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Cui bono?

Die wichtigste Frage in der Vincenz-Affäre.

Nach dem Prozess ist vor dem Prozess. Das drakonische Urteil des Bezirksgerichts Zürich gegen den gefallenen Starbanker und seinen Kompagnon wird an die nächste Instanz weitergezogen. Um die Zwischenzeit zu überbrücken, wird in den Medien wild spekuliert. Wovon lebt Vincenz eigentlich? Wie kann er mit 2’200 Franken AHV seine fünf Häuser unterhalten? Wie hoch ist sein Schuldenberg? Was kommt da noch alles drauf, wenn er tatsächlich Gelder in Millionenhöhe zurückzahlen müsste?

Mehr geht da nicht mehr, weil eigentlich alle saftigen und weniger saftigen Details aus seinem Geschäfts- und Privatleben bereits an die Öffentlichkeit gelangten. Die wichtigsten Fragen in diesem Zusammenhang bleiben aber nach wie vor unbeantwortet.

Also hat ZACKBUM sie dem Zivilkläger Raiffeisen gestellt. Sie liegen auf der Hand:

  1. Zwei voneinander unabhängige Quellen bestätigen mir, dass diverse Dokumente, die entweder dem Geschäftsgeheimnis von Raiffeisen unterliegen oder dem Amtsgeheimnis der Staatsanwaltschaft, via Raiffeisen, bzw. via deren juristische Vertretung den Medien zugespielt wurden. Trifft das zu?

  2. Raiffeisen hatte sich bei der Strafuntersuchung als Privatkläger angeschlossen. Damit war sichergestellt, dass Raiffeisen sämtliche Untersuchungsakten erhält. Insbesondere dem Oberchefredaktor Arthur Rutishauser von Tamedia wurde eine ganze Reihe von Dokumenten, darunter auch Spesenabrechnungen von Pierin Vincenz, zugespielt. Auch eine rein logische Deduktion lässt nur einen Schluss zu. Zugang zu diesen Untersuchungsakten hatte die Staatsanwaltschaft, bis zu einem gewissen Grad die damals Angeschuldigten – und der Privatkläger Raiffeisen. Von diesen Parteien konnte nur die Bank daran interessiert sein, dass die Dokumente an die Öffentlichkeit kommen, um den Ruf von Vincenz zu ramponieren. Kann Raiffeisen diese Deduktion bestätigen?

  3. Raiffeisen ist zudem mit Vincenz/Stocker noch in eine zivilrechtliche Auseinandersetzung verwickelt; es geht um eine strittige Zahlung in der Höhe von über 100 Millionen Franken, auf die die beiden Anspruch erheben, während Raiffeisen einen Grundlagenirrtum geltend macht. In welchen Status befindet sich diese Auseinandersetzung?

Man muss nicht Ockham sein, um zu diesen Fragen aufgrund von Tatsachen zu kommen. Also bekam Raiffeisen reichlich Zeit, neben dem Ostereiersuchen sich die Antworten zu überlegen.

Leider kam dabei nur ein Windei heraus:

«Raiffeisen Schweiz verzichtet auf eine Stellungnahme.»

Vincenz: eine Stimme der Vernunft

Strafrechtsprofessor Marcel Niggli kritisiert das Urteil scharf.

Ordinarius für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Uni Freiburg: Niggli ist ein Schwergewicht, sozusagen die Instanz bei allen Fragen rund ums Strafrecht. Dabei hält er mit seiner Meinung nie hinter dem Berg – im Gegensatz zu vielen Kollegen, die sich lieber nicht in den Nahkampf mit den Mühlen der Justiz begeben.

Niggli rechnet in einem Interview im «Tages-Anzeiger» (hinter Bezahlschranke) mit dem erstinstanzlichen Urteil gegen den gefallenen Banker-Star Pierin Vincenz ab. Und lässt keinen guten Faden daran. Schon zuvor hatte er die 368 Seiten umfassende Anklage als «dünn» abqualifiziert. Aus der Tatsache, dass die beiden Hauptangeklagten länger in Untersuchungshaft sassen, folgerte er, «dass das Gericht keinen Freispruch fällen würde. Denn sonst müsste der Staat Ersatz leisten». So kam es dann auch.

Aber Niggli geht noch weiter und zerpflückt die Begründung des Gerichts für sein drakonisches Urteil (45 Monate für Vincenz, 48 für seinen Kompagnon). Dazu nimmt er ein handliches Beispiel:

«Wenn Sie mir 100 Franken schulden, und Sie geben mir die nicht, dann klage ich. Dann bin ich noch nicht geschädigt im strafrechtlichen Sinn. Die Vorstellung, dass jemand, der seine Verpflichtungen nicht erfüllt, per se schon eine Vermögensschädigung bewirkt, ist falsch. Denn dafür ist das Zivilrecht zuständig.»

Also das Problem, dass Vincenz und Beat Stocker ihren Arbeitgebern gegenüber eine Herausgabepflicht von Gewinnen haben, könne man nicht als strafrechtliches Problem sehen. Sondern als zivil- oder arbeitsrechtliches.

Das Gericht begibt sich auf einen gefährlichen Weg

Betrug und Arglist kann Niggli alleine durch die Verwendung eines Konstrukts nicht erkennen: «Das würde ja heissen, dass, immer wenn ich eine Beteiligungsgesellschaft nutze, ich schon im betrügerischen Bereich unterwegs bin.»

Auch die Rolle der Medien sieht der Professor sehr kritisch: «Ohne die Berichterstattung wäre möglicherweise das Urteil viel neutraler ausgefallen.» Im Fall des Spesenbetrugs hätte Niggli eine Strafe von einem Jahr bedingt für angemessen gehalten.

Über den Einzelfall hinaus sieht er aber ein grundsätzliches Problem:

«Wenn man sagt, dass Vertragsverletzungen automatisch strafbar sind, dann begeben wir uns auf einen sehr gefährlichen Weg.»

Es tut gut, eine Stimme der juristischen Vernunft zu hören. Denn gerade in diesem Fall wurden in der Öffentlichkeit (und durch die Öffentlichkeit) Begrifflichkeiten vermischt, die nichts miteinander zu tun haben sollten.

Moral und Strafrecht sind zwei verschiedene Dinge

Die Entrüstung über das moralisch fragwürdige Verhalten von Vincenz versperrte den Blick auf die strafrechtliche Würdigung. Wenn jemand Spesen in Striplokalen oder für Reisen seinem Arbeitgeber in Rechnung stellt, mag das anrüchig sein. Ob es aber strafrechtlich relevant ist, steht auf einem ganz anderen Blatt. Hier kommt noch ein weiterer Punkt hinzu, auf den Banken-Professor Kunz aufmerksam machte: diese Spesen wurden allesamt vom Vorgesetzten des Bankers, vom damaligen VR-Präsidenten, abgesegnet.

Wenn sie dennoch im Nachhinein als betrügerisch gewertet werden, muss eigentlich jeder, der Spesen verursacht, zusammenzucken. Denn selbst die Tatsache, dass sie akzeptiert wurden, schützt ihn nicht davor, allenfalls im Nachhinein strafrechtlich belangt zu werden.

Der ganze Themenkomplex Rotlichtspesen – und die unablässige Veröffentlichung saftiger Details unter Bruch des Amts- und Geschäftsgeheimnisses – kann nur so interpretiert werden, dass damit Ruf und Reputation des Angeklagten irreversibel geschädigt werden sollten.

Damit wurde das andere Thema, arglistiger Betrug durch verschleierte Beteiligungen ohne Gewinnherausgabe, sozusagen vorbereitet. Jemand, der einen solchen Lebenswandel hat, ist doch sicher auch im Geschäftsleben nicht sauber. Um dann noch ungetreue Geschäftsbesorgung auf ein anderes Niveau zu heben, nämlich als Betrug zu werten, setzt Arglist voraus. Die Beweisführung dafür ist tatsächlich mehr als «dünn» und beruht auf der Strapazierung eines Bundesgerichtsurteils im Fall von nicht herausgegebenen Retrozessionen.

Dass das Gericht hier der Argumentation des Staatsanwalts vollumfänglich folgte, macht es wahrscheinlich, dass das Obergericht korrigierend eingreifen wird.

Der Schaden ist angerichtet, unabhängig vom Ende der Justizodyssee

An der Tatsache, dass die gesellschaftliche Stellung der Angeklagten unwiderruflich zerstört ist, ihre finanziellen Verhältnisse zerrüttet, nicht zuletzt durch die schon Jahre andauernde Beschlagnahmung ihrer Vermögenswerte, stellt einen nicht wiedergutzumachenden Schaden dar.

Es geht hier keinesfalls um eine Verteidigung des Verhaltens von Vincenz. Aber es muss zwischen der strafrechtlichen und der moralischen Beurteilung strikt unterschieden werden. Hat doch Dreck am Stecken und konnte den Kanal nicht voll genug kriegen, das ist Volkes Stimme, aber keine rechtlich relevante Position.

Relevant ist hingegen, dass theoretisch bis zu einem rechtsgültigen Urteil für Vincenz und seinen Kompagnon die Unschuldsvermutung zu gelten hätte. Das ist in diesem Fall purer Hohn.

 

 

 

 

Vincenz. Vincenz?

Es war mal der wichtigste Wirtschaftsprozess der Schweiz.

Ihr freiwilliger Beitrag für ZACKBUM

Aus jedem «kein Kommentar» bastelte man einen Artikel. Die Anzahl der geöffneten Hemdknöpfe von Pierin Vincenz war tiefschürfende Betrachtungen des Konzernjournalisten Philipp Loser wert.

Nun fand die Fortsetzung des Prozesses gegen den gefallenen Bankstar und einige Mitangeklagte statt. Wieder im Bezirksgericht; das grosse Theater ist vorbei, deshalb braucht es auch nicht mehr den Theatersaal im Volkshaus Zürich.

Ein knappes Dutzend Journalisten verfolgten diesmal den Prozesstag. Da Tamedia die Berichterstattung aus eigenen Kräften und ohne Hilfe aus München stemmen muss, machte man einen «Ticker». Früher einmal waren das die Notizen, die sich ein Journalist während der Verhandlung machte. Anschliessend, denn wofür verlangt man Geld, machte er dann einen durchkomponierten Artikel draus. Also Einleitung, Gewichtung, Abfolge, vielleicht sogar noch eine Schlusspointe.

Das war früher; heute ist: das Geticker wird einfach ins Netz gestellt. Das ist so, wie wenn der Metzger die Schweinehälfte auf die Theke legen würde und sagte: schneidet Euch doch davon ab, was Ihr wollt; ich wieg’s dann noch und kassiere.

Wenn der Metzger tickern würde.

Immerhin macht selbst der «Blick» eine Kurzstory draus, und die NZZ wirft gleich mehrere Kräfte in die Prozessschlacht, das ist man einem gewissen Niveau schuldig. Die akkurate NZZ-Berichterstattung liefert einen weiteren Beweis dafür, dass die Betrugs- und Vorteilsnahmethese der Staatsanwaltschaft auf sehr wackeligen Beinen steht. Nicht nur, dass es allgemein sehr schwierig ist, den dafür nötigen Vorsatz, also die beweisbare Absicht, zu belegen.

Erinnert sich noch jemand an Details?

Insbesondere bei der Beteiligung an Investnet, bei der zwei Mitangeklagten Beihilfe zum Betrug und Bestechung vorgeworfen wird, zerlegte deren Verteidiger das wackelige Konstrukt der Staatsanwaltschaft. Überschattet wird dieser Teil der Anklage durch eine menschliche Tragödie. Einer der beiden hier Angeklagten ist inzwischen dement geworden und kann weder aussagen, noch an der Verhandlung teilnehmen.

Der Hauptangeklagte Vincenz glänzte durch Abwesenheit. Auch hier ein eher erstaunlicher Vorgang. Da das Gericht am Anfang viel zu wenig Verhandlungstage vorgesehen hatte, wurden zusätzliche in aller Eile dazugeklebt. Nun ist es dem Hauptverteidiger aber nicht möglich, diese Termine wahrzunehmen. Worauf das Gericht gleich das ganze Team samt Angeklagten dispensierte. Als wolle es schon möglichst viele Anhaltspunkte für eine mögliche Revision anbieten.

Umso länger der Prozess dauert, desto deutlicher wird, dass eine 368 Seiten umfassende Anklageschrift kein Ausdruck geballter staatsanwaltlicher Durchdringung eines hochkomplizierten, aber kriminellen Verhaltens der Angeklagten ist. Sondern Ausdruck eines überforderten Staatsanwalts, der jahrelang dem selbstverschuldeten Problem nachrannte, durch eine drakonische U-Haft Tatsachen geschaffen zu haben, die eine milde Anklage gar nicht zuliessen.

Ein Staatsanwalt bei der Arbeit.

Es kommt sowieso selten in einer Strafuntersuchung vor, dass ein Staatsanwalt mittendrin kehrtum marsch macht. Als er bemerkte, dass die ungetreue Geschäftsführung – mangels beweisbarem Vorsatz und beweisbarer Schädigung des Arbeitgebers – nicht haltbar war, schwenkte er auf Spesenbetrug um und zwirbelte den dann zu schwerem Betrug um, damit er auf wiederum drakonische 6 Jahre Gefängnis plädieren konnte.

Ein endgültiges Urteil ist erst in Jahren zu erwarten

Wann das Urteil verkündet wird, ist weiterhin unklar; sicherlich nicht schon am letzten vorgesehenen Prozesstag Ende März. Man kann allerdings davon ausgehen, dass weite Teile der Urteilsbegründung bereits geschrieben sind. Man kann auch davon ausgehen, dass das Gericht, wenn überhaupt, nur bedingte Strafen aussprechen wird.

Man kann sicher sein, dass das Urteil – wie auch immer es ausfällt – von mindestens einer Seite weitergezogen wird. Worauf das Ganze dann in ein paar Jahren vom Bundesgericht abschliessend beurteilt wird. Was dann noch eine SDA-Kurzmeldung ergeben wird.

Unabhängig davon, ob hier Gesetzesverstösse begangen wurden. Unabhängig davon, was man von Ausflügen ins Rotlichtmilieu auf Geschäftsspesen halten mag. Unabhängig davon, wie man moralisch das geschäftliche Verhalten der beiden Hauptangeklagten beurteilen mag: selbst ein Freispruch würde nicht wiedergutmachen, was hier angerichtet wurde.

Intimste Details aus dem Privatleben, Geschäftsgeheimnisse, strikt vertrauliche Untersuchungsakten, gar Banküberweisungen wurden öffentlich durch den Kakao gezogen. Der Ruf zweier Geschäftsleute unrettbar ruiniert. Die zudem nicht nur – einmalig in solchen Zusammenhängen – über hundert Tage in U-Haft schmorten, wobei auch eine schwere körperliche Behinderung eines der beiden keinerlei Gnade in Form einer Verschonung fand. Sondern die letzten vier Jahre damit verbringen durften, sich gegen diese Anschuldigungen zu wehren.

Es gilt die Unschuldsvermutung …

Gleichzeitig sind sie, auch so ein weitgehend unbekanntes Instrument zum Mürbemachen, weitgehend von ihren finanziellen Ressourcen abgeschnitten. Die sind nämlich, falls es zu Regressforderungen kommen sollte, präventiv arretiert. Ja, genau wie im Fall Russlands. Nur sind weder der Hauptangeklagte noch sein Kompagnon kleine Putins.

Ihre Verteidigung konnten die beiden nur dank entsprechender Versicherungen und höchstwahrscheinlich auch durch Schuldenaufnahme finanzieren. Was selbstverständlich die Reichweite, vor allem das Erstellen von Gegengutachten, deutlich begrenzte.

Die Angeklagten im Schaufenster der Medien.

Das muss man so verstehen, wie wenn ein Ringkämpfer antreten muss – mit einer Hand auf den Rücken gebunden. Während die Staatsanwaltschaft über alle Zeit der Welt und über alle finanziellen Mittel verfügt. Nur begrenzt durch Verjährungsfristen, die durch die sich jahrelang hinschleppende Untersuchung teilweise demnächst eintreten.

Was vielleicht dem Staatsanwalt in seinem letzten grossen Prozess (den er wohl wie alle vorher verlieren wird) durchaus zu pass kommt. Dann kann er nämlich behaupten, dass es sicherlich zu einer Verurteilung gekommen wäre – hätte das die Verjährung nicht verhindert.

Wo bleiben Augenmass und Verhältnismässigkeit?

Das Führen des schärfsten Schwerts, über das ein Rechtsstaat verfügt, braucht Augenmass und Verhältnismässigkeit. Ein Staatsanwalt ist mit Machtmitteln wie kein Zweiter ausgestattet. Er kann auf Verdacht drakonische Massnahmen ergreifen. Freiheitsentzug, Mittelentzug, Beschlagnahmungen, Einvernahmen unter Eid. Es ist ihm weitgehend freigestellt, wie schnell oder wie langsam er seine Untersuchung zur Anklageschrift reifen lässt.

Blick in den Maschinenraum einer modernen Redaktion.

Für ihn ist eine Niederlage vor Gericht zudem folgenlos. Er ist in keiner Form haftbar; allerhöchstens der von ihm vertretene Staat. Amtsmissbrauch, offenkundige Kunstfehler, Willkür, unverhältnismässiges Handeln, all solche Vorwürfe perlen an ihm ab. Der Staatsanwalt wird sich demnächst in die Pension verabschieden. Seine Rente ist völlig unabhängig davon, ob er jemals als Staatsanwalt Erfolg hatte – oder nicht. Und welche materiellen oder immateriellen Schäden er angerichtet hat.

Das Elend der Wirtschaftsberichterstattung

Kurz gefasst hat es einen Namen: Lukas Hässig. Der lässt regelmässig alle anderen im Regen stehen.

Einmal kann ja noch Glück und Zufall sein. Als der Finanzblog «Inside Paradeplatz» enthüllte, dass der abtretende Novartis-Boss Daniel Vasella satte 72 Millionen dafür bekommen sollte, dass er sechs Jahre lang nach seinem Abgang nichts tut, vor allem nichts für die Konkurrenz, gab es viel Gebrüll und rote Köpfe.

Vor allem bei Vasellas Anwalt, der das überhaupt nicht komisch fand. Mit dieser Enthüllung im Jahre 2013 sorgte Hässig auch nebenbei dafür, dass die Abzocker-Initiative angenommen wurde. Er fuhr, wie meistens, einen scharfen Reifen. Denn hätte seine Information nicht gestimmt, gäbe es den Finanzblog nicht mehr.

Als Hässig merkwürdige Kontobewegungen bei Pierin Vincenz enthüllte, reagierte die gesamte Wirtschaftspresse der Schweiz – überhaupt nicht. Vincenz, der Starbanker, der Gutbanker, von allen in den Himmel gelobt, soll etwas mit anrüchigen Geschäften zu tun haben? Unmöglich, gar nicht erst ignorieren.

Erst, als Vincenz mitsamt Kompagnon verhaftet wurde, wachten die Kollegen auf. Und lieferten sich ein Wettrennen mit Hässig, wer schneller die neuste Anfütterung publiziert.

Jagdszenen rund um die Zürcher Bahnhofstrasse

Als Hässig filmreife Verfolgungsszenen rund um die Zürcher Bahnhofstrasse beschrieb, glaubte noch niemand, dass das zum schnellen Fall des damaligen CS-CEO führen würde und sich in der Affäre mal wieder die ganze Führungsmannschaft der Credit Suisse, von VR-Präsident Urs Rohner abwärts, bis auf die Knochen blamierte.

Aktuell arbeitet sich «Inside Paradeplatz» an den «Masken-Kids» ab. Er zerrte ans Licht der Öffentlichkeit, dass sich zwei clevere Jungunternehmer durch den Verkauf von Schutzmasken an überforderte Sesselfurzer in der Schweiz und in Deutschland mehrere goldene Nasen verdient hatten.

CH Media und auch die NZZ, schliesslich Tamedia, gaben den beiden Gelegenheit, sich in den schönsten Farben darzustellen. Hatten halt die richtigen Beziehungen in China, setzten alles auf eine Karte, hätte der Verkauf von rund 300 Millionen Masken nicht geklappt, wären sie Pleite gewesen. Und für all das Risiko, pünktliche Lieferung erstklassiger Ware, seien so 30 Prozent Marge nun wirklich kein Verbrechen.

Eigenrecherche, kritische Analyse? Wozu auch

Beide Medienkonzerne erzählen die Tellerwäscher-Millionär-Story nach, erwähnen zwar, dass es eine Strafuntersuchung wegen möglicherweise gefälschten Zertifikaten gibt, auch eine Anzeige wegen Wucher. Aber darin erschöpft sich schon die Recherchierkraft der Wirtschaftsredaktionen. Die NZZ lässt am Schluss hilflos offen, ob es sich um clevere Geschäftsleute oder Schlimmeres handle.

Statt nachzuerzählen und den beiden unwidersprochen Plattformen für die wunschgemässe Selbstdarstellung zu geben, grub Hässig eine Story aus, die es wieder in sich hat. Unter den aufmerksamen Augen der Medienanwältin Rena Zulauf, die die beiden Kids inzwischen vertritt, schildert Hässig, wie die eine hübsche Menge Gesichtsmasken gekauft und für mindestens den doppelten Preis beispielsweise an die Schweizer Armeeapotheke weiterverkauft hätten.

Das unternehmerische Risiko hielt sich dabei aber in Grenzen; der Verkäufer war eine Firma mit Sitz – in Basel. Natürlich muss man sich zu recht fragen, wieso die Genies bei der Armee nicht in der Lage waren, diesen Lieferanten direkt zu benützen. Aber beim Ausgeben von Steuergeldern läuft der Beamte normalerweise nicht zu sparsamen Höchstleistungen auf.

Inzwischen haben die Maskenkids grosszügig über eine Million gelieferte Masken, die anscheinend unbrauchbar waren, ersetzt.

Sicherlich billig Second Hand zu erwerben.

Ist die Erzählung vom hohen Risiko und handelsüblicher Marge eine Ente?

Treffen die Angaben von Hässig zu, ist allerdings sowohl die Mär vom hohen Risiko wie auch von einer völlig handelsüblichen Marge entlarvt. Ebenso, aber das ist ja nichts Neues, die Mär, dass es noch hart recherchierende Wirtschaftsjournalisten in den grossen Medienhäusern gäbe. Die NZZ strahlt immerhin noch Kompetenz aus, und ihre Serie, dass die Bespitzelung des ehemaligen CS-Stars Khan kein Einzelfall war, brachte das Fass zum Überlaufen und zwang Tidjane Thiam zum Abgang.

Aber sonst? Tamedia befleissigt sich, vor allem in Gestalt ihres Oberchefredaktors, ungeniert unter Ignorieren der Unschuldsvermutung eine angefütterte Meldung nach der anderen im Zusammenhang mit der Affäre Vincenz rauszuhauen. Und die NZZ brüstet sich, dass sie in Besitz der gesamten Anklageschrift sei, was für die Strafverfolgungsbehörden kein Anlass ist, ebenso wenig wie bei Arthur Rutishauser, gegen diese Delikte vorzugehen.

Im Gegensatz dazu hat Hässig – nach langem Zögern – nun eine Strafuntersuchung am Füdli, weil die Publikation von Kontodaten gleich mehrere Delikte enthielt. Aber all das ändert nichts daran, dass hier ein Ein-Mann-Bulldozer Mal für Mal die Erde über einer Leiche im Keller wegräumt, während die übrige Wirtschaftsjournaille mit offenem Mund rumsteht und Maulaffen feilhält.

Vincenz, der Schlechtbanker

Zunächst: Es gilt die Unschuldsvermutung. Selten so gelacht.

Im Verlauf der letzten 11 Jahre, also seit der Finanzkrise eins, gab und gibt es in der Schweiz genügend Bankführer, die für erwiesene Unfähigkeit, für Milliardenbussen, für das Schrumpfen des Aktienkurses ihrer Bank um 50, 60, 70 Prozent ein Riesensalär bezogen. Plus Bonus, versteht sich.

Ohne, dass etwas anderes geschah, als dass sie um Dutzende, manchmal um Hunderte Millionen Franken reicher abtraten und verschwanden. Unbehelligt, vielleicht manchmal beschimpft, aber das sollte man bei diesem Schmerzensgeld aushalten.

Der strahlende Starbanker Vincenz

Dagegen galt Pierin Vincenz lange Jahre als der Gutbanker. Der Erfolgsbanker. Der joviale Siegertyp mit dem sympathischen Bergler-Image. Banker des Jahres, die Medien überschlugen sich mit Lobhudeleien, vor Bewunderung ehrfurchtsstarr. Was für ein Mann. Was für ein Erfolgstyp. Hat aus Raiffeisen die Nummer drei hinter den beiden Grossbanken und vor allen Kantonalbanken gemacht.

Eine Wahnsinnskarriere. Als der Finanzblog «Inside Paradeplatz» anfing, mit gestohlenen Bankunterlagen von Vincenz Stunk zu machen, sagten alle anderen Medien: niemals, gar nicht erst ignorieren.

Bis Ende Februar 2018 der Paukenschlag erfolgte. Verhaftung, Hausdurchsuchung, monatelange U-Haft. Aus dem ehrfurchtsstarren Blick hinauf zum Bankenstar wurde, so ist das im Journalismus, ein Wettbewerb im Arschtreten.

Nicht die geringste Eigenleistung der Journalisten

Ohne die geringste Eigenleistung veröffentlichten die Qualitätszeitungen Informationen, mit denen sie angefüttert wurden. Geldgierig in den eigenen Sack gewirtschaftet, dieser Vincenz. Sass an beiden Seiten des Verhandlungstischs bei Firmenübernahmen durch Raiffeisen, pfui.

Aber im Takt mit dem Staatsanwalt wechselten die Medien problemlos die Richtung der Vorwürfe. Das mit der Selbstbedienung sei schon eine Sauerei, aber die Spesen. Diese Spesen. Der Rotlicht-Banker mit einem Hang zu Strip-Schuppen. Pfui, pfui, pfui.

Alles, was vorher enthüllt worden war, schrumpfte zum lauen Lüftchen im Vergleich zu dem Sturm, der aufkam, als die Anklageschrift den Medien zum Frass hingeworfen wurde. All die älteren Spesenritter bei den Medien, die sich noch an die goldenen Zeiten erinnern, als auch im Journalismus keine grossen Fragen gestellt wurden, wenn die private Sause als Geschäftsessen eingereicht wurde, überschlagen sich vor Entrüstung.

Nach dem Rotlicht noch Dubai

Wobei natürlich weiterhin die Unschuldsvermutung gilt. Nachdem alle Rotlichtspesen durchgenudelt wurden, setzte die NZZ am Samstag noch einen drauf. Es gab ja auch noch die Reise nach Dubai. Ein Dankeschön von Raiffeisen an zwei langjährige, verdiente Mitarbeiter, überbracht vom Big Boss Vincenz.

Der auch gleich mitkam, um seine Huld über den beiden strahlen zu lassen. Flug in der First Class, Unterkunft in diesem segelförmigen Wahrzeichen von Dubai, golfen, relaxen, trinken, essen, kein Rotlicht. Alles gerne von Kuoni organisiert, Kostenpunkt für alle: 54’000 Franken. Es läppert sich halt.

An dieser Beschreibung delektiert sich auch die NZZ. Was sie dabei völlig aus den Augen verliert, sind die naheliegenden Fragen. Wo Spesen eingereicht werden, müssen sie auch visiert werden. Das tat bei Raiffeisen der VR-Präsident höchstselbst bei Vincenz. Und der war nicht irgendwer, sondern auch Professor an der HSG – für Unternehmensführung.

So viele Artikel, so viele nicht gestellte Fragen

Nicht gestellte Frage eins: Wie hätte Vincenz annehmen sollen, dass mit seinen Spesen etwas nicht in Ordnung sei, wenn sie allesamt und über Jahre kommentarlos abgezeichnet wurden?

Nicht gestellte Frage zwei: Wie hätten die Mitreisenden Verdacht schöpfen sollen, die Jahre später von einem im roten Bereich drehenden Staatsanwalt wegen «Beihilfe zu ungetreuer Geschäftsbesorgung» angeklagt werden? Sicherer Freispruch inklusive.

Nicht gestellte Frage drei: Wenn wir schon ernsthaft über ungetreue Geschäftsbesorgung sprechen wollen, wie sieht es da mit einem VR-Präsidenten aus, der offensichtlich weder seiner Aufsichts-, noch seiner Kontroll- und auch nicht seiner Fürsorgepflicht nachkommt? Dafür kassierte er ein sattes Honorar – als Nebenjob zu seiner Professur – von fast 600’000 Franken im Jahr.

Fragen, keine Antworten, recherchieren

Hätte da nicht mit viel mehr Grund zumindest eine Strafuntersuchung eingeleitet werden müssen? VR-Präsident, Professor, hallo? Statt auf zwei harmlose Mitreisende mit Kanonen zu schiessen?

All diese Fragen hat die NZZ nicht gestellt. Aber ich. Hat die Bank nicht eine Strafanzeige eingereicht gegen ihren ehemaligen VR-Präsidenten? Und wenn nein, warum nicht? «Raiffeisen Schweiz äussert sich nicht zum laufenden Verfahren.» Nachfrage: Kann man aus der Antwort schliessen, dass gegen Prof. Rüegg-Stürm ein Verfahren läuft? Antwort: «Wir verweisen auf unsere E-Mail vom 19. November.»

Und was sagt die Staatsanwaltschaft zur Frage, wieso sie keine Ermittlungen gegen Rüegg-Stürm aufgenommen hat? «Mit der Anklageerhebung ist die Verfahrens- wie auch die Kommunikationshoheit an das Bezirksgericht Zürich übergegangen. Über den Inhalt unserer Medienmitteilung vom 3. November hinaus beantworten wir deshalb keine weiteren Fragen.»

Das war zwar nicht die Frage. Aber in der voluminösen Anklageschrift kommt der Name Rüegg-Stürm, die Spesenabrechnungen abzeichnender VR-Präsident, nicht vor. Warum nicht? Gute Frage. Da könnte man zum Beispiel zu recherchieren beginnen. Aber das wäre ja mit Anstrengung verbunden.