Kein Schoggi-Job
Es gibt bei der Schokolade-Herstellung einen Skandal.
Zwei Drittel des Kakaos, der zu Schokolade verarbeitet wird, stammt aus Westafrika. Alleine in Ghana und der Elfenbeinküste arbeiten (Dunkelziffer unbekannt) mindestens 2 Millionen Kinder auf den Plantagen. Sie gehen nicht zur Schule, sie werden giftigen Pestiziden ausgesetzt, ihnen wird die Kindheit und die Zukunft gestohlen.
Ein Riesenskandal. Seit Jahren bekannt. Aber eigentlich kein Thema. Zu weit weg, schwarze Kinder, Afrika. Da interessiert ja nicht mal das Gemetzel im Sudan oder in Äthiopien. Dagegen ist Kinderarbeit doch Pipifax.
Aber nun haben wir einen richtigen Riesenskandal im Bereich Schokolade. Wie SRF in jahrelanger Recherche aufdeckte, werden Kinder in den Kakaoplantagen auch noch misshandelt, geschlagen, gar sexuell missbraucht. Ein erschütterndes Stück guter Aufklärungsarbeit.
Oh, hm, da hat ZACKBUM irgendwas falsch verstanden. Bei dem erschütternden Dokumentarfilm handelt es sich um Anschuldigungen, die ehemalige Zöglinge einer evangelikalen Privatschule gegen diese Schule und den Schokoladenfabrikanten Läderach erheben.
Überhaupt habe in der Schule ein Regime der Angst geherrscht, es sei körperlich gezüchtigt worden. Wir sprechen hier von Anfang der 90er-Jahre. Wir sprechen also davon, dass seither rund 30 Jahre vergangen sind, damals niemand Anzeige erstattete, alle mal wieder erst jetzt darüber sprechen können. Das soll natürlich nicht automatisch bedeuten, dass es sich um einen weiteren Fall von im Dunkel der Vergangenheit wurzelnden Verleumdungen handelt.
Immerhin hat offenbar eine damals in leitender Position tätige Frau solche Züchtigungen eingeräumt. Auch Jürg Läderach war an dieser Schule tätig, auch gegen ihn werden Vorwürfe erhoben, er habe Gewalt angewendet.
Sein Sohn Johannes Läderach leitet sei 2018 die gleichnamige Schokoladenfabrik. Auch er war Zögling in der Privatschule Domino Servite. 2019 wurden auf sein Betreiben die Vorfälle das erste Mal untersucht; er trat damals aus dieser evangelikalen Gemeinschaft aus. In einem offenen Interview schildert er, wie ihm der Dokfilm über die Zustände bei «Diene dem Herrn» nahegeht.
Es gibt einerseits die Aussagen im Film, die auch seinen Vater belasten. Es gibt andererseits dessen eidesstattliche Erklärung, dass er selbst niemals Gewalt angewendet habe. Zudem droht Läderach Senior jedem, der das Gegenteil behauptet, mit rechtlichen Schritten, die er in einem Fall auch eingeleitet hat.
Sein Sohn sagt: «Ich bin seit 2018 CEO, meine Eltern sind in keiner Weise mehr in der Firma involviert, sie haben auch keine Aktien mehr, sind also nicht am Gewinn beteiligt. Ich plädiere dafür, dass man das Unternehmen nach den Menschen beurteilt, die jetzt die Verantwortung tragen. Und vor allem nach den 1800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – sie machen den grossen Teil der Arbeit, sie sind der Grund für unseren Erfolg.»
Das ist natürlich sehr elegant und sicherlich mit kommunikativer Hilfe formuliert. Auf der anderen Seite zeigt nun das Zurich Film Festival, was es von der Formulierung hält «es gilt die Unschuldsvermutung». Hielt es noch bis am Freitag letzter Woche an seinem Partner Läderach fest, verkündete es anschliessend als Reaktion auf diesen Dokfilm das Ende der Beziehung. Schliesslich werde «das Leid der mutmasslichen Opfer doch mit dem Familien- und Firmennamen in Verbindung gebracht», meint das Festival.
Korrekter wäre gewesen: das mutmassliche, nach vielen Jahren behauptete und in den allermeisten Fällen längst verjährte Leid, wobei die Unschuldsvermutung für alle gilt, selbst für einen Läderach.
Da sind wir mal gespannt, ob das ZFF vielleicht Kevin Spacey als Special Guest Star einlädt. Der dann über die Bedeutung der Unschuldsvermutung einiges zu sagen hätte.
Sicherlich war es ungut, wenn es so war, dass in einer sektenähnlichen Umgebung christliche Nächstenliebe mit körperlicher Gewalt ausgeübt wurde. Sicherlich kann ein Unrecht nicht gegen das andere aufgewogen werden.
Es beinhaltet aber mal wieder eine ungesunde Portion von Heuchelei und Doppelmoral, wenn der medialen Öffentlichkeit das Schicksal von Millionen von Kindern in Westafrika im Vergleich schlichtweg scheissegal ist. Man es bei gelegentlichen Lippenbekenntnissen bewenden lässt. 2020 widmete die «Rundschau» eine zehnminütige Dokumentation der Kinderarbeit bei der Kakaoernte. Dabei wurde spezifisch der Frage nachgegangen ob das Label UTZ tatsächlich garantiere, dass in dieser Schokolade keine Kinderarbeit steckt. Natürlich nicht, war die Antwort.
Für die nächsten Sendungen muss man bis 2016 zurückgehen. Und dann bis 2009. Man kann also nicht sagen, dass SRG sich diesem Thema mit der gleichen Energie gewidmet hat wie der angeblich zweieinhalbjährigen Recherche über mögliche Gewalt in dieser Privatschule.
Nun kocht natürlich die Volksseele auf und über. Einige wollen nie mehr Läderach-Schokolade kaufen. Andere jetzt extra. Die einen fordern strenge Bestrafung, Schadenersatz an Betroffene und eine Umbenennung der Firma. Andere bezweifeln die Anschuldigungen.
Aber keiner, schlichtweg keiner kam bislang auf die Idee, auf einen viel, viel grösseren Skandal im Zusammenhang mit Schokolade hinzuweisen. Und sei es auch nur in einem Nebensatz. Stattdessen wird gebetsmühlenartig seit Jahren, seit Jahrzehnten wiederholt, dass die Schokoladenindustrie mehr gegen Kinderarbeit tun müsse. Und nächstes Thema. Das ist atemberaubende Doppelmoral und ganz, ganz bitter. Das hat nun überhaupt nichts mit christlicher Nächstenliebe zu tun. Aber sehr viel mit sehr unchristlichen Eigenschaften des Menschen.
Das ZFF macht sich noch lächerlicher, als es ohnehin schon ist. Das Festival hat keinerlei internationales Renomée in der Filmbranche und die „Stars“ müssen gebucht werden, damit sie überhaupt einen Award abholen kommen. Es dient einzig und alleine dazu, dass Zürich sich selber feiern und sich etwas „glamourous“ fühlen kann. Das geht natürlich jetzt nicht mehr mit Läderach und der Hintergrund scheint dem Festival zu komplex.
Bei SRF dürfte es um etwas ganz anderes als Aufarbeitung, Gerechtigkeit oder Menschenwürde gegangen sein: Um das Beschädigen der Marke Läderach und Stimmung gegen christliche Institutionen zu machen. Läderach ist der linksradikalen Szene mit seiner Unterstützung vom „Marsch für‘s Läbe“ und seinen christlich konservativen Werten längst ein beliebtes Feindbild. Ein weiteres Beispiel dafür, dass der Gebührenzahler dafür missbraucht wird, linke Vendettas zu finanzieren.
Am besten gefallen hat mir im Zusammenhang mit den Vorgängen an dieser Schule der Satz hier: «Die einen fordern strenge Bestrafung,…».
Ohne ein gerütteltes Mass an Heuchelei, Blindheit, Verlogenheit, massloser Egozentrik und Ignoranz kann ein Land, das Schoggibeispiel von 1.Welt, gar nicht so leben, wie wir leben.
Nicht so weit weg von den Multi-Millionären von Delhi, die um schlafende Familien Slalom laufen müssen, wenn sie das Haus verlassen.
Bei einem Schoggi-Artikel darf natürlich ein Appell an das schlechte Gewissen der Schokoladengeniesser nicht fehlen. Zackbum hat dies bravourös getan, indem es auf den «riesigen Skandal von (die Dunkelziffer ist unbekannt) mindestens 2 Millionen Kindern, die auf Kakaoplantagen arbeiten», vor allem in der Elfenbeinküste und in Ghana, hinwies, «wo sie misshandelt, geschlagen und sogar sexuell missbraucht werden».
Schön, dass Zackbum im Gegensatz zu vielen anderen Appellanten an die leichtsinngigen und egoistischen Schokoladenkonsumenten nicht Nestlé und andere Schokoladenhersteller wie Läderach mitverantwortlich gemacht hat.
Als jemand, der in der Elfenbeinküste lebte und auch im benachbarten Ghana geschäftlich tätig war, hatte ich die Gelegenheit genutzt, Kakaofarmen zu besuchen.
Auf den Grossfarmen, von denen Nestlé und andere Großabnehmer kaufen, habe ich keine Kinderarbeiter gesehen. Daneben gibt es unzählige Klein- und Kleinstfarmen, auf denen nicht nur alle Familienmitglieder, von den Enkeln bis zu den Großeltern, auf der Farm arbeiten, sondern auch viele andere Kinder. Ich habe die Bauern gefragt, warum sie die Kinder nicht zur Schule schicken, anstatt sie schuften zu lassen. Die Antwort: “Wir sind arm, wir können es uns noch nicht leisten, aber wir hoffen, dass wir eines Tages in der Lage sein werden, unseren Kindern und Enkelkindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen”. Als ich sie fragte, woher die anderen Kinder kommen, antworteten sie: “Sie sind Waisen, sie haben niemanden. Sie können bei uns arbeiten oder auf der Straße verhungern”. Dazu muss man wissen, dass damals viele Erwachsene an AIDS starben und ihre Kinder zurückließen.
Das ist schon eine ganze Weile her, aber ich glaube nicht, dass sich die Situation grundlegend geändert hat. Und ich gebe zu, dass ich auch nicht weiß, wie dieses komplexe Problem gelöst werden könnte. Wer an einer differenzierteren Betrachtung dieses Themas interessiert ist, empfehle ich diesen Artikel: https://newlinesmag.com/reportage/ivory-coasts-crackdown-on-child-labor-clashes-with-the-realities-of-cocoa-farming/