Eine flog übers Kuckucksnest

Wo hört Realitätsverweigerung auf und beginnt Schlimmeres?

Lee Atwater, der für Ronald Reagan und George Bush Senior als Spin Doctor tätig war, also als Stratege, der einer Kampagne den richtigen Spin geben soll, sagte: «Perception is reality.» Die Wahrnehmung ist die Wirklichkeit.

Damit beschrieb er das fatale Phänomen, dass wir zwar einigermassen zweckrational in der Lage sind, die Wirklichkeit, so wie sie ist, wahrzunehmen. Aber häufig, ohne Beihilfe von aussen oder mit, halten wir unsere Wahrnehmung für die Wirklichkeit.

Solange dazwischen nur eine partielle oder leichte Abweichung existiert, ist das nicht weiter schlimm. Manchmal sogar hilfreich, wenn hässliche Menschen sich für attraktiv halten, Versager für Gewinner. Dem Selbstbewusstsein zuträglich ist immer, eine Niederlage in einen Sieg umzudeuten.

Ein Beispiel für die Wirklichkeit als Wahnvorstellung

Aber es ist ein gefährlicher Weg; links und rechts lauern Abgründe, und irgendwann fliegt man dann übers Kuckucksnest. Das ist der Titel eines der erfolgreichsten Filme aller Zeiten. Im englischen Original ist das ein Teil eines Kinderabzählreims, der Absurditäten aufeinanderstapelt; hier die, dass Kuckucks bekanntlich keine Nester bauen. Gleichzeitig bedeutet «cuckoo» im US-Slang irre, verrückt.

Ein bedenkliches Beispiel für Wirklichkeit als Wahrnehmung, besser als Wahnvorstellung, war die Berichterstattung über die Berufung von Jolanda Spiess-Hegglin ans Zuger Obergericht. In ihrem erbitterten Streit mit dem Ringier-Verlag. Das Gericht selbst fasste sein Urteil in einer Pressemitteilung mit Sperrfrist zusammen. Die «Berufung von Spiess-Hegglin wird vollumfänglich abgelehnt».

Bezüglich ihrer Forderung nach einer Entschuldigung wird das Gericht noch deutlicher: «Das Obergericht kommt wie schon das Kantonsgericht zum Schluss, dass Jolanda Spiess-Hegglin kein klagbarer Anspruch auf Publikation einer Entschuldigung der Ringier AG zusteht.» Das Obergericht sah zwar auch eine Persönlichkeitsverletzung, kürzte aber die dafür fällige Genugtuung nochmals auf die Hälfte der Vorinstanz. Statt den ursprünglich geforderten 25’000 Franken erhielt Spiess-Hegglin nur 2/5 oder 10’000.

Warum gab es keinen Weiterzug ans Bundesgericht?

Warum das der Medienbüttel von Spiess-Hegglin unter Brechung der Sperrfrist als rauschenden Erfolg beschrieb, hat zumindest mit kompetenter Berichterstattung nichts zu tun. «Jolanda-Spiess-Hegglin gewinnt gegen «Blick»», titelte er. «Vollumfänglich abgelehnt» übersetzt man normalerweise mit Klatsche, verloren, abgeschmettert. Aber mit den Fähigkeiten dieses publizistischen Leiters muss sein Verlag leben, wir nicht.

ZACKBUM.ch wollte von Spiess-Hegglin wissen, warum sie nach dieser Niederlage das Urteil nicht ans Bundesgericht weitergezogen habe. Wäre zumindest logisch und naheliegend. Ihre Antwort ist, gelinde gesagt, irritierend: «Meine Forderung im Berufungsverfahren nach einer Entschuldigung seitens Ringier AG wurde vollumfänglich erfüllt.»

Ähm. Ihre Berufung wurde abgeschmettert. Insbesondere hielt das Gericht fest, dass ihr kein Anspruch auf eine Entschuldigung zusteht. Richtig ist hingegen, dass sich der CEO des Ringier-Verlags nach Kenntnis des Urteils dennoch bei ihr entschuldigte. So wie sich Spiess-Hegglin wortreich bei einem «Weltwoche»-Journalisten entschuldigte, nachdem sie ihn als Favoriten in ihrem «Arschloch-Wettbewerb» bezeichnet hatte.

Das alles hat nun aber mit dem Berufungsverfahren nicht das Geringste zu tun. Zudem wurde auch nicht nach dem Thema Entschuldigung gefragt, sondern nach einer Begründung, wieso die Niederlage nicht appelliert wird.

Der Wunsch, die Wahrnehmung für die Wirklichkeit zu halten

Aber damit nicht genug der Absonderlichkeiten. In ihrer Echokammer auf Twitter, wo sie sich selbst und ihre Hardcore-Anhänger gegenseitig in Realitätsverweigerung überbieten, behauptete Spiess-Hegglin unlängst, «mir flog da etwas in die Hände». Nämlich ausgerechnet ein «Blick»-Artikel, der eine Woche nach der weinseligen Feier erschien.

Er sei «komplett erfunden», behauptet Spiess-Hegglin, die beiden Autoren fragt sie, warum sie denn die im Artikel «aufgestellten Behauptungen nicht verifiziert» hätten. Sie wolle wissen, wer die Journalisten «gezielt mit Lügen versorgt» habe. Der Artikel stütze sich «auf Aussagen von Zuger Kantonsräten, welche anonym bleiben wollten. Sprich: es wurden gezielte Lügen als Tatsachen verkauft.»

Das ist nun schon etwas mehr als der Wunsch, die eigene Wahrnehmung für Wirklichkeit zu halten. Denn der Inhalt dieses Artikels von anno 2014 ist in allen wesentlichen Teilen durch die Einstellungsverfügung in Sachen des mutmasslichen Schänders erstellt. Zudem ist dieser Artikel Bestandteil des Prozesses um Gewinnherausgabe gegen den Ringier-Verlag, den die Anwältin von Spiess-Hegglin losgetreten hat.

Wie steht es mit der Mitverantwortung?

Es ist also schwer vorstellbar, dass der Artikel vom 27. 12. 2014 ihr einfach so vorgestern in die Hände «geflogen» sei. Es ist noch schwerer vorstellbar, dass Spiess-Hegglin nicht weiss, dass sein Inhalt keineswegs «komplett erfunden» ist.

Wenn man all diese Mosaiksteine zusammensetzt, nimmt ein besorgniserregender Realitätsverlust Gestalt an. Eine Mitschuld daran muss man all denjenigen zumessen, die Spiess-Hegglin in ihrer Wahrnehmung der Realität bestätigen und unterstützen. Das kann man inzwischen nur noch als verantwortungslos und grobfahrlässig bezeichnen.

Atasoys Sololauf

Salvador Atasoys «Medientalk» fällt auf, weil er bald die letzte Medienkritik ist. In der aktuellen Ausgabe setzte Atasoy aber zu sehr auf Theoretiker.

Der Medienkritik-Blog vom «Tages-Anzeiger»: auf Eis gelegt. Die Medienseite der «NZZ»: auf der Abschussliste. Die «Medienwoche»: mit immer weniger Beiträgen. «Persönlich»: zu 90 Prozent Verlautbarungstexte der Medienkonzerne, «Kleinreport»: ebenfalls viele Verlautbarungstexte.

Da fällt der «Medientalk» auf SRF 4 News durchaus positiv auf. Die jeweils gut 30-minütige Sendung wird immer am letzten Samstagmorgen im Monat ausgestrahlt, nachher gibt’s ihn als Podcast. Salvador Atasoy ist Produzent, Moderator und wohl auch treibende Kraft innerhalb von SRF für das Format. Es ist sein Sololauf. Entsprechend oft haben immer wieder die üblichen Verdächtigen ihren Auftritt, etwa Hansi Voigt. Trotzdem bringt das Format doch recht häufig spannende Erkenntnisse. Vor einem Monat waren es zwei jungen Journalistinnen, die frisch und scheinbar ohne Angst vor Sanktionen ihrer Arbeitgeber über die Männerdominanz in den Schweizer Redaktionsstuben berichteten. Andrea Fopp, Autorin bei Bajour und Nora Bader, Autorin bei 20 Minuten. Die beiden haben kürzlich das Buch «Frauen Macht Medien» herausgegeben.

Zehn Jahre nach Kurt Imhofs Premiere

Am vergangenen Samstag ging es nun um die neueste Qualitätsstudie MQR 2020. Sie erscheint alle zwei Jahre. Die erste Studie veröffentlichte 2010 der damalige Publizistikwissenschaftler Kurt Imhof (1956-2015). Damals war das Echo in den Medien gross, was sicher auch mit dem charismatischen und streitbaren Auftreten Imhofs zu tun hatte. 2020 ist das anders.

Laut Salvador Atasoy wurde fast gar nicht über die grossangelegte Studie berichtet. Das wollte der «Medientalk» nun nachholen. Doch warum lud Atasoy keinen Praktiker ein? Sagten alle Journalisten der in der Studie kritisierten Verlage «Tages-Anzeiger» und «CH Media» ab?

Zu Wort kamen bei Atasoy lediglich der eher farblose Wissenschaftler Daniel Vogler vom fög (Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich), sowie der ehemalige Journalist und heutige PR-Manager Andreas Durisch (Dynamics Group) vom herausgebenden Stifterverein. Die Einschätzung von Vogler und Durisch: Medien nutzen die Ergebnisse fürs eigene Marketing – wenn sie gut abgeschnitten haben. So habe Blick online das Ergebnis freudig vermeldet. Bei CH Media (mit der Aargauer Zeitung) und der TX Group (mit dem Tages-Anzeiger) wurde nichts vermeldet, was für Durisch «bedauerlich» ist. Durisch hat noch etwas beobachtet: «Die Medienberichterstattung ist total zurück gegangen.» Für Durisch einer der Gründe: «Medienjournalisten müssen die Hauspolitik des Verlags vertreten.» Darum nehme sie viel weniger Platz ein als früher. Das trifft sich mit der eingangs formulierten Beobachtung von ZACKBUM.ch. Die Medienkritik bekommt immer weniger Raum.

Boulevardisierung bei der Regionalberichterstattung

Und wo können die Verlage noch mehr sparen? Das Potenzial liege in der Regionalberichterstattung. Sie werde ausgedünnt und es erfolge eine Boulevardisierung. Grund: Unfälle und Verbrechen generieren viel Klicks, was bei der Strategie «online first» entscheidend sei.  Berichte über KMU’s und die regionale Politik laufen viel weniger. Zudem werden die Redaktionen weiter zentralisiert und Aussenstellen abgebaut, findet Andreas Durisch.

Damit bleibt auch weiterhin genügend Arbeit, um in zwei Jahren wieder eine Qualitätsstudie herauszugeben.

Der Umkehrschluss: Nicht Online ist besser geworden, sondern der Print schlechter

Zum Schluss noch dies: Eine der Hauptaussagen der Qualitätsstudie MQR 2020 ist, dass die Online-Medien mittlerweile so gut sind wie ihr Pendant im Print. «Ein grosser Schritt, denn bisher schnitt Online immer schlechter ab wie Print», so die Studie. Kurt Imhof selig würde nun nach kurz-legendärem Kichern sagen: «Man könnte die Studie auch anders interpretieren. Der Print ist so viel schlechter geworden, dass er sich dem Online angepasst hat». Dann würde nochmals sein diebisches Kichern folgen. Hier zu Ehren von Kurt Imhof der Link zu einer Trauerrede an seiner Beerdigung am 6. März 2015.

Die 3 Todesfallen im seriösen Journalismus

Todesfalle Nr. 1: Fake News. Nr. 2: die Quelle. Nr. 3: die haltlose Behauptung.

Journalismus ist in erster Linie Vertrauenssache. Und Vertrauen bekommt man nicht einfach mit der Bezahlung des Kaufpreises eines Medienprodukts frei Haus mitgeliefert.

Vertrauen muss man sich erarbeiten. Wieder und wieder. Immer. Denn nur der Leser oder Konsument, der seiner Nachrichtenquelle vertraut, sieht ihre Bezahlung als sinnvolle Ausgabe an. Selbst wenn er nur mit seiner Attention und ein paar Daten bezahlt.

Denn der stillschweigende Kontrakt zwischen Konsument und Produzent ist: Der Produzent liefert nach bestem Wissen und Gewissen und unter Beachtung journalistischer Grundregeln erstellte Artikel ab. Dabei bemüht er sich so weit wie möglich, den Bericht vom Kommentar, von der Einfärbung durch Meinung, zu trennen. Denn der Journalist hat gegenüber dem Konsumenten einen unschlagbaren Vorteil: Er war am Ort eines Geschehens. Er hat mit Menschen gesprochen, er durchdringt Zusammenhänge.

Andere Darstellung, andere Wirklichkeit: Vertrauensverlust

Er liefert auch die Zusammenfassung, die Verdichtung eines umfangreichen Vorgangs. Exemplarisch bei Gerichtsverfahren. Die dauern oft lange, spielen sich nach dem Laien nur teilweise verständlichen Regeln ab.

Besonders hier muss der Rezipient auf die Fähigkeit des Journalisten vertrauen, eine korrekte Zusammenfassung des Ausgangs eines Verfahrens zu liefern. Wenn also Journalist X schreibt, dass die Partei Y auch in einem Berufungsverfahren gesiegt, Recht bekommen habe, dann muss das so sein. Wozu sollte der Konsument – dafür bezahlt er ja – selber das Gerichtsurteil nachlesen oder nach der Pressemitteilung des Gerichts suchen.

Gift für dieses Vertrauensverhältnis ist aber, wenn sogar ein publizistischer Leiter vom siegreichen Ausgang eines Prozesses für die Partei Y schreibt, während in der Pressemitteilung schwarz auf weiss steht: Im Urteil weist das Gericht die Berufung der Partei Y vollumfänglich ab.

Fake News sind Gift fürs Vertrauen

Das sind dann sogenannte Fake News, alternative Wahrheiten, oder auf gut Deutsch: da wird gelogen wie gedruckt. Schlimmer noch: Der Konsument eines Medienorgans ist im Allgemeinen ein treuer Mensch. Er hat seine lieben Gewohnheiten, und die lässt er sich auch durch höhere Preise für magereres Angebot nicht so schnell vermiesen. Stellt er aber fest, dass er da und dort brandschwarz beschummelt wurde, dann verliert er recht schnell das Vertrauen – und ist dann mal weg.

Die zweite Todesfalle sind die Quellen. Normalerweise gilt auch in der Berichterstattung, dass der Urheber einer Aussage mit seinem Namen dazu steht. Nun gibt es natürlich Fälle, in denen das aus den verschiedensten Gründen nicht möglich ist. Dem Urheber könnten berufliche, persönliche, gesellschaftliche Nachteile drohen. Er könnte sogar an Leib und Leben bedroht werden. In solchen Fällen operiert der Journalismus mit der «Quelle». Genauer: mit der «mit der Sache befassten», mit der «vertrauenswürdigen» Quelle.

Saubere und schmutzige Quellen

Noch besser natürlich: mit «zwei voneinander unabhängigen Quellen», die übereinstimmend A gesagt haben. Das Gleiche gilt auch für Dokumente. Die Geschäftsgrundlage bei all den sogenannten Leaks, also dem Diebstahl von Geschäftsunterlagen, ist immer, dass die Quelle anonym bleibt. Verständlich, sie hat ja einen Gesetzesverstoss begangen. Problematisch, denn weder der Leser noch der Ausschlachter solcher Leaks weiss, aus welchen Motiven diese Unterlagen den Medien zugespielt wurden. Und ob sie vorher frisiert wurden.

Auch bei den anonymen Quellen von Aussagen muss der Konsument dem News-Produzenten vertrauen, dass es diese Quellen tatsächlich gibt, ihre Angaben so weit wie möglich überprüft wurden, und dass «wie wir aus einer gut unterrichteten Quelle erfahren» nicht einfach der Euphemismus ist für: Es wird ein Gerücht herumgeboten, dass gerade gut in den Kram des Newsproduzenten passt.

Denn er kann sich dabei auf seinen rechtlich garantierten Quellenschutz berufen; sich also weigern, die Identität seiner Quelle zu enthüllen. Das entbindet ihn aber nicht davon, den Wahrheitsbeweis für Behauptungen antreten zu müssen. Meine Quelle M hat mir plausibel versichert, dass K ein Betrüger und Krimineller ist, genügt natürlich nicht.

So nötig Quellenschutz auch sein mag, angesichts des zunehmenden Misstrauens gegenüber dem Realitätsgehalt von Berichten lässt die Verwendung von «Quellen» das Vertrauen in den Wahrheitsgehalt eines Artikels abschmelzen.

Unbewiesene Behauptungen: Quittung Vertrauensverlust

Todesfalle 3 ist die Behauptung. X hat das gemacht, Y hat das gesagt, Z hat dieses entschieden. Das einfach mal so rauszuhauen, stellt eine ewige Versuchung im Journalismus dar. Ein Ressorleiter hat ein Buch in Auftrag gegeben, der Chefredaktor und der Verleger distanzieren sich davon.

Das ist eine Traum-News, wenn man die exklusiv hat. Die hat man allerdings nur deswegen exklusiv, weil man es einfach behauptet. Denn das grosse Hindernis, manchmal sogar unüberwindbar, ist die sogenannte Möglichkeit zur Stellungnahme. Die Konfrontation des oder der Betroffenen mit solchen Behauptungen.

Das kann Ärger und Ungemach geben. Ärger, wenn der Konfrontierte einfach bestreitet, so etwas getan oder gesagt zu haben. Ungemach, wenn der Konfrontierte noch zusätzlich mit dem Kadi winkt, sollte die Behauptung dennoch aufgestellt werden. All das kann man natürlich vermeiden, indem man auf diesen lästigen Umweg verzichtet und die News mal raushaut.

Einfallslos mal raushauen

So wie beim modernen, einfallslosen Eishockey: Den Puck einfach ins gegnerische Drittel dreschen, und dann weiterschauen. Sollte die Behauptung tatsächlich nicht stimmen, dann kann man ja immer noch in Verhandlungen eintreten, den Beitrag elektronisch löschen, eine Gegendarstellung einrücken oder im schlimmsten Fall sich sogar dafür entschuldigen.

Das ist besonders widerlich, wenn es nach der Devise geschieht: Lass die Kacke mal fliegen, etwas hängen bleibt immer. Jeder, der schon einmal von solch üblem Journalismus selber betroffen war, weiss: Es ist einfach widerlich. Wehrt man sich, hält man das Thema am Köcheln. Wehrt man sich nicht, bleibt irgendein Unfug so stehen und wird irgendwann mal gegen einen verwendet.

Aber auch hier gilt: Bemerkt das der Konsument, bemerkt er zudem, dass es sich nicht um einen einmaligen Ausrutscher handelt, dann verliert er auch hier das Vertrauen in das Medium.

Drei Schläge, und du bist raus

In den USA gibt es die schöne Regel: three strikes – and you’re out. Vom Baseball auf Straftaten übertragen: Beim dritten Verbrechen wirst du lebenslänglich aus dem Verkehr gezogen. Das gilt auch für die Medien. Wer Schlag für Schlag das Vertrauen seiner zahlenden Kundschaft verspielt, der ist dann mal draussen. Erledigt. Eingegangen. Worum es dann auch nicht schade ist.

Ex-Press VII

Blasen aus dem Mediensumpf.

 

«Watsons» partielle Welt-Analysen

Neben 18 Fotos über Jagen, «die dich schmunzeln lassen», neben «Prostata-Probleme beenden», aber hoppla, das ist ja eine zielgruppengerechte Werbung im Jugendportal «watson», gibt es auch ernst gemeinte «Analysen». In einer erschüttert «watson», die Weltzentrale der lustigen Listicles, seine Leser, Europa, ja die ganze Welt mit der Erkenntnis: «Die EU will das Flüchtlingsproblem lösen – das dürfte schwierig werden». Also prägnanter lässt sich das wirklich nicht auf den Punkt bringen; Chapeau vor dieser Geistesanstrengung.

Geht da noch einer? Aber immer, natürlich gibt es auch eine «Analyse» zur «Arena»-Debatte, bei der die «Klimajungend» feige gekniffen hat. Besonders fasziniert hat den Analytiker von «watson» ein «Ex-Lehrer», der den inhaltsschweren und daher unsterblichen und von den Griechen überlieferten Satz in die Runde warf: «Jugendliche sind halt frech.» Über diese Erkenntnis hat Platon sein halbes Leben gebrütet.

Ich hätte da auch einen alten Griechen, Sokrates soll gesagt haben: «Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte.» Ausserdem tyrannisiere sie die Lehrer.

Dabei wandelte Sokrates nicht mal über den Bundesplatz zu Bern. Erkannt hätte ihn sowieso keiner. Was allerdings dem «watson»-Analysten verblüffend gut gelingt, ist eine partielle Mattscheibe. Er verteilt mehr oder minder gerecht Lob und Tadel auf drei Teilnehmer an der Diskussion, der zugeschaltete Berner Stapi wird für seine Fake News von «watson» milde gerügt, dass man halt vorher von nichts gewusst habe.

Fehlt da nicht was? Richtig; offensichtlich fand man es bei «watson» lustig, die Solidarität mit der abwesenden «Klimajugend» so zu zeigen, dass Roger Köppel in dieser Analyse nicht vorkommt. Selten so gelacht, seitdem in absolutistischen Regimes in Ungnade gefallene Prominente einfach aus Fotos und Dokumenten geschnitten wurden.

Nein, das taten nicht die alten Griechen. Aber Stalin und seine Brüder im Geist. Man fragt sich wirklich, wieso die Familie Wanner mit dieser Blöd-Plattform ihr Geld verröstet. Aber immerhin, spricht für die Intelligenz der Leser, einem einzigen Kommentator fiel das Fehlen Köppels in dieser «Analyse» auf.

 

Ferientage sind Chaostage

Der «Blick» versucht, den Überblick zu behalten. Wohin kann man in den Herbstferien noch reisen? Wohin kann man zwar reisen, muss dann aber in Quarantäne? Und vor allem: Wohin konnte man gestern noch reisen, heute aber nicht mehr oder neu mit Quarantäne?

Umbuchen, stornieren, zurückbezahlen. Airlines, Reiseveranstalter und Reisebüros drehen im roten Bereich, weil der Versuch, eine Linie im Walten und Wüten von BAG und Bundesrat zu erkennen, dem Versuch gleicht, einen Pudding an die Wand zu nageln. Schön wenigstens, dass die NZZ sich mit sonorer Stimme und mit ihrem neuen «Chefökonom» zu Wort meldet: «Die Corona-Krise hat gezeigt, wie wichtig es ist, dass Ökonomen Kosten- und Effizienzüberlegungen in die politische Debatte einbringen und auf Anreiz- und Verteilungswirkungen hinweisen.»

Mein Gott, Walter, könnte man das nicht einfacher sagen? Hundert Milliarden Franken Schaden und Gratisgeld für alle, kann das gutgehen?

 

Meinungspluralismus

Die «massivst» dümmliche Klimajugend lehnte die Teilnahme an der «Arena» ab, die natürlich dennoch mit Roger Köppel stattfand. Ein gewichtiger Anlass für die Medien, über Debattenkultur und anderes nachzudenken. In der gebotenen Breite und Vielfalt.

«Steht die grüne Gesinnung über dem Rechtsstaat?» Mit dieser TV-Kritik erfreute das Haus Tamedia seine Leser. In seinen 17 Kopfblättern und angeschlossenen Tageszeitungen gleichlautend. «Klima-Besetzer kneifen in der «Arena»», mit dieser sprachlich etwas gewagten Formulierung bestreut CH Media die Schweiz. Gleich 20 mal.

Abseits stehen natürlich nur «Blick» und NZZ. Sowie ein paar versprengte Lokalzeitungen. Gerade bei solchen Themen zeigt sich erschreckend, wie ungesund es ist, dass in Basel, Bern und Zürich, in Zug, Luzern, Aarau und St. Gallen, dass eigentlich überall die gleiche Meinung, die gleiche Sosse in die Tagespresse gegossen wird.

 

Wir sind alle Täter

Nicht gewusst? Sie meinen, weil Sie keinen Mohrenkopf und keinen Uncle Ben’s Reis essen, kämen Sie davon? Das sieht der grosse Schweizer Kämpfer gegen die Sklaverei – und ihre Folgen – ganz anders: «Grundsätzlich sollen die Nachkommensgesellschaften der Sklaven von den Nachkommensgesellschaften der Täter und Profiteure entschädigt werden», fordert der Historiker Hans Fässler in der WoZ.

Eigentlich lustig, meine ich als Historiker, dass es Kollegen gibt, die noch im 21. Jahrhundert von einem fundamentalistischen, durch die Geschichte unveränderlichen Menschenbild ausgehen, der heute, gestern und durch alle Zeiten die gleichen Massstäbe, Denkgerüste, Vorstellungen benützt wie heute.

Ganz abgesehen davon, dass sich nicht nur die Nachkommensgesellschaften der Sklaven am Sklavenhandel beteiligten und bis heute nachwirkende Vermögen durch den Verkauf ihrer Landsleute begründeten.

Näherliegend fände ich, dass gerade in der Schweiz die Nachkommensgesellschaft der alleine politisch bestimmenden Männer der Nachkommensgesellschaft der bis 1971 bestimmten Frauen eine Wiedergutmachung leistet. Mindestens verbal: «Guten Abend, Schatz, übrigens Entschuldigung. Und holst du mir mal ein Bier und die Fernbedienung?»

 

 

 

Coop- und Migrosmagazin im Visier

Kurt W. Zimmermann analysiert die Magazine von Coop und Migros. Zwei Tage später zieht Lucien Scherrer von der NZZ übers Migrosmagazin her. Beide treffen nicht ins Schwarze.

Doch beide scheint das sich schon früh abzeichnende Ja zur Vaterschaftsurlaubs-Vorlage zu nerven. Denn sowohl Kurt W. Zimmermann (Weltwoche) wie auch Lucien Scherrer (NZZ) äusserten recht energisch ihren Missmut darüber, wie im Werbemagazin von Migros Bundesrat Alain Berset (SP) Werbung für ein Ja zu mehr Papizeit machen konnte.

Zimmermann doziert in seiner Kolumne zudem, wie gut es den beiden Magazinen von Coop und Migros gehe. Kein Wunder: das Migros Magazin habe gegen 1,6 Millionen Auflage pro Woche und erreiche 2,2 Millionen Leser. «Die Auflage liegt damit eine halbe Million höher als die Auflage aller Abo-Zeitungen zusammen, von Blick bis NZZ». Noch eine Spur grösser sei die Coop-Zeitung mit einer wöchentlichen Auflage von über 1,8 Millionen Exemplaren und 2,4 Millionen Lesern. Zimmermann: «Es gibt wenig Direktiven von oben, sagt man auf den Redaktionen. Sparübungen gab es nie.» Und noch ein Bonmot von Zimmermann: «Sie werden nicht, wie bei Kundenmagazinen üblich, gratis im Laden aufgelegt, sondern per Post in die Briefkästen geliefert.»

Nach Jürg Peritz ging’s bergab

Recht hat Zimmermann bei den Auflagen und Reichweiten. Aber gespart wurde in den beiden Redaktionen, obwohl es dort laut Zimmermann ist «wie in den goldenen Zeiten». Die Coop-Zeitung ist seit der Pensionierung von  Coop-Vizechef und Marketing-Leiter Jürg Peritz nur noch ein Schatten ihrer selbst. Eigenwerbung noch und noch, der Chefredaktor Silvan Grütter beugt sich dem Kommerz. Das lernte er als vorheriger Leiter des Ressorts Unterhaltung bei der Schweizer Illustrierten (2012-2017) zur Genüge.

Beim Migros-Magazin ist der journalistische Kompetenzverlust nicht ganz so gross. Aber auch dort verliessen nach einer gewissen Aufbruchstimmung vor einigen Jahren mehrere kultur- und politikaffine Journalisten das Blatt. Inhaltlich ist es immer noch um Welten besser als das Coop-Pendant.

Überhaupt kommen die dicken Werbehefte nicht mehr so gut an wie vor Jahren. Denn oft quillen sie vor Werbebeilagen über. Damit versuchen Coop und Migros, die vielen Haushaltungen mit einem Stopp-Werbe-Kleber zu umgehen. Das Resultat sind saure Kunden, die zum Aldi oder Lidl abwandern. Nun haben Coop und Migros angefangen, ihr Magazin in den Läden aufzulegen. Aber das scheint Zimmermann nicht bemerkt zu haben.

Inspiration, Schulterzucken?

Nun zu Lucien Scherrer, dem neuen Medienjournalisten der NZZ. Scherrer hat mit seiner Kolumne als Nachfolger von NZZ-Medien-Doyen Rainer Stadler eine spezielle Ansage gemacht. Unklar ist, ob er sich für seine Samstagskolumne in der NZZ von der zwei Tage zuvor erschienenen Weltwoche inspirieren liess oder ob er einfach mit den Schultern zuckte. Nach dem Motto: Gleiches Thema, aber andere Zeitung. Also egal.

Unterschätzte Blocherzeitungen

Auffallend ist, wie Scherrer stärker aufs Migrosmagazin eindrischt und auch an Bundesrat Berset kein gutes Haar lässt. Dass er noch den Quervergleich zu Blochers Gratiszeitungen wagt, ist eher verunglückt. Natürlich ist die Reichweite der beiden Magazine von Coop und Migros grösser. Aber im Lokalen, sei es die Politik oder die Kultur, baut Blocher seinen Einfluss je länger je mehr aus. Vor allem, seit die grossen Medienhäuser auch dort sparen.

Lucien Scherrer tut der NZZ-Medienseite mit seiner rechtsbürgerlichen Färbung keinen Gefallen. Gefragt wäre nach wie vor eine ausgewogene Einschätzung, so wie dies Stadler Jahrzehnte schaffte. Doch Stadler hatte eben seinen Letzten bei der NZZ. Der 62-Jährige war der NZZ offensichtlich nicht mehr genehm. Der Start des Nachfolgers geriet nicht ideal.

In einer ersten Version  behauptete der Autor, Alan Berset sei neben dem Migros-Magazin auch in der Coop-Zeitung zu Wort gekommen. Das stimmt nicht. Dafür bittet der Autor um Entschuldigung.

Kindisch-arrogante Dialogverweigerung

Reden wir mal drüber? Nicht mit der Klimajugend.

Es war schon immer das Privileg von Autokraten und Diktatoren, von vermeintlich unangreifbaren Autoritäten, die Debatte zu verweigern.

Das chinesische Regime will keinen Dialog mit Dissidenten. Der weissrussische Autokrat Lukaschenko will keinen Dialog mit den Demonstranten gegen seine manipulierte Wiederwahl.

Damit soll die andere Seite nicht aufgewertet, nicht anerkannt, ihr Legitimität abgesprochen werden. Denn Regimes und Autokraten haben Angst vor dem freien Wort, vor der Debatte.

Alle Heilslehren, Religionen, hermetisch geschlossene Ideologien haben Angst vor der Debatte. Im Islam ist das bis heute unmöglich; die christliche Kirche musste dazu gezwungen werden, auf Zweifel und Gegenargumente nicht mit der Inquisition zu reagieren.

Nur im offenen Widerstreit der Argumente ist Erkenntnisgewinn möglich

Natürlich ist die Freiheit der Debatte nicht grenzenlos; sie braucht Regeln, die Teilnehmer müssen geschützt sein. Aber es gehört zu den fundamentalen Vorteilen unserer zivilisierten Gesellschaftsform, auf dieser kleinen Insel des offenen Streitens, dass Konsens herrscht: nur im Widerstreit der Meinungen ist Erkenntnisgewinn möglich.

In hermetisch geschlossenen Systemen, in Autokratien, in absolutistischen Regimes wird dekretiert, worüber debattiert werden darf – und worüber nicht. In fundamentalistischen Glaubensgebäuden gilt Zweifel als blasphemisch, der sogar mit dem Tod bestraft werden muss.

Offenes Streiten über alles ist nur in einigen Staaten Europas, in den USA, in wenigen Staaten Asiens, nirgendwo in Afrika oder Lateinamerika möglich. In zu vielen Ländern der Erde riskiert der Vertreter einer unliebsamen Meinung, dass er zensiert, boykottiert, bedrängt wird. Schlimmer noch, dass er bedroht wird, Nachteile in Kauf nehmen muss. Vielleicht sogar sein Leben verliert.

Kleine Inseln der Glückseligen im Meer der Intoleranz

Wir leben hier in der Schweiz auf einer der wenigen Inseln der Glückseligen, wo im Rahmen des Anstands und der Gesetze ein offener Meinungsstreit nicht nur möglich ist, sondern auch eine lange Tradition hat. In jeder Form.

Eine dieser Formen ist das Streitgespräch in der Öffentlichkeit. Auf Podien, in Sälen oder vor Mikrophonen und Kameras. Die einzige Sendung des Schweizer Fernsehens, die eine solche Streitkultur pflegen will, ist die «Arena».

Man kann, was dort stattfindet, als Schaukampf kritisieren, bemängeln, dass es nur rhetorische Spiegelfechterei sei, dass man sich nicht zuhöre, sondern jeder Teilnehmer nur möglichst viel Redezeit für sich erobern will. Auch diese Meinungen kann man frei äussern.

Wir sprechen gerne mit allen, nur mit dem nicht

Nun überrascht das «Kommunikationsteam des #RiseUpForChange» damit, dass es «sehr gerne auch mit Menschen spricht, welche unterschiedliche Ansichten haben». Allerdings bestimmt es selbstherrlich, mit wem es nicht spricht. Denn die Redaktion der «Arena» bestehe doch tatsächlich «auf der Einladung Roger Köppels».

Eine Unverschämtheit für das «Kommunikationsteam», denn «Roger Köppel und seine Zeitung hetzen seit Beginn der Klimastreiks massivst gegen Klimastreikende». Daher habe man «einstimmig beschlossen, die Einladung zur SRF Arena nicht anzunehmen».

Genauer gesagt: Die Teilnahme zurückzuziehen, nachdem man offensichtlich mit dem Erpressungsversuch scheiterte, nur aufzutreten, wenn Köppel nicht dabei ist. Das ist so unverfroren und unerhört, dass man es kurz abschmecken muss.

Wenn die Massstäbe völlig verrutschen

Die gleichen Vertreter einer Bewegung, die die Toleranz der Gesellschaft aufs «massivste» strapazierten, indem sie ein Lager auf dem Bundesplatz vor dem Schweizer Parlament aufschlugen, das trotz klarem Gesetzesverstoss von der Berner Regierung toleriert wurde, wollen die Teilnahme eines missliebigen Kontrahenten in einer Debatte nicht tolerieren.

Dabei haben sie sich offensichtlich verschätzt und überhoben, indem sie meinten, mit ihrer Drohung, der Debatte fernzubleiben, könnten sie Köppel ausladen, obwohl ihnen weder seine Einladung noch seine Ausladung zusteht.

Die Begründung fürs Schmollen ist aberwitzig: Köppel leugne oder relativiere die Existenz des menschengemachten Klimawandels. «Dieser ist wissenschaftlicher Konsens und kann nicht zur Debatte stehen.»

Die Klimajugend will bestimmen, was debattiert werden darf

Das erinnert an die absolute Arroganz der Kirche, die Galileo Galilei mit dem Zeigen der Folterinstrumente klar machte, dass die Erde eine Scheibe sei und unverrückbar im Zentrum des Universums stünde. Das sei wissenschaftlicher Konsens und könne natürlich nicht zur Debatte stehen.

Nun hat Köppel vielleicht nicht das Format eines Galileis. Aber ein paar erregte Jugendliche haben noch viel weniger das Format oder die Autorität, darüber zu entscheiden, was zur Debatte stehen darf und was nicht.

Man könnte nun Milde walten lassen und verständnisvoll darüber hinwegsehen, dass ein paar Idioten in jugendlichem Ungestüm noch keine Ahnung haben, was Meinungsfreiheit und Toleranz bedeuten. Unheimlich wird es aber, wenn ein Krisenkommunikationsberater wie Mark Balsiger Wind in eigener Sache macht, indem er per unverlangter Ferndiagnose schon vor der Debatte weiss, dass Köppels «Teilnahme in der Sendung nichts» bringe.

Ein Krisenkommunikator als Krise in eigener Sache

Wer solchen Unsinn verzapft, ist selber die Krise, die er kommunikativ zu bewältigen verspricht. Es mag durchaus zweifelhaft, gar falsch sein, unsinnig, unwissenschaftlich, hanebüchen, was Roger Köppel oder andere Autoren der «Weltwoche» über Klimaveränderung sagen.

Aber selbst wenn das so ist: Das ist ein laues Lüftchen im Vergleich zu dieser arroganten Borniertheit, in einer Debatte bestimmen zu wollen, wer mit welchen Meinungen daran teilnehmen darf – und wer nicht.

Selbstverständlich findet die «Arena» unter Teilnahme von Roger Köppel statt, und das ist gut so. Die Klimajugend hat sich hingegen als ein dummer Haufen von trotzenden Rotznasen entlarvt. Erstaunlich höchstens, dass diese «Kollektiv» auch für Greenpeace spricht. Dieser Organisation konnte man bislang eine gewisse Vernunft nicht absprechen.

Aber hier ballt sich eine üble Mischung aus geschichtsvergessener Dummheit, Borniertheit und Rechthaberei zusammen. Von Menschen, die vergessen haben – oder nie wussten –, wie kostbar das Gut der freien Debatte ist, und mit wie vielen Opfern es erkämpft werden musste.

Deshalb dürfen nur weit gefasste Gesetze, so wie in der Schweiz, die freie Meinungsäusserung beschneiden. Niemals selbsternannte «Kommunikationsteams» von Kommunikationsverweigerern.

Staatliche Medienförderung

Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.

Wie haben wir gelacht über die sozialistische Presse. «Prawda», «Neues Deutschland», «Granma» und wie sie alle heissen. Wenn das Modewort vom «Branded Content» wo zutrifft, dann bei diesen Blättern.

Immerhin machten sie aus ihrer Parteilichkeit kein Hehl; tapfer identifizierten sie sich als Zentralorgane der jeweils herrschenden kommunistischen Partei. Also sahen sie sich als staatstragend an, solange der Staat noch von der KP beherrscht wurde.

Das bedeutete, dass am weisen Ratschluss und dem Führungsanspruch der fortschrittlichsten Parteien auf diesem Planeten, unter deren Anleitung ihre Völker direkt ins irdische Paradies schlendern, kein Zweifel aufkommen durfte.

Nachrichten aus der heilen Welt

Pläne waren dazu da, übererfüllt zu werden. Invasionen waren dazu da, Völker vom imperialistischen Joch zu befreien. Aufrüstung war dazu da, die Friedensliebhaber gegen Aggressoren zu beschützen. Ach ja, und sozialistische Wahlen legten alle paar Jahre den Beweis ab, dass nur im Sozialismus eine echte Vertretung der Volksinteressen per Wahl möglich ist.

Das alles funktionierte so wunderprächtig, dass eigentlich immer die Wahlergebnisse schon von Vornherein vorhergesagt werden konnten. Zumindest, was die beiden Stellen vor dem Komma betrifft. Das waren immer alle Neune.

Nur Nordkorea blieb es allerdings bislang vorbehalten, auch Resultate vorweisen zu können, die schlichtweg nicht zu überbieten sind: 100 Prozent Zustimmung. Was will man mehr? Okay, das nächste Mal vielleicht 127,5 Prozent, wenn man wünschen darf.

Das vernichtende Urteil über diese Art Medien

Gegängelt, zensuriert, realitätsfern, gefiltert und voller Lügen, Beschönigungen, Auslassungen. So lautete das vernichtende Urteil über diese Staatsmedien. Prostitution, Korruption, Inkompetenz, Kriminalität, Machmissbrauch? Also bitte, solche üblen Vorkommnisse gibt’s doch nur im Spätkapitalismus kurz vor seinem Ende.

Gut, diese Zeiten sind doch eigentlich vorbei; nicht wahr? Ja, in den meisten Ländern des ehemaligen sozialistischen Lagers schon. Aber wie steht es denn in der Schweiz? Was für eine Frage, hier herrscht Meinungsfreiheit, hier erscheint eine freie Presse.

Ach ja? Es ist tatsächlich so, dass die Zeiten der zumindest parteinahen Zeitungen vorbei ist. Mit der typischen Unfähigkeit, die Genossen als Unternehmer auszeichnet, wurde der AZ-Zeitungsverbund gegen die Wand gefahren. Selbst der «Walliser Bote» würde sich nicht unbedingt als CVP-Zentralorgan verstehen, und bei der NZZ könnte man höchstens noch von einer gewissen FDP-Nähe sprechen.

Will man den grossen Elefanten ignorieren?

So weit, so gut. Aber so zu tun, als ob es keine staatsnahen Medien in der Schweiz gäbe, hiesse, den grossen Elefanten mitten im Raum zu ignorieren. Der trägt den Namen SRF. Lassen wir die Debatte, ob das ein mit Zwangsgebühren finanzierter Staatsfunk ist oder ein gebührenfinanzierter Service publique. Grosse Staatsferne kann man SRF auf jeden Fall nicht vorwerfen.

Bislang ist es SRF auch gelungen, heimische Vollprogramm-Privat-TV-Stationen plattzumachen. Ausser CH Media setzt zurzeit niemand auf ernstgemeinte Versuche, mit TV-Programmen und Lokal-Radios gegen SRF in den Kampf zu ziehen.

Das faktische Monopol von SRF wird auch kaum mehr kritisiert, seitdem auch private Verleger ein paar Brosamen aus dem grossen Gebührentopf bekommen. Alles, was noch vor einigen Jahren als multimediale Multichannel-Lösungen hochgejubelt wurde, ist still und leise zu Grabe getragen. Nur Ringier versucht gerade, mit Internet-TV mit Nachrichten unter dem Brand «Blick» ein Scheibchen vom Kanal bewegtes Bild abzuschneiden.

Die privaten Verleger kauen auf den Zückerchen

Ansonsten wurden die Privatverleger mit Zückerchen bei der Frühzustellung bei Laune gehalten, ausserdem waren sie – Stichwort Admeira – auch intensiv mit sich selbst beschäftigt. Aber dann war Pandemie, und das übliche Wehklagen schwoll zum lautstarken Gejammer an. Nun sei staatliche Unterstützung aber dringend geboten.

Rechtzeitig wurden wieder die salbungsvollen Worte von Vierter Gewalt, unabdingbar in einer funktionierenden, direkten Demokratie, Wächteramt, usw. abgestaubt und ins Schaufenster gestellt. Und es sieht ganz danach aus, als ob der Staat ein Einsehen hätte und das Füllhorn milder Gaben umfangreicher über Privat-Medien ausschütten wird.

Wie sich das dann mit kritischer Distanz zur Hand, die die Medien füttert, entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Dass ständig kräftig reingebissen wird, ist eher nicht anzunehmen. Die völlig unkritische Distanz zu den drakonischen COVID-19-Massnahmen der Regierung lässt nichts Gutes ahnen.

Und übersehen dabei, wohin der Elefant sich bewegt

Verblüffend ist aber eine ganz andere Entwicklung. Seit es online gibt, haben alle privaten Medienkonzerne erbittert darum gekämpft, dass SRF mit seinem Internet-Auftritt ja nicht die anderen News-Anbieter konkurrenzieren dürfe. 1000 Zeichen pro Beitrag maximal, ja keine Webauftritt, der gratis anbietet, woran die Verlage verdienen wollen. Das war der Schlachtruf über lange Zeit; jeder zaghafte Versuch von SRF, online zu punkten, wurde mit so lautem Geschrei kritisiert, dass man sogar vibrierende Halszäpfchen sah.

Aber, Wunder über Wunder, gerade hat die neue SRF-Direktorin – neben Einsparungen – angekündigt, dass der neue Schlachtruf «Digital first» heisse. Sieht man irgendwo ein Halszäpfchen? Nein.

Auch SRF müsse sich nach der Decke strecken, meint Nathalie Wappler, die neue eiserne Lady des Schweizer Farbfernsehens. Daher müsse man, geradezu machiavelistisch argumentiert, den Konsumenten dort abholen, wo er sei, um den Auftrag eines Service publique erfüllen zu können.

Und der Konsument ist heutzutage halt online, der Zuschauer mit der Fernbedienung in der Hand und der Zuhörer draussen im Lande vor dem Radioapparat, die Sendungen dann über sich ergehen lassen, wenn sie ausgestrahlt werden, dieses Publikum stirbt langsam aus.

Alles digital, was will man machen

Heute ist eben alles digital. Natürlich nicht nur Ton und Bewegtbild. Gerade im Nachrichtenteil muss der Konsument auch mit Buchstaben auf dem Laufenden gehalten werden. Also genau damit, womit die Medienkonzerne weiterhin verzweifelt Geld zu verdienen versuchen. Deshalb haben sie sicherlich schon die Pferde gesattelt, schwingen Morgensterne und Hellebarden, um gegen diesen neuen Versuch, ihnen das Wasser abzugraben, anzukämpfen.

Nein, verblüffenderweise ist Ruhe. Vielleicht werden alle Kräfte absorbiert, um den eigenen Verlag in eine möglichst günstige Position zu manövrieren, wenn es dann Subentions-Guetzli regnet. Dass so der Staat mit einer Hand gibt, mit der anderen wegnimmt, das zu kapieren übersteigt offenbar das Erkenntnisvermögen der Verlagsmanager.

Statt sich um Strategien in die Zukunft zu kümmern, verkünden sie lieber eine Sparrunde nach der anderen. Um die Forderungen nach Subventionen zu unterfüttern. Und ich dachte immer, führende Banker seien einzigartig in ihrer Unfähigkeit.

Branded Content: angebrannter Quark

Werbung at its worst. Mal’s hübsch an und sag’s auf Englisch.

Es gibt eine banale Frage, bei der jeder Content Creator erblasst, jeder Social Media Manager erzittert. Sie lautet: Welchen Return on Investment gibt es eigentlich pro Franken, der in diesen Unsinn investiert wird?

Social First Mindset, authentisch, interagieren, echt, Haltung, relevant, Social Campaining, die Jungen dort abholen, wo sie sind, multichannel, Story Telling, Echtzeit, viral, off und online, Gold Members, Community Building, Branded Content. Keywords und Buzzwords, you know.

Ständige Optimierung, call to action, den User ernst nehmen, Shitstorms vermeiden, das Produkt emotional machen, echt, Begleiter, Ratgeber, Nutzwert, Reputationsmanagement, organic traffic, Follower, Likes, Scheinwerfer richtig einstellen, im Driver Seat fahren, auf Augenhöhe bleiben. Reporting, Analytics, Message Ads, personalisierte Werbung.

Eigentlich hätte man sehr oft einen grossen Haufen Geld sparen können, wenn man statt einem jungen, dynamischen und erfolglosen Team von Digital Natives einen Mike Shiva angestellt hätte. Aber der ist leider tot, also geht das auch nicht mehr.

Profitieren von weit verbreiteter Unkenntnis

Profitieren können diese Dummschwätzer von der immer noch weit verbreiteten Unkenntnis, was das Internet kann und was nicht. In den vergangenen dreissig Jahren haben die meisten Schweizer KMU immerhin den Schritt von Ignoranz über Staunen zu einer eigenen Webseite geschafft.

Nicht allzu wenigen wurden dann auch noch die gnadenlosen Vorteile eines Web-Shops vor Augen geführt. 24 Stunden geöffnet, grossartige Kundenführung, mit möglichst wenig Klicks zum Entscheidenden, dem verbindlichen Kauf: tolle Sache. Braucht dann natürlich schon ein CMS, Content Management System, you know, aber ist keine Sache, hübsche Lösungen gibt es schon ab 30’000 Franken. Wobei, also mit ein paar wirklich nötigen Gadgets drauf kostet es dann 50’000. Aber anschliessend kann man nur noch Geld zählen.

Und schon mal an CRM gedacht, so im Rahmen eines Intranets? Muss man haben, heutzutage.

Warum? Muss man heute einfach haben

Dann kam die grosse, weite Welt der Social Media. Facebook, Instagram, Twitter, you know. Schüchterne Fragen, was denn das solle und ob man da wirklich mitspielen müsse, wurden souverän abgebügelt: Muss man heutzutage einfach haben, haben alle, wer nicht mitmacht, verliert. Ist ausserdem so ähnlich wie bei Google; vorne dabeisein ist alles. Geht übrigens auch bei Linkedin und so. Und was, Sie haben noch keine App?

Aber überhaupt, wir erleben ja gerade die Wiederauferstehung des Contents. Inhalt zählt, content is king, you know. Produkte werden über Storys verkauft, inhaltlicher Mehrwert, Emotionen, spannend, nachhaltig, disruptiv, zukunftsfähig. Wer will heute schon noch einfach einen Liter Benzin verkaufen. Ist doch viel besser, eine Story über den Schutz von Amazonas-Indianern zu verbreiten, die extra noch alphabetisiert und geimpft werden, bevor sie der Erdölkonzern von ihrem Land vertreibt, äh, ihnen eine viel bessere Lebensqualität anbietet. Und pro Liter Benzin bekommt jedes Indio-Kind eine Windel gratis.

Ist halt nicht ganz billig

So macht man Brand Building heute, das freut die Klimajugend. Nun ja, in der Tat, diese Kanäle müssen natürlich bespielt werden, also mit Inhalten gefüllt. Dann müssen sie ständig moderiert werden, damit sich da nicht eine Dynamik in die falsche Richtung entwickelt. Dann muss das alles noch koordiniert werden, stimmt schon. Ach, und ein paar testimonials, you know, das ist immer gut. So eine positiv konnotierte Referenzperson, halt so einer wie Roger Federer; gesehen, wie dieser Tennisschuh abgeht wie eine Rakete?

Natürlich, ist nicht ganz billig, dann kann man aber auch ein paar Influencer, you know, stattdessen nehmen. Wenn die dann jeden Morgen mit Eurem Rasierwasser gurgeln, geht der Absatz durch die Decke. Oder habe ich da gerade was durcheinander gebracht?

Ach, da war doch noch eine unbeantwortete Frage, Return on Investment, you know. Was genau bekomme ich für einen Franken, den ich in diese Blackbox stecke? Ist die falsche Frage? Kann man so nicht messen? Muss man heute einfach haben?

Echt jetzt?

Herr Doktor, übernehmen Sie!

Über Sinn und Unsinn, den höchsten akademischen Grad in Medienmitteilungen und Texten zu nennen.

Heute gibt’s mal einen Ausflug in die Unternehmenskommunikation, ein Blick hinter die Kulissen, den Fokus voll auf die Feinmechanik grosser Verwaltungseinheiten gelegt. Der Aufhänger? Die Schwarzwald-Klinik hat einen neuen Chefarzt. Oder ist es die Hirslandengruppe? Die gebeutelte Herzklinik am Unispital? Nein. Es sind die Verkehrsbetriebe der Stadt Zürich VBZ. Sie haben bald einen neuen Chef. Naja, in etwa sechs Monaten. Aber schon heute berichteten die VBZ darüber. Der Titel der Meldung: «VBZ-Stabsübergabe von Dr. Guido Schoch an Dr. Marco Lüthi im Frühling 2021». Herr Doktor X übergibt also an Herrn Doktor Y. Eigentlich logisch, denkt sich der interessierte Laie. Die haben natürlich auch komplizierte Innereien. Der Beschaffungskrimi um die neuen Flexity-Trams wurde zeitweise fast schon blutig. Und die 50-jährigen Trams, die momentan noch herumkurven, bedürfen ebenfalls komplizierten Operationen.

Doch genug geschnödet. Akademische Titel in Ehren. Aber in Medienhäusern wird einem eigentlich eingetrichtert, dass das Doktor nur im medizinischen Umfeld genannt Sinn macht und usus ist. Doch nicht einmal bei (Dr.) Francesco Maisano und bei (Dr.) Paul Vogt, den beiden Hauptbeteiligten beim immer noch schwelenden Streit in der Zürcher Uni-Klinik, erwähnten die Medien den akademischen Titel. Geht’s nicht um Medizin, wirkt die Angabe des höchsten akademischen Titels sogar eher abwertend. Herr Dr. Christoph Blocher verlangt seine Pensionsgelder zurück. Herr Dr. Roger Schawinski bietet Corona-Leugnern Raum für ihre Ansichten. Herr Dr. René Zeyer kritisiert das Branchenheft Edito.

Doch wie kommen Medienmitteilungen wie jene der VBZ an? Nau übernahm den Lead fast 1:1. Und blieb im ganzen Text beim «Dr.». Der Schnellleser wähnt sich tatsächlich im Spitalumfeld.

Andere Medien ignorieren solche Schleim-Meldungen. Schleim deshalb, weil die Mediensprecher offensichtlich nicht die Kraft und den Mut haben, ihre Chefs besser zu beraten. Dazu gehört in der VBZ-Medienmitteilung leider ein sich über drei Sätze hinziehendes Zitat des Stadtrats über den abtretenden VBZ-Direktor. Ein Ausschnitt gefällig? «Besonders hervorheben möchte ich dabei neben dem zentralen Kerngeschäft auch die Ausrichtung in eine innovative und digitale Zukunft». Oft sind solche Medienmitteilungen nicht für das Aussen geschrieben, sondern für das Innen. Das muss nicht schlecht sein, doch das Echo in den Medien ist dann meist enttäuschend.

Die 3 Todesfallen im seriösen Journalismus

Todesfalle Nr. 1: Fake News.

Nr. 2: die Quelle.

Nr. 3: die haltlose Behauptung.

Journalismus ist in erster Linie Vertrauenssache. Und Vertrauen bekommt man nicht einfach mit der Bezahlung des Kaufpreises eines Medienprodukts frei Haus mitgeliefert.

Vertrauen muss man sich erarbeiten. Wieder und wieder. Immer. Denn nur der Leser oder Konsument, der seiner Nachrichtenquelle vertraut, sieht ihre Bezahlung als sinnvolle Ausgabe an. Selbst wenn er nur mit seiner Attention und ein paar Daten bezahlt.

Denn der stillschweigende Kontrakt zwischen Konsument und Produzent ist: Der Produzent liefert nach bestem Wissen und Gewissen und unter Beachtung journalistischer Grundregeln erstellte Artikel ab. Dabei bemüht er sich so weit wie möglich, den Bericht vom Kommentar, von der Einfärbung durch Meinung, zu trennen. Denn der Journalist hat gegenüber dem Konsumenten einen unschlagbaren Vorteil: Er war am Ort eines Geschehens. Er hat mit Menschen gesprochen, er durchdringt Zusammenhänge.

Er liefert auch die Zusammenfassung, die Verdichtung eines umfangreichen Vorgangs. Exemplarisch bei Gerichtsverfahren. Die dauern oft lange, spielen sich nach dem Laien nur teilweise verständlichen Regeln ab.

Vertrauen auf korrekte Wiedergabe

Besonders hier muss der Rezipient auf die Fähigkeit des Journalisten vertrauen, eine korrekte Zusammenfassung des Ausgangs eines Verfahrens zu liefern. Wenn also Journalist X schreibt, dass die Partei Y auch in einem Berufungsverfahren gesiegt, Recht bekommen habe, dann muss das so sein. Wozu sollte der Konsument – dafür bezahlt er ja – selber das Gerichtsurteil nachlesen oder nach der Pressemitteilung des Gerichts suchen.

Gift für dieses Vertrauensverhältnis ist aber, wenn sogar ein publizistischer Leiter vom siegreichen Ausgang eines Prozesses für die Partei Y schreibt, während in der Pressemitteilung schwarz auf weiss steht: Im Urteil weist das Gericht die Berufung der Partei Y vollumfänglich ab.

Gelogen wie gedruckt

Das sind dann sogenannte Fake News, alternative Wahrheiten, oder auf gut Deutsch: da wird gelogen wie gedruckt. Schlimmer noch: Der Konsument eines Medienorgans ist im Allgemeinen ein treuer Mensch. Er hat seine lieben Gewohnheiten, und die lässt er sich auch durch höhere Preise für magereres Angebot nicht so schnell vermiesen. Stellt er aber fest, dass er da und dort brandschwarz beschummelt wurde, dann verliert er recht schnell das Vertrauen – und ist dann mal weg.

Zweite Todesfalle: die Quellen

Die zweite Todesfalle sind die Quellen. Normalerweise gilt auch in der Berichterstattung, dass der Urheber einer Aussage mit seinem Namen dazu steht. Nun gibt es natürlich Fälle, in denen das aus den verschiedensten Gründen nicht möglich ist. Dem Urheber könnten berufliche, persönliche, gesellschaftliche Nachteile drohen. Er könnte sogar an Leib und Leben bedroht werden. In solchen Fällen operiert der Journalismus mit der «Quelle». Genauer: mit der «mit der Sache befassten», mit der «vertrauenswürdigen» Quelle.

Noch besser natürlich: mit «zwei voneinander unabhängigen Quellen», die übereinstimmend A gesagt haben. Das Gleiche gilt auch für Dokumente. Die Geschäftsgrundlage bei all den sogenannten Leaks, also dem Diebstahl von Geschäftsunterlagen, ist immer, dass die Quelle anonym bleibt. Verständlich, sie hat ja einen Gesetzesverstoss begangen. Problematisch, denn weder der Leser noch der Ausschlachter solcher Leaks weiss, aus welchen Motiven diese Unterlagen den Medien zugespielt wurden. Und ob sie vorher frisiert wurden.

Auch bei den anonymen Quellen von Aussagen muss der Konsument dem News-Produzenten vertrauen, dass es diese Quellen tatsächlich gibt, ihre Angaben so weit wie möglich überprüft wurden, und dass «wie wir aus einer gut unterrichteten Quelle erfahren» nicht einfach der Euphemismus ist für: Es wird ein Gerücht herumgeboten, das gerade gut in den Kram des Newsproduzenten passt.

«Quellen» verringern das Vertrauen

Denn er kann sich dabei auf seinen rechtlich garantierten Quellenschutz berufen; sich also weigern, die Identität seiner Quelle zu enthüllen. Das entbindet ihn aber nicht davon, den Wahrheitsbeweis für Behauptungen antreten zu müssen. Meine Quelle M hat mir plausibel versichert, dass K ein Betrüger und Krimineller ist, genügt natürlich nicht.

So nötig Quellenschutz auch sein mag, angesichts des zunehmenden Misstrauens gegenüber dem Realitätsgehalt von Berichten lässt die Verwendung von «Quellen» das Vertrauen in den Wahrheitsgehalt eines Artikels abschmelzen.

Dritte Todesfalle: nicht überprüfte Aussagen

Todesfalle 3 ist die Behauptung. X hat das gemacht, Y hat das gesagt, Z hat dieses entschieden. Das einfach mal so rauszuhauen, stellt eine ewige Versuchung im Journalismus dar. Ein Ressortleiter hat ein Buch in Auftrag gegeben, der Chefredaktor und der Verleger distanzieren sich davon.

Das ist eine Traum-News, wenn man die exklusiv hat. Die hat man allerdings nur deswegen exklusiv, weil man es einfach behauptet. Denn das grosse Hindernis, manchmal sogar unüberwindbar, ist die sogenannte Möglichkeit zur Stellungnahme. Die Konfrontation des oder der Betroffenen mit solchen Behauptungen.

Das kann Ärger und Ungemach geben. Ärger, wenn der Konfrontierte einfach bestreitet, so etwas getan oder gesagt zu haben. Ungemach, wenn der Konfrontierte noch zusätzlich mit dem Kadi winkt, sollte die Behauptung dennoch aufgestellt werden. All das kann man natürlich vermeiden, indem man auf diesen lästigen Umweg verzichtet und die News mal raushaut.

Etwas hängen bleibt immer

So wie beim modernen, einfallslosen Eishockey: Den Puck einfach ins gegnerische Drittel dreschen, und dann weiterschauen. Sollte die Behauptung tatsächlich nicht stimmen, dann kann man ja immer noch in Verhandlungen eintreten, den Beitrag elektronisch löschen, eine Gegendarstellung einrücken oder im schlimmsten Fall sich sogar dafür entschuldigen.

Das ist besonders widerlich, wenn es nach der Devise geschieht: Lass die Kacke mal fliegen, etwas hängen bleibt immer. Jeder, der schon einmal von solch üblem Journalismus selber betroffen war, weiss: Es ist einfach unappetitlich. Wehrt man sich, hält man das Thema am Köcheln. Wehrt man sich nicht, bleibt irgendein Unfug so stehen und wird irgendwann mal gegen einen verwendet.

Aber auch hier gilt: Bemerkt das der Konsument, bemerkt er zudem, dass es sich nicht um einen einmaligen Ausrutscher handelt, dann verliert er auch hier das Vertrauen in das Medium.

Drei Schläge daneben – und weg ist der Konsument

In den USA gibt es die schöne Regel: three strikes – and you’re out. Vom Baseball auf Straftaten übertragen: Beim dritten Verbrechen wirst du lebenslänglich aus dem Verkehr gezogen. Das gilt auch für die Medien. Wer Schlag für Schlag das Vertrauen seiner zahlenden Kundschaft verspielt, der ist dann mal draussen. Erledigt. Eingegangen. Worum es dann auch nicht schade ist.