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Assange!

Die Schande des Westens hat einen Namen.

Bei aller Abscheu über den Umgang von Autokratien mit Dissidenten und Oppositionellen und Kritikern: auch der Westen hat rabenschwarze Flecke auf seiner angeblich so weissen Weste.

Meinungsfreiheit sagen und Meinungsfreiheit praktizieren, das sind zwei ganz verschiedene Dinge.

Wer anderen repressiven Umgang mit abweichenden oder kritischen Meinungen in die Fresse haut, sollte selbst einen makellosen Leumund haben. Sonst ist die moralische Überhöhung schale Heuchelei.

Es nutzt ja nichts darauf hinzuweisen, dass im Vergleich zu Zuständen in Russland oder China (oder in der Ukraine) zumindest in Zentraleuropa oder den USA freiheitliche Zustände herrschen.

Solche Vergleiche bringen – ausser propagandistisch – nichts.

Vor allem, da die jüngere Geschichte zeigt, dass es nicht nur Einzelversagen gibt, sondern auch systemisches. Was die Mainstreammedien während der Pandemie geboten haben, ist an Obrigkeitshörigkeit, Ausgrenzung von abweichenden Meinungen und übelster Denunziation schwer zu überbieten.

Es wird noch dadurch verschlimmert, dass schlichtweg null, überhaupt keine Bereitschaft vorhanden ist, das eigene Fehlverhalten aufzuarbeiten. Dass Figuren wie Marc Brupbacher, um nur einen Namen unter vielen zu nennen, weiterhin in Lohn und Brot steht, ist unverständlich. Dass ein Kadermann bei Tamedia wie Denis von Burg Zwangsmassnahmen in Sachen Impfung fordern durfte, ohne dafür streng gemassregelt zu werden, ist ein Skandal, um nur einen Fall unter vielen zu nennen.

So kritisch sich die Medien auch allen anderen gegenüber geben – Selbstreflexion und Selbstkritik ist ihre Sache nicht.

Aber das schlimmste Versagen der Medien trägt einen Namen. Julian Assange. Der Mann, der schwere Kriegsverbrechen der USA aufgedeckt hat, schmort seit inzwischen fünf Jahren in einem Hochsicherheitsknast in England. Da er schon zuvor neun Jahre in einem beengten Asyl in einer Botschaft verbrachte, ist er laut Aussagen seines Umfelds physisch und psychisch schwer angeschlagen. So sehr, dass er nicht einmal persönlich einer entscheidenden Berufungsverhandlung bewohnen kann.

Als Reaktion auf seine Enthüllungen wurde er fälschlicherweise sexueller Übergriffe beschuldigt, und die USA verlangen seit Jahren die Auslieferung des australischen Staatsbürgers, um ihn selbst vor Gericht stellen zu können. Da sie seine Handlungen als Landesverrat werten, droht ihm eine lebenslängliche Gefängnisstrafe, sollte er tatsächlich ausgeliefert werden.

Zu welchen Kapriolen die US-Wildwestjustiz in der Lage ist, führt sie nicht zuletzt in der unendlichen Gerichtsposse um Donald Trump vor.

Nun müsste man annehmen, dass der Assange-Skandal in jedem anständigen Massenmedium präsent gehalten wird. Dass unermüdlich auf sein Schicksal hingewiesen wird, jede Form von Unterstützungsplattformen wie «Free Assange» promotet würden.

In Wirklichkeit gibt es eine müde Pflichtberichterstattung, vorsichtig abtemperiert. Denn die Schreiberlinge befürchten (nicht ganz zu Unrecht), dass sie sonst Probleme bei der nächsten Einreise ins Land of the Free bekommen könnten. Oder gar auf die Liste der Terrorverdächtigen wandern würden. Auf der stehen inzwischen über eine Million Namen. Wie man da draufkommt – und vor allem: wie man da wieder runterkommt – eine völlige Blackbox.

Wie willkürlich die USA mit solchen Begriffen umgehen, zeigt am deutlichsten die Liste der «staatlichen Förderer von Terrorismus». Auf der stehen aktuell Syrien, Iran, Nordkorea – und Kuba. Das wurde von Obama von der Liste gestrichen, von Trump wieder draufgesetzt. Obwohl kein einziger Fall bekannt ist, in dem Kuba terroristische Aktionen unterstützt hätte.

Und dann gibt es die Listen des OFAC, das steht für «Office of Foreign Assets Control», eine weitere US-Dunkelkammer, die willkürlich Firmen und Einzelpersonen beschuldigt, Handel mit «feindlichen Nationen» zu treiben oder sonstwie mit denen in Kontakt zu stehen. Auch hier: wer kommt drauf und warum? Dunkelkammer. Wie kommt der, der fälschlicherweise gelistet wurde, wieder runter? Einfache Antwort: überhaupt nicht. Und auf dieser Liste zu stehen, das ist überhaupt nicht komisch. Einreiseverbot in die USA, Jed Menge Probleme im Geschäftsverkehr, selbst mit Banküberweisungen.

All das wären Themen, denen sich die Medien durchaus annehmen könnten und sollten.

Aber sie sollten – wenn Berufsehre noch etwas gelten würde – jeden Tag auf das Schicksal von Assange hinweisen. Denn was immer er auch getan haben mag, und wie immer man das bewerten möchte: sein Fall, sein Gefängnisaufenthalt ist ein schreiender Skandal. Ein Schandfleck für den Westen. Ein Schlag ins Gesicht für alle Behauptungen einer liberalen Meinungsfreiheit.

Es ist nicht die Vielzahl von Fällen, wo kritische Meinungen publiziert werden, die zählt. Es sind die Ausnahmen, die tonnenschwer wiegen. Sicher, Assange ist ein Einzelschicksal.

Dass das Londoner High Court gestern seine Auslieferung an die USA wieder einmal blockiert hat, ist höchstens ein Etappensieg. Nächste Verhandlung am 20. Mai, Assange wird weiterhin in Einzelhaft gehalten. Das bedeutet, dass er seit insgesamt 12 Jahren seiner Freiheit beraubt ist. Ohne dass es bislang zu einem Prozess über seine angeblichen Taten gekommen wäre.

Aber Himmels willen, wer journalistisch in Tränen ausbricht und sich nicht mehr einkriegt, wenn eine Prinzessin bekannt gibt, dass sie Krebs hat, der ist doch ein verdammter Heuchler, wenn er sich nicht viel mehr über die unmenschliche, absichtliche Quälerei eines Menschen aufregt, der sich um die Meinungsfreiheit und die Aufdeckung von Skandalen mehr als verdient gemacht hat. Denn Krebserkrankung ist Schicksal. Jemanden in Einzelhaft schmoren lassen, das ist menschengemacht.

Wahlen sind Quatsch

Putin wurde überraschend wiedergewählt.

Der Mann mit dem Napoleon-Komplex hat Russland in einen desaströsen Abnützungskrieg geführt. Er hat sich zum Paria gemacht, indem er die völkerrechtliche Zusicherung, dass die territoriale Integrität der Ukraine von Russland respektiert werde, brach. Er hat Russland einen Schaden zugefügt, der noch lange über sein persönliches Ende hinauswirken wird.

Letztlich hat Putin Russland zum Rohstoff- und Waffenlager Chinas degradiert.

Selbst hochkorrupt, herrscht er über eine Kleptokratie, betreibt eine kriminelle Günstlingswirtschaft und lässt unliebsame Kritiker umbringen. In einem Interview äusserte er unlängst höflich ausgedrückt befremdliche Ansichten über die Rolle Polens beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Daher muss man sich fragen, wie limitiert sein Zugang zur Wirklichkeit ist.

Nun hat er die Wahlen mit dem Traumergebnis von 87,85 Prozent «gewonnen». Gesteigert wird das lediglich von Nordkorea. Dort schafft man gelegentlich sogar 100 Prozent Zustimmung bei 100 Prozent Wahlbeteiligung. An höheren Zahlen arbeitet man noch. China verzichtet vollständig auf solchen Quatsch wie Wahlen.

Selbst die «Weltwoche» äussert leise Kritik: «Echte Oppositionskandidaten waren nicht zugelassen, gegen Kritiker ging die Regierung mit grosser Härte vor. Die Wahl wurde von Protestaktionen begleitet, trotz Einschüchterungsversuchen der Behörden.»

Das kommt aber bei der Mehrheit der Kommentarschreiber ganz schlecht an.

«Wenn man mich heute fragt, ob Wahlen in Russland oder den USA fairer und freier sind, muss ich leider mit Russland antworten. – Im Unterschied zu Russland stehen im Westen ausschließlich Kandidaten der Macht auf dem Wahlzettel. – Vladimir Putin hat die Wahlen gewonnen in Russland, ob jetzt diese Wale für den Westen legitim ist oder nicht kann uns allen egal sein. – Fakt ist aber, dass hinter Putin und Lukaschenko wirklich und real 60% der Wähler stehen! – Die Russen dürfen ihren Präsidenten wählen. Das dürfen die Deutschen nicht, weder den Präsidenten noch den Kanzler. – Ein unwiderlegbarer Beweis dafür, dass die Wahlen nicht demokratisch waren, liefert keine Zeitung vor.»

Meinungsfreiheit ist eine schönes Sache, und jeder darf sich öffentlich zum Deppen machen. Aber vielleicht sollte sich die «Weltwoche» fragen, welchen Anteil – um nicht zu sagen welche Mitschuld – sie an dieser Ansammlung von gehirnamputierten Meinungen hat.

Unter den anfänglich 67 Kommentaren hat es einige wenige, für die die Kommentatoren in Russland ein paar Jährchen ins Straflager kämen. Aber was einem hier mehrheitlich an dumpfer Dummheit entgegenschlägt, ist beeindruckend.

Geschwurbel, Whataboutism, Realitätsverlust, Unkenntnis oder Unfähigkeit, die Realität zur Kenntnis zu nehmen.

Einzig interessant wäre die Beantwortung der Frage, wieso Putin diese Farce überhaupt abhalten liess und wieso er so ängstlich darauf bedacht war, mehr als ein Dutzend Kandidaten von der «Wahl» ausschliessen zu lassen. Um oppositionelle Manifestationen identifizieren und liquidieren zu können? Als Temperaturfühler? Aber dazu eigenen sie sich ja auch nicht, so manipuliert, wie sie waren.

Dabei ist Putins Problem ein ganz anderes. Solche Wahlen dröhnend gewinnen, das ist der einfache Teil. Unbeschädigt oder lebend die Abgabe der Macht in ferner Zukunft zu überstehen, das ist dann der wirklich anspruchsvolle Teil seiner Lebensplanung. Denn Diktator in Pension, das hat bislang nur ein einziger geschafft. Der grosse Fidel Castro in Kuba. Alle anderen starben, während sie an der Macht waren – oder wurden gewaltsam von der Macht entfernt. Was sie nie überleben.

Meinungsfreiheit

Wie unser wichtigstes öffentliches Gut vor die Hunde geht.

Man kann den Papst als senilen alten Knacker bezeichnen, der gegen seine übergriffigen Pfaffen nichts unternimmt. Man kann eine Kriminalgeschichte des Christentums schreiben, ohne auf dem Scheiterhaufen zu landen. Wenn man Mohammed als analphabetischen Pädophilen bezeichnet, kann das selbst in unseren Breitenkreisen Ärger geben.

Täte man das in einem vom Islam versklavten Land, wäre man gut beraten, vorher sein Testament zu machen. Das ist keine Nebensächlichkeit, sondern ein essenzieller Unterschied zwischen dunklem Mittelalter, Rückschritt, miefigem fortschrittsfeindlichem Glauben und einer prosperierenden Gesellschaft.

Ohne Meinungsfreiheit kein Wohlergehen, so einfach ist das.

Nun kann aber keine Freiheit grenzenlos sein, sonst wird sie zu Willkür und führt zu Perversionen. Die Forderung, alle Juden umzubringen, die Behauptung, Frauen seien Menschen zweiter Klasse und weniger wert als ein Kamel, die unsinnige Meinung, dass alle Schwarzen dümmer seien als alle Weissen, das ist nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Dummheit hingegen ist nicht verboten und darf frei geäussert werden. Wäre das strafbar oder sanktioniert, würden die meisten Zeitungen mit grossen, weissen Flecken erscheinen. Die Scharfrichter der öffentlichen Meinung sind aber gnadenlos. Selbst eine Heilige wie Greta Thunberg wird vom Olymp gestossen, wenn sie Meinungen äussert, die nicht in den Mainstream passen.

Nun hat sich in den USA, dem Mutterland der freien Meinungsäusserung, Erstaunliches zugetragen. Denn auch an dortigen Eliteunis fanden pro-palästinensische Manifestationen statt, die beispielsweise dem Staat Israel sein Existenzrecht absprachen. Ist das nun von der Meinungsfreiheit gedeckt oder nicht?

Zu diesem Thema fand ein Hearing im US-Kongress statt. Vorgeladen waren die Präsidentinnen (ausschliesslich Frauen) der berühmten Unis Harvard, Penn und MIT.

Sie wurden dazu befragt, ob sie selbst judenfeindlichen Tönen ihrer Studenten entgegentreten wollten und solche Äusserungen ohne Wenn und Aber verurteilten. Oder ob sie der Auffassung seien, dass selbst Aufrufe zum Völkermord durch die Meinungsfreiheit gedeckt seien. Eine Trump-Anhängerin im Hearing verlangte dazu ein klares Ja oder Nein als Antwort.

Das blieben ihr die drei Präsidentinnen schuldig, was in den asozialen Plattformen für grosses Gebrüll sorgte. Ist es also erlaubt, «from the river to the sea, Palestine will be free» zu skandieren, kann das so interpretiert werden, dass es dem jüdischen Staat sein Existenzrecht aberkennt?

Nein, ZACKBUM will und kann hier keine höchstrichterlicher Antwort geben. Aber das Beispiel illustriert wunderbar, worum es bei der Meinungsfreiheit geht. Sie gilt nicht absolut, aber ihre Grenzen sind nicht klar und deutlich definierbar. Denn sicher, menschenverachtende, rassistische oder zu Gewalt aufrufende Äusserungen sind verboten. Nur: ab wann sind sie das? Wer definiert das? Wo fängt die notwendige Begrenzung an, wo schlägt sie in Zensur um?

Denkverbote, Sprechverbote, Schreibverbote, Einschränkungen des herrschaftsfreien Diskurses durch selbsternannte Wächter des Erlaubten – das ist Gift. Gift für unsere einzige Methode, unseren Königsweg zu Erkenntnis und Fortschritt: die nur durch das Strafgesetzbuch und ein allgemeines Verständnis von Anstand begrenzte öffentliche Debatte mit (fast) allem Denk- und Sagbaren.

Davon sind wir auch in den westlichen Gesellschaften so weit entfernt wie seit der Aufklärung noch nie.

 

Wumms: Irène Kälin

Wie peinlich darf’s denn sein?

Wir erinnern uns noch an ihren Frontbesuch in der Ukraine – inszeniert als Fotoromanza, als Gemeinschaftsproduktion mit dem «Blick». War das peinlich. Aber Kälin kann noch einen drauflegen.

««Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt», wusste schon Kant», will Kälin wissen, als sie die SoZ zum Thema Meinungsfreiheit befragt. Leider knapp daneben. Diesen Satz, der gelegentlich auch Rosa Luxemburg zugeschrieben wird, hat Kant nie gesagt.

Bekanntlich pflegte sich der Philosoph etwas komplizierter auszudrücken. Daher wurde ihm dieser Satz erst rund 100 Jahre nach seinem Ableben unterschoben.

Am nächsten kommt ihm wohl folgende Formulierung des Denkers:

«Niemand kann mich zwingen auf seine Art (wie er sich das Wohlsein anderer Menschen denkt) glücklich zu sein, sondern ein jeder darf seine Glückseligkeit auf dem Wege suchen, welcher ihm selbst gut dünkt, wenn er nur der Freiheit Anderer, einem ähnlichen Zwecke nachzustreben, die mit der Freiheit von jedermann nach einem möglichen allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, (d.i. diesem Rechte des Andern) nicht Abbruch.»

Aber für eher einfache Gemüter ist das halt schon etwas komplex …

Wumms: Elon Musk

Ein neuer Player mit eigener Meinungsmachmaschine.

Dass Twitter ein Abfallhaufen und eine Zeitvernichtungsmaschine für Kreischer ist, hat ZACKBUM schon mehrfach konstatiert. Nun sollen aber weltweit rund 240 Millionen Menschen Twitter täglich nutzen. In der Schweiz gibt es 1,7 Millionen Profile und rund 800’000 tägliche Nutzer.

Das bewegt sich durchaus in der Grössenordnung der Einschaltquote eines der drei verbleibenden Medienkonzerne oder der NZZ. Also ist Twitter durchaus eine Medien- und Meinungsmacht.

Die hat nun definitiv einen neuen Besitzer. Twitter reicht in seiner Bedeutung nicht an Facebook heran, wo ein verhaltensauffälliger Besitzer die Spielregeln bestimmt. Aber nun hat Twitter ebenfalls einen neuen verhaltensauffälligen Besitzer.

Kann dem Einhalt geboten werden? Vielleicht, denn Spassbremse Viktor Giacobbo hat angedroht, dass er vielleicht Twitter verlassen wird, sollte sich Musk nicht anständig benehmen.

Elon Musk hat angekündigt, Twitter einerseits von Hass- und Shitstorms zu säubern, Trolls und Fake-Accounts zu verbannen. Andererseits möglichst freien Meinungsaustausch zuzulassen. Gegen Musk gibt es bereits Widerstand, es wird sogar seine Enteignung gefordert. Das ruft die «Weltwoche» auf den Plan: «Das alles zeigt, weshalb man Musk dankbar sein muss: Er enthüllt, wie Linke Meinungsfreiheit sehen.»

Da der Artikel nicht von Tom Kummer ist, scheint er ernstgemeint zu sein. Aber beunruhigender als diese aussichtslosen Forderungen einiger Linker ist doch wohl das, was Musk ab und an selbst auf Twitter loslässt. So beglückte er kürzlich seine 112 Millionen Follower mit der Behauptung, es gebe «die winzige Möglichkeit, dass bei dieser Geschichte mehr dahintersteckt».

Eine schmierige Verschwörungstheorie-Webseite hatte die faktenfreie Meldung gebracht, dass der Hintergrund des tätlichen Angriffs auf den Ehemann der Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi darin bestünde, dass es sich um einen Besucher gehandelt habe, einen Stricher, mit dem es eine gewalttätige Auseinandersetzung gab.

Kurz darauf löschte Musk dann seinen Tweet, in dem er diesen Unsinn weiterverbreitet hatte. Wenn das seine Auffassung von mehr Meinungsfreiheit auf Twitter ist, dann wird der Abfallhaufen zur Kloake.

Die Info-Krieger

Kaum verhohlene Häme: Köppels Twitter-Account kurzzeitig gesperrt.

Wir sind gut unterwegs – zurück in voraufklärerische Zeiten. Bevor Denis Diderot und seine Bundesgenossen darauf setzten, dass Erkenntnisse nur durch Meinungsfreiheit gewonnen werden, lag ein Leichentuch über dem europäischen Denken.

Die allmächtige Kirche bestimmte, was öffentlich (und privat) gedacht und gesagt werden durfte. Und was nicht. Bei Verstössen gegen diese Vorschriften stand die Inquisition bereit, den Sünder wieder auf den rechten Weg zu führen. Manchmal, wie im Fall Galilei, reichte das Zeigen der Instrumente. In hartnäckigerern Fällen kamen sie zu Einsatz. Der pervertierten menschlichen Fantasie waren dabei keine Grenzen gesetzt.

Streckbänke, die Eiserne Jungfrau, glühende Zangen, flüssiges Blei in den Mund, schon das einfache Hochhieven an auf den Rücken gefesselten Händen sorgte für unerträgliche Qualen. Danach war der Tod oft eine Erlösung für das Höllenschmerzen erleidende Opfer. Oder aber, der Ketzer landete wie Giordano Bruno auf dem Scheiterhaufen.

Die Folterknechte, die Inquisitoren, waren guten Mutes und sicher, ein gottgefälliges Werk zu verrichten. Denn schliesslich ging es ihnen nur darum, eine verirrte Seele einzufangen, sie auf den richtigen Weg zu führen, zu verhindern, dass sie in der Hölle schmoren musste, zu ermöglichen, dass sie jubelnd in den Himmel aufsteigen konnte.

Die Erde sei keine Scheibe? Nicht das Zentrum des Universums? Es sind Zweifel an dem geoffenbarten Wort Gottes in der Bibel möglich? Der Papst sei nicht unfehlbar? Jemand glaubt nicht an Gott, bezweifelt gar seine  Existenz? Versündigt sich an edlen Ideen wie Kreuzzüge, Ablasshandel, kritisiert das gottlose Treiben von Pfaffen in Klöstern? Ts, ts, da musste viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, um all diese Verdunkelungen des hell leuchtenden Glaubens zu beseitigen.

Auch Herrscher reagieren sehr ungnädig auf Spott, Ironie und Kritik. Im Ostblock war’s beliebt, einen Dissidenten in die Psychiatrie einzuliefern. Denn wer an der Richtigkeit und Überlegenheit des real existierenden Sozialismus zweifelt, muss doch krank im Kopf sein.

In westlichen Demokratien geht man normalweise subtiler vor. Da wird weder gefoltert, noch psychiatriert. Soziale Ächtung, Kampfbegriffe wie Verschwörungstheoretiker, Schwurbler, Leugner, ergänzt durch Hetzer, Rechtskonservativer, Nationalist und Irgendwas-Versteher, reichen normalweise aus. Plus die Sperrung des Zugangs zu Multiplikatoren, Ächtung der noch vorhandenen Plattformen.

Mit allen Fingern wird auf die drakonische Zensur in Russland gezeigt. Mit einem Finger leise gewackelt wird bei der drakonischen Zensur in der Türkei. Gerne unerwähnt gelassen wird die genauso drakonische Zensur in der Ukraine. Hochgelobt wird dagegen die Meinungsfreiheit im freien Westen. Hier hat jeder das Recht, nur beschränkt durch weitgefasste Gesetze gegen Verleumdung, Ehrverletzung, Beleidigung, Schmähung, Rufschädigung, Geschäftsschädigung.

Wie stolz sind wir doch darauf, dass wir im Gefolge der Aufklärung gelernt haben, dass nur ein freier Diskurs Erkenntnisgewinn bringt. Wie klar ist es uns, dass man zwischen Meinung und Meinungsträger, zwischen Äusserung und Gesinnung unterscheiden sollte. Klarheit herrscht, dass es nicht sinnvoll ist, Debattenbeiträge durch ihre Herkunft, vermutete Gesinnungen oder andere Markierungen abzuqualifizieren.

In die üble Vergangenheit verbannt sind alle Versuche, Wörter zu verbieten, die Sprache zu reinigen, Vorschriften zu machen, welche Wörter wie verwendet werden dürfen – und welche nicht. Grosses Gelächter erhebt sich, wenn ein Verpeilter meint, durch die Vergewaltigung der Sprache reale Vergewaltigungen bekämpfen zu wollen.

Ist das so? Das war einmal so. Bis sich das Leichentuch des Nationalsozialismus über die deutsche Gesellschaft und Sprache legte, galt in Debatten nur eins: intelligent muss es sein, unterhaltsam muss es sein, Funken schlagen soll es, brillant formuliert ist Voraussetzung für jede Polemik. Und Polemik ist gut, nur im Widerstreit der Meinungen kommt man weiter. So war das bis 1933, und nach 1945 wurden Freiräume zurückerobert.

Eine Einteilung der Welt gab genügend Sicherheit, fröhlich im Streit herauszufinden, ob kapitalistischer oder sozialistischer Imperialismus besser sei, oder ob beides gleich schlecht ist.

Als dann ab 1989 der Ostblock zusammenbröselte, setzte merkwürdigerweise nicht eine zusätzliche Befreiung des Denkens und Debattierens ein, sondern eine zunehmende Verunsicherung. Und Verunsicherung macht Angst. Angst macht repressiv. Denn natürlich hatte auch die Kirche, hat jeder Herrscher Angst vor dem freien Wort und freien Gedanken.

Genauso wie jeder kleine Pinscher, der meint, absolut zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können. Der mangels eigenen intellektuellen Fähigkeiten begrüsst, wenn ihm missliebige Meinungen unterdrückt werden.

Ein Schulbeispiel dafür sind die Reaktionen auf die kurzzeitige Sperrung des Twitter-Accounts von Roger Köppel. Maliziös wurde vom «Blick» aufwärts (abwärts geht schlecht) vermeldet, dass es wohl zahlreiche Beschwerden gegen den Account gegeben habe, worauf Twitter ihn wegen Regelverstoss und Hassreden gesperrt habe. Man hörte das mitschwingende «bravo», das «ätsch», das «hä, hä» dröhnen. Allgemein als Begründung wurde kolportiert, dass Köppel Vergewaltigungsopfer «verhöhnt» habe.  Mit seinem Tweet «Jede grosse Liebe beginnt mit einem Nein der Frau» habe er indirekt dazu aufgefordert, ein Nein nicht zu akzeptieren.

Köppel müsse diesen und andere Tweets zuerst löschen, bevor er wieder zugelassen werde. Oder –hoffentlich – auf Lebenszeit gesperrt wie der Ex-US-Präsident Donald Trump. Nochmals «he, he».

Eher belämmert musste dann berichtet werden, dass sich Köppel doch tatsächlich nach kurzem Unterbruch auf Twitter gemeldet habe – ohne die kritisierten Tweets zu löschen. Dieser Schlingel.

Keinem der Kommentatoren in den Mainstream-Medien fiel es ein, auf den wahren Skandal hinzuweisen. Kann es richtig sein, dass eine private Bude wie Twitter selbstherrlich nach undurchschaubaren Kriterien in Dunkelkammern entscheidet, wer diesen Multiplikator wie benutzen darf? Das ist noch schlimmere Zensur als im Mittelalter.

Niemand wies auf den Skandal hin, dass Mini-Inquisitoren und Zensoren bewirken können, dass mit ihrer Meckerei ein Account gesperrt wird. Das ist die digitale Version der hetzenden Meute, die einen Abweichler durch die Strassen jagt und mit faulen Eiern, Tomaten und Steinen bewirft. Weil dieser Teil wegfällt, wirkt es zivilisierter, ist aber nicht minder barbarisch.

Bezeichnend ist auch, dass all diese Zensoren genauso wie die Unwohlsein Erleidenden beim Anblick kultureller Aneignungen ihre Denunziationen immer anonym ausführen. Früher, im Mittelalter und auch in neueren Zeiten, gab es dafür spezielle Briefkästen, in die jeder feige Denunziant seine Anklage anonym einwerfen konnte. Auf das ist heute dank Digitalisierung viel einfacher geworden.

Gibt es die völlige Meinungsfreiheit? Natürlich nicht, so wie es auf keinem Gebiet absolute Freiheit gibt, weil das immer in Willkür und Faustrecht und Barbarei ausarten würde. Aber es sollte die möglichst umfassende Meinungsfreiheit geben. Dazu muss gehören, Peinliches, Unsinniges, Falsches, Provokatives, politisch nicht Korrektes, Frauenverachtendes, Minoritäten Diskriminierendes, Frauen, Männer, Behinderte, Kinder, Menschen anderer Hautfarbe oder Kultur Abqualifizierendes, sagen zu dürfen. Menschliche Schneeflocken dürfen ihr Unbehagen, ihre Verletztheit durch ach so viele ausgrenzende und nicht-inkludierende Formulierungen zum Ausdruck bringen. Linke dürfen auf Rechte verbal einprügeln, Verteidiger der militärischen Spezialoperation zur Befreiung der Ukraine vom Faschismus dürfen sich Wortgefechte mit Kritikern liefern, die den völkerrechtswidrigen Überfall entschieden verurteilen.

Kriegsgurgeln dürfen mit Pazifisten im Clinch liegen. Sogar fundamentalistische Irre dürfen Freiheiten für sich in Anspruch nehmen, die sie selbst in von ihnen beherrschten Ländern nicht im Traum einräumen würden. Feministinnen dürfen den Schleier als Ausdruck weiblicher Selbstbestimmung feiern, und von anderen Feministinnen in den Senkel gestellt werden, die den Schleier als Ausdruck einer frauenverachtenden, mittelalterlichen Männerherrschaft sehen.

So sollte das sein, wenn es in der öffentlichen Debatte um Erkenntnis und Forstschritt ginge. Da müsste man selbst den Verbal-Proleten Dieter Bohlen zumindest ernst nehmen und argumentativ begegnen, wenn der Verhandlungen in der Ukraine fordert, weil er «Krieg scheisse» findet. Gäbe es diese Geisteshaltung noch, müsste jeder Intellektuelle, der etwas Wert auf Anstand und Aufklärung legt, den Zensurversuch gegen Köppel aufs schärfste verurteilen. Müssten alle Bauchnabel-Kommentatoren – statt apodiktisch zwischen Gut und Böse zu unterscheiden – sich ernsthafte Gedanken über die Verluderung der Streitkultur machen. Müssten alle Verfolger kultureller Aneignungen sich besser um das Wiedererstarkten von Denkverboten und Zensur kümmern.

Alle Alarmsirenen erschallen lassen, dass wir zunehmend das unter so vielen Opfern erkämpfte Recht auf freien Diskurs verlieren. Diesmal nicht auf Betreiben von Religion oder Herrschern, sondern zuvorderst gefordert von Meinungsträgern selbst, von fehlgeleiteten Journalisten, Publizisten, Redaktoren. Die ihre intellektuelle Unterlegenheit, ihre geistigen Tiefflüge durch Rufe nach Denk- und Formulierungsverboten bemänteln wollen. Denn wo es keine Widerrede gegen Blödes, Seichtes, Unsinniges und Flachdenkertum gibt, wird seine Erbärmlichkeit nicht erkennbar.

Sollte man Köppel das Maul stopfen? Niemals. Sollte man «Russia Today» verbieten? Unter keinen Umständen. Sollte man Befürworter der Politik Putins stigmatisieren, ausgrenzen, sozial ächten, Maulkörbe, Entlassungen für sie fordern? Unter keinen Umständen.

Nur Kurzdenker verstehen dieses Plädoyer als Unterstützung solcher Meinungen falsch.

Hilfe, mein Papagei onaniert: Putin-Versteher

Die Sonntagspresse arbeitet sich weiter am Thema ab.

«Dirk Baier ist Professor und Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.» Selten hat sich einProfessor so hemmungslos um Kopf und Kragen geredet wie Baier in einem Interview der SoZ.

Schon der Titel-Quote ist von seltener Dümmlichkeit: «Putin-Versteher können gefährlich sein.» Das mag ja sein, gilt aber verschärft auch für Nicht-Versteher. «Linksextremismus» und «Anti-Amerikanismus» seien «Anknüpfungspunkte» fürs Putin-Verstehen, weiss der Professor. Sollte man als Erwachsener die nun einfach in Ruhe lassen? «Niemals: Krieg, Mord und Totschlag – das geht überhaupt nicht!», also müsse man denen gut zureden. Noch schlimmer: «Es gibt auch Putin-Versteher mit einem Hang zu Verschwörungstheorien.» Die können dann durch Grossereignisse «enthemmt» werden, was sich in «Anschlagsplänen» auf den deutschen Gesundheitsminister und der «Entführung des Schweizer Impfchefs Christoph Berger» sowie allgemeiner Gewaltbereitschaft zeige.

Man muss leider mal wieder sagen, dass ein Professorentitel keinesfalls automatisch Logik und sinnvolle Aussagen ermöglicht. Die Schweizer Entführung hatte nach heutigem Wissensstand überhaupt nichts mit Verschwörungstheoretikern zu tun, dass die enthemmt würden, ist genauso unbelegte Behauptung wie die Verknüpfung mit Linksradikalismus. Das ist alles unwissenschaftliches Geschwurbel. Stattdessen fehlt eine griffige Definition, was denn nun für den Professor ein «Putin-Versteher» genau ist.

Bekäme der Herr so etwas als Seminararbeit oder Vortrag abgeliefert, er würde es seinem Studenten (hoffentlich) um die Ohren hauen. Aber um einen schönen Auftritt in der SoZ mit Riesenfoto zu kriegen, da bedient er alle Klischees, Vorurteile und Behauptungen, die man in der SoZ gerne hören möchte.

Für SoZ-Verhältnisse erstaunlich neutral wird das hier gemeldet:

Es wird immerhin berichtet, dass die Schweiz etwas in den heutigen Zeiten Ausserordentliches macht: sie hält sich an ihre Gesetze, in diesem Fall ihre Waffenexportgesetze.

Aber irgendwie war es der SoZ damit nicht so wohl, also gab sie dem alten GSoA-Aktivisten Jo Lang ausführlich Gelegenheit, zwischen Pazifismus, Waffenlieferungen ja oder nein und ähnliche Fragen herumzurudern. Unwidersprochen bleibt auch hier seine Aussage:

Auch hier fällt es keinem der Interviewer ein, zurückzufragen, ob sich die Schweiz dann nicht mehr an ihre eigenen Gesetze halten sollte. Das kommt halt davon, wenn Interviewten und Interviewer ein gewisser Konsens eint.

Wenn Reza Rafi im «SonntagsBlick» das Editorial schreiben darf, weiss man, dass der Schweizer Rechtsstaat nicht unbeschädigt bleibt. Diesmal regt er sich darüber auf, dass ein Sicherheitsexperte und ehemaliger Oberst der Schweizer Armee sowie Ex-Mitarbeiter des Nachrichtendiensts gern gesehener und gehörter Experte im Zusammenhang mit der Ukraine ist.

Dabei wagt aber Jacques Baud, nicht die gleiche Meinung wie Rafi zu vertreten. Oder in den Worten des strikten Verteidigers der Meinungsfreiheit Rafi: «Baud argumentiert streckenweise ziemlich genau auf der Linie des Massenmörders Wladimir Putin». Unerhört, was sagt denn «Viola Amherds Verteidigungsministerium»? Unerhörtes: «Es steht jedem Schweizer frei, seine eigene Meinung zu äussern und eine frühere Arbeitsbeziehung zu erwähnen.»

Da muss Rafi den Kopf schütteln: «Mit anderen Worten: dem Staat sind die Hände gebunden.» Offenkundig findet Rafi das ziemlich blöd, denn mit ungebundenen Händen könnte der Staat doch dafür sorgen, dass alle frei ihre Meinung sagen dürfen – solange sie mit der von Rafi übereinstimmt. Aber leider, leider: «Hierzulande darf jeder einstige Uniformträger gegen die Obrigkeit opponieren, indem er etwa die Sichtweise des Kreml verbreitet.»

Kleine Staatsbürgerkunde für den stv. Chefredaktor des SoBli: genau so ist es. Und das ist gut so. Schliesslich darf auch Rafi seinen Unsinn verzapfen, und dem Staats sind die Hände gebunden. Obwohl der Journalist offenbar meint, Meinungsfreiheit bedeute, frei seine Meinung zu äussern. Rafis seine, wohlgemerkt. Aber der ist nun, trotz anderer Selbstwahrnehmung, keinesfalls die «Obrigkeit».

Selbst wenn man Lust hat, nach diesem Schocker noch weiter im SoBli zu blättern, spätestens auf Seite 9 ist’s dann endgültig fertig:

Da zitiert Frank A. Meyer doch tatsächlich Ludwig Uhland, um seine ewig gleiche Leier von der Abhängigkeit der Schweiz von der EU und der NATO mal mit einem Dichterwort zu verbrämen.

Dagegen stellen wir doch ein Wort von Karl Kraus: «Keinen Gedanken haben und ihn ausdrücken können, das macht den Journalisten aus

Fehlt noch die NZZaS? Stimmt, allerdings: der Chefredaktor ist (hoffentlich) in den Ferien. Aline Wanner schreibt eine «Medienkritik», die eigentlich eine Kritik an der SVP ist. Rafaela Roth hat ein längeres Stück im «Hintergrund».  Und im Kultur-Teil wird die deutsche Grossintellektuelle Nena interviewt, mit der stolzgeschwellten Einleitung: «Seit Beginn der Pandemie gab sie keine Interviews mehr. Für uns machte sie am Zermatt Unplugged Festival eine Ausnahme.»

Der NZZaS-Leser dürfte darüber nicht wirklich begeistert sein, denn er darf Flachheiten lesen wie: «Ich bin trotzdem voller Zuversicht. Dass wir bald in Frieden leben werden. Und zwar diesmal richtig, auch wenn das jetzt naiv klingt und viele es anders sehen.» Noch nicht übel geworden? Dann noch das:

«Wir können uns jetzt für die Liebe entscheiden. Daran glaube ich.»

Die NZZaS auf den Spuren von «Bravo». Dass wir das noch erleben müssen …

Volkes Stimme

Wie halten wir’s mit der Meinungsfreiheit, Rede und Widerrede?

Bundespräsident Ignazio Cassis hat in seiner Funktion als Aussenminister in einem Interview gesagt, dass der Überfall auf die Ukraine das Ende «der Ära, in der seit Ende des Zweiten Weltkriegs kein einziges souveränes und demokratisches Land auf dem Kontinent angegriffen wurde», bedeute.

Das brachte ihm einen scharfen Verweis der Sprecherin des russischen Aussenministeriums ein. Maria Sacharowa belehrt Cassis, «dass die Grundlagenaushöhlung der Nachkriegszeit und die Zerstörung des Völkerrechtssystems aus den Bomben- und Raketenangriffen der Nato auf friedliche jugoslawische Städte 1999 resultierten».

Die Erklärung im Wortlaut:

Zudem habe das EDA «nach weiteren barbarischen Verbrechen des ukrainischen Regimes in Butscha und Kramatorsk unsere ausführlichen Erklärung ignoriert und alle Verantwortung rückhaltlos der russischen Seite zugeschoben».

Über die Richtigkeit der Geschichtslektion kann man durchaus diskutieren, denn es war ein völkerrechtswidriger Angriff der NATO auf einen souveränen Staat mit vielen zivilen Opfern. Die russische Position, dass es es sich bei dem Massaker von Butscha um Untaten seitens der Ukraine handle, ist hingegen peinlich.

Aber natürlich ist es der russischen Seite unbenommen, die bei uns herrschende Meinungsfreiheit zu benützen. Denn wenn die nur dann gilt, wenn die Meinungen dem Konsens entsprechen, wäre sie ja nichts wert. So sieht das sicherlich auch die Schweizer Öffentlichkeit. Wenn man allerdings die bislang 231 Kommentare zum entsprechenden Artikel im «Tages-Anzeiger» als repräsentatives Sample nimmt, muss man daran ernsthaft zweifeln.

Neben wenigen besonnenen Stimmen, die sofort als «Putin-Versteher» niedergemacht werden, tobt hier Volkes Stimme:

«Macht die russische Botschaft zu und schickt die Leute zurück nach Russland. – Sämtliche russischen Diplomaten sollten sofort des Landes verwiesen werden. – Liebe Putin Versteher, lest doch lieber die Weltwoche. – Die Sanktionen müssen verschärft werden und die Ukraine muss auf dem Feld siegen. – Der Russe hat von uns gar nichts zu fordern. – Falls es der Bundesrat nicht macht, sollte eine Menschenmenge auf dem Bundesplatz die sofortige Ausweisung des gesamten Botschaftspersonals verlangen. – Dieser Russische Lügerei und der Zynismus ist wirklich kaum noch zu ertragen. – Die Botschafterin sollte einbestellt und darüber belehrt werden, dass Milosevic und Konsorten in Den Haag der Prozess gemacht wurde (ja, ich weiss dass Milosevic gestorben ist bevor er verurteilt werden konnte). Danach kann man die Frau Botschafterin und ihren ganzen Stab medienwirksam ausweisen. Das wäre ein starkes Signal.»

Selbstverständlich sind all diese Aussagen durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Auch wenn einer in seiner Erregung die Sprecherin des Aussenminsteriums in Moskau für die russische Botschafterin in Bern hält und sie gleich ausweisen möchte. Allerdings macht sich kein einziger der Kommentatoren die Mühe, den Wahrheitsgehalt der Geschichtslektion zu untersuchen. Denn Meinungsfreiheit geht häufig mit Kenntnisfreiheit daher. Also keine Ahnung haben, aber sehr viel Meinung.

Ahnungslosigkeit mit viel Meinung gibt’s überall

Das gilt nebenbei auch für die ehemalige Bundesanwältin und UNO-Chefanklägerin Carla Del Ponte. Die will sich wieder ins Gespräch bringen, indem sie behauptet, sie sei vielleicht die einzige Person, die wisse, wie man es anstellen müsse, um einen amtierenden Präsidenten vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen. Denn: «Es ist möglich, Putin vor Gericht zu stellen

Allerdings: sollte diese Möglichkeit existieren, wäre unbedingt zu vermeiden, dass Del Ponte etwas damit zu tun hätte. Denn in ihrer langen und sehr geräuschvollen Karriere ist es der Staatsanwältin nie, in keinem einzigen Fall gelungen, eine von ihr eingereichte Anklage zu einer Verurteilung zu führen. Das fing schon mit ihrer ersten Karriere als «Mafiajägerin» an. Grosser Auftritt, Bodyguards, starke Ansagen – und dann regnete es Prozessentschädigungen auf zu Unrecht Angeklagte.

All das gehört zur Meinungsfreiheit und muss unbedingt geduldet werden. Ob das allerdings die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung auch so sieht? Wenn dieses Kommentar-Sample bei Tamedia repräsentativ ist, muss man besorgt sein.

 

Wie hältst du’s mit der Zensur?

Was geht – und was gar nicht geht.

In den Verfassungen gibt es weltweit zum Thema Zensur wohlklingende Worte. So das deutsche Grundgesetz, Artikel 5: «Eine Zensur findet nicht statt.» In den USA regelt das der Erste Zusatzartikel zur Verfassung: «Der Kongress soll kein Gesetz erlassen, das die Einführung einer Staatsreligion zum Gegenstand hat, die freie Religionsausübung verbietet, die Rede- oder Pressefreiheit oder das Recht des Volkes einschränkt, sich friedlich zu versammeln und die Regierung durch Petition um Abstellung von Missständen zu ersuchen.»

Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO legt fest: «Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäusserung; dieses Recht schliesst die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.»

Kurz und knackig die Formulierung in der Schweizer Bundesverfassung: «Zensur ist verboten.»

Heisst das nun, dass die Meinungsfreiheit grenzenlos ist? Nein, keine Freiheit darf grenzenlos sein, dann wird sie zur Willkür. Natürlich ist die Verbreitung von Kinderpornographie nicht durch die freie Meinungsäusserung gedeckt. Natürlich gibt es weitere Äusserungen, die strafbewehrt und daher verboten sind. Das ist kein Widerspruch zum Verbot der Zensur oder der möglichst umfangreichen Meinungsfreiheit.

Wie alle Freiheitsrechte ist in Schönwewtterperioden und bei Sonntagsreden das Bekenntnis zur Meinungsfreiheit und die Ablehnung von Zensur wohlfeil. Nun hat aber die EU beschlossen, die beiden russischen staatsnahen Sender «Russia Today» (RT) und «Sputnik» zu verbieten. Ein eklatanter Verfassungsbruch, nicht nur in Deutschland. Nicht begründbar.

Nun hat die Schweiz im Prinzip beschlossen, die EU-Sanktionen zu übernehmen. Gilt das auch für diese Zensurmassnahme? Erschreckend ist, dass darüber offenbar im Bundesrat Meinungsverschiedenheiten herrschen. So ist es erwiesen, dass die Bundesrätinnen Amherd und Sommaruga einem solchen Verbot zustimmen wollen oder zumindest wohlwollend gegenüberstehen. Hingegen spricht sich BR Parmelin strikt dagegen aus.

Glücklicherweise hat sich inzwischen die Vernunft durchgesetzt. Die Schweiz übernimmt auch das vierte Sanktionspaket der EU – mit Ausnahme dieser Zensurmassnahme.

Solange das noch nicht zensuriert wird: Das sind gleich zwei Skandale. Dass sich sogar Bundesräte um die Schweizer Verfassung foutieren, das ist ungeheuerlich und kann nicht oft genug angeprangert werden.

Ein gleichgrosser Skandal ist, dass diese Haltung von den Schweizer Medien kommentarlos berichtet wird. So als ginge es um eine Meinungsverschiedenheit über die Neuordnung des Aktenrundlaufs im Bundesarchiv. Dabei geschieht hier etwas, was nicht geht. Was in einem Rechtsstaat ein Unding ist.

Das macht die Schweiz natürlich nicht zu einem zweiten Russland oder China. Es ist ja im Rahmen der Meinungsfreiheit nicht verboten, über ein Verbot von Medienplattformen zu diskutieren. Aber Bundesräte sind dafür, die Medien schweigen? Das beelendet.

Meinungsfreiheit: eine Chimäre

Es gibt sie, es gibt sie nicht. Ein Mischwesen halt. Und kostspielig.

Schöner als in der Schweizer Bundesverfassung kann man es nicht sagen:

«Zensur ist verboten.»
Art. 17, Absatz 2, kurz und knackig.

Zensur setzt allerdings voraus, dass es etwas gibt, was zensuriert werden könnte. Keine Zensur ist, um das gleich aus dem Weg zu räumen, was als Verstoss gegen Gesetze geahndet wird. Solange das durch ordentliche Gerichte geschieht.

Wird diese Zensuraufgabe des Staates an private Unternehmen übertragen, haben wir ein gröberes Problem, ein Staatsversagen. Aber keine Freiheit kann grenzenlos sein, auch nicht die Meinungsfreiheit. Sonst artet sie in Willkür und Barbarei aus.

«Die freie Mitteilung der Gedanken und Meinungen ist eines der kostbarsten Menschenrechte.»
Art. 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789

Eine Illusion ist allerdings, dass Meinungsfreiheit gratis sei. Eine Meinung darf und kann jeder haben. Aber sie öffentlich äussern, das ist ein ganz anderes Spielfeld. Der Angestellte darf meinen, dass sein Chef ein unfähiger, aufgeblasener Emporkömmling sei, nur dank Vitamin B zu seiner Position gekommen. Er darf das auch öffentlich äussern.

Dann bezahlt er aber wohl den Preis für die Inanspruchnahme der Meinungsfreiheit. Er wird gefeuert. Der Beweis: Meinung ist gratis, Meinung äussern ist kostenpflichtig. Dabei muss die Meinung nicht mal von grossen Multiplikatoren hinausgepustet werden. Diese Ansicht über den Chef, im engsten Kollegenkreis geäussert, kann die gleiche Wirkung haben, wenn ein Kollege eben doch nicht so kollegial ist.

Meinungspluralismus ja, Wirkung nein

Das Internet hat einen Meinungspluralismus ermöglicht, wie er wohl in der Geschichte der Menschheit einmalig ist. Ortsunabhängig hat hier buchstäblich jeder – Internetanschluss und minimale Kenntnisse vorausgesetzt – die Möglichkeit, seine Meinung buchstäblich der ganzen Welt kundzutun. Für verhältnismässig kleines Geld. Nur: wenn kein Schwein schaut, macht das auch nicht wirklich Spass.

«Die Gedankenfreiheit haben wir. Jetzt brauchen wir nur noch die Gedanken.»
Karl Kraus.

Meinungsfreiheit wird nur dann interessant, wenn Meinung tatsächlich Wirkung entfaltet. Echte oder vermutete, das spielt eigentlich keine Rolle. Meinungsfreiheit ist ein Popanz, wenn es keine Plattformen für den Austausch von Meinungen gibt. Diese Plattformen müssen den gesellschaftlichen Realitäten entsprechen. In einem Stadtstaat wie Athen mit relativ wenigen freien Meinungsträgern reichte ein Gebäude neben dem Marktplatz zur freien Meinungsbildung.

Auch Redner Demosthenes (384 bis 322 v.u.Z.) musste üben.

Wie sagte Perikles (490 bis 429 v.u.Z.) so richtig: «Athen ist der einzige Ort, an dem ein unpolitischer Mensch nicht als ein stiller, sondern als ein schlechter Bürger gilt.» Allerdings war damals der Begriff Bürger nur Auserwählten vorbehalten; Frauen und Sklaven zum Beispiel gehörten nicht dazu.

Nicht verbürgt, aber ein grossartiger Satz, der’s auf den Punkt bringt.

Wie sieht das heute in der Schweiz aus, wo es keine Sklaven gibt und auch Frauen seit Kurzem überall politisieren dürfen? Findet hier nun eine Meinungsfreiheit statt, die diesen Namen auch verdient?

Wie steht’s um die Meinungsfreiheit in der Schweiz?

Wenn wir diese Freiheit so definieren, dass sie Zugang zur Öffentlichkeit umfasst für die, die das wollen: schlecht sieht’s aus. Im Tageszeitungsmarkt gibt es ein Duopol von zwei Konzernen, die weitgehend den Markt unter sich aufgeteilt haben und sich nicht konkurrenzieren. Daraus ist eine Meinungsmonokultur entstanden, dominiert von jeweils einer Zeitung, die den Namen einer Stadt trägt.

«Die freie Mitteilung der Gedanken und Meinungen ist eines der kostbarsten Menschenrechte.»
Art. 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789

Für die happy few gibt es noch die NZZ, die «Blick»-Familie kann man als Meinungsmacher weitgehend vergessen, zu unbedeutend. Alle Versprechen während dieses Konzentrationsprozesses, sich der staatsbürgerlichen Verantwortung bewusst zu sein und die Monopolblätter daher als pluralistische Forumszeitungen zu installieren, wurden gebrochen. Selbst das Beibehalten von zwei Redaktionen für zwei Traditionsblätter in der Bundesstadt Bern überdauerte lediglich ein paar Jahre, bis auch dieses Versprechen entsorgt wurde.

Wirklich noch ganz weit weg in der Schweiz?

Wer mit Arthur Rutishauser (Tamedia), Patrik Müller (CH Media), Christian DorerBlick») und Eric Gujer (NZZ) gut steht, hat nichts zu befürchten.

«No hay duda de que la prensa libre es la primera enemiga de las dictaduras.»
Es gibt keinen Zweifel, dass die freie Presse der grösste Feind der Diktaturen ist. Fidel Castro, 1959.

Angesichts der sich ins Elend sparenden Privatmedien bekommt die SRG, also der Staatsfunk, eine zunehmend wichtige Bedeutung. Auch hier kann von Meinungspluralismus, der sich aus einer Respektierung von Meinungsfreiheit zwangsläufig ergeben müsste, keine Rede sein.

Wie in einem Reagenzglas färbt die Corona-Berichterstattung die veröffentlichte Meinung in einem bestimmten Ton. Staatshörig, weder die Massnahmen, noch deren Begründung noch Auswirkungen ernsthaft hinterfragend.

Was zur Meinungsbildung beitragen sollte, indem möglichst Meinungsfreiheit zugelassen wird und herrscht, ist zu Verlautbarungsjournalismus degeneriert, bei dem es sogar einen Aufschrei in den Medien gibt, wenn es eine Diskussionssendung von SRF wagt, tatsächlich auch andere Meinungen zu Wort kommen zu lassen.

Zensur ist verboten, das steht in der Bundesverfassung. Zum Schutz der Meinungsfreiheit ist aber nichts vorgesehen, weil sich der Gesetzgeber die aktuellen Zustände nicht vorstellen konnte. Dass ein Virus der Meinungsfreiheit den Garaus macht, wenn man darunter auch die Möglichkeit einer breiten öffentlichen Debatte über viele verschiedene Meinungen versteht, das ist ein Treppenwitz der Geschichte. Aber kein lustiger.

«Nichts kann mehr zu einer Seelenruhe beitragen, als wenn man gar keine Meinung hat.»
Georg Christoph Lichtenberg.

Das waren noch Zeiten …