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Muss, sollte, aber dalli

Fabian Renz ist mit dem Parlament gar nicht zufrieden.

Renz ist der «Leiter des Bundeshausteams» des Kopfzeitungsverbundes Tamedia. Also meint er, ein mächtiger Mann zu sein. Zumindest ein wortmächtiger. Und in Ausübung dieser Fähigkeit muss er das Schweizer Parlament streng rügen:

Himmels willen. Unsere Landesregierung hat Schlagseite. Sie schwankt. Sie hat keinen Vertreter der «urbanen Deutschschweiz» mehr in ihren Reihen. Dazu zählt sich sicher Renz, also fühlt er sich höchstpersönlich wohl nicht mehr vertreten.

Das könnte er nun einfach beklagen, dafür ist doch ein Kommentar bei Tamedia da. Der Autor betrachtet seinen Bauchnabel von oben, unten und auch von innen, stellt dabei ein Wehwehchen, ein Leiden, einen Schmerz fest. Und teilt diese bedeutende Erkenntnis mit den gequälten Lesern.

Aber nicht Renz, der leidet nicht nur an der Unfähigkeit des Parlaments, die Vertretung der urbanen Deutschschweiz sicherzustellen. Der zeigt auch gleich, wo Bartli den Most holt:

«Das Parlament muss diesen Zustand 2023 korrigieren.»

Damit tritt er ein wenig in die Fussstapfen der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Als ein Landesparlament mit den falsche Stimmen (nämlich denen der AfD) einen Ministerpräsidenten wählte und der sich erfrechte, die Wahl anzunehmen, donnerte Merkel, dass das so nicht gehe und umgehend korrigiert werden müsse.

Statt sich diesen Übergriff aus dem fernen Berlin von einer dazu nicht autorisierten Regierungschefin zu verbitten, gehorchte das Parlament.

Vielleicht sieht sich Renz in dieser Tradition, man weiss es nicht. Immerhin bezweifelt Renz nicht, dass auch mit den Stimmen der SVP gewählte Bundesräte korrekt ins Amt gelangen. Aber: «Nie in der Geschichte war die Deutschschweiz, in der 70 Prozent der Bevölkerung leben, derart untervertreten im Bundesrat wie jetzt nach dieser Wahl.»

Das ist furchtbar, aber es ist ja noch viel schlimmer: «Verhängnisvoller noch: Sowohl Rösti als auch Baume-Schneider verfügen über einen landwirtschaftlichen Hintergrund.» Damit habe die Bauernlobby im Bundesrat eine Vertretung, die «in keinem sinnvollen Verhältnis zur geringen Bedeutung des Agrarsektors steht».

Während also Kühe, Schafe, aber auch Hühner überproportional berücksichtigt werden, mangelt es an anderem: «Die grossen Städte wie Zürich und Basel hingegen, die eigentlichen Fortschrittsmotoren des Landes: Sie sind im Bundesrat überhaupt nicht mehr vertreten.» Also, rückschrittliche und marginalisierte Bauern gegen die Fortschrittsmotoren: das kann nicht gutgehen.

So geht das auch nicht, dekretiert Renz. Nun fordert er immerhin nicht den Rücktritt von mindestens zwei der drei mit der Landwirtschaft verbundenen Bundesräte. Aber: demnächst einmal sollten Alain Berset und «der 63-jährige Wirtschaftsminister Parmelin» … «bei der Gesamterneuerungswahl 2023 zurücktreten. Bei dieser Gelegenheit muss das Parlament der urbanen Deutschschweiz wieder zu einer angemessenen Vertretung verhelfen.»

Bis dahin muss Renz dem Parlament eine ungenügende Betragensnote geben: «Als Wahlbehörde für den Bundesrat hat die Legislative eine grosse Verantwortung. Am Mittwoch hat sie diese zu wenig wahrgenommen.» Aber lässt Renz es bei diesen strengen Ermahnungen bewenden? Nein:

Stellvertretend für sie rüttelt Renz an den Grundfesten des Zweikammernprinzips: «Das Ständemehr gehört abgeschafft, im Ständerat wären den Städten eigene Sitze zuzuhalten. Ist das alles realisiert, dürften die Röstis, Parmelins und Baume-Schneiders auch gern noch viele Jahre im Bundesrat verbleiben.»

Hoppla, da war doch mal was mit gleichwertiger Vetretung auch kleinerer Kantone in einer Kammer, damit die bevölkerungsstarken nicht immer die Oberhand haben. Hinweg damit, fordert Renz. Dann, und nur dann lässt er die drei bäuerlichen Vertreter im Bundesrat gnädig im Amt.

Sind wir Staatsbürger aber froh, dass wenigstens Renz das Parlament kontrolliert, kritisiert und im richtigen Moment daran erinnert, wenn es seine grosse Verantwortung nicht wahrnimmt. Also, ihr Nationalräte und -rätinnen und everybody beyond, rot in die Agenda notieren und ja nicht bis zum nächsten Dezember vergessen: den Urbanen eine angemessene Vertretung verschaffen. Ach ja, und Berset sowie Parmelin sollten sich jetzt schon überlegen, zu welchem Zeitpunkt sie ihren Rücktritt bekanntgeben wollen. Und der Ständerat müsste dringend auf sein Ständemehr verzichten und den Städten eigene Sitze zugestehen.

Da sind einige Hausaufgaben zu machen, liebe Parlamentarier. Also hop und nicht gezögert.

Renz is watching you.

 

Notrecht – und keiner schaut hin

Ukraine, Putin, russische Zensur. Und Notrecht in der Schweiz. Hä?

Kennen Sie das «Bundesgesetz für wirtschaftliche Landesversorgung»? Nein? Dieses Notrecht ist seit dem 23. September in Kraft. Kein Gerücht, denn das wäre strafbar.

Medienecho: nahe null.

In der Schweiz wird wieder einmal Notrecht angewendet. Das letzte Mal wurde damit die UBS im Steuerstreit mit den USA gerettet. Denn nur so war es möglich, am geltenden Bankgeheimnis vorbei Kundendaten an die grösste Wirtschafts- und Militärmacht der Welt auszuliefern, ohne dass sich die verantwortlichen Bankführer strafbar machten. Inzwischen ist das Bankkundengeheimnis geschleift, nur noch ein Papiertiger. Ohne dass das einer Volksabstimmung unterstellt worden wäre.

Tempi passati. Aktuell ist zwar der Zustand der Credit Suisse besorgniserregend, aber eigentlich hat die Schweiz andere Probleme. Versorgungsprobleme. Dafür, bzw. dagegen gibt es das «Bundesgesetz über die wirtschaftliche Landesversorgung». Ein harmloser Name, und auch die Zweckbestimmung kommt ganz freundlich daher:

«Dieses Gesetz regelt Massnahmen zur Sicherstellung der Versorgung des Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen in schweren Mangellagen, denen die Wirtschaft nicht selber zu begegnen vermag.»

Also wie gemacht für die aktuelle Situation. Am 26. September vermeldete die NZZ, und nur sie: «Ohne dass es jemand bemerkt hat: Der Bundesrat hat eine drohende Strommangellage ausgerufen».

Das mag ja nun ein bürokratischer Akt gewesen sein, der halt nur den aufmerksamen Bundeshaus-Redaktoren der alten Tante auffiel. Allerdings heisst es dann am Anfang des Artikels: «Seit Freitag gilt verstecktes Notrecht, zum Beispiel ein Verbot, Gerüchte zu verbreiten. Ein Staatsrechtsprofessor bezeichnet das Vorgehen des Bundesrates als gesetzeswidrig.»

Hoppla. Was stört den Juristen? «Aus Sicht des Zürcher Staatsrechtsprofessors Giovanni Biaggini ist der Entscheid des Bundesrats allerdings äusserst heikel: «Entweder es liegt derzeit tatsächlich eine unmittelbar drohende schwere Mangellage vor. Oder der Beschluss ist gesetzwidrig.»

Gut, das mag nun eine typische Feinheit für einen Strafrechtsprofessor sein, das muss uns doch nicht wirklich beunruhigen. Das hier aber schon. Wir zitieren aus Kapitel 7: «Strafbestimmungen». Da heisst es zum Beispiel in Artikel 54:

«Wer in Zeiten einer unmittelbar drohenden oder bereits bestehenden schweren Mangellage vorsätzlich und in der Absicht, sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen, unwahre oder entstellende Behauptungen über geltende oder bevorstehende Massnahmen auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Landesversorgung äussert oder verbreitet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.»

Auf Deutsch: Das Verbreiten von Gerüchten wird bestraft. Wobei wer entscheidet, was eine freie Meinungsäusserung (erlaubt), was ein Gerücht (strafbewehrt) ist?

Auch Artikel 49 «Widerhandlungen gegen Massnahmen» oder 50 «Verletzung der Auskunftspflicht» haben es in sich. Widerhandlungen können «mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder Geldstrafen» geahndet werden. Zum Beispiel: wer «trotz Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels eine Verfügung nicht befolgt, die sich auf dieses Gesetz oder darauf beruhende Ausführungsbestimmungen stützt».

Das heisst auf Deutsch: Sollte der Bundesrat tatsächlich verfügen, dass die Raumtemperatur nicht über 17 Grad geheizt werden darf, Saunen oder Heizstrahler ausser Betrieb zu nehmen sind, und jemand käme auf die Idee, das vorsätzlich zu ignorieren, kann er im Knast landen. Ob auch schon ein Vollbad dafür reicht, müsste im Einzelfall geprüft werden.

Man mag sich nun fragen, wie denn kontrolliert wird, ob ein «Heiz-Sünder» («Blick») sich nicht den Hintern anfrieren will, sondern wohlige 23 Grad im Wohnzimmer befürwortet. Da käme dann eine der ältesten Geisseln der Menschheit ins Spiel: der Denunziant. Denn keiner zu klein, Kontrolleur zu sein.

Nun mag der liberal gestimmte Mitbürger einwenden, dass es doch seine Privatangelegenheit sei, was sich innerhalb seiner vier Wände abspiele. Ob er dort eingemümmelt in zwei Pullover, Handschuhe und dreifachen Satz Wollsocken ein Zeichen für den Frieden setzen will. Oder sich lieber leichtbekleidet auf dem Fell vor dem knisternden Cheminée hinfläzt, in wohligen 23 Grad. Um dann die auf 80 Grad vorgeheizte Sauna im Keller zu benützen. Anschliessend einen Tee zubereitet, ohne dass ein Deckel den Wassertopf beim Kochen verschliesst. Und aus Bequemlichkeit lässt dieser Sünder auch noch überall das Licht brennen.

Damit stünde er allerdings bereits mit einem Bein im Gefängnis. Oder müsste neben einer gesalzenen Energierechnung auch noch mit einer empfindlichen Busse (Tagessätze bis Fr. 3000.-) rechnen. Aber mindestens so schlimm wird die soziale Ächtung. Wahrscheinlich wird ein alter Begriff neubelebt werden: Kalter Krieg. Wann werden wir die ersten Plakate sehen: «Hier wohnt ein Energie-Frevler»? Die anonyme Schmiererei an der Haustüre: «Sie Putin-Freund, Sie Heiz-Sünder»?

Müssen bedauernswerte Gesetzesbrecher mit einem Schild auf der Brust herumlaufen: «Ich habe zu heiss geduscht und schäme mich»? Kommt die Polizei auf Anzeige des lieben Nachbarn und sichert Beweismittel, dass die Badewanne tatsächlich gefüllt wurde? Der Deckel zwar neben dem Topf liegt, aber keine Spuren erkennbar sind, dass er auch auf dem Topf war? Gibt das verräterische Geräusch eines Föns schon Anlass zu einer Hausdurchsuchung? Zeigt das geeichte Polizeithermometer mehr als 17 Grad? Wird bei 17,1 noch ein Auge zugedrückt?

Aufmerksamen Lesern von ZACKBUM mögen diese Absätze bekannt vorkommen. Das liegt daran, dass wir bereits am 7. September – damals alleine auf weiter Flur – auf dieses Gesetz aufmerksam machten.

Sind das Übertreibungen, ist das eine satirische Überspitzung? Kann man darüber lachen – oder wird uns das Lachen im Hals steckenbleiben?

Zumindest zwei Tatsachen stimmen bedenklich. Die überwältigende Mehrzahl der Leser haben von diesem Gesetz noch nie etwas gehört. Der überwältigenden Mehrheit der Leser ist es entgangen, dass dieses Gesetz bereits seit einigen Wochen in Kraft ist. Der grossen Mehrheit der Leser ist nicht bekannt, dass bereits die Verbreitung von Gerüchten, das Nicht-Befolgen von bundesrätlichen Anordnungen mit hohen Bussen und sogar mit Gefängnis bestraft werden kann.

Das ist kein guter Zustand in einem Gemeinwesen, bei dem die öffentliche Information über hoheitliche Anordnungen ein so wichtiges Gut ist. Selber schuld, man hätte es ja spätestens am 27. September in der NZZ lesen können? Nein, das ist kein tragendes Argument. Es gab und gibt keine öffentliche Debatte über diese potenziell einschränkenden und repressive Anwendung eines Notrechts.

Damit die Kirche im Dorf bleibt: Das ist nicht der Anfang des Endes der direkten Demokratie und der Mitbestimmung des Schweizer Staatsbürgers. Aber es ist beunruhigend.

Notkredit für Axpo: UBS reloaded

Schon wieder muss der Steuerzahler einem Zocker unter die Arme greifen.

Staatstragend wie es sich für die NZZ gehört, berichtet sie: «Die extremen Preissteigerungen auf den Energiemärkten machen dem Stromkonzern Axpo zu schaffen. Der Bundesrat spannt einen Rettungsschirm und verhilft dem Unternehmen zu Liquidität

Etwas aufgeregter hört sich CH Media an: «Schock in der Strombranche: Bund spricht Notkredit für die Axpo – es geht um Milliarden». Allerdings muss man sich dort erst noch sortieren und druckt einfach vorsichtshalber die Medienmitteilung des Bundesrats im Wortlaut ab. Eine Gratis-Leistung gegen Bezahlung, nicht schlecht.

Gleich drei Schreibkräfte und eine mangelhafte Interpunktion wirft Tamedia in die Schlacht: «Stromkonzern Axpo in Nöten: Paukenschlag im Schweizer Energie-Business: Bund stützt Axpo mit Milliardenkredit». Neutral wie das Schweizerkreuz berichtet das Staats-TV SRF: «4 Milliarden Franken: Bundesrat aktiviert Rettungsschirm für Axpo».

Das ist eine niedliche Beschreibung eines dramatischen Vorgangs. «Rettungsschirm aktivieren», damit assoziiert man einen nötigen Vorgang, die Axpo schwebt nun gerettet und gesichert an einem Schirm sanft zu Boden. Worum allerdings all diese Qualitätsmedien herumrudern, ist die entscheidende Frage: wieso muss hier der Steuerzahler wieder ins Risiko, wie weiland bei der UBS?

Auch hier herrscht Schönsprech, wie es George Orwell nicht besser persifliert könnte: «Aufgrund der Verwerfungen an den europäischen Energiemärkten und der unvorhersehbaren weiteren Entwicklung …», flötet der «Blick». Verwerfungen ist immer gut, das hat so etwas Naturgesetzliches. Das ist wie ein Erdbeben, kann man nix machen. Unvorhersehbar ist auch immer gut. Entweder ist die Zukunft beherrschbar, wie Banker und Manager gerne behaupten – oder dann ist sie plötzlich «unvorhersehbar». Das war auch damals bei der UBS der Fall.

Zunächst meinte die Bank, man könne in den USA das ganz grosse Rad drehen; alles vorhersehbar, haben wir im Griff, wer zweifelt, hat doch keine Ahnung. Und dann kam plötzlich das grosse Jammern, war doch alles unvorhersehbar, Hilfe, wir brauchen dringend Kohle, sonst sind wir pleite. Also gingen Bund und Nationalbank mit insgesamt 76 Milliarden Franken ins Risiko. Zum grossen Glück des Steuerzahlers kam das Geld wieder zurück. Das war aber im Zeitpunkt der Notrettung auch unvorhersehbar.

Und als Kollateralschaden wurde dann das Bankkundengeheimnis aufgegeben, als die Eidgenossenschaft die UBS zum zweiten Mal aus der Bredouille retten musste, als die USA drohten, ihr wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung schlichtweg den Stecker zu ziehen. Ausser, sie liefere freiwillig ihre US-Kunden ans Messer. Was sie dann tat, und ihre damit befassten Angestellten warf sie gleich noch hinterher.

Eine Variante wäre gewesen, dass die hochbezahlten Nieten in Nadelstreifen an der Spitze der UBS persönlich Verantwortung übernommen und den USA diese Kundendaten ausgeliefert hätten. Um sich anschliessend der Strafverfolgung in der Schweiz zu stellen. Aber Verantwortung ist in diesen Kreisen nur ein leeres Wort.

Genau gleich sieht’s heute bei der Axpo aus, und wieder einmal gibt es nur einen, der das in aller Klarheit ausspricht: Lukas Hässig auf seinem Finanzblog «Inside Paradeplatz». Schon im Titel bringt er’s auf den Punkt: «UBS-Moment der Strom-Zocker: Staatsrettung». Auch im Text nimmt er kein Blatt vor den Mund: «Statt die „Gratis“-Wasserkraft für eine solide Planung zu nutzen, gingen die Chefs von Axpo, Alpiq und BKW auf tutti. Sie strebten nach dem grossen Reibach. Und erlitten die totale Pleite. Verschätzt mit Shorts auf Strom, mussten sie sich teuer eindecken, als die Preise durch die Decke schossen.»

Er ist auch der Einzige, der Namen nennt und mit dem Finger auf die verantwortlichen Versager zeigt: «Das alte Lied. Dass drei Frauen – Thoma, Staiblin, Leuthard – und ein Strahlemann – Brand – Milliarden im Casino verzockten, davon spricht keiner.»

Dass bei der UBS-Rettung die Medien im ersten Moment überfordert waren, kann man mit der Milde der Distanz verzeihen. Dass nun schon wieder staatstragende Töne angeschlagen werden, so getan wird, als sei das Verzocken am Strommarkt unvorhersehbar und somit unvermeidlich gewesen, statt die unselige Lockerheit der Stromkonzerne mit ihren Quasi-Monopolen zu kritisieren, statt auf den merkwürdigen Umstand hinzuweisen, dass alle grossen Energieversorger zu 100 Prozent im Besitz der Kantone sind, aber der Bund ins Portemonnaie greift, statt den Steuerzahler darauf aufmerksam zu machen, dass er schon wieder für Management-Fehler geradestehen muss – stattdessen wird wieder das alte Lied der Solidarität gesungen, systemrelevant geflötet. Ein paar Milliarden ausschütten ist schlimm, ein Zusammenbruch der Stromversorgung wäre schlimmer.

Ist das so? Schon bei der UBS gab es ernsthafte und kompetente Stimmen, die forderten, die Bank ungerettet in den Bankrott fahren zu lassen. Weil es im Kapitalismus ein Systemfehler ist, eine Privatfirma für systemrelevant und somit gegen den Untergang gefeit zu erklären. Weil es heutzutage relativ problemlos möglich ist, Zahlungsverkehr und andere nötige Dienstleistungen relativ schnell umzulagern. Weil es zu ungehemmten Zocken und Gambeln verleitet, wenn die geldgierigen und verantwortungslosen Bankenlenker wissen, dass sie sich ungestraft und mit vollen Geldsäcken aus dem Staub machen können, während der Steuerzahler das Schlamassel aufräumt.

Die Geschichte wiederholt sich. Es wird von grösseren Transparenz-Vorschriften gefaselt, mit dem Wort Notrecht gewinkt, der Kredit wird – natürlich – als alternativlos hingestellt, alles andere wäre noch viel schlimmer, es könnte plötzlich keinen Strom mehr geben. Es wird auch stolz auf die Verzinsung und andere Bedingungen hingewiesen. Selbstverständlich dürften Buden, die Kredit beziehen, keine Dividenden mehr ausschütten. Wäre ja noch schöner. Und wie steht es mit einem Bonus-Verbot für die Versager ganz oben? Nein, das sei nicht vorgesehen, wird eingeräumt.

Der Axpo-CEO Christoph Brand bringt alle Voraussetzungen mit, um einen Konzern gegen die Wand fahren zu können. Er war bis 2020 für den Bereich «Classified und Marketplaces» zuständig – beim Medienkonzern Tamedia. Also für Inserate und Handelsplattformen. In dieser Eigenschaft wusste er vom Strom nicht viel mehr, als dass er aus der Steckdose kommt, es einen Kurzschluss geben kann und keine gute Idee ist, an blanke Kabel zu fassen, wenn die unter Strom stehen.

Begleitet wird sein Wirken vom Nachlass der unfähigen Energieministerin «Duschen mit Doris» Leuthard und einigen weiteren Managerinnen. Aber da spricht nur einer Klartext, alle anderen beschwichtigen, sossen drüber. Aus Unfähigkeit oder Unkenntnis. Oder aus beiden Gründen zugleich. Schwachstrom mit Wackelkontakt zur Realität aus den Medienhäusern. Erbärmlich.

Wer verwendet als Erster das K-Wort?

Geschnatter aus dem Bundesrat.

Es sind bedrückende Fotos, Videos und Augenzeugenberichte, die uns aus der Ukraine erreichen. Die Indizien verdichten sich, dass die russischen Besatzungstruppen in den von ihnen beherrschten Gebieten ein Terroregime gegen die Bevölkerung errichtet haben.

Das tritt offen zu Tage, wenn sie sich zurückziehen müssen. Es verdichten sich ebenfalls die Hinweise, dass Butscha kein Einzelfall ist. Wenn Verbrechen normale Dimensionen sprengen, sind zwei Wörter schnell zur Hand: Kriegsverbrechen und Völkermord.

Der Schweizer Bundespräsident und Aussenminister Cassis spricht von «krassen Verletzungen» des Völkerrechts und von «mutmasslichen Kriegsverbrechen». Damit hat er völlig recht und bewegt sich auch innerhalb dessen, was von der Schweizer Neutralität übriggeblieben ist. Durch die Übernahme der EU-Sanktionen hat sich die Schweiz bereits für Russland als neutraler Vermittler, der wie üblich seine guten Dienste anbietet, disqualifiziert.

So fanden die ersten bilateralen Kontakte zwischen Russland und der Ukraine nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, in Genf, sondern in der Türkei statt. Nun kann man argumentieren, dass es der Schweiz egal sein könnte, wie sie vom Totalversager Putin qualifiziert wird.

Es wäre allerdings doch wünschenswert, wenn der Bundesrat mit einer Zunge spräche. Die im besten Fall dem dafür zuständigen Aussenminister gehören sollte. Nun ist allerdings ein Jekami ausgebrochen.

Bundesrätin Keller-Sutter, eigentlich für die Justiz innerhalb der Schweiz zuständig, spricht bereits von «klaren Hinweisen auf Kriegsverbrechen». Bundesrätin Sommaruga, eigentlich für inländischen Verkehr zuständig, wollte den Bundesrat zu einer Zustimmung bewegen, die Kanada erlaubt hätte, Kriegsmaterial über den Luftraum der Schweiz zu transportieren.

Und schliesslich meldet sich nun auch noch Gesundheitsminister Berset zu Wort. Er leidet offensichtlich unter einem Aufmerksamkeitsdefizit, seitdem Corona nicht mehr die Schlagzeilen beherrscht. Also gewährt er Christian Dorer, dem Oberchefredaktor der «Blick»-Gruppe, ein Interview. Und dort erklärt er nassforsch, dass es sich selbstverständlich um Kriegsverbrechen handle, was sich in der Ukraine abspiele.

Das sind keine Wortspielereien und auch kein Tanz um Nebensächlichkeiten. Auf der obersten Ebene der Politik, vor allem, wenn es ums Ausland geht, ist eine klare Sprache unabdingbar. Es kann eigentlich nicht sein, dass verschiedene Mitglieder der Landesregierung verschiedene Formulierungen verwenden.

Medien, Journalisten, ZACKBUM können von Kriegsverbrechen schreiben, wenn ihnen danach ist. Auf politischer Ebene ist die einzig korrekte Formulierung «mutmassliche Kriegsverbrechen». Aber das Wort Unschuldsvermutung ist dermassen ausser Mode gekommen, dass man in weiten Kreisen kaltlächelnd darauf verzichtet.

Schliesslich geht es um die markige Verurteilung des Kremlherrschers. Der autokratisch in einem Unrechtsstaat herrscht. Dem Rechtsstaatlichkeit abgeht, wo die Justiz parteiisch ist und die Unschuldsvermutung mit Füssen getreten wird. Ups.

Das Ende einer Task Force

Durchatmen, auflockern. Und sich darüber freuen, dass eine Vernichtungsmaschine verschwindet.

Der Wunsch war verständlich. Der Bundesrat ist umzingelt von Kommissionen und Stäben. Jedes Departement hütet zudem eifersüchtig seine Lufthoheit über was auch immer.

Also beschloss der Bundesrat in seiner Weisheit, sich diskret, still, aber effizient von einer eigenen Task Force beraten zu lassen. Sozusagen die Institution einer «second opinion». Gute Idee, grauenhaftes Resultat.

Anstatt diskret zu beraten und öffentliche Auftritte mit dem BAG abzusprechen, wurde die Task Force to the Bundesrat eine Plattform für Egoshooter. Wissenschaftler wollten sich auch mal im Licht der Medien und der Öffentlichkeit sonnen. Umso kreischiger, desto erfolgreicher.

Es begann ein Wettbewerb im Überbieten mit Horrorzahlen. Sagt da einer 20’000 Tote in den nächsten Monaten? Ich biete 50’000. Um sogleich mit 100’000 überboten zu werden.

Der Bundesrat? Zu langsam, zu zögerlich, fahrlässig, unverantwortlich. Er sollte, müsste, hätte schon längst, ist aufgefordert. So machte sich die Task Force zur Kontrollinstanz und gab eigene Pressekonferenzen, begierig aufgenommen von den Medien, wo man hoheitsvoll jüngste Entscheidungen der Landesregierung selten begrüsste, häufig kritisierte.

Bis es dem Bundesrat Alain Berset den Nuggi raushaute und er klarstellte, dass Wissenschaftler zwar wichtig seien, die Verantwortung für Entscheidungen bleibe aber immer noch bei der Politik, bzw. bei den Regierenden.

Dann seilten sich immer mehr Wissenschaftler ab. Entweder, weil sie genügend öffentlichen Wind in die Segel ihrer Karriere gepustet hatten. Oder weil sie einsahen, dass kein Blumentopf mehr zu gewinnen sei. Rücksichtslos hatten sie dabei dem Vertrauen in die Wissenschaft einen schweren Schaden zugefügt.

Nun wird die Task Force endlich aufgelöst. Nicht Ende April, wie vorgesehen, sondern schon Ende März. Höchstwahrscheinlich dürfte ihre letzte krachende Fehlprognose über die Auswirkungen der neusten Corona-Mutation ihr Ende beschleunigt zu haben.

Denn die Task Force faselte von bis zu 10’000 Hospitalisierungen wöchentlich wegen Omikron, dazu 300 Patienten auf der Intensivstation zusätzlich. Völlig realitätsfremd.

Es bleiben aber noch genügend Kommissionen, über deren Existenzberechtigung man sich auch Gedanken machen sollte. Da wäre die Eidgenössische Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP). Genau für solche Seuchenzüge gemacht. Aber vom BAG mit Missachtung gestraft. Kein Bedarf, man melde sich mal, sagte das BAG auf Anfrage der EKP. Der Anruf kam dann nie.

Oder die Eidgenössische Kommission für Impffragen (Ekif). Die machte gewaltig Wind und versuchte tapfer, der Task Force die Stirn zu bieten. Insgesamt tummeln sich rund 12 Kommissionen, Stäbe, Krisenstäbe und andere Anballungen  im Themenbereich Seuchen. Wobei jeder Verein eifersüchtig darüber wacht, dass er ja nicht in seinem Wirkungsbereich beschnitten wird.

Dazu der übliche Beamtendreisprung: Sind wir dafür zuständig? Wenn ja, welche gesetzlichen Grundlage gibt es dafür? Und schliesslich: keine Entscheidung ist immer die beste Entscheidung im Beamtentreiben.

Denn sie birgt nie das Risiko, falsch zu sein. Und Verantwortlichkeit durch Unterlassen, die beiden Worte sind im Beamtenbiotop völlig unbekannt.

Also eine Task Force weniger, es bleiben noch genügend übrig, in denen man kräftig aufräumen sollte.

 

Pariser Professor ist sehr ungehalten

Es ist halt ein Kreuz mit diesen Politikern. Wahre Geistesriesen wie Thomas Maissen haben ihnen leider nichts zu sagen.

Gekleidet in edlem Zwirn sitzt Maissen in einem edlen Stadtpalais in Paris. Der «renommierte Historiker» ist dort seit 2013 Direktor des Deutschen Historischen Instituts. Eine wunderbare Position, wo er unablässig furchtbar wichtige historische Erkenntnisse schürfen und präsentieren könnte.

Aber leider macht Maissen den Fehler vieler Historiker: weil sie im Nachhinein bei der Geschichtsbetrachtung immer Recht haben – und sich die Betrachteten, weil tot, auch schlecht wehren können – meinen sie, das gebe ihnen besondere Gaben bei der Beurteilung der Aktualität. Maissen ist ein idealtypisches Beispiel, wie sich solch ahistorische Überheblichkeit mit krachenden Fehlanalysen mischen kann.

Vor anderthalb Jahren wurde Maissen in einem längeren Interview zu den Auswirkungen des Mauerfalls im Jahre 1989 befragt; also aus der Perspektive 30 Jahre danach. Aber das ist noch keine historische Dimension, deshalb kamen diese Lachschlager heraus:

  1. «Wäre ich Bundeskanzler gewesen, wäre es noch viel schlimmer gekommen
  2. «Der Fall des Kommunismus hat es möglich gemacht, dass die EU eine gesamteuropäische und fast unumgängliche Integration vorantreibt.»
  3. «Die Schweiz gehört in die EU, um mitwirken zu können, wenn diese Art von Problemen angegangen werden.»

Tja, das sieht «die Schweiz» aber entschieden anders, sogar der Bundesrat wagt es, Maissen zu widersprechen. Das tut er natürlich nicht ungestraft. Denn die Regierung hat es doch gewagt, die Verhandlungen über ein Rahmenabkommen nach vielen Jahren als sinnlos abzubrechen.

Damit hat sie sich den zürnenden Maissen eingehandelt: «Feige, mutlos, ein grosser Fehler». Maissen turnt sogar in Metaphern herum, mit denen er sich in seiner Zunft eher lächerlich macht. Die Ankündigung letzten Mittwoch sei «eine Abdankung ohne Predigt. Etwas ist gestorben, aber niemand weiss, wie es weitergeht.» Furchtbar, es gibt eine Leiche, aber die Trauergemeinde hat keine Ahnung, was nun kommt. Vielleicht eine Beerdigung, würde die Leiche, Pardon, der Laie sagen, aber damit zeigte er nur, dass er kein studierter Historiker ist.

Souveränität wird schwer überschätzt

Maissen ist noch nicht fertig mit seinem Bundesrat-Hauen: «Das ist kein Zeichen eines neu erworbenen Selbstbewusstseins, sondern von Verzagtheit.» Der Entscheid sei eine «neue Phase dieses Durchwurstelns».

Aber er kann auch gründeln, aus reicher historischer Erfahrung schöpfen und verkünden:

«Die Existenz der Schweiz hängt nicht von der Souveränität ab, denn diese ist nicht etwas Zeitloses, sondern vielmehr ein völkerrechtliches Ordnungsinstrument

Ein solcher Satz ist selbst für studierte Historiker wie mich schwer zu verstehen. Vielleicht muss man dafür in einem hübschen Stadtpalais in Paris sitzen.

Oder Napoleon zum Gründer der modernen Schweiz ausrufen.

Napoleon: grosser Sarkophag für kleinen Kaiser.

Hat uns Maissen noch mehr mitzugeben? Klar, wenn man ihn quatschen lässt, ohne ihm zu widersprechen, sprudeln weitere Sottisen nur so aus ihm heraus: ««Diktat aus Brüssel» ist eine Floskel.» Hm, dass das eine Floskel sei, ist selber eine. Da sind wir aber heillos in tiefen erkenntnistheoretischen Redundanzen gefangen, die man möglicherweise mit Luhmann oder aber mit Poststrukturalismus in weitere Räume der Erkenntnis führen könnte, um es mal ganz einfach auszudrücken.

Maissen kann’s aber noch einfacher: «Die Regierung ist schnell eingeknickt, weil sie gemerkt hat, dass die SVP und die Gewerkschaften gegen diesen von der Regierung fair ausgehandelten Vertrag sind

So spricht der Historiker, urteilt in den Mantel der Geschichte gehüllt, dass das ein «fair ausgehandelter Vertrag» war. Also mal wieder Populisten von rechts und links eine sinnvolle Regierungspolitik kaputt gemacht haben.

Wieso hört denn keiner auf Maissen?

So geht’s halt, wenn mal wieder niemand auf Maissen hört, der doch unermüdlich und immer wieder sagt, dass die Schweiz in die EU gehöre. Aber, dammisiech, was für einen Professor fraglos klar ist, das sehen halt blöde Parteien, Interessensvertreter und sogar der Bundesrat nicht ein.

Immerhin, nach bösen Erfahrungen mit Unkenrufen und Schweizuntergängen nach dem gescheiterten EWR-Beitritt 1992, hält sich Maissen deutlich zurück bei der Frage, ob das gescheiterte Rahmenabkommen nun den sofortigen oder erst den aufgeschobenen Exitus der Schweiz bedeutet.

Aber, auch Historiker können pessimistisch in die Zukunft schauen, das mit dem EU-Beitritt sei nun wirklich eine Weile vom Tisch. Ausser, was er aber der Schweiz nicht wünsche, eine Notlage oder Bedrohung würde doch noch zu einem Umdenken führen.

 

ZACKBUM findet, dass sich Maissen doch gerne weiter mit Napoleon oder mit Ereignissen befassen sollte, die schon so lange zurückliegen, dass sie eine Begegnung mit diesem Historiker unbeschadet überstehen. Aber Gegenwart und gar Zukunft, das ist halt nicht sein Beritt.

 

Rah-ha-ha-abkommen ist tot

Weder Befürworter noch Gegner kommen um die Erkenntnis herum: mausetot.

Eigentlich war die Haltung aller Schweizer Medien zum Gewürge mit dem sogenannten Rahmenabkommen mit Deutschland: im Prinzip ja.

Ringiers Vorschreiber Frank A. Meyer, Wohnsitz Berlin, ist ein vehementer Befürworter. Gewesen, denn was geht ihn sein dummes Geschwätz von gestern an. Auch der Club der Chefredaktoren, die etwas zu sagen haben, also Patrik Müller (CH Media), Arthur Rutishauser (Tamedia) und Eric Gujer (NZZ) waren mal mehr oder minder begeisterte Befürworter.

Zuerst Rutishauser, schliesslich auch Gujer gingen aber im Verlauf des Gemurkses immer mehr auf Distanz. Zwischendurch wurden Geheimpläne enthüllt, der arme Aussenminister demontiert, immer neue Verhandlungsvarianten ins Spiel gebracht. Halt das, was die Medien so tun, wenn ihnen absolut nichts mehr einfällt zu einem Thema.

Aber immerhin, es gibt News. Rahmenvertrag aus dem Rahmen gefallen. Was nun? «Nicht der Bundesrat, sondern das System ist schuld», (SRF), «Grenzregionen fürchten um ihre Wettbewerbsfähigkeit», (nau.ch), «Gescheitertes EU-Rahmenabkommen: «Die Schweiz hat das Feld verlassen, bevor das Spiel zu Ende war»», (CH Media), «Gescheitertes Rahmenabkommen: Grenzregionen fürchten um ihre Wettbewerbsfähigkeit», («watson»), «EU-Rahmenabkommen: Nicht alle Bundesräte wollten sofortigen Abbruch», («Blick»), «Nach dem Verhandlungsabbruch beginnt die Suche von vorn: Könnte eine Volksinitiative die EU-Frage klären?», (NZZ), «Exklusiv-Interview mit Carl Baudenbacher: «Das Geschäft muss auf ein neues Gleis»» («Nebelspalter»), «7 Folgen nach geplatztem EU-Deal: Hier drohen jetzt die nächsten «Nadelstiche»» (Tamedia).

1000 mal erwähnt, nichts passiert

Lassen wir es bei dieser Kakophonie bewenden. Insgesamt gibt die Suche nach «Rahmenabkommen» in der SMD für die letzten 7 Tage über 1000 Treffer. Wie könnte man die aufklärerische Wirkung messen, da dieses Thema offensichtlich von Bedeutung ist?

Ganz einfach; indem sich der geneigte Leser drei Fragen stellt (und beantwortet):

  1. Was beinhaltete das Rahmenabkommen?
  2. Ein Argument dafür, eines dagegen?
  3. Geht’s der Schweiz nun dreckig?

Vor allem bei der letzten Frage hält man sich inzwischen gerne bedeckt. Zu unangenehm noch die Erinnerung, als zur allgemeinen Überraschung 1992 schon etwas Ähnliches abgelehnt wurde. Damals wurde flächendeckend der Untergang der Schweiz an die Wand gemalt, der Ausbruch von neuem Elend, die Schweiz als Paria im Zentrum Europas. Eine Insel, die sich egoistisch dem europäischen Gedanken verweigert. Und schon sehen wird, was sie davon hat.

Das hat die Schweiz tatsächlich gesehen. Mit den üblichen Einschlägen entwickelte sie sich in den seither vergangenen knapp 30 Jahren prächtig. Was man von der EU wirklich nicht sagen kann. Bei allen Befürwortern, Euro-Turbos bis sich selber als Pragmatiker sehenden Politikern und Medienschaffenden: und jetzt?

Ein weiteres Armutszeugnis für die Medien; mit wenigen Ausnahmen. Sie beschränkten sich wieder darauf, im Wesentlichen grosse und kleine Teufel an die Wand zu malen, sollte diese Vereinbarung nicht zustande kommen.

Reflexe statt reflektieren

Der Reflex ist weiterhin überstark: Wenn die SVP dagegen ist, muss man dafür sein. Wenn Christoph Blocher dagegen ist, muss man dafür sein. Wofür? Ist doch egal.

Nun wäre nach dem Katzenjammer eigentlich angebracht, sich Gedanken zu machen, wie das nun weitergehen könnte. Denn, Wunder über Wunder, die Welt ist nicht stehengeblieben, als der Bundesrat das Ende des Gemurkses verkündete.

Aber wenn man nicht mit routiniertem Griff copy/paste machen kann, die ewig gleichen Gedanken nochmal durchschütteln und wieder in Spalten giessen – dann herrscht erst mal gähnende Leere. Ein schwarzes Loch, in das Millionensubventionen geschüttet werden.

Der Tiefpunkt ist noch nicht erreicht

Der Bundesrat beschliesst eine Lockerung der drakonischen Massnahmen. Netz und Medien machen sich ganz locker.

Natürlich hat das Internet viele gute Eigenschaften. Dass hier jeder seine Meinung in die Welt hinausposaunen kann, gehört nicht dazu.

Der «Blick» hält sein Ohr ganz nahe ans Netz, und was hört er? «So viele Tote und Invalide hat noch kein Terrorist oder Attentäter je verursacht wie der Bundesrat mit seinem heutigen Entscheid.» Oder dieser Wutbürger ist auch toll: «Liebe Bundesrepublik Deutschland könnt ihr uns Schweizer bitte annektieren?»

Es ist zu befürchten, dass beide Pass und Stimmrecht besitzen. Natürlich wird auch die Stimme der Jugend gesucht und gefunden. Zum Beispiel Sean, 18, Schüler in Zürich: «Wirklich vernünftig sind die Lockerungen nicht.»

Auch der SDA bleibt nichts anderes übrig, als einen Breitband-Satz einzusetzen: «Von «zu langsam» über «vernünftig» bis «unverantwortlich» reichen die Reaktionen der grossen Parteien auf die Entscheide des Bundesrates vom Mittwoch. Alle fordern jedoch mehr Tempo beim Impfen.»

Der Oberchefredaktor von Tamedia verkündet in allen Kopfblättern: «Endlich hat der Bundesrat gehandelt. Jetzt müssen nur noch die bestellten Impfdosen eintreffen, damit endlich auch in der Schweiz die breite Bevölkerung geimpft werden kann.»

Wo bleiben Einordnung, Analyse und kompetente Meinung?

Die smd-Suche unter dem Stichwort «Lockerung» am Donnerstag ergibt ganze 350 Treffer, und das schon am Morgen. Gibt die Vierte Gewalt auch Orientierung, Einordnung, Analyse, eben all das, was der zahlende Leser für sein Geld erwartet?

Nun, es gibt ja nicht nur die Meinungen in den Medien; sie halten sich auch für so wichtig, dass es Pressespiegel gibt, die eine Meldung über die Meldungen machen.

Das ist aber in diesem Fall gar nicht so einfach; cash.ch kann es nur so formulieren: «Die überraschend offensiven Schritte des Bundesrates zur Lockerung einzelner Corona-Massnahmen werden von den Kommentatoren in den Schweizer Medien mit Erstaunen und Erleichterung, aber auch mit Sorge zur Kenntnis genommen.»

Damit wissen wir nun, woran wir sind. Immerhin, einige haben’s gemerkt, was der einzig interessante Punkt bei diesen Lockerungsübungen ist. Aber nur ganz wenige haben’s auch verstanden. In Deutschland wird, bei ähnlichen «Kennzahlen», die Schraube angezogen, in der Schweiz gelockert. Von den «fünf Kriterien» für eine Lockerung seien hierzulande ganze vier nicht erfüllt.

Trotz Kennzahlen, Indizes, Inzidenz: es wird gelockert

Dennoch wird gelockert. Das ist die gute Nachricht. Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger als: diese Kennzahlen sind Pipifax. Schon lange aus allen möglichen Blickwinkeln kritisiert und bezweifelt, scheint nun auch der Bundesrat zur Überzeugung gekommen zu sein, dass man sie genauso wenig wie die ewigen Unkenrufe der «Fachleute» zur Richtschnur des Handelns machen sollte.

Nachdem Marcel Salathé seine Schäfchen ins Trockene, bzw. sich selbst in eine angenehme neue Position gewarnt und geunkt hat, wollen wir nur kurz Christian Althaus zitieren. Genau, von dem hat man schon länger nichts mehr gehört, und er ist weiterhin in seiner alten Stellung in Bern anzutreffen. Also hat er Mitteilungsbedarf:

«Ich habe grosse Bedenken, wie sich die Epidemie in der Schweiz nun entwickeln wird.» Diese Bedenken sollten wir ernst nehmen, denn das ist schliesslich ein Fachmann. Gerne hätten wir gewusst, woraus sie denn konkret bestehen.

«Aufpassen, den Sommer nicht zu verspielen», murmelt Althaus noch.

Die Eidgenossen seien erst zu 20 bis 40 Prozent immun gegen Covid-19, das sei viel zu wenig. Also haben wir die Karte «Sommer» auf den Spieltisch gelegt, und weg ist sie, verloren.

Aber auch hier gibt es eine gute Nachricht: auf solches Geschwätz wird immer weniger gehört, denn da ist die Immunisierung viel weiter fortgeschritten. Obwohl Althaus immer noch, trotz all seinen krachenden Fehlprognosen, als «Corona-Experte und Epidemiologe an der Uni Bern» apostrophiert wird. Die Kurzfassung wäre: rausgeschmissenes Geld. Es wird auch noch erwähnt, dass er bis Januar der «Covid Task Force» to the Bundesrat angehört habe. Dieses Ehrenamt gab er dann auf, weil das wenigstens Schlagzeilen brachte und ihm dort andere Epidemiologen zu sehr in der Sonne standen.

Nach der Schlagzeile kann man abdrehen

Radio SRF will in seinen Nachrichten nicht nur informieren, sondern auch «einordnen». Das tut der Sender so konsequent, dass man gar nicht sehr lange hinhören muss.

Von Stefan Millius*

Die gefühlte 842. Corona-Medienkonferenz des Bundesrats steht an, das Gewerbe bettelt im Vorfeld laut um Lockerungen, und Radio SRF 1 schaut in der Sendung «Heute Morgen» um 8 Uhr nach vorne. Das tut sie in Form eines Interviews mit dem Inlandredaktor von SRF 1, dieser beliebten, leicht nach Inzucht riechenden Form des erweiterten Selbstgesprächs.

Kommt Ihnen das Klötzchen-Logo auch bekannt vor?

Aber muss man da hinhören? Muss man nicht. Jedenfalls nicht lange. Denn «Heute Morgen» liefert bereits in der Themenübersicht, den ersten 30 Sekunden der fast 13 Minuten langen Sendung, die Auflösung darüber, was danach kommen wird. Die Schlagzeile zum Thema lautet:

«Bei den Coronamassnahmen hat der Bundesrat derzeit wenig Spielraum. Wir fragen, ob er ihn trotzdem nutzt an seiner heutigen Sitzung.»

Wie von der Bundeskanzlei formuliert

Es gab eine Zeit, da diente eine Schlagzeile dazu, zu sagen, was passiert ist. «Heute Morgen» macht es anders, und das nicht erst seit heute. Der Moderator sagt uns lieber, was eigentlich nicht passieren darf. Nämlich weitere Lockerungen. Dass der Bundesrat «wenig Spielraum» für eine Öffnung hat, beispielsweise in der Gastronomie, ist keine journalistische Betrachtung, sondern eine Schutzbehauptung, als wäre sie von der Kommunikationsabteilung der Bundeskanzlei formuliert worden. Es ist eine rein subjektive Einschätzung. Sie ist richtig, wenn man die Kriterien, die der Bundesrat für Lockerungsschritte eingeführt hat, ernst nimmt. Aber das tun ja hoffentlich nicht mehr viele Leute.

Denn zu den erwähnten Kriterien gehören unter anderem der aktuelle R-Wert und die 14-Tage-Inzidenz der Neuinfektionen. Beides basiert bekanntlich auf der Teststrategie, bei der auch mal an Schulen und in anderen Institutionen nur die positiven Resultate gezählt werden, weil alles andere zu aufwendig wäre. Nur in die Rechnung nehmen, was einem in die Hände spielt: Kann man machen, hat hinter dem Eisernen Vorhang ja auch lange funktioniert und in den Büchern zu sensationellen Übererfüllungen der Produktion geführt, während die Läden leer waren.

Freie Betten – na und?

Das einzige Kriterium, das wirklich Sinn macht, ist die Belegung der Intensivstationen, und da wissen wir aus den offiziellen Zahlen: Es gab kaum je einen besseren Zeitpunkt, um einen schweren Unfall zu bauen oder anderweitig Intensivpflege zu benötigen. Freie Betten und Personal hat es zuhauf. Aber eben, nützt alles nichts, solange die anderen Kriterien nicht erfüllt sind, und die sind nicht erfüllbar, weil das System es gar nicht zulässt.

Es ist ein bisschen, wie wenn man seinem Kind sagt:

«Du kriegst mehr Taschengeld, wenn du bis heute um 16 Uhr erstens dein Zimmer aufgeräumt und zweitens eine funktionierende Mondrakete gebaut hast. Beides muss erledigt sein, sonst gibt es nichts.»

Diese Ausgangslage belegt für SRF 1 also, dass es der Bundesrat «wenig Spielraum» für Lockerungen hat. Dass das nur so ist, weil die Kriterien von Anfang an absurd waren: In «Heute Morgen» ist das kein Thema. Der vom Staat total unabhängige Staatssender mag nichts hinterfragen, sondern nimmt das bundesrätliche Wort so absolut wie Moses seine Steintafeln.

Lockern oder nicht lockern, das ist die Frage.

Der Schein der gute Tat

Das Ganze ist aber nicht ungeschickt. Denn wenn es ja kaum Spielraum gibt, wirkt jeder Hauch einer Lockerung plötzlich wie eine grosszügige Geste.  Die Terrassen könnten allenfalls geöffnet werden, raunt der Inlandredaktor im Interview, wissen tut er es natürlich nicht, jedenfalls nicht offiziell, aber es könnte sein. Und kommt es dazu, ist die Landesregierung eine wahre Wohltäterin: Eine Teilöffnung, obwohl die Lage so fürchterlich ist, mehr kann man doch wirklich nicht verlangen!

Damit kann man «Heute Morgen» zwar nach journalistischen Massstäben für seine subtil beeinflussende Schlagzeile kritisieren, muss gleichzeitig aber bewundernd feststellen: Orchestriert sind die 13 Minuten perfekt. Zuerst jede Hoffnung nehmen, dann ein bisschen Hoffnung geben mit dem mutigen Bundesrat als Winkelried der leidenden Gastronomie. Die Achse Radiostudio-Bundeshaus funktioniert eben doch.

*Stefan Millius ist Chefredaktor «Die Ostschweiz». René Zeyer publiziert regelmässig dort.

Die Meinung ist frei

Und sie darf auch frei geäussert werden. Eine Zensur findet nicht statt, heisst es markig in der Bundesverfassung. Über Bezahlung steht da nichts.

Nehmen wir einen heutzutage völlig normalen Vorgang. Ein gewisser Michael Hermann führt eine Kolumne im «Tages-Anzeiger», somit im ganzen Tamedia-Kopfblattimperium. Damit kann er ungefähr die Hälfte aller Deutschschweizer Tageszeitungsleser beschallen.

Seine Meinung ist frei und klar: «Die Kritik an der Impfstoffstrategie von Bundesrat und BAG ist billig». In seiner Kolumne kritisiert Hermann alle, die es im Nachhinein besser wissen wollen, die mit dem Vorteil der Perspektive von heute ungerecht damalige Entscheidungen kritisieren: «Ohne Fehlertoleranz jedoch werden wir an Krisen wie diesen nicht wachsen.»

Unbezahlte Meinung hinter Bezahlschranke.

Das ist sicher ein wahrer Satz. Vielleicht hätte es dem unschuldigen Leser des Qualitätsjournalismus aus dem Hause Tamedia geholfen, wenn auch bei Kommentatoren gewisse Interessensbindungen offengelegt würden. Das schränkt ja die Meinungsfreiheit keinesfalls ein, hilft aber dem Empfänger bei der Einordnung der Meinung.

Michael Hermann, der Nachfolger des Mannes mit der Fliege, ist nämlich in erster Linie Geschäftsführer der «Forschungsstelle Sotomo». Die widmet sich den Themen «Meinungsforschung, Politikstudien und -evaluation» und anderen Untersuchungen.

Ohne billige Kritik geht’s wieder bergauf.

Auch das ist nichts Ehrenrühriges, denn auch Hermann muss ja schauen, dass der Schornstein raucht. Mit seinen politischen Spinnenprofilen und politischen Landkarten gehört der Politikwissenschaftler zum festen Personal der «Fachleute», die in Funk, Fernsehen und auch im Print gerne herbeigezogen werden.

Vor allem von privaten Medienhäusern, bei denen die «Expertenmeinung» häufig den Höhepunkt der Recherche darstellt, die sonst per copy/paste, skype und Google durchgeführt wird.

Was dem einen sein Uhl, ist dem anderen seine Nachtigall

Stellen wir eine hypothetische Frage. Was würde Tamedia wohl dazu sagen, wenn in der «Weltwoche» eine Verteidigungsschrift zum Risk Management der CS erschiene? Und sich herausstellen würde, dass der Autor zu den Lieferanten oder Mandatsträgern der CS gehörte? Ohne dass das dem Leser offengelegt würde? Genau, ein Riesengebrüll würde Tamedia erheben, vom Ende der journalistischen Sitten, gekauften Meinungen, von Leserbeschiss wäre die Rede.

Von Doppelspiel, Unredlichkeit und was einem sonst noch so an Beleidigungen einfällt. Womit Tamedia allerdings völlig recht hätte. Es ist im Fall Hermann allerdings so, dass auch die Credit Suisse zu seinen Auftraggebern gehört. Macht ja nix, darüber schreibt er nicht.

Zu seinen regelmässigen Auftraggebern gehören auch Ämter, die SRG, die Bundesverwaltung und – das BAG. Hermann nimmt hier also eine Behörde in Schutz, auf deren Honorarliste er oder seine Firma steht. Hermann äussert sich hier also positiv zu den Leistungen von Behörden und des Bundesrats, wobei staatliche oder halbstaatliche Institutionen den Grossteil seiner ausgewiesenen Brötchengeber ausmachen.

Immerhin zeigt er auf seiner Webseite Transparenz und führt stolz eine ganze Liste von aktuellen und vergangenen Projekten auf; jeweils mit Thema und Auftraggeber. Das diese Dienstleistungen, inklusive Meinungsumfragen, weder gratis erbracht werden, noch sehr billig sind, versteht sich von selbst.

Auszug aus der Kundenliste.

Wir wollen Hermann auch keinesfalls unterstellen, dass er eine Mietmeinung sei, so wie der Bankenprofessor Peter V. Kunz, bei dem man ein «Gutachten» bestellen kann, das nötige Kleingeld vorausgesetzt.

Wir wollen aber diese mangelnde Transparenz im Hause Tamedia mit angeblich eisernen Regeln und Transparenz, der Basis für das Vertrauen, das der Leser seinen Produkten entgegenbringen soll, scharf kritisieren.

Hermann nimmt Stellung, Tamedia nicht

Hermann nimmt die Möglichkeit wahr, Stellung zu beziehen: «Ich finde Ihre Fragen bezüglich meiner Aufträge durchaus legitim.» Psychologisch geschickter Einstieg;

«wenn der Massstab wäre, alle Akteure in meiner Kolumne zu deklarieren, bei denen ich  schon Aufträge hatte, müsste ich dies bei praktisch jeder tun».

Hier lässt er etwas nach, denn: warum nicht? Aber schon kommt er wieder hinten hoch: «Gerade die Tatsache, dass wir ein so breites Kundenfeld haben, führt zugleich dazu, dass wir gegenüber keinem Kunden in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen.»

Zudem sei das Hauptgeschäft Meinungsumfragen, keine strategische Beratung, zu der er sich in seiner Kolumne äussere. Immerhin, netter Versuch.

Tamedia hingegen ignorierte eine gleichlautende Anfrage; Arthur Rutishauser beauftragte nicht einmal die Medienstelle, per copy/paste zu schreiben: Diese Vorwürfe sind falsch.

Wieso überrascht das nicht?

 

 

 

 

https://sotomo.ch/site/projekte/