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Der BBC-Skandal

Wie Gesinnungsjournalismus eine Institution beschädigt.

Gegründet 1922, ist die BBC die älteste nationale Rundfunkanstalt der Welt. Mit Diensten wie dem BBC World Service erreicht sie Hunderte Millionen Menschen in über 40 Sprachen. Sie gilt international als Vorbild für seriösen Journalismus, Qualitätsstandards und Unparteilichkeit.

Im Zweiten Weltkrieg war BBC nicht zuletzt für Deutsche eine unbestechliche Informationsquelle und kein Propagandasender der Alliierten.

Wie man dieses grossartige und einmalige Image kaputtmachen kann, das zeigen die aktuellen Chefs dieser ehemaligen Kathedrale des seriösen, unbestechlichen, so objektiv wie möglich berichtenden Journalismus.

Nicht zum ersten Mal in den letzten Jahren ist die BBC im Kreuzfeuer der Kritik. Diesmal hat sie sich aber einen wirklich bedrückenden Schnitzer geleistet. Zu befürchten ist: nicht aus handwerklicher Unfähigkeit, sondern mit Absicht.

Der Skandal betrifft eine Ausgabe der Sendung «Panorama», in der ein Ausschnitt einer Rede des US-Präsidenten Donald Trump zusammengeschnitten wurde, sodass sie den Eindruck erweckte, er habe direkt zum Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 aufgerufen. Nachdem er die damaligen Präsidentschaftswahlen gegen Joe Biden verloren hatte.

Eine Niederlage, die Trump bis heute nicht wahrhaben will, man habe ihm damals den Wahlsieg gestohlen, behauptet er wahrheitswidrig.

In dieser Sendung der BBC wurden nicht nur zwei Teile seiner damaligen Rede zusammengespleisst, die in Wirklichkeit 54 Minuten auseinanderliegen. Der erste Teil des Satzes lautet in der Fassung der BBC «wir gehen zum Kapitol», gefolgt von «und kämpfen dort wie die Hölle». In Wirklichkeit rief Trump nach der Einleitung dazu auf, friedlich und «patriotisch» zu demonstrieren.

Ausserdem wurde in diese Rede Material hineingespielt, das zeigt, wie Demonstranten sich Richtung Kapitol aufmachen. Damit wird insinuiert, sie folgten dieser Aufforderung Trumps. In Wirklichkeit entstand das Video vor Trumps Rede.

Das hat der englische «Telegraph» sauber aufgearbeitet, nachdem ihm ein internes Memo zugespielt worden war, das diese Vorgänge kritisiert.

In Folge des Skandals traten wichtige Führungskräfte der BBC zurück, darunter der Generaldirektor Tim Davie und die Chefin der Nachrichtenabteilung Deborah Turness.

Damit haben sie immerhin die Verantwortung für diese Entgleisung übernommen. Allerdings geht das Problem doch tiefer. Denn die BBC beschäftigt rund 22’000 Mitarbeiter. Und bei besonders sensiblen Themen gibt es ganze Hierarchien von Richtlinien, die beachtet werden müssen:

Die «Editorial Guidelines» decken unter anderem ab:

  • Themen wie Genauigkeit, Fairness, Unparteilichkeit, Quellenprüfung, Schnitt und Kontext.

  • Jede Sendung muss nachweisen können, dass sie den Vorgaben entspricht.

  • Bei sensiblen oder politisch brisanten Inhalten ist die Pflicht zur Gegenprüfung («Right of Reply») und Quellenbelegung besonders streng.

Bei der Sendung «Panorama» gibt es eine mehrstufige Kontrolle:

  • Reporter / Produzententeam – recherchiert, schreibt und schneidet die erste Fassung.

  • Senior Editor – überprüft journalistische Integrität, Quellen, Fakten und rechtliche Risiken.

  • Executive Producer / Head of Current Affairs – gibt finale redaktionelle Freigabe.

  • BBC Legal & Editorial Policy Unit – prüft rechtlich heikle Fälle, etwa Verleumdungs- oder Datenschutzrisiken.

  • Commissioning Editor oder Controller BBC News – kann bei politisch sensiblen Themen zusätzliche Prüfungen verlangen.

Schliesslich gibt es noch das Editorial Policy & Compliance Team.

  • Diese unabhängige interne Abteilung kontrolliert, ob Beiträge die BBC-Standards für Unparteilichkeit und Genauigkeit erfüllen.

  • Sie kann Änderungen verlangen oder die Ausstrahlung stoppen, falls Verstösse drohen.

  • Alle freigegebenen Programme erhalten ein «Editorial Policy Approval Record» als Dokumentation.

In diesem Fall haben offensichtlich all diese Kontrollmechanismen versagt. Auch das kann nicht mit Inkompetenz erklärt werden. Sondern ist Beleg dafür, dass die Ablehnung Trumps in der gesamten Redaktion stärker war und ist als das Bedürfnis, all diese journalistischen Goldstandards einzuhalten.

Der Schaden, der durch diese manipulierte Sendung für Trump entstanden ist, ist überschaubar.

Der Schaden für die BBC ist zurzeit noch nicht abzuschätzen.

Die Verallgemeinerung drängt sich auf: wenn selbst diese Institution des fairen angelsächsischen Journalismus dermassen schwächelt, wie steht es dann wohl um die deutschsprachigen Medien?

Von ZDF und ARD weiss man zum Beispiel, dass eine externe NGO damit beauftragt wurde, den Journalisten das richtige Wording bei Migrationsthemen näherzubringen. Der Fall Relotius beim «Spiegel» ist in unguter Erinnerung.

Auch in der Schweiz gibt es nicht nur bei der SRG ellenlange Vorgaben, wie richtig berichtet werden soll. Auch die grossen Printmedienverlage verwandeln sich immer mehr in Echokammern, wo vorgefasste Meinungen vorgegebenen Weltbildern entsprechen. Und Abweichungen nicht toleriert werden.

So beerdigen nicht die Umstände, das Internet, die abwandernde Werbung und die flüchtenden Leser diese Art von Journalismus. Sondern er erledigt sich selbst, macht sich überflüssig, versinkt im Gesinnungssumpf der angeblich einzig korrekten Meinung und Weltsicht.

Pumpen, pumpen, Pumpen

Auch die NZZaS neigt zum Krawall-Journalismus.

Es geht doch nichts über einen knalligen Aufmacher am Sonntag. Da fällt dem Leser das Gipfeli aus der Hand:

«Schweizer Spenderorgane werden ins Ausland exportiert, während einheimische Patienten leer ausgehen – und sterben».

Das ist ja wohl der Gipfel. Auf Seite 11 schlägt dann der einschlägig bekannte Leo Eiholzer kräftig zu. Und verbrät bereits im Lead alles, was er hat: «Schweizer Spitäler verzichten auf Spenderorgane, während Dutzende Menschen auf der Warteliste sterben. Der Direktor von Swisstransplant gesteht ein: «Wir haben ein Problem.»»

Wäre ja unglaublich. Wenn’s so wäre.

36 Menschen seien letztes Jahr gestorben, während sie auf eine Spenderleber warteten. Dann wird’s etwas repetitiv: «Es stünden mehr Lebern zur Verfügung. Doch in Schweizer Spitälern werden mutmasslich taugliche Spenderorgane nicht verwendet. Währenddessen sterben Menschen, die auf eine Leber warten.»

Diskret schleicht sich ein Lieblingswort des Vermutungsjournalismus an: «mutmasslich tauglich». Aber das sei ja nur die Spitze des Leberskandals: «Mehr noch: In den letzten zwei Jahren wurden zwanzig Schweizer Lebern ins Ausland exportiert, für die es passende Schweizer Empfänger gegeben hätte.»

Woher weiss Eiholzer, dass die passend gewesen wären?

Dann spricht der Fachmann, räumt ein Problem ein und holt aus: «Die Organverwendungsquote ist in den letzten zwei Jahren markant gesunken. Bis vor wenigen Jahren war die Schweiz bei der Verwendungsquote europaweit zusammen mit Italien an der Spitze, heute sind wir unter dem Durchschnitt.»

Nach «mutmasslich» entweicht weiter Luft aus dem aufgepumpten Skandal. Der Fachmann führt weiter aus, dass es bei der Transplantation zu «schlechten Ergebnissen» gekommen sei, die er aber auf «eine mangelhafte Entnahmetechnik zurückführt».

Dann liefert der Experte das Quote, auf das Eiholzer gehofft hat: «Aufgrund dieser Situation kann es in einzelnen Fällen dazu kommen, dass taugliche Lebern am Ende nicht verwendet werden.» Kann es dazu kommen, aber man weiss natürlich nichts Genaues.

Nun muss Eiholzer allerdings weitere Stecknadeln in seinen aufgepumpten Ballon stecken. Denn das Unispital Zürich sagt: «So werde auf die Transplantation eines Organs verzichtet, wenn die Aussicht auf Erfolg zu gering sei. Zudem habe sich die Qualität der Lebern, etwa wegen des steigenden Alters der Spender, verändert

Und das Unispital Genf fügt hinzu: die «wahllose Akzeptanz» von Lebern» führe «hingegen zu erheblichen Risiken. Die ins Ausland exportierten Organe zeigten «variable Ergebnisse».» Variabel bedeutet: bei einer unbekannten Zahl war es nicht erfolgreich.

Am Schluss pumpt Eiholzer nochmal kräftig, um dann die Luft wieder abzulassen:

«Doch am Ende bleibt der Fakt, dass letztes Jahr 36 Menschen auf der Leber-Warteliste gestorben sind. Die Frage, ob es wegen der Zurückhaltung bei den Transplantationen zu mehr Todesfällen gekommen sei, könne man nicht beantworten, sagt der Swisstransplant-Direktor Immer. Die Todesfallrate sei von zu vielen Faktoren abhängig. Unklar ist auch, ob der Verzicht auf gewisse Organe dazu führe, dass die Ergebnisse bei den erfolgten Transplantationen besser ausfallen. Dazu liegen noch keine Daten vor.»

Wir fassen zusammen. 36 Personen, die auf eine Lebertransplantation warten, sind letztes Jahr gestorben, weil sie keine bekamen. In den letzten zwei Jahren sind 20 Lebern aus der Schweiz ins Ausland exportiert worden. Es wird kein Fall erwähnt, indem aus dem Ausland eine Leber in die Schweiz kam. Gab es die nicht?

Wenn letztes Jahr 10 exportiert wurden, wären dennoch mindestens 26 Menschen gestorben, wenn all diese Transplantationen erfolgreich gewesen wären. Ob es zu mehr Todesfällen gekommen sei, durch diesen Zusammenhang, den Eiholzer insinuiert, kann man nicht beantworten, ist unklar, es liegen keine Daten vor. Da ist dann die Luft endgültig raus.

Eine solche Transplantation kostet bis zu 180’000 Franken. Angesichts der Krankenkassenprämien ist das ein Kostenfaktor, der leider auch berücksichtigt werden muss.

Ob eine der exportierten Lebern tatsächlich tauglich gewesen wäre, ob einige oder alle von ihnen im Ausland erfolgreich transplantiert wurden, weiss der Recherchierjournalist nicht.

Wir betrachten einen geplatzten Ballon, der hässlich auf dem Boden des modernen Elendsjournalismus liegt.

 

Ist Musk auf sich selbst reingefallen?

Viele Medien beschäftigen sich mit Musks Attacken auf England. Kaum einer fragt, wieso er das macht.

Elon Musk hat nicht nur den deutschen Bundeskanzler ScholzNarr») beschimpft, sondern noch viel massiver Kritik an der britischen Regierung geübt, die seiner Meinung nach einen Vergewaltigungsskandal, der bereits einige Jahre zurückliegt, nicht richtig aufgearbeitet und unter den Teppich gekehrt habe. Wobei der jetzige Ministerpräsident und damalige Staatsanwalt Keir Starmer eine besonders üble Rolle gespielt habe.

Musk fordert nichts weniger als die Auflösung des Parlaments und den Rücktritt der Regierung und fragt sich öffentlich, ob man Grossbritannien nicht von ihr «befreien» solle.

Das wird natürlich lauthals kritisiert, was für eine unziemliche, unanständige Einmischung in innere Angelegenheiten, noch schlimmer als das Plauderstündchen mit der deutschen Kanzlerkandidatin Alice Weidel von der AfD.

Aber keiner fragt nach, wieso eigentlich Musk sich dermassen in dieses Thema in Grossbritannien verbissen hat. Keiner? Doch, die «Financial Times» hat nachrecherchiert.

«Wie eine Handvoll X-Accounts Elon Musk in die britische Politik hineingezogen haben», titelt die FT. Der Begriff «rabbit hole» stammt aus «Alice im Wunderland» und steht für ein Thema, von dem man sich gedanklich auf Abwege führen lässt.

Die FT hat zunächst quantitativ untersucht, wie häufig sich Musk auf seiner Plattform zu diesem Thema geäussert hat:

Daraus geht hervor, dass Musk manisch postet oder repostet. Fast 1200 Mal in lediglich sieben Tagen. Dabei stellt Musk die kühne Behauptung auf, «dass Starmer, ein ehemaliger Leiter der Staatsanwaltschaft in England und Wales, „zutiefst mitschuldig an den Massenvergewaltigungen im Austausch für Stimmen“ war», schreibt die FT. Aber woher hat Musk diese grenzwertige These?

Offensichtlich bezieht sich Musk dabei auf Accounts von bekannten rechten Verschwörungstheoretikern in England. Dazu zitiert die FT: «„Musk ist anscheinend der erste Technologieführer, der durch sein eigenes Produkt in den Kaninchenbau der Radikalisierung fällt“, sagte Bruce Daisley, ehemaliger Leiter der Twitter-Aktivitäten in Europa, dem Nahen Osten und Afrika.»

Und wie passiert ihm das? Durch Mechanismen seiner eigenen Plattform:

«X ermöglicht es Benutzern, zwischen einem Feed nur der Konten zu wechseln, denen sie folgen, und einem algorithmischen Feed namens „Für Sie“, der Inhalte anzeigt, die ihren Interessen und früheren Aktivitäten entsprechen könnten. Je mehr Musk sich mit Inhalten über Großbritannien von rechtsextremen oder Nischenquellen beschäftigt, desto mehr ähnliche Inhalte werden ihm laut Experten auf seiner „Für Sie“-Seite präsentiert.»

Wenn die FT mit ihrer These recht hat, die sie ziemlich überzeugend vorträgt, dann ist auch Musk auf ein Phänomen hereingefallen, das sich immer mehr zum Problem in sozialen Plattformen entwickelt. Sie dienen immer weniger zur Informationsgewinnung oder -vermittlung, sondern bieten ihren Nutzern einen Resonanzverstärker der eigenen Ansichten an.

Denn es ist klar: jeder liest lieber Posts, die ihn in seiner Meinung bestätigen als solche, die ihr widersprechen. Daraus ergibt sich eine Selbstverstärkung, eine Rückkoppelung. War der Nutzer am Anfang vielleicht noch leicht schwankend oder skeptisch, so bestätigt ihn jeder neue Feed darin, dass er eben völlig richtig mit seiner Ansicht liegt.

Ob und wie weit die mit der Realität zu tun hat, das ist dann ein weites Feld. Aber im Fall Musk gegen GB scheint es klar zu sein, dass der erratische Multimilliardär auf die Algorithmen seiner eigenen Plattform reingefallen ist.

Das entbehrt nicht einer gewissen Komik. Dass es allerdings nicht nur Musk so geht, sondern vielen Millionen seiner Nutzer, das ist entschieden weniger komisch.

Regulatorischer Filter

Der Begriff steht für Staatsversagen. Für Medienversagen.

Das nur von Banausen gelobte Verscherbeln der Credit Suisse zum Schnäppchenpreis ist der jüngste – und grösste – Finanzskandal in der daran nicht armen jüngeren Geschichte der Schweiz.

Wie er – mit wenigen Ausnahmen wie dem Finanzblog «Inside Paradeplatz» – medial verarbeitet wird, ist ein weiterer Skandal. Hier paart sich wieder – wie schon mehrfach zuvor – Staatsgläubigkeit mit Inkompetenz.

Genau genommen sind es drei Skandale mit einem Schadenspotenzial in Multimilliardenhöhe. Überschattet wird das lediglich von der zukünftigen Möglichkeit, dass die Monsterbank UBS beim Umfallen einen Krater hinterlässt, der so gross ist wie die Schweiz. Denn wenn eines sicher ist im Bankenwesen: nach der Krise ist vor der Krise. Immer.

Aber der Reihe nach.

Der erste – von den meisten einheimischen Medien zunächst gar nicht beachtete – Skandal ist das Abschreiben von sogenannten AT1 Bonds im Nominalwert von 17 Milliarden Dollar auf null. Per Federstrich, per Notrecht von einem überforderten Bundesrat angeordnet, von einer überforderten Finma ausgeführt.

Diese Schuldverschreibungen gehören zum Gebastel, mit denen schwachbrüstige Banken ihr mageres Eigenkapital aufpumpen wollen. Sie sind ein perverser Zwitter zwischen Obligation und Aktie. Von Haus aus Obligation, soll das Papier im Krisenfall in Aktien gewandelt werden und somit das Eigenkapital stärken. Oder aber auf null abgeschrieben werden, wenn mit Staatshilfe ein Bail-out stattfindet. Genial, dass die Finanzministerin Karin Keller-Sutter vor laufenden Kameras sagte: «this is not a bail-out». Das dürfte den Steuerzahler ein paar Milliarden kosten, während sich die UBS über dieses Milliardengeschenk nicht einkriegt vor klammheimlicher Freude. Denn eigentlich hätte sie beim Kauf dafür geradestehen müssen.

Der zweite – von den meisten Medien bis heute nicht beachtete – Skandal steht hinter dem Begriff «regulatorischer Filter».  Wie vieles in der perversen Finanzwelt hört sich das harmlos an, ist aber in Wirklichkeit die Bankrotterklärung des Schweizer Staats, der Schweizer Finanzmarktaufsicht Finma, der gesamte Berner Bundesverwaltung und auch des Bundesrats.

Denn «regulatorischer Filter» bedeutet nichts anderes, als dass die Aufsichtsbehörde Finma ihre eigenen, schon sackschwachen Regeln nochmals verwässerte, umbog, ausser Kraft setzte. «Ohne Filter wäre die CS schon ab 2020 leicht und bis im Herbst 2022 klar unterkapitalisiert werden», schreibt Urs Birchler. Der ist nicht irgendwer, sondern emeritierter Bankenprofessor und war Mitglied der Direktion der Schweizerischen Nationalbank (SNB).

In einem dreissigseitigen Gutachten für die Parlamentarische Untersuchungskommission zerfetzt er dieses Behördenversagen. Ganz abgesehen davon, dass die PUK zwar viel Papier, aber kaum Brauchbares für die Zukunft produziert hat.

Man muss sich das vorzustellen versuchen. Da gibt es eine staatliche Bankenaufsicht, die schlappe regulatorische Vorschriften durchsetzen sollte. Die noch niemals bei einer Grossbank ihre beiden schärfsten Waffen eingesetzt hat: ein Enforcement-Verfahren zur Durchsetzung einer Anordnung oder der Entzug der Gewähr, was einen leitenden Banker arbeitslos machen würde und nicht nur beim Versagerrat Urs Rohner überfällig war.

Damit nicht genug, natürlich wusste die Finma die ganze Zeit, dass die ausgebrüteten «Too big to fail»-Regeln nach der Fast-Kernschmelze des Finanzsystems von 2008 völlig unzureichend, unpraktikabel, das Papier nicht wert waren, auf das sie gedruckt wurden. Typische Bürokratenhaltung: nicht unser Bier.

Aber der Gipfel des Gipfels ist, sogar die eigenen Regeln statt anzuwenden – zu verwässern. Denn «regulatorischer Filter» heisst auf Deutsch: die CS erfüllte nicht mal die vorhandenen windelweichen Eigenkapitalvorschriften, macht aber nix, da gewähren wir ihr doch eine grosszügige Ausnahme nach der Devise: was nicht passt, wird passend gemacht.

Gibt es da rote Köpfe, Riesengebrüll, wird dringlicher Handlungsbedarf angemahnt? Ach was, sanftes Gesäusel in den Medien, die NZZaS zitiert immerhin Birchler, stellt aber seine Erkenntnisse gleichzeitig wieder in Frage.

Dabei kommt hier der dritte und noch grössere Skandal zum Vorschein. Dazu muss man wissen, dass jeder Banker, vor allem, wenn er verantwortungslos und geldgierig ist, Eigenkapital als etwas Überflüssiges, Unnützes, Sinnloses empfindet. Liegt bloss blöd rum, produziert keinen Profit, ein echter Klotz am Bein, so wenig wie möglich davon.

Als Schreckgespenst haben die Banker dann den Popanz aufgebaut, dass eine Steigerung des Eigenkapitals die Bankgeschäfte verteuern würde, bspw. die Kreditvergabe. Dass das eine niemals bewiesene Behauptung ist – was soll’s. Solange es die Medien und die Öffentlichkeit schlucken …

Eigenkapital ist nicht nur dringend nötig als Risikopuffer, es verstärkt auch die Sicherheit einer Bank, was für sie die Kapitalaufnahme verbilligt. Die Behauptung, dass beim Untergang der CS die mangelhafte Eigenkapitaldecke gar keine Rolle gespielt habe, ist Unsinn. Ausreichendes Eigenkapital hätte zwar den Abzug von Milliardenbeträgen nicht ausgleichen können – aber allenfalls verhindern, weil das ja alles Vertrauensfragen sind. Und eine gutkapitalisierte Bank geniesst viel mehr Vertrauen als eine, die mit aller kreativen Buchhaltung und gnädiger Mithilfe der staatlichen Aufsicht ein Eigenkapital herbeischwindelt.

Das ist Vergangenheit, aber das Problem ragt in die Zukunft. Denn natürlich wehrt sich auch die Monsterbank UBS mit Händen und Füssen, viel Geschwurbel und Gedöns gegen eine dringend nötige Erhöhung des Eigenkapitals. Angesichts ihrer weltweit einmaligen Grösse (im Verhältnis zum BIP der Schweiz) müsste es mindestens 20 Prozent betragen. Besser noch 25 Prozent. Und zwar echtes, hartes, reales Eigenkapital, kein Gebastel.

Da behauptet die UBS nun, das sei gar nicht möglich, so viel zusätzliches Eigenkapital aufzunehmen. Wenn wir ihr das glauben wollen, gibt es nur eine Alternative dazu: die UBS muss gewaltig auf ein zuträgliches Bilanzvolumen geschrumpft werden. Damit würden natürlich auch die weltweiten Ambitionen von VR-Präsident und CEO verzwergen, und wenn ein führender Banker etwas hasst, dann ist es Bedeutungsverlust. Einkommen, Yacht, Privatjet, Personal Assistents à gogo, alles gut und schön. Aber Bedeutung, Macht, Wichtigkeit, wenn ich anrufe, nehmen alle den Hörer ab, ich tue das nicht bei allen, selbst wenn es ein Bundesrat ist, das ist das Elixier für Bankbosse, ihr Zaubertrank, der sie jeden Morgen grösser macht, als sie eigentlich sind.

Also müsste das Eigenkapital gewaltig hochgesetzt werden, wenn der Staat stärker als die UBS wäre. Zudem müsste die UBS endlich ein akzeptables Entgelt dafür zahlen, dass sie sich wie keine andere Bank in der Schweiz einer impliziten Staatsgarantie erfreut. Nicht nur ein Wettbewerbsvorteil, sondern auch bares Geld wert.

Zwei einfache Massnahmen als Konsequenz aus diesem Riesenskandalberg.

Wetten, dass keine davon umgesetzt wird?

Ausgeknockt, ausgeloggt

Das haut selbst die Bärtschi-Peinlichkeitsskala durch die Decke.

Wer hat’s erfunden? Ringiers Marc Walder. Ein einziges Login für alle wichtigen Schweizer Medienmarken. Alles mit einem einzigen Eingang, ist doch super. Alles von Ringier, Blick & Co., Tages-Anzeiger, NZZ, CH Media. Der Hammer.

Sicher, einfach, zentral, praktisch, gut.

Nun ist der Burner aber durchgebrannt. Seit Donnerstag (!) letzter Woche geht nichts mehr. «Aufgrund eines Cyber-Angriffs», räumt OneLog zerknirscht ein. «Die mit dem OneLog-Login verbundenen Services sind ebenfalls nicht verfügbar. Nicht betroffen sind die Titel von NZZ und CH Media, da sie die Login-Lösung von OneLog noch nicht eingeführt haben.»

Offensichtlich sind alle registrierten Daten gelöscht, bzw. nicht mehr vorhanden. Ob die Hacker sie abgesaugt haben oder nicht, weiss man nicht. Man weiss eigentlich sowieso sehr wenig. Angefangen dabei, wie das überhaupt möglich war.

Natürlich ist nichts unknackbar, nicht einmal die NSA. Aber wie es möglich war, ausgerechnet dieses Teil zu killen, das ist schon unglaublich.

Erschwerend kommt noch hinzu: wer war das? Oder vielmehr: wer hat eine Interesse daran, wer hat das bezahlt? Denn ein Angriff vom Sohn des Nachbarn war das sicherlich nicht. Wenn doch, dann wäre es aber ein Riesenskandal. Es sind keine so sensiblen Daten, dass sich ein Erpressungspotenzial ergeben könnte. Und anscheinend wurden auch noch keine entsprechenden Forderungen gestellt.

Selbst wenn der Service irgendwann einmal wieder repariert werden sollte: das Vertrauen ist dahin, eigentlich kann man das Teil einstellen. Oder aber, es muss ziemlich viel Geld in die Hand genommen werden, um verlorenes Vertrauen wiederherzustellen. Wie jeder Marketing-Mensch weiss: schwierig, teuer, richtig scheisse.

NZZ und CH Media können sich auf die Schulter klopfen. Noch nicht dabei, nicht betroffen. Das bedeutet, dass hier die Bezahlschranken weiter funktionieren. Um die Leute nicht stinksauer zu machen, sind sie aber bei Ringier und Tamedia weggeräumt worden. Alle können alles lesen – gratis.

Gut, die Verluste bei «Blick+» werden sich in Grenzen halten. Auf jeden Fall ist das unterste Amateurliga.

Denn da sich hier keine Staatsgeheimnisse versteckt hielten, da es eigentlich keinen mächtigen Player gibt, der bereit wäre, für so einen Scherz viel Geld aufzuwerfen, muss es sich eher um einen Amateurangriff gehandelt haben. Und wer weiss, vielleicht fand zuvor ein Erpressungsversuch statt. So nach der Devise: drückt Bitcoin ab, oder wir killen euer Teil.

Möglicherweise war die Antwort darauf dann, dass der Erpresser sich seine Drohung rollen und hinten rein stecken soll. Was er nicht tat.

Aber eigentlich ist es von A bis Z symbolisch für den Zustand der Medienhäuser. Da wird eine Idee ausgebrütet und umfangreich beworben. Dann werden Kunden draufgelockt. Mit den üblichen Versicherungen von super, sicher, stabil.

Dann schaffen es Hacker – ohne Riesenaufwand, steht zu vermuten –, das Teil zu knacken, einzudringen und mal kurz alle Daten zu löschen (oder abzuräumen). Dann dauert es Tage (und ein Ende ist noch nicht absehbar), und das Teil ist immer noch nicht wieder in Funktion.

Eigentlich kann man es auch wegschmeissen, nach dieser Peinlichkeit. Denn das ist nicht weit davon entfernt, dass eine Bank ihren Kunden sagen müsste: sorry, das Geld ist noch da, aber alle Eure Zugangsdaten sind weg. Wir arbeiten zwar dran, bitten aber dennoch um ein paar Tage Geduld.

Die Bank könnte wahrscheinlich die Bücher deponieren. Bei OneLog wird aber das passieren, was immer passiert in den Medien: allerhöchstens ein Sündenbock wird in die Wüste gejagt. Dass es hier offensichtlich an Leitung und Controlling fehlte, dass irgend etwas von vornherein schräg und schief war, das hätte eigentlich die oberste Nase zu verantworten. Aber die ist unkaputtbar.

Dabei sollten Pietro Supino und Marc Walder gemeinsam einen langen Trip auf der Coninx-Yacht unternehmen. In die Südsee. Rückkehr unbekannt. Dann hätte der Schweizer Journalismus vielleicht noch eine Überlebenschance.

Lob für Tobler

ZACKBUM ist gnadenlos objektiv und verteilt gerecht Tadel und Zuspruch.

Andreas Tobler ist einer unserer Lieblingsprügelknaben bei Tamedia. Natürlich hat er jede Tracht redlich verdient; man kann seine Untaten im Archiv nachlesen. Fast 100 mal taucht er hier auf; ZACKBUM fragte schon inquisitorisch: Wieso darf Tobler noch schreiben?

Diese Frage bleibt weiter unbeantwortet, vielleicht gibt das nächste grosse Rausschmeissen eine Antwort.

Aber zuvor gebührt ihm Lob. Doch:

Das ist ein Stück Lokaljournalismus in bester Tradition; zurecht hat es der Tagi auf die Front genommen. Tobler deckt hier eine typische Mauschelei im linken Filz auf: «Ein internes Dokument zeigt, dass es bei der Wahl des neuen Geschäftsführers der Zürcher Filmstiftung zu Fehlern kam. Jacqueline Fehr und Corine Mauch sind beide im Stiftungsrat – und unternahmen nichts dagegen.»

Sicher, die «smoking gun» ein internes Dokument, wurde Tobler zugespielt. Aber aus diesem Anfangsverdacht machte er dann eine runde Story.

Kurz gesagt kam es bei dieser Wahl in die bedeutende Filmstiftung, die über ein Budget von 13 Millionen Steuerfranken verfügt, zu unglaublichen Mauscheleien. Tobler: «Einer der gravierendsten Fehler lag in der Zusammensetzung der Findungskommission für die Neubesetzung. Sie bestand aus Corine Mauch, der Kommissionsvorsitzenden Heidi Burch – und dem Filmproduzenten Kaspar Winkler, der seit 2023 dem Stiftungsrat angehört

Diese drei Köpfe entschieden, Problem: Befangenheit. «Kaspar Winkler ist seit gut zehn Jahren Geschäftspartner des Kandidaten Hercli Bundi: Gemeinsam mit weiteren Produzenten haben sie die Vinca-Film gegründet, die unter anderem den Verleih von Filmen übernimmt

Dazu sagt die Rechtsprofessorin Monika Roth: das Vorgehen sei «dilettantisch», die Informationspolitik «unhaltbar». Der Todesstoss: ««Konkret würde dies bedeuten, dass die Stelle des Geschäftsführers der Zürcher Filmstiftung neu ausgeschrieben werden müsste», sagt die Rechtsprofessorin und Governance-Expertin.»

Natürlich hat der Zürcher Filz ein dickes Fell; sowohl Mauch wie auch Fehr lassen alle Vorwürfe an sich abtropfen, nehmen keine Stellung oder sagen intern, dass sie sich weiterhin «wohl» mit diesem Wahlprozedere fühlen.

Ein Mitglied des dreiköpfigen Wahlgremiums ist geschäftlich mit dem Kandidaten verhandelt, der am Schluss gewählt wird. Niemand sah einen Anlass, dass der Geschäftspartner hätte in Ausstand treten müssen, obwohl das nicht nur alle Reglemente, sondern auch der simple Anstand zwingend erforderten.

Und dann wird zugesosst, die Erde festgeklopft, interne Kritik abgebügelt. Bis es offenbar einem Involvierten gereicht hat und der Tobler genügend Informationen zusteckt, damit der die lusche Wahl an die Öffentlichkeit zerren kann.

Nun bleibt die Frage, ob der Tagi noch mächtig genug ist, Reaktionen zu erzwingen. Die Rechtsprofessorin fordert eine Neuausschreibung der Stelle, da der «Entscheid der Findungskomssion nicht gültig zustande gekommen» sei. Das ist starker Tobak. Vor allem, weil zwei Mitglieder der Exekutive involviert sind, die so etwas eigentlich nicht dulden dürften.

Aber die Wahl wiederholen, das würde etwas bedeuten, was ein Politiker höchstens unter Androhung von Folter zugibt: dass er einen gravierenden Fehler gemacht hat.

ZACKBUM wettet darauf, dass auch diese Mauschelei einfach ausgesessen wird. Allerhöchstens wird es hohle Bekundungen geben, dass man zukünftig «noch genauer und sorgfältiger» vorgehen werde. Aber Rücksturz in die Vergangenheit, den gewählten Geschäftsführer feuern, neue, korrekte Wahl? Aber doch nicht in Zürich, dieser kleinen Filzrepublik ohne Bananen.

Statistik, gefälscht

ARD trickst sich Statistik schön: AfD hängt die SPD ab – aber die Balken sagen etwas anderes.

Von Stefan Millius

15 Prozent sind einiges mehr als 17 Prozent. Und 11 Prozent sind immer noch zumindest einen Hauch mehr als 17 Prozent. Jedenfalls in der Lesart der öffentlich-rechtlichen ARD.

Das zeigt eine Grafik zur Auswertung der Sonntagsfrage zur Bundestagswahl, welche die ARD eingeblendet hat. Demnach würde die AfD bei einer Bundestagswahl derzeit auf 17 Prozent der Stimmen kommen, die SPD erreichte 15 Prozent, die Grünen 11 Prozent.

Die Opposition hängt zwei Regierungsparteien ab: Das sind doch mal News. Allerdings dürfen sie offensichtlich nicht wahr sein.

Denn die Balken bei den einzelnen Prozentzahlen korrespondieren nicht mit diesem Resultat. Derjenige der SPD ist deutlich höher als derjenige der AfD. Sogar die Grünen, die satte 6 Prozent hinter der AfD liegen, werden als leicht über dieser stehend gezeigt.

Aber natürlich darf man nicht immer vom Schlimmsten ausgehen. Vielleicht hat ja einfach die Grafiksoftware versagt, oder der Praktikant bei der ARD hat freien Auslauf erhalten.

Bedanken bei der ARD dürfen sich nicht nur SPD und Grüne, sondern auch Sahra Wagenknecht mit ihrem BSW. Sie erreicht mit 8 Prozent nicht einmal die Hälfte der AfD, doch ihr Balken kommt bedrohlich nahe an deren Werte. Die restlichen Parteien erreichen zusammen 9 Prozent, und neckischerweise ist auch ihr Balken fast so hoch wie der von der AfD.

Profiteure des grafischen Schlamassels sind auch die FDP und die Linke. Beide Parteien erreichen Stand heute mit 4 beziehungsweise 3 Prozent nicht einmal die 5-Prozent-Hürde, die für den Einzug in den Bundestag nötig ist. Schaut man sich aber die Höhe der Balken an, erreichen sie etwa die Hälfte des Wertes der AfD mit ihren 17 Prozent.

Im Rahmen einer Mathematikprüfung würden diese Darstellungen wohl zum Sitzenbleiben führen. Aber es geht ja nur um nationale Wahlen in Deutschland und deren Darstellung durch das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Da kann man schon mal fünf gerade sein lassen.

Und es bleibt ja bis zu den Wahlen noch etwas Zeit, den Praktikanten auszuwechseln. Oder die Software.


Dieser Artikel erschien zuerst in der «Weltwoche». Mit freundlicher Erlaubnis.

Rammstein!

Man erinnert sich? Grosses Geschrei, «#metoo». Nun nur noch Gewinsel.

Der «Blick» bellte zuerst blöd los, dann musste er schnell den Schwanz (Pardon) einziehen. Nach einem Artikel voller unbelegter Vermutungen, was der Rammstein-Sänger wohl mit Fans anstellen würde, die kreischend in der Row Zero stehen und es als höchstes Glück empfinden, anschliessend zur After-Party eingeladen zu werden, musste er den Artikel schnell löschen, und Ringier gab «nach Abmahnung gegenüber unserem Mandanten eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab», vermeldeten die Anwälte des Sängers triumphierend.

Allerdings können und konnten sie sich auch nicht um alles kümmern, in einer ersten Version bezeichnete die NZZ den Sänger doch tatsächlich als «Täter», ein unglaublicher Ausrutscher von Ueli Bernays: «Till Lindemann und Rammstein: Aus dem Künstler ist ein Täter geworden». Als dann Vernunft und Verstand wieder einsetzten, wurde abgesoftet zu: «Was ist Tat, was sind Fiktionen?» Besser wäre gewesen: was sind Imaginationen?

Dass sich auch noch Tom Kummer um Rammstein kümmerte, war dann zusätzlich unverdientes Pech. Aber bei dem Fake-Schreiber weiss man sowieso nicht, ob er wirklich bei einem Konzert war oder das nur fantasierte. Auch der «Spiegel», bereits mehrfach einschlägig aufgefallen, nicht zuletzt durch den unkritischen Abdruck der Rache einer frustrierten und gefeuerten «Magazin»-Redakteurin, musste zurückkrebsen und verheddert sich nun sogar noch in Vorwürfe wegen Urkundenfälschung und versuchtem Prozessbetrug.

Leider ungeschoren kam Tamedia mit seinem Amok-Redaktor Andreas Tobler davon. Der machte sich zur Witznummer, indem er einerseits die Unschuldsvermutung beschwor. Andererseits aber forderte: «Die Rammstein-Konzerte sollten abgesagt werden».

Till Lindemann, Luke Mockridge, Finn Canonica, Till Schweiger, Kevin Spacey. Die Liste liesse sich beliebig verlängern. Nach Corona erreichte hier die Sittenverluderung der Medien einen neuen Tiefpunkt.

Blöd bloss für die Denunzianten, dass nicht alle aus Geldmangel aufgeben müssen wie Canonica, nicht alle ruiniert zurückbleiben wie Spacey. Lindemann lässt seine Anwälte von Schertz Bergmann weiter Fälle abarbeiten. Denn die Medien geben ja auch nicht auf.

So veröffentlicht der staatliche Sender NDR zusammen mit der «Süddeutschen Zeitung» seit Mitte Mai dieses Jahres einen vierteiligen Podcast «Rammstein – Row Zero». Gegen die ersten zwei Folgen hatten die Anwälte bereits zwei einstweilige Verfügungen erwirkt.

Nun sind zwei weitere ergangen. Den vermeintlich seriösen Veranstaltern des Podcasts wird untersagt zu behaupten, dass Lindemann an einer gewissen Kaya R. in bewusstlosem Zustand sexuelle Handlungen vorgenommen habe. «Das Landgericht stellt fest, dass es für diese Verdachtserweckungen jeweils an dem erforderlichen Mindestbestand an Beweistatsachen fehle.»

Was erschreckt, ist der Zeitpunkt der Ausstrahlung. Mehr als ein Jahr, nachdem dieser Skandal, der keiner war, zu einem Medienereignis aufgepumpt wurde, sollten die Medien doch eigentlich in der Lage sein, zwischen Dichtung und Wahrheit zu unterscheiden. Sich darüber im Klaren werden, dass Trittbrettfahrerinnen, Mädchen mit Geltungsbedürfnis auch hier versuchten, sich eine Scheibe medialer Aufmerksamkeit abzuschneiden.

Was – wie bei Corona – dringend Not täte, wäre eine kritische Aufarbeitung des eigenen Versagens, die schonungslose Analyse, wie es immer wieder zu solch hysterischer Hatz kommen konnte und kann. Aber darüber kein Wort.

Eigentlich sind (fast) alle Medien inzwischen auf dem mehr oder minder geordneten Rückzug – oder versuchen, Gras über diese peinliche Hatz wachsen zu lassen. Aber nicht so der NDR und die SZ. Denen ist’s offenbar egal, sich den Ruf weiter zu ruinieren. Mit unbelehrbarer Rechthaberei, nach der Devise: na warte.

Längst widerlegte Behauptungen nochmals aufstellen, im sicheren Wissen, dafür nochmal eine übergebraten zu bekommen, das ist nun wirklich erschreckend.

Jetzt wird’s eng für Natalie Rickli

Nach Paul Vogt schiesst Herz-Kollege Thierry Carrel Torpedo ab: „100 bis 200“ Verstorbene am Zürcher Unispital seien wohl vermeidbar gewesen.

Von Lukas Hässig*

Der Sommer 2024 wird zum Stresstest für die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli.

Die SVP-Magistratin hat die vier Jahre zuvor ausgebrochene Krise in der Herzchirurgie des Unispitals Zürich (USZ) schöngeredet.

Sie tut das bis heute. Nun legte der SonntagsBlick zweimal vor.

Diesen Sonntag lässt er Thierry Carrel, den Berner Herzchirurgen, zu Wort kommen.

100 bis 200 Patienten „wohl“ unnötig verstorben (T. Carrel; SonntagsBlick)

Carrel rettete von 2021 bis 2022 notfallmässig mit Paul Vogt, dem zuvor im Expressverfahren eingesetzten Chef der Herzchirurgie, die Klinik vor dem „Verbluten“.

Heute sagt Carrel der Zeitung mit Blick auf öffentlich zugängliche Statistiken, dass es sich „vermutlich um 100 bis 200 Patienten“ handle, „die beim gleichen Eingriff in einem anderen Universitätsspital höchstwahrscheinlich nicht verstorben wären“.

Carrel spricht im SonntagsBlick von der Zeit von 2016 bis 2020, als Francesco Maisano die USZ-Herzchirurgie geleitet hatte. Dabei setzte der von Mailand gekommene Operateur umstrittene Implantate ein, die ihn reich machten.

Maisano verkaufte sie zusammen mit Mitinvestoren für Hunderte von Millionen Dollar in die USA, nachdem er sie am USZ bei Patienten eingesetzt hatte, obwohl nach Aussage Dritter traditionelle Behandlungsmethoden möglich gewesen wären.

Gesundheits-Magistratin rückt ins Zentrum des Falls (SonntagsBlick)

Carrels „100 bis 200 Patienten“ passen zu Paul Vogts 150 Verstorbenen, die nicht hätten ihr Leben verlieren müssen.

Die Aussage hatte Vogt im April in einem Strafprozess gegen ihn wegen Urkundenfälschung gemacht, von der ihn das Bezirksgericht Zürich vollständig freisprach.

Laut Vogt, der im Juli 2020 das Steuer in der USZ-Herzchirurgie übernommen hatte, war es in der Zeit seines Vorgängers zu „unethischem und kriminellem Verhalten“ gekommen.

Die Staatsanwaltschaft will jetzt aber trotzdem gegen Vogt vorgehen; sie hat Berufung gegen den Freispruch des Bezirksgerichts eingelegt.

Umgekehrt hat die Ermittlungsbehörde bisher kein Verfahren wegen des von Vogt behaupteten „kriminellen“ Tuns eröffnet.

Es bestehe „kein hinreichender Anfangsverdacht auf eine Straftat, der die Eröffnung einer Strafuntersuchung rechtfertigen würde“, so ein Sprecher gegenüber dem SonntagsBlick vor Wochenfrist.

Damals hatte die Zeitung eine Strafanzeige des „Whistleblowers angekündigt. Es handelt sich um einen ehemaligen Leitenden Herzchirurgen des USZ, dem gekündigt wurde.

Dies, nachdem er kurz zuvor die Missstände unter Vogt-Vorgänger Maisano der Leitung des Spitals sowie Gesundheitsdirektorin Rickli offengelegt hatte.

Ricklis Sprecherin meinte vor Wochenfrist gegenüber dem SonntagsBlick, die „Verantwortlichen“ wären nach unzähligen Untersuchungen „zum Schluss gekommen, das Patientenwohl sei nicht gefährdet und es bedürfe keine Sofortmassnahme“.

Die (indirekt wiedergegebene) Aussage steht diametral zu den 150 „nicht nötigen“ Verstorbenen (Paul Vogt) und den „100 bis 200“ Patienten, die laut Carrel „höchstwahrscheinlich nicht verstorben wären“.

Der Whistleblower hat am Freitag in einer Medienmitteilung die Einreichung seiner Strafanzeige offiziell bekannt gemacht.

Diese umfasst 12 Seiten, hinzu kommen 19 Seiten Anhänge, darunter Emails und Schreiben an die Gesundheitsdirektion, das USZ und die Anwälte von Walder Wyss, die im Auftrag des USZ die Maisano-Jahre untersuchten.

In seinem Communiqué vor zwei Tagen erwähnte der Whistleblower auch die Tatsache, dass das USZ inzwischen Patienten respektive deren Angehörige entschädigt habe.

Tatsächlich hat die Zurich-Versicherung mehrere am USZ in der Herzchirurgie zwischen 2016 und 2020 behandelte Patienten oder deren Angehörige eine Summe überwiesen.

Die Rede ist von mindestens fünfstelligen Beträgen – pro Fall.

Um das Geld zu erhalten, müssen die Entschädigten eine absolute Stillhalteklausel unterzeichnen. Sie dürfen somit kein Wort mehr zu ihrem Fall sagen.

Die Schadenszahlungen werfen ein neues Licht auf die öffentlichen Aussagen der Spital-Chefs und der Gesundheitsdirektion. Warum braucht es solche, wenn doch nach deren Ansicht „das Patientenwohl nicht gefährdet“ gewesen sei?

Und weshalb ist Schweigen zwingend?

Wenn keine Patienten gefährdet wurden, dann hätten die Verantwortlichen nichts von möglichen Aussagen der Betroffenen zu befürchten.

So aber erweckt es den Anschein, dass die Zuständigen versuchen würden, sich gegen Geld Ruhe zu verschaffen – öffentliche Gelder, notabene.

*Dieser Artikel erschien zuerst auf «Inside Paradeplatz». Mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Skandal um Skandal um Skandal

Die Zürcher Staatsanwaltschaft will sich demontieren.

Der Skandal um die Herzchirurgie am Unispital Zürich weitet sich nochmals aus.

Zum Thema «Todesfalle Unispital» hat ZACKBUM bereits umfangreich berichtet. Oder die Berichterstattung von Lukas Hässig auf «Inside Paradeplatz» übernommen.

Durch eine umfangreiche Recherche hat gerade die deutsche «Welt am Sonntag» den versammelten Schweizer Pseudo-Investigativjournalisten – und der Öffentlichkeit – gezeigt, was hier alles wahrhaft kriminell ablief.

Es ist eine Kette von Versagen über alle Kontrollinstanzen hinweg bis hinauf zur obersten Verantwortlichen, der Regierungsrätin Natalie Rickli. Auch sie zeichnet die ungeheuerliche Arroganz aus, mit der bislang alle Verantwortlichen versuchten, den Skandal auszusitzen, zu vertuschen, kleinzureden, wegzudrücken. Nach dem erschütternden Artikel in der WamS ging Rickli nicht etwa in sich, sondern verlangte nassforsch eine «Richtigstellung», die natürlich abgelehnt wurde.

Die einzige Lichtfigur in diesem völligen Desaster ist der Herzchirurg Paul Vogt, der sich breitschlagen liess, an der Herzklinik aufzuräumen. Das brachte ihm von den intriganten Überlebenden der Maisano-Clique eine Strafanzeige ein.

Den Prozess mit seinem dröhnenden Freispruch benützte Vogt dazu, nochmals auf die über 150 ungeklärten Todesfälle hinzuweisen, die in der Ära seines Vorgängers stattgefunden hatten.

Alleine diese (im übrigen wohldokumentierte) Anschuldigung hätte schon längst die Zürcher Staatsanwaltschaft auf den Plan rufen müssen. Denn nicht nur ein einzelner, gar 150 ungeklärte Todesfälle sind ein potenzielles Verbrechen, dem mit aller Energie nachgegangen werden muss. Müsste.

Nun ist die Staatsanwaltschaft endlich tatsächlich tätig geworden. Denn ihr reicht die dröhnende Ohrfeige nicht, die ihr von der Bezirksrichterin verabreicht wurde, die Vogt über jeden Zweifel erhaben freisprach.

Gegen diese Urteil hat die Staatsanwaltschaft tatsächlich Rekurs eingelegt und zieht es ans Obergericht Zürich weiter.

Das ist in diesem wilden Reigen von Skandalen ein weiterer, der dem Fass die Krone ins Gesicht schlägt. Damit verbrät die Staatsanwaltschaft ungeniert und sinnlos Steuergelder und belästigt das Obergericht mit einem Fall, der bereits vollständig aufgeklärt ist und wo es nicht das Fitzelchen eines Restverdachts gibt, dass eine angebliche Urkundenfälschung stattgefunden haben könnte.

Wo sie nicht tätig werden sollte, wird sie es – wohl aus gekränkter Eitelkeit. Wo sie aber zweifellos und unbedingt tätig werden müsste, wird sie es nicht.

Hier gibt es eine von intriganten und anonym bleibenden Spitalangestellten mutwillig eingereichte Strafanzeige. Die zu einer Strafuntersuchung führte, zu einer Anklage – und einem erstklassigen Freispruch. Dagegen rekuriert die Staatsanwaltschaft.

Dort gibt es seit Jahren unaufgeklärte Todesfälle in der erschreckenden Höhe von 150 Menschenleben. Dort gibt es möglicherweise strafbare Verletzungen von Aufsichtspflichten. Dort gibt es das Versagen aller Beteiligten, die schon zuvor von einem Whistleblower und dann von Prof. Vogt in aller Deutlichkeit über diese Ungeheuerlichkeit informiert wurden – und ausser einer Pseudountersuchung nichts, schlichtweg nichts taten. Ausser alles, um den Skandal unter dem Deckel zu halten.

Welchem dieser beiden Verdachtsfälle auf strafbare Handlungen sollte eine verantwortungsbewusste Staatsanwaltschaft nachgehen?

Das sollte keine Frage sein, aber ihre Beantwortung durch die Zürcher Staatsanwaltschaft ist skandalös. Ungeheuerlich. Verstörend.