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Peinlich!

Die Plattform-Zeitung SoZ ist platt.

Unglaubliche Zustände an der Werdstrasse. Nein, nicht in Sachen Sexismus und Frauendiskriminierung. In Sachen Zensur und Meinungsdiskriminierung.

Wenn einer Redaktion nicht viel einfällt, macht sie einen Rückblick und lädt dazu Fachstimmen ein. Also Rückblick auf Covid. Dazu wurden bekanntere und unbekannte Namen, darunter auch einige Corona-Kreischen, eingeladen. Dazu Pietro Vernazza. Ein ausgewiesener Fachmann: «Prof. Pietro Vernazza war bis zu seiner Emeritierung Chefarzt der Infektiologie und seit 1985 beim Kantonsspital St. Gallen tätig.»

So heisst es in seinem Blog «infekt.ch». Dortselbst hat er eine brisante Story zu erzählen. Einer der vielen stellvertretenden Chefs des Hauses Tamedia bat ihn darum, auf 1000 Anschlägen seine Antworten zu drei Fragen beizusteuern. Vernazza lieferte und erhielt den Dank des Auftraggebers.

Wunderbar, dachte sich der emeritierte Professor. Und staunte nicht schlecht, als der dann die «SonntagsZeitung» aufschlug. Da waren jeden Menge Stimmen versammelt, berufene und weniger berufene. Nur eine fehlte: seine.

Ob das damit zu tun hat, dass Vernazza nicht in den Tamedia-Sound von «Bundesrat, wir loben dich, Massnahmen-Skeptiker sind aluhuttragende Idioten, alle sollten zwangsweise geimpft werden» einstimmte? Auf jeden Fall tat die SoZ dann das, was auch ZACKBUM fast überall häufig passiert. Auf seine Nachfrage blieb man stumm.

Abgesehen davon, dass man seine interessanten Antworten nun nicht in der SoZ, sondern auf seinem Blog (und in der NZZ) lesen kann: ist das nicht von A bis Z peinlich? Soll das ein Beispiel für die grossartige Weiterentwicklung der SoZ sein, für die Arthur Rutishauser extra als Bauernopfer zurückgestuft wurde?

Ist das ein grosser Skandal? Nein, aber ein kleiner schon. Die SoZ ist nicht mal in der Lage, die naheliegende Antwort zu lügen: ach, sorry, leider war der Platz dann doch beschränkt, konnten Sie nicht berücksichtigen, gerne ein Andermal. Aber gelernt ist gelernt: wenn schon etwas in den Sand setzen, dann richtig.

 

Tagi als Zensor

Unglaubliche Zustände im angeblichen Forumsblatt.

Tamedia bestreicht die Hälfte der Deutschschweiz, die nicht fest im Griff von CH Media ist. Bei jeder neuen Akquisition versicherte der Konzern, dass er sich selbstverständlich seiner Verantwortung als Duopolist bewusst sei und daher offen für widerstreitende Meinungen und verschiedenartige Positionen.

Das hat sich längst als lächerliche Behauptung erwiesen, der in keiner Form nachgelebt wird. Aber was sich Tamedia gerade geleistet hat, ist dann doch ein starkes Stück.

Das gesamte Team der Kolumnisten wurde ausgetauscht. Das ist in den meisten Fällen keine schlechte Idee gewesen, auch wenn die Nachfolgecrew noch fürchterlicher ist. Mit einer Ausnahme: Rudolf Strahm. Darüber drückte ZACKBUM sein Bedauern aus.

Was der kompetente und streitbare Publizist inzwischen auf seiner eigenen Webseite bekannt macht: sein letzter Beitrag, seine letzte Kolumne wurde zensiert. Der ganze Schlussabsatz wurde «in den Print-Versionen im Tages-Anzeiger und im Bund gegen meinem Willen gänzlich weggelassen». Noch schlimmer, auch in der Online-Version «um den fett gedruckten Abschnitt ohne Voranmeldung gekürzt».

Strahm liefert dann die von Tamedia gekürzte und zensierte Version in der Originalform nach:

«Das ist nach vierzehn Jahren meine letzte Kolumne. Sie endet nicht freiwillig. Die neue Chefredaktion des Tages-Anzeigers will die Beiträge neu ausrichten. Ich habe mit meinen Kolumnen gern zur Einordnung der Politik beigetragen. Mit Analysen aus einer gewissen Distanz, Unabhängigkeit und Weitsicht habe ich mich an jene Generation gewandt, die noch Zeitung liest und politisch reflektiert. Dabei habe ich versucht, dem Motto «Audiatur et altera pars» – Höre auch den andern – gerecht zu werden. Allen Leserinnen und Lesern danke ich für das Interesse an meinen Beiträgen.»

Ist das eine Art, einen verdienten Kolumnisten zu verabschieden? Schämt sich auf dieser Redaktion überhaupt niemand mehr für nix? Vielleicht hat Strahm mit dem letzten Absatz den Platz im Print überschrieben. Aber wäre es nicht eine Geste gewesen, bei seiner letzten Kolumne ein Auge zuzudrücken?

Insbesondere, wenn der Autor offensichtlich forderte, dass auch dieser Absatz im Print erscheint. Pfeif drauf, sagte Tamedia. Der Gipfel ist aber, dass in der Online-Version einfach ein entscheidender Satz ohne Einverständnis des Kolumnisten zensiert wurde.

Das ist doch kein anständiges, korrektes, verantwortliches Verhalten mehr. Das ist respektlos, arrogant und indolent.

Es scheint immer mehr, dass mit den Sparmassnahmen bei Tamedia auch die letzten Reste von journalistischen Ethos verlorengegangen sind. Ein Kolumnist muss auf seiner eigenen Webseite seine vollständige Kolumne veröffentlichen, weil Tamedia dazu nicht in der Lage ist. Wie peinlich ist das denn.

Die Info-Krieger

Kaum verhohlene Häme: Köppels Twitter-Account kurzzeitig gesperrt.

Wir sind gut unterwegs – zurück in voraufklärerische Zeiten. Bevor Denis Diderot und seine Bundesgenossen darauf setzten, dass Erkenntnisse nur durch Meinungsfreiheit gewonnen werden, lag ein Leichentuch über dem europäischen Denken.

Die allmächtige Kirche bestimmte, was öffentlich (und privat) gedacht und gesagt werden durfte. Und was nicht. Bei Verstössen gegen diese Vorschriften stand die Inquisition bereit, den Sünder wieder auf den rechten Weg zu führen. Manchmal, wie im Fall Galilei, reichte das Zeigen der Instrumente. In hartnäckigerern Fällen kamen sie zu Einsatz. Der pervertierten menschlichen Fantasie waren dabei keine Grenzen gesetzt.

Streckbänke, die Eiserne Jungfrau, glühende Zangen, flüssiges Blei in den Mund, schon das einfache Hochhieven an auf den Rücken gefesselten Händen sorgte für unerträgliche Qualen. Danach war der Tod oft eine Erlösung für das Höllenschmerzen erleidende Opfer. Oder aber, der Ketzer landete wie Giordano Bruno auf dem Scheiterhaufen.

Die Folterknechte, die Inquisitoren, waren guten Mutes und sicher, ein gottgefälliges Werk zu verrichten. Denn schliesslich ging es ihnen nur darum, eine verirrte Seele einzufangen, sie auf den richtigen Weg zu führen, zu verhindern, dass sie in der Hölle schmoren musste, zu ermöglichen, dass sie jubelnd in den Himmel aufsteigen konnte.

Die Erde sei keine Scheibe? Nicht das Zentrum des Universums? Es sind Zweifel an dem geoffenbarten Wort Gottes in der Bibel möglich? Der Papst sei nicht unfehlbar? Jemand glaubt nicht an Gott, bezweifelt gar seine  Existenz? Versündigt sich an edlen Ideen wie Kreuzzüge, Ablasshandel, kritisiert das gottlose Treiben von Pfaffen in Klöstern? Ts, ts, da musste viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, um all diese Verdunkelungen des hell leuchtenden Glaubens zu beseitigen.

Auch Herrscher reagieren sehr ungnädig auf Spott, Ironie und Kritik. Im Ostblock war’s beliebt, einen Dissidenten in die Psychiatrie einzuliefern. Denn wer an der Richtigkeit und Überlegenheit des real existierenden Sozialismus zweifelt, muss doch krank im Kopf sein.

In westlichen Demokratien geht man normalweise subtiler vor. Da wird weder gefoltert, noch psychiatriert. Soziale Ächtung, Kampfbegriffe wie Verschwörungstheoretiker, Schwurbler, Leugner, ergänzt durch Hetzer, Rechtskonservativer, Nationalist und Irgendwas-Versteher, reichen normalweise aus. Plus die Sperrung des Zugangs zu Multiplikatoren, Ächtung der noch vorhandenen Plattformen.

Mit allen Fingern wird auf die drakonische Zensur in Russland gezeigt. Mit einem Finger leise gewackelt wird bei der drakonischen Zensur in der Türkei. Gerne unerwähnt gelassen wird die genauso drakonische Zensur in der Ukraine. Hochgelobt wird dagegen die Meinungsfreiheit im freien Westen. Hier hat jeder das Recht, nur beschränkt durch weitgefasste Gesetze gegen Verleumdung, Ehrverletzung, Beleidigung, Schmähung, Rufschädigung, Geschäftsschädigung.

Wie stolz sind wir doch darauf, dass wir im Gefolge der Aufklärung gelernt haben, dass nur ein freier Diskurs Erkenntnisgewinn bringt. Wie klar ist es uns, dass man zwischen Meinung und Meinungsträger, zwischen Äusserung und Gesinnung unterscheiden sollte. Klarheit herrscht, dass es nicht sinnvoll ist, Debattenbeiträge durch ihre Herkunft, vermutete Gesinnungen oder andere Markierungen abzuqualifizieren.

In die üble Vergangenheit verbannt sind alle Versuche, Wörter zu verbieten, die Sprache zu reinigen, Vorschriften zu machen, welche Wörter wie verwendet werden dürfen – und welche nicht. Grosses Gelächter erhebt sich, wenn ein Verpeilter meint, durch die Vergewaltigung der Sprache reale Vergewaltigungen bekämpfen zu wollen.

Ist das so? Das war einmal so. Bis sich das Leichentuch des Nationalsozialismus über die deutsche Gesellschaft und Sprache legte, galt in Debatten nur eins: intelligent muss es sein, unterhaltsam muss es sein, Funken schlagen soll es, brillant formuliert ist Voraussetzung für jede Polemik. Und Polemik ist gut, nur im Widerstreit der Meinungen kommt man weiter. So war das bis 1933, und nach 1945 wurden Freiräume zurückerobert.

Eine Einteilung der Welt gab genügend Sicherheit, fröhlich im Streit herauszufinden, ob kapitalistischer oder sozialistischer Imperialismus besser sei, oder ob beides gleich schlecht ist.

Als dann ab 1989 der Ostblock zusammenbröselte, setzte merkwürdigerweise nicht eine zusätzliche Befreiung des Denkens und Debattierens ein, sondern eine zunehmende Verunsicherung. Und Verunsicherung macht Angst. Angst macht repressiv. Denn natürlich hatte auch die Kirche, hat jeder Herrscher Angst vor dem freien Wort und freien Gedanken.

Genauso wie jeder kleine Pinscher, der meint, absolut zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können. Der mangels eigenen intellektuellen Fähigkeiten begrüsst, wenn ihm missliebige Meinungen unterdrückt werden.

Ein Schulbeispiel dafür sind die Reaktionen auf die kurzzeitige Sperrung des Twitter-Accounts von Roger Köppel. Maliziös wurde vom «Blick» aufwärts (abwärts geht schlecht) vermeldet, dass es wohl zahlreiche Beschwerden gegen den Account gegeben habe, worauf Twitter ihn wegen Regelverstoss und Hassreden gesperrt habe. Man hörte das mitschwingende «bravo», das «ätsch», das «hä, hä» dröhnen. Allgemein als Begründung wurde kolportiert, dass Köppel Vergewaltigungsopfer «verhöhnt» habe.  Mit seinem Tweet «Jede grosse Liebe beginnt mit einem Nein der Frau» habe er indirekt dazu aufgefordert, ein Nein nicht zu akzeptieren.

Köppel müsse diesen und andere Tweets zuerst löschen, bevor er wieder zugelassen werde. Oder –hoffentlich – auf Lebenszeit gesperrt wie der Ex-US-Präsident Donald Trump. Nochmals «he, he».

Eher belämmert musste dann berichtet werden, dass sich Köppel doch tatsächlich nach kurzem Unterbruch auf Twitter gemeldet habe – ohne die kritisierten Tweets zu löschen. Dieser Schlingel.

Keinem der Kommentatoren in den Mainstream-Medien fiel es ein, auf den wahren Skandal hinzuweisen. Kann es richtig sein, dass eine private Bude wie Twitter selbstherrlich nach undurchschaubaren Kriterien in Dunkelkammern entscheidet, wer diesen Multiplikator wie benutzen darf? Das ist noch schlimmere Zensur als im Mittelalter.

Niemand wies auf den Skandal hin, dass Mini-Inquisitoren und Zensoren bewirken können, dass mit ihrer Meckerei ein Account gesperrt wird. Das ist die digitale Version der hetzenden Meute, die einen Abweichler durch die Strassen jagt und mit faulen Eiern, Tomaten und Steinen bewirft. Weil dieser Teil wegfällt, wirkt es zivilisierter, ist aber nicht minder barbarisch.

Bezeichnend ist auch, dass all diese Zensoren genauso wie die Unwohlsein Erleidenden beim Anblick kultureller Aneignungen ihre Denunziationen immer anonym ausführen. Früher, im Mittelalter und auch in neueren Zeiten, gab es dafür spezielle Briefkästen, in die jeder feige Denunziant seine Anklage anonym einwerfen konnte. Auf das ist heute dank Digitalisierung viel einfacher geworden.

Gibt es die völlige Meinungsfreiheit? Natürlich nicht, so wie es auf keinem Gebiet absolute Freiheit gibt, weil das immer in Willkür und Faustrecht und Barbarei ausarten würde. Aber es sollte die möglichst umfassende Meinungsfreiheit geben. Dazu muss gehören, Peinliches, Unsinniges, Falsches, Provokatives, politisch nicht Korrektes, Frauenverachtendes, Minoritäten Diskriminierendes, Frauen, Männer, Behinderte, Kinder, Menschen anderer Hautfarbe oder Kultur Abqualifizierendes, sagen zu dürfen. Menschliche Schneeflocken dürfen ihr Unbehagen, ihre Verletztheit durch ach so viele ausgrenzende und nicht-inkludierende Formulierungen zum Ausdruck bringen. Linke dürfen auf Rechte verbal einprügeln, Verteidiger der militärischen Spezialoperation zur Befreiung der Ukraine vom Faschismus dürfen sich Wortgefechte mit Kritikern liefern, die den völkerrechtswidrigen Überfall entschieden verurteilen.

Kriegsgurgeln dürfen mit Pazifisten im Clinch liegen. Sogar fundamentalistische Irre dürfen Freiheiten für sich in Anspruch nehmen, die sie selbst in von ihnen beherrschten Ländern nicht im Traum einräumen würden. Feministinnen dürfen den Schleier als Ausdruck weiblicher Selbstbestimmung feiern, und von anderen Feministinnen in den Senkel gestellt werden, die den Schleier als Ausdruck einer frauenverachtenden, mittelalterlichen Männerherrschaft sehen.

So sollte das sein, wenn es in der öffentlichen Debatte um Erkenntnis und Forstschritt ginge. Da müsste man selbst den Verbal-Proleten Dieter Bohlen zumindest ernst nehmen und argumentativ begegnen, wenn der Verhandlungen in der Ukraine fordert, weil er «Krieg scheisse» findet. Gäbe es diese Geisteshaltung noch, müsste jeder Intellektuelle, der etwas Wert auf Anstand und Aufklärung legt, den Zensurversuch gegen Köppel aufs schärfste verurteilen. Müssten alle Bauchnabel-Kommentatoren – statt apodiktisch zwischen Gut und Böse zu unterscheiden – sich ernsthafte Gedanken über die Verluderung der Streitkultur machen. Müssten alle Verfolger kultureller Aneignungen sich besser um das Wiedererstarkten von Denkverboten und Zensur kümmern.

Alle Alarmsirenen erschallen lassen, dass wir zunehmend das unter so vielen Opfern erkämpfte Recht auf freien Diskurs verlieren. Diesmal nicht auf Betreiben von Religion oder Herrschern, sondern zuvorderst gefordert von Meinungsträgern selbst, von fehlgeleiteten Journalisten, Publizisten, Redaktoren. Die ihre intellektuelle Unterlegenheit, ihre geistigen Tiefflüge durch Rufe nach Denk- und Formulierungsverboten bemänteln wollen. Denn wo es keine Widerrede gegen Blödes, Seichtes, Unsinniges und Flachdenkertum gibt, wird seine Erbärmlichkeit nicht erkennbar.

Sollte man Köppel das Maul stopfen? Niemals. Sollte man «Russia Today» verbieten? Unter keinen Umständen. Sollte man Befürworter der Politik Putins stigmatisieren, ausgrenzen, sozial ächten, Maulkörbe, Entlassungen für sie fordern? Unter keinen Umständen.

Nur Kurzdenker verstehen dieses Plädoyer als Unterstützung solcher Meinungen falsch.

Bann über Büchern

In den USA droht Zensur von links und rechts.

Die «Washington Post» berichtet, dass im letzten Jahr laut dem PEN Club America 1586 Bücher aus Schulbibliotheken entfernt wurden. 41 Prozent der Autoren waren dunkelhäutig.

Die American Library Association veröffentlichte ebenfalls diese Woche ihren jährlichen Rapport; sie verzeichnet 1597 Versuche oder erfolgreiche Bannsprüche über Bücher. 2020 waren es lediglich 273. «Was hierzulande in Sachen Schulbuchverbot passiert, ist in seiner Häufigkeit, Intensität und seinem Erfolg beispiellos», sagt ein Sprecher des PEN Clubs. Die WP kommentiert: «Rechte Politiker, Experten und Eltern lehnen ab, wie Lehrer in Schulen über Rasse, Rassismus, Geschichte, Geschlecht und Sexualität diskutieren, und behaupten, dass einige Lehrpläne – die ein grösseres Spektrum an Identitäten einschliessen sollen – auf liberale Indoktrination und sogar sexuelle «Körperpflege» aus seien.»

«Sehr blaue Augen», das erstlingswerk der Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison, ist das am fünftmeisten aus Schulbibliotheken entfernte Buch. Es thematisiert den Versuch einer schwarzen Familie, das Wertesystem von Weissen zu übernehmen.

Zensur gibt es, seit es schriftliche Aufzeichnungen gibt. Vor allem absolutistische oder diktatorische Systeme sahen in Büchern schon immer potenzielle Gefahrenherde. Im 20. Jahrhundert perfektionierten die deutschen Nazis die Bücherverbrennung. Den symbolischen Akt der Vernichtung eines Teils der deutschen Kultur. Bei Gedichten, die dermassen populär waren, dass sie nicht einfach verboten werden konnten, hiess es dann «Autor unbekannt».

Freiheiten in den USA

Kein anderes Land auf der Welt geht eigentlich beim Schutz der freien Meinungsäusserung und der freien Information so weit wie die USA. Selbst rassistische oder Nazi-Ideologien können dort unter Berufung auf die Verfassung propagiert werden.

Der berühmte erste Zusatzartikel der US-Verfassung lautet:

«Der Kongress soll kein Gesetz erlassen, das eine Einrichtung einer Religion zum Gegenstand hat oder deren freie Ausübung beschränkt, oder eines, das Rede- und Pressefreiheit oder das Recht des Volkes, sich friedlich zu versammeln und an die Regierung eine Petition zur Abstellung von Missständen zu richten, einschränkt.»

Es gab in den USA immer wieder Versuche, meistens von religiösen oder konservativen Strömuungen, angeblich schädliche Einflüsse auch durch Bücher zu verhindern. In diesem Wahnsinn treffen sich neuerdings Eiferer von rechts mit denen von links, die ebenfalls alles, was nicht ihrem Begriff von politischer Korrektheit entspricht, entfernen wollen.

Darunter leiden nicht nur die Bibliotheken, sondern auch die Universitäten. Die Fälle häufen sich, in denen Professoren sanktioniert werden, die angeblich die Gefühle irgend einer Gruppe von Studenten verletzt haben sollen. Durch Bezeichnungen, Wertungen oder auch nur Diskussionsbeiträge.

Weil das nicht in einer staatlich gelenkten Öffentlichkeit wie in China oder Russland stattfindet, sondern in einem Land, das eigentlich solche Freiheiten noch höher gewichtet als Europa, ist tiefe Besorgnis angebracht.

 

Wie hältst du’s mit der Zensur?

Was geht – und was gar nicht geht.

In den Verfassungen gibt es weltweit zum Thema Zensur wohlklingende Worte. So das deutsche Grundgesetz, Artikel 5: «Eine Zensur findet nicht statt.» In den USA regelt das der Erste Zusatzartikel zur Verfassung: «Der Kongress soll kein Gesetz erlassen, das die Einführung einer Staatsreligion zum Gegenstand hat, die freie Religionsausübung verbietet, die Rede- oder Pressefreiheit oder das Recht des Volkes einschränkt, sich friedlich zu versammeln und die Regierung durch Petition um Abstellung von Missständen zu ersuchen.»

Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO legt fest: «Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäusserung; dieses Recht schliesst die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.»

Kurz und knackig die Formulierung in der Schweizer Bundesverfassung: «Zensur ist verboten.»

Heisst das nun, dass die Meinungsfreiheit grenzenlos ist? Nein, keine Freiheit darf grenzenlos sein, dann wird sie zur Willkür. Natürlich ist die Verbreitung von Kinderpornographie nicht durch die freie Meinungsäusserung gedeckt. Natürlich gibt es weitere Äusserungen, die strafbewehrt und daher verboten sind. Das ist kein Widerspruch zum Verbot der Zensur oder der möglichst umfangreichen Meinungsfreiheit.

Wie alle Freiheitsrechte ist in Schönwewtterperioden und bei Sonntagsreden das Bekenntnis zur Meinungsfreiheit und die Ablehnung von Zensur wohlfeil. Nun hat aber die EU beschlossen, die beiden russischen staatsnahen Sender «Russia Today» (RT) und «Sputnik» zu verbieten. Ein eklatanter Verfassungsbruch, nicht nur in Deutschland. Nicht begründbar.

Nun hat die Schweiz im Prinzip beschlossen, die EU-Sanktionen zu übernehmen. Gilt das auch für diese Zensurmassnahme? Erschreckend ist, dass darüber offenbar im Bundesrat Meinungsverschiedenheiten herrschen. So ist es erwiesen, dass die Bundesrätinnen Amherd und Sommaruga einem solchen Verbot zustimmen wollen oder zumindest wohlwollend gegenüberstehen. Hingegen spricht sich BR Parmelin strikt dagegen aus.

Glücklicherweise hat sich inzwischen die Vernunft durchgesetzt. Die Schweiz übernimmt auch das vierte Sanktionspaket der EU – mit Ausnahme dieser Zensurmassnahme.

Solange das noch nicht zensuriert wird: Das sind gleich zwei Skandale. Dass sich sogar Bundesräte um die Schweizer Verfassung foutieren, das ist ungeheuerlich und kann nicht oft genug angeprangert werden.

Ein gleichgrosser Skandal ist, dass diese Haltung von den Schweizer Medien kommentarlos berichtet wird. So als ginge es um eine Meinungsverschiedenheit über die Neuordnung des Aktenrundlaufs im Bundesarchiv. Dabei geschieht hier etwas, was nicht geht. Was in einem Rechtsstaat ein Unding ist.

Das macht die Schweiz natürlich nicht zu einem zweiten Russland oder China. Es ist ja im Rahmen der Meinungsfreiheit nicht verboten, über ein Verbot von Medienplattformen zu diskutieren. Aber Bundesräte sind dafür, die Medien schweigen? Das beelendet.

«Zensur ist verboten»

Steht so in der Bundesverfassung. Sieht BR Amherd anders.

Russland, der Zensurstaat, verbietet ausländische Berichterstattung und verbannt sogar die sozialen Medien aus seinem Internet. So grausam geht es in Putins Reich zu. Die armen Russen, einseitig informiert, verführt, kennen nicht die Segnungen des freien Westens. Wo sich jeder überall informieren darf.

Nun ja.

In der EU wurden die beiden russischen Medien «Russia Today» (RT) und «Sputnik» – verboten. Sie betrieben eine «systematische Manipulation von Informationen» und stellten sogar eine Bedrohung für die innere Sicherheit dar, behauptet die EU-Kommission. Davor muss sie nun die armen EU-Bürger schützen, diese Trottel, die sich sonst von der russischen Propaganda einlullen lassen würden.

In der Schweiz ist das etwas schwieriger, denn es gibt eben diese Bundesverfassung und darin diesen Artikel, der Zensur verbietet. Blöd aber auch. Dabei beteiligt sich die Schweiz doch sonst an allen EU-Sanktionen und friert Russengelder en masse ein. Auch hier ist die EU vorbildlich: RT-Chefredakteurin Margarita Simonjan beteilige sich nach Brüsseler Angaben an einem «Desinformationskrieg» und darf nicht mehr in die EU einreisen, zudem wurde ihr Vermögen in der Union eingefroren.

So macht man das in lupenreinen, freiheitlichen Demokratien. Da kann die Schweiz doch nicht abseits stehen, oder? Swisscom, Sunrise und Salt haben die beiden Sender bereits aus ihren Programmen genommen. Wieso, aufgrund welcher gesetzlicher Grundlage? Ach, nö, einfach so.

Wehrhafte Verteidigungsministerin

Aber man kann diese Propagandaschleudern dennoch weiter in der Schweiz empfangen. Diese Willi Wühlers, entsprungen aus den Fantasien des Zivilverteidigungsbüchleins aus dem Kalten Krieg.

Bundesrat Guy Parmelin lehne ein Verbot der Staatssender ab, berichtet Tamedia. Das sei unverhältnismässig und ein Eingriff in die Medienlandschaft und die Meinungsäusserungsfreiheit. Typisch SVP halt, diese Putin-Versteher.

Wehrhafter ist unsere Verteidigungsministerin Viola Amherd. Sie befürwortet ein Verbot: «Nach konsequenter Übernahme der EU-Sanktionen durch die Schweiz wäre das Abseitsstehen in dieser wichtigen Frage unverständlich», so das Verteidigungsdepartement auf Anfrage des «Tages-Anzeigers».

Noch wilder ist die Behauptung, das sei erlaubt, weil es bei den russischen Staatssendern nicht um Meinungsfreiheit und -Vielfalt gehe. Schliesslich seien diese Medien nicht unabhängig, sondern von Moskau gesteuerte und finanzierte Propagandainstrumente, fasst der Tagi die Argumente des VBS zusammen.

Also: Zensur ist verboten. Ausser, sie ist erlaubt. Weil die Schweiz sonst abseits stehen würde. Sender zuliesse, denen es nicht um Meinungsfreiheit gehe. So wie sie in allen anderen Schweizer Medien gepflegt wird.

Nicht schlecht. Eine Bundesrätin will gegen die Bundesverfassung verstossen. Eine Verteidigungsministerin will unser Grundgesetz angreifen und besiegen. Und die freiheitlichen Meinungsblätter finden nichts weiter dran auszusetzen. Wie erbärmlich, oder sagten wir das schon.

 

 

 

Wumms: Stäuble, Amstutz

Der Leser hat das Wort. Aber nicht jedes.

Das nennt man Leser-Blattbindung. «Redaktionskonferenz mit der Chefredaktion», kündigte der Tagi etwas vollmundig an.

Das nennt man auch Aufklärung, denn vielen Lesern dürfte es zuvor gar nicht bewusst gewesen sein, dass es neben einem Oberchefredaktor auch noch gleich zwei Co-Chefredaktoren gibt. Was die tun? Gute Frage, sie sind wohl für die «Qualitätskontrolle» zuständig, bzw. für deren Versagen.

Aber gut, Tamedia hat sich einen neuen Slogan gegeben, «Finden wirs raus». Was? Ach, irgendwas. Falls uns nix einfällt, «unsere Botschaft an Sie lautet: Wir sind offen für Ihre Hinweise, Ihre Anliegen und Ihre Kritik.»

Schein und Sein. Diese Offenheit hatte dann allerdings ihre engen Grenzen. So wurde ZACKBUM zugetragen, dass es durchaus kritische Hinweise und Fragen gab. Zum Beispiel, was denn nun mit dem Protestbrief der 78 erregten Tamedia-Frauen geschehen sei, ob die Vorwürfe abgeklärt wurden, und wenn ja, mit welchen Konsequenzen. Die Frage erschien nicht in dieser ach so offenen Konferenz.

Genauso ging es auch der Frage, was denn an den Vorwürfen der «Republik» dran sei, die den Rausschmiss eines Redaktors damit in Verbindung brachte, dass der bei Big Boss Pietro Supino höchstselbst in Ungnade gefallen sei und sich auch sein Vorgesetzter Stäuble wortreich für eine Recherche habe entschuldigen müssen.

Sind sicherlich keine angenehmeren Fragen, aber die Vorwürfe stehen ja öffentlich im Raum, und der Leser und Teilnehmer an der Konferenz wollte das verständlicherweise wissen.

Antwort von Radio Eriwan, Pardon, der Chefredaktion: Im Prinzip nein. Das finden wir jetzt nicht raus. Schnauze. Nächste Frage …

Wumms: ZACKBUM

Wer schreibt, befiehlt. Wer das Spielfeld zur Verfügung stellt, bestimmt die Spielregeln.

Es ist erlaubt, den Inhalt eines hier veröffentlichten Artikels zu kritisieren. Für falsch zu halten. Für kreuzfalsch. Für dumm, uninformiert, einseitig, oberflächlich, was auch immer.

Es ist erlaubt, auch Kommentare auf die gleiche Streckbank zu legen.

Es ist nicht erlaubt, statt Meinungen Haltungen zu kritisieren. Der Unterschied: Der sagt A, dabei ist B richtig. Erlaubt. Der sagt A, dahinter steht die Haltung B, und die ist falsch: verboten.

Noch verbotener, wenn sich das steigern liesse, sind Zweifel an der geistigen Verfassung des anderen. Wer meint: wer nicht meiner Meinung ist, spinnt, sollte selber Hilfe suchen.

Nur in Grenzen erlaubt ist der «Whataboutism». Damit ist gemeint, dass «die, aber die anderen auch», «Sauerei, aber die anderen machen auch Sauereien», «das ist eine Sauerei, aber was ist mit jener Sauerei» nicht sehr zielführend ist.

ZACKBUM ist der möglicherweise illusorischen Auffassung, dass es nicht nur dem Autor der Texte, sondern auch den Lesern um Erkenntnisgewinn geht. Um gegenseitiges Lernen. Um Horizonterweiterung. Vielleicht gar um die Haltung: diese Ansicht halte ich für absolut falsch. Aber vielleicht äussert sie der andere nicht aus Dummheit, Bösartigkeit, Unfähigkeit, Voreingenommenheit. Vielleicht könnten wir drüber diskutieren.

Dabei hilft der Ansatz null: jetzt stosse ich dir mal meine Meinung zurecht, erkläre dir, was für ein Trottel du bist und wie recht ich habe. Dann lernst du vielleicht was. Aber wohl eher nicht.

ZACKBUM ist nicht der Auffassung, dass völlige Freiheit der Debatte sinnvoll ist. Völlige Freiheit führt immer in die üblen Gefilde von Faustrecht, Rechthaberei, Rüpeleien, beleidigten Leberwürsten. Willkürlichem Gefuchtel, verzerrten Gesichtern, rhabarberndem Polemikgepolter.

Daher werden wir ab heute die Grenzen des Erlaubten enger ziehen. Vor allem bilaterale Keifereien haben nach Replik und Duplik ein Ende. Kommentiert werden hier in erster Linie die Artikel, nicht die Kommentare.

Zensur, furchtbar, Zeyer als kleiner Putin? Kann man alles schreiben, wird auch veröffentlicht.

Aber der Spielleiter bestimmt die Spielregeln. Wer schreibt, befiehlt. Wer zahlt, sowieso.

ZACKBUM sitzt am längeren Hebel, was die Publikation von Buchstaben auf zackbum.ch betrifft. Wem das nicht passt: alles ist freiwillig, nichts ist Verpflichtung.

ZACKBUM erwartet keine Verbeugungen, Elogen, Lobesarien, Schleimereien. Aber wir stellen sicher nicht die Plattform zur Verfügung, auf der sich verletzte Rechthaber austoben können, wo gerüpelt, gerempelt, gefuchtelt wird. Es muss schlichtweg, tödliches Kriterium, Niveau haben, Stil, mit Anstand unterfüttert sein.

Aber der Autor schmeisst doch auch nicht mit Watte? Richtig. Aber der darf das. Sein Spielzeug. Wie nannte John Le Carré, einer der Grössten überhaupt, mal einen Roman: «Our Game». Übrigens sehr, sehr aktuell. Darin ist kein Vergleich impliziert. Ausserdem macht ZACKBUM es nie als l’art pour l’art, sondern immer mit Argumenten, Beispielen, Zitaten unterlegt.

Am lustigsten sind die Kritiken, dass es auf ZACKBUM doch langweilig, repetitiv, einseitig, oberflächlich zugehe und die Lektüre überhaupt eine Zeitverschwendung sei. Das ist etwa so intelligent, wie wenn man vor dem TV sitzt, sich über das Programm aufregt und dabei vergisst, dass man die Fernbedienung in der Hand hat.

Alles klar, liebe Leser und Kommentatoren? Super.

Presseleichen

Die «Deutsche Welle» wird in Moskau rausgeworfen. Zensur, Skandal, typisch.

Die Deutsche Welle (DW) ist das Pendant zu Swissinfo. Sie wurde 1953 gegründet und ist Teil der ARD. Alleine in Deutschland arbeiten rund 3000 Medienschaffende für die DW. Sie unterhält Büros in vielen Staaten der Welt.

Dazu gehörte bis gestern auch Moskau. Das russische Aussenministerium gab bekannt, dass DW ihr Büro in Moskau schliessen muss, seine Mitarbeiter die Akkreditierung verlieren und die Übertragung in Russland auf allen Kanälen gestoppt wird.

Dagegen erhob sich allenthalben grosses Geschrei; Zensur, das sei «in keiner Weise hinnehmbar», keifte die Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Sie fügte hinzu, dass es sich im Fall von «Russia Today» (RT) um eine «völlig andere Situation» handle.

Am Mittwoch hat eine für Sendelizenzen zuständige deutsche Behörde herausgefunden, dass dem deutschen Programm von RT die «erforderliche medienrechtliche Zulassung» fehle. Und daher die Verbreitung des RT-Kanals im Geltungsbereich deutscher Gesetze vollständig verboten sei.

Glückliche Schweiz, hier kann man sowohl die DW wie auch RT weiterhin frei empfangen. Daher kann sich jeder ein Bild machen, welche Meinungen und Positionen über diese beiden Kanäle transportiert werden.

Gesetzliche Rahmenbedingungen

Natürlich sind sowohl die DW wie auch RT regierungsnah, um es sanft auszudrücken. Die deutschsprachige Ausgabe von RT sendet seit 2014 und verfügt über ein TV-Studio in Berlin. Bis Februar 2022 gab es dagegen keinerlei Zulassungsbedenken.

In Russland gibt es seit 2012 ein Gesetz, dass sich aus dem Ausland mitfinanzierte NGO speziell registrieren lassen müssen und diese Finanzquellen auch öffentlich machen. Das wird vielfach als Zensurmassnahme kritisiert.

RT existiert auch in den USA und sendet dort seit 2010 aus einem Studio nahe von Washington Programme in englischer Sprache. In den USA gibt es den «Foreign Agents Registration Act». Geboren in den Propagandakämpfen gegen das Dritte Reich und beibehalten im Kalten Krieg, existiert FARA bis heute und schreibt vor, «dass Personen, die in den USA politisch für ausländische Rechtspersonen tätig sind, diese Tätigkeit anmelden, dokumentieren und genehmigen lassen müssen».

2017 wurde RT (USA) dazu gezwungen, sich diesem Gesetz zu unterwerfen; seit 2018 kann RT nicht mehr im Kabelnetz empfangen werden.

Wer schon einmal versucht hat, ein Journalistenvisum für das Land of the Free zu bekommen, weiss, dass das keine kleine Unternehmung ist. Deshalb reisen bis heute die meisten Journalisten ohne ein. Das ist allerdings auch nicht risikolos.

Als es das noch gab, war es schöner Brauch, dass der Fotograf vor dem Reporter versuchte, die Immigration zu überwinden. Im blödesten Fall wurde er gefilzt und inquisitorisch gefragt, wieso er denn ein ganzes Arsenal an Fotoausrüstung mit sich führe. Standardantwort war, dass er ein begisterter Vogelfotograf sei. Brachte dann allerdings die Personenkontrolle einen Presseausweis oder einschlägige Dateien auf dem Computer zum Vorschein, konnte der Fotograf gleich wieder die Heimreise antreten.

Die Pressefreiheit liegt allenthalben auf dem Seziertisch

Das alles soll natürlich nicht ein billiges «die auch» sein. Der Streit um RT und DW beweist aber einmal mehr, dass es mit der ungehinderten Tätigkeit der Presse weltweit nicht zum Besten steht. Der alte Satz, dass im Krieg die Wahrheit zuerst stirbt, gilt inzwischen auch für oberflächlich friedliche Auseinandersetzungen.

In kriegerischen Konflikten ist es schon seit Jahren Brauch, dass sogenannte «embedded Journalists», also eingebettete Reporter, das zu sehen bekommen, was den jeweiligen Militärs passt.

Im grossartigen US-Film «Wag the Dog» gibt es die geniale Szene, wo sich die Berater eines US-Präsidenten darüber unterhalten, wie dessen absinkende Umfragewerte gedreht werden könnten. «Ich hab’s», sagt der eine, «wir sind im Krieg.» – «Ach ja» erwidert der andere, «das wüsste ich aber. Gegen wen denn?» – «Daran arbeite ich noch» sagt der erste.

Der deutsche Altkanzler meldet sich zu Wort

Hintergrund für diese Propaganda-Kriege mit gegenseitigen Zensurvorwürfen ist das besondere Verhältnis zwischen Deutschland und Russland. Insbesondere wegen der Erdgaspipeline «Nordstream 2». Die ist gegen den erbitterten Widerstand der USA fertiggestellt worden und eigentlich einsatzbereit.

Den deutsche Altkanzler Gerhard Schröder verbindet eine Männerfreundschaft mit dem russischen Präsidenten Putin, den er schon mal als «lupenreinen Demokraten» bezeichnete, was ihm seither als Zitat nachläuft. Zudem ist Schröder gegen gutes Geld im Aufsichtsrat von russischen Staatsfirmen vertreten. Währenddessen duckt sich der neue deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz weg, was den Ukraine-Konflikt betrifft.

In all diesem Schlamassel ist weder die Verweigerung der Ausstrahlung von RT in Deutschland, noch die Schliessung des DW-Büros in Moskau ein Beitrag zur Pressefreiheit. Wobei man der Gerechtigkeit halber sagen muss, dass Deutschland diesen Kriegsschauplatz eröffnete.

Face off, Part II

Porno nein, Gewalt na und: Facebook hat eigenartige Richtlinien für Inhalte.

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Hier geht’s zum ersten Teil.

Immer wieder geistern solche Meldungen durch die Medien: Ein Foto der rund 30’000 Jahre alten Steinstatue der «Venus von Willendorf» wurde als «pornografisch» erkannt und zensiert. Das passiert auch immer wieder bei Kunstwerken (und Fotografien), die nackte Busen zeigen.

Kann man so oder so sehen: die nackte «Venus».

Denn da sind die Amis, obwohl Hollywood inzwischen mehr Pornos als Kinofilme herstellt, sehr prüde. Niemals geht ein «fuck» über den Sender, niemals darf in anständigen Programmen Obszönes gezeigt werden. Schliesslich ist Hollywood der Erfinder des durch ein Nachttischlein getrennten Doppelehebetts, damit auch Schlafzimmerszenen unanstössig gedreht werden können.

Das ist die Abteilung lachhaft. Die Abteilung brandgefährlich hat zwei Aspekte. Zum einen, wie in den US-Wahlen erwiesen, kann die Meinungsmacht von Facebook missbraucht werden, indem mit Fluten von Fake-Accounts Propaganda betrieben wird. Wie der Skandal um Cambridge Analytica zeigt, verkauft Facebook zum anderen seine Datenberge relativ freizügig, weil das die Goldmine darstellt.

Staatsversagen macht die sozialen Plattformen erst richtig gefährlich

Richtig gefährlich wird es aber durch ein Staatsversagen. Weil sich die Regierungen der Welt nicht in der Lage sehen, ihre Landesregeln selbst durchzusetzen, was an öffentlicher Äusserung erlaubt ist und was nicht, haben sie diese Aufgabe einfach an Facebook delegiert.

Ein ungeheuerlicher und geschichtlich nie dagewesener Vorgang. Zensur wurde über viele Jahrhunderte in Europa von der Kirche ausgeübt und mit drakonischen Strafen gestützt. Dann übernahm das immer mehr der absolutistische Herrscher. Schliesslich zeichnen sich alle Unrechtsregimes und Diktaturen dadurch aus, dass sie die freie und öffentliche Debatte wie der Teufel das Weihwasser fürchten.

Aber auch ein Rechtsstaat wie Deutschland stellt nur die Regeln auf, um deren Durchsetzung sich der Betreiber solcher Plattformen bemühen muss. So entstand das nicht nur sprachliche Ungetüm «Netzwerkdurchsetzungsgesetz». Damit werden die Betreiber verpflichtet, innert 24 Stunden «anstössigen Inhalt» zu entfernen, sonst drohen Bussen. Zudem dürfen Opfer von Persönlichkeitsverletzungen Auskunft über identifizierende Daten von Verbreitern von Hassbotschaften einfordern.

Wer aber legt diese Richtlinien fest? Facebook selbst bietet umfangreiche Informationen dazu an. Dafür hat Facebook – schöner Name – ein «Transparency Center»  geschaffen. Man habe immerhin «15’000 Prüfer» weltweit angestellt, «sie werden umfassend geschult und sind häufig auf bestimmte Richtlinienbereiche und Regionen spezialisiert».

Die Dunkelkammer «Oversight Board»

Schon vertiefter suchen muss man, will man das «Oversight Board» finden, das genau diese Richtlinien bestimmt und als letzte Instanz überwacht

Seine Mitglieder sind sogar namentlich sichtbar. Das ist alles schön transparent und unterscheidet das Board von den Inquisitoren im Mittelalter. Nur: seine Entscheidungen sind endgültig, ihr Zustandekommen ist ein mit viel Blabla verhüllter Prozess in einer Dunkelkammer. Es ist keine Appellation vor einem ordentlichen Gericht möglich.

4 von 19 Board-Mitgliedern, die letzte Instanz.

Freie Meinungsäusserung darf niemals schrankenlos sein. Es gibt auch keine weltweit gültigen Regeln und Grenzen, wo sie aufhört. Was in fundamentalistischen Staaten eine todesbewehrte Beleidigung religiöser Gefühle ist, gilt in Europa als selbstverständlicher Ausdruck kritischer Polemik gegen die Kirche. Alles, was mit Moral, Anstand, Sex oder Gewalt zu tun hat, wird in verschiedenen Gegenden der Welt verschieden gesehen.

Also ist es immer ein Kampf um die Grenzziehung zwischen erlaubt und verboten. Aber in Rechtsstaaten findet die vor ordentlichen, staatlichen Gerichten statt. Mit zwei Parteien, die alles auffahren können, was ihnen einfällt – und ihre finanziellen Möglichkeiten erlauben. Mit einem unabhängigen Richtergremium, das eine Entscheidung fällt. Die wiederum meistens über mehrere Instanzen weitergezogen wird, bis das rechtsgültige Urteil die Debatte beendet.

Das ist eine unbestreitbarer und zentral wichtiger zivilisatorische Errungenschaft, die Faustrecht und Willkür und unbezweifelbare Zensur durch die Obrigkeit abgelöst hat.

Hatte.

Wer bestimmt die Spielregeln des wichtigsten Spiels?

Es geht nicht darum, ob Figuren wie Trump oder Bolsonaro, unabhängig von ihrem Amt, gefährlichen Schwachsinn verbreiten dürfen. Es geht auch nicht darum, ob absurde Verschwörungstheorien, Hass und Hetze als freie Meinungsäusserung durchgehen sollten.

Aber es geht darum, wer die Spielregeln im wichtigsten Spiel einer Gesellschaft, der öffentliche Diskurs, festlegt. Regeln müssen gesetzt und eingehalten, Verstösse sanktioniert werden.

Aber doch nicht von ohne jegliche gesellschaftliche Kontrolle willkürlich bestimmten «Oversight Boards», deren Mitglieder ja ehrenwerte Menschen sein mögen, denen aber jegliche Legitimität für ihr Tun fehlt. Sie haben sich das auch nicht angemasst, die Zensurschere wurde ihrer Firma von Regierungen überlassen, die sich vor ihrer Verantwortung drücken.

Darin, nicht in absurden Zensurmassnahmen auf den sozialen Plattformen, darin besteht der eigentliche Skandal.

«Zensur ist verboten», heisst es so knapp wie gut in unserer Bundesverfassung.

Natürlich bedeutet das nicht grenzenlose Freiheit. Aber es müsste eigentlich bedeuten, dass in der Schweiz keine Zensur von US-Konzernen ausgeübt werden dürfte, die über das Einhalten unserer Regeln, die vor unseren Gerichten überprüft werden, hinausgeht.

Dennoch findet das statt. Täglich, ständig, fragwürdig, jeder rechtstaatlichen Überprüfung entzogen. Ungeheuerlich.