Antäuschung einer Reportage

Das kann nur Tamedia. Die Bankrotterklärung.

Die Reportage ist eine Königsdisziplin des Journalismus. Gerne nehmen sich diejenigen, die noch etwas Bildung haben, Egon Erwin Kisch als Vorbild. «Schreib das auf», war sein Anfeuerungsruf. Und das tat er. Bis heute stilbildend reportierte er die Wirklichkeit – unabhängig davon, dass er Kommunist war.

Denn das ist die Aufgabe einer Reportage. Ausser, sie findet im luft- und gedankenleeren Raum von Tamedia statt. Da wird grossartig eine «Reportage aus der AfD-Hochburg» angekündigt. Da wird die dunkel-dräuende Frage in den Titel gewuchtet: «Warum glauben die Menschen hier nicht mehr an die Demokratie?» Hier hat sich «Reporter» Dominique Eigenmann todesmutig nach Erfurt begeben. Und fragt bang: «Was können andere Parteien noch tun, wenn die AfD das Regieren fast unmöglich macht

Das ist alles eine Bankrotterklärung des Journalismus. Ein Missbrauch des Begriffs «Reportage». Das ist so, wie wenn McDonald’s einen Big Mac als exklusive Gourmet-Spitzenleistung anpreisen würde. Nein, das stimmt nicht, der sättigt wenigstens.

Aber der Reihe nach. Die Menschen glaubten in Thüringen nicht mehr an die Demokratie? Weil sie demokratisch einen AfD-Kandidaten zum Landrat gewählt haben? Der nun regiert, womit die AfD keinesfalls das Regieren unmöglich macht?

Aber das sind nur die ersten Vorboten eines völlig verunglückten Artikels. Eine Reportage besteht normalerweise darin, dass sich der Reporter auf der Strasse umhört, also den Menschen von Thüringen eine Stimme gibt. Nur: kommt nicht vor, hat sich Eigenmann nicht getraut. Eine Reportage über eine Partei beinhaltet normalerweise, dass man Vertretern der Partei Gelegenheit zur Stellungnahme gibt. In der «Reportage» über die «AfD-Hochburg» kommen weder die AfD-Wähler noch die AfD selbst mit einem einzigen Wort vor.

Zu Wort kommen lediglich ein Mike Mohring, Funktionär und Politiker der CDU. Ein Martin Debes, «Journalist und Autor». Beide sind – Überraschung – der AfD nicht gerade freundlich gesinnt. Das wäre okay, wenn sie zwei Stimmen in einem Chor von Meinungen wären. Da laut Umfragen die AfD mit über 30 Prozent die wählerstärkste Partei in Thüringen ist, müsste es nicht so schwer sein, den einen oder anderen AfD-Anhänger zu einer Aussage zu bewegen, wieso er denn diese Partei bevorzugt.

Hätte Eigenmann mit mehr als drei Thüringern gesprochen, hätte er einen Treffer gelandet. Aber er hat’s nur auf genau drei sorgfältig Ausgewählte geschafft. Wieso er überhaupt nach Erfurt reiste, erschliesst sich aus der «Reportage» auch nicht. Wie sieht die Stadt aus, was gibt es dort für Probleme, was sind die Schönheiten, wie halten die Menschen ihren Dialekt aus – das wären alles fundamentale Ingredienzien einer Reportage.

Stattdessen zitiert Eigenmann noch die Mitarbeiterin Anne Küpers, die zu einem Team der Universität Jena gehört, das die Stimmung in Thüringen monitoriert. Die letzte Arbeit stammt übrigens von 2022, brandaktuell. Sie behandelt Themen wie «Verschwörungserzählungen» oder «Migranten:innenfeindlichkeit, Muslim:feindlichkeit, Antisemitismus, Antifeminismus». Womit die politische Schlagseite genügend beschrieben wäre.

Aber nach Erfurt reisen (wirklich in echt, nicht nur virtuell, weil mit drei Leuten reden kann man heutzutage auch problemlos fernmündlich?), angeblich eine Reportage über die AfD schreiben, weil die dort so viele wählen – und dann ausschliesslich mit drei politischen Gegnern der Partei sprechen, das ist keine Reportage. Das ist eine Schande für den Journalismus.

Das ist ein Missbrauch des Worts «Reportage», für die Eigenmann eigentlich belangt werden müsste. Eigenmann lässt drei Personen kritische Sachen über die AfD sagen. Das ist nicht mal der Schatten eines Schattens einer Reportage. Eine Reportage beinhaltet ein Stimmungsbild, versucht die Wirklichkeit vor Ort einzufangen, verdichtet Beobachtungen, Zitate, Vorkommnisse zu einem lebendigen Abbild.

Handelt die Reportage von einer politischen Partei, wäre es für den Leser noch sachdienlich, ihm darzustellen, mit welchen Positionen, Forderungen, mit welchem Programm denn diese Partei es schafft, zur wählerstärksten zu werden. Wegen «Verschwörungserzählungen» und «Antifeminismus»? Unfassbar. Als Höhepunkt einer «Analyse» der AfD-Wähler zitiert Eigenmann einen launigen Tweet von Debes: «20 Prozent Nazis, 30 Prozent Affine, 50 Prozent Leck-mich-mal.»

Das ist nicht mal Schmiere, es ist Abfall. Noch schlimmer dabei: jeder Anfänger im Journalismus bekommt irgendwann mal beigebracht, was eine Reportage ist. Wenn es bei Tamedia noch eine funktionierende Qualitätskontrolle gäbe, wäre dieses elende und ellenlange Stück niemals dem zahlenden und fluchenden Leser serviert worden.

Gäbe es noch den Schatten einer Qualitätskontrolle, hätte spätestens die Chefredaktorin gefragt: und wo ist hier eine Reportage? Wo sind O-Töne, Beschreibungen der Wirklichkeit, wo ist die AfD? Dafür müsste Raphaela Birrer wissen, was eine Reportage ist. Aber da sie schon Mühe mit einem Kommentar hat, was so ziemlich das Einfachste im Journalismus ist …

4 Kommentare
  1. Martin Hefti
    Martin Hefti sagte:

    Erschütternd. Ich war einmal kurz vor und ein paar mal kurz nach der Wende in Sachsen. Was die Union als Vertretung der „Demokratie“ dort durchführte, war ziemlich ernüchternd für viele Indigene. Das Wort „Demokratie“ wird nicht selten missbraucht, zum Beispiel als Bezeichnung für ein Macht- und Meinungskartell.
    Es ist ein griechisches Wort, und ein weiterer Unterschied zu heute in Mitteleuropa propagierten Interpretationen ist, dass die damaligen Griechen in ihrer Demokratie nicht im Traum daran dachten, dass jede und jeder stimmberechtigt wäre. Ein gewisser Beitrag ans Gemeinwesen und generell Wehrdienst waren Voraussetzung.

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  2. René Küng
    René Küng sagte:

    Bei all den Artikeln über ‹Journalismus› heutiger Prägung:
    irgend wann mal könnte doch der Verdacht aufkommen, ist es Absicht……?

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  3. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Bei den wenigen Auslandskorrespondenten des TA sollte man mindestens Kompetenz erwarten können, nichts dergleichen. Eigenmann macht das was Leid (Leit)medien immer machen. Sie schreiben über Leute reden aber nicht mit ihnen. Das ist pure Arroganz, Unvermögen, Journalismus auf tiefsten Niveau. Auch wenn es nicht passt, AfD-Leute kommen nur durch demokratische Wahlen in ihre Ämter, auch in Thüringen. Wenn Eigenmann damit ein Problem hat soll er sich bei der Prawda bewerben.
    Das Frau Birrer solch einseitige Artikel zulässt zeigt das sie für den Job nicht fähig ist! Ausland ganz der SZ überlassen, peinlicher kann es nicht werden!

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  4. H.R. Füglistaler
    H.R. Füglistaler sagte:

    Die AfD – nützliche Idioten Putins, von Moskau bezahlt!
    AfD bedeutet in Wahrheit «Adolf für Deutschland».
    Danke an die vielen Oberseldwyler in den Schweizer Grossverlagen
    für die Aufklärung.

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