Rechtsexperten von Tamedia

Der Dilettantenstadl, wie er leibt und lebt.

Gleich drei Koryphäen vom sogenannten «Investigativdesk» haben gemeinsam zum Griffel gegriffen. Bei solch geballter Fachkompetenz muss ja Gewaltiges rauskommen.

In der Tat. Gewaltiges Geschwurbel. Denn Christian Brönnimann, Lukas Lippert und Catherine Boss (wo bleibt da Ladies first?) beantworten eine brandneue, brandheisse, noch nie gestellte Frage: «Sind vor Gericht wirklich alle gleich?»

Allerdings merkt man deutlich: können nicht gestohlene Datenberge durchgeackert und willkürliche Auszüge triumphierend der gelangweilten Öffentlichkeit präsentiert werden, ist das Ergebnis der Bemühungen recht dürftig.

Das Trio nimmt die Fälle Vincenz und Zölch zum Anlass, eine ergebnisoffene Frage zu stellen: «Behandelt unsere Justiz mutmassliche Wirtschaftskriminelle aus gehobenen Kreisen gleich konsequent wie Kleinkriminelle mit weniger Ressourcen?»

ZACKBUM will ja nicht die Pointe eines immerhin fast 9000 A langen Werks vorwegnehmen. Oder doch: die Antwort ist, blöde Frage, natürlich nein.

Das ist doch sonnenklar, liegt auf der Hand, ist mitsamt den Gründen längst bekannt, als Thema uralt, als Klage seit den alten Römern bekannt. So what, könnte man einfach sagen. Endlich mal ein Artikel, der aus einer kurzen Frage, einer noch kürzeren Antwort und dann tschüss besteht. Den restliche Platz könnte man doch mit launigen Meldungen aus München füllen. Bier, Katzen, Bürgermeister, Themen gäbe es doch genug.

Aber nein, wozu sind hier Recherchiergenies am Gerät? Die machen tapfer einen Ausflug ins Archiv, wo höchste Staubgefahr herrscht, der sie aber mutig trotzen. Also zerren sie drei Fälle ans Tageslicht, nicht ohne die Staubschicht abzupusten. Vielleicht hat Marc Brupbacher zuvor Masken verteilt.

Dann schneiden sie diesen Fundstücken von White-Collar-Kriminalität einen «Nordafrikaner» (hat das nicht ein Geschmäckle nach postkolonialistischem Rassismus, wir fragen ja nur) gegen, der in einem Restaurant aus einer Handtasche 100 Franken mopste. Und dafür ins Gefängnis kam.

Dann Aufschwung ins Allgemeine und Experte Martin Killias, der auch als emeritierter Strafrechtsprofessor leicht amokig bleibt und von einer «Art Klassen-Strafrecht» erzählt. Jaw drop factor 100, würde da eine krampfhafte Imitiatorin von Jugendsprache sagen.

Schlussgag: Die Anklageschrift im Fall Vincenz scheiterte nicht zuletzt, weil sie nicht übersetzt worden war. Aber, oh Graus: «Als sich ein Asylbewerber gegen einen auf Deutsch verfassten Strafbefehl wehrte, weil er ihn nicht lesen konnte, entschied das Bundesgericht 2019, die fehlende Übersetzung sei kein Grund, den Strafbefehl aufzuheben

Sein Recherchedesk polieren, unschuldige Leute fertigmachen, grosses Gedöns wegen «Leaks», «Papers» und «Secrets» machen, das ist halt nicht das Gleiche wie eine sorgfältige Darstellung rechtlicher Fragen. Dafür müsste man vielleicht mal etwas Einmaleins studieren, dann wüsste man, dass eine Anklageschrift und ein Strafbefehl nicht ganz das Gleiche sind, und sich mit der Behauptung gegen einen Strafbefehl zu wehren, man habe ihn nicht verstanden, ist zwar ein netter Versuch, hat aber nichts damit zu tun, wenn ein Angeklagter die Anklageschrift nicht versteht.

Dass es eine Klassenjustiz gibt, das wurde schon vor und nach Kurt Tucholsky (nur googeln, Recherchiercracks) umfangreich beschrieben. Dass man mit mehr Geld mehr recht bekommt, was soll daran neu sein? OJ Simpson konnte sich als Mörder sogar aus einem Mordprozess herauswinden (wurde dann aber im Zivilprozess verurteilt). Einem Bernie Madoff nützte aber sein ganzes Geld nicht, als sein Schneeballsystem aufflog. Er sitzt bis zum Lebensende im Knast.

Dass der Fall Vincenz & Co. wieder auf Feld eins gelandet ist, ist nicht unbedingt dem Geld der Angeklagten zu verdanken. Das ist zudem ohnehin sichergestellt, für sie nicht zugänglich. Die Anklageschrift ist in erster Linie an der Unfähigkeit des Staatsanwalts gescheitert, nicht am Geld der Angeklagten. Alles absurde Vergleiche.

Reiche Angeschuldigte können sich bessere Anwälte leisten. Eine erschütternde Erkenntnis. Wenn es um grössere Summen geht, sind Bankräuber schwer im Nachteil gegenüber geschickten Finanzbetrügern. Eine erschütternde Erkenntnis. Nachdem das Urteil gegen Vincenz aufgehoben wurde, ist noch kein einziger Schweizer Bankenlenker (und verdient hätten es ach so viele) im Knast gelandet. Dafür viele Kleinkriminelle. Das ist eine erschütternde, aber nicht neue Erkenntnis.

Ist das ungerecht? Aber ja. Ist das neu? Aber nein. Das ist so simpel wie die Feststellung, dass sich Reiche mehr leisten können als Arme. Das ist von einer brunzblöden Banalität. Wieso wird es dann veröffentlicht? Offensichtlich als Beschäftigungstherapie für das Recherchedesk, das gerade keine gestohlenen Datenberge auf den Schreibtisch geschüttet bekommt. Und selber was richtig recherchieren, zum Beispiel die Hintergründe des Falles Roshani im eigenen Haus, dafür ist das Trio entweder zu feige oder zu unbegabt.

7 Kommentare
  1. Martin Hefti
    Martin Hefti sagte:

    Super dargestellt, danke.
    Im Weltbild der Redaktion (nicht nur beim Tagi) ist es total daneben, dass ein 100-Franken-Diebstahl oder das Klauen eines Velos ernsthaft sanktioniert werden. Auch wenn dieser Diebstahl die alte Frau härter trifft als der 4-Millionen-Abschreiber den Konzern. Aber der eine Täter ist halt ein geflüchteter PoC, der andere des Teufels Abgesandter auf Erden, ein nichtgeflüchteter weisser Ü55.

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  2. Guido Kirschke
    Guido Kirschke sagte:

    Vincenz hat in der Tat eigentlich alle gegen sich, nur der Staatsanwalt hat Mitleid gezeigt und in mit seiner Anklageschrift das Verfahren gestoppt. Ich würde dem Herr Staatsanwalt mit dem komischen Namen den Mutter Theresa Orden dafür verleihen.

    Aber der Elefant im Raum: Wie konnte es beim Bezirksgericht aufgrund dieser Anklageschrift zu einer Verhandlung mit «Verurteilung» führen, wogegen das Obergericht nicht einmal auf den Fall eingetreten ist? Da stinkt doch was im Bezirgsgericht, das stinkt doch etwas ganz gewaltig. Hier müsste ein Recherchedesk einmal ansetzen: Wie unabhängig und getrennt voneinander sind die Organe der Justiz auf Bezirksebene allgemein und besonders im Fall Vincenz wirklich?

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  3. René Küng
    René Küng sagte:

    Hallo Chef, darf ich heute ungehörig (im Sinn von kritisch im Team Aufklärung) sein?
    Haben Sie die ellenlange Anklageschrift gelesen?
    Nur weil Sie anscheinend wissen, wer gepfuscht hat. Zu lang, zu kurz, zu ausschweifend, zu spitz, nicht über das Richtige, gegen den/die Falschen zu Felde gezogen ist.
    Der / die Staatsanwaltschaft? Das erste Gericht das geschossen hatte und erschrak, weil geladen?
    Das obere Gericht, die sofort die üblichen Platzpatronen gegen ihre Studi-Kollegen einlegten – damit das Ess-table-ilimento in Ruhe weiter filzen kann?

    Aber für was sind Sie denn, Herr Zeyer, dass Tucholsky auf immer und ewig Recht haben soll, wird?

    Ein Lamento an die Pseudo-kritischen Pseudo-Journalisten der Gegenwart ist angebracht, absolut. Denn mit deren Heuchelei zementieren die Tucholsky einfach in ihrer hohlen Pose: ‹wir haben’s mal wieder geschrieben›.

    Heikel und innovativ wär eher der Schritt, neben dem Geld (das, wie erwähnt, ja nicht jedem Gauner hilft) noch das andere, vielleicht noch viel Gewichtigere in den Fokus zu nehmen:
    die richtigen Freunde, das ganze – korrupte – Umfeld, die richtige Presse hinter sich. Oder heute als richtiges outfit und nur als modische Beispiele: schön wouk, gut bewaffnet für den Frieden oder solidarisch geimpft zu sein.
    Gut betucht ist eine erste Grundlage, um sich überhaupt ‹Recht› oder Juristen leisten zu können.

    Solange wir noch schreiben und redefreien dürfen (ohne juristisch zum schweigen – EU frigid Act – und materiell tot gekanzelt zu werden), sollte die dringende Frage in unserer Gesellschaft gestellt werden:
    ist die geistige und ethische Degeneration und Korruption der sogenannten Eliten die Geissel, das A, B und C oder übelste Virus unserer verwahrlosten Tsiwilisation?
    So lange das nicht zur Diskussion gestellt wird, so lange werden nicht nur (die hohen) Banker von lohnabhängigen Richtern nicht belangt werden.

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    • René Zeyer
      René Zeyer sagte:

      Ja, ich habe die 365 Seiten (ohne Beilagen) gelesen. Ich habe sogar die 1200 Seiten Urteilsbegründung überflogen. Wer sonst noch?

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  4. Marcella Kunz
    Marcella Kunz sagte:

    Leider wird dieser pseudoaufklärerische Ramschjournalismus aus Züri täglich in der Presseschau des Tessiner Radios weiterverbreitet.

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