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Klugscheisser Avenarius

Wenn das Selbstbewusstsein umgekehrt proportional zur Kompetenz ist …

Dank Tamedia versprüht der Korrespondent der «Süddeutschen Zeitung» Tomas Avenarius seine Erkenntnisse auch in der Schweiz. Dabei hofft er sicherlich auf die Vergesslichkeit der Leser. Damit mag er recht haben, aber ZACKBUM vergisst nicht.

Im Juni 2023 sah Avenarius das Ende Putins kommen. Denn ein gewisser Prigoschin selig habe da Übles vor: «Aufstand in Russland: Prigoschins Coup könnte zur Katastrophe werden», unkte der Seher. Nur ungenügend durch das übliche «sollte» abgeschwächt, fantasierte der Kenner und Könner von «einem Vorspiel zu einem waschechten Militärputsch». Das war dann nix. Aber gut, von Istanbul aus und eigentlich «zuständig für die Türkei und Iran» sieht das alles halt etwas anders aus. Aber nun lässt Avenarius seinen seherischen Muskel im Gazastreifen spielen.

Denn nach der versemmelten Prognose ist vor der nächsten prophetischen Analyse:

Hoffentlich hört das israelische Militärkabinett auf ihn, denn er kennt diese beiden Wege auswendig. Aber zuerst schaut er seherisch in die Vergangenheit und schreibt, was er zwar schon immer wusste, sonst aber niemand. Und er hat’s auch nicht vorher verraten: «Die militärischen Ziele Israels im Gazastreifen waren von Beginn an unrealistisch.» «Von Beginn an», das wusste er aber nicht von Beginn an, oder?

Es ist einfach blöd, dass heutzutage Kriege von Generälen und Ministern geführt werden und nicht von Fachkoryphäen und Journalisten wie Avenarius. Denn natürlich war auch «die hohe Zahl an zivilen Opfern angesichts der engen Bebauung des Palästinensergebiets absehbar». Es geht doch nichts über eine Absehbarkeit im Nachhinein. So von heute aus betrachtet, nachdem es gestern regnete: dass es geregnet hat, war absehbar.

Gut, aber welche beiden Wege verrät uns nun das Medium, der Prophet?

«Wer die Hamas zerschlagen will, muss entweder den Gazastreifen mit Bomben endgültig unbewohnbar machen oder eine politische Lösung des Palästinenserproblems finden

Wow. Das ist nun von erschütternder Banalität. Das müsste unbedingt per reitendem Boten an Netanyahu übermittelt werden, damit der endlich weiss, an welcher Weggabelung er steht.

Das ist so grandios wie die wichtigtuerisch vorgetragene Analyse: wenn es regnet, gibt es zwei Möglichkeiten. Man wird nass oder hat einen Regenschirm dabei.

Wer meinte, dass die Journaille bereits die höchste Stufe der Lächerlichkeit erreicht hat, sieht sich ein weiteres Mal getäuscht. Da wagt ZACKBUM eine absolut sichere Prognose: es wird nicht das letzte Mal sein, dass sich Avenarius oder ein anderer Journalist unsterblich blamiert.

 

Der Fall Prigoschin

Ein genauerer Blick auf seine Feinde und mögliche Mordmotive. Und nein, der Täter ist nicht der, den Sie vielleicht vermuten!

Von Felix Abt

Joe Biden reagierte auf die Nachricht von Prigoschins Tod mit der Aussage: «Es gibt nicht viel, was in Russland passiert, hinter dem Putin nicht steckt«, und insinuierte damit, dass der russische Präsident der Anstifter für die Ermordung des Chefs der russischen privaten Söldnerarmee PMC Wagner war. Ein amerikanischer Präsident kennt sich sicher aus in aussergerichtlichen Exekutionen, da dies zu seinem eigenen Aufgabenbereich gehört. Die letzte Tötung, von der wir wissen, dass dieser Oberbefehlshaber dafür verantwortlich ist, war die Ermordung einer unschuldigen zehnköpfigen Familie in Kabul durch einen US-Drohnenangriff.

Das Urteil vieler im Westen wurde sofort nach Bekanntwerden der Nachricht gefällt, reflexartig, ohne Klärungen und Untersuchungen abzuwarten und ohne über mögliche Täter und Motive nachzudenken.

Der Spiegel ist durchaus repräsentativ für die Leitmedien im deutschsprachigen Raum. Und wenn er nicht gerade Lügen à la Relotius verbreitet, dann zumindest dümmliche antichinesische oder antirussische Propaganda, einschliesslich einer Verschwörungstheorie, in der zwangsläufig der pöhze Putin die Hauptrolle spielt.

Warum sollte man sich also nur auf eine Partei, die Russen und Putin, konzentrieren, wenn Prigoschin viele Feinde hatte? Dass Prigoschins gescheiterte Meuterei zu einer tiefen Kluft mit Putin und dem russischen Staat führte, ist unbestritten.

Eine Chance für Prigoschins Feinde

Aber gerade diese Tatsache könnte viele seiner Feinde zu der Überzeugung gebracht haben, dass Prigoschin sehr verwundbar war, weil er nicht mehr unter dem Schutz des russischen Staates stand und die russischen Behörden möglicherweise keine Massnahmen ergriffen, um seinen Tod zu rächen. Wäre das nicht ein Anreiz, eine willkommene Gelegenheit, auf die seine Feinde schon lange gewartet hatten, um Prigoschin loszuwerden?

Die Affäre wird vielleicht nie ganz aufgeklärt werden, vor allem bei jemandem wie Prigoschin, der einen Grossteil seines Lebens im Verborgenen verbracht hat, und wir werden vielleicht nie ein vollständiges Bild von den Geschehnissen bekommen, und die Hintermänner sind vielleicht nicht zu fassen.

Dennoch sollten wir tun, was westliche Politiker und ihre Medienpartner nicht tun:

Ein Blick auf die möglichen Mörder und ihre Motive

Bevor wir mögliche Verdächtige überprüfen, sollten wir die Möglichkeit eines Unfalls in Betracht ziehen, der nicht völlig ausgeschlossen werden kann: Das Embraer-Flugzeug von Prigoschin war alt und wurde vom Embraer-Flugzeughersteller aufgrund westlicher Sanktionen schlecht gewartet und gepflegt. Prigoschin und seine Befehlshaber waren sicherlich leichtsinnig, als sie dieses Flugzeug gemeinsam flogen. RT berichtete, dass Prigoschins Pilot nach einer Impfung an einer Herzmuskelentzündung litt und erwähnte die Möglichkeit, dass ein Herzinfarkt den Absturz verursacht haben könnte. In Anbetracht der Tatsache, dass viele Menschen ihm den Tod wünschten, ist es wahrscheinlicher, dass sein Tod durch einen Mord als durch einen Unfall verursacht wurde.

Es gibt keine Hinweise darauf, dass der Absturz durch eine Luft-Luft- oder eine Boden-Luft-Rakete verursacht wurde. Die Explosion wurde wahrscheinlich durch eine Bombe an Bord verursacht.

Prigoschin hatte ein aussergewöhnliches Leben mit vielen Aktivitäten, die oft umstritten und gewalttätig waren und ihm viele Feinde einbrachten, die als Täter betrachtet werden könnten:

Es könnte das Ergebnis eines internen Machtkampfes innerhalb der PMC Wagner gewesen sein. Harte, rücksichtslose Männer, die aus allen möglichen Gründen extrem wütend auf Prigoschin waren und sich auch durch die Organisation der Meuterei angegriffen fühlten, könnten Rache genommen haben. Sie kannten seine Reisepläne und könnten sein Sicherheitspersonal infiltriert und eine Bombe platziert haben.

Freunde und Familien von gefallenen Wagner-Soldaten hätten sich für die Zehntausenden von Männern rächen können, die, wie Prigoschin zugab, in die Schlacht geworfen wurden und dort starben. Selbst das russische Verteidigungsministerium (und Putin) waren entsetzt über die Art und Weise, wie er es tat (weshalb die russische Regierung im Februar 2023 die Rekrutierungsverfahren änderte und Prigoschin nicht mehr erlaubte, Gefangene zu rekrutieren, und die Rekrutenausbildung verlängern musste). Viele dieser Personen haben einen kriminellen, gewalttätigen Hintergrund und sind möglicherweise wütend darüber, dass er den Tod ihrer Angehörigen und Freunde verursacht hat. Kriminelle Netzwerke könnten sich an Wagners gewandt haben, um eine Bombe im Flugzeug anbringen zu lassen.

Andere Menschen in Russland: Einige Oligarchen sympathisierten mit Prigoschin und seiner Meuterei. Nachdem die Meuterei gescheitert war, wollten sie ihn möglicherweise zu ihrer eigenen Sicherheit loswerden, um nicht entdeckt zu werden. Möglicherweise haben sie Wagners korrumpiert und ihn ermorden lassen.

Unmittelbar vor dem Absturz seines Flugzeugs in der Nähe von Moskau war Prigoschin in Afrika. Dort traf er mit Regierungsvertretern aus der Zentralafrikanischen Republik zusammen, denen er Sicherheitsunterstützung zusicherte.

Er traf auch sudanesische Milizenführer, die gegen die sudanesische Regierung kämpfen, und beriet sich mit Regierungsvertretern aus Mali. In seinem letzten Video, das er während seines Aufenthalts in Afrika aufnahm, erklärte er, dass er den Afrikanern helfen wolle, das Joch des Westens abzuschütteln.

Die stellvertretende US-Außenministerin Victoria Nuland warnte die afrikanischen Regierungen vor einer Zusammenarbeit mit Wagner. Die Vereinigten Staaten sprachen sich auch gegen die Anwesenheit Wagners in Belarus aus. Prigoschin wollte den Einfluss Russlands in Afrika ausweiten und überschritt damit eine von den Vereinigten Staaten gesetzte rote Linie. Die USA hatten also auch ein Motiv, ihn loszuwerden, und mit der grössten und ausgefeiltesten Geheimdienstorganisation der Welt wären sie auch in der Lage, eine solche Aktion zu organisieren, wie sie es in der Vergangenheit getan haben.

Frankreich sieht seinen Einfluss in Westafrika schwinden und ist umso besorgter über den Einfluss Wagners und hatte daher ein Motiv, Prigoschin ebenfalls zu töten, auch wenn es im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten möglicherweise nicht über die Möglichkeiten für eine solche Operation innerhalb Russlands verfügt.

Prigoschin mag in Afrika einige mächtige Freunde gehabt haben, aber er hatte auch einige ernsthafte Feinde, da er mit allen möglichen zwielichtigen Gestalten zu tun hatte, darunter auch mit Leuten aus dem Blutdiamantengeschäft, die ihn möglicherweise aus eigenen Gründen loswerden wollten.

Präsident Selensky bestritt, irgendetwas mit dem Tod Prigoschins zu tun zu haben. Aber sein Wort könnte genauso viel wert sein wie seine Behauptung, Russland habe Polen mit einer Rakete angegriffen, die polnische Bürger getötet hat, obwohl es sich um eine ukrainische Rakete handelte. Auf der ukrainischen «Myrotvorets«-Attentatsliste war Prigoschin ein prominentes Ziel. Andriy Yermak, Leiter des Büros von Präsident Selenky, und Mykhailo Podolyak, Berater von Selensky, haben in der Vergangenheit erklärt, dass sie Prigoschin in die Hölle schicken wollen. Die Ukraine hat auf eigene Faust eine Reihe von Russen auf russischem Boden ermordet. Diese Operationen waren ziemlich raffiniert. Sie hätten das Motiv und die Fähigkeit, Prigoschin innerhalb Russlands zu töten.

Allein der Zeitpunkt und die Umstände sprechen gegen ein Motiv des Juristen Putin

Jeder Medienkonsument weiß, dass Putin ein ehemaliger KGB-Offizier war. Weniger bekannt ist, dass er in St. Petersburg Jura studiert und einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften hat. Diejenigen, die ihn näher kennen, wissen, dass er vorsichtig ist, vielleicht ein Teil des Juristen Putin, und berechnend. Selbst wenn er Prigoschin loswerden wollte, würden der Zeitpunkt und die Umstände gegen ein solches Vorgehen sprechen. Immerhin hat Putin grosse Anstrengungen unternommen, um einen reibungslosen BRICS-Gipfel mitzuorganisieren und den BRICS-Ländern zu versichern, dass Russland stabil ist. Prigoschins Flugzeug samt Piloten und Besatzung mitten auf dem BRICS-Gipfel öffentlich in die Luft zu jagen, macht keinen Sinn. Wäre Prigoschin zu einem späteren Zeitpunkt ums Leben gekommen, beispielsweise bei einem Hinterhalt von Terroristen in Afrika, die vom russischen FSB finanziert wurden, hätte niemand eine russische Beteiligung vermutet, und die Peinlichkeit für den Kreml wäre vermieden worden. Aber wenn die russischen Behörden Prigoschin aus dem Weg räumen wollten, wäre es naheliegend gewesen, ihn der Korruption zu bezichtigen, da dies zweifellos ein wesentlicher Bestandteil seines Geschäftsmodells war.

Sicherlich hatte auch die militärische Führung ein Hühnchen mit Prigoschin zu rupfen, der sie oft öffentlich beleidigt hatte. Aber ohne die Zustimmung des Präsidenten hätten sie wohl kaum eine solche Operation organisiert. Ausserdem gehörten Wagners militärische Befehlshaber wie Utkin, der mit Prigoschin im Flugzeug saß, Berichten zufolge immer noch dem russischen Militärgeheimdienst GRU an. Und wenn es sich um einen Enthauptungsschlag gegen PMC Wagner handelte, wäre er wahrscheinlich von einer ausländischen Macht durchgeführt worden, die von der Anwesenheit ihrer militärischen Führer an Bord des Flugzeugs wusste und sie ins Visier nahm.

Professor Albert Stahel, Experte für Verschwörungstheorien — seine eigenen!

Ausserdem stellte Prigoschin keine Bedrohung für Putin dar. Nach einer schrecklich gescheiterten Meuterei würde er keine weitere wagen. Nach seinem Tod beschrieb Putin Prigoschin als einen Geschäftsmann, der für sich selbst und für das Gemeinwohl gute Ergebnisse erzielte, wenn Putin ihn darum bat. Putin spielte darauf an, dass Prigoschin zwar sehr egoistisch, aber nicht staatsgefährdend war. Da Prigoschin seine Abmachung mit Putin einhielt und fortan als Teamplayer agierte, bestand keine Notwendigkeit, ihn aus dem Weg zu räumen. Putin hatte also kein zwingendes Motiv.

Seibt lebt!

Und schreibt. Und schreibt und schreibt. Oh je.

Man wusste nicht, ob man erleichtert oder besorgt sein sollte. Denn im Krisen-Organ «Republik» hatte sich Viel- und Langschreiber Constantin Seibt rar gemacht. Im ganzen Jahr 2023 ein Artikelchen. Bis jetzt.

Kein Wunder, dass die Welt immer mehr aus dem Leim ging, sich sogar die Weltachse um ein paar Zentimeter verschob, die Polarkappen schmelzen, der Klimawandel Urständ feiert, es in der Schweiz, in Europa, überall, vor allem aber in Russland, zugeht wie im hölzernen Himmel.

Denn es geht doch bekanntlich «um alles», wie Seibt nicht müde wurde zu betonen, bevor er verstummte. Aber hurra, er ist wieder da:

Und er ist ganz der Alte. Knapp 32’000 Anschläge, eigentlich für seine Verhältnisse ein schmalbrüstiges Werk. Aber nicht nur das. Es ist ein wirres Werk. Ein bedenklich dunkles Werk. Man ist sich bei Seibt ja gewohnt, dass er sich sprachlich mit der rechten Hand hinter dem linken Ohr kratzt, manchmal auch ungeniert in der Nase bohrt und eigentlich immer die Welt an sich selbst und seinen Befindlichkeiten spiegelt. Statt sich immer neue Titel auszudenken, würde auch ein einziger ausreichen:

Wie Seibt die Welt sieht und wie sie sein sollte.

Hier probiert es Seibt anhand des Furzaufstands eines Söldnerführers in Russland, der die ganze Medienmeute ins Hecheln und Hyperventilieren brachte, mit einem Einblick in die «Küche» des Journalismus. Auch für ihn gälte, wie für die Herstellung von Gesetzen oder Würsten, «dass man besser nicht dabei ist, wenn er gemacht wird».

Ein wahrer Satz, wenn es Seibt nur damit hätte bewenden lassen oder sich an den alten Spruch erinnert hätte: «si tacuisses, philosophus mansisses». Auf Wunsch liefern wir die Übersetzung nach.

Diese Unappetitlichkeit treffe vor allem auf die Berichterstattung darüber zu, was laufe «mit Putin und Prigoschin». Alles Gerichte, Pardon, Gerüchte, alles Lügen, ein «Dickicht aus Behauptungen». Aber nun kommt Seibt, die Machete.

Trotz des langem Messers verliert er sich – und den Leser – schon am Eingang zu seinem ellenlangen Artikel:

«Was tun? Natürlich können Sie nichts tun. Wer schweigt, bleibt weise. Aber genauso im Dunkeln. Sie können also auch versuchen, sich mit Vorsicht und Machete durch das Gestrüpp zu schlagen. Die Wirklichkeit ist schliesslich kein Sessel, sondern ein Weg.
Nur: Bei diesem Weg müssen Sie, falls Sie am Ende einen lesbaren Artikel wollen, an mehreren Gabelungen abzweigen. Normaler­weise gehört zum Job im Journalismus, das still zu tun. Nach bestem Wissen und Gewissen, aber still.»

Das ist nun schon sehr labyrinthisch, aber leider ist kein Faden der Ariadne vorhanden. Im Gegenteil sozusagen: «Im Fall von Jewgeni Prigoschin, Spitzname «Putins Koch», werden Sie nicht als Leserin, sondern als Lehrling mit am Herd stehen. Und die Entscheidungen treffen müssen, die sonst in aller Stille Ihre Leute in der Küche für Sie treffen.»

Hä? Was nun folgt, ist ein eklektischer, aber übergenauer Versuch der Darstellung des Kurzzeit-«Aufstands». Unterteilt in «1. Der Aufstand, 2. Der Deal, 3. Die Woche danach, 4. Die Abrechnung, 5. Prognosen, 6. Maskirowka».

Was in den Kapiteln steht? Eine wirre Wiedergabe von Ereignissen. Die allerdings längst bekannt sind und die niemand, nicht einmal der harte Seibt-Fan, in dieser Detailtreue nochmals lesen will. Oder ist es so, dass Seibt nun in seine expressionistische Phase eingetreten ist, sich so als kleiner Döblin sieht? Aber der konnte (siehe «Berlin Alexanderplatz») montieren. Seibt kann’s nicht.

Es gibt aber immerhin ein, zwei Lacher, allerdings erst gegen Schluss:

«Zu jedem brauchbaren analytischen Artikel gehört zumindest ein vager Ausblick. Ein Hauch von Prophezeiung – nicht als Hauptgang, sondern als Gewürz. Also:»

Das mag sein, aber wo ist hier der brauchbare oder gar analytische Artikel? Nun kommt noch ein richtiger Brüller:

«Klar, nichts zu schreiben und ein paar Jahre zu warten, wäre vielleicht weiser. Aber im Journalismus wird man nicht für Weisheit bezahlt.
Die einzige Möglichkeit, die ich sehe, besteht darin, sich mit Vorsicht und Machete durch den Dschungel zu schlagen. Und zu hoffen, dass der Weg Richtung Wirklichkeit führt.
So weit zum aktuellen Stand des Irrtums. Danke für Ihre Mitarbeit daran. Ende Jahr werden wir – hier in der Republik – darauf zurück­kommen, wo Sie und wir richtig lagen – und wo nicht.»

Hat Seibt nun endlich fertig? Fast: «In einer früheren Version hatten wir die Geldmenge, mit der das russische Verteidigungs­ministerium die Söldnergruppe Wagner im Jahr 2022 unterstützt hat, falsch von Rubel in Franken umgerechnet. Die Zahl ist korrigiert, wir bedanken uns für den Hinweis aus der Verlegerschaft.»

Das ist wenigstens mal eine selbstkritische Analyse. Aber der Rest? Dieses ungeordnete Übereinandertapeln von Realitätsfetzen (oder deren Behauptung) soll die Hoffnung ausdrücken, den Weg «in Richtung Wahrheit» eingeschlagen zu haben?

Also wenn die «Wahrheit» so aussieht, wenn der Journalismus so auf den Hund kommt, dass er nur noch eine Kakophonie von Stimmen, Eindrücken, Behauptungen enthält, wenn Videos nicht beschrieben, sondern abgeschrieben werden, dann ist er am Ende.

Wenn eines der vielen Fazits lautet: «Was die Vermutung nahelegt, dass Präsident Putin wirklich kaum Ahnung hat, was in seinem Krieg tatsächlich passiert», dann liegt die Vermutung nahe, dass hier nur mit Wasser gekocht wird, in dieser Gerüchteküche.

Dann geht es wirklich um alles. Oder um nichts. Denn alles ist nichts, nichts ist alles. Oder so. Oder anders. Warten wir also auf Ende Jahr. Und hoffen, dass sich Seibt bis dahin wieder an sein Schweigegelübde hält. Oder dass bis dahin seine Plattform untergegangen ist.,

Jekami mit Journis

Keiner zu klein, Meinungsträger zu sein.

Die Temperaturen steigen – und fallen wieder. So ist es ein ewiges Auf und Ab. Der Leser kann allerdings nur auf einer Metaebene Vergnügen und Unterhaltung aus den meisten Publikationen saugen.

Zu Prigoschin und Putin haben nun so ziemlich alle Meinungsträger, Experten und Spezialisten ihren Senf gegeben. Vielleicht fehlt noch die Meinung des Kopierers, des Staubsaugers und der Kaffeemaschine auf der Redaktion. Wir warten auf Exklusiv-Interviews.

Wunderbar ist auch, wenn sich im gleichen Organ sogenannte «Experten» diametral widersprechen. Bei CH Media schwafelte der eine von einem Militärputsch, der andere behauptet: «Prigoschins Coup war eine gut inszenierte PR-Operation, die in die Geschichte eingehen wird.»

Such’s dir aus, lieber Leser, kann man so oder so sehen.

In erhöhte Wallungen, geradezu in Vibrationsstatus hat die Medien ein klitzekleines Ereignis in einer klitzekleinen Kommune versetzt: «Erstmals in Deutschland hat die rechtsradikale Partei ein kommunales Spitzenamt erobert». Es gibt neu einen Landrat, der der AfD angehört. Die ist, trotz angebräunten Radikalinskis und Provokateuren wie Björn Höcke, eine demokratische Partei, und dieses Amt wurde in einer demokratischen Wahl erobert. So what? Aber der Tagi vibriert: «Die AfD setzt die Demokratie unter Spannung».

Anlass für homerisches Gelächter ist auch die Meldung: «Sek-Schülerinnen sprechen über die Menstruation». Denn: «Die kostenlosen Binden und Tampons, die neu in städtischen Schulhäusern aufliegen, seien aber erst ein Anfang.» Der Anfang vom Ende? Kurt Tucholsky (Kindersoldaten: googeln) sagte ganz richtig: «Die Frauen haben es ja von Zeit zu Zeit auch nicht leicht. Wir Männer aber müssen uns rasieren.» ZACKBUM regt an, ebenfalls kostenlos Rasierapparate und After Shave aufzulegen; verdammte Ungerechtigkeit.

Wie allerdings vermeldet werden kann, dass Tamara Funiciello nicht nur ein reines Frauenticket für die Nachfolge des Frauenverstehers Alain Berset anregt, sondern überraschenderweise auch sich selbst durchaus darauf vorstellen könnte, ohne dass dem Journalisten die Lachtränen in die Tasten getropft sind?

Wer herausfinden will, wie tief das «Magazin» gesunken ist, sollte sich hier davon überzeugen:

Das nennt man eine journalistische Implosion. Nicht in einer Millisekunde, aber in einem ganzen Heft. Da darf Christian Seiler doch tatsächlich grenzdebile Leserfragen beantworten. Kostprobe:

«Ich bin vor einem Jahr Mami geworden. Nun kommt es öfters vor, dass der Kleine genau dann Hunger hat, wenn ich zu kochen beginne. Das heisst, ich habe ihn dann auf dem Arm. Und da wird es dann schwierig mit Schnippeln Hast du ein paar gute (vegane) Rezepte, die man auch mit einer Hand in Windeseile zubereitet kann

Vielleicht sollte Seiler dem Mami erklären, dass vegane Ernährung zu Mangelerscheinungen führt (Vitamin B12, Vitamin D, Zink, Jod, Eisen), die dem Gedeihen eines Babys nicht förderlich sind, auch wenn man es auf den Arm nimmt. Stattdessen rät er zu einem schnippelfreien Gericht: «Mit dem Löffel essen und den Kleinen immer wieder kosten lassen.» Der arme Kleine.

Okay, jetzt muss aber ZACKBUM die Tastatur trocknen, haben wir gelacht.

 

Wehe der Realität,

wenn sie der Journaille widerspricht.

Ein Putsch, der Marsch auf Moskau, der Zusammenbruch, das Ende. So galoppierten die Schweizer Journalisten los, reitend auf «Koryphäen», «Spezialisten», «Russland-Kennern» oder einfach jedem, der gerade noch kurz Zeit für ein Telefoninterview fand. Und wusste, dass er ein paar martialische Sachen sagen muss, damit es auch ein schönes Titelquote gibt.

Nachdem das alles publiziert und sogar gedruckt war, sagten aber Prigoschin und Putin «April, April». Statt Haue gibt es Eierkuchen. Marsch ist abgeblasen, die Wagner-Truppe ist aus Rostow abgezogen, es fehlte nur, dass sie noch die Strassen sauber gekehrt hätten und für das getankte Benzin bezahlt.

Der weissrussische Diktator Lukashenko soll der Truppe Exil und Asyl bieten, Prigoschin sagte zum Abschied leise «do svidaniya», und Putin sagte «alles vergeben, alles vergessen, Schwamm drüber». Das ist natürlich blöd, wenn die Journaille so richtig einen Lauf hat und bereits fantasierte, dass Prigoschin am Samstagabend in Moskau einmarschieren könnte.

Abbremsen, absteigen, absatteln, abrüsten? Aber nein, so geht das natürlich auch nicht. Daher:

Komisch, eigentlich war er doch schon am Ende, so wie die «Putin-Versteher», und jetzt wankt er bloss? Auch der Tagi, also Tamedia, vielleicht sogar der «Tage-Anzeiger», ist nachtragend, dass die Wirklichkeit nicht so will, wie sie sollte:

Stefan Kornelius, der Brachial-Rhetoriker von der «Süddeutschen Zeitung», hat mal wieder einen Gastauftritt beim Tagi, also bei Tamedia, na, lassen wir das. Dabei ist ihm sein dummes Geschwätz von gestern ziemlich egal: «Ein Regime mit totalitären Zügen ist hingegen in Moskau an der Macht. Bedauerlicherweise ist seine Beseitigung nicht absehbar.»

Sein Frust, dass sich die Dinge nicht so entwickelten, wie er hoffte, tropft aus jeder Zeile: «Eine Mörderbrigade hat den russischen Diktator gedemütigt und den jämmerlichen Zustand des Militärs entlarvt.»

Vielmehr haben Prigoschin und Putin gezeigt, wie man sich elegant aus einer Konfrontation windet, die für beide nicht ohne Beschädigungen hätte abgehen können. Wobei die Annahme absurd wäre, dass es der Wagner-Truppe hätte gelingen können, Moskau zu erobern oder Putin zu stürzen. Aber wenn der Wunsch Vater des Gedankens ist …

Bei «20 Minuten» erlebt der «Russland-Experte Alexander Dubowy» («Es handelt sich tatsächlich um einen Militärputsch») seine Auferstehung, nachdem er bei den Kollegen von CH Media krachend daneben lag. Je nun, es muss halt ein Experte her. Also tönt «20 Minuten»: «Alexander Dubowy ordnet ein», dabei hat der offensichtlich keine Ahnung.

Das übertüncht er mit markigen Sprüchen: «Die Stimmung ist am Kochen. Putins Legitimität bröckelt … Der Versuch, Strassen und Brücken nach Moskau zu zerstören oder mit Lastwagen zu blockieren, war verzweifelt … Es ist gut möglich, dass wir am Samstag den Anfang des Endes von Putins Russland erlebt haben.» Und so weiter.

Es ist nicht gut möglich, sondern schriftlich belegt, dass sich Dubowny auf dem ungeordneten Rückzug von seinen früheren Behauptungen befindet. Aber er gibt nochmal richtig Gas: «Ich denke, dass es Russland in der Form und Grösse, wie wir es heute kennen, bis 2030 nicht mehr geben wird.» Da kann er sich in der sicheren Hoffnung wiegen, dass sich in sieben Jahren keiner mehr an sein Geschwätz erinnern wird.

Einigermassen nüchtern bleibt dagegen «blue news»:

Ziemlich breitbeinig kommt dagegen CH Media daher:

«Alles zum Aufstand der Wagner-Söldner»? Aber immerhin, hier versucht sich Kurt Pelda an einer «Analyse», und der hat immerhin eine Ahnung, wie es vor Ort in der Ukraine zugeht. Ob er tatsächlich zu einer Analyse der russischen Situation fähig ist, sei dahingestellt. Auf jeden Fall steuert er eine hübsche Anekdote bei. Was wohl die russischen Soldaten in der Ukraine von einem Oberbefehlshaber hielten, wenn ihnen bewusst würde, «dass sie von einem schwächelnden Mann kommandiert werden, der heute so ängstlich ist, dass eine Gruppe russischer Kriegsjournalisten, die er kürzlich zu sich zum Gespräch einlud, zuerst eine tagelange Isolation über sich ergehen lassen mussten

Sehr cool nimmt es hingegen weiterhin die NZZ und behält das Wesentliche im Auge: «Das Ende des Prigoschin-Aufstands wirkt sich positiv auf Asiens Börsen aus». Allerdings geht’s dann im Orchester doch auch mit schrillen Tönen weiter: «Aufstieg und Fall eines Kriegstreibers», «Die Angst vor dem Chaos», «Prigoschin fehlt bei der Rebellion der Rückhalt», aber doch auch «Ruhe in Russland nach Aufstand».

Der Ausland-Chef Peter Rásonyi versteigt sich allerdings wieder zu einem «Kommentar». Dessen Berichterstattung über den Ukrainekrieg hat sich der «Schweizer Monat» im Februar dieses Jahres zur Brust genommen. Grandioses Resultat: In der NZZ hat die Ukraine schon unzählige Male gesiegt, immer wieder und immer öfter.

Hat Rásonyi daraus etwas gelernt? Zumindest fängt er seinen Kommentar verhalten an, mit einem Stossseufzer: «Jene Tage, an denen Putins Präsidentschaft und sein fürchterlicher Krieg Geschichte sein werden, können keinen Moment zu früh kommen.» Aber wann kommen sie denn? «Es ist allerdings noch nicht so weit. Die Lage in Russland ist weiterhin unübersichtlich.»

Sichtbar in der Unübersichtlichkeit ist aber: «Putin hat das Schlimmste noch einmal abgewendet. Gleichwohl steht er nach den dramatischen Ereignissen vom Wochenende als der grosse Verlierer da.» Warum denn? «Wer am Morgen noch harte Bestrafung für einen Verräter ankündigt und am Abend dieselbe Strafe zurücknimmt und den Täter laufenlässt, wirkt verzweifelt, ängstlich und schwach.»

Was den Ausland-Chef zur Schlussfolgerung bringt: «Schwache Diktatoren leben gefährlich.» Starke übrigens auch.

Kommentatoren hingegen nicht. Sie können ungehemmt Unsinn verzapfen. Stellt sich das als Quatsch heraus, verzapfen sie halt anderen Unsinn. Sollte das wiederum, siehe oben. Aber mit Glaubwürdigkeit, Vermittlung, Kompetenz, Einordnung, Erklärung oder Hilfestellung hat das wenig zu tun. Mit einer Dienstleistung, die geldwert sein soll, noch weniger. Denn für Meinungen am Stammtisch, ohne vertiefte Kenntnis oder Analysefähigkeit, zahlt man schliesslich auch nichts. Kann aber immerhin noch ein Bier dabei bestellen. Oder jederzeit aufstehen und gehen. Was auch immer mehr Abonnenten tun.

 

 

NZZaS ohne Projer

Schauen wir mal, wie’s ohne ihn geht.

Es geht natürlich immer, das ist die einzige Regel im Journalismus ohne Ausnahme. Allerdings hatte die «NZZamSonntag» die spezielle Ausgangslage, dass es in Russland krachte – und dann ein operettenhaftes Ende nahm. Logisch ist das der Aufmacher:

Gleich fünf Schreibkräfte wirft die NZZaS in die Schlacht, um immer noch die Nachwirkungen des angekündigten Rücktritts Bersets zu ventilieren. Man möchte ihnen zurufen: lasst doch noch ein paar Buchstaben übrig, wenn es dann ernst wird. Berset ist bekanntlich noch ein Weilchen im Amt.

«Bürokratie in der Schweiz» das ist immer ein Selbstläufer, allerdings sollte man ihn sich vielleicht fürs richtige Sommerloch aufsparen. Und dann gibt es noch einen befremdlichen Text von Nicole Althaus. «War «Adults only» bis vor kurzem ein Hinweis auf Filme pornografischen Inhalts zum Schutz der Kinder, so hat sich er Begriff zum verkaufsfördernden Gütesiegel gemausert, das Erwachsene vor Kindern schützt.»

Sie meint damit, dass es schon seit Jahren «Adults only»-Hotels gibt, in denen Erwachsene ungestört von Kindergeschrei Ferien machen können. Das wäre nun noch nicht genug für 8500 Anchläge, also macht sich die Autorin noch tiefschürfende Gedanken, was das denn über unsere Gesellschaft sage. Richtig geraten, nichts Gutes: «Eine der wichtigsten Errungenschaften moderner Gesellschaften ist der intergenerationelle Pakt, der besagt, dass wir uns um das Wohlbefinden der Generation sorgen, die nach uns kommt, und für das der Generation, die für uns dasselbe getan hat.»

Der wird natürlich mit Hotels nur für Erwachsene fundamental in Frage gestellt. Neckisch ist noch die Anmerkung zur Autorin: Sie wohne «neben einem Schulhaus und wird jeden Morgen vom Kinderlärm geweckt. Er ist Beweis eines lebendigen Quartiers.» Muss eines der wenigen Schulhäuser sein, wo auch samstags und sonntags unterrichtet wird.

Aber zurück zu zurechnungsfähigen Werken. Was macht die NZZaS ohne Projer, aber mit Anspruch, denn mit der merkwürdigen Situation in Russland? Schon wieder richtig geraten, sie interviewt den «Politologen Fabian Burkhardt». Der publiziert von Regensburg aus zu Osteuropa, der Ukraine und Russland. Und hatte wohl zufällig am Samstag noch einen Termin frei.

Immerhin hält er sich eher bedeckt: «… grösste Herausforderung für Putin … grösseres Blutvergiessen abgewendet … massiven Autoritätsverlust von Putin … das Risiko ist extrem hoch … gewinnen könnte nun die Ukraine.» So viel zum Thema: morgen scheint die Sonne. Ausser, es ist bewölkt.

Stefan Scholl in Moskau versucht sich dann in einem Porträt Prigoschins. Erfährt man darin etwas über die Motive, das Innenleben, die Denke, die Ziele? Kurz gesagt: nein. Dann darf noch Markus Bernath aus Wien die «Chronik eines aussergewöhnlichen Tages» schreiben. Abgesehen davon, dass sich Bernath schon mehrfach mit martialischen Behauptungen disqualifiziert hat («Die Europäer müssen den Krieg wieder lernen. Freiheit und Sicherheit müssen gegen den Mann im Kreml verteidigt werden – notfalls mit Waffen»): Chronik heisst immer, dass die Zeitung noch Platz hat, aber nicht weiss, wie füllen.

Das gilt wohl auch für die nächste Seite über die Implosion des U-Boots, das unterwegs zur Titanic war. Eine Seite, Newswert: null.

Auf Seite 11 ist dann doch der Wunsch die Mutter der Geschichte. «Jetzt ist Keller-Sutter die unbestrittene Chefin». Davon träumt vielleicht die FDP. Aber eine Bundesrätin, die sich einer PUK stellen muss, die bei dem Verscherbeln der CS zum Schnäppchenpreis eine denkbar schlechte Figur gemacht hat, die mit einem fatalen Satz «this is not a bail-out» möglicherweise dem Steuerzahler ein Milliardenproblem aufgehalst hat – an ihr führe «künftig kein Weg vorbei»? Na, schaun mer mal, wohin ihr Weg führt …

Rebekka Lindauer «vertritt Patti Basler während deren Sabbatical». ZACKBUM hätte nie gedacht, dass wir uns nach Basler zurücksehnen könnten.

Auf der «Meinungsseite» schafft es dann die NZZaS, mit gleich drei Kurzkommentaren unterzugehen. «Der Aufstand zeigt die Verrottung von Putins Regime», behauptet Bernath belegfrei. «Hört auf, über den Zinsanstieg zu jammern», haut Albert Steck der Mehrheit der Leserschaft eins in die Fresse. Und schliesslich behauptet Remo Geisser «Frauen können es besser». Beweis? Eine Frau habe in den USA ein Velorennen gewonnen. Medioker, das alles, sehr medioker.

Fast makaber ist, dass im Wirtschafts-Teil noch eine Reportage von Charlotte Jacquemart erscheint, die noch knapp vor Projer die NZZaS wieder verliess. Dass in South Dakota Trusts ziemlich unbelästigt von Kontrolle, Gesetzgebung oder Steuern wirken können, ist allerdings auch nicht gerade taufrisch.

Tja, und dann hätten wir noch «Die Summe aller Frauen». Vielleicht sollte man es Projer übelnehmen, dass er das nicht verhindert hat. Ansonsten: keine Highlights, einige Hänger, eine sehr, sehr mittelmässige Ausgabe der NZZaS, um es höflich zu formulieren. Offenbar war die Redaktion doch in erster Linie mit sich selbst beschäftigt in dieser Woche. Aber da wird Eric Gujer sicherlich mit strenger Hand durchgreifen.

 

Ist Putin am Ende?

Wie man sich in einem Tag lächerlich machen kann.

Manchmal überstürzen sich die Ereignisse, aber publiziert ist publiziert. Und solche Dümmlichkeiten bleiben dann für alle Zeiten elektronisch gespeichert.Der einzige Vorteil der Hersteller: übermorgen interessiert das schon keinen mehr. Die einzige Frage: wieso fahren die fort, zu publizieren? Denn spätestens in einer Woche ist auch das vorbei, was sie übermorgen schreiben.

Diese Variante der drôle de guerre in Russland erwischte viele Russlandkenner, Experten und Militärstrategen völlig auf dem falschen Fuss. So fragte Albert Stahel auf «Inside Paradeplatz» bang: «Stürzt Putin? Was dann?» Nur einen Tag später kann man ihn beruhigen. Putin stürzt nicht. Jedenfalls nicht so schnell.

Ganz speziell lächerlich macht sich ein Editorial-Schreiber einer niedergehenden Sonntagszeitung. Er ruft «Das Ende der Putin-Versteher» aus. Dabei ist er der Einzige, der mal wieder nichts versteht. Aber wir wollen ja seine Ergüsse weiträumig umfahren.

Das gilt auch für den «Chef Recherche» des «Blick». Erstens ist er Chef ohne Indianer, zweitens kann er nicht recherchieren und findet nicht mal das Büro eines Internetradios. Stattdessen sorgt er dafür, dass sich ein weiterer «Russland-Kenner» lächerlich macht. Der «renommierte Russlandkenner» Ulrich Schmid orakelte am Samstag: «Die Stellung Putins ist sicher gefährdet. Sein Auftritt am Samstagmorgen zeigt, dass er nicht mehr Herr der Lage istEberhard sekundiert: «Wird es dereinst zur Schlacht um die Hauptstadt kommen? – Das halte ich für unwahrscheinlich. Doch allein die Tatsache, dass man sich in Moskau auf dieses Szenario vorbereitet, zeigt, wie verzweifelt die Lage im Kreml sein muss. Das Eingeständnis einer tiefgreifenden Schwäche. Damit ist auch Putins eigene Position grundlegend ins Wanken geraten.»

Wir wischen uns die Lachtränen aus den Augen und gehen zum Kompetenzzentrum «Tages-Anzeiger», Pardon, Tamedia, na ja, was auch immer, weiter. Die leiht sich natürlich ihr Meinung von der «Süddeutschen Zeitung», Auslandchef Münger ist wohl wie meist in den Ferien. Also kommentiert Tomas Avenarius: «Aufstand in Russland: Prigoschins Coup könnte zur Katastrophe werden

Zur Katastrophe wird allerdings nur die prognostische Fähigkeit von Avenarius: «Sollte Prigoschin Hintermänner in der Armeeführung haben, wäre sein vermeintlicher Alleingang keine Meuterei eines einzelnen Kommandeurs gewesen, sondern das Vorspiel zu einem waschechten Militärputsch.»

Auf der sicheren Seite ist der SZ-Autor allerdings, wenn er einen tiefen Blick in der Zeit zurück auf den russischen Bürgerkrieg nach der Machtergreifung der Bolschewiken unter Lenin wirft. Nur: das ist eigentlich alles seit 1922 bekannt. Aber schön, dass man es nochmal lesen darf.

Ganz, ganz weit aus dem Fenster lehnte sich auch Zita Affentranger: «Die Wagner-Söldner könnten am Abend Moskau erreichen. Für den russischen Präsidenten naht jetzt die Stunde der Wahrheit: Er muss die Aufständischen stoppen.»

Damit ist aber schon die Work Force von Tamedia (oder wie immer das heisst) erschöpft. Daher kommt auch noch SZ-Autorin Sonja Zekri zu Wort. Sie betrachtet die Lage aus der Sicht der Ukraine und behauptet: «Viele Ukrainer setzen seit Langem auf einen Zerfall Russlands. Eine fragmentierte, vielleicht in Bruder- oder Diadochenkämpfe verstrickte Nach-Putin-Landschaft werde keine Kapazitäten mehr für Überfälle auf Nachbarstaaten haben. Einige gehen noch weiter: Der russische Bezirk Krasnodar, so rechnen sie vor, gehöre eigentlich zur Ukraine. Die Zeit werde kommen, ihn zurückzuholen.»

Welche Bewohner eines Wolkenkuckucksheim, wenn Zekri das nicht einfach so vor sich hinplaudert. Wenn es um Fehlanalysen geht, darf natürlich auch Stefan Kornelius nicht fehlen: «Sein Machtgeflecht kollabiert, der Aufstand Prigoschins gegen die Armeeführung richtet sich in Wahrheit gegen den Präsidenten. Nun zerfällt der von Putin geschaffene Sicherheitsapparat.»

Etwas gelassener – wie es sich gehört – nimmt’s die NZZ: «Der Machtkampf in Russland eskaliert: Wagner-Chef Prigoschin wagt den bewaffneten Aufstand gegen die russische Armeeführung». Dabei weiss Markus Ackeret in Moskau, unterstützt von der DPA: «Prigoschin hat sich offenbar zum «letzten Kampf» entschlossen. Eine Möglichkeit des Rückzugs gibt es nach seinen Äusserungen, den Handlungen seiner Truppe und der Reaktion der Strafverfolgungsbehörden darauf kaum noch.»

Wir wischen uns wieder die Lachtränen aus den Augen und schalten um zu CH Media. Auch sie montiert einen «Russland-Experten» den «Politanalyst Alexander Dubowy». Der Österreicher analysiert messerscharf: «Russland steht an der Schwelle zum Bürgerkrieg … Es handelt sich tatsächlich um einen Militärputsch … Wenn er (Prigoschin, Red.) überleben will, bleibt ihm keine andere Wahl als anzugreifen. Wagner wird versuchen, schneller nach Moskau vorzudringen und einfach sehen wie weit sie kommen.»

Da steht zu befürchten, dass Dubowys Karriere als «Russland-Spezialist» zumindest in der Schweiz relativ schnell ihr Ende findet.

Ist es nicht ein wenig unfair, mit dem Wissen im Nachhinein all diese aufrechten Unken in die Pfanne zu hauen, die doch auch nur den feuchten Finger in die Luft halten können?

Nein, ist es nicht. Denn vor allem als Kenner oder Forscher oder Spezialist sollte man wissen, wann eine Lage so unübersichtlich ist, dass man sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen sollte.

Natürlich kann die Spekulation nun munter weitergehen. War das alles ein abgekartetes Spiel? Konnte Prigoschin deswegen Rostow so leicht erobern? Ging es einfach darum, ihn elegant aus dem Spiel zu nehmen und ins Exil zu schicken? Würde Lukashenko irgend etwas ohne engste Abstimmung mit Putin tun? Man weiss es nicht.

Deshalb dürfen sich all diese Kenner und Orakel weiterhin lächerlich machen. Ganz schlau geht da schon mal ein «Spiegel»-Kommentator voran: «Prigoschin hat nicht gewonnen. Aber Putin hat trotzdem verloren». Wir wischen uns nochmals die Lachtränen aus den Augen.

 

 

Verwirrter «Blick»

Sieht so kompetente Auslandberichterstattung aus?

ZACKBUM sagt weiterhin nichts zur Ukraine. Aber zur Berichterstattung darüber. Diesmal haben wir ein besonderes Schmankerl: die ungebremste Achterbahnfahrt von Sven Ziegler, seines Zeichens «Redaktor News» beim «Blick».

Einsteigen, festschnallen, Bügel runterklappen. Der Teaser auf der Homepage verspricht viel:

Wow, «Blick» enthüllt weltexklusiv einen «Geheim-Plan» normalerweise eher ein Geheimplan. Aber Rechtschreibung ist eben auch geheim für den «Blick».

Der Titel des Artikels enttäuscht dann gewaltig, kein Geheimplan mehr, nicht mal mehr ein «Geheim-Plan»:

Ist aber mal wieder ungeschickt von diesem Prigoschin; enthüllt doch einfach seinen «Geheim-Plan», das Schusselchen. Dabei geht’s im Kreml und auf dem Roten Platz und überhaupt rund: «Hinter den Kulissen tobt ein erbitterter Machtkampf.» Wenn das Putin wüsste!

Aber welchen nicht mehr so geheimen Plan hat den Prigoschin «enthüllt»? Nächste Kurve auf der Achterbahn, der Magen kitzelt das Halszäpfchen: «Laut der US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) plant Prigoschin, die Wagner-Gruppe als «eine militärische Organisation parallel zur russischen Armee» aufzustellen.»

Also eine US-Denkfabrik enthüllt stellvertretend für den Söldner-Chef dessen Geheimplan. Wahnsinn. Aber der ist ja auch ein ganz Schlimmer, Achtung, neue Kurve: «Laut dem Wagner-Chef wurden jüngst in 42 russischen Städten Zentren zur Rekrutierung von Söldnern eröffnet. Diese sind unter anderem in Schulen platziert. Prigoschin will also auch Jugendliche für seine Ideen begeistern und in den Krieg ziehen lassen.»

Immerhin scheint er das selbst enthüllt zu haben. Nun werfen wir aber einen Blick in die schwarze Seele des Kremlherrschers, Achtung, kurviger Perspektivwechsel: «Präsident Putin dürfte diese Rekrutierungsoffensive kaum gefallen.» Immerhin, so sicher ist sich Ziegler nicht, deshalb verwendet er ein Modalverb, wahrscheinlich ohne zu wissen, was das ist.

Aber nicht nur Putin ist angepisst, denn da gibt es noch den staatlichen Energieversorger Gazprom, und der wolle auch «bereits in naher Zukunft um Rekruten werben. Dafür soll Gazprom eigens eine Ermächtigung beim Kreml eingeholt haben – sehr zum Unmut von Prigoschin.»

Wir versuchen krampfhaft, die Mahlzeit im Magen zu behalten und nehmen die letzte Kurve vor dem Artikelende: «Die Machtkämpfe im Kreml gehen somit weiter.» Kein Wunder, dass das militärisch in der Ukraine nicht klappt; in Wirklichkeit fetzen sich Putin, Prigoschin und Gazprom hinter den Kremlmauern, dass es nur so kracht.