Schlagwortarchiv für: Westafrika Kinderarbeit

Religionsfeigheit

Die Züchtigungen sind doch nicht das Problem.

Tatzen, Schläge mit dem Lineal auf die Finger. Druck auf die Knöchel. Ohrfeigen. Sogar Prügel. Das waren lange Zeit akzeptierte Erziehungsmassnahmen in der Schule und auch zu Hause. Nach der Devise: «eine Ohrfeige hat noch niemandem geschadet

Die beste Anekdote, die ein Rundruf im Bekanntenkreis ergab: ein Lehrer will einem Mitschüler eine Ohrfeige geben. Der trägt aber Brille, der Lehrer befürchtet Verletzungsgefahr. Also befiehlt er dem Schüler: «Brille runter!» Der weiss aber, was ihm dann blüht, also weigert er sich. Der Lehrer befiehlt laut und lauter und schalmeit: «Keine Angst, ich tu dir nix.» Der Schüler knickt ein, zieht die Brille aus – und zack, kriegt eine schallende Ohrfeige.

Man mag dieses pädagogische Prinzip befürworten oder verachten. Dass allerdings Jahrzehnte später ein paar Zöglinge einer Privatschule mit Tränen in den Augen von körperlichen Züchtigungen berichten, die sie damals erlitten haben – und über die es wie immer keine einzige Strafuntersuchung gab oder gibt –, das ist verstörend. Dass auch von einer vertuschten Vergewaltigung die Rede ist, wobei nicht immer erwähnt wird, dass sie unter minderjährigen Schülern stattfand, der Täter rausgeschmissen wurde – typisch Elendsjournalismus.

Dass bei dem ganzen Gewese über diesen sozusagen historischen Skandal weiterhin kein Wort über das Schicksal von Hunderttausenden von Kindern verloren wird, die in Westafrika in meist kleinen Kakaofarmen schuften müssen, dort auch misshandelt und gequält und missbraucht werden, das ist der Skandal im Skandal.

So nebenbei, um da weiteren Missverständnissen vorzubeugen: solche Quälereien finden eher selten in Farmen statt, die von den angeblich bösen Transnationalen betrieben werden. Sondern in privaten Kleinunternehmen. Übrigens genau wie bei Minenarbeiten aller Art.

Dass das Zürcher Film Festival als Begründung für seine Kehrtwende und den Abbruch der Beziehung zur Schokoladefirma Läderach anführt, dass diese damaligen Qualen halt wie auch immer mit dem Namen verbunden seien, ist scheinheilig. Dass beim Festival Schoggi verteilt worden wäre, deren Herstellung zumindest fragwürdig ist, das hätte das ZFF einen Dreck interessiert.

Aber vom SRF angefangen traut sich niemand so recht, das eigentliche Problem beim Namen zu nennen. Sozusagen den Schoggi-Elefanten im Raum. Das Problem Religion. Das Problem religiöser Fanatismus. Den gibt es nicht nur bei fundamentalistischen Irren, die meinen alles, was im Koran stünde, sei bis heute wörtlich zu nehmen und ausserdem höchste Richtschnur für das Verhalten von allen.

Religiösen Wahn gibt es auch innerhalb der christlichen Kirche. In allen Farben, Spielarten und Ausprägungen. Jeder Sektenradar ist voll von solchen Erscheinungen. Aber statt dass Sektenexperten wie Hugo Stamm befragt werden, plustern sich Marketing- und Imageberater auf und benützen die Gunst der Stunde für Eigenwerbung. Allerdings meistens mit so absurden Ratschlägen «proaktiv werden!», dass sie sich damit wohl kaum neue Kunden generieren.

Aber der Fokus sollte doch hier liegen: Der evangelikale «Hof Oberkirch» war offenbar längere Zeit ein Ableger einer südafrikanischen Sekte namens «Kwasizabantu». Ihr Guru ist Erlo Stegen, mit dem Jürg Läderach offenbar eine enge Beziehung verbindet.

Läderachs religiöse Haltung kann man wohl dem Evangelikalismus zuordnen, der sich aus dem deutschen Pietismus speist. Diese spiritualistischen Bewegungen gehen von einer persönlichen Beziehung des Einzelnen zu Gott (sowie zu Jesus Christus als Herrn und Erlöser) und einer irrtumsfreien Autorität der Bibel aus.

Daher sind in dem Dok-Film über die Zustände in der Privatschule eigentlich die Szenen verstörend, in denen Läderach Senior verzückt und inbrünstig vom liebenden Jesus schwärmt.

Daran kann man ermessen, wie schwer es sicherlich seinen Söhnen gefallen sein muss, sich von dieser Religiosität ihres Vaters zu lösen und aus der Kirche auszutreten. Deutlicher als der aktuelle CEO Johannes Läderach kann man sich wohl kaum öffentlich von seinem eigenen Vater distanzieren. Deutlicher kann man zudem keine Zweifel an dessen eidesstattlicher Erklärung äussern, dass Läderach Senior niemals selbst körperliche Züchtigungen durchgeführt habe.

Dem steht zumindest eine klare Zeugenaussage im Dok-Film entgegen; offenbar hat Läderach Senior hier seine Drohung, gegen solche Behauptungen gerichtlich vorzugehen, bereits wahrgemacht. Wenn die Unschuldsvermutung noch etwas gelten würde, wäre er unschuldig.

Unbestritten ist es, dass es in dieser Schule aus frommen (oder vielleicht auch weniger frommen) Motiven zu körperlichen Übergriffen kam. Zudem habe ein Regime der Angst geherrscht, wie es in fanatischen religiösen Gruppen Gang und Gebe ist. Offensichtlich schickten hier Eltern ihre Sprösslinge hin, die ebenfalls unter diesen religiösen Wahnvorstellungen litten.

Geradezu absurd ist es allerdings, dass sich der Dok-Film und die anschliessende öffentliche Debatte auf die körperlichen Züchtigungen kapriziert. Dabei wären die Auswirkungen der Indoktrination mit fanatisch-fundamentalistischen Auslegungen der Bibel mindestens so interessant – und in den Auswirkungen sicherlich nachhaltiger.

Auch der aktuelle CEO Läderach hat diese Schule besucht, schickt seine eigene Kinder dorthin. Solange es allerdings nicht zu strafbaren Handlungen an dieser Schule kommt, ist das seine Privatangelegenheit. Anscheinend herrscht in der Schweiz Religionsfreiheit.

Es herrscht aber auch Religionsfeigheit. Gelegentlich darf islamischer Fundamentalismus kritisiert werden. Missbräuche in der katholischen Kirche sind auch immer wieder ein beliebtes Thema. Was sich aber im Bereich religiöser Wahn sowohl in der katholischen wie auch evangelischen Kirche (und um sie herum) abspielt, das wird nur mit spitzen Fingern angefasst. Normalerweise. Warum? Nun, Läderach Senior ist nicht der einzige einflussreiche und reiche Geschäftsmann, der etwas abseitigen religiösen Vorstellungen anhängt.

Natürlich sind auch Anhänger des jüdischen Glaubens weitgehend kritikbefreit, weil das sofort und gnadenlos mit der Antisemitismus-Waffe gekeult wird.

ZACKBUM ist gespannt, ob das Schicksal der afrikanischen Kinder bei der Schokoladenherstellung jemals thematisiert wird. Oder das Problem von religiösem Fanatismus innerhalb der christlichen Kirche. Wir können weder Wunder bewirken, noch haben wir seherische Kräfte. Sagen aber mutig: nie. Oder, als guter Seher lassen wir ein Hintertürchen offen: höchstens am Rande.

Die katholische Kirche singt inzwischen ein Hosianna nach dem anderen …

Kein Schoggi-Job

Es gibt bei der Schokolade-Herstellung einen Skandal.

Zwei Drittel des Kakaos, der zu Schokolade verarbeitet wird, stammt aus Westafrika. Alleine in Ghana und der Elfenbeinküste arbeiten (Dunkelziffer unbekannt) mindestens 2 Millionen Kinder auf den Plantagen. Sie gehen nicht zur Schule, sie werden giftigen Pestiziden ausgesetzt, ihnen wird die Kindheit und die Zukunft gestohlen.

Ein Riesenskandal. Seit Jahren bekannt. Aber eigentlich kein Thema. Zu weit weg, schwarze Kinder, Afrika. Da interessiert ja nicht mal das Gemetzel im Sudan oder in Äthiopien. Dagegen ist Kinderarbeit doch Pipifax.

Aber nun haben wir einen richtigen Riesenskandal im Bereich Schokolade. Wie SRF in jahrelanger Recherche aufdeckte, werden Kinder in den Kakaoplantagen auch noch misshandelt, geschlagen, gar sexuell missbraucht. Ein erschütterndes Stück guter Aufklärungsarbeit.

Oh, hm, da hat ZACKBUM irgendwas falsch verstanden. Bei dem erschütternden Dokumentarfilm handelt es sich um Anschuldigungen, die ehemalige Zöglinge einer evangelikalen Privatschule gegen diese Schule und den Schokoladenfabrikanten Läderach erheben.

Überhaupt habe in der Schule ein Regime der Angst geherrscht, es sei körperlich gezüchtigt worden. Wir sprechen hier von Anfang der 90er-Jahre. Wir sprechen also davon, dass seither rund 30 Jahre vergangen sind, damals niemand Anzeige erstattete, alle mal wieder erst jetzt darüber sprechen können. Das soll natürlich nicht automatisch bedeuten, dass es sich um einen weiteren Fall von im Dunkel der Vergangenheit wurzelnden Verleumdungen handelt.

Immerhin hat offenbar eine damals in leitender Position tätige Frau solche Züchtigungen eingeräumt. Auch Jürg Läderach war an dieser Schule tätig, auch gegen ihn werden Vorwürfe erhoben, er habe Gewalt angewendet.

Sein Sohn Johannes Läderach leitet sei 2018 die gleichnamige Schokoladenfabrik. Auch er war Zögling in der Privatschule Domino Servite. 2019 wurden auf sein Betreiben die Vorfälle das erste Mal untersucht; er trat damals aus dieser evangelikalen Gemeinschaft aus. In einem offenen Interview schildert er, wie ihm der Dokfilm über die Zustände bei «Diene dem Herrn» nahegeht.

Es gibt einerseits die Aussagen im Film, die auch seinen Vater belasten. Es gibt andererseits dessen eidesstattliche Erklärung, dass er selbst niemals Gewalt angewendet habe. Zudem droht Läderach Senior jedem, der das Gegenteil behauptet, mit rechtlichen Schritten, die er in einem Fall auch eingeleitet hat.

Sein Sohn sagt: «Ich bin seit 2018 CEO, meine Eltern sind in keiner Weise mehr in der Firma involviert, sie haben auch keine Aktien mehr, sind also nicht am Gewinn beteiligt. Ich plädiere dafür, dass man das Unternehmen nach den Menschen beurteilt, die jetzt die Verantwortung tragen. Und vor allem nach den 1800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – sie machen den grossen Teil der Arbeit, sie sind der Grund für unseren Erfolg.»

Das ist natürlich sehr elegant und sicherlich mit kommunikativer Hilfe formuliert. Auf der anderen Seite zeigt nun das Zurich Film Festival, was es von der Formulierung hält «es gilt die Unschuldsvermutung». Hielt es noch bis am Freitag letzter Woche an seinem Partner Läderach fest, verkündete es anschliessend als Reaktion auf diesen Dokfilm das Ende der Beziehung. Schliesslich werde «das Leid der mutmasslichen Opfer doch mit dem Familien- und Firmennamen in Verbindung gebracht», meint das Festival.

Korrekter wäre gewesen: das mutmassliche, nach vielen Jahren behauptete und in den allermeisten Fällen längst verjährte Leid, wobei die Unschuldsvermutung für alle gilt, selbst für einen Läderach.

Da sind wir mal gespannt, ob das ZFF vielleicht Kevin Spacey als Special Guest Star einlädt. Der dann über die Bedeutung der Unschuldsvermutung einiges zu sagen hätte.

Sicherlich war es ungut, wenn es so war, dass in einer sektenähnlichen Umgebung christliche Nächstenliebe mit körperlicher Gewalt ausgeübt wurde. Sicherlich kann ein Unrecht nicht gegen das andere aufgewogen werden.

Es beinhaltet aber mal wieder eine ungesunde Portion von Heuchelei und Doppelmoral, wenn der medialen Öffentlichkeit das Schicksal von Millionen von Kindern in Westafrika im Vergleich schlichtweg scheissegal ist. Man es bei gelegentlichen Lippenbekenntnissen bewenden lässt. 2020 widmete die «Rundschau» eine zehnminütige Dokumentation der Kinderarbeit bei der Kakaoernte. Dabei wurde spezifisch der Frage nachgegangen ob das Label UTZ tatsächlich garantiere, dass in dieser Schokolade keine Kinderarbeit steckt. Natürlich nicht, war die Antwort.

Für die nächsten Sendungen muss man bis 2016 zurückgehen. Und dann bis 2009. Man kann also nicht sagen, dass SRG sich diesem Thema mit der gleichen Energie gewidmet hat wie der angeblich zweieinhalbjährigen Recherche über mögliche Gewalt in dieser Privatschule.

Nun kocht natürlich die Volksseele auf und über. Einige wollen nie mehr Läderach-Schokolade kaufen. Andere jetzt extra. Die einen fordern strenge Bestrafung, Schadenersatz an Betroffene und eine Umbenennung der Firma. Andere bezweifeln die Anschuldigungen.

Aber keiner, schlichtweg keiner kam bislang auf die Idee, auf einen viel, viel grösseren Skandal im Zusammenhang mit Schokolade hinzuweisen. Und sei es auch nur in einem Nebensatz. Stattdessen wird gebetsmühlenartig seit Jahren, seit Jahrzehnten wiederholt, dass die Schokoladenindustrie mehr gegen Kinderarbeit tun müsse. Und nächstes Thema. Das ist atemberaubende Doppelmoral und ganz, ganz bitter. Das hat nun überhaupt nichts mit christlicher Nächstenliebe zu tun. Aber sehr viel mit sehr unchristlichen Eigenschaften des Menschen.