Der leise Niedergang der Schweizer Illustrierten

Die Schweizer Illustrierte wird von der Glückspost auflagenmässig hart verfolgt. Inhaltlich hat das Flaggschiff von Ringier-Axel Springer weniger Swissness, dafür mehr Frauenthemen.

Die «SI» vom 18. September hat ein untypisches Titelbild. Die Köpfe von Schlagersänger Marc Trauffer und seiner Brigitte sind nur passfotogross abgebildet. Grund: Brigitte Traufers riesiges Hochzeitskleid. Für den Spontankäufer am Kiosk eher ein Ablöscher. Ebenfalls gewöhnungsbedürftig: als weitere Titelthemen gibt’s nur noch einen Minianriss über den «TV-Star Fabienne Bamert» und den Hinweis aufs «Extra zum Zurich Film Festival». Diese Zurückhaltung lässt das Cover dafür edel erscheinen. 4 Franken 90 für 84 Seiten sind ok. Allein schon Sonntagszeitungen sind oft teurer.

A propos Preis. Als ich die «SI» im Coop Pronto kaufen wollte, gab es einen kleinen Stau. Grund: der Verkäufer fand den Strichcode nicht auf dem Heft. Ich fand ihn auch nicht. Er scheint irgendwie vergessen gegangen zu sein. Der Verkäufer tippte dann die Fr. 4.90 ein und machte ein Handyfoto vom Heft. «Für die Buchhaltung», brummelte er. Zum Glück war’s kein Sexheftli. Ich wäre gestorben vor Scham.

Nun beginnt das Blättern

Wie schon in der Glückspost setzt sich der Chefredaktor auf Seite 3 in Szene. Immerhin schreibt Werner de Schepper Pro zwei Wochen Vaterschaftsurlaub (Abstimmungstermin am 27.9.). Darüber, dass er in höherem Alter nochmals eine Familie gründete, verliert er aber keine Silbe. Dafür über das Flüchtlingselend. Immerhin. Das ist löblich.
Übrigens ist De Schepper Co-Chefredaktor. Er teilt sich den Job mit Nina Siegrist. Co-Leitungen sind im Trend, die Sozialdemokraten lieben dieses Führungsmodell. Ich habe gemischte Gefühle. Wenn’s heiss wird, ist immer das «Co» zuständig. Obwohl: bei ZACKBUM.CH sind wir sogar zu dritt.

Nachschub für die Kakteenzucht

Die Seiten 6 und 7 bieten ein buntes Potpurri mit Promis und Sternchen. Stefan Schmidlin, Ex-Schmirinski und heute Holzbildhauer, posiert mit Auto-Unternehmer Walter Frey im neuen Skulpturenpark in Glattfelden. Was die beiden miteinander zu tun haben, bleibt zwar offen. Aber das Bild ist ziemlich gut. Ebenfalls auf der Doppelseite: der Klassiker mit der Rose und dem Kaktus. Wer lieb war aus Sicht der «SI», bekommt eine Rose, wer weniger lieb war, einen Kaktus. Es soll Leute gegeben, die im Laufe dieser Jahrzehntetradition schon eine Kakteenzucht betreiben können.

Auf Seite 9 schreibt Peter Rothenbühler wie jede Woche einen offenen Brief an irgend jemanden. Diesmal an die Waadtländische Regierungspräsidentin. Er kritisiert ihre lasche Haltung wegen Corona. Ist das relevant für die Deutschschweiz? Man zuckt mit den Schultern. Herr Rothenbühler hat halt seinen Zweitwohnsitz im Jura, das scheint der Grund zu sein. Rothenbühler ist übrigens jener Chefredaktor, der in den 1990er Jahren das damals hochpolitische, aber erfolglose Heft zum Schweizer Promiblatt Nummer 1 trimmte. Das sollte für viele Jahre das Erfolgsrezept der «SI» bleiben.

Nun kommt die Doppelseite «Meine Woche». Einer Art Fragebogen für ZeitgenossInnen wie Sina, Bastien Girod und Katharina Locher. Ich kenne drei von fünf aufgeführten. Damit liege ich wohl im Leserschnitt. Der etwas bemühende Link in die Digitalwelt: Die Spalte «Mein Handybild».

Jetzt folgt die 8-seitige Bild- und Textstrecke über Marc Trauffer und seine Gattin. «Klammheimlich gaben sie sich das Jawort». Wahnsinn! Nur die SI war dabei. Der Klassiker. Ein Exklusivvertrag. Vielleicht hat sich aber auch niemand sonst interessiert?

Achtung, es wird literarisch. Immerhin 6 Seiten lang wird der Schriftsteller Thomas Hürlimann porträtiert. Er ist 70 geworden und musste eine schwere Krankheit durchstehen. Der Text ist sehr gut. Aber ob er wirklich in die SI passt und nicht eher in die NZZ am Sonntag oder in dessen Folio? Nicht ganz klar ist, ob er nun noch mit seiner Freundin zusammen ist oder nicht. «Seine Partnerschaft mit Schriftstellerin Katja Oskamp fiel nach 20 Jahren der Krankheit zum Opfer.» Tönt kompliziert! «Gesund, aber wieder Single», hätte Peter Rothenbühler als Überschrift wohl ins Blatt gerückt. Der Titel unter dem studierten Theologen De Schepper: «Das Schreiben rettete mich». Amen.

Näher bei den Stars und Sternchen

Nestlé. Vevey. Die Reportage über eine Fotoausstellung steht unter dem Motto: «Eine Herzensangelegenheit für Mark Schneider, CEO von Nestlé». Ein Text, der die traditionelle Nähe der SI-Journalisten zur Wirtschaft bestätigt. Aber Nestlé ist nun mal ein Weltkonzern und hat seinen Sitz in der Schweiz. Dass der Autor der Nestlé-Story, Onur Ogul, auch anders kann, zeigt sein berührendes Interview mit einer Frau, die im abgebrannten Flüchtlingslager auf Moria (Lesbos) hilft. Doch vielleicht einen Tick zu anteilnehmend und zu wenig auf die junge Schweizer Helferin fokussiert. Das wäre eigentlich die Stärke der «SI».

Ja, genau wie auf den folgenden Seite, wo Fabienne Bamert zeigt, wie sie ihre an MS erkrankte Mutter pflegt – neben ihrem Job als Samschtig-Jass-Moderatorin! Man erfährt zudem, dass Bamert bald «SRF bi de Lüüt – live» moderieren wird. Das wurde doch perfekt eingefädelt vom SRF-Mediendienst. Good job!

«Jetzt reden die Väter!» Das ist eigentlich klassisch «SI». Zehn «prominente Papis» zeigen sich zuhause – mit ihren Kindern. Doch man muss die Texte schon sehr genau lesen, um herauszufinden, wer nun für und wer gegen die Vorlage zum Vaterschaftsurlaub ist. Ein klares Ja oder Nein findet man fast nicht. Eine steife Sache.

Klarer drückt sich dafür Tatjana Haenni ab Seite 50 aus. Die ehemalige Natispielerin im Fussball ist heute Frauen-Chefin beim Schweizer Fussballverband. Eine ideale Markenbotschafterin. Und ein guter Text, der die Veränderung der Frauenrolle in der Praxis aufzeigt. Und wo liegen die Probleme? «Bei Entscheidungsträgern und sportpolitischen Gremien».

Nun wird die SI «stylischer». Kaufen, reisen, schön sein, essen. Hautcrèmes, BH’s, das Luxus-Hotel in Lugano, noch eins auf Madeira. Werbeseiten nochundnoch. Und natürlich voll nicht deklariert als Publireportagen. Gut zu wissen, dass der Presserat nur reagiert. Und wohl die SI sowieso nicht beachtet.

Mmh, fein. Die Themen Kulinarik und Kochen. Während in der «Glückspost» die Lebensmittelädeli von Volg als Köche agierten, ist es nun Betty Bossi. «BB» war eine Zeitlang Teil des Ringierkonzerns, da macht eine Partnerschaft durchaus Sinn. Dann folgt die obligate GaultMillau-Seite mit Spitzengeköchel in Vevey. Eine Herzensangelegenheit von Urs Heller (67). Das Ringier-Urgestein entwickelte Zeitschriften wie SI Style und Landliebe. Im Nebenamt ist er nach wie vor Chefredaktor des Gourmetführers GaultMillau Schweiz. Wohl bekomm’s.

Umrahmt von Inseraten über Biomed-Brausetabletten und Burgerstein Nahrungsergänzungsmittel lernt man mehrere Seiten weiter einiges über das eigene Selbstbewusstsein. Man muss nur an sich glauben.

Urgesteine und alte Traditionen

Und dann jubelt das Herz jedes kritischen Beobachters. Die Doppelseite über eine Kämpferin gegen Food-Waste, also Lebensmittel wegschmeissen, ist schulbuchmässig mit «Publireportage» angeschrieben. Warum? Weil die porträtierte Anastasia Hofmann einen Toyota fährt. Also. Geht doch. Die Doppelseite scheint ein regelmässiges Format zu sein «12 Frauen, 12 Fragen». Bemerkenswert: im Interview kommen Autos und vor allem Toyota nicht vor. Die Brücke muss sich der Leser selber zimmern. Das ist durchaus clever.

Nun folgen die Rätselseiten und – ach nein. Peter Hürzelers «Willi», der Schweizer Nationalheld, der jede Woche ein aktuelles Thema ironisch kommentierte, wurde 2015 abgesetzt. Er erschien seit 1972, die Ermunterung kam durch den damaligen Chefredaktor Hans Jürg «Fibo» Deutsch. Womit wir noch ein Ringier-Urgestein erwähnt hätten.

A propos Urgestein: Chris von Rohr, auch schon 68, doziert nun in seiner Kolumne über Grenzen und lobt Neuseeland und Kanada. Er plädiert für den goldenen Schnitt und gegen eine staatenlose Welt. Auf gut Deutsch: Ich bin gegen die EU. Geschrieben hat das von Rohr, nicht Gölä. Da haben sich aber zwei Musiker gefunden. Rührend.

Applaus – endlich die Promiseite. Dafür stand die «SI» jahrelang. Sehen und gesehen werden. Die Schönen und die Reichen. Diesmal: Der neue Schoggi-Tempel von Lindt in Kilchberg (ZH). Roger Federer war auch dabei, diesmal in feinem Tuch und mit schwarzen Lederschuhen. Seine ON-Treter liess er zuhause. Es hätte wohl wieder ein Gezeter bei SRF gegeben. Schleichwerbung! Moderiert wurde die Eröffnungsfeier von Sandra Studer (Sandra Simo, Canzone per te). Roger Federer und seine Gattin Mirka werden in der «SI» so zitiert: «Wir sind vom Home of Chocolate tief beeindruckt».

Wird die SI die Nase vorn behalten?

Abgerundet wird die Schweizer Illustrierte von der Rubrik «so mache ich das». Antonia Kälin, Miss August im Bauernkalender, wird in der Ich-Form beschrieben. Kurze Sätze, klare Ansagen. Lesenswert. Sogar sehr gut. Eigentlich wird damit die Tradition des Magazin (Tamedia, Ein Tag im Leben von…) perfekt umgesetzt. Besser als im Original. Original? Seit letztem Samstag weiss man, dass die Kultrubrik «Ein Tag im Leben von …» abgesetzt und durch  «Zu hause bei» ersetzt wurde. Schade.

Noch ein Wort zur Beilage: Diesmal sind es satte 76 Seiten über das Zurich Film Festival. Solide, informativ, zum Teil gar originell. Etwa die Reportage über ein Auto des Hauptsponsors mit einem herrlich überdrehten Fabian Cancellara als Regisseur. Autor des Textes: David Schnapp. Man kennt ihn als Autotester für die Weltwoche. Zudem arbeitet er für GaultMillau von Urs Heller. Die «SI», eine ganz besondere Familienbande.

Fazit: Der SI-Inhalt wirkt ein bisschen orientierungslos. Aber es ist auch ein schwieriges Umfeld. Denn Promigeschichten findet man auch in «20 Minuten» oder auf SRF in «Glanz & Gloria». Auflagemässig dümpelt das ehemalige Promi-Flaggschiff der Schweiz mit sinkender Auflage (aktuell ca. 131000) herum. Nur noch gut 9000 Exemplare mehr als die Glückspost werden von der SI verkauft. Das scheint irgendwie typisch. Die SI erinnert je länger je mehr an einen Abklatsch der Schweizer Familie. Daher bald an dieser Stelle: Eine Blattkritik über jenes Tamedia-Erzeugnis.

Der Feind im Innern

Das Mediensterben hat äussere Gründe. Aber auch innere.

Allgemeiner Einbruch der Werbeeinnahmen, spezieller Einbruch durch die Pandemie und den von ihr ausgelösten Lockdown. Nachrichten haben sich von einer Leistung, die nur gegen Bezahlung bezogen wird, zu einer Gratis-Ware verändert.

Alle, restlos alle grossen Medienhäuser aus der Welt kommen aus dem Print. Dort liegen ihre Wurzeln, das hat ihr Geschäftsmodell über Jahrzehnte, manchmal über Jahrhunderte geprägt. Sie konnten Radio und Fernsehen als Konkurrenz verkraften, aber am Internet sind sie bislang gescheitert.

Das sind die bekannten exogenen Gründe für die Misere, die Krise, den Niedergang der privat gehaltenen Medien. Staatsmedien kommen mit der Krise besser zu recht, weil sie sich meistens auf obligatorische Abgaben abstützen können, die den Löwenanteil ihrer Budgets ausmachen.

Es gibt auch viele innere Gründe fürs Elend

Aber es gibt auch jede Menge endogene Gründe für das Trauerspiel, das die Medienlandschaft in der Schweiz aufführt. Zuerst einmal geht es auch hier ums Geld. Es ist im Kapitalismus selbstverständlich, dass ein kleineres Angebot, eine verminderte Dienstleistung mit einem Preisnachlass verbunden ist.

Statt 100 nur noch 50 von einem Produkt: halber Preis. Kleiner Service statt grosser: Preisminderung. Nur die Bezahlmedien machen das andersrum. Weniger Angebot, höherer Preis. Es gibt inzwischen nur noch zwei sogenannte Zentralredaktionen, die – abgesehen von «Blick» und NZZ – die gesamte Deutschschweiz bespielen.

Wenn man den Index der Konsumentenpreise im Jahr 2010 auf 100 setzt, dann beträgt er im Juni 2020 noch 98,6. Negative Teuerung, oder ganz einfach: alles ist im Schnitt billiger geworden. Natürlich ausser Zeitungsabonnements. Hier gab es geradezu exorbitante Preissteigerungen für weniger Inhalt. Exemplarisch die Abschaffung der «Schweiz am Sonntag» aus dem Hause CH Media und der Ersatz durch die «Schweiz am Wochenende». Eine Ausgabe weniger, gleicher Preis. Schliesslich sei im Samstagsblatt genug Lesestoff für zwei Tage drin.

Es wird gespart, dass es kracht

Ausgedünnte Lokalredaktionen in den Kopfblättern sollen weiterhin die nähere Umgebung des Lesers abdecken. Während in diesen Zentralredaktionen, nach den jüngsten Fusionen deutlich überdotiert, weiterhin gehobelt und abgeschränzt wird, dass es kracht. Work Force als naheliegendes Sparpotenzial wird abgebaut, Ressorts werden zusammengelegt, Auslandberichterstattung aus dem Ausland angeliefert, Dienste wie Korrektorat ins Ausland ausgelagert.

Die verbleibenden Redaktoren werden zu eierlegenden Wollmilchsäuen. Sie recherchieren, schreiben, layouten, produzieren, versehen ihre Artikel mit Titel und Lead, haben, falls man sie überhaupt noch aus der Käfighaltung in Newsrooms hinauslässt, Mikrophon und Handycam dabei, fürs Multimediale.

Leistung wird an der Klickrate im Internet gemessen, Output an der Anzahl publizierter Zeilen und publizierter Artikel. Pro Tag, versteht sich. Jeder Ressortleiter würde bei seinem Mitarbeiter die Temperatur messen, wenn der kühn vorschlagen würde, mal vier Tage auf eine Recherche zu verwenden. Erst noch ausserhalb seiner Kostenstelle.

Recherchedesks ohne Recherchen

Aber es gibt doch Recherchedesks, wo die richtigen Cracks des investigativen Journalismus versammelt sind. Ach ja? So neben dem Ausschlachten von gestohlenen Geschäftsunterlagen, euphemistisch Leaks genannt, in internationalen Verbänden: welchen Skandal, welchen Fall haben denn die Recherchedesks so in den letzten Jahren aufgedeckt? Nein, nicht einer, der ihnen zugesteckt wurde. Ja? Richtig; keinen.

Geradezu grobfahrlässig hingegen ist die Vernachlässigung des Lokalen. Es nicht wirklich so, dass der Zeitungsleser in erster Linie daran interessiert ist, ob Donald Trump die Wiederwahl schafft, Lukaschenko aus dem Amt gejagt wird oder dass es einen neuen Meinungsstreit über die richtige Bekämpfung der Pandemie gibt.

In den USA gibt es zum Beispiel «US Today». Das ist die einzige überregionale Zeitung. Die New York Times, die Washington Post und wenige andere Blätter haben zwar eine grosse Ausstrahlung durch ihre Berichte zu allem, aber sie haben auch einen mindestens so gepflegten Lokalteil. Weil sie wissen, dass der Leser durchaus auch an Wirtschaft oder Politik interessiert ist. Aber mindestens so stark an dem, was in seiner nächsten Umgebung passiert.

Die Verankerung im Lokalen

Für Zeitungen mit überregionalem Anspruch gab es dafür die Aussenbüros. Für die Bedienung der Stammkundschaft in Bern, Basel, Zürich, St. Gallen, Luzern usw. gab es zunächst noch mehrere, zuletzt meist nur noch eine einzige Tageszeitung. Inzwischen gibt es nur noch Kopfblätter, die entweder zu CH Media oder zu Tamedia gehören. Plus «Blick» und NZZ.

Alle überregionalen Themen, also Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport, werden von je einer Zentralredaktion bespielt. Von Aarau und von Zürich aus ergiesst sich dann die gleiche Sauce in insgesamt fast 30 Kopfblätter. Nun könnte die Basler oder Berner oder Luzerner Zeitung, das St. Galler Tagblatt oder Lokalzeitungen der Innerschweiz mit Lokalem auftrumpfen.

Denn Lokales aus Zug steht nicht in der BaZ. Weil das in Basel niemanden wirklich interessiert. Den Zuger hingegen durchaus. Aber es gibt ein Problem. Einen allgemeinen Artikel über das ferne Ausland kann ein Redaktor relativ schnell zusammenstöpseln. Ein wenig Agentur, ein wenig Google, ein wenig Kopiertes aus Zeitungen aus aller Welt, et voilà. Plus allenfalls noch ein staatstragender Kommentar, der Trump, Putin, den spanischen Ex-König oder den ungarischen Ministerpräsidenten streng zurechtweist.

Der Lokaljournalist kostet

Aber der Lokaljournalist kommt nur zu seiner Story, wenn er hinausgeht. Recherchiert, Kontakte spielen lässt. An Stammtischen reinhört. Die Lokalpolitik aufmerksam verfolgt. Mit anderen Worten: Er kostet. Aufwand und Ertrag, was kostet eine Zeile Zentralredaktion und was eine Zeile Lokales? Völlig klar, wer da obenaus schwingt.

Und da in den Verlagen schon längst die Manager die Macht übernommen haben, denen es eigentlich ziemlich egal ist, was sie managen; einen Autoimport, eine Uhrenmarke oder halt einen Zeitungsverlag, ist denen der Sinn und die Daseinsberechtigung von Journalismus ziemlich egal. So oberhalb von Lippenbekenntnissen, die sie auch für Uhren, Autos oder Taschenmesser absondern würden.

Lösung? Es muss gespart werden

Und die rechnen die Sache immer wieder durch, und kommen immer wieder zum gleichen Ergebnis: Es muss gespart werden. Wo? Bei ihren Gehältern? Nein, kleiner Scherz. Beim Personal natürlich. Geht recht schnell, schenkt sofort ein, tolle Sache. Aber wo beim Personal? Natürlich, bei dem Teil, bei dem das Kosten-Nutzen-Verhältnis am ungünstigsten ist. Return on Investment. Lohnstückkosten. Soft Factors, Infrastrukturkosten.

Durch das Zusammenlegen vorher unabhängiger Redaktionen in eine Zentrale entstand ein Sparpotenzial. Das ist aber inzwischen weitgehend ausgeschöpft. Also richten die Manager ihr Augenmerk auf den Teil, wo die Lohnstückkosten am höchsten sind.

Lohnstückkosten im Lokalen sind viel zu hoch

Da die Manager meistens in einer Stadt managen, fragen sie sich natürlich, welchen Sinn denn eine Berichterstattung aus irgendeinem kleinen Weiler am Vierwaldstättersee macht. Wen interessiert das schon, ausserdem kostet das ein Gewehr, kann weg.

Damit wandert aber auch der Abonnent der lokalen Tageszeitung weg. Über Grossräumigeres kann er sich gratis im Netz informieren. Und über das Lokale informiert die Lokalzeitung nicht mehr, oder nur ungenügend. Wozu dann noch mindestens 500 Franken dafür ausgeben?

Auch der Leser denkt an Preis und Leistung

Denn auch der Leser macht sich so seine Gedanken zu Return on Investment. Und wenn er die Nase gestrichen voll hat vom ewigen Gequatsche, dass es eigentlich eine Stärkung und Verbesserung des Angebots sei, während es geschrumpft und weggespart wird, sagt auch der treue Abonnent: Ich bin dann mal weg.

Womit er natürlich eine neue Sparrunde auslöst, denn etwas anderes fällt den Verlagsmanagern partout nicht ein.

Die Glückspost, das Bravo für Erwachsene

Die Glückspost ist der Schweizer Illustrierten auflagemässig dicht auf den Fersen. Trotzdem hat sie es in der öffentlichen Wahrnehmung viel schwerer. Eine Blattkritik des offiziellen Schweizer Klatschheftli.

Es gibt «Die neue Welt», die «Freizeit-Revue», die «Frau mit Herz» – und es gibt die «Glückspost». Während erstere deutscher Provenienz sind, ist die «Glückpost» das erste und einzige Klatschheftli der Schweiz. «Erste», weil es die Glückspost seit sage und schreibe 136 Jahren gibt. Gut, zuerst hiess sie Schweizerische Allgemeine Volkszeitung, erst 1977 erhielt sie den treffenden Namen «Glückpost». Aber immerhin.

«Einzige», weil sich keine Konkurrentin länger halten konnte. Und das etwas edlere Gala? Es hat eine Auflage in der Schweiz von etwas über 30’000 und einen speziellen Schweizteil, aber nur wenige Seiten. Zudem erscheint die Gala nur alle zwei Wochen, im Gegensatz zur «GlüPo». Keine ernste Konkurrenz also. Doch genug mit Vorspiel. Jetzt geht’s zur Sache, zur Glückspost.

Von der Titelseite des respektabel dicken Hefts (74 Seiten, Ausgabe vom 17.9.) strahlen einen gleich vier Menschen an. So sieht Glück aus. Doch aufgepasst: Zum Bild von Mike Shiva heisst es: «Die grosse Trauer seiner Mama». Und auch beim zweiten Anriss geht’s um ein Mutter-Tochter-Verhältnis: Das erwachsen gewordene Meitli von Entertainer Vico Torriani hat «Papa immer noch im Herzen».

Die Titelstory gehört Komiker Jonny Fischer. Er hat sich «mit der schweren Vergangenheit versöhnt». Dazu kommt unten ein Textbalken: «Viele Rätsel und Schicksalsgeschichten!». Fazit: alle Zutaten sind da, dass man oder besser frau für 3 Franken 90 einen Gegenwert für viele Stunden Unterhaltung hat.

Chefredaktor Leo Lüthy schreibt in seinem Editorial salbungsvolle Worte über Mike Shiva (gestorben mit 56). Kein Wunder, war Shiva einer der wenigen schillernden CH-Promis, die immer mal für eine Schlagzeile gut sind.

Für Lüthy ist und bleibt  klar: «Der Basler Mike Shiva war der lebende Beweis, dass einander zuhören (…) viel wertvoller sein kann als Fr. 4.50 pro Minute». Sprich, Shiva war seine Abzocke wert.

In der Rubrik «Leute heute» kommen vor allem Uralt-Promis vor. Al Bano, Peter Maffay, Costa Cordalis, Heino. Die Glückspost scheint sich dem Alter des Publikums anzupassen. Doch genug geschnödet. Nun folgt die Titelgeschichte über Jonny Fischer – und seinem Partner Michi Angehrn. Ein Geschmäckle hat der Bericht aber: Er kommt passend zur Premiere von Fischer als Moderator einer neuen SRF-Spielshow (Game of Switzerland) gestern Abend. Aber so läuft das halt. Ein neues Buch, eine neue Show. Schon ist man in den Schlagzeilen.

Die nächste Doppelseite bietet Platz zum Schwelgen. Blättern «im ganz privaten Familienalbum» von Nicole Kündig-Torriani. Grund: Vater Vico wäre am 21. September 100-jährig geworden.

Und noch eine Rühr-Story: Franco Marvulli schreibt einen offenen Brief an die eben verstorbene Tele-Bärn-Moderatorin Anne-Cécile Vogt (39). Sie erlag einer schweren Krankheit, viel zu früh.

Tobias Heinemann scheint ein berühmter Gedankenleser zu sein. Jedenfalls geht seine «eindrückliche Show» nach der Corona-Pause am 14.10. wieder weiter. Fast eine Doppelseite widmet die Glückspost dem Mystiker. Definitiv eine der Zielgruppen der Glückspost, wenn man kurz in den hinteren Teil des Hefts blättert. Denn dort wimmelt es von Inseraten ähnlicher Richtung: Kartenlegen, keltisches Baum-Tarot, Kontakt mit Engeln, Zukunfstorakel, hellfühliges Orakel, Pendel, Hilfe bei Liebes-Aus, Kaffeesatz lesen. Mike Shivas Erbe lebt! Na gut, die meisten Telefonnummern kosten zwischen 1 Franken 99 und 2.50. Also nicht 4 Franken 50. Aber es ist halt auch nicht das Original.

Doch zurück zum redaktionellen Teil. Nach den Schweizer Promis folgt nun Hollywood (als Rubrik) mit Sharon Stone. Sie hatte traumatische Erlebnisse zu verkraften. Zuletzt mehrere Corona-Todesfälle in der Familie. Ganz nach dem Motto: Schaut her, Promis geht’s auch verschissen, obwohl sie vermeintlich glücklich über den roten Teppich schweben.

Auffällig: erst auf Seite 19 folgt das zweite Inserat nach einem «Allergiker-Inserat» von Migros weiter vorne. Erstens: Was will uns Migros über seine Glückspost-Leser-Einschätzung sagen? Zweitens: Das erwähnte Inserat ist Werbung für Blick-TV. Blick-TV wie die Glückspost gehören zum Ringier-Konzern.

Nun wird die Glückpost noch ernster. Schicksale, Liebesbetrüger, Asperger-Syndrom. Die Welt scheint es nicht gut zu wollen mit gewissen Leuten. Doch zum Glück gibt’s die nun folgende Glückspost-Rubrik «Spass & Spannung». Acht Seiten Sudoku und Kreuzworträtsel. Klever: die Lösungen findet man immer ein Heft später. Eine perfekte Leserbindung!

Doch es kommt noch perfekter: 24 Seiten über die Gesundheit, Beauty und Reisen. Der Rubrik  Doktor Sommer im Bravo nachempfunden ist jene von einem Infektiologen. Er sagt, dass man vom Küssen krank werden kann. Immerhin nicht schwanger.

Ein ganz bisschen politisch wird die Glückpost nun mit der Tier-Seite. Grund: eine Reportage über die gefährdeten Auerhühner. Da muss man am 27. September doch Nein stimmen zum neuen Jagdgesetz! Das scheint irgendwie durchgerutscht zu sein bei der Blattplanung. Denn es ist ein eiserner Gesetz. Die Glückpost ist neutral.

Beim Reisebericht über die südsteirische Weinstrasse vermisst der kritische Leser einen Hinweis, dass die Reise der Reporterin (und freien Reisejournalistin) Barbara Blunschi irgendwie mitfinanziert wurde. Und zwar von der sehr positiv porträtierten Gegend und dem erwähnten «Boutique-Hotel Wurzenberg». Aber das Foto mit der Herbstimmung ist wirklich gelungen.

Bei der Rubrik «Genuss» kommt Volg zum Handkuss. Ich wusste nicht, dass Volg auch eine Kulinarik-Abteilung hat, ähnlich wie Betty Bossi. Aber das ist irgendwie authentisch. Rezepte und ein Portrait einer Nusstörtli-Bäckerin, die ihre Produkte im Dorfladen verkauft. Bei 3000 Lieferanten schweizweit scheint das mehr als ein Marketingtrick. Aber dass die vier Seiten nicht als Publireportage gekennzeichnet sind, das geht eigentlich gar nicht.

Positiv dafür die Doppelseite über das Rote Kreuz mit anderer Schrift und deklariert als Gute-Tat-Story («Unterstützen Sie das SRK»).

Dass beim Impressum auf Seite 56 der Titel vergessen ging, hat wohl nur der pingelige ZACKBUM.CH-Kritiker bemerkt.

Aufgefallen ist bei der dreiseitigen Rubrik «Rendez-Vous, Finde mich!» der hohe Preis fürs Anrufen. Bei den Kleininserätli («Sie sucht ihn», Männer suchen offensichtlich nicht) läuft das so, dass man Fr. 3.13 pro Anruf und dann Fr. 3.13 pro Minute bezahlen muss. Da ist zu hoffen, dass einem der potenzielle Partner nicht gefällt. Sonst geht so ein Telefon brutal ins Geld. Gut für die Glückspost: Das lusche Geschäft ist an die Firma Datapoint ausgelagert. Dort soll man auch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen finden. Auf www.datingpoint.ch kommt aber nur die Meldung «Error, Database activation falled». Pech gehabt. Vielleicht mal was für den Kassensturz oder das Saldo.

Auf Seite 69 strahlt einen nun Luca Hänni entgegen. Er findet trotz abgesagter Tour Trost bei seiner neuen Freundin Christina. Kein Wort mehr , dass er sich von seiner Michèle getrennt hat. Aber das gehört wohl zum Promijournalismus in Klatschheftlis. Lieb und nachsichtig sein, dann bekommt man sicher wieder mal eine Homestory.

Auffällig: eine der raren Inserate hat Tamedia geschaltet, also die Konkurrenz. Thema: Feuerstellen online finden. Lerne: Die Glückspost scheinen auch Familien zu lesen. Oder sind es die Grossmütter?

In der Rubrik «in letzter Minute» darf Brigitte Nielsen nicht fehlen. Das Busenwunder bringt ein ganz klein wenig Erotik ins sonst stockprüde Heft.

Einigermassen versöhnlich punkte Abzocke ist dann das Inserat auf der zweitletzten Seite. Wenn man die Beauty-Linie («mit Blattgold!») bestellen will, ist der Anruf kostenlos. Und der Preis für die «2 x Tagescreme + 2 x 7 Ampullen» ist mit Fr. 69.90 für GlücksPost-Leser statt Fr. 134.80 wirklich verlockend. Da bezahlt man auch die Versandkosten von Fr. 9.95 gerne.

Doch genug kritisiert. Mit 3 Franken 90 bekommt man wirklich viel fürs Geld. Viel Swissness, viele Lebenstipps, dazu Rätsel für einsame Stunden. Und wenn man einen Partner sucht, einen der Finger juckt und man bei «Rendez-Vous» anruft? Wie schon der verstorbene Mike Shiva sagte, bei den Ausgaben ist alles klar deklariert.

Mit einer Auflage von 121532 Exemplaren jede Woche ist die Glückspost solide unterwegs. Ja sie ist dem Ringier-Flaggschiff, der «Schweizer Illustrierten», sogar dicht auf den Fersen. Diese hat eine Auflage von nur noch 130843. Grund, die «SI» demnächst unter die Lupe zu nehmen.

Die NZZ noch einmaliger?

Auch die NZZ fusioniert Redaktionen. Anlass zur Sorge?

Die NZZ ist 240 Jahre alt. In ihrer langen Geschichte hat sie einige Metamorphosen durchgemacht. Sie war oder verstand sich lange Zeit als Sprachrohr des Freisinns. Nach anfänglich etwas gemischter Haltung zum Nationalsozialismus sorgte der Chefredaktor Willy Bretscher für einen klar antifaschistischen Kurs.

Darin enthalten ist, dass der Chefredaktor bei der NZZ schon immer – und bis heute – die bestimmende Figur ist. Wenn es jemand ist, dessen Rucksack nicht wohlgefüllt ist, dann wird’s problematisch. Das führte dann zum ersten Mal in der langen Geschichte der NZZ zum nicht ganz freiwilligen Abgang von Markus Spillmann.

Einige personelle Missgriffe

Während viele, viele Jahre lang der Chefredaktor auch zuständig war fürs Finanzielle, leistete sich die NZZ ab 2013 einen CEO. Auch Veit Dengler war ein Missgriff, seine Karriere bei der NZZ endete 2017. Genauso Pech hatte die NZZ anfänglich mit neu eingestellten Mitarbeitern fürs Internet und die sozialen Medien, darunter Peter Hogenkamp oder Oliver Fuchs.

Aber diese Fehler sind bereinigt; inzwischen leitet Eric Gujer mit ruhiger, aber durchaus auch harter Hand das Blatt; der neue CEO werkelt hinter den Kulissen. Natürlich hat die Verlagerung der Werbung ins Internet und die Pandemie auch die NZZ hart getroffen.

Als der Zürcher FDP-Filz noch lebte

Den ersten Schlag erhielt sie aber schon, als der Zürcher FDP-Filz noch in voller Blüte stand. Damals war es noch möglich, dass ein Tiefflieger wie Lukas Mühlemann über McKinsey und die Schweizer Rück den Chefsessel bei der Credit Suisse erklomm. Und gleichzeitig im Verwaltungsrat der Swissair sass.

Der VR-Präsident der NZZ hiess damals Eric Honegger, nach seiner Politkarriere Präsident der SAirgroup. Das endete dann alles in einem Desaster; Mühlemann musste zurücktreten, nachdem er die CS mit seiner Allfinanz-Strategie fast gegen die Wand gefahren hatte. Honegger musste zurücktreten, nachdem die Swissair mit ihrer Hunter-Strategie senkrecht in den Boden geflogen war.

Und die NZZ musste empfindliche Verluste auf ihrem Aktienpaket der Swissair hinnehmen. Immerhin lockerte sich der Griff des Freisinns durch diese Katastrophe. Aber obwohl die NZZ über die wohl beste Wirtschaftsredaktion der Schweiz verfügt, operierte sie weiter eher unglücklich und verkaufte zum Beispiel einiges Tafelsilber und 2015 ihre Druckerei in Schlieren.

Der Hauptsitz ist eine runde Milliarde wert

Am Hungertuch nagen muss sie allerdings nicht; der Hauptsitz vor dem Bellevue im Zentrum Zürichs wird auf einen Wert von einer runden Milliarde geschätzt. Früher vibrierten dort auch noch die Druckmaschinen; heute ist das Erdgeschoss weitgehend ausgemietet.

Die guten, alten Zeiten

Nun kommt ein Sprutz Nostalgie; kann überlesen werden, wem’s nicht behagt. Als ich Auslandkorrespondent der NZZ wurde, und das ausgerechnet in Kuba, fragte ich natürlich, wie oft, worüber und in welcher Länge Berichterstattung von mir verlangt werde. Antwort: Das müssen Sie doch wissen, Sie sind vor Ort. Wenn nichts los ist, schreiben Sie nichts, wenn viel los ist, schreiben Sie viel. Wenn uns etwas nicht passt, melden wir uns.

Die NZZ meldete sich nie bei mir; ich schrieb so viel oder so wenig, über welche Themen auch immer. Und eroberte sogar den Zutritt zur Wirtschaft und zum Feuilleton. Was damals keine kleine Leistung war, denn das Ausland galt als tendenziell linksradikal, die Wirtschaft als der reine Hort der wahren Wissenschaft, und das Feuilleton war sowieso leicht indigniert, dass es zusammen mit diesen anderen Teilen der Zeitung erscheinen musste, die sich mit den täglichen Niederungen befassten.

Nostalgie beendet.

Zwei Probleme beim Überlebenskampf

Nach diesen diversen Fehlern und auch heute im Verwaltungsrat nicht gerade glänzend besetzt, muss auch die alte Tante schauen, wie sie die Gegenwart und die Zukunft überlebt. Dabei hat sie zwei Probleme. Content kostet, und wie transferiert man Lesereinnahmen vom Print ins Digitale?

Die Printauflage sinkt ständig, wie bei eigentlich allen Tageszeitungen. Das Inseratevolumen schmilzt dahin, wie bei fast allen Tageszeitungen. Die Printauflage beträgt nur noch rund 76’000 Exemplare. Dennoch vermeldet die NZZ stolz, wie Beni Frenkel in seinem Artikel auf «Inside Paradeplatz» schreibt, dass sie aktuell rund 193’000 Abonnenten habe. Wie geht das?

Im Prinzip einfach; indem man alle Abo-Formen zusammenzählt. Wer gerne morgens das raschelnde Papier zum Gipfeli haben will, aber auch unterwegs digital auf dem Laufenden bleiben, zahlt stolze 814 Franken. Wer nur mit digital zufrieden ist, vergleichsweise läppische 220 Franken im Jahr. Noch günstiger wird’s für unsere Freunde im grossen Kanton im Norden: 100 Euro kostet in Deutschland das Digital-Abo.

Zwei Pfeiler der NZZ-Strategie

Daran lassen sich schon zwei Pfeiler der Strategie der NZZ erkennen. Wer’s gerne klassisch hat, bitte, der soll auch kräftig dafür in die Tasche greifen. In der zunehmend von Meinungslagern geprägten deutschen Publizistik will sich die NZZ deutlicher als die Schweizer Stimme positionieren. Im Osten Deutschlands hat sie sich schon den Ruf eines neuen Westfernsehens erarbeitet.

Jetzt lässt die NZZ zusammenwachsen, was vielleicht nicht unbedingt zusammen gehört. Das Ausland mit bislang 15 Redaktoren wird um 3 auf 18 aufgestockt. Die Wirtschaft mit 25 Journalisten erhalten eine Verstärkung durch 8 mehr, werden also 33. Um die herum schwirren 36 Auslandskorrespondenten.

Der Vergleich in der Schweiz spricht Bände

Ist das viel, ist das wenig, ist das Anlass zur Besorgnis? Machen wir, wie die NZZ zu sagen pflegt, einen ordnungspolitischen Zwischenruf. CH Media, der eine Teil des Zeitungsduopols in der Deutschschweiz, bewältigt das Ausland mit 2 Redaktoren und 4 Korrespondenten. Die Wirtschaft mit 6. Tamedia beschäftigt in der Wirtschaft 14 Journalisten in der Zentralredaktion; um das Ausland kümmern sich 4 Mitarbeiter, plus das Korrespondentennetz der «Süddeutschen Zeitung».

Quantität muss nicht zwangsläufig mehr Qualität bedeuten, aber damit dürfte die Sache wohl klar sein. Also plädiere ich dafür, ohne Nostalgie, der NZZ Sorge zu tragen, mit all ihren Marotten, gelegentlichen Ausrutschern und politischen Ansichten, die nicht jedem gefallen müssen. Aber was den Qualitätsunterschied zum übrigen Tageszeitungsmarkt in der Schweiz betrifft, kann man nur Goethe zitieren: «Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nie erjagen.»

 

Packungsbeilage: ZACKBUM.ch-Redaktor René Zeyer war einige Jahre Auslandkorrespondent und Gerichtsreporter bei der NZZ. Er schreibt heute noch gelegentlich für die NZZ.

Doppelter Reibach für SRG-Serien


Nur noch wenige Tage kann man den gelungenen SRG-Krimi-Mehrteiler «Helvetica» gratis im Netz anschauen. Dann kostet er trotz Gebührenmitfinanzierung.

Serienfans aufgepasst. Lediglich noch bis zum 22. September kann man den Sechsteiler Helvetica gratis im Netz anschauen. Nachher verschwinden alle je gut 50 Minuten langen Teile aus dem kostenlosen SRF-Replay-Angebot. Dann muss man sie als DVD kaufen oder via Teleclub und Swisscom-TV kostenpflichtig herunterladen. Dabei ist Helvetica eine der besten von SRG produzierten Serien, da sind sich Kritiker einig. Auch der ZACKBUM-Chronist findet die Serien erfrischend unterhaltend und ziemlich spannend. Ursina Lardi als Bundespräsidentin zeigt eine Magistratin mit Schwächen und Launen, die Hauptdarstellerin ist eine Wucht. Flonja Kodheli spielt ihre Rolle noch besser als Sara Spale in Wilder.

Roland Vouilloz agiert überzeugend als Antiterrorchef.

Roland Vouilloz (der mit der Glatze) hat als Angestellter des Bundesnachrichtendienstes eine nuancierte, untypische Staatsdiener-Funktion. Die kritisierte Synchronfassung finde ich übrigens nicht missglückt. Sogenannte Filmkritiker aus der Deutschweiz können offensichtlich mit Bäärndüütsch einfach nichts anfangen.

Die Synchronfassung ist besser als in Kritiken dargestellt.

Doch der Krimi spielt nun mal in der Bundeshauptstadt. Die Handlungsstränge sind durchaus fesselnd, auch wenn die Geschichte wie bei der zweiten Staffel von Wilder allzu klischéhaft im kosovo-albanischen Milieu spielt.

ARD und ZDF können’s schon

Doch warum nimmt das durch grösstenteils öffentliche Gebühren finanzierte SRF Serien wie eben Helvetica so rasch vom Netz? Auf ARD und ZDF findet man alle deutschen Eigenproduktionen online. Schon die Medienwoche mokierte sich anfangs Jahr über den Schweizer Sonderfall: «Man würde es für eine Selbstverständlichkeit halten. Was die Öffentlichkeit über die Medienabgabe finanziert, steht ihr auch jederzeit, umfassend und unbeschränkt zur Verfügung. Dem ist aber nicht so. Filme und Serien, welche die SRG mitproduziert, verschwinden mehrheitlich nach kurzer Zeit aus dem Online-Angebot. Wer zu spät kommt, guckt in die Röhre. Oder muss noch einmal Geld in die Hand nehmen und die Werke auf kostenpflichtigen Plattformen erwerben».

Komisch mutet das vor allem dort an, wo SRG die Serie mitproduziert und grösstenteils finanziert. So kassiert der – pseudoprivat, weil allermeistens vom Staat, respektive via Lotteriefonds finanzierte – Hauptproduzent gleich doppelt. Für die SRG ist und bleibt trotzdem klar: «Die SRG ist am Erlös aus der kommerziellen Auswertung beteiligt und kann dieses Geld in neue Produktionen investieren.»

Doch im Leutschenbach und am Hauptsitz in Bern hat man selber gemerkt, dass das Ganze nicht ganz koscher ist. Schon anfang Jahr präsentierten die SRG und die Filmbranche eine neue Vereinbarung,  der die Kooperation bei Film- und Serienproduktion für die kommenden Jahre regelt. «So können wir Serien künftig bis zu sechs Monate lang zugänglich machen», sagte SRG-Filmchef Sven Wälti gegenüber der Medienwoche. Bezogen auf Helvetiva muss man freilich feststellen: Die SRG-Mühlen arbeiten eher langsam.

Bald in Originalsprache

Immerhin: Die SRG ist darüber hinaus über die Bücher gegangen. «Play Suisse», heisst die nationale Streaming-Plattform der SRG, die im November lanciert wird. Das Projekt fungierte intern bislang unter dem Projektnamen «Rio». Die neue Plattform wird ab Herbst Inhalte aus allen Sprachregionen mehrsprachig anbieten.
Die neue Plattform der SRG ersetzt zwar nicht die Player der Unternehmenseinheiten (wo man wie beschrieben zwischenzeitlich Serien wie Helvetica findet). «Play Suisse» ist laut SRG vielmehr eine Plattform mit Inhalten aus allen Spracheregionen. So biete «Play Suisse» eine Auswahl aus Eigen- und Koproduktionen der Unternehmenseinheiten, also Filme, Serien, Dokumentarfilme, Reportagen und Archivperlen. Einzigartig an «Play Suisse» ist laut SRG-Website, dass die Nutzerinnen und Nutzer die Inhalte über die Sprachgrenze hinweg entdecken können: Alle Inhalte sind in der Originalsprache mit Untertiteln in Deutsch, Französisch und Italienisch verfügbar, ausgewählte Titel auch auf Rätoromanisch. Aktuelll läuft ein SRG-interner Test. Im Oktober erfolgt dann der Pre-Launch mit rund 5000 externen Anwenderinnen und Anwendern, bevor im November der offizielle Startschuss fällt. Viva la Grischa! Forza Ticino! Allez les Romands!

Hier der kostenlose Link zur Serien Helvetica (bis 22.9.)

 

Die unbefleckte Schändung

Das wahre Opfer eines Medienskandals ist ein Mann.

Über Jahrhunderte zerbrachen sich viele Denker den Kopf über der Frage, wie eigentlich eine unbefleckte Empfängnis möglich sei. Unbefleckt von der Erbsünde, eine Jungfrauengeburt, die Jungfrau Maria gebar Jesus, empfangen durch den Heiligen Geist.

Nein, zu dieser kniffligen Frage gibt es nichts Neues beizutragen. Aber es dauerte rund 2000 Jahre, bis ein neues Wunder geschah: das Wunder der unbefleckten Schändung.

Zu Bethlehem gab es damals noch keine Zeitungen

Auch hier gibt es einige Unklarheiten. War es eine Vergewaltigung, eine Schändung, ein sexueller Missbrauch? Gab es Falschbeschuldigungen, wurde das eigentliche Ereignis durch die Medien perpetuiert? Glücklicherweise gab es ja zu Bethlehem noch keine Zeitungen, man stelle sich vor, was da alles herumgeboten worden wäre.

Im neuzeitlichen Fall ist es aber so, dass die, nun ja, dass das Opfer gerade wieder einmal betont hat, dass sie den als mutmasslichen Täter herumgebotenen Mann «ausdrücklich und zum wiederholten Male nicht» beschuldige. Das muss das Opfer einer unbefleckten Schändung auch sagen, denn es hat sich verpflichtet, «sich ab sofort in keiner Weise mehr so zu äussern, dass daraus bei Dritten irgendwelche Vermutung entstehen oder impliziert werden kann, dass sie je Opfer eines strafbaren Verhaltens, begangen durch P.K.*, geworden sein könnte».

Das eine Opfer war naiv

Mit diesem Vergleich entging das eine Opfer einer weiteren Verfolgung durch das andere Opfer in Sachen Ehrverletzung und so.

Nun haben es Märchen, mit Logik und Rationalität eigentlich nicht zu erklärende Vorkommnisse, so an sich, dass sie mit viel Gehirnschmalz und gewaltigen Anstrengungen mit einer ganzen Wolke von möglichen Erklärungen, Theorien, mit Rabulistik, Vermutungen und Strapazierung von Logik und Schlüssigkeit umhüllt werden.

So sagt Opfer P.K. bitter: «Vielleicht war es einfach naiv von mir, zu glauben, dass ein Ehrenwort etwas gelten sollte.» Denn es hatte offenbar nicht damit gerechnet, dass das andere Opfer sich zwar an den Teil «begangen durch P.K.» hält. Das hindert es aber nicht daran, sich als Opfer «eines strafbaren Verhaltens» zu sehen. Wobei in diesem Zusammenhang mittelalterliche Sophisten, ja ein Thomas von Aquin vor Neid erblassen würden.

Ohne Täter auch kein Opfer

Denn die Formulierung, dass hier P.K. ausdrücklich nicht beschuldigt werde, ist ungefähr so sinnvoll wie der schöne Satz: «Ich sage ja ausdrücklich nicht, dass Sie ein Idiot sind.» Denn es hilft ja nichts; wo es ein Opfer gibt, muss es einen Täter geben. Wenn jemand sexuell missbraucht wurde, geschändet wurde, einen Übergriff erleiden musste, einen Verstoss gegen seine körperliche Integrität, dann ist etwas unabdingbar nötig: ein Täter.

Ohne Täter kein Opfer. Ohne Schänder keine Schändung. Ohne Vergewaltiger keine Vergewaltigung. Ohne Übergriffigen kein Übergriff. Ohne K.-o.-Tropfen keine Willenlosigkeit. Ohne Missbraucher kein Missbrauch. Ohne Filmriss kein Dunkel über Ereignissen.

War’s Zeus oder gar der Heilige Geist?

Wenn hier notwendig der Logik gehorchend «tertium non datur» gelten muss, also etwas Drittes gibt es nicht, dann kann, ausserhalb von Wunderglauben, unbefleckter Schändung und Zauberkräften nur ein Entweder-Oder gelten: Wenn P.K. ausdrücklich nicht beschuldigt wird, aber die Beschuldigung aufrechterhalten wird, dann muss es jemand anders gewesen sein. Nur: wer? Es gibt bekanntlich keine Anhaltspunkte, die auf einen bislang noch nicht entdeckten Täter hinweisen. Daraus folgt, wenigstens für Gläubige, nur eine mögliche Erklärung: Es war entweder der einschlägig bekannte Zeus – oder der Heilige Geist.

*Name der Redaktion bekannt.

Die Mär vom linken Tagi

Die politischen Ausrichtungen der Zürcher Platzhirsche «Tages-Anzeiger» und «NZZ» gleichen sich immer mehr an. Der Streit ums neue Hardturmstadion zeigt dies exemplarisch.

Die Fronten in der öffentlichen Wahrnehmung sind seit Jahrzenten klar. NZZ rechts, Tagi links. Dabei sind es oft Schlüsselerlebnisse, die zur persönlichen Meinungsbildung beitragen. Ältere Semester erinnern sich wohl an den Inserateboykott der Autoimporteure gegen den Tages-Anzeiger. Grund des Boykotts: Damals, Ende 1979, zeigte der Tages-Anzeiger recht unaufgeregt auf, welcher National- und Ständerat mit welchem Verband verbandelt ist. Seither ist der Tagi für viele Leser, oder besser gesagt, Nicht-Leser, links. Dem gegenüber ist die NZZ seit ewig für die Armee, wirtschaftsfreundlich und für die freie Fahrt. Während die Stossrichtung der NZZ in den letzten Jahren und unter Eric Guyer («Nach der Coronakrise braucht es weniger Staat», 17.4.2020) eher noch libertärer geworden ist, ist die Lage beim Tagi vordergründig undurchsichtig. Wobei: Ausnahmen bestätigen die Regel. Nimmt man Komiker Marco Rima als Massstab, ist der Tagi so unglaubwürdig – sprich links – geworden, dass er ihn abbestellt hat, im Gegensatz zur NZZ. So jedenfalls moserte Rima unwidersprochen bei Roger Schawinski im Doppelpunkt auf Radio 1.

Bedienung des bisher eher bürgerlichen Klientels

Spass beiseite: Wenn es nicht gerade um das Abschiessen des Geschäftsmanns Jean-Claude Bastos geht, ist der Tages-Anzeiger ganz schön bürgerlich geworden. Einerseits passiert das durch den regen einseitigen Austausch mit der «Süddeutschen», sprich, man übernimmt gerne welterklärende Texte aus München. Andererseits sieht man sich gezwungen, das bisher von eigenen Redaktionen bediente Klientel von Berner Zeitung, Basler Zeitung, Zürichsee Zeitung und Landbote durch politisch gemittete Texte der Zentralredaktion abzuholen. Dafür spricht eine aktuelle Untersuchung des Forschungszentrums fög der Uni Zürich. Diese zeigt, dass sich die Anzahl gleicher Texte in den Verbundzeitungen verdoppelt hat, auf gut 21 Prozent. In der Berichterstattung über die nationale Politik stieg der Wert gar von 21 Prozent (2017) auf 41 Prozent (2019).

Gegen die Abstimmungsempfehlungen von SP, Grüne und AL

Linkstendenzen, Rechtstendenzen? Sind das nicht nur subjektive Einschätzungen? Ein schönes Fallbeispiel ist der Leitartikel «Zürich braucht ein Fussballstadion» im Tagi vom Samstag. Darin lobt Pascal Unternährer das Projekt über den Klee und empfiehlt ein Ja –  gegen die Abstimmungsempfehlung von SP, Grüne und AL. AL, das ist eine eher linksaussen operierende Partei in Zürich, die aber mit Richard Wolff einen Vertreter in der Exekutive hat.

Dieser erwähnte unausgewogene Artikel («Es entstehen ein spielfeldgrosser Rasen, begrünte Dächer und weitere Grünräume») ist darum spannend, weil er wie bestellt erscheint. Denn hinter der Pro-Kampagne steht KMES. Die renommierte PR-Agentur mit Sitz beim Paradeplatz orchestriert den Abstimmungskampf. Partner des Büros ist etwa der smarte Hans Klaus (ex-Fifa, ex-Sprecher von Ruth-Metzler Arnold). Mit dabei auch Markus Spillmann. Der ehemalige Chefredaktor der NZZ und heutige Präsident des Stiftungsrates des Schweizerischen Presserates mischt beim umstrittenen Abstimmungskampf ebenfalls mit und scheut sich nicht, kritische Journalisten persönlich zu kontaktieren. Spillmann ist ein Journalist, der die Fronten gewechselt hat und heute im PR-Business seine Brötchen verdient. Dass er im Nebenjob Presseratspräsident ist, ist eine schräge, aber andere Geschichte. Nun geht’s mal darum, ein Ja zum Hardturm-Projekt am 27. September durchzuboxen. Dank positiven Artikeln im «linken» Tages-Anzeiger.

Wer schützt vor Schutzbach?

Eine «Geschlechterforscherin» auf Abwegen.

Ich habe bislang die Fokussierung auf Gender- oder Frauenfragen, Untersuchungen zu «Antifeminismus» oder einer «maskulistischen Szene» für etwas merkwürdig, aber harmlos gehalten.

Schliesslich gibt es auch Menschen, die sich der Erforschung der Sitten der Andamanen, dem Balzverhalten der kleinen Wüstenspringmaus oder der deutschen Lautverschiebung widmen.

Wenn das der Zerstreuung oder der geistigen Erbauung dient, wohlan. Vielleicht ergeben sich sogar Erkenntnisse daraus, die wir alle in unserem Alltag verwenden können.

Schutzbach als Antidemokratin

Franziska Schutzbach fiel das erste Mal öffentlich unangenehm auf, als sie behauptete, dass man sogenannte rechtsnationale Kräfte in Europa, insbesondere die SVP in der Schweiz, nicht auf «formal-demokratischem Weg zurückdrängen» könne. Die Antidemokratin Schutzbach empfahl zivilen Ungehorsam, der sich zum Beispiel so äussern sollte, dass andere Parlamentarier den Nationalrat verlassen, wenn ein gewählter Volksvertreter «der extremen Rechten den Mund aufmacht».

Als das nicht wirklich gut ankam, versuchte sie, ihre Äusserungen als Ironie wieder einzufangen. Es wundert auch nicht, dass sich Schutzbach lebhaft im Twitter-Kanal von Jolanda Spiess-Hegglin äussert. Was sich dort abspielt, ist eine gruppenpsychologisch interessante gegenseitige Rückkoppelung bis zur argumentativen Bewusstlosigkeit.

Wiedereinführung von Inquisition und Gedankenpolizei

Mit merkwürdig, putzig oder harmlos hört es aber doch schnell auf, wenn man ihr Plädoyer für die Wiedereinführung von Inquisition, Gedankenpolizei und präventiver Zensur in der neusten Ausgabe der «WoZ» (Artikel hinter Bezahlschranke) liest.

Hier versteigt sich Schutzbach zur Kenntlichkeit eines voraufklärerischen Verständnisses von einer freien Debatte. Sie behauptet: «Ein Buch über Jolanda-Spiess-Hegglin darf nicht wie geplant erscheinen. Richtig so: Jene, die laut rufen, das sei ein «Angriff auf die Pressefreiheit», verteidigen in Wahrheit misogyne Grundstrukturen.»

Schlimmer noch: «Verteidigt wird der Anspruch, über die Intimsphäre von Frauen zu verfügen.» Eine Frau, die «traditionell männliche Güter» beanspruche, werde «dafür nach wie vor in die Schranken verwiesen». Und schliesslich komme «eine Grundstrategie frauenfeindlicher Agitation zum Einsatz: die Opfer-Täter-Umkehrung. Die Frau wird zur Gefahr stilisiert, hier zur Gefahr für die Pressefreiheit.»

Keine gefährliche Frau, aber gefährlicher Schwachsinn

Aus all diesen Gründen sei Spiess-Hegglin eine «gefährliche Frau», so der Titel dieser Ansammlung von geschütteltem Schwachsinn. Nein, von gefährlichem Schwachsinn. Zunächst, für Leser, die des Griechischen nicht mächtig sind: Misogynie heisst Frauenhass.

Seitdem sich eine Misogynie-Forschung entwickelt hat, unterscheidet man hier eine ganze Pyramide von angeblichen Erscheinungsformen. Von harmloseren wie «fehlende Unterstützung von Frauen» über «Verächtlichmachung von Frauen» bis hin zum «Femizid», also der Tötung von Frauen nur wegen ihres Geschlechts.

Frauenhass haben nicht nur Männer; er ist als «Mittäterschaft» und durch soziologische Prägung auch bei Frauen vorhanden. Und jetzt kommt der Clou: strukturelle Misogynie äussere sich in allem, was Männer tun oder beherrschen. Also eine einseitige, von männlichen Philosophen, Wissenschaftlern und Theoretikern beherrschte Gesellschaft.

Das Geschlecht definiert Täter und Opfer

Sorry, Jungs, das Geschlecht definiert Herrscher und Opfer. Eigentlich wussten wir es ja schon lange: Männer sind Schweine, Väter sind Täter, Misandrie existiert nicht. Wie in jedem voraufklärerischen Theoriegebäude, wo absurde Letztbegründungen für die Richtigkeit von Glaubenssätzen herangezogen werden, sei das das geoffenbarte Wort Gottes, sei das die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Schicht, oder sei das schlicht und einfach das Geschlecht.

Gleichzeitig ermächtigt diese absurde Zuweisung von Wahrheit und Rechthaben, dass der Priester als Meister der Auslegung der Bibel, der Angehörige einer herrschenden Kaste als einzig Vernunftbegabter über das dumme Pleps herrschen oder eben eine Frau durch ihr Frausein angeblichen strukturellen Frauenhass definieren und denunzieren kann.

Zensur unter diesem Banner?

So weit, so absurd. Richtig gefährlich wird es aber, wenn unter diesem Banner das aufrechterhaltene Verbot, über ein frei gewähltes Thema zu recherchieren und zu publizieren, als völlig richtig verteidigt wird.

Man kann nun über das Buchprojekt von Michèle Binswanger durchaus unterschiedlicher Meinung sein. Man kann sich seiner angeblich potenziell persönlichkeitsverletzenden Macht ganz einfach entziehen: Indem man es nicht liest.

Zu den grösseren Schätzen meiner Bibliothek gehört eine der letzten Ausgaben des «Index librorum prohibitorum». Also das Verzeichnis der verbotenen Bücher, deren Lektüre jedem Katholiken bei Strafe der Exkommunikation oder gar Schlimmerem untersagt war. Dieser Schutz des Seelenheils existierte von 1559 bis 1962.

Rückfall in voraufklärerische Zeiten

Gott sei Dank bewirkte die Aufklärung, dass solche Buch- und Denkverbote weitgehend aufgehoben wurden. Unter welchem Banner auch immer. Rückfälle in voraufklärerische Zeiten mit verbotenen Büchern waren immer die Begleiterscheinung nicht nur einer Diktatur, sondern auch eines Zusammenbruchs des Rechtsstaats und der Zivilisation.

Wer also kräht, all die, die in diesem absurden präventiven und putativen Verbot eines Zuger Richters den massivsten Angriff auf die Schweizer Pressefreiheit seit dem Zweiten Weltkrieg sehen, seien Verteidiger einer Gesellschaftsstruktur, die auf Frauenhass aufgebaut sei, ist ungefähr so bei Trost wie die Inquisitoren, denen es ja auch nur um die Rettung des Seelenheils ging, sei es auch unter Hinnahme unsäglicher Qualen vor der Verbrennung.

Gegen Schutzbach muss das freie Wort verteidigt werden

Schutzbach unterscheidet sich leider von Andamanen-Forschern und anderen leicht verschrobenen Wissenschaftlern dadurch, dass sie zutiefst antidemokratisch ist, am liebsten voraufklärerische Herrschaftsstrukturen wieder einführen möchte und sich dazu aufschwingt, nur legitimiert durch ihr Geschlecht bestimmen zu können, was frauenfeindlich, gar frauenhasserisch sei und was nicht. Was geschrieben oder gedacht werden darf – und was nicht.

 

Dagegen, auch wenn dieser Versuch lächerlich erscheint, müssen die Errungenschaften der Aufklärer verteidigt werden. Von Männern und Frauen. Und auch für Schutzbachs Recht, ihren Unsinn publizieren zu dürfen.

Roger Schawinski im Corona-Stress

Der begnadete Talker Roger Schawinski zeigt Abnutzungserscheinungen. Doch wer soll folgen? Dillier, Hug oder Eisenring?

Seit gefühlt 40 Jahren macht Roger Schawinski seinen Doppelpunkt. Also das legendäre Radio-Interview immer am Sonntag um 11 Uhr. Nun hat es seine Sendung zum ersten Mal gross in den Tages-Anzeiger geschafft. Auf die Kehrseite. Promis, Sex & Crime. Der Grund heisst Corona und Marco Rimas fragwürdige Meinungen dazu.

Andreas Tobler schrieb dazu eine für die Kehrseite eher längliche, aber durchaus lesenswerte Medienkritik. Marco Rima liess sich von Roger Schawinski im Doppelpunkt eine Stunde lang grillieren. Der Spasssvogel mit beachtlicher Karriere in der Schweiz und in Deutschland verlor dabei nie die Contenance, im Gegensatz zu Roger Schawinski. Beim Thema Krebsdiagnose etwa zeuselte Schawinski: «Und? Würdest Du nicht ins Spital gehen und auf Selbstheilung hoffen?»

Gehört Rima zu den Corona-Leugnern?

Rima mache Terror wegen fehlenden Auftritten. Stossrichtung von Schawinskis Trommelfeuer: Rima sei frustriert und gehöre nach seinen beiden geposteteten Videofilmen über seine absolut schrägen Corona-Ansichten zu den Coronaleugnern, zu den Staatskritikern, zu den Rechtsxtremen. Marco Rima konterte immer wieder, er sei einfach ehrlich und wisse zu wenig über Corona, wie auch der Bundesrat und der Staat allgemein. Die Einschränkungen für die Einwohnerinnen und Einwohner, aber auch etwa für Künstler, seien zu rigide.

«Sterben müssen wir sowieso», findet Rima. Zugegeben: Der 59-Jährige ist eine Person mit grosser Fangemeinde. Wenn er etwas sagt, wird das aufgesogen wie Milch und Honig. Da wäre etwas mehr Besonnenheit angebracht. Aber wie Roger Schawinski ihn in die rechte Ecke drängen und immer wieder mit eigenem «Expertenwissen» auftrumpfen wollte, ist irgendwie noch unglaubwürdiger.

Schlimmer geht immer

Doch es geht noch schlimmer: Schawinski hat während des Corona-Lockdown mit seinem täglichen Coronatalk (10-12 Uhr) überhaupt nicht für Klarheit gesorgt. Oft ging ein solcher Corona-Blödsinn über den Sender, dass die Verunsicherung nur noch grösser wurde. Denn Schawinski liess in der Live-Sendung fast jede noch so krude Ansicht durch. Ein bisschen wie das abgesetzte Nachtwach mit Barbara Bührer, nur viel politischer. Roger Schawinski, der Gründer von Radio 24 und Radio 1 ist so von sich überzeugt, dass er meint, seine Argumente würden immer stechen. Der intelligente Zuhörer könne schon zwischen Gut und Böse unterscheiden.

Doch das stimmt nicht. Schawinskis grösster Fehler war vor Jahren, Roger Köppel jeden Montag in sein «Roger gegen Roger» einzuladen. Dank diesem «Trainingslager» bekam Köppel bessere Eloquenz und eine ideale Plattform, um seine üblen Ansichten zu verbreiten. Dass seit dem Abgang von Köppel Markus Somm im Radio-1-Studio sitzt, macht das Ganze keinen Deut besser. Somm erzählt ähnlich destruktiven Blödsinn einfach eine Oktave höher.

Wo bleibt der Talk-Nachwuchs?

Zeigt Roger Schawinski langsam Abnutzungserscheinungen? Ich meine Ja. Schawinski bringt in seinen Talks immer spürbarer seine eigene Meinung rein und lässt sein Gegenüber immer weniger zu Wort kommen. Am liebsten lässt er eigene Anekdoten aus seinem sicher sehr interessanten Leben Revue passieren. Es wäre also am Besten, er würde abtreten, solange es noch nicht peinlich ist. Denn besser wird der 75-Jährige nicht. Das Problem dabei: Schawinski ist und bleibt immer noch der beste harte Interviewer der Schweiz. Sind Nachfolger in Sicht? Radio-1-intern nicht. Jan Vontobel hat entnervt zu SRF gewechselt. Vorher schon gingen Iwan Santoro und Sandro Brotz.

Und sonst in der Radiolandschaft? Ein Dominic Dillier etwa auf SRF3, eine üble Schnarchtüte. Hannes Hug: viel zu selbstverliebt. Viktor Giaccobbo mit seinem Radio-24-Talk? Völlig belanglos und erschreckend unvorbereitet. Und Yvonne Eisenrings «Wahrheit, Wein und Eisenring: Das ehrlichste Gesprächsformat der Schweiz»? Das ist leider eingeschlafen. Schade. Wo bleibt nur der Talk-Nachwuchs?

Für jüngere Leserinnen und Leser: Roger Schawinski (* 11. Juni 1945 in Zürich) hat den Kassensturz des Schweizer Fernsehens, Radio 24, TeleZüri und Radio 1 gegründet. Von 2003 bis 2006 war er Geschäftsführer von Sat.1. Er hat viele Bücher geschrieben, seine jüngsten Werke sind «Verschwörung! Die fanatische Jagd nach dem Bösen in der Welt» und «Die Schawinski-Methode. Erfolgsrezepte eines Pioniers.»

Der Chor der Klagemänner

Die Hersteller von Dampflokomotiven erklären sich für systemrelevant.

Als ab 1804 die erste Dampflok den Siegeszug des Schienentransports einleitete, revolutionierte das den Güter- und Personenverkehr.

Als nach den Fuggerzeitungen, eine lose Blattsammlung einzelner Berichte, ab 1605 in Strassburg die erste gedruckte Zeitung entstand, Erscheinungsrhythmus einmal wöchentlich, revolutionierte das die Informationsvermittlung.

Als die Elektrolok ihren Siegeszug antrat, streikten die Eisenbahner noch 1982 – allerdings vergeblich – dafür, dass weiterhin ein Heizer mitfahren musste. Das war dann der Endpunkt der langen Auseinandersetzung, ob Elektroloks wirklich besser, effizienter und stärker als Dampfloks sind.

Kaum Veränderung seit 1605

Seit 1605 hat sich das Zeitungsgeschäft kaum verändert. News herstellen, von denen man annimmt, dass sie den Abonnenten interessieren könnten, jeden Tag aufs Neue die Illusion verbreiten, dass alles Wichtige, was auf der Welt passiert ist, erstaunlicherweise auf den für diesen Tag gedruckten Zeitungsseiten Platz fand.

So war das, so ist das, sollte es immerdar sein. Natürlich war das Radio und später dann auch das Fernsehen eine unangenehme, neue Konkurrenz. Aber man arrangierte sich. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann verdienen sich die Besitzer von Medienkonzernen bis an ihr seliges Ende weiterhin dumm und krumm.

Leider ist das aber ein Märchenschluss, und die Wirklichkeit ist kein Ponyhof. 1990 entstand etwas, was die meisten Zeitungskonzerne lange Zeit belächelten, unterschätzten und für ein neumodisches Nice-to-Have hielten. So wie der Heizer auf der Elektrolok sich lange Zeit keine grossen Gedanken über seine Arbeitsplatzsicherheit machte.

In 30 Jahren nichts eingefallen

30 Jahre Zeitraffer, wir sind in der zweiten Jahreshälfte 2020. In diesen 30 Jahren ist den Schweizer Medienhäusern nichts Nachhaltiges, nichts Durchschlagendes, nichts Nennenswertes eingefallen, wie sie auf die Elektrolok Internet reagieren können. Sie heizen weiterhin jeden Tag ihre Dampflokomotiven ein, bedrucken riesige Papierrollen, die dann distribuiert werden müssen und den Konsumenten mit den Nachrichten erfreuen, die bis Mitternacht des Vortags anfielen.

Allerdings keuchen diese Loks immer asthmatischer, man kann ihnen fast beim Schrumpfen zuschauen. Divergenz, Konvergenz, disruptiv, metered content, pay per view, Bezahlschranke, Print first, online first, multimedial, multichannel, Klickrate, content is king, und immer den Leser dort abholen, wo er ist.

An dummem Managergequatsche hat es wahrlich nicht gefehlt. Während die Medienkonzerne zuschauten, wie ihnen Google, Facebook und Co. nicht nur die Butter vom Brot nahmen, sondern auch noch gleich das Brot und den Teller. An den Online-Werbeerträgen in der Schweiz kassieren diese grossen Kraken rund 90 Prozent ab.

Wenn die Einnahmen abschwirren, mach eine Holding

In den schäbigen Rest teilen sich dann die grossen Medienhäuser. Die noch einen weiteren Trick aus dem Ärmel zogen: Die Holdingstruktur mit deutlich getrennten Profitcenters. Ach, der Stellenanzeiger schwirrt mitsamt dem Wohnungsmarkt, überhaupt allen Marktplätzen ins Internet ab? Wunderbar, da kaufen wir uns für teures Geld auch ein paar Plattformen. Aber nein, diese Einkünfte können keineswegs den schwindsüchtigen Newsprodukten zugute kommen, das wäre ja Quersubvention, und aus unerfindlichen Gründen ist Quersubvention ganz schlecht.

Und dann auch noch Corona, jetzt ist’s aber echt furchtbar. Da versorgen die grossen Führungskräfte der Medienhäuser ihre Aston Martins, Bentleys und Jaguars in den Tiefgaragen, zerreissen sich die Kleider und gehen betteln.

Hilfe, kräht der Heizer auf der Elektrolok, ich bin systemrelevant, ich bin die vierte Gewalt, ich kontrolliere die Mächtigen, die Politik, die Regierungen. Und dafür sollen mir eben diese Politiker gefälligst Geld zustecken. Sonst muss ich noch die letzten paar verbliebenen Redaktoren entlassen, und wer schnipselt dann die SDA-Meldungen ins Blatt?

Gemeinsam ans Geld?

Natürlich verlangen sie nicht einfach Geld, sondern Subventionen. Also Geld, aber vornehmer ausgedrückt. Nun weiss eigentlich jeder, dass eine gemeinsame Lobbyarbeit am ehesten zum Ziel führt. Das wissen die Bauern, das weiss die Versicherungsbranche, das weiss Pharma. Das wissen die grossartigen Verleger nicht. Bevor es überhaupt beschlossen ist, ihnen wieder ein Stück Brot hinzuwerfen und sogar etwas Butter draufzuschmieren, liegen sie sich öffentlich in den Haaren.

Subventionen für Online-Medien – oder nicht? Geld für Gratis-Medien – oder nicht? Überproportional viel Subventionen für die wenigen überlebenden kleinen Medienhäuser – oder nicht? Direkte Subventionen, indirekte, und überhaupt? Garantieren die Printzeitungen die Grundversorgung, oder brauchen die Online-Newsportale mehr Geld, weil das die Zukunft ist? Und wie steht’s denn mit den Privat-Radios und TV-Stationen? Sollen die noch mehr kriegen?

Wer die letzte Sparrunde überlebte, ist bei der nächsten dran

Das ganze Geschrei ist begleitet vom Geräusch des Schredders, mit dem durch die Redaktionen gefräst wird. Denn nach der Sparrunde ist vor der Sparrunde, und wer beim letzten Mal noch den Kollegen nebendran verabschiedete, Bedauern heuchelte und froh war, dass es den traf, der ist das nächste Mal selber dran.

Angebot, Nachfrage, wenn der middle man, also der Vermittler zwischen Produzent und Konsument, den Löwenanteil des Profits einsteckt, wäre es vielleicht mal an der Zeit, sich darüber Gedanken zu machen? Das zu ändern? Ach was, zuerst muss das Fell verteilt werden, dann kommt die nächste Sparrunde, und dann schauen wir weiter