Assange!

Die Schande des Westens hat einen Namen.

Bei aller Abscheu über den Umgang von Autokratien mit Dissidenten und Oppositionellen und Kritikern: auch der Westen hat rabenschwarze Flecke auf seiner angeblich so weissen Weste.

Meinungsfreiheit sagen und Meinungsfreiheit praktizieren, das sind zwei ganz verschiedene Dinge.

Wer anderen repressiven Umgang mit abweichenden oder kritischen Meinungen in die Fresse haut, sollte selbst einen makellosen Leumund haben. Sonst ist die moralische Überhöhung schale Heuchelei.

Es nutzt ja nichts darauf hinzuweisen, dass im Vergleich zu Zuständen in Russland oder China (oder in der Ukraine) zumindest in Zentraleuropa oder den USA freiheitliche Zustände herrschen.

Solche Vergleiche bringen – ausser propagandistisch – nichts.

Vor allem, da die jüngere Geschichte zeigt, dass es nicht nur Einzelversagen gibt, sondern auch systemisches. Was die Mainstreammedien während der Pandemie geboten haben, ist an Obrigkeitshörigkeit, Ausgrenzung von abweichenden Meinungen und übelster Denunziation schwer zu überbieten.

Es wird noch dadurch verschlimmert, dass schlichtweg null, überhaupt keine Bereitschaft vorhanden ist, das eigene Fehlverhalten aufzuarbeiten. Dass Figuren wie Marc Brupbacher, um nur einen Namen unter vielen zu nennen, weiterhin in Lohn und Brot steht, ist unverständlich. Dass ein Kadermann bei Tamedia wie Denis von Burg Zwangsmassnahmen in Sachen Impfung fordern durfte, ohne dafür streng gemassregelt zu werden, ist ein Skandal, um nur einen Fall unter vielen zu nennen.

So kritisch sich die Medien auch allen anderen gegenüber geben – Selbstreflexion und Selbstkritik ist ihre Sache nicht.

Aber das schlimmste Versagen der Medien trägt einen Namen. Julian Assange. Der Mann, der schwere Kriegsverbrechen der USA aufgedeckt hat, schmort seit inzwischen fünf Jahren in einem Hochsicherheitsknast in England. Da er schon zuvor neun Jahre in einem beengten Asyl in einer Botschaft verbrachte, ist er laut Aussagen seines Umfelds physisch und psychisch schwer angeschlagen. So sehr, dass er nicht einmal persönlich einer entscheidenden Berufungsverhandlung bewohnen kann.

Als Reaktion auf seine Enthüllungen wurde er fälschlicherweise sexueller Übergriffe beschuldigt, und die USA verlangen seit Jahren die Auslieferung des australischen Staatsbürgers, um ihn selbst vor Gericht stellen zu können. Da sie seine Handlungen als Landesverrat werten, droht ihm eine lebenslängliche Gefängnisstrafe, sollte er tatsächlich ausgeliefert werden.

Zu welchen Kapriolen die US-Wildwestjustiz in der Lage ist, führt sie nicht zuletzt in der unendlichen Gerichtsposse um Donald Trump vor.

Nun müsste man annehmen, dass der Assange-Skandal in jedem anständigen Massenmedium präsent gehalten wird. Dass unermüdlich auf sein Schicksal hingewiesen wird, jede Form von Unterstützungsplattformen wie «Free Assange» promotet würden.

In Wirklichkeit gibt es eine müde Pflichtberichterstattung, vorsichtig abtemperiert. Denn die Schreiberlinge befürchten (nicht ganz zu Unrecht), dass sie sonst Probleme bei der nächsten Einreise ins Land of the Free bekommen könnten. Oder gar auf die Liste der Terrorverdächtigen wandern würden. Auf der stehen inzwischen über eine Million Namen. Wie man da draufkommt – und vor allem: wie man da wieder runterkommt – eine völlige Blackbox.

Wie willkürlich die USA mit solchen Begriffen umgehen, zeigt am deutlichsten die Liste der «staatlichen Förderer von Terrorismus». Auf der stehen aktuell Syrien, Iran, Nordkorea – und Kuba. Das wurde von Obama von der Liste gestrichen, von Trump wieder draufgesetzt. Obwohl kein einziger Fall bekannt ist, in dem Kuba terroristische Aktionen unterstützt hätte.

Und dann gibt es die Listen des OFAC, das steht für «Office of Foreign Assets Control», eine weitere US-Dunkelkammer, die willkürlich Firmen und Einzelpersonen beschuldigt, Handel mit «feindlichen Nationen» zu treiben oder sonstwie mit denen in Kontakt zu stehen. Auch hier: wer kommt drauf und warum? Dunkelkammer. Wie kommt der, der fälschlicherweise gelistet wurde, wieder runter? Einfache Antwort: überhaupt nicht. Und auf dieser Liste zu stehen, das ist überhaupt nicht komisch. Einreiseverbot in die USA, Jed Menge Probleme im Geschäftsverkehr, selbst mit Banküberweisungen.

All das wären Themen, denen sich die Medien durchaus annehmen könnten und sollten.

Aber sie sollten – wenn Berufsehre noch etwas gelten würde – jeden Tag auf das Schicksal von Assange hinweisen. Denn was immer er auch getan haben mag, und wie immer man das bewerten möchte: sein Fall, sein Gefängnisaufenthalt ist ein schreiender Skandal. Ein Schandfleck für den Westen. Ein Schlag ins Gesicht für alle Behauptungen einer liberalen Meinungsfreiheit.

Es ist nicht die Vielzahl von Fällen, wo kritische Meinungen publiziert werden, die zählt. Es sind die Ausnahmen, die tonnenschwer wiegen. Sicher, Assange ist ein Einzelschicksal.

Dass das Londoner High Court gestern seine Auslieferung an die USA wieder einmal blockiert hat, ist höchstens ein Etappensieg. Nächste Verhandlung am 20. Mai, Assange wird weiterhin in Einzelhaft gehalten. Das bedeutet, dass er seit insgesamt 12 Jahren seiner Freiheit beraubt ist. Ohne dass es bislang zu einem Prozess über seine angeblichen Taten gekommen wäre.

Aber Himmels willen, wer journalistisch in Tränen ausbricht und sich nicht mehr einkriegt, wenn eine Prinzessin bekannt gibt, dass sie Krebs hat, der ist doch ein verdammter Heuchler, wenn er sich nicht viel mehr über die unmenschliche, absichtliche Quälerei eines Menschen aufregt, der sich um die Meinungsfreiheit und die Aufdeckung von Skandalen mehr als verdient gemacht hat. Denn Krebserkrankung ist Schicksal. Jemanden in Einzelhaft schmoren lassen, das ist menschengemacht.

6 Kommentare
  1. René Küng
    René Küng sagte:

    Und weil die Damen fehlen in meinem tSchänder Ostergruss:
    dank Quoten und gezielter Gleichverbrecherheit sind eine unübersehbare Anzahl der allerschlimmsten Weiber nach oben gefördert worden. Global und gezielt, um den menschlichen, westlichen Niedergang dramatisch zu beschleunigen.
    Die Negativ-Auswahl konnte so mit dem Anteil des andern Geschlechts noch optimiert werden.
    Nicht dass mir eine/r kommt, ich lasse DIE aussen vor.

    Auf die Auferstehung hin, arbeite ich an einer Liste von grossartigen Frauen, die leider keine Oscars, Friedensnobelpreise oder Stipendien bekommen.
    Herr Zeyer vielleicht gleichzeitig an einer Umschau nach Journalisten und deren Biotope, die den Namen weiterhin verdienen.

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  2. René Küng
    René Küng sagte:

    Auf der miesen Weste dieses ‹Westen› fällt der Schandfleck gar nicht auf.
    Was zählt ein Leben auf diesen blutdurchtränkten Kampfanzügen der ‹Erfolgreichen›, Verwöhnten, Dekadenten, Gefühllosen, die sich dann serienweise Orden und andern Schmalz rund um die Krawatten hängen. Die grauenhaften Heuchler oben stehen auf den Schultern der ignoranten Heuchler unten.
    Das wär dann so etwa diese ‹Goldene Milliarde› von der einer redet, den der Chef nicht mag.
    Sicher keiner, der kein Blut an den Händen hätte.
    Aber irgendwie ehrlicher als unsre Welt hier, die sich immer noch für was Besseres hält.

    Danke dem Chef, der sich nicht scheucht, ein paar der endlosen Abgründe unter dem schimmelnden, geschummelten Lack unseres Katzengold-Dampfers aufzulisten.
    Schöne Ostern.

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  3. H.R. Füglistaler
    H.R. Füglistaler sagte:

    Dass die Mehrheit der Medienschaffenden(und Gaffenden)
    sich einen Deut um das Schicksal von Julian Assange kümmern,
    deutet auf deren ganz miesen Charakter.
    Auch der Hinweis auf die Plandemie ist richtig. Glücklicherweise
    gibt es Zackbum. Das ist Journalismus – und immer brillant formuliert!

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