Seibt lebt!

Und schreibt. Und schreibt und schreibt. Oh je.

Man wusste nicht, ob man erleichtert oder besorgt sein sollte. Denn im Krisen-Organ «Republik» hatte sich Viel- und Langschreiber Constantin Seibt rar gemacht. Im ganzen Jahr 2023 ein Artikelchen. Bis jetzt.

Kein Wunder, dass die Welt immer mehr aus dem Leim ging, sich sogar die Weltachse um ein paar Zentimeter verschob, die Polarkappen schmelzen, der Klimawandel Urständ feiert, es in der Schweiz, in Europa, überall, vor allem aber in Russland, zugeht wie im hölzernen Himmel.

Denn es geht doch bekanntlich «um alles», wie Seibt nicht müde wurde zu betonen, bevor er verstummte. Aber hurra, er ist wieder da:

Und er ist ganz der Alte. Knapp 32’000 Anschläge, eigentlich für seine Verhältnisse ein schmalbrüstiges Werk. Aber nicht nur das. Es ist ein wirres Werk. Ein bedenklich dunkles Werk. Man ist sich bei Seibt ja gewohnt, dass er sich sprachlich mit der rechten Hand hinter dem linken Ohr kratzt, manchmal auch ungeniert in der Nase bohrt und eigentlich immer die Welt an sich selbst und seinen Befindlichkeiten spiegelt. Statt sich immer neue Titel auszudenken, würde auch ein einziger ausreichen:

Wie Seibt die Welt sieht und wie sie sein sollte.

Hier probiert es Seibt anhand des Furzaufstands eines Söldnerführers in Russland, der die ganze Medienmeute ins Hecheln und Hyperventilieren brachte, mit einem Einblick in die «Küche» des Journalismus. Auch für ihn gälte, wie für die Herstellung von Gesetzen oder Würsten, «dass man besser nicht dabei ist, wenn er gemacht wird».

Ein wahrer Satz, wenn es Seibt nur damit hätte bewenden lassen oder sich an den alten Spruch erinnert hätte: «si tacuisses, philosophus mansisses». Auf Wunsch liefern wir die Übersetzung nach.

Diese Unappetitlichkeit treffe vor allem auf die Berichterstattung darüber zu, was laufe «mit Putin und Prigoschin». Alles Gerichte, Pardon, Gerüchte, alles Lügen, ein «Dickicht aus Behauptungen». Aber nun kommt Seibt, die Machete.

Trotz des langem Messers verliert er sich – und den Leser – schon am Eingang zu seinem ellenlangen Artikel:

«Was tun? Natürlich können Sie nichts tun. Wer schweigt, bleibt weise. Aber genauso im Dunkeln. Sie können also auch versuchen, sich mit Vorsicht und Machete durch das Gestrüpp zu schlagen. Die Wirklichkeit ist schliesslich kein Sessel, sondern ein Weg.
Nur: Bei diesem Weg müssen Sie, falls Sie am Ende einen lesbaren Artikel wollen, an mehreren Gabelungen abzweigen. Normaler­weise gehört zum Job im Journalismus, das still zu tun. Nach bestem Wissen und Gewissen, aber still.»

Das ist nun schon sehr labyrinthisch, aber leider ist kein Faden der Ariadne vorhanden. Im Gegenteil sozusagen: «Im Fall von Jewgeni Prigoschin, Spitzname «Putins Koch», werden Sie nicht als Leserin, sondern als Lehrling mit am Herd stehen. Und die Entscheidungen treffen müssen, die sonst in aller Stille Ihre Leute in der Küche für Sie treffen.»

Hä? Was nun folgt, ist ein eklektischer, aber übergenauer Versuch der Darstellung des Kurzzeit-«Aufstands». Unterteilt in «1. Der Aufstand, 2. Der Deal, 3. Die Woche danach, 4. Die Abrechnung, 5. Prognosen, 6. Maskirowka».

Was in den Kapiteln steht? Eine wirre Wiedergabe von Ereignissen. Die allerdings längst bekannt sind und die niemand, nicht einmal der harte Seibt-Fan, in dieser Detailtreue nochmals lesen will. Oder ist es so, dass Seibt nun in seine expressionistische Phase eingetreten ist, sich so als kleiner Döblin sieht? Aber der konnte (siehe «Berlin Alexanderplatz») montieren. Seibt kann’s nicht.

Es gibt aber immerhin ein, zwei Lacher, allerdings erst gegen Schluss:

«Zu jedem brauchbaren analytischen Artikel gehört zumindest ein vager Ausblick. Ein Hauch von Prophezeiung – nicht als Hauptgang, sondern als Gewürz. Also:»

Das mag sein, aber wo ist hier der brauchbare oder gar analytische Artikel? Nun kommt noch ein richtiger Brüller:

«Klar, nichts zu schreiben und ein paar Jahre zu warten, wäre vielleicht weiser. Aber im Journalismus wird man nicht für Weisheit bezahlt.
Die einzige Möglichkeit, die ich sehe, besteht darin, sich mit Vorsicht und Machete durch den Dschungel zu schlagen. Und zu hoffen, dass der Weg Richtung Wirklichkeit führt.
So weit zum aktuellen Stand des Irrtums. Danke für Ihre Mitarbeit daran. Ende Jahr werden wir – hier in der Republik – darauf zurück­kommen, wo Sie und wir richtig lagen – und wo nicht.»

Hat Seibt nun endlich fertig? Fast: «In einer früheren Version hatten wir die Geldmenge, mit der das russische Verteidigungs­ministerium die Söldnergruppe Wagner im Jahr 2022 unterstützt hat, falsch von Rubel in Franken umgerechnet. Die Zahl ist korrigiert, wir bedanken uns für den Hinweis aus der Verlegerschaft.»

Das ist wenigstens mal eine selbstkritische Analyse. Aber der Rest? Dieses ungeordnete Übereinandertapeln von Realitätsfetzen (oder deren Behauptung) soll die Hoffnung ausdrücken, den Weg «in Richtung Wahrheit» eingeschlagen zu haben?

Also wenn die «Wahrheit» so aussieht, wenn der Journalismus so auf den Hund kommt, dass er nur noch eine Kakophonie von Stimmen, Eindrücken, Behauptungen enthält, wenn Videos nicht beschrieben, sondern abgeschrieben werden, dann ist er am Ende.

Wenn eines der vielen Fazits lautet: «Was die Vermutung nahelegt, dass Präsident Putin wirklich kaum Ahnung hat, was in seinem Krieg tatsächlich passiert», dann liegt die Vermutung nahe, dass hier nur mit Wasser gekocht wird, in dieser Gerüchteküche.

Dann geht es wirklich um alles. Oder um nichts. Denn alles ist nichts, nichts ist alles. Oder so. Oder anders. Warten wir also auf Ende Jahr. Und hoffen, dass sich Seibt bis dahin wieder an sein Schweigegelübde hält. Oder dass bis dahin seine Plattform untergegangen ist.,

4 Kommentare
  1. Guido Kirschke
    Guido Kirschke sagte:

    «…Aber im Journalismus wird man nicht für Weisheit bezahlt…» autsch – oder eben o si tacuisses, philosophus mansisses.

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  2. René Küng
    René Küng sagte:

    Ende Jahr werden wir …. darauf zurück­kommen, wo Sie und wir richtig lagen…….

    Wenn das ein Kriterium für Selbstkontrolle wäre in den letzten Jahren,
    dann ist das Resultat selbstredend: Tiefes Schweigen (das verschämt lass ich weg, dazu bräuchte es eine Rest Selbstachtung).
    Nun, Tüpflischysser könnten es so nennen: wenigstens einmal ehrlich.
    Sie können auf so wenig zurückkommen, dass es nicht der Rede wert ist.
    Aufarbeitung zum Gesundheitsterror in den Republiken?
    Analyse wo sie mit Z richtig lagen, nach ihren Machetenausflügen 2022?

    Wann ist eigentlich Ende Jahr?
    Wenn Sie zu den Lügen für ein neues, bestes, gesündestes neues Jahr wechseln?
    Gilt nicht nur für das Hochflieger-Magazinle.

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  3. H.R. Füglistaler
    H.R. Füglistaler sagte:

    «Ein Hauch von Prophezeiung…»
    Der Seibt macht halt oft auf Nostradamus.
    Die «Republik» leider auch.

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  4. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Seibt lebt, Seibt hat geliefert. Die Kleindörfler-Community von Republik ist entzückt über das Meisterwerk. Ein Artikel in der R der zum mitmachen auffordert, «Antworten bleiben diesmal Ihnen überlassen». 69 Kommentare zum Artikel, 18 davon von Seibt himself. Allen ist gedient, den «RepublikanerInnen» die in die grosse Welt entführt werden (nach einer Woche Kleingartenartikel), Seibt der den Tiefschlaf überwunden hat und wieder einmal Aufmerksamkeit geniesst. Zustimmende Kommentare (kritische Kommentare sind in R selten wie ein Dopinkontrolleur an Gewichteheben Weltmeisterschaften) lesen kann und beamtworten. Die R Welt ist mit sich zufrieden!

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