nur so tropft:

«Ich fühlte einen Schmerz, der kein Anfang und kein Ende kennt».

Die «GlücksPost» muss grün und blau vor Neid sein, so ein Geheuchel kriegt nicht mal die Herz-Schmerz-Postille hin. Auch die Fragen bewegen sich auf diesem Niveau:

«Wie geht es Ihnen? Wie haben Sie die letzten Wochen verbracht? Wie reagierten die Menschen, denen Sie begegneten?» Ein Therapeut hätte nicht einfühlsamer fragen können. Und die Antworten? Sorgfältig gescriptet; die Dame hatte ja genug Zeit, sich alle passenden Worthüslen bereitzulegen, hat sie sicherlich auf ihre Wirksamkeit hin professionell abklopfen lassen, hat da und dort noch etwas Schleim draufgeschmiert oder weggenommen.

Der Kotau geht bis an den Boden: «... Fehler gemacht, einen groben und dummen Fehler … schäme mich … Verantwortung übernehmen …» Blabla. Ein US-TV-Prediger, dem man einen Seitensprung mit Fruchtfolge vorwirft, könnte keine bessere Show hinlegen. Selbst Christophe Darbellay, als katholischer Familienvater genau dabei ertappt, war ein Waisenknabe dagegen.

Richtig dünn wird es allerdings, wenn die Dame zu erklären versucht, wie es denn zu diesem dummen Vorfall gekommen ist, dass sie ein Foto von sich in Kampfmontur mit Pistole und das zerschossene Marienbild mit Kind postete. Das hat nun schon fast literarische Qualitäten, hätte Molière seinem Tartuffe problemlos in den Mund legen können. Es hat etwas Genialisches, muss man zugeben. Und es sich auf der Zunge zergehen lassen:

«Ich war an jenem Freitagabend überarbeitet, nach mehreren Nachtschichten völlig übermüdet. Ich hatte eine Frist. Mein Kopf war so voll und laut, ich konnte mich auf nichts mehr konzentrieren. In solchen Situationen hilft mir Sportschiessen. Man fokussiert sich auf einen kleinen Punkt und hat dann seinen Kopf wieder zusammen. Also ging ich an jenem Abend in den Keller. Vor der Tür war ein Stapel Altpapier, zuoberst der Katalog des Auktionshauses Koller. Ich riss irgendeine Seite heraus, steckte sie an die Wand, ohne etwas zu überlegen, es hätte auch eine andere Seite sein können …»

Welche Komposition. Ein überarbeiteter Mensch, übermüdet, Nachtschichten. Jö. Will den Kopf freikriegen, aber ja. Da liegt ein Katalog herum, natürlich, man reisst irgend eine Seite heraus, klar doch. Aber das ist nur die Einleitung zu einer oscarreifen Nummer:

«Ich machte meine Schiessübungen. Beim Schiessen passierte etwas in meinem Kopf. Etwas, was mich aus der Bahn warf. Ich musste an meine Mutter und an meinen Bruder denken. (Sie pausiert.) Mein Bruder wurde umgebracht, bevor wir geflüchtet sind.(Sie kann nicht weitersprechen.)»

Müller und Wegmann heulen sich hier gegenseitig ins Hemd und wischen tapfer die Tränen ab: «Ihr Bruder wurde erschossen?»
(Nickt.)
Unfassbar.
(Fährt nach längerer Pause fort.) Ich habe lange und immer wieder versucht, dieser Erinnerung aus dem Weg zu gehen. Beim Anblick des Bildes an der Wand sah ich gar nichts. Ich fühlte nur einen Schmerz. Einen Schmerz, der keinen Anfang und kein Ende kennt. Nach dem Schiessen rannte ich raus. Der Schmerz war immer noch da, irgendwie war er unterbewusst immer da, stärker seit dem Ukraine-Krieg. Ich hatte all das verdrängt, und in dem Moment brach es aus, wie ein Vulkan. Ich konnte den Schmerz nicht alleine tragen und wollte ihn abschalten. Und wusste offenbar nicht anderswo hin damit, als es zu posten. Das war impulsiv und unüberlegt.»

ZACKBUM ist hin und weg. Ist das gut, ist das grossartig. Ist das widerwärtig, heuchlerisch, so echt wie ein angeblich blinder Bettler, der heimlich in die Schüssel blinzelt, wenn jemand etwas hineinwirft.

Aber die Nummer ist noch nicht zu Ende gespielt:

«Dass Sie das durchlöcherte Bild auf Instagram stellten: Das war ein Teilen des Schmerzes mit anderen?
An einem normalen Tag hätte ich mit jemandem darüber gesprochen oder ich hätte mich eingeschlossen und den Schmerz vorbeigehen lassen. Aber ich schwamm da in einem Meer des Schmerzes, der Kopf war … nicht mehr da. Ich war nicht fähig, irgendetwas zu überlegen, ich konnte nur noch tun. Das Handy war da, und so tat ich, was ich mit etwas Überlegen nie getan hätte.
Ist das eine Rechtfertigung?
Nein. Es ist eine Kontextualisierung von dem, was vorgefallen ist, keine Rechtfertigung. Es tut mir nach wie vor unendlich leid, was ich getan und damit ausgelöst habe.»
Kontextualisierung, einfach grossartig. Wir nähern uns unaufhaltsam dem Finale, sozusagen dem Gipfel des Schleimbergs:
«Darf ich fragen: Wann geschah der tragische Tod Ihres Bruders?
In den 90er-Jahren, aber ich möchte nicht darüber sprechen.»

Wow. Das ist mindestens so ergreifend, wie wenn auf der Opernbühne der Held gemeuchelt wird und liegend zu seiner Todesarie ansetzt, während die Umstehenden ihr Haupt verhüllen. Das Publikum greift gerührt zu den Taschentüchern und tupft sich die Tränen ab; nur ein ganz Unsensibler schneuzt sich vernehmlich.

Dann lässt das Interview emotional schwer nach, der Dame werden die üblichen Fragen souffliert, wie’s denn so weitergehen soll politisch. Aber welch eine Show, was für eine begnadete Schauspielerin und Manipulatorin, diese Dame. Dämlich nur, dass zwei gestandenen Journalisten nicht die einzig richtige Frage einfällt, die diese Show wie einen Luftballon platzen lassen würde:

Die Dame hat bekanntlich die Fotos nicht selbst gemacht, sondern machen lassen. Also war das keine spontane, schmerzerfüllte Aktion, Trauerarbeit für den erschossenen Bruder, (schluchz, heul). Also rannte sie auch nicht hinaus, griff auch nicht spontan zum Handy, das ja jemand anders bediente. Sondern es war wie alles zuvor eine eiskalt geplante Provokation, bei der sicherlich aus verschiedenen Schnappschüssen die richtigen ausgewählt wurden, von denen sich die Beteiligten die grösste Wirkung versprachen. Dass die dann übergross wurde, Künstlerpech.

Die beiden betroffenen und ergriffenen Interviewer («unfassbar») vergessen auch, Ameti nach dem angeblichen Polizeischutz zu fragen, mit dem sie hausieren ging, von dem man aber nicht weiss, ob er wirklich stattfand. Schliesslich bestätigte die Polizei ZACKBUM nur, dass man mit der Dame in Kontakt sei.

Die Dame hat zum Start ihres Comebacks alles richtig gemacht. Sie ist und bleibt zwar peinlich, hat nun aber darin zwei Bundesgenossen gewonnen. Einer ist immerhin der Oberchefredaktor von CH Media.

Das löst mehr als fremdschämen aus. Diesen Text zu lesen, das ist so, wie wenn man eine Büchse öffnet ohne auf das Ablaufdatum zu achten, und der Inhalt explodiert einem ins Gesicht.

Manchmal schwächelt auch die NZZ

Wie kann man nur Mark Pieth zur Fifa interviewen …

Er wird ausführlich gelobhudelt: «Vorkämpfer gegen Korruption … hat sich als Anti-Korruptions-Experte einen Namen gemacht. Er gründete 2003 das Basel Institute on Governance … Bis 2013 leitete er die unabhängige Kommission für Governance und trieb die Fifa-Reformen voran.»

Das ist, höflich formuliert, eine etwas einäugige Sicht der Dinge. Man kann es mit Fug und Recht auch so sehen: bei der Fifa sollte er mit seinem Ruf dafür sorgen, dass der ewige Geruch nach Korruption weggepustet würde. Gebracht hat es schlichtweg – nichts. Zunächst verkündete er grossmäulig, man habe «unabhängige Strukturen gepflanzt, die funktionieren können». Bloss 18 Monaten danach wurden Fifa-Funktionäre spektakulär im Baur au Lac verhaftet – Korruptionsverdacht.

Nichts gebracht ist allerdings relativ. Denn der Professor arbeitete nicht gratis für die Fifa. Sondern zu einem Stundenansatz von 650 Franken und einem Tageshonorar von 5000 Eiern. Pieth alleine kassierte rund 215’000 Franken, sein «gemeinnütziges Institut» räumte 2,5 Millionen ab. Money for nothing.

Der Professor ist auch immer grossmäulig dabei, wenn es gilt gegen andere und vor allem gegen die Schweiz auszuteilen, wie der «Blick» mal zusammenfassend dargestellt hat. Wenn man dem emeritierten, aber lautstarken Professor zitiert, der immer und überall gerne auftritt, wenn er «Korruption» krähen darf, als Interviewpartner über die Fifa die Spalten öffnet, bekommt der Spruch vom Bock zum Gärtner eine ganz neue Dimension.

Hier darf Pieth mal wieder richtig vom Leder ziehen:

«Auf brutale Weise geht’s nur noch um Gewinnmaximierung.»

Er meint damit aber nicht die 2,5 Millionen, die er und sein Institut für nix abräumten.

Jammern darf er auch: «So wurde damals unser Reformprogramm torpediert.» Oder mit anderen Worten: auf ganzer Linie gescheitert, nachdem er sich als Feigenblatt willig missbrauchen liess. Dann widerspricht er sich auch gerne selbst, wie toll doch seine Arbeit gewesen sei: «Damals brachten wir professionelle Leute von aussen in die Fifa rein. Das war wichtig für die Reform. Doch die hat man alle entfernt. Jetzt dominieren Unfähigkeit oder Gefälligkeit. Früher tat die Ethikkommission ihre Arbeit.»

Starke Worte hat Pieth auch heute noch; über die Vergabe der Fussball-WM an Saudi-Arabien sagt er: «Die Fifa geht einen Deal mit dem Teufel ein.» Auch für den Schweizer Fussballverband hat er nur Beschimpfungen auf Lager: «Ja, im Übrigen sind es Feiglinge. Das gilt für fast ganz Europa.» Von sich selbst hingegen hat er eine ungebrochen hohe Meinung: «Vor der Fifa war ich daran beteiligt, die Uno zu reformieren.»

Aber zum Schluss blitzt doch noch ein Spürchen Selbstkritik durch: Nach seinem grossartigen Reformwerk der UNO (2000 Seiten!) «waren sie sehr freundlich, warfen aber alles in den Papierkorb. In der Fifa war es ähnlich. Ich war zu wenig Fussballer. Deshalb merkte ich das sehr spät

Tja, zu wenig Fussballer, zu wenig effizient, zu mediengeil, von allem etwas «zu». Sollte die NZZ lassen, wenn auch ZACKBUM in journalistischer Manier einen Ratschlag geben darf. Eine Seite mit Pieth ist eine verschenkte, verschwendete Seite.

Der Oberheuchler

Widerwärtig und übelkeitserregend. Ein Gipfeltreffen zweier Sumpfblasen.

Schwer steigerbar ist, wenn Simon Jacoby den «Publizisten» Daniel Binswanger interviewt. Das ist sozusagen eine Win-win-Situation, bei der nur der Leser verliert. Ein Gipfeltreffen der Geschmacklosigkeiten. Ein Kampagnenreiter trifft auf einen Opportunisten.

Denn der Chefredaktor von «tsüri», staatlich subventioniert, spricht mit dem Co-Chefredaktor der «Republik», von Millionärserben ausgehalten. Damit bekommt die schreibende Schmachtlocke endlich mal etwas Einschaltquote, und Jacoby kann sich sicher sein, dass sich hier zwei in den Armen liegen.

Schon das Titelzitat erregt Brechreiz: «Ich finde die moralische Hysterie der NZZ unglaublich ermüdend», salbadert Binswanger matt. ZACKBUM findet hingegen die mehrfache moralische Bankrotterklärung Binswangers unglaublich abstossend und bemühend.

Als «Magazin»-Redaktor und Freund des Chefredaktors erlebte Binswanger die haltlosen Anschuldigungen einer frustrierten und gefeuerten Ex-Mitarbeiterin mit. Anuschka Roshani bezichtigte Finn Canonica im «Spiegel», sie jahrelang übel verbal niedergemacht zu haben, auch vor versammelter Redaktion. Für Binswanger, schon längst zur «Republik» gewechselt, wäre es ein Leichtes gewesen, als Zeuge richtigzustellen. Aber stattdessen schwieg er verkniffen und feige.

Als Co-Chefredaktor der «Republik» hat er den Skandal zu verantworten, dass ein Starreporter übler sexueller Übergriffigkeiten beschuldigt wurde – und ohne Anhörung gefeuert. Dieser Verstoss gegen banalste Regeln des Arbeitsrechts kostete die «Republik» eine hübsche Abfindung. Aber man hat’s ja, dank Millionären im Hintergrund. Auch hier schwieg Binswanger verkniffen und feige; ausser, dass er natürlich davon nichts gewusst habe. Die übliche Ausrede eines Versagers.

Disqualifizierter für moralische Werturteile geht eigentlich nicht. Was geht da unter der Schmachtlocke vor, wenn er sich dennoch zu solchen Urteilen aufrafft, ohne rot zu werden und sich in Grund und Boden zu schämen?

Stattdessen sondert er selbstverliebte Sottisen ab, die Strategie der NZZ sei «der Versuch, sich eine Pappnase der Äquidistanz aufzusetzen.» Ist das ein schepperndes Wortgebimmel. Aber auch Bösartiges hat Binswanger drauf: «Dies wiederum wirft die Frage auf, was all diese Leute, die nicht davon begeistert sein dürften, dass ihr Chefredaktor den Höcke an die Macht schreiben will, bereit sind mitzutragen.» Eric Gujer wolle Höcke an die Macht schreiben, nur weil der NZZ-Chefredaktor darauf hinweist, dass die deutsche Demokratie auch einen Wahlsieger als Ministerpräsidenten aushalten würde? Absurd und abstossend als Unterstellung.

Für sein Äusseres kann niemand etwas. Wer sich aber so wie Binswanger inszeniert, hat etwas zu verbergen. Nach hinten gefönte Schmachtlocke, Jacket, darunter ein Hoodie, darunter ein weisses Hemd, darunter ein T-Shirt, der legere Alternativ-Look. Aber mitten im gebräunten Gesicht zusammengekniffene Augen und ein zum Strich verkniffener Mund – daraus spricht eine unverhüllte Bösartigkeit, wahrscheinlich genährt durch jahrelangen Misserfolg. Leider können wir das Foto nicht zeigen, sonst wird uns noch eine Copyright-Verletzung an die Backe geklatscht.

Wenn es darum geht, was jemand für einen sicheren Job auszuhalten bereit ist, spricht Binswanger wohl für sich selbst: «Und was man sich alles einzureden vermag an Ausflüchten und Rechtfertigungen.» Spätestens nach dem Déjà-vu des Sexismus-Skandals der «Republik» hätte Binswanger die Konsequenzen ziehen müssen. Aber wohin hätte er ziehen können?

Die NZZ hat, im Gegensatz zur «Republik», publizistisch Erfolg. Das macht Binswanger grün vor Neid: «Die ideologischen Widersprüche der NZZ sind inzwischen dermassen grotesk geworden, dass sie allen Mitgliedern der Redaktion bewusst sein müssen.» Wie wäre es mit der richtigen Übertragung: Die publizistischen Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit der «Republik» sind inzwischen dermassen grotesk geworden, dass sie …?

In seinem Furor verliert Binswanger dann jedes Mass und jede Mitte:

«In diesem sumpfigen Teich am rechten Rand hat die NZZ ihre Wachstumsnische. Grundpfeiler des Liberalismus wie Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Gewaltenteilung, Schutz der Medienvielfalt müssen dann halt etwas zurücktreten. Eine extrem unerfreuliche Entwicklung

Auch ZACKBUM hat, bei aller Berichterstatterpflicht, seine Grenzen der Qual. An dieser Stelle, obwohl das Interview noch ellenlang weitersumpft, haben wir aus hygienischen Gründen aufgegeben und heiss sowie kalt geduscht. Solches Dreckelen beschmutzt auch den Leser, dem kann man sich gar nicht entziehen.

Sowohl «tsüri» wie die «Republik» wollen im linken Gesinnungssumpf fischen gehen. Möglicherweise ist dieses Interview im Rahmen einer «tsüri»-Hetzkampagne gegen die NZZ, die hiermit einen neuen absoluten Nullpunkt erreicht, ein Anzeichen dafür, dass sich die beiden Organe der angeblich korrekten Denkungsart ein Zusammengehen überlegen.

Von «tsüri» etwas Reichweite dank Gratisnutzung plus Staatsknete, von der «Republik» die finanzielle Potenz von Millionären und die Leidensfähigkeit der Abonnenten. Gemeinsam im Kampf gegen logisches Denken, Moral und Anstand. Könnte eine Weile funktionieren und den Exitus der «Republik» ein weiteres Mal hinauszögern.

Slalomfahrer Pieth

Der Vielschwätzer ist eine Schande für seinen Beruf.

Das konstatierte ZACKBUM bereits im Mai 2022. Schon damals äusserte sich der emeritierte Professor Mark Pieth zu angeblichen krummen Geschäften von Schweizer Anwälten. Wie meist recht kenntnisfrei, aber dezidiert in der Meinung.

Seit Jahren zehrt er von seinem Ruf als angeblicher Korruptionsspezialist. Obwohl er selbst sich auf diesem Gebiet alles andere als mit Ruhm bekleckert hat.

Schon 2020 zählte der «Blick» mal seine markigen Worte und seine peinliche Performance auf. Denn im Austeilen war der Professor schon immer gut:

  • «Im «Tages-Anzeiger» über Michael Lauber: «Meine Sorge ist, dass Lauber weiter den Zugang zum Haus hat und seine Gehilfen die Macht übernehmen.»
  • In «20 Minuten» über die Gerichtskommission: «Die Gerichtskommission hat ängstlich gehandelt, und Präsident Andrea Caroni (FDP-Ständerat, die Red.) ist alles andere als über alle Zweifel erhaben.»
  • In der «Schweiz am Wochenende» über das Bundesstrafgericht: «Wir haben am Bundesstrafgericht einen Alltag von Mobbing und Sexismus. Und wir haben die Aufsicht über das Bundesstrafgericht, die selber nicht funktioniert und im gleichen Spital krank ist.»
  • In der «NZZ» über Amerika: «Da muss man aufpassen – grundsätzlich halte ich nicht viel von der US-Justiz.»
  • In der «Süddeutschen»: «Lauber und Infantino haben sich aneinandergekettet wie Wärter und Sträfling beim Gefangenentransport.»
  • Im «Walliser Boten» über Gianni Infantinos Freund Rinaldo Arnold: «Die Walliserinnen und Walliser sollten sich überlegen, ob sie Oberstaatsanwalt Arnold nicht suspendieren lassen wollen.»»

Was er wohl über sich selbst gesagt hätte, wenn er seine Leistung als Korruptionsexperte bei der Fifa bewerten müsste? Dort sollte er mit seinem Ruf dafür sorgen, dass der ewige Geruch nach Korruption weggepustet würde. Gebracht hat es schlichtweg – nichts. Zunächst verkündete er grossmäulig, man habe «unabhängige Strukturen gepflanzt, die funktionieren können». Bloss 18 Monaten danach wurden Fifa-Funktionäre spektakulär im Baur au Lac verhaftet – Korruptionsverdacht.

Nichts gebracht ist allerdings relativ. Denn der Professor arbeitete nicht gratis für die Fifa. Sondern zu einem Stundenansatz von 650 Franken und einem Tageshonorar von 5000 Eiern. Pieth alleine kassierte rund 215’000 Franken, sein «gemeinnütziges Institut» räumte 2,5 Millionen ab. Money for nothing.

Aber solche Peinlichkeiten halten ihn nicht davon ab, auch heute noch seinen Senf abzugeben, wenn man ihn fragt. Diesen Fehler macht diesmal die NZZ.

Lorenz Honegger interviewt den Crack zum aktuellen Skandalfall, dass die USA zwei Schweizer Anwälte auf ihre berüchtigte Sanktionsliste der Ofac gesetzt haben. In dieser Dunkelkammer herrscht reine Willkür, es ist kein Rechtsweg möglich, und wen es trifft, der ist gesellschaftlich und wirtschaftlich ruiniert.

Wie es sich für einen Rechtsprofessor eben nicht gehört, bezieht sich Pieth in seiner Antwort auf reine Spekulationen und Vermutungen: «Die betroffenen Anwälte sind 2016 bereits in den Panama-Papers aufgetaucht und haben laut Berichten Sergei Roldugin, einem engen Vertrauten Putins, geholfen, Gelder in Offshore-Strukturen zu verstecken

Laut Berichten? Eine Bankrotterklärung für einen Rechtsprofessor. Dass das von beiden Rechtsanwälten bestritten wird, die Unschuldsvermutung gelten sollte, was interessiert ihn das. Er weiss noch mehr: «Aber die Schweizer Anwälte haben sich letztlich zur Verfügung gestellt, Vermögen über Offshore-Gesellschaften in Steueroasen zu verstecken.»

Oder mit anderen Worten: er hat von dieser Tätigkeit nicht den Hauch einer Ahnung, er weiss nichts über all die Compliance-Vorschriften, die Finanzinstitute aufgetürmt haben. Aber das hält einen Professor nie davon ab, Sachen zu verzapfen.

Noch kunterbunter wird es in seiner Beurteilung der USA. Er wirft ihnen zwar Doppelmoral vor, behauptet dann aber fröhlich:

«Sie selbst tolerieren in Staaten wie Delaware oder Utah unzählige Briefkastenfirmen. Allerdings können sie in ihrem eigenen Land mehr Kontrolle über die Geldflüsse und Transaktionen ausüben. Sie haben einen besseren Zugriff auf die Identitäten der wirtschaftlich berechtigten Personen

What a bullshit. Vielleicht hätte Interviewer Honegger vorher lesen sollen, was sein Kollege Peter A. Fischer über die Heuchelei der Amis schrieb – in der NZZ. Denn die Financial Action Task Force (FATF) der OECD beurteilt jeweils, inwieweit die Vorschriften ihrer Mitgliedsstaaten den globalen Standards entsprechen.

Im Fall der Verhinderung der Beihilfe zur Geldwäscherei durch «nichtfinanzielle Intermediäre» – also beispielsweise Anwälte – erfüllt die Schweiz zu 74 Prozent diese Vorschriften. Die USA hingegen zu – 0 Prozent. In Buchstaben: null.

Aber auch das scheint dem Geldwäschereispezialisten Pieth entgangen zu sein. Er geht noch weiter und betreibt ungeniert Politik: «Es gibt eine echte Gefahr, dass Washington die Rohstoffhandelsplätze in Genf und Zug angreifen könnte. Eine Ablehnung der neuen Geldwäschereiregeln für die Anwälte durch das Schweizer Parlament würde dieses Risiko erhöhen. Materiell hat der Rohstoffhandel wenig mit dieser Gesetzesrevision zu tun. Doch in der Weltpolitik werden solche Themen oft vermischt

Denn neben der Bedeutung des Finanzplatzes Schweiz ist den USA schon lange ein Dorn im Auge, dass viele grosse Rohstoffhändler sich die Schweiz als Sitz ausgesucht haben. Von wegen Stabilität und Rechtssicherheit. All diese Konkurrenz möchten die USA gerne weghauen. So wie sie heute der Schwarzgeldbunker Nummer eins der Welt sind, nicht am Automatischen Informationsaustausch AIA teilnehmen, via Datenkrake FATCA aber Informationen von allen anderen wollen.

Dass sich ein emeritierter Professor mit Geschwätz seinen Ruf ruiniert, ist das eine. Dass die NZZ ihn schwatzen lässt und keine kritischen Nachfragen stellt, das andere, medial Bedenkliche.

Wumms: Emmanuel Todd

Der Historiker sagt den Sieg Russlands voraus.

Damit fliegt ihm natürlich der scharfe Wind des Mainstreams ins Gesicht. Aber bevor man zu sehr über ihn schäumt: als Todd 1976 den bevorstehenden Zusammenbruch der Sowjetunion intellektuell antizipierte, keifte ihn der Mainstream auch nieder.

Abgesehen davon sagt er in einem Interview mit der NZZ einige bedenkenswerte Dinge über den aktuelle Zustand des Journalismus.

«Ich habe meine eigene Theorie über den Untergang des Journalismus.

Und die lautet?

Es gab in den Anfängen ein pluralistisches System mit vielfältigen Positionen, was wiederum die Pluralität der Information garantierte. Dann verschwanden alle Ideologien, und der Journalismus mit Kleinbuchstaben verwandelte sich in einen Journalismus mit Grossbuchstaben, der sich selber wichtiger nahm als die politischen Positionen. Die Zeitungen wurden austauschbar.

Der Journalismus trägt sehr stark zu der Unfähigkeit im Westen bei, den Ukraine-Krieg nüchtern zu betrachten.

Journalisten nehmen für sich in Anspruch, was Sie als Historiker behaupten: Man trägt Fakten zusammen und deutet sie.

Journalisten ohne Geschichtsbewusstsein wie mein Vater haben keine Vorstellungen mehr, wie die Geschichte gedeutet werden soll, darum sind sich alle Journalisten ähnlich geworden mit ihren wenigen schlichten Ideen. Es überrascht nicht, dass der Journalismus mit Grossbuchstaben im Westen zum Krieg aufruft. Der Journalismus ist eine kriegstreibende Kraft geworden. Eine kriegstreibende Kraft bedeutet für die Menschheit nichts Gutes.»

Solche Zeilen wird allerdings die NZZ-Kriegsgurgel Häsler in seiner Oberst-Uniform kaltlächelnd überlesen. Dennoch sind sie sehr wahr.

Roman Bucheli ehrt es, dass er Todd kräftig in die Zange genommen hat und mit kritischen Fragen bombardiert, denn natürlich ist er mit verschiedenen Thesen im neuen Buch des Historikers nicht einverstanden.

Erst so entsteht ein spannendes und für den Leser gewinnbringendes Gespräch. Was das Gesülze beispielsweise im Weichspülerinterview des Tagi mit Michel Friedman doppelt unerträglich macht.

Gleiche Sendung gesehen?

Kamala Harris hat auf Fox News ein Interview gegeben. Kann man so oder so sehen.

Die «Weltwoche» hat eine klare Ansicht: «Das Techtelmechtel von Kamala Harris mit der rechten Seite wurde zum Rohrkrepierer. Ihr Auftritt bei Fox News war geprägt von unklaren Antworten und Ausweichmanövern».

Neutraler ist Nau.ch: «Kamala Harris mit hitzigem Interview bei Fox News». CH Media tut geheimnisvoll: «Kamala Harris gibt dem Trump-freundlichen Sender Fox ein Interview – und macht eine erstaunliche Aussage». Ganz anderer Ansicht ist hingegen Tamedia: «Wahlkampf-Interview bei Fox News: Kamala Harris trickst den Fuchs aus».

Korrespondent Fabian Fellmann kommt zu einem klaren Ergebnis: «Der Auftritt gelang der Vizepräsidentin derart gut, dass Fox eine ganze Weile benötigte, um zur alten Angriffslinie zurückzufinden. Verdattert kamen die Fox-Kommentatoren in ihren ersten Bewertungen zum Schluss, die Interviewte habe sich gut geschlagen.»

Also triumphaler Auftritt der Präsidentschaftskandidatin. Offensichtlich eine andere Sendung hat hingegen die WeWo gesehen: «Fox-Moderator Bret Baier, bekannt als harter Gesprächsführer, nahm Kamala Harris in die Mangel. Ihre meist ausweichenden Antworten quittierte er mit Nachfragen, auf die sie ebenfalls wenig handfest reagierte.»

Also verhauener Auftritt der Präsidentschaftskandidatin. Auch der WeWo-Kommentator ist ganz dieser Meinung: «Eine katastrophale ( Gott sei Dank) Darbietung von Harris. Anfangs hatte man die Befürchtung das es wieder ein Soft Ball Interview wird. Aber Bret Baier war großartig.» Oder: «Harris war desaströs.»

Auch der Tamedia-Leser hat eine klare Meinung: «Viele Kritiker müssten nun seit diesem Fox Interview zugestehen, dass K.Harris grossartig war.» Oder: «KH ist schlicht und ergreifend gut – sehr gut!»

Das bedeutet, dass beide Medien die Meinung ihrer Gesinnungsblase bedienen. Hin und her gerissen ist der «Blick»: «Harris blieb trotz der teils fiesen Fragen cool. Befriedigende Antworten aber lieferte sie nicht.»

Entsprechend durchmischt reagieren hier die Leser: «Sie antwortete genau und korrekt und behielt die Nerven.» Oder aber: «Die Fragen waren alle fair und sie hat keine einzige(!!) beantwortet, filibuster Reden gehalten und damit das beschränkte Zeitfenster fürs Interview strapaziert.»

Zusammenfassend bedeutet das: wenn das Medium die Erwartung seiner Leser erfüllt, wird dem Artikel zugestimmt. Völlig unabhängig davon, ob er den Auftritt von Harris lobt oder kritisiert. Beschreibt der Artikel sowohl Positives wie Negatives, ist der Leser auch der Meinung, es habe Licht- wie Schattenseiten gegeben.

Perception is reality, die Wahrnehmung ist die Realität. Soll Lee Atwater gesagt haben, ein US-Polit-Stratege. Damit hatte er wohl sehr recht.

Und was macht das Blatt der tiefen Denke und der hausgemachten Analyse? Leider kann man die NZZ hier nicht zählen, weil sie schlichtweg eine Tickermeldung der DPA publiziert. Die bemüht sich wenigstens um Neutralität, wertet den Auftritt nicht, sondern beschreibt den Inhalt. Nur zum Schluss zitiert die DPA zwei konträre Meinungen:

«Trumps Wahlkampfteam reagierte umgehend auf Harris Äusserungen. Es nannte das Interview ein Fiasko und bezeichnete Harris als «wütend und defensiv». Die «Washington Post» schrieb hingegen, der TV-Auftritt sei ein «aussergewöhnlichen Moment» in einem ohnehin turbulenten Wahlkampf gewesen.»

Ja was denn nun? Offensichtlich sind die wichtigsten Leitmedien nicht in der Lage, eine qualitative Beschreibung dieses Interviews zu geben. Wer sich im Trump-Lager verortet (Chefdenker Roger Köppel bezeichnet die mögliche Wahl Trumps als Segen für Europa), fand den Auftritt mies. Wer zur Trump-Hasser-Fraktion gehört, fand den Auftritt hervorragend. Dann gibt es noch ein Sowohl-als-Auch und ein «keine Beurteilung».

Das alles zusammen ist nicht viel. All diesen Beschreibungen fehlt das, wofür der Leser gerne bereit wäre, etwas zu zahlen. Mehrwert in Form von Analyse, Einordnung oder Beurteilung. Meinungsstücke dafür oder dagegen, das kann sich jeder gratis im weiten Internet abholen. Deskriptive Darstellung auch. Wackelpudding ebenfalls.

Und die Bedienung der vorgefassten Meinungen in der eigenen Gesinnungsblase erst recht.

Unabhängig davon, ob der Auftritt von Harris grossartig oder desaströs war: die mediale Reaktion darauf ist katastrophal.

Was sagt die russisch-kanadische Regisseurin?

Anastasia Trofimovas Dokumentarfilm «Russians at War» durfte aufgrund von Druck und Drohungen nicht gezeigt werden.

Weil auch die ukrainische Botschafterin in Bern intervenierte, knickte das Zurich Zensur Festival feige ein. Der von Kanada finanzierte und von renommierten Produzenten begleitete Dokustreifen wurde dem Publikum vorenthalten, die Regisseurin wieder ausgeladen. Für eine Freakshow mit Nemo war allerdings Platz und Gelegenheit.

Seither herrscht verkniffenes Schweigen zum Thema, niemand protestiert gegen diese ungeheuerliche Einmischung der Ukraine. Nur die «Weltwoche» machte das Selbstverständliche; sie interviewte Trofimova.

Hier die Verschriftlichung des Video-Interviews durch Roman Zeller:

Weltwoche: Frau Trofimova, was haben Sie sich gedacht, als Sie von der Entscheidung aus Zürich hörten?Anastasia Trofimova: Wir waren schockiert. Die Organisatoren haben uns über Drohungen informiert, die sie erhalten haben, sehr, sehr bösartig, wirklich beängstigend. Für mich ist es alarmierend, dass das durch Gewaltandrohungen durchgesetzt wurde.
Weltwoche: Worum geht es in Ihrem Film «Russians at War»?
Trofimova: Als ich begann, lautete meine Fragestellung: Wer sind die Soldaten, die diesen Krieg auf der Seite Russlands führen? Es gibt so viele Informationen über die Ukraine, nur sehr wenige über Russland und fast nichts über die Soldaten an der Front. Ich wusste nur, mein Land ist im Krieg. Mehr sah ich nicht durch den Nebel der Erzählungen, die in Russland aufgebaut wurden. Auf der einen Seite gab es die Helden, die nie bluten, nie sterben. Und dann gibt es die westliche Darstellung, die Russen seien Vergewaltiger, Mörder, Kriegsverbrecher. Daher beschloss ich, der Frage nachzugehen: «Wer sind diese Menschen wirklich?»
Weltwoche: Was war Ihr erster Eindruck, als Sie an der Front ankamen?
Trofimova: Mich hat die Banalität des Ganzen überrascht. Die meiste Zeit über herrscht Langeweile, dann wird es plötzlich blutig, dann wieder still, und dann geht es einfach weiter, immer weiter. Die Tage werden eins, endlos. Die Banalität von Leben und Tod im Krieg.
Weltwoche: Wie motiviert waren die Soldaten?
Trofimova: Paradoxerweise waren die ukrainischen Soldaten am meisten motiviert. Es gibt Ukrainer in der russischen Armee, hauptsächlich aus der Ostukraine. Für sie war klar: Wir kämpfen für unser Land. Was die russischen Soldaten angeht, so hatte jeder eine andere Erklärung. Einige waren der Meinung, dass die Nato die Ukraine benutze, um nach Russland vorzudringen. Andere sagten, dass sie nicht wollten, dass der Westen ihnen sagt, wie sie leben sollen. Wieder andere sagten, sie hätten im Fernsehen all diese Nazi-Bataillone gesehen, die wollten sie bekämpfen. Meine Schlussfolgerung war, dass die Politik dieses Krieges sehr unklar ist. Es herrschte viel Verwirrung.
«Die Tage werden eins, endlos. Die Banalität von Leben und Tod im Krieg.»
Weltwoche: Manche sprechen von einem Bruderkrieg.
Trofimova: Das stimmt. Die Frau eines Soldaten ist Ukrainerin aus Donezk. Sie hat drei Schwestern. Eine lebt in der Westukraine, sie spricht überhaupt nicht mehr mit ihr, weil sie sie für eine Separatistin hält – und umgekehrt. Die zweite Schwester lebt in Odessa, sie spricht noch mit ihr, aber nicht über Politik. Ihr Vater, der unweit von Donezk wohnt, sagt, er warte, dass ihn sein Schwiegersohn mit der russischen Armee von den Ukrainern befreie. Das ist nur eine Familie, mit völlig unterschiedlichen Meinungen. Die Cousins eines anderen Soldaten kämpfen auf der ukrainischen Seite. Sie hätten manchmal miteinander gesprochen, in der Art: Wir mögen uns zwar, aber ich werde dich töten.
Weltwoche: Was wissen Sie über die Zivilisten in der Ostukraine? Wie denken sie über die russische Armee
Trofimova: Für mich war es überraschend, dass ich die Frage hörte: «Warum hat das so lange gedauert, bis die russische Armee gekommen ist?» Natürlich denkt nicht jeder in der Ostukraine so. Offensichtlich leben viele Menschen, die gegen die russischen Truppen waren, nicht mehr dort, oder sie schweigen. Aber es war schon sehr überraschend, Zivilisten zu treffen, die der russischen Armee halfen.
Weltwoche: Wer westliche Medien liest, könnte glauben, die Russen werden an der Front verheizt. Was wissen Sie darüber?
Trofimova: Auch dazu gibt es keine einheitliche Meinung. Einige wollen kämpfen. Sie haben sich aus welchen Gründen auch immer freiwillig gemeldet. Einige hatten das Gefühl, dass sie den Menschen im Donbass, der russischsprachigen Bevölkerung, helfen würden, die von der ukrainischen Regierung angegriffen wurden. Einige sind eingerückt, die die Politik nicht wirklich verstehen. Aber wenn das Land ruft, gehen sie.
Weltwoche: Was wissen Sie über die gefallenen Soldaten? Haben Sie Zahlen?
Trofimova: Ich habe keine Zahlen, weil ich nicht an der gesamten Front war. Ich war nur mit einem Bataillon an zwei Abschnitten, in Krasnyj Lyman und Bachmut. Aber allein schon deswegen müssen die Leute diesen Film sehen, damit sie die Banalität des Todes im Krieg verstehen. Die Leichen, die in Schichten gestapelt auf den Feldern liegen. Man sieht, dies ist die Sommer-, dies die Winterschicht, das sind die Jungs der Offensive, die jene der Gegenoffensive, Ukrainer und Russen. Es gibt Familien auf beiden Seiten, die nie erfahren werden, wo ihr Sohn begraben liegt.
Weltwoche: Peter Maurer, Ex-Chef des Roten Kreuzes, sagte in einem Interview mit der Weltwoche unlängst: Die russische Seite kämpfe zivilisierter, als es in den Medien dargestellt werde. Was ist Ihr Eindruck?
Trofimova: Es gibt in jedem Krieg Kriegsverbrechen. Krieg ist, wenn Männer sich gegenseitig töten. Für mich ist das bereits ein Verbrechen. Ich habe über Kriegsverbrechen gelesen, aber ich habe persönlich nichts dergleichen gesehen. Ich habe auch nicht selektiv etwas zurückbehalten. Aber ich bin sicher, dass Kriegsverbrechen vorkommen.
Weltwoche: Was ist die grösste Fake News, die Sie über die russische Seite der Front gelesen haben?
Trofimova: Es gibt nicht genug Informationen. Es werden Geschichten nacherzählt, weil es auf der russischen Seite fast keine westlichen Journalisten gibt. Was die Menschen im Westen wissen, erfahren sie in der Regel durch die Augen ukrainischer Geheimagenten oder das ukrainische Militär. Da sieht man Zerstörung, was berechtigt ist. Aber gleichzeitig sollte nicht nur über, sondern auch von den Seiten berichtet werden, sonst ist man mit einer falschen Wahrnehmung konfrontiert.
Weltwoche: Was wissen Sie über die ukrainische Seite?
Trofimova: Ich habe die ukrainische Seite nie gesehen. Das ist auch das Paradoxe für die Soldaten: Im Moment ist die Front recht stabil. Es bewegt sich nicht wirklich viel. Beide Seiten sitzen in Schützengräben, dazwischen ist vielleicht ein 300-Meter-Feld, das vermint ist. Die Soldaten sitzen einfach nur da. Wie im Ersten Weltkrieg. Die meisten Soldaten haben bis vor einigen Monaten nie einen Ukrainer gesehen, zumindest das Bataillon, in dem ich war. Tod und Zerstörung, die sich beide Seiten gegenseitig zufügten, geschahen hauptsächlich aus der Luft. Mit Drohnen. Es ist ein Krieg der Artillerie.
Weltwoche: Was wissen Sie über die Ziele Russlands? Wie lautet der Auftrag an die Soldaten?
Trofimova: Das ist eine gute Frage. Dieser Krieg dauert nun schon über zweieinhalb Jahre, und zumindest vor Ort herrscht grosse Verwirrung, warum sie eigentlich hier sind und was sie erreichen wollen. In groben Zügen wird kommuniziert, dass versucht wird sicherzustellen, dass die Ukraine nicht der Nato beitritt. Ein neutrales Land schaffen, heisst es, mit Garantien, dass sie aufhören, den Donbass zu beschiessen. Was politisch gesagt wird und was vor Ort ankommt, ist verwirrend.
Weltwoche: Es heisst, Russland sei nicht zu Verhandlungen bereit. Stimmt das? Was ist die Meinung an der Front?Trofimova: So oft es ging, bin ich in eine Stadt gefahren, um im Internet zu surfen. Jedes Mal, wenn ich zurückkam, war ich von Soldaten umringt, die mich fragten, wer Verhandlungen führe. «Wie steht es? Was sind die Gerüchte in Moskau? Ist der Krieg zu Ende?» Wenn man die Leute fragt, will niemand an der Front sein. Ich kann mir vorstellen, dass die ukrainischen Soldaten auch nicht dort sein wollen. Für die russischen Soldaten gilt das definitiv. Nur glaube ich nicht, dass es den Wunsch gibt, zu verhandeln, auch nicht in bestimmten politischen Kreisen.

«Ja, ich stehe auf einer Abschussliste. Es gibt in der Ukraine eine Website. Sie listet die Feinde des Staates auf.»
Weltwoche: Was sagen Sie zum Vorwurf, dass Sie mit Ihrem Film russische Propaganda verbreiten?
Trofimova: Das ist verleumderisch, empörend, beleidigend. Für mich war es eine faszinierende Erfahrung, zu sehen, wie Falschinformationen auf der ganzen Welt aufgebauscht werden. Was ich dazu sagen kann, ist, wir haben hier eine Geschichte, die noch nie erzählt wurde und die Sie so definitiv nicht im russischen Staatsfernsehen sehen würden, denn in Russland wird selbst der Tod eines Soldaten nicht gezeigt.
Weltwoche: Es heisst, Sie seien auf der ukrainischen «Liste der Bedrohungen für die nationale Sicherheit» auf Platz 233. Ist das eine dieser ominösen Todeslisten?
Trofimova: Ja, ich stehe auf einer Abschussliste. Es gibt in der Ukraine eine Website, die ironischerweise «Peacekeeper» heisst, Friedensstifter. Sie listet die Feinde des Staates auf. Davon gibt es, soweit ich weiss, etwa 200 000. Die ganze Bevölkerung der Krim steht auf dieser Liste. Etwa 4000 Journalisten. Daneben stehen Fotos, Adressen, Telefonnummern, Social-Media-Daten, Passinformationen und so weiter. Das wird benutzt, um Journalisten und andere zu bedrohe
Weltwoche: Haben Sie Angst?
Trofimova: Mir ist definitiv nicht wohl dabei, ich schaue lieber einmal zu viel über meine Schulter.

Das ganze Interview sehen Sie auf www.weltwoche.ch


Mit freundlicher Genehmigung. Der Artikel ist auf der Webseite der «Weltwoche» hinter der Bezahlschranke

Das «Magazin» des Schreckens

Die Welt ist garstig genug. Braucht’s auch noch Nina Kunz?

Und als ob Kunz alleine nicht schon für Leserschwund sorgen würde, das lässt sich noch steigern. Schwer vorstellbar? Aber einfach realisierbar.

Wenn Kunz Franziska Schutzbach interviewt. Auf 25’600 A! Welchen Kreis der Hölle sich Dante wohl so vorgestellt hat?

«Frauen bekommen Freiheit von anderen Frauen. Oder sie bekommen sie gar nicht.»
Also gebt endlich auf, Männer.

Nina Kunz, das ist die Kolumnistin, die Texte absondert wie: «Unsere Autorin fühlt sich entfremdet von der Natur und möchte das ändern. Eine Selbsterkundung in elf Kapiteln.» Schutzbach behauptet, eine Genderforscherin zu sein, ist aber garantiert eine feministische Antidemokratin. Sie ging so weit, dass sie Redeverbot oder Boykott für «rechtsnationale Politiker» forderte, selbst wenn «diese gewählt wurden». Als das Gegenwind gab, ruderte sie schnell zurück, das sei nur ironisch gemeint gewesen.

Beide zusammen lupfen der Bärtschi-Skala der Peinlichkeit den Hut. Er selbst garantiert normalerweise für eine stabile 10. Die geballte Frauenpower Kunz/Schutzbach schafft problemlos eine 25. Ach was, nach Lektüre dieses Interviews vergibt ZACKBUM matt und verwundet eine 30.

Das fängt schon beimTitelzitat an:

«Verbünden sich Frauen, wird männliche Herrschaft infrage gestellt.»

Bei diesem Beispiel ist es allerdings so, dass dieses Bündnis, diese Verbrüderung, Pardon, Verschwesterung, männliche Herrschaft höchstens so in Frage stellt, dass sich auch Männer beim Lesen totlachen können.

Hingegen vermisst man in den langen, langen und laberigen Zeilen ein Thema, das doch durchaus interessieren könnte. Es gab ja mal den Roshani-Skandal. Da richtete eine frustrierte Intrigantin ihren ehemaligen Chefredaktor im «Spiegel» hin, weil sie dessen Stelle wollte, aber nicht bekommen hatte und stattdessen selbst gefeuert wurde. Sie behauptete unter anderem, der Chefredaktor habe sie vor versammelter Mannschaft des «Magazins» verbal niedergemacht und übel angegangen. Zu dieser Mannschaft gehörte damals nicht nur die schreibende Schmachtlocke Binswanger, sondern auch der Lebensgefährte von Schutzbach.

Es wäre also für beide, wie auch für den feigen Sportreporter Christof Gertsch, problemlos möglich gewesen, diese Behauptungen von Roshani zu verifizieren – oder zu falsifizieren. Aber hat Mikael Krogerus, sicherlich ein grosser Feminist vor dem Herrn, den Mund aufgekriegt? Nein, auch er schwieg verkniffen und antwortete nicht mal auf Anfragen – wie seine sonst mit dem Zeigefinger wackelnden Kollegen –, und Schutzbach bat öffentlich um Verständnis, dass auch sie sich zu diesem Fall nicht äussern könne und wolle. So viel zu weiblichen Bündnissen im Ernstfall.

In der grauen Theorie kann Schutzbach allerdings «eine aufregende Frage» stellen, die allerdings wohl nur Kunz aufregt: «Was wäre, wenn es generell mehr Solidarität und Freundschaft unter Frauen, Lesben, inter, nicht binären, trans und agender Personen (kurz: Flinta-Personen) gäbe

Darüber hat Schutzbach (schon wieder) ein Buch geschrieben, und Kunz gibt ihr in weiblicher Solidarität eine grosse Plattform, um Plattes abzusondern. Aus ihrem «neuen Werk «Revolution der Verbundenheit»». Da das Werk erst am 1. Oktober erscheint, figuriert es nicht mal auf dem Platz 1’724’315 der Amazon-Verkaufsliste. Den es aber bald erobern wird.

Obwohl Schutzbach hier ewig gültige und daher schon x-mal geäusserte Flachheiten von sich gibt:

«... meine eigenen Freundschaften vertieft habe … eine positive Haltung gegenüber dem Leben einzunehmen … Hoffnung ist harte Arbeit, Pessimismus und Zynismus sind reaktionäre Gefühle … ein Buch, das auch die Spuren solidarischer Praxis, von Liebe und Freundschaft aufspürt (!) … orientierte ich mich stark an feministischen Denkerinnen wie Silvia Federici oder Christina Thürmer-Rohr. Die sagen, und ich vereinfache jetzt stark, dass sich unsere Sehnsucht nach Verbesserung auf unsere unperfekte Welt richten sollte und wir nicht zuerst – wie in männlich geprägten Revolutionskonzepten – das ganze System zertrümmern müssen.»

Wir lassen eine Alarmsirene erklingen, damit wenigstens ein paar Leser aufwachen. Denn was ZACKBUM sich angetan hat, da muss mann (und frau and everybody beyond) auch durch, denn Kunz fragt den ganzen Katalog dämlicher (nomen est omen) Fragen ab, auf die Schutzbach ebenso antwortet: «Das romantisierte Eins-Werden bedeutet für Frauen in heterosexuellen Beziehungen häufig, die eigenen Wünsche zurückzustellen zugunsten der Wünsche des Partners oder der Familie.» Das wird nun Krogerius gar nicht gerne hören, der alte Macho.

Aber nicht nur die Antworten sind hirnerweichend, auch die Fragen schaffen das: «Geblieben ist mir auch, dass der Philosoph Michel de Montaigne (1533–1593, Anm. der Red.) meinte, die weibliche Seele sei nicht «fest» genug, um Freundschaften einzugehen. Was hat es mit dieser absurden, misogynen Abwertung auf sich?» Ist das wirklich alles, was Kunz vom grossen Denker Montaigne geblieben ist? Ein einziger seiner Essays enthält mehr Esprit als diese beiden Damen im ganzen Leben aufbringen werden.

Niemals hätte Montaigne eine Flachheit wie diese von sich gegeben: «Männliche Herrschaft funktioniert unter anderem dadurch, dass Frauen von Männern abhängig gemacht werden.»

Ach was, und was können Frauen dagegen tun (ausser sich von Krogerius trennen)? «In einer separatistischen Praxis beginnen Frauen, den Zugang zu sich selbst zu kontrollieren und das schlechte Gefühl, das sie dabei oft haben, zu verlernen.»

Zugang zu sich selbst kontrollieren? Hä? Muss man flinta sein, um das zu verstehen?

ZACKBUM ist’s zu viel geworden, daher schliessen wir mit einer der intelligentesten Fragen oder Feststellungen von Kunz im ganzen lähmend langen Interview:

«Eben

Eigentlich ist dieses Werk ein kaum verhüllter Aufruf an Pietro Supino: bitte, machen Sie dieser Leserqual ein Ende. Viele werden es Ihnen mit einer Spende danken.

 

 

Das knallharte Interview mit Nemo

Auch so geht Qualitätsjournalismus. Diesmal aus dem Hause Ringier.

Geht doch! Man kann Nemo interviewen, ohne dass er davonläuft. Man muss nur wollen und sich höchsten Standards des Qualitätsjournalismus verpflichtet fühlen.

Aber der Reihe nach. Diese «Interview» ist im «Blick» erschienen. Also eigentlich wird es «präsentiert von» der «Baloise Session» und der «Schweizer Illustrierte». Wobei man wissen muss, dass Nemo dort auftreten wird und die SI einer der drei «Haupt-Medienpartner» der «Baloise Session» ist. Also ganz normale Schleichwerbung.

Aber zum Inhalt; der verspricht Spannendes: «Highlight: ein Konzertabend mit Nemo. Im Interview verrät das Schweizer Musiktalent, warum dieser Auftritt so bedeutungsvoll ist.» Der Leser knabbert an den Fingernägeln vor Spannung, wieso ist dieser Auftritt bedeutungsvoll? Erklärt Nemo seine Rückverwandlung in einen Mann? Dass er nicht notbinär, Pardon, nonbinär ist, sondern richtig fluid und hybrid?

Nein: «Die Baloise Session ist eines der Formate in der Schweiz, wo es wirklich um Musik geht, ums Zuhören und die Auseinandersetzung mit der Musik. Es ist auch eine Riesenehre, am gleichen Abend wie Teddy Swims aufzutreten.»

Gut dass muss er sagen, aber vielleicht gibt es ja noch sinnvolle Fragen? Nun ja, will man die Antworten auf solche Luftnummern wissen? «Nemo, wie fest hat der Eurovision Song Contest dein Leben auf den Kopf gestellt? Gibt es noch Momente, wo du dich selbst sein kannst? Wie sieht deine Karriereplanung aus? Hast du dir das Leben als Superstar so vorgestellt, als du als 13-Jähriger im Udo-Jürgens-Musical mitgesungen hast?»

Selbst einem kreischenden Teenager-Fan wäre es peinlich, mit solchen banalen Fragen sein Idol anzuhimmeln. Aber immerhin, man muss das Positive sehen: Nemo hat sich garantiert nicht unwohl gefühlt. Bloss: seine Antworten will man wirklich nicht lesen. Bezeichnend: dem «Journalisten», der dieses Gefälligkeitsinterview führen musste, ist es so peinlich, dass er auf das Wichtigste verzichtet: seine Byline*.

*Korrektur nach Hinweis des Autors: es handelt sich um Zeno van Essel.