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Niemand ist eine Insel

Wenn interessiert schon Taiwan?

Mal Hand aufs Herz, hätten Sie vor einer Woche ohne zu zögern sagen können, wie die Hauptstadt von Taiwan heisst? Wo dieses Land liegt, ob es eine Insel ist? Ob es ein unabhängiger Nationalstaat ist oder irgendwie zu China gehört?

Hand vom Herz, hätten nicht allzu viele gewusst. Hätten Sie gewusst, wie es zu dieser Trennung zwischen Festlandchina und der Insel Formosa kam, die schon seit Urzeiten zu China gehört? Hätten Sie gewusst, dass die Schweiz, wie beinahe alle Länder der Welt, mit der Ausnahme des Vatikans, ein paar klitzekleiner Inseln und Haiti, Taiwan nicht als unabhängigen Staat anerkennt und daher auch keine diplomatischen Beziehungen unterhält?

Das hätten wohl die meisten nicht gewusst, und ohne dieses Wissen wären sie auch problemlos weiter über die Runden gekommen. Nun hat die Nummer drei in der Regierungshierarchie der USA diese Insel besucht, ihr die volle Unterstützung der USA zugesichert und gleichzeitig betont, dass die USA den Alleinvertretungsanspruch Chinas anerkennen.

Drei Faktoren kamen noch erschwerend hinzu. Sommerloch, und man kann nicht immer über die Hitze oder die Ukraine schreiben. Der Begriff gelbe Gefahr kann endlich aus der Mottenkiste geholt und abgestaubt werden. Drittens: Taiwan ist glücklicherweise viel weiter weg als die Ukraine. Satte 9642 km Luftlinie liegen zwischen Taipeh und Bern. Taipeh ist die Hauptstadt Taiwans, und Bern, aber gut, lassen wir das. Nur 1728 km Luftlinie trennen Bern von Kiew.

Was diese geographische Lektion sagen will? Im Journalismus gilt das Prinzip: umso weiter weg, desto gegendarstellungsfreier. Oberflächlichen Unsinn über nahegelegene Gebiete zu schreiben, das kann dem einen oder anderen Leser unangenehm aufstossen. Aber Taiwan? China? Asien? Weiss man da Genaues? Ist der chinesische Autokrat auch so eine Art Putin? Oder nicht? Was will er eigentlich von Taiwan? Die Insel heim ins Reich holen? Wozu? Aus Prinzip?

Und wieso rasselt der nun mit dem Säbel, was man heutzutage zu Wasser mit Flugzeugträgern macht und indem man ein paar Raketen abschiesst? Will er etwa diesen Besuch zum Anlass nehmen, die Insel zu erobern?

Die Journaille wurde vom Thema ziemlich auf dem falschen Fuss erwischt, aber es eignet sich blendend dafür, die Stirne zu runzeln und die Wörter «Pulverfass», «gefährlich», «unberechenbar», «Nationalstolz», «Gesichtsverlust» usw. in die Runde zu werfen. Um die völlige unsinnige Frage den üblichen Experten und Kennern zu unterbreiten: Wird China nun Taiwan angreifen? Erobern? Geht das? Und wenn ja, was machen dann die USA? Die Europäer? Die Schweiz?

Da hat die Journaille, ähnlich wie bei der Ukraine, wohlfeile Ratschläge zur Hand. Man solle, müsse die taiwanische «Demokratie» gegen die chinesische «Autokratie» verteidigen. Man müsse Stellung beziehen, ein Zeichen setzen nicht zulassen. Und Blabla.

Der SP-Nationalrat und Dummschwätzer Fabio Molina hat bereits den Bundesrat aufgefordert, den Chinesen zurechtzustossen, dass der Einsatz von militärischer Gewalt «inakzeptabel» sei. Damit konnte vorläufig das Schlimmste verhindert werden, denn seither zögert der chinesische Präsident, den Einsatzbefehl zu geben.

Aber im Ernst: natürlich wird China die Insel nicht militärisch angreifen. Die Gefahr, ähnlich wie Russland in einen langwierigen Krieg zu geraten, ist viel zu gross. Aber es gibt noch ein viel bedeutenderes Argument, wieso China sich hüten wird, bei einer Invasion Zerstörungen in Taiwan in Kauf zu nehmen. Das Argument lautet «Halbleiter». Halbleiter sind ein wichtiger Bestandteil von Chips, und ohne Chips läuft inzwischen ausser der Milch aus Kühen eigentlich nichts mehr. Und selbst Melkmaschinen verwenden Chips.

Taiwan stellt über 60 Prozent aller Halbleiter weltweit her. Der nächste Konkurrent liegt abgeschlagen bei 16 Prozent Weltmarktanteil. Über 60 Prozent ist faktisch ein Monopol. Zudem ist die Herstellung von Halbleitern etwas komplizierter als Kühe melken. Man kann diese Produktionskapazität nicht einfach substituieren und schnell ein paar Fabriken in China, den USA oder Europa bauen. Man geht davon aus, dass Taiwan einen technologischen Vorsprung von etwa 10 Jahren auf seine Konkurrenten hat.

Sollte China irrwitzigerweise dennoch über Taiwan herfallen, hätten wir die nächste Weltwirtschaftskrise. Ansonsten würde nichts passieren. Die USA, Europa und die Schweiz würden dem Beispiel von Molina folgen und die Aggression als inakzeptabel bezeichnen. Dann zur Tagesordnung übergehen.

Wie ignorant dürfen Journalisten sein?

Würde dieser Chefredaktor die Probezeit überstehen?

Von Felix Abt

Im Laufe meiner beruflichen Tätigkeit habe ich viele Mitarbeiter eingestellt. Dabei habe ich, wie wahrscheinlich jeder andere Manager oder Unternehmer, auf die für die jeweilige Position erforderlichen Kernkompetenzen geachtet: Von einem Buchhalter erwartete ich zum Beispiel, dass er bilanzsicher ist, von einem Produktionsleiter, dass er sich mit PPS (Produktionsplanung und -steuerung) auskennt, oder von einem Marketingleiter, dass er über sehr gute analytische und kommunikative Fähigkeiten verfügt.

Ich hatte nie die Gelegenheit, Journalisten einzustellen – dem Himmel sei Dank! – weil ich es nie bis zum Chefredakteur, geschweige denn zum Verleger geschafft habe. Aber ich kann mir vorstellen, dass es auch in der Medienbranche bei der Personalauswahl um Fähigkeiten wie das Beherrschen von Interviewtechniken, exzellente Schreibfähigkeiten (und Sprechfähigkeiten im Falle audiovisueller Medien), investigative Fähigkeiten und eine gute Allgemeinbildung geht.

Aber Allgemeinwissen scheint hier ein extrem knappes Gut zu sein. Der deutsche Journalist Oliver Stock, selbst ein Chefredakteur eines deutschen Wirtschaftsmagazins, schreibt in der Weltwoche:

«Das Schiesspulver, der Buchdruck, das Auto und ja: zuletzt ein völlig neu konstruierter Impfstoff – all das sind Erfindungen aus Deutschland, die die Welt verändert haben.»

Gehen wir der Reihe nach vor und lassen Sie mich mit dem Faktencheck zum Schiesspulver beginnen:

Westliche Geschichtsbücher geben zwar zu, dass die Chinesen das Schießpulver 850 n. Chr. entdeckten und nicht der deutsche Mönch Berthold Schwarz im 14 Jahrhundert. Deren Autoren behaupten jedoch, dass die Chinesen diese Entdeckung nur für Feuerwerkskörper nutzten. Wer chinesische Geschichtsbücher liest, weiss, dass die Streitkräfte der Song-Dynastie bereits 904 n. Chr. Schiesspulvergeräte gegen ihren Hauptfeind, die Mongolen, einsetzten. Zu diesen Waffen gehörte zum Beispiel das «fliegende Feuer» (fei huo), ein Pfeil, an dessen Schaft ein brennendes Rohr mit Schiesspulver befestigt war.

Wer hat den Buchdruck erfunden:

History.com erklärt: «Die in China erfundene Druckerpresse revolutionierte dort die Gesellschaft, bevor sie in Europa im 15. Jahrhundert von Johannes Gutenberg und seiner Erfindung der Gutenberg-Presse weiterentwickelt wurde.»

«Im 9. Jahrhundert hatten chinesische Handwerker eine Methode zur Massenproduktion von Büchern entwickelt, indem sie Wörter und Bilder in Holzblöcke schnitzten, sie einfärbten und dann Papier auf die Blöcke pressten. Jeder Block bestand aus einer ganzen Seite mit Text und Illustrationen.» Zitat Columbia University, New York

Wenn Sie eher chinesische als deutsche Geschichtsbücher lesen, werden Sie erfahren, dass die erste Druckerpresse von Bi Sheng erfunden wurde, einem Mann, der im 10. Jahrhundert während der Song-Dynastie in Yingshan, China, lebte, mehr als vier Jahrhunderte bevor Gutenberg das Licht der Welt erblickte. Die Erfindungen des Holzschnitts und der beweglichen Lettern ermöglichten die Veröffentlichung einer Vielzahl von Texten und die Verbreitung von Wissen und Bildung in China und darüber hinaus.

Von den vier Beispielen, die Oliver Stock anführt, hat er mit einem Recht: Der Deutsche Karl Benz war der erste, der ein «Fahrzeug mit Gasmotor» patentierte, eine Binsenweisheit, die jedem Kreuzworträtsellöser bekannt ist.

Hat Deutschland einen weltverändernden Impfstoff erfunden?

Stocks Behauptung, ein «neuer Impfstoff, der die Welt veränderte», sei ebenfalls eine deutsche Erfindung, ist lediglich seine eigene Erfindung. Das deutsche Unternehmen BionTech sowie andere nicht-deutsche Unternehmen haben auf der Grundlage der neuen, in Amerika erfundenen mRNA-Technologie Covid-Impfstoffe entwickelt. Hunderte von Wissenschaftlern weltwet hatten jahrzehntelang an mRNA-Impfstoffen gearbeitet, lange vor dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie.

Was ist mRNA? 

Alle Zellen haben DNA (in Chromosomen). Stellen Sie sich die DNA wie ein Kochbuch vor, das die Anweisungen enthält, wie Ihre Zelle das herstellt, was sie zum Funktionieren braucht. Damit ein Koch ein Gericht zubereiten kann, muss er oder sie das Rezept sehen. Die mRNA ist eine Kopie des einzigen Rezepts, das Sie für die Zubereitung eines bestimmten Gerichts benötigen. Das «Kopieren» des Rezepts erfolgt in einem Prozess, der Transkription genannt wird, bei dem ein Teil der DNA (ein Gen) als Vorlage für die mRNA dient. Anschließend wird die mRNA in einem Prozess namens Translation in Protein umgewandelt. Die Translation ist so, als ob der Koch sich das kopierte Rezept ansieht und ein echtes Gericht zubereitet. Die mRNA eines Gens (DNA) wird in ein funktionelles Protein übersetzt, das eine Aufgabe in der Zelle erfüllen kann. Es gilt also: DNA -> mRNA -> Protein.

mRNA-Impfstoffe machen sich diesen natürlichen Prozess zunutze, um eine Immunreaktion gegen SARS-CoV2, den Erreger von COVID19, zu erzeugen. Bei diesen Impfstoffen wird Ihren Zellen eine mRNA zugeführt, die den Zellen das «Rezept» für ein spezifisches Protein für das COVID-Virus liefert.

Impfstoffe mit Messenger-RNA (mRNA) bringen unseren Zellen bei, wie sie ein Protein herstellen sollen, das in unserem Körper eine Immunreaktion auslöst.

Unsere Zellen erhalten die SARS-CoV2-mRNA und übersetzen sie dann in ein Protein (wie ein Koch, der nach einer Rezeptkopie kocht). Die Immunzellen erkennen dieses Protein als fremd und lösen eine Immunreaktion aus. Wenn wir also später mit SARS-CoV2 in Kontakt kommen, ist unser Körper bereit!

Es waren Drew Weissman, ein amerikanischer Arzt und Wissenschaftler, und Katalin Karikó, eine ungarisch-amerikanische Biochemikerin, die 2005 den Durchbruch mit der mRNA-Technologie erzielten, ganze drei Jahre vor der Gründung von BionTech!

Als sich das Corona-Virus zu verbreiten begann, erkannte Weissman schnell, dass es ein perfekter Kandidat für einen mRNA-Impfstoff war.

Zwei Biotech-Neulinge, Moderna aus dem amerikanischen Bundesstaat Massachusetts, und das deutsche Unternehmen BionTech lizenzierten die Patente von Weissman und Karikó. Letztere wurde von BionTech 2013 eingestellt, und das Unternehmen ging später eine Partnerschaft mit dem US-Pharmariesen Pfizer zur Impfstoffentwicklung ein.

Schlussfolgerung

Vier Behauptungen und nur ein Treffer: Sollten die Leser einen Journalisten im Rang eines Chefredakteurs so davonkommen lassen? Auf jeden Fall würde ein solcher Mitarbeiter die Probezeit des Arbeitsvertrages mit mir nicht überstehen!

Was hat fauler Journalismus mit Genozid zu tun?

Wenn ein Nahost-Korrespondent im Fernen Osten falsch liegt.

Von Felix Abt

«Die arabische Welt schweigt zu den Genozid-Vorwürfen. Warum?», fragt Nahost-Korrespondent Pierre Heumann in der Weltwoche. Nun, hätte er sich zwei Minuten Zeit genommen und gegoogelt, hätte er herausgefunden, dass die seit 2021 von der amerikanischen Regierung aufgestellte und von anderen Politikern und Medien im Westen nachgeplapperte Behauptung, die chinesische Regierung begehe einen Völkermord an der muslimischen Bevölkerung in der Provinz Xinjiang, von den eigenen Anwälten als unbewiesen widerlegt wurde.

Hätte er ein paar Minuten länger gegoogelt, hätte er herausgefunden, dass der Begriff Genozid 1944 von Raphael Lemkin, einem polnischen Anwalt jüdischer Abstammung, geprägt und beim Nürnberger Tribunal für die Ermordung von Millionen von Juden durch die Nazis verwendet wurde.

Das Büro der Vereinten Nationen für die Verhütung von Völkermord stellt klar, dass «Genozid nur dann vorliegt, wenn es Beweise dafür gibt, dass die Täter die Absicht hatten, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe physisch zu zerstören. Kulturelle Zerstörung ist nicht ausreichend, ebenso wenig wie die Absicht, eine Gruppe einfach zu zerstreuen».

In Xinjiang gibt es mehr als 20.000 Moscheen. [Quelle: worldaffairs.blog]

Natürlich ist auch Chinas «Krieg gegen den Terrorismus» sehr problematisch und nicht gewaltfrei. Die gnadenlosen Kampagnen Amerikas und Israels, in denen sie seit Jahrzehnten echte und mutmassliche Terroristen bombardierten und dabei ganze Wohngebiete mit unschuldigen Zivilisten, Krankenhäuser und Schulen auslöschten, haben den Chinesen gezeigt, wie man es eben nicht machen sollte. Obwohl es auch in Xinjiang zu Polizeigewalt kommt, hat sich Beijing im Allgemeinen dafür entschieden, die Ursachen des Terrorismus durch Armutsbekämpfung und Bildung anzugehen und nicht durch Gewaltexzesse, einschließlich solcher kriegerischer Mittel.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass diese chinesische Provinz, die noch vor drei Jahrzehnten mausarm war und von der außerhalb Chinas kaum jemand je etwas gehört hatte, heute ganz anders aussieht, nachdem eine erfolgreiche Kampagne zur Modernisierung ihrer Städte, zur Errichtung neuer Krankenhäuser und Schulen, zum Bau von mehr als 20 Flughäfen, zur Schaffung zahlreicher Arbeitsplätze in modernen Fabriken, zur Mechanisierung der Landwirtschaft und zur Anbindung der Region durch Hochgeschwindigkeitszüge durchgeführt wurde. Ich kann Herrn Heumann den Vorwurf nicht machen, nicht zu wissen, dass es den Muslimen in Xinjiang heute besser geht als vielen Muslimen in muslimischen Ländern, weil er, im Unterschied zu mir, nie dort war.

Ich erlaube mir aber die Gegenfrage: Warum hat Herr Heumann seine Hausaufgaben nicht gemacht und betreibt mit seinem opportunistischen China- und Arabien-Bashing wüsten Geschichtsrevisionismus, der den Opfern von wirklichen Genoziden ins Gesicht schlägt?

 

Wo liebt man sein System?

Bürger in der Schweiz und in China am zufriedensten.

Von Felix Abt

Die Schweizer und die Chinesen fühlen sich durch ihr Regierungssystem besser demokratisch vertreten als die Bürger jeder anderen Nation durch das ihre, so das Ergebnis einer grossen neuen Studie. Die Umfrage wurde von einer europäischen Einrichtung organisiert, die für ihre leidenschaftliche Verteidigung der westlichen liberalen Demokratie bekannt ist.  Der jährlich erscheinende «Democracy Perception Index» ist die weltweit grösste Studie über demokratische Einstellungen und erhebt jährlich Daten aus 52 Ländern in Asien, den USA, Lateinamerika und Europa. Er wird von dem Meinungsforschungsinstitut Latana für die Stiftung «Alliance of Democracies» in Europa durchgeführt.

Aus der Studie geht hervor, dass in der Schweiz und in China die geringste Lücke (9 %) klafft zwischen den demokratischen Erwartungen der Bürger und dem Umfang der tatsächlichen Vertretung, die sie als gegeben ansehen. In den USA dagegen sagten 63 %, dass die US-Regierung nur einer Minderheit diene.

Interessanterweise beschweren sich in den Vereinigten Staaten auch weit mehr Menschen über mangelnde Meinungsfreiheit als in vielen anderen Ländern, auch in den angeblich «zensierten» asiatischen Ländern. Wie kommt das? Der Individualismus und die im Westen als sehr wichtig empfundene freie Meinungsäusserung geniesst bei den Bürgern in Japan, Singapur, China und Malaysia, wie auch in Saudi-Arabien und Russland, einen weit geringeren Stellenwert als im Westen. Der Unterschied ist wichtig, wenn man unterschiedliche Gesellschaften verstehen will. Er wird aber zugunsten einer «der Westen hat Recht, der Osten hat Unrecht»-Haltung zum Thema ignoriert.

Wie jedes Jahr werden Politiker und Medienschaffende wieder behaupten, dass die Zahlen Chinas falsch sind, weil die 1,4 Milliarden Einwohner rund um die Uhr in Angst leben und nichts Negatives über die Behörden sagen können. Dies ist jedoch eine lächerliche Ansicht in einer Zeit, in der jeder, der Chinesisch versteht, Millionen von kritischen Kommentaren finden kann, wenn er sich in soziale Medien einloggt oder sich in Cafés in China unterhält.

Die auffälligen Ähnlichkeiten in den Einstellungen zwischen China,  Japan und Singapur zeigen, dass es an der Zeit ist, sich von dem Stereotyp «China als riesiges Gefängnis» zu verabschieden und offen zu sein für die Tatsache, dass sich die Einstellungen in Asien schlicht und einfach von denen im Westen unterscheiden.

Und «anders» bedeutet ja auch nicht unbedingt «schlecht». Aber das Gros der westlichen Medienberichterstatter haben diese Lektion, auf die viele Asiaten jahrzehntelang gewartet haben, immer noch nicht gelernt.

 

 

Wumms: Frank A. Meyer

Geist und Geld, eins davon regiert die Welt.

Ringiers Hausgespenst, der Weltenlenker und Denker Frank A. Meyer führt im Blatt der gehobenen Intelligenz eine Kolumne. Aus Gründen, die nur ihm erfindlich sind, bemüht er sich um die Klärung Schweizer Probleme mit einem Autorenporträt, das ihn mit verdunkelten Brillengläsern vor dem Brandenburger Tor zu Berlin zeigt. Aber soll wohl den SoBli-Leser von seiner Weltläufigkeit überzeugen.

Ein Jugendfoto von Meyer in Berlin.

Aktuell nimmt er sich der «Politik des Friedens nach dem Motto «Wandel durch Handel», die neue Formel der zivilisierten Welt für den Umgang mit der unzivilisierten Welt, auf dass sich jene schliesslich ebenfalls zivilisieren möge» an. Als zivilisiert gilt für Meyer offenbar die Schweiz und Deutschland, unzivilisiert im Besonderen sind Russland und China. Etwas geschichtsvergessen, der Herr.

Eben «Business as sual». Das sei ein «Irrglaube», gar «eine gefährliche Praxis im Umgang mit Diktaturen und Despotien», donnert Meyer aus dem sicheren Schützengraben der deutschen Hauptstadt.

Da ist ihm offenbar etwas der Kontakt zur Geschäftsrealität in der Schweiz abhanden gekommen. Genauer zum «Business as usual» seines Brötchengebers. Denn Ringier ist inzwischen ein internationaler Konzern geworden, der in Ungarn freundlich mit dem Potentaten Orban umgeht. In Serbien gegen die Diskriminierung des Tenniscracks Djokovic schimpft.

2017 hat sich Ringier, aus rein geschäftlichen Gründen, von Ringier China Co. Ltd. verabschiedet. Man wolle sich mehr auf die Aktivitäten in Myanmar und Vietnam konzentrieren. Bekanntlich zwei lupenreine Demokratien, wie vielleicht Altkanzler Schröder sagen würde, den Meyer als teuren Berater zu Ringier lotste und gerne als Schmuckleiste bei seinen sogenannten «Dîner républicain» begrüsste.

Ringier ist auch in Ghana, Senegal, Nigeria, Kenia, Uganda oder der Elfenbeinküste tätig. Da ist es für den Medienkonzern sicher eine Erleichterung, dass Meyer am Schluss seiner Suada zum Ergebnis kommt: «Business mag Business sein. Politik jedoch ist mehr. Politik ist Verantwortung.»

Vielleicht könnte der Hauskolumnist auch mal Verantwortung in seinem eigenen Laden übernehmen. Aber das hat er in seiner jahrzentelangen Karriere dort immer gefliessentlich vermieden.

Flops produzieren ja, dafür geradestehen – niemals. Grosse Reden schwingen – immer. Praktisch umsetzen – niemals.

Faktencheck: Swift

Zeichen setzen mal ganz absurd.

Alle Maulhelden, die auch von der Schweiz forderten, gegenüber Russland müsse ein Zeichen gesetzt werden, sind zufrieden. Der Bundesrat in seiner unendlichen Weisheit hat sich – Neutralität hin, Neutralität her – den EU-Sanktionen gegen Russland angeschlossen.

Als besonders scharfes Schwert, als ausserordentlich schmerzhaft wird dabei der Ausschluss Russlands aus dem Zahlungssystem Swift gelobt. What a joke, wie da der Ami sagt. Dem versammelten Sachverstand der Schweizer Wirtschaftsjournis ist es nicht gelungen, ein paar banale und offenkundige Tatsachen zu erklären.

Was ist Swift eigentlich schon wieder?

Swift ist kein Zahlungssystem; über Swift finden keinerlei Finanztransaktionen statt. Wenn von Konto A etwas auf Konto B überwiesen werden soll, kann das per Telefon, per Fax (so wie das BAG die Pandemie bekämpfte) oder per Telex geschehen. Oder unter Verwendung von Swift. Die «Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication» (Swift) ist eine Genossenschaft, der weltweit rund 11’000 Banken angehören. Ihre Rechenzentren stehen in Holland, in den USA und – in der «neutralen» Schweiz.

Die Genossenschaft bietet ein Telekommunikationsnetz an, das besonders sicher sein soll und über das genormte Informationen verschickt werden. Pro Tag werden rund 30 Millionen solcher Datenübertragungen abgewickelt. Auch der kleine Teilnehmer am Zahlungsverkehr kennt den Swift-Code, der zur normierten Identifizierung einer Transaktion benutzt wird.

Der gross angekündigte Ausschluss russischer Geldhäuser von Swift trifft daher, wenn überhaupt, die Kleinen. KMU und Menschen, die anderen Menschen Geldbeträge schicken wollen. Auch dafür gibt es natürlich alternative Wege, aber die sogenannten Transaktionskosten sind höher. Eine normierte Überweisung kostet im Schnitt 2 Franken (oder weniger), wer sein Geld mit Western Union oder anderen solchen Dienstleistern überweist, muss schmerzliche 10 Prozent (oder mehr) dafür abdrücken.

Wer alles nicht von der Sanktion betroffen ist

Der Oligarch, die Clique um Präsident Putin, die grosse Staatsfirma, all die sind durch diesen Ausschluss kaum betroffen. Vollständig zum Witz wird dieses Zeichen dadurch, dass die beiden wichtigsten Banken Russlands davon nicht betroffen sind. Eine davon heisst Gasprombank, was darauf hinweist, dass ihr hauptsächlicher Daseinszweck die Abwicklung von Zahlungen rund um Erdgas- und Ölgeschäfte ist.

Da nicht nur Deutschland zu 40 Prozent von russischem Erdgas abhängig ist, will man zwar ein deutliches «Zeichen» setzen, aber bitte nicht so, dass der deutsche Bürger in seiner ungeheizten Stube sich den Hintern abfriert. Denn ein solches Zeichen würde wohl von der Bevölkerung nicht goutiert werden. Die Schweiz importiert übrigens 47 Prozent ihres Erdgases aus Russland.

Zudem leben wir schon lange nicht mehr in einer unipolaren Welt, was den internationalen Zahlungsverkehr betrifft. Neben Swift gibt es das Clearing- und Abwicklungssystem Cips. Die Abkrüzung steht für «Cross-Border Interbank Payment System». Für Chinas Clearing. Nun steckt Cips noch in den Kinderschuhen, lediglich rund 80 Banken sind ihm bislang angeschlossen. Das wird sich aber rasant ändern.

Finanzströme in einer multipolaren Welt

Denn bei Swift steht nicht zufällig eines der Rechenzentren in den USA. Deren Geheimdienste wollen natürlich auf dem Laufenden bleiben, welche Finanztransaktionen weltweit stattfinden. Früher wäre es ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, ein solches Datenvolumen zeitnah auszuwerten. Das ist heutzutage kein Problem mehr.

Nicht nur China ist daran interessiert, den USA diesen Einblick in Transaktionen zu verwehren. Solange die chinesische Währung Yuan noch nicht frei konvertibel ist, wird Cips nicht auf Augenhöhe mit Swift kommen. Aber alles ist im Fluss, China ist bekanntlich der grösste Handelspartner Russlands.

Gleichzeitig bieten die Sanktionen eine einmalige Gelegenheit, die Dominanz des Petrodollars zu brechen. Das Wort steht für die Tatsache, dass bis heute die meisten Ölgeschäfte in US-Dollar abgerechnet werden. Mit den USA natürlich, aber auch bilateral, selbst wenn die Ukraine und Russland Gaslieferungen fakturieren.

Daraus ergibt sich eine Abhängigkeit der Landeswährung ölexportierender Länder vom US-Dollar, die USA wissen über all diese Transaktionen Bescheid, grosse Dollarbestände fliessen in US-Tresore, alleine durch Seignoriage machen die USA nette Zusatzprofite.

Wenn nun Russland als wichtiger Rohstoffproduzent und China als wichtiger Rohstoffkonsument dazu übergehen, Cips zu benutzen und eine konvertible Währung (könnte auch virtuell auf Blockchain aufgebaut sein), dann wäre diese Sanktion vollständig ein Rohrkrepierer.

Aber solche Zusammenhänge sind für Pace-Fahnen schwingende Demonstranten, die «Stoppt Putin» rufen, viel zu kompliziert.

 

Take back control

Damit wurde die Brexit-Abstimmung gewonnen. Funktioniert das auch im Internet?

Das Folgende kann ein wenig technisch werden. Ist aber von brennendem Interesse für jeden Nutzer des Internets.

Immer noch viel zu viele Nutzer wiegen sich in der Illusion, dass das Internet im Prinzip gratis sei. Nette Menschen stellen Plattformen zum sozialen Austausch zur Verfügung, andere bieten umsonst E-Mail-Programme an, sogar das Suchen ist eine freundlich von Google geschenkte Maschine.

Quatsch. Es gibt Dienstleistungen im Internet, die mit Geld bezahlt werden, via Kreditkarte. Alle Dienstleistungen im Internet sind nicht kostenfrei. Sondern werden mit Daten, Profilen, Bewegungsmustern bezahlt. Das ist die neue Weltwährung, damit wird Wertschöpfung betrieben.

Das ist den meisten Nutzern egal. Immer öfter machen allerdings Nutzer die schmerzliche Erfahrung, dass es auch keine Anonymität im Internet gibt. Wilde Beschimpfungen, versteckt hinter einem Pseudonym, abgeschickt von einem Hotmail-Account? Im schlimmsten Fall steht die Polizei vor der Türe. Hättest an die individuelle IP-Adresse denken sollen, stupid.

Nun gibt es aber auch gute Gründe, wieso ein Nutzer tatsächlich dringend darauf angewiesen ist, dass man ihn nicht identifizieren kann. In erster Linie handelt es sich natürlich um Oppositionelle in Überwachungsstaaten wie China.

Dort herrscht nicht nur strikte Internet-Zensur, es wird auch versucht, jede nicht kontrollierte Aktivität zu unterbinden, und sei es auch nur ein Informationsaustausch. Als Gegenmittel zur totalen Überwachung gibt es Tor. Das ist ein Akronym für «The Onion Routing». Damit ist das Prinzip nicht schlecht beschrieben. Wie unter vielen Zwiebelschalen wird die Identität von Nutzern verschleiert.

Schutz der Privatsphäre gegen Kontrolle

Vereinfacht ausgedrückt schickt A nicht mehr direkt eine E-Mail an B, sondern die Message wird auf eine zufällige Route über Tor-Knoten geschickt, die normalerweise eine Rückverfolgung verunmöglicht. Aber diese Tor-Knoten sind öffentlich bekannt. Daher wurden sie beispielsweise von der chinesischen Internet-Zensur blockiert. Denn sie ermöglichten es auch, so auf Webseiten zu gelangen, deren direkter Zugriff ebenfalls blockiert ist.

Als Gegenmassnahme wurden sogenannte Tor-Brücken eingerichtet, die das wiederum umgehen. Es handelt sich also um den üblichen Kampf zwischen Zensoren und Widerstandsnestern gegen Zensur. Allerdings ist die Zahl dieser Brücken beschränkt, und die chinesische Internetpolizei fahndet nach ihnen als wäre es ein Stück aus der Science Fiction Serie «Matrix».

Wie bei allen Verschlüsselungs- und Verschleierungstechnologien ist auch Missbrauch möglich. Durch die weitgehende Anonymisierung der Teilnehmer ist Tor das Eingangstor zum Darkweb, wo alle Arten von kriminellen Produkten angeboten werden. Drogen, Waffen, Kinderpornografie, auf Marktplätzen finden hier Verkäufer und Käufer unter dem Schutz der Anonymität zusammen und erledigen die Transaktionen mit Kryptowährungen wie Bitcoin, die ebenfalls die Geschäftspartner anonymisieren.

Tor wird attackiert

Da Tor im Wesentlichen eine Freiwilligenveranstaltung ist, der Zugang frei, ist nicht nur durch chinesische Anstrengungen das Grundprinzip – freie und anonyme Nutzung des Internets, in Gefahr. Unterstützer von Tor fahren daher eine Kampagne, um möglichst viele neue Brücken zu bauen.

Andererseits gibt es ein Start-up aus der Schweiz, das ankündigt, die nächste Generation einer Infrastruktur zum Schutz der Privatsphäre zu bauen. Diesmal soll es allerdings nicht gratis sein, wie die Macher in einem Positionspaper festhalten.

Auf der anderen Seite sieht es ganz danach aus, als ob die hier verwendete Methode der Verschlüsselung und Anonymisierung der Nutzer zumindest zurzeit nicht knackbar ist. Zudem schafft Vertrauen, dass diese Plattform in der Schweiz, genauer in Neuenburg, entwickelt wird. Auf der anderen Seite steckt der Crypto-Skandal noch allen in den Knochen.

Auf jeden Fall ist das ein Krieg, der eine entscheidende Rolle in der Zukunft von dissidenten Bewegungen in Diktaturen spielen wird. Denn ohne unkontrollierten Informationsaustausch und ohne unkontrollierten Zugang zu Informationen kann es keine Opposition zu einem herrschenden Regime geben.

Aber möglicherweise wird die Rechenpower von Quantencomputern auch diesem Versuch zum Schutz der Privatsphäre den Garaus machen. Der dann durch den nächsten abgelöst wird.

Lehrbeispiel an Zynismus

…oder an Ignoranz und Heuchelei?

Von Felix Abt

Die alte Tante von der Falkenstrasse veröffentlichte ein Op-ed ihres Sportjournalisten Daniel Germann, wo dieser zu einem Boykott gegen die Winterolympiade in Bejing aufruft, weil eine berühmte chinesische Tennisspielerin, die einen pensionierten hohen Politiker der Vergewaltigung (ihr chinesischer Originaltext verwendet das Wort Vergewaltigung nicht) bezichtigt, nachdem die jahrelange, heimliche Liebesaffaire mit vielen Hochs und Tiefs zwischen den beiden in die Brüche ging.

Nun hat der sich vom Sport- zum Politjournalisten gemauserte Germann in der NZZ nachgelegt mit einem Artikel, wo er sich beklagt, dass das olympische «Ideal» wegen China und seinem übel misshandelten Tennisstar in Scherben liege und dass der Fall «ein Lehrbeispiel an Zynismus» sei, mit besonderem Hinweis auf die amoralischen westlichen Sponsoren.

Selbstverständlich sollte jede Anschuldigung sexueller Übergriffe untersucht werden. Ob China das tun wird, wissen wir nicht. In dieser jahrhundertealten Meritokratie, in der Beamte immer noch Eignungsprüfungen über sich ergehen lassen müssen, und Versager, wie z.B. der Bürgermeister und andere hochrangige Kader in Wuhan, nach ihrem Fehlverhalten beim Ausbruch des Coronavirus in die Wüst geschickt wurden (die NZZ berichtete nicht darüber), ist das nicht auszuschliessen. Eine gewisse Stetigkeit kann man dem Land nicht absprechen, denn als der chinesische Gesundheitsminister vor zwanzig Jahren vor die Mikrofone trat, um die Ernsthaftigkeit des SARS-Virus kleinzureden, war er anschliessend seinen Job los. Selbstverständlich hegen westliche Medien Zweifel daran, dass der hochrangige, von ihnen bereits vorverurteilte kommunistischen Unhold einer gerechten Strafe zugeführt werden wird, denn jetzt ist nicht mehr Wladimir der Schreckliche der grösste Bösewicht der Welt, sondern Xi JingPing, der noch Schrecklichere, hat er sich doch angeblich zum Diktator von Rotchina auf Lebenszeit erküren lassen.

Treibende Kraft ist Konfuzius

Hätte der damalige chinesische Vizepräsident Xi JingPing das ernste, ihm zur Lösung anvertraute Problem der SARS-Pandemie vor zwanzig Jahren oder Chinas erste und prestigetraechtige Sommerolympiade, für die er auch verantwortlich gemacht wurde, verbockt, wäre er allerdings nie Präsident geworden. Als Chinabeobachter und als einer, der in Grosskonzernen Karriere machte, ist mir aufgefallen, dass die Kommunistische Partei Chinas in der Personalselektion, –Förderung  und –beförderung sehr viel gemeinsam hat mit den Personalabteilungen westlicher Konzerne. So zum Beispiel rekrutiert die Partei Neumitglieder vornehmlich von den besten Universitäten des Landes. Oder ein von der Personalabteilung der Partei geleitetes Untersuchungsteam beurteilt die Leistungen und Tugenden von Kandidaten und empfiehlt die besten zwei von ihnen für die nächste Karrierestufe.

Dass dieses System von «Diktator» Xi Jinping auf den Kopf gestellt werden könnte, ist sehr unwahrscheinlich. Treibende Kraft dahinter ist der Philosoph Konfuzius (Kong), der auch ein Vorbild Xi Jinpings ist. Master Kong wollte, dass, unabhängig von ihrer Abstammung, die Fähigsten, nicht die Beliebtesten oder diejenigen mit den besten Beziehungen, die Geschicke des Landes lenken. Und er erklärte seinen Schülern, dass der vom Himmel gesandte Führer vom Volk vertrieben werden darf, wenn er sich als unfähig erweist, im Interesse des Volkes zu handeln. Jetzt kann man vielleicht verstehen, wenn Amerikaner gerne von der «China Threat» reden, die tatsächlich besteht, wenn man bedenkt, dass in Amerika – aber nicht nur dort – im Unterschied zu China sogar ausgesprochen unfähige, aber beliebte Populisten, mit Hilfe von schwerreichen Gönnern die Wahlen gewinnen und Präsident werden können.

Meinungen statt Analysen und Fakten

Nun gut, man sollte mit der NZZ und anderen Schweizer Medien nicht zu harsch ins Gericht gehen, wenn weit prominentere Medien wie z.B. die New York Times auch nur an der Oberfläche kratzen und mehr unfreundliche Meinungen über China als fundierte Analysen und Fakten liefern. Immerhin überrascht eine andere alte Tante, nämlich die BBC, die es wagt, ihren Lesern zu erklären, dass «über 2000 Jahre lang die Normen des konfuzianischen Denkens die chinesische Gesellschaft prägten. Der Philosoph (551-479 v. Chr.) entwarf ein ethisches System, das Hierarchie, d. h. das Wissen um den eigenen Platz in der Gesellschaft, mit Wohlwollen, d. h. der Erwartung, dass die Höhergestellten sich um die Untergebenen kümmern, verband».

Nun höre ich schon die Stimmen derer, die aufgeregt entgegnen, dass China im Vergleich zum Westen doch ein unfreies Land sei. Es ist richtig, dass im Westen Otto Normalverbraucher die Regierenden scharf kritisieren und heftig beschimpfen darf, ohne bestraft zu werden und dass Journalisten Wahres – und auch Unwahres – veröffentlichen dürfen, so viel sie wollen oder soviel die Medienbesitzer und Inserenten zulassen. Das ist in China in der Tat anders.

Lehrbeispiel der Heuchelei?

Das heisst aber keineswegs, dass diejenigen, welche Dampf ablassen, einen wirklichen Einfluss auf die politischen Entscheidungsträger haben würden. Echte Demokratie ist wohl eher etwas, wo die Regierenden nicht im Eigeninteresse und dem ihrer reichen Gönners und Förderer handeln. In einem solchen Wettbewerb dürfte die «Diktatur» Chinas mit der «Demokratie» westlicher Länder gar nicht so schlecht abschneiden. Und sehr zum Unbehagen seiner Kritiker hat Chinas Regierungspartei auch kürzlich wieder gezeigt, dass sie sich nicht von seinen Milliardären kaufen lässt.

Zurück zur Behauptung der NZZ, dass das Abhalten der kommenden Winterolympiade in China und das Verhalten der Sponsoren ein Lehrbeispiel an Zynismus sei. Vielleicht ist es ein Lehrbeispiel an Heuchelei: Immerhin haben 26 Amerikanerinnen Präsident Donald Trump sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen.

Haben denn damals die NZZ und andere gleichgesinnte Medien wegen den Anschuldigungen gegen Trump Sanktionen und Boykotte gegen sein ganzes Land gefordert?

 

 

 

Au weia, au weiwei

Wie drei Qualitätsjournalisten eine Story versenken.

Eigentlich könnte es ein schönes Recherchierstück sein: «Warum die CS den China-Kritiker rauswarf». Die News ist zwar nicht brandneu, aber man will ja nicht zu viel vom heutigen Elendsjournalismus verlangen.

Es geht darum, dass dem weltberühmten chinesischen Künstler Ai Weiwei seine Konten bei der Credit Suisse gekündigt wurden. Vorwand: Die Bank führe keine Geschäftsbeziehungen mehr mit Vorbestraften. Es liegt auf der Hand, dass das ein Kotau vor dem chinesischen Regime und dem Riesenmarkt dort ist, wo man vor allem im Immobilienbereich Multimilliarden – in den Sand setzen kann.

Also ideal für die CS. Und ideal für ein sauberes Stück Hinrichtungsjournalismus. Gleich drei Tamedia-Cracks haben zusammen in die Tasten gehauen. Vielleicht liegt es daran, dass Linus Schöpfer, Simon Widmer und Jorgos Brouzos nur ein Jammerlappen von Artikel gelungen ist.

Der vielfältige Schweizer Print-Journalismus (Ausschnitt).

Zunächst der szenische Einstieg, wie er vom «Spiegel» seit gefühlten hundert Jahren zelebriert wird:

«Oktober 2021, ein Sonntagmorgen in Portugal. Chinas berühmtester Dissident sitzt in seiner Küche und schlürft Suppe. Die Kamera ist an, wir sprechen über Zoom mit Ai Weiwei.»

Informationsgehalt: null. Bedeutung: null. Jeder Chinakenner weiss, dass die dort ihre Suppe schlürfen. Morgens und abends und auch zwischendrin. Jeder weiss, dass die Kamera schon an sein muss, sonst geht da nix. Aber nun geht’s sicher mit dem Enthüllungsjournalismus los.

 

Künstler und Dissident: Ai Weiwei.

Moment, zunächst muss noch, das haben wir mal im Schulaufsatz gelernt, erklärt werden, was wir so tun und getan haben: «Im Folgenden erzählen wir die Geschichte hinter Ais Rauswurf. Dafür sichteten wir Mails und Transkripte von Sitzungen, führten Gespräche mit Ai Weiwei, Verantwortlichen der Credit Suisse und unabhängigen Bankexperten.»

Das muss einem natürlich gesagt werden; die drei Herren haben sich nicht einfach eine Story aus den Fingern gesaugt. Sie haben doch tatsächlich etwas recherchiert. Wahnsinn. Nun könnte der Leser, der es bis hierher durchgehalten hat, natürlich der Meinung sein: was interessieren mich die Kontoverbindungen eines Suppe schlürfenden Chinesen in Portugal?

Natürlich weist der Einzelfall ins Allgemeine hinaus

Aber auch dafür gibt es sofort eine Antwort: «Es ist eine Geschichte, die über den Streitfall «Credit Suisse gegen Ai Weiwei» hinausweist. Denn sie gibt Einblick in das Kalkül und die Ethik einer Schweizer Grossbank. Und sie zeigt, wie verblüffend rasch und zugleich radikal die Bank im Ernstfall ihre Verteidigungslinie anzupassen weiss.»

Ein Kunstwerk des Künstlers.

Normalerweise wird die Moral einer Geschicht’ erst am Schluss enthüllt, aber warum mal nicht gleich am Anfang? Wohl in der berechtigten Befürchtung, dass nicht allzu viele Leser bis zum Ende der 13’360 Anschläge umfassenden Gähnstory durchhalten. Als wären wir hier bei der «Republik».

Aber wir sind beim Qualitätsmedium Tamedia, das diese seitenfüllende Sauce in alle Kopfblätter in allen Winkeln der Schweiz ergiesst. Was macht man, wenn man schon ganz am Anfang die Recherche und die Moral und überhaupt alles verraten hat, inklusive Journalismus in langen Hosen? Genau, man macht eine «Rückblende». «Ai schreibt, die Credit Suisse habe das Konto seiner Stiftung aufgelöst. Begründet habe das die Bank mit einer neuen Geschäftsregel, die keine gerichtlich verurteilten Kunden mehr erlaube. Er sei aber weder angeklagt noch verurteilt worden. Das wahre Motiv müsse daher wirtschaftlicher Art sein.»

Das war am 6. September, am 11. September erschien dann ein Interview in den Tamedia-Blättern mit Ai Weiwei. Da sagt er nochmals, was er schon zuvor gesagt hat. Schnarch.

Künstler mit Kunstwerk, hier für Hornbach.

Die CS sagt das, was man als Bank halt so sagt. Bankkundengeheimnis, sagen nix zu allfälligen Kontoverbindungen. Aber nicht nur in den Medien sinkt das Niveau unaufhörlich ins Bodenlose. Wir lesen im Schulaufsatz: «Am Samstagmorgen erhalten wir einen Anruf, am Apparat ist ein Kommunikationsspezialist der CS. Man wolle ein neues Statement abgeben.»

Links künstlerisch verfremdet, rechts das Segellogo der CS.

Wunderbar dass wir das alles wissen; es war ein Anruf, und es war ein «Kommunikationsspezialist» am Hörrohr (der hoffentlich inzwischen seinen Job los ist). Denn der teilte mit, dass man die Kundenbeziehung «beendet» habe, weil der Künstler «gesetzlich erforderliche Informationen nicht lieferte». Das ist nun tatsächlich ein Knaller – an Blödheit.

Hier könnte man abbrechen, aber he, es sind drei Autoren …

Damit könnte man eigentlich die Story knackig beenden. Aber nein, wir erinnern uns: es wurden Unmengen von Material durchgeackert. Zur Verfügung gestellt vom «Team» Weiweis. Also vielleicht nicht ganz objektiv. Aber wie auch immer, warum in einem Satz etwas sagen, wenn man auch viele verwenden kann.

Der eine Satz: diese Unterlagen scheinen zu belegen, dass die CS nach Vorwänden suchte, um Weiwei rauszuschmeissen. Gefühlte 100’000 Buchstaben später kommt der Künstler zu einer geradezu konfuzianisch weisen Beurteilung: Die Bank sei «money-rich but truth-poor». Wobei das mit dem «money-rich» auch eher ein Gerücht ist.

Der Künstler als Kunstwerk.

Aber, Fakten auf den Tisch, haben nun die Chinesen auf die CS eingewirkt, den Dissidenten rauszuschmeissen? «Dafür gibt es keine Hinweise.» Aber das wäre ja eigentlich die Aufgabe einer echten Recherche gewesen.

Stattdessen endet der Artikel mit einem leisen Seufzer, «keine Hinweise». Das ist nun keine Kunst. Das ist auch keine Leistung. Das ist einfach jämmerlich. Das ist au weia, das ist au wei. Dabei wäre die einzig interessante News (leider verschenkt), dass die CS sich nicht entblödet, etwas zu einem Kunden zu sagen. Als ob man noch nie vom Bankkundengeheimnis gehört hätte.

Dafür könnte man die Blöd-Bank einklagen, aber dazu sind die Journis selber …

Hilfe, mein Papagei onaniert XIV

Unsere Sammlung; diesmal: gute Ansätze, die leider im Absurden enden.

Guter Ansatz und «watson»? Bei einer «Analyse» von Philipp Löpfe? Doch, Wunder gibt es immer wieder. Denn Löpfe zieht wie das Jüngste Gericht über das neue Abtreibungsgesetz im US-Bundesstaat Texas her.

Guter Ansatz, denn die USA sind neben vielem anderen das Heim für absurde und bescheuerte Gesetze. Die führen dazu, dass Alkoholika nur in braunen Tüten im Auto mitgeführt werden dürfen, küssen in der Öffentlichkeit verboten ist oder das Rauchen in den eigenen vier Wänden.

Oder aber, in Texas eine Abtreibung nach der sechsten Schwangerschaftswoche vorzunehmen. Schlimmer noch, alle daran Beteiligten bis hin zum Taxifahrer können mit drakonischen Bussen überzogen werden; jeder darf einen solchen Vorgang denunzieren und bekommt allenfalls sogar noch eine Belohnung dafür.

Dagegen tobt Löpfe, natürlich zu Recht. Schon wackeliger wird seine «Analyse» wenn er behauptet:

«Wer es sich leisten kann, kann jederzeit in ein Flugzeug steigen und die Abtreibung in einem liberalen Bundesstaat vornehmen lassen. Frauen, die drei Jobs ausführen müssen, um vier Kinder zu ernähren, haben diese Option nicht.»

Nun, es muss ja nicht ein Flugzeug sein; allerdings kostet ein Roundtrip mit Greyhound nach San Diego zum Beispiel doch 400 Dollar. Ein One-way-Ticket kostet hingegen mit einer Cheap Airline schlappe 49 $. Geht.

Guter Ansatz, dann aber verdribbelt

Abgesehen davon, dass dieses Gesetz höchstwahrscheinlich nicht Bestand haben wird, denn es verbietet faktisch auch Abtreibungen nach Vergewaltigung oder Inzest: in den USA gibt es noch genug Bundesstaaten, die sehr liberale Abtreibungsgesetze haben – wie Kalifornien. Trotz dieses Gesetzes sind die USA immer noch eine Demokratie.

«Warum Texas schlimmer als China ist»

blödelt Löpfe jedoch im Titel, und das versucht er auch im Text aufzufangen. Schade aber auch, guter Ansatz. Aber verstolpert, vergeigt, verkackt.

Apropos, dieser Bericht über eine Schweizer Skulptur in Moskau ist hingegen lustig:

Sieht für Kunstbanausen wie ein Haufen Kacke aus.

Das Zentralorgan der unaufgeregten Nachrichten vermeldet angebliche Verkaufsschwierigkeiten an der Goldküste. Es geht um die Villa des Ex-CS-CEO Tidjane Thiam. Nach seinem unfreiwilligen Abgang schrieb er seine Villa in Herrliberg zum Verkauf aus, kä Luscht mehr auf die Schweiz.

Bis hierher bewegen wir uns noch auf gesichertem Boden. Ein Luxus-Immobilienhändler führte die Villa auf seiner Webseite und pries sie dort im handelsüblichen Jargon an. Nun aber, wie den knallharten Rechercheuren von «Blick» nicht entging, ist es weg, das Inserat:

Ohä. Dabei ist Thiam «laut Notariat» immer noch Besitzer der Liegenschaft. Was ist da los? Guter Ansatz, aber dann geht’s mitten ins Gebüsch. Denn weiter sind die Rechercheure nicht gekommen. Überraschenderweise will der Immobilienmakler nichts sagen, Thiam stand auch nicht zur Verfügung, als wäre hier eigentlich Ende Gelände.

Schon zwei Telefonate gemacht, das muss eine Story werden.

Ausser, man beginnt zu spekulieren. Will Thiam doch wieder in die Schweiz zurück? Hat er keinen Käufer gefunden? Ist der verlangte Preis zu hoch? Oder könnte es gar Rassismus sein, will keiner einen Schwarzen als Vorbesitzer?

Man weiss nichts Genaues und verläuft sich in Absurdistan. Dabei wäre die naheliegendste Spekulation leider die unspektakulärste: Es wurde ein Käufer gefunden, aber die Handänderung dauert halt noch ein Weilchen. Da gilt aber die alte Boulevard-Regel:

Recherchier oder spekulier deine Story niemals zu Tode.

Apropos, auch das hier ist so eine Nullmeldung:

Gesundheitszustand, Grund für die lange Abwesenheit, wird er wieder zurückkehren? Genaues weiss man nicht, aber daraus kann man doch einen Artikel basteln.

Gut, direkt kann CH Media nichts dafür. Aber das Wanner-Imperium hat geradezu grobfahrlässig eine Gastkommentatorin publiziert. Es handelt sich um Susanne Wille. Wie sagte SRF-Direktorin Nathalie Wappler bei derem Antritt als neue Kulturchefin:

«Susanne Wille verbindet journalistische Kompetenz und Kulturaffinität.»

Das war nun nicht wirklich ein guter Ansatz, da beides bezweifelt werden muss. Mit ihrem Gastkommentar gibt Wille diesen Zweifeln neue Nahrung.

Wille fordert mehr Satirikerinnen. Also mehr Bildschirmpräsenz für weibliche Satiriker. Öhm. Dafür könnte sie doch eigentlich als Kulturchefin sorgen? Also bezüglich Logik müssen wir Wille schon mal ein «ungenügend» geben. Kommen wir zum Einstieg in den Kommentar, wie jeder Journalist weiss, ist das die halbe Miete, will man gelesen werden. Will Wille?

«Eigentlich müsste ich diesen Text mit einem bissigen Spruch oder einem knackigen Witz beginnen. Nur überlass ich das jenen, die das besser können. Insbesondere den Frauen, denn in diesem Text geht es um Satire von Frauen.»

Nennt mich Macho, aber auch hier muss man sagen: «setzen, ungenügend.» Dann mäandert sich Wille durchs Thema. Es gebe schon Satirikerinnen in der Schweiz. Auch gute. Aber dann doch nicht. Oder schon, oder so. Ach, überhaupt:

«Es braucht beides. Gute Satiriker und gute Satirikerinnen. Aber es braucht für beide gleich viel Platz auf der Bühne, in TV- und Radiosendungen und im Netz.»

Ja um Willes willen, wenn Wille schon die Quoten-Satirikerin einführen will, was ja Anlass zu Satire wäre, dann soll sie das doch einfach tun. Damit wäre allen gedient, vor allem den Lesern von CH Media.