Würstchen-Bruchmesse

Die Bankrotterklärung der Debattenkultur.

Slavoj Žižek ist Hegelianer, Philosoph, aufrührerischer Geist und wohl das, was man heute abschätzig Querdenker nennt, obwohl das eigentlich ein Lob sein sollte.

Die Frankfurter Buchmesse ist das Hochamt der abendländischen Kultur und Literatur, ein Stelldichein aller Wichtigtuer und Intellektuellen, aller mediokren und gehypten «Shootingstars» der Buchverlage. Triefende Wichtigkeit trifft auf tiefe Bedeutsamkeit, es wird geschwurbelt, was das Lockendrehen auf der Glatze hergibt, und der Alkohol fliesst in Strömen, weisse Strässchen werden kilometerlang ausgelegt.

In diesen Jahrmarkt der Eitelkeiten hinein hielt man es für eine gute Idee, Žižek an der Eröffnungsfeier das Wort zu erteilen. Naheliegend, Slowenien ist Gastland, und ohne den Slowenen zu nahe zu treten: viele kluge Köpfe haben sie nun nicht.

Der tat dann das, was indigniertes Naserümpfen, Stühlerücken, Zwischenrufe und Proteste auslöste. Er redete Klartext. Zunächst verurteilte er bedingungslos das Massaker der Terrororganisation Hamas und anerkannte das Recht Israels auf Selbstverteidigung. Damit löste er bei den Zuhörern wohliges Gesinnungsblasengefühl aus.

Dann sagte der Philosoph: «Aber was wir in Gaza erleben, ist auch ein Angriff auf die Menschenwürde.» Manchmal sind Philosophen auch Seher, denn er fuhr fort: «In dem Moment, in dem man die Notwendigkeit erwähnt, den komplexen Hintergrund der Situation zu analysieren, wird man gewöhnlich beschuldigt, den Terrorismus der Hamas zu billigen oder zu unterstützen.» Als Bestandteil einer solchen Analyse argumentierte er, dass Israel der palästinensischen Bevölkerung keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft gebe, «es bietet ihnen keine Vision von einem Staat, in dem sie eine positive Rolle spielen können».

Das ist unbestreitbar richtig, zumindest interessant, ein absolut sinnvoller Beitrag zur Debatte. Aber selbst die sonst tütelige NZZ behauptet im Anschluss, völlig  aus der Luft gegriffen: «Damit insinuierte er eine Mitschuld Israels an den Massakern.» Unterschied zwischen Begründung liefern und angeblich Mitschuld insinuieren? Was für eine Brachialdenunziation. Absurd, aber der Artikel stammt auch von Nadine A. Brügger. Die schwärmte schon backfischartig von der Bachelorette der Politik, oder kritisierte mit dem Holzhammer die Berichterstattung über den Roshani-Skandal in den Medien, liess aber die skandalöse Berichterstattung im eigenen Blatt NZZ skandalöserweise aussen vor.

In diesem Geiste verhielten sich auch einige Zuhörer bei Žižek, als die Gesinnungsblase geplatzt war. Er unterstütze den Hamas-Terror, wurde ihm entgegengeschleudert, einige dialogunfähige Debattenverweigerer verliessen demonstrativ den Saal, einige kehrten immerhin wieder zurück. Ein «Antisemitismus-Beauftragter», der es in der Stadt Frankfurt nicht fertigkriegt, antisemitische Schmierereien und Ausschreitungen zu verhindern, schmetterte «Schande» in den Raum.

Viel cleverer zensierte Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank. Die Orte, an denen die Hamas Massaker verübte, müssten als Symbole für das absolut Böse stigmatisiert werden: «Erst wenn wir diese gemeinsame Grundlage haben, ohne dass mir ein Slavoj Žižek erklärt, das müsse kontextualisiert werden, erst dann können wir über alles reden. Auch über die Fehler Israels.»

Nein, es steht auch einem Mendel nicht an zu dekretieren, welche gemeinsamen Grundlagen existieren müssten, bevor jemand seine Meinung äussern darf. Auch Juden dürfen sich nicht als Inquisitoren aufspielen.

Dass arabische oder muslimische Verlage die Buchmesse boykottieren, ist Ausdruck deren Verbohrtheit und Dialogunfähigkeit. Dass die Buchmesse auf die Verleihung eines Preises an eine palästinensische Schriftstellerin verzichtet, deren Buch sich durch die jüngsten Ereignisse ja nicht verändert hat und vorher als preiswürdig befunden wurde, ist Ausdruck einer unglaublichen intellektuellen Feigheit.

Selbst in der hämischen Darstellung von NZZ-Brügger kommt in ihrer Schlusspointe das Problem in allen Facetten auf den Punkt. Sie muss in ihrer Perfidie vollständig zitiert werden:

«Auch Žižek betonte in seiner Rede, die Verschiebung der Preisübergabe sei skandalös und gar «ein Paradox der Cancel-Culture». Gecancelt wurde Žižek in Frankfurt nicht, auch wenn er das zu behaupten schien. Bereits am Mittwoch fand eine weitere Veranstaltung mit dem Philosophen statt.Dort verglich er die negativen Reaktionen auf seinen Auftritt vom Vorabend mit Redeverboten in der DDR. Er sei nämlich sehr erstaunt, dass ein Wort wie «Aber», das doch stets der Beginn eines Dialogs markiere,an einem Ort wie der Buchmesse ein Problem sei. Erst danach liess Žižek vom Mikrofon ab

«Zu behaupten schien», «Mitschuld insinuiert», «erst danach liess Žižek vom Mikrofon ab»? Was heutzutage alles in der NZZ erlaubt ist, wo die Qualitätskontrolle langsam ähnlich bedenklich wird wie bei Tamedia … Da sagt der Mann lauter bedenkenswerte und intelligente Sachen, gegen die Brügger natürlich kein Gegenargument einfällt. Aber mit Methoden aus der unteren demagogischen Schublade rahmt sie die so ein, dass die Häme geradezu aus den Zeilen tropft. Die mehr als bedenkliche Aussage von Mendel hingegen zitiert sie mitsamt dem aufbrandenden «Applaus» offensichtlich zustimmend.

Berichterstattung war mal in der NZZ; heutzutage darf jeder Schreiber seinen Gesinnungssenf dazugeben, ohne dass man ihm den von der Artikelwurst schabt.

 

5 Kommentare
  1. Mathias Wyss
    Mathias Wyss sagte:

    … dass Israel der palästinensischen Bevölkerung keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft gebe, «es bietet ihnen keine Vision von einem Staat, in dem sie eine positive Rolle spielen können».

    Eine bessere Zukunft hat dann wohl umgekehrt der Staat, dessen Existenzrecht von seinen Nachbarn nicht anerkannt wird, der schlichtweg von der Landkarte getilgt werden soll…

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  2. Noah Fetter
    Noah Fetter sagte:

    Žižek hat sich in Frankfurt nicht als Querdenker gezeigt, sondern als Whataboutist, als Relativierer. Seine Verurteilung der Hamas und seine Zustimmung zu Israels Verteidigungsrecht ist wohlfeil, wenn er dann aber Israel für den Terror verantwortlich macht, indem er sagt, Israel liesse den Palästinensern keine Zukunft. Das ist Quatsch. Denn die Zukunft der Palästinenser wird von ihrer unfähigen, korrupten «Regierung» und ihren Terrororganisationen wie Hamas, Hisbollah usw. verbaut.
    Das ändert sich nur, wenn der «Westen» die Unterstützung dieser Bande rigoros einstellt, den Iran in die Schranken weist, sodass das palästinensische Volk endlich aufstehen kann um das terroristische Joch abzuschütteln.

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    • René Küng
      René Küng sagte:

      Sie haben ja versucht aufzustehen, die Israelis.
      Aber die Verbrecher im eigenen Land – und ihre globalen Verbündeten – jagen ihren ‹Landsleuten› eher noch ein paar booster rein, als dass die irgendwelche Regeln, Gesetze, geschweige letzte Reste von aufklärerischem Humanismus respektieren würden.
      Wehret den nächsten Schritten, denn in diesem Sinne sind wir im verkehrten Westen inzwischen ‹alles Israelis’…….

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  3. Beat Morf
    Beat Morf sagte:

    Eigentlich versuchen Sie täglich das Unmögliche, lieber Herr Zeyer. Der Journalismus ist so auf den Hund gekommen, dass eine Medienkritik wie eine Gastronomie Kritik einer Pfadfinderküche ist. Der Journalismus schafft sich selber ab, was Sie ja auch schon oft selber festgestellt haben.

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    • René Küng
      René Küng sagte:

      Nicht OK gegen jede Pfadfinderküche.
      Einverstanden bin ich mit Ihrer Analyse von hoffnungslos, unmöglich.
      Ich plädiere schon lange dafür, dass Herr Zeyer Medien- und Journalismuskritik bei den (Aussenseiter)Organen, meist Portalen macht, die ihrer Arbeit noch nachgehen.
      Es gibt sie.
      Follow the Rest,
      gebt denen keine Energie mehr, keine Beachtung.
      Das ist die einzige Art, wie wir uns wehren können.

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