Das kann nur ein Inserat

Im gestrigen Tagblatt der Stadt Zürich wurde einem wieder einmal bewusst, was ein Inserat auslösen kann.

Das gestern Mittwoch erschienene «Tagblatt der Stadt Zürich» ist immerhin 68 Seiten dick. Davon sind gut 20 Seiten Inserate, dazu kommen mindesten sieben Seiten amtliche Nachrichten.  Kein schlechter Inserate-/Text-Mix. Vor allem nicht in Corona-Zeiten.

Polittext,Politwerbung?

Auffällig: Auf Seite 14 waren zwei Artikel platziert, die von Interessengruppen geschrieben oder zumindest in Auftrag gegeben wurden. Ziel: Sie sollen die Wählerschaft beeinflussen. Im konkreten Fall weibelt eine «Allianz Z für eine lebenswerte Stadtentwicklung» . Man sagt «NEIN zu den Verdichtungstechnokraten» . Auf gut Deutsch: Man ist gegen das geplante Fussballstadion und die beiden 137-Meter-Hochhäuser. Abstimmungstermin dieser Stadtzürcher Vorlage: 27. September. Soweit, so gut. Doch neben dem Text, layouterisch gesprochen mit einer hässlichen Treppe, ist ein Inserat für die nationale Begrenzungsinitiative platziert. Der Text dieses SVP-Vorhabens: «Zu viel ist zu viel! Seit der Einführung der Personenfreizügigkeit wurden Naturflächen im Umfang von 57000 Fussballfeldern zubetoniert» . Autsch. Man hat es sehen kommen. Die SVP scheint nun doch gegen das Stadionprojekt in Zürich zu sein. Dabei ist eigentlich eine breite Allianz von SVP, FDP und dem Stadtrat für die Überbauung. Doch im «Tagblatt» wird dem Leser suggeriert, dass das  «Umweltkomitee gegen die Zubetonierung der Schweiz» – der Inserateabsender –  aber ganz sicher gegen das «Monsterprojekt»  in Zürich-West ist.

PR-Text und Inserat. Das passt nicht immer.

Fazit: Das Setzen von Inseraten ist manchmal Glücksache. Dass es noch schlimmer geht, bewies die Landeszeitung Lüneburg 2006. Sie hatte neben einem Artikel über Auschwitz ein Inserat eines Energieversorgers platziert. Der Slogan: «Eon sorgt schon heute für das Gas von morgen.» Chefredaktor Christoph Steiner schrieb in der nächsten Ausgabe: «Die Verknüpfung des Themas Völkermord in Auschwitz mit einem in diesem Zusammenhang missverständlichen Werbeslogan des Unternehmens war weder beabsichtigt noch wurde sie achselzuckend ignoriert.» Die Redaktion entschuldige sich «für diesen bösen Fehler, durch den die Intention des Artikels unterlaufen wird, ein fast vergessenes, barbarisches Kapitel unserer Geschichte zu beleuchten». (Quelle: persoenlich.com)

Wie steht’s den mit der Deklaration dieser PR-Texte?

Zurück zum «Tagblatt der Stadt Zürich»: Die mit «Politforum» beschriftete Seite beinhaltet noch einen weiteren Text, über Tierquälerei wegen der Jagd. Der Absender hier: Der Schweizer Tierschutz. Jeweils oben rechts steht unauffällig der Begriff «Paid Post» . Erst auf der nächsten Seite wird in einem unauffälligen Kästli erklärt, worum es sich handelt. Es sei eine Möglichkeit des «Tagblatt» , Parteien und Organisationen ihre Anliegen (…) zu speziellen Konditionen zu präsentieren. «Die bezahlten Kolumnen/Artikel sind mit «Paid Post» gekennzeichnet.» RED.

Abwertung des redaktionellen Teils

Eine eher umständliche Art, darauf aufmerksam zu machen, dass es sich um politische Werbung handelt. Den Auftraggeber wird es freuen, die Redaktion wohl weniger. Denn solche Verschleierungen werten den redaktionellen Text einer Zeitung definitiv ab.

Aber wie heisst es so schön: Das kann nur ein Inserat.

 

Wer vertraut noch den Medien?

Sie betreiben Raubbau an ihrem wichtigsten Gut.

Print, online, mit Buchstaben, dem gesprochenen Wort oder dem Talking Head im TV: die Transportwege von Nachrichten sollten eines gemeinsam haben. Das A und O, die Grundlage für alles.

Ist das die knallige Formulierung, die fetzige Schlagzeile, die elegante Schreibe, der Unterhaltungsfaktor? Das kann alles helfen, um Publikum zu finden. Aber das ist alles nichts, wenn Vertrauen fehlt. Vertrauen heisst ganz banal, dass die überwiegende Mehrzahl der Konsumenten glaubt, dass die Information zutrifft. Nach bestem Wissen und Gewissen erstellt wurde.

Denn das meiste, was der Konsument an Informationen via Medien aufnimmt, lässt sich von ihm selbst nicht überprüfen. Gibt es Massendemonstrationen gegen den Machthaber Lukaschenko in Belarus? Hat Trump in seiner Rede vor dem Parteitag wieder ständig gelogen? Hat der Politiker X tatsächlich Y gesagt?

Vertrauen auf Berichte aus fernen Ländern

Da muss der Newsempfänger darauf vertrauen können, dass in fernen Weltgegenden sich wirklich das abspielt, was ihm erzählt wird. Dass Berichte vielleicht eine Tendenz haben, Ausdruck der politischen Position des Autors sind, oder der Generallinie seines Organs. Aber im Faktengerüst, in der Beschreibung objektiver Tatsachen der Realität entsprechen.

Wenn der Berichterstatter zum Beispiel vermeldet, dass gerade zum Zeitpunkt einer Freiluftrede ein Gewitter niederging, dann muss das auch so gewesen sein. Wenn er dann noch Interpretationen liefert, das sei ein böses Omen, der Redner werde von Pech verfolgt, dann kann er das tun; es ist seine Meinung.

Nun gibt es aber ein Thema, das jeden in seinem eigenen Seinszusammenhang betrifft. Und zwar massiv: die Pandemie. Die von ihr ausgelösten Restriktionen, die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Hochrisikogruppen, die historischen Vergleiche. Und schlichtweg die Zahlen. Darüber haben die Medien so zu berichten, dass das Publikum den Angaben vertraut.

Vertrauensmissbrauch bis auf null

Leider tun die Medien vieles, um dieses Vertrauen so lange zu missbrauchen, bis es schwindet. Nachdem die Schweizer Behörden – notabene viel zu spät – auf diese Pandemie reagierten, verwandelten sich eigentlich alle grossen Publikumsmedien in staatstragende Sprachrohre der Regierung und der Behörden.

Weil im heutigen Elendsjournalismus Abstraktes immer personalisiert werden muss, wurde ein unbeholfen formulierender BAG-Beamter kurz vor seiner Pensionierung zum «Mr. Corona». Der gesamte Bundesrat, vor allem aber der fachfremde Berufspolitiker und Gesundheitsminister Alain Berset, wurde zu einem Heldenseptett, das energisch, aber mit ruhiger Hand die Schweiz durch die Krise führt. Und Marcel Salathé wurde zum einzig relevanten Wissenschaftler für Corona-Fragen.

Kritik, hinterfragen, zweifeln, auf Widersprüche, Folgen, Schäden hinweisen? Nicht jetzt, ganz falscher Zeitpunkt, beschlossen eigentlich alle Medien. Davon haben sie sich langsam wieder erholt, vor allem der Mr. Corona musste erleben, dass es im Fahrstuhl eines Medienhypes nach oben geht – oder zwangsläufig auch wieder nach unten.

Unbelehrbare Medien

Das könnte man noch als lässliche Sünde sehen, man kann ja dazulernen. Unbelehrbar sind die Medien aber auf anderen Gebieten. Haben sie es endlich geschafft, Zahlen zu liefern, anhand derer der Newsempfänger sinnvolle Vergleiche anstellen kann? Nein. Die Zahl der positiv Getesteten in der Schweiz. Auf den Tag genau; 200, dann 350, dann wieder 225.

Schön, nur: Was soll das? Ohne Gewichtung der Anzahl Tests, die durchgeführt werden? Ist das viel oder wenig? Bezogen worauf? Kann man die Zahlen international vergleichen? Nein, dafür müssten sie pro eine Million Einwohner gerechnet werden.

Wenn es mehr Infizierte, aber weniger Tote gibt, woran liegt das? Sind jetzt endlich Hochrisikogruppen wie Alte mit Vorerkrankung besser geschützt? Wie steht es mit den Ferienrückkehrern aus sogenannten Risikogebieten? Werden die alle erfasst, wird die Einhaltung einer Quarantäne kontrolliert?

Wie ist es nun mit der Maskenpflicht? Nützt nichts, ist obligatorisch? Warum setzen einige Kantone ihre Einwohner dem angeblich hohen Risiko aus, ohne Maske einkaufen zu dürfen? Und in anderen werden solche Kunden aus dem Laden gewiesen?

Viele Fragen, kaum Antworten

Wie steht es mit den absehbaren wirtschaftlichen Folgen, in welches Desaster steuern wir? Macht es wirklich Sinn, alle Kritiker der staatlichen Massnahmen als «Corona-Leugner», Aluhutträger, Rechtsradikale, schlichtweg Halbschuhe zu beschimpfen? Und jeden einfach besorgten Bürger davor zu warnen, sich in eine solche Umgebung bei Demonstrationen zu begeben?

Schafft es Vertrauen, fast ausnahmslos den einzigen Fachexperten durchzureichen? Behörden und Regierungen tun schon genug, um die Bevölkerung langsam, aber sicher an der Weisheit ihrer Ratschlüsse zweifeln zu lassen, nur noch schwindendes Vertrauen in deren Weitsichtigkeit zu haben.

Wer misstraut, und tatsächlich kein Verschwörungstheoretiker ist, braucht Fakten, um sich seine Meinung zu bilden. Zahlen, Daten, Analysen, Informationen, die das ganze Spektrum der Betrachtungsweisen abbilden. Wieso machen sich die Medien nicht die kleine Mühe, Corona-Zahlen in verständliche und vergleichbare Werte umzurechnen?

Mainstream und Ausgrenzung

Wenn der völlig berechtigte Einwand formuliert wird, dass der Vergleich der Wochensterblichkeit in der Schweiz zwischen dem 1. Januar 2019 bis 1. September und dem gleichen Zeitraum 2020 ergibt: Kein Unterschied. Keine Übersterblichkeit. Beides im Band der statistisch zu erwartenden Zahlen. Mit der kleinen Ausnahme, dass es im April einen kurzzeitigen Ausreisser nach oben gab. Allerdings nur bei den Ü-65-Jährigen: ist das bereits Corona-Leugnung, fahrlässig, verantwortungslos? Oder warum wird bei allen Demonstrationen gegen die Restiktionspolitik die Anwesenheit von Rechtsradikalen, Verschwörungstheoretikern und anderen Irren ausführlich berichtet?

Einfach: weil’s weniger Mühe macht. Weil’s weniger Aufwand braucht. Weil man meint, mangels eigener Kompetenz, so auf der richtigen Seite zu stehen. Und das mit dem Vertrauen? Mit der Überlegung, dass man für sein Geld auch Leistung sehen will? Ach was, Vertrauen wird überschätzt, Leistung ist schwierig in diesen Zeiten. So stolpern die privaten Medien weiter Richtung Untergang.

Der schöne Godi

Wer schön sein darf und wer nicht.

Tennisspiele kommentieren kann ganz schön öde sein. TV-Experte Boris Becker streute kürzlich aus Träumerei einen verhängnisvollen Satz ein: «Wenn ich das auch mal erwähnen darf, eine ausgesprochen hübsche Schiedsrichterin.» Er meinte Tennis-Referee Marijana Veljovic, und er hatte objektiv gesehen recht. Trotzdem prasselte ein Schwall von Sexismus-Vorwürfen auf den Vierfachvater mit drei Frauen. Frau. Hübsch. Das geht gar nicht.

Unwort des Jahres: Grenzverletzungen

Szenenwechsel. Aline Wanner schreibt ein mehrseitiges Portrait über den gestrauchelten Chef der Reformierten Kirche der Schweiz, Gottfried «Godi» Locher. In ihrem Text in der NZZ-Samstagsausgabe vom 12. September stellt sie fest: «Er ist ein schöner Mann, ein begabter Redner, schnell im Kopf, überzeugend im Auftritt.» Dabei gibt Aline Wanner zu, dass Locher mit der NZZ nicht über die Hintergründe seines Rücktritts sprechen wollte. Fragen beantwortete er keine. Ein «kaltes» Portrait also, das Aline Wanner schreibt. Trotzdem scheint sie ziemlich beeindruckt vom 53-jährigen, verheirateten Dreifachvater. Mann. Schön. Begabt. Doch auch ihr gelingt nicht, das in fast jedem Medienbericht auftauchende Wort «Grenzverletzungen» gegenüber Frauen zu konkretisieren. Ist es Scham, Prüderie, reformiertes Denken? Grenzverletzung kann ein Lob über das Aussehen, ein Griff an den fremden Po, aber auch eine klassische Bettnummer sein. Doch niemand will konkret werden. Hat das rechtliche Gründe? Deckt Locher alle Kritiker mit Klagen ein? «Grenzverletzungen» scheint ein Kandidat zum Unwort des Jahres zu werden.

Auch geht Aline Wanner der Frage nicht nach, wie es denn der Familie von Gottfried Locher gehen könnte nach den vielen Seitensprüngen von «Godi». Eine Frage, die sich auch bei Geri Müllers sexuellem Aussetzer niemand fragte. Denn auch der damalige Badener Stadtammann pflegte eine aussereheliche Beziehung. Der Unterschied: Objektiv gesehen kann man bei Müller nicht von einem «schönen» Mann sprechen, im Gegensatz zu Locher.

Blick schiebt nach

Aline Wanner schliesst ihr Portrait mit der Feststellung: «Es bleibt eine teure Angelegenheit zwischen Anwälten und PR-Beratern, die versuchen werden, die Mitglieder der Kirche, Journalisten und schliesslich die Öffentlichkeit von ihrer Wahrheit zu überzeugen.» Wie teuer, hat Wanner nicht herausgefunden. Das schiebt Blick-Politik-Chefin Sermin Faki am Montag nach. An der Synode in Bern sei bekannt geworden, dass die «Aufarbeitung des Locherskandals teuer» werde. Allein für die Untersuchung seien 170’000 Franken veranschlagt, der Grossteil davon für Honorare der beauftragten Anwälte. Dass somit Steuergelder verbrannt werden, steht nicht im Bericht. Dem schönen Godi dürfte es egal sein.

P.S. Aline Wanner ist übrigens nicht die Tochter von Peter Wanner, wie Roger Köppel irrtümlich mal schrieb. Aline Wanner arbeitete bis vor kurzem beim Schweizteil der «Zeit» und seither beim NZZ-Folio. Weil dieses nur noch alle zwei Monate erscheint, springt Wanner auch bei der NZZ und bei der NZZ am Sonntag – dort mit einer Medienkolumne – ein.

Die Mär vom linken Tagi

Die politischen Ausrichtungen der Zürcher Platzhirsche «Tages-Anzeiger» und «NZZ» gleichen sich immer mehr an. Der Streit ums neue Hardturmstadion zeigt dies exemplarisch.

Die Fronten in der öffentlichen Wahrnehmung sind seit Jahrzenten klar. NZZ rechts, Tagi links. Dabei sind es oft Schlüsselerlebnisse, die zur persönlichen Meinungsbildung beitragen. Ältere Semester erinnern sich wohl an den Inserateboykott der Autoimporteure gegen den Tages-Anzeiger. Grund des Boykotts: Damals, Ende 1979, zeigte der Tages-Anzeiger recht unaufgeregt auf, welcher National- und Ständerat mit welchem Verband verbandelt ist. Seither ist der Tagi für viele Leser, oder besser gesagt, Nicht-Leser, links. Dem gegenüber ist die NZZ seit ewig für die Armee, wirtschaftsfreundlich und für die freie Fahrt. Während die Stossrichtung der NZZ in den letzten Jahren und unter Eric Guyer («Nach der Coronakrise braucht es weniger Staat», 17.4.2020) eher noch libertärer geworden ist, ist die Lage beim Tagi vordergründig undurchsichtig. Wobei: Ausnahmen bestätigen die Regel. Nimmt man Komiker Marco Rima als Massstab, ist der Tagi so unglaubwürdig – sprich links – geworden, dass er ihn abbestellt hat, im Gegensatz zur NZZ. So jedenfalls moserte Rima unwidersprochen bei Roger Schawinski im Doppelpunkt auf Radio 1.

Bedienung des bisher eher bürgerlichen Klientels

Spass beiseite: Wenn es nicht gerade um das Abschiessen des Geschäftsmanns Jean-Claude Bastos geht, ist der Tages-Anzeiger ganz schön bürgerlich geworden. Einerseits passiert das durch den regen einseitigen Austausch mit der «Süddeutschen», sprich, man übernimmt gerne welterklärende Texte aus München. Andererseits sieht man sich gezwungen, das bisher von eigenen Redaktionen bediente Klientel von Berner Zeitung, Basler Zeitung, Zürichsee Zeitung und Landbote durch politisch gemittete Texte der Zentralredaktion abzuholen. Dafür spricht eine aktuelle Untersuchung des Forschungszentrums fög der Uni Zürich. Diese zeigt, dass sich die Anzahl gleicher Texte in den Verbundzeitungen verdoppelt hat, auf gut 21 Prozent. In der Berichterstattung über die nationale Politik stieg der Wert gar von 21 Prozent (2017) auf 41 Prozent (2019).

Gegen die Abstimmungsempfehlungen von SP, Grüne und AL

Linkstendenzen, Rechtstendenzen? Sind das nicht nur subjektive Einschätzungen? Ein schönes Fallbeispiel ist der Leitartikel «Zürich braucht ein Fussballstadion» im Tagi vom Samstag. Darin lobt Pascal Unternährer das Projekt über den Klee und empfiehlt ein Ja –  gegen die Abstimmungsempfehlung von SP, Grüne und AL. AL, das ist eine eher linksaussen operierende Partei in Zürich, die aber mit Richard Wolff einen Vertreter in der Exekutive hat.

Dieser erwähnte unausgewogene Artikel («Es entstehen ein spielfeldgrosser Rasen, begrünte Dächer und weitere Grünräume») ist darum spannend, weil er wie bestellt erscheint. Denn hinter der Pro-Kampagne steht KMES. Die renommierte PR-Agentur mit Sitz beim Paradeplatz orchestriert den Abstimmungskampf. Partner des Büros ist etwa der smarte Hans Klaus (ex-Fifa, ex-Sprecher von Ruth-Metzler Arnold). Mit dabei auch Markus Spillmann. Der ehemalige Chefredaktor der NZZ und heutige Präsident des Stiftungsrates des Schweizerischen Presserates mischt beim umstrittenen Abstimmungskampf ebenfalls mit und scheut sich nicht, kritische Journalisten persönlich zu kontaktieren. Spillmann ist ein Journalist, der die Fronten gewechselt hat und heute im PR-Business seine Brötchen verdient. Dass er im Nebenjob Presseratspräsident ist, ist eine schräge, aber andere Geschichte. Nun geht’s mal darum, ein Ja zum Hardturm-Projekt am 27. September durchzuboxen. Dank positiven Artikeln im «linken» Tages-Anzeiger.

Roger Schawinski im Corona-Stress

Der begnadete Talker Roger Schawinski zeigt Abnutzungserscheinungen. Doch wer soll folgen? Dillier, Hug oder Eisenring?

Seit gefühlt 40 Jahren macht Roger Schawinski seinen Doppelpunkt. Also das legendäre Radio-Interview immer am Sonntag um 11 Uhr. Nun hat es seine Sendung zum ersten Mal gross in den Tages-Anzeiger geschafft. Auf die Kehrseite. Promis, Sex & Crime. Der Grund heisst Corona und Marco Rimas fragwürdige Meinungen dazu.

Andreas Tobler schrieb dazu eine für die Kehrseite eher längliche, aber durchaus lesenswerte Medienkritik. Marco Rima liess sich von Roger Schawinski im Doppelpunkt eine Stunde lang grillieren. Der Spasssvogel mit beachtlicher Karriere in der Schweiz und in Deutschland verlor dabei nie die Contenance, im Gegensatz zu Roger Schawinski. Beim Thema Krebsdiagnose etwa zeuselte Schawinski: «Und? Würdest Du nicht ins Spital gehen und auf Selbstheilung hoffen?»

Gehört Rima zu den Corona-Leugnern?

Rima mache Terror wegen fehlenden Auftritten. Stossrichtung von Schawinskis Trommelfeuer: Rima sei frustriert und gehöre nach seinen beiden geposteteten Videofilmen über seine absolut schrägen Corona-Ansichten zu den Coronaleugnern, zu den Staatskritikern, zu den Rechtsxtremen. Marco Rima konterte immer wieder, er sei einfach ehrlich und wisse zu wenig über Corona, wie auch der Bundesrat und der Staat allgemein. Die Einschränkungen für die Einwohnerinnen und Einwohner, aber auch etwa für Künstler, seien zu rigide.

«Sterben müssen wir sowieso», findet Rima. Zugegeben: Der 59-Jährige ist eine Person mit grosser Fangemeinde. Wenn er etwas sagt, wird das aufgesogen wie Milch und Honig. Da wäre etwas mehr Besonnenheit angebracht. Aber wie Roger Schawinski ihn in die rechte Ecke drängen und immer wieder mit eigenem «Expertenwissen» auftrumpfen wollte, ist irgendwie noch unglaubwürdiger.

Schlimmer geht immer

Doch es geht noch schlimmer: Schawinski hat während des Corona-Lockdown mit seinem täglichen Coronatalk (10-12 Uhr) überhaupt nicht für Klarheit gesorgt. Oft ging ein solcher Corona-Blödsinn über den Sender, dass die Verunsicherung nur noch grösser wurde. Denn Schawinski liess in der Live-Sendung fast jede noch so krude Ansicht durch. Ein bisschen wie das abgesetzte Nachtwach mit Barbara Bührer, nur viel politischer. Roger Schawinski, der Gründer von Radio 24 und Radio 1 ist so von sich überzeugt, dass er meint, seine Argumente würden immer stechen. Der intelligente Zuhörer könne schon zwischen Gut und Böse unterscheiden.

Doch das stimmt nicht. Schawinskis grösster Fehler war vor Jahren, Roger Köppel jeden Montag in sein «Roger gegen Roger» einzuladen. Dank diesem «Trainingslager» bekam Köppel bessere Eloquenz und eine ideale Plattform, um seine üblen Ansichten zu verbreiten. Dass seit dem Abgang von Köppel Markus Somm im Radio-1-Studio sitzt, macht das Ganze keinen Deut besser. Somm erzählt ähnlich destruktiven Blödsinn einfach eine Oktave höher.

Wo bleibt der Talk-Nachwuchs?

Zeigt Roger Schawinski langsam Abnutzungserscheinungen? Ich meine Ja. Schawinski bringt in seinen Talks immer spürbarer seine eigene Meinung rein und lässt sein Gegenüber immer weniger zu Wort kommen. Am liebsten lässt er eigene Anekdoten aus seinem sicher sehr interessanten Leben Revue passieren. Es wäre also am Besten, er würde abtreten, solange es noch nicht peinlich ist. Denn besser wird der 75-Jährige nicht. Das Problem dabei: Schawinski ist und bleibt immer noch der beste harte Interviewer der Schweiz. Sind Nachfolger in Sicht? Radio-1-intern nicht. Jan Vontobel hat entnervt zu SRF gewechselt. Vorher schon gingen Iwan Santoro und Sandro Brotz.

Und sonst in der Radiolandschaft? Ein Dominic Dillier etwa auf SRF3, eine üble Schnarchtüte. Hannes Hug: viel zu selbstverliebt. Viktor Giaccobbo mit seinem Radio-24-Talk? Völlig belanglos und erschreckend unvorbereitet. Und Yvonne Eisenrings «Wahrheit, Wein und Eisenring: Das ehrlichste Gesprächsformat der Schweiz»? Das ist leider eingeschlafen. Schade. Wo bleibt nur der Talk-Nachwuchs?

Für jüngere Leserinnen und Leser: Roger Schawinski (* 11. Juni 1945 in Zürich) hat den Kassensturz des Schweizer Fernsehens, Radio 24, TeleZüri und Radio 1 gegründet. Von 2003 bis 2006 war er Geschäftsführer von Sat.1. Er hat viele Bücher geschrieben, seine jüngsten Werke sind «Verschwörung! Die fanatische Jagd nach dem Bösen in der Welt» und «Die Schawinski-Methode. Erfolgsrezepte eines Pioniers.»

Es ist nie an der Zeit für persönliche Rachefeldzüge

Und schon gibt’s Zoff bei ZACKBUM.CH.  Jenny Furer kritisiert René Zeyer ganz schön hart.

Als Zackbum gestartet ist, habe ich mich gefreut. Ehrlich und aufrichtig. Ein Online-Medium, hinter dem keine Geldgeber stecken und das unverblümt die Schweizer Medienbranche ins Fadenkreuz nimmt. So etwas braucht die Schweiz. Schliesslich sollen Verlegerinnen und Verleger sowie Journalistinnen und Journalisten nicht schalten und walten, wie sie wollen.

Als meinungsbildende und demokratierelevante Institutionen gehören sie konstruktiver Kritik ausgesetzt. Wo wir beim Punkt wären. Konstruktiv bedeutet eben nicht, dass persönliche Empfindungen und Sympathien die Basis bilden, um zu Frontalangriffen auszuholen. Womit wir bei unserem Autor René Zeyer sind.

René Zeyer ist zweifelsohne ein begnadeter Schreiberling mit langjähriger Erfahrung in der Medienbranche. Seine Talente lässt er aber missen, wenn er alleine bis Anfang September zehn Mal gegen Pascal Hollenstein, Leiter Publizistik bei «CH Media», ausholt oder wieder einmal im Stil einer persönlichen Abrechnung gegen Andreas Tobler von Tamedia oder Simone Meier von «Watson» wettert. Oder die «Weltwoche», in der er selber schreibt, unkritisch bejubelt.

Es geht in keinster Weise darum, dass Zeyer sich nicht das Recht herausnehmen darf und soll, seine Ansichten zu verbreiten. Meinungen beleben die Debatte. Aber wie heisst es so schön: der Ton macht die Musik. Und in Zeyers Fall eben auch die richtige Dosis.

Wer so häufig auf die gleichen Zielscheiben schiesst, verliert seine Glaubwürdigkeit. Durchaus berechtigte Kritik kann so schnell einmal dem Gefühl weichen, es handle sich um einen persönlichen Rachefeldzug alleine aufgrund nicht vorhandener Sympathien.

Kritik an Journalistinnen und Journalisten verliert so an Glaubwürdigkeit. Sie wird nicht mehr als wichtiges Instrument zur Überwachung der vierten Gewalt angesehen, sondern als Streiterei und Stichelei unter der schreibenden Zunft.

Glaubwürdig ist, wer konstruktiv austeilt – und zwar dort, wo ausgeteilt werden muss und dann, wenn ein Schlag in die Magengrube des Kontrahenten angezeigt ist. Es ist nur fair, um bei der Metapher des Boxkampfes zu bleiben, wenn nicht nur und durchgehend auf den gleichen Gegner eingehämmert wird. Das verstösst nicht nur gegen die Regeln, sondern disqualifiziert den Austeilenden beim Publikum selbst. Er ist es dann, der als unkontrollierbarer Aggressor wahrgenommen wird.

Ein konstruktiver Kritiker darf durchaus seine politische Gesinnung zum Ausdruck bringen, muss es aber nicht und vor allem nicht permanent. Wer nämlich letzteres tut, läuft Gefahr, jegliche Kritik auf Basis politischer Sympathien vorzunehmen. Das raubt dem berechtigten Anliegen seine Legitimation.

Natürlich könnte man mir vorwerfen, dass es auch von mir unfair ist, mit meiner Kritik auf René Zeyer zu spielen. Doch das Versprechen von ZACKBUM.ch ist es schliesslich, «hart auszuteilen und problemlos einzustecken». Dass dieser Text auf dieser Plattform erscheinen darf, beweist immerhin: Die Macher rund um Zeyer haben auch Nehmerqualitäten.

Jenny Furer schreibt unregelmässig für ZACKBUM.CH. Die 25-Jährige arbeitet seit März 2020 als Reporterin beim News-Team von «Bluewin». Sie ist als Berichterstatterin an den Zürcher Gerichten, am Bundesstrafgericht, am Bundesgerichten, sowie an den Gerichten Luzern, Bern, Thurgau und St. Gallen akkreditiert. Vor Bluewin arbeitete sie unter anderem bei «20 Minuten» und den Zürcher Oberländer Medien.

Packungsbeilage: Die ZACKBUM-Redaktion hat diesen Meinungstext eine Weinflasche lang diskutiert. Und im Sinne von «Wer austeilt, muss auch einstecken»,  einstimmig freigegeben. René Zeyer zeigt damit eine seiner weiteren Stärken – nämlich Gelassenheit. Trotzdem und nach Richtlinie 3.8 des Journalistenkodex (Anhörung bei schweren Vorwürfen) hier die (verkürzte) Stellungname des Kritisierten. René Zeyer legt Wert darauf, dass er Hollenstein bisher lediglich 7 mal erwähnt habe. «Jeweils begründet durch ein klar argumentiertes Fehlverhalten».  Und dass an der Abrechnung mit Andreas Tobler etwas persönlich sein soll, stellt Zeyer ebenfalls in Frage. «Stimmt ein einziger meiner Vorwürfe nicht? Hatte er keine Gelegenheit, etwas darauf zu erwidern?», so Zeyer. Und wenn Simone Meier schreibe, Hitler hätte die Juden gecancelt? Das ist für Zeyer definitiv keine persönliche Abrechnung, sie aufs schärfste dafür zu kritisieren.  Und schliesslich «Weltwoche» unkritisch bejubelt. «Das ist reiner Schwachsinn, in meiner dreiteiligen Serie über die Berichterstatttung zum Skandal an der Herzklinik Zürich habe ich Christoph Mörgeli (und mit ihm die WeWo) kräftig abgewatscht. Und wenn das Blatt in diesen Zeiten einen 12-seitigen Kulturteil unter fachkundiger Leitung aus dem Boden stampft, dann verdient das höchstes Lob.»  Ende der Durchsage.

Tagblatt: «Was würden Sie vorschlagen?»

Das «Tagblatt der Stadt Zürich» ist die älteste Zeitung der Schweiz. 290 Jahre. Das Tagblatt hat einen guten Mix zwischen amtlichen Mitteilungen und eigenproduzierten Geschichten. Für Lokaljournalisten in der Stadt sind die Meldungen über Liquidationen, Baugenehmigungen und Todesanzeigen Pflichtlektüre.

Im Tagblatt wimmelt es von Kolumnistinnen und Kolumnisten. Sie verdienen kleine Brötchen. Mit Freizeitkolumnisten hat man fast immer Probleme: sie schreiben schlecht, liefern zu spät und werden ranzig, wenn man ihre Texte kürzen muss.

Bei der Kolumne «Die Angelones» kommt noch ein weiteres Problem auf, das leider auch für andere Kolumnisten gilt: Sie machen Werbung für Produkte, und niemand ahnt etwas davon.
Auf ihrer Facebook-Seite schreibt Rita Angelone zum Beispiel einen herzigen Werbetext für die «tolle ZVV-Freizeit-App». Sie deklariert den Text auch schön brav mit «Bezahlte Partnerschaft» .

Ein paar Tage jauchzte sie in ihrer Tagblatt-Kolumne über die witzige App mit den tollen Preisen. Dass sie Geld für ihre Partnerschaft mit der ZVV erhält, erfahren die 110‘000 Leserinnen und Leser des Tagblatts nicht. ZACKBUM.ch wollte von der Chefredaktorin Lucia Eppmann mehr über die Hintergründe erfahren. Die E-Mail blieb unbeantwortet. Dafür reagierte Rita Angelone:

Ihre Rückmeldung ist für mich und für das Tagblatt sehr wichtig. (…) Vielleicht haben Sie auch eine Idee oder einen Vorschlag, wie man solche Fälle besser und klarer angeht? Solche Themen gar nicht mehr weiter behandeln? Oder mit einem Vermerk? Was würden Sie vorschlagen?

Vier naive Fragen, eine klare Antwort: «Die Leser sollen einfach nicht verarscht werden.»

Mal auf die Kacke hauen

Passt gar nicht zur NZZ. Tut sie aber.

Man merkt eher schnell, dass Rainer Stadler sich von der NZZ und deren Medienseite verabschiedet hat. Denn nun wird auch schon mal geholzt.

Am 29. August erscheint eine Schadensbilanz, wie die Pandemie unter den Gratis-Blättern gewütet habe. Im Fokus steht «20 Minuten», und da wollen die Autoren gehört haben: «Gemäss Informationen der NZZ gibt es Pläne, die Printausgabe von «20 Minuten» im nächsten Jahr einzustellen.»

Dann wird der Verlagschef zitiert, der das vehement bestreitet. Schliesslich nähert sich die NZZ dem eigentlichen Thema: Sollen auch Gratis-Medien, ob online oder im Print, ebenfalls Subventionen erhalten? Überraschenderweise fände das die Bezahl-Zeitung NZZ nicht so toll.

Der Verlagschef ist nachhaltig sauer

Aber offensichtlich war der Verlagschef von «20 Minuten», Marcel Kohler, anhaltend sauer und auf hundert. Denn er legte in einem Interview mit persoenlich.com am 1. September nach: «Unseriös und geschäftsschädigend» sei das, was die beiden Autoren da gemacht hätten. Man habe sie mehrfach darauf hingewiesen, dass «das Gerücht jeder Grundlage entbehrt. Sie haben es wider besseres Wissen trotzdem behauptet.»

Zudem seien diverse Zahlen falsch, nur eine korrigiert worden. Und überhaupt, man überlege sich rechtliche Schritte. Damit kann man das Tischtuch zwischen NZZ und «20 Minuten» als zerschnitten betrachten.

Kohler wirft der alten Tante nicht weniger vor, als dass sie einfach mal auf die Kacke haue, ein Dementi korrekt in den Artikel einbaue, aber natürlich dennoch das Gerücht in Umlauf brachte. Und Gerüchte kleben bekanntlich an der Realität wie UHU.

Nachfragen bei den Streitparteien

Was meinen die Streitparteien, nachdem sich die erste Aufregung vielleicht gelegt hat? «Unsere Quellen sind verlässlich, und die im Artikel genannten Zahlen stimmen», antworten Lucien Scherrer und Reto Stauffacher, die beiden Autoren des Artikels «So hart trifft die Corona-Krise die Gratismedien» (hinter Bezahlschranke). Eine eher allgemeine Aussage auf konkrete Fragen.

Eigenes Fehlverhalten können sie nicht erkennen: «Selbstverständlich haben wir Herrn Kohler die Möglichkeit gegeben, seine offizielle Sicht zu Protokoll zu geben. Das ist seriöser, also differenzierter und transparenter Journalismus.» Ende der Durchsage, schreiben sie abschliessend.

Mit Verlaub, transparenter Journalismus sieht für mich etwas durchsichtiger aus. Und hat sich der Blutdruck bei Kohler inzwischen wieder normalisiert? Die Nachfrage ergibt; nicht wirklich. Zunächst echauffiert er sich darüber, dass die NZZ ein Gerücht als Fakt darstelle, also es wird über die Einstellung nachgedacht. Indikativ, kein Konjunktiv.

Geschickte Analogie

Dann verwendet er psychologisch geschickt eine Analogie: «Das blosse Erwähnen eines Dementi reicht für die Kolportage solcher schwerwiegender Unterstellungen nicht aus. Ein Beispiel: «20 Minuten» könnte auch einfach schreiben, zackbum.ch sei zu 100 Prozent von Christoph Blocher finanziert. René Zeyer dementiere das zwar vehement, aber Personen aus seinem Umfeld bestätigten entsprechende Informationen von «20 Minuten».»

Zudem bemängelt Kohler die Verwendung falscher Zahlen, die auch nach Aufforderung nicht korrigiert worden seien. Aber wozu das Ganze? Auch dazu hat Kohler eine Theorie; er vermutet, «dass der Urheber dieser falschen Behauptung zu jenen Leuten gehört, die «20 Minuten» den Untergang des Journalismus zuschreiben und sich nun diebisch freuen, dass die Coronakrise 20 Minuten auch trifft.»

Nun, der ehemalige Online-Chef von «20 Minuten», Hansi Voigt, prognostizierte schon nach seinem Abgang 2013, dass es die Printausgabe nur noch vier Jahre geben werde, also bis 2017. Immerhin hat sie offensichtlich auch das überlebt.

 

Packungsbeilage: René Zeyer publiziert gelegentlich in der NZZ.

Anschlag auf die Pressefreiheit

Will Spiess-Hegglin eine Fanfare erschallen lassen, ist Pascal Hollenstein immer zur Stelle.

Man sollte natürlich die dritte und vierte Gewalt im Staate respektieren. Ausser, die Justiz greift die Pressefreiheit an, und ein publizistischer Leiter findet das toll.

Worum geht’s? Wie am Freitag bekannt gemacht wurde, hat das Zuger Kantonsgericht den Inhalt einer superprovisorischen Verfügung gegen die Tamedia-Journalistin Michèle Binswanger bestätigt.

In dieser Verfügung wurde Binswanger untersagt, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, daher im Wortlaut:

«Ein Buch, einen Artikel oder eine andersartige Veröffentlichung zu publizieren, zu verkaufen oder zu vertreiben (lassen), in dem bzw. in der Handlungen der Gesuchstellerin anlässlich der Zuger Landammann-Feier vom 20. Dezember 2014

a) in Bezug auf M. H. (in der Verfügung ist sein voller Name erwähnt, Anm. R.Z.),

b) in Bezug auf andere an der Feier anwesenden Männer,

c) in Bezug auf das Mass des Alkoholkonsums der Gesuchstellerin und

d) in Bezug auf das Sexualverhalten der Gesuchstellerin thematisiert werden oder Spekulationen diesbezüglich geäussert werden.»

Aber hallo, da gibt es doch sicher schon einen Raubdruck dieses Werks? Und was stehen da für saftige Details in Bezug auf M. H., andere Männer, den Alkoholspiegel von Spiess-Hegglin oder ihr Sexualverhalten drin? Lechz, hechel.

Ein Geisterurteil gegen Nicht-Existentes

Aber nein, Entwarnung, es handelt sich hierbei um ein Projekt. Also etwas, das noch gar nicht geschrieben ist, weder dem Gericht noch sonst jemandem vorliegt. Eine superprovisorische Verfügung wird ohne Anhörung der Gegenseite erlassen. Wenn nur so ein unmittelbar drohender, schwerer Nachteil abgewendet werden kann.

Das war schon ein kühner Schritt in juristisches Neuland. Nun aber erhebt das Kantonsgericht diesen Schlag mitten in die Fresse der Pressefreiheit zum Urteil. Eigentlich unvorstellbar. Ein «Geisterurteil» nannte Kurt. W. Zimmermann schon die Superprovisorische. Nun wurde sie vom Kantonsgericht bestätigt.

Eine weitere Perversion des Rechts. Die Wiedereinführung der inquisitorischen Gedankenpolizei, die bereits mögliche zukünftige Rechtsbrüche ahndet, bevor sie geschehen. Als wäre der Science-Fiction-Knaller «Minority Report» Wirklichkeit geworden.

Hört man allenthalben Protestgeschrei?

Dagegen erhebt sich sicherlich lauter Protest in allen Medien, die unabhängig von ihrer Einstellung gegenüber Binswanger oder Spiess-Hegglin im Kampf gegen diesen präventiven Übergriff auf die Pressefreiheit eine Einheitsfront bilden?

Weil dieses Urteil im Klartext bedeutet: Wir buchten Sie mal für fünf Jahre ein. Denn wir haben Anlass zur Befürchtung, dass Sie einen Banküberfall planen könnten. Darüber haben Sie ja schon mal nachgedacht. Wer würde da nicht auf die Barrikaden gehen?

Nun, schon mal alle Medien nicht, die nicht einmal das letzte Urteil im Fall Spiess-Hegglin richtig lesen konnten. Und von einem «Sieg» für die Dame schwafelten, obwohl das Zuger Obergericht auch für Laien verständlich urteilte: «Das Obergericht weist die Berufung von Jolanda Spiess-Hegglin vollumfänglich ab.» Das ist eine vollumfängliche Niederlage, kein Sieg. Aber eben, lesen sollte man können.

Was sagt denn Tamedia dazu?

«Das Urteil des Zuger Kantonsgerichts verbietet einer Journalistin von Vornherein über ein Thema zu schreiben, das breit in der Öffentlichkeit diskutiert wurde und zu dem weit über 1’000 Artikel veröffentlicht wurden. Eine derart weitgehende Einschränkung der Medienfreiheit ist höchst bedenklich. Tamedia wird das Urteil anfechten.»

Pascal Hollenstein reitet mal wieder

Überraschungsfrei reagiert der publizistische Leiter in der Akklamationsberichterstattung, Spiess-Hegglins Büttel Pascal Hollenstein. Er begrüsst das Urteil, das ihm – von wem wohl – zugesteckt wurde: «Es sei, so das Gericht, «glaubhaft erstellt, dass Spiess-Hegglin eine ungerechtfertigte, potenziell besonders schwere Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte fürchtet und ihr aus dieser drohenden Verletzung ein nicht leicht wieder gutzumachender Nachteil droht.»»

Seinen Bericht schmückt Hollenstein mit einer für Binswanger unvorteilhaften Illustration als «Tagi-Postergirl» aus, während Spiess-Hegglin exklusiv flöten darf: «Die Verteidigung meiner Rechte in dieser Sache hat mich die letzten Monate enorm absorbiert. Nun bin ich erleichtert.» Hollenstein zeigt schon im Titel wieder mal, dass er von Juristerei schlichtweg keine Ahnung hat: «Gericht verbietet «Tages-Anzeiger»-Journalistin Buch-Publikation», behauptet er forsch.

Werden schon ungeschriebene Bücher verboten?

Das hätten seine Quelle und er wohl gerne, aber das ist natürlich Quatsch. Es sind Binswanger vorläufig die vier Themenbereiche verboten, die in der superprovisorischen Verfügung eingefordert wurden. Was nun passiert: Die Anwältin von Spiess-Hegglin darf eine neue Honorarnote schreiben und muss für die Hauptverhandlung begründen, wieso diese Massnahme richtig sei. Tut sie das in einer engen Frist nicht, entfällt nämlich die Superprovisorische. Aber was interessieren solche Details einen einäugigen und parteiischen publizistischen Leiter.

Dann wird noch lobend erwähnt, dass im Verein «#NetzCourage» diverse wichtige Projekte anstünden, «mit denen wir nachhaltig sehr Gutes für die Gesellschaft tun werden», schaut Spiess-Hegglin in Zukunft. Während Binswanger, die sich als «Jeanne d’Arc der Pressefreiheit» bezeichne, das Urteil anfechten werde.

Die eine tut nachhaltig Gutes, die andere will weiter streiten. So die Message von Hollenstein. Dabei ist es so: Wenn dieses Geisterurteil Bestand haben sollte, ist einer Vermutungsjustiz Tür und Tor geöffnet, kann jedes Medienorgan, jeder Journalist damit eingeschüchtert werden, dass durch einen auch nur geplanten oder angedachten Artikel ganz sicher ein schwerer Nachteil für jemanden entstehen könne und der daher präventiv zu verbieten sei.

Hält das Urteil, ist das nichts weniger als das Ende der Pressefreiheit

Für ein solches Verbot würde schon ausreichen, dass der Journalist sich mit Fragen an das potenzielle Objekt oder dessen Umfeld seiner Berichterstattung wendet, dabei eine Recherche erwähnt und sich vielleicht schon früher mal kritisch über diese Person oder Firma geäussert hat.

Das wäre das Ende der Pressefreiheit, wie wir sie bislang in der Schweiz kennen. Dass Spiess-Hegglin das egal ist, sei dahingestellt. Dass ein publizistischer Leiter des wichtigsten Konzerns im Bereich Tageszeitungen das toll findet, ist so ungeheuerlich wie das Urteil selbst.

Ex-Press IV

Blasen aus dem Mediensumpf: Schnelle Nummern im schnellen Journalismus.

 

«Blick» ist nicht so dabei

Wo erfährt man, dass der BLS-Chef zurückgetreten ist? Na, in einer Meldung im «Blick». Wo erfährt man, was BLS ist? Na, in Google. Oder hätten Sie’s gewusst?

Wo wird Donald Trump zwischen Lead und Lauftext ein Jahr älter? Richtig, im «Blick»: «Donald Trump (73) strebt eine zweite Amtszeit an.» Da altert man schnell: «US-Präsident Donald Trump (74) hat Briefwähler bei der Wahl im November zum Versuch ermutigt, zusätzlich auch im Wahllokal abzustimmen, und damit für einen Eklat gesorgt.» Wettbewerb folgt; welche Altersangabe ist richtig? Schicken Sie ein SMS an #Orangeman.

Haben Sie’s gemerkt? Der «Blick» schmückt sich online mit einem Schweizerkreuz als i-Punkt. Und die Ressorts heissen «Nöis, Schport, Meinig». Ein Bekenntnis zu Volk und Heimat, ein Signal für die SVP-Initiative?

Zum Thema getragen

«Knall bei der Praxiskette «Mein Arzt»», vermeldet die «Aargauer Zeitung» aus dem Hause CH Media. Unglaublich, wie lange es dauert, bis bei diesem Blatt das Geräusch einer Explosion ankommt. Schon im Juni hatte die «Rundschau» über üble Zustände bei «meinarzt» berichtet. Auch der «Reussbote» berichtete bereits am 1. September darüber. Und, mit Verlaub, am 3. September ZACKBUM.ch. Genügend Anlass für CH Media, sich endlich mal in Bewegung zu setzen. Am Abend des 3. und am 4. September.

Immerhin, zunächst vermeldete die AZ: «Die Patienten der «MeinArzt»-Praxis in Niederrohrdorf standen Anfang Woche plötzlich vor verschlossenen Türen. «Der Arzt ist einfach weg», schreibt eine Leserin der AZ.» Ob diese Leserin wohl den Nachnamen Reuss-Bote trägt?

Aber nun zeigt die AZ sicher mal, was eine Qualitätszeitung im Vergleich zu einem Lokalblatt kann. Vor allem, wenn sich gleich zwei Redaktoren auf Recherche begeben. Hintergründe, Informationen über das Management von «meinarzt», Blick ins Betreibungsregister, gar Recherche am Hauptquartier? Ach nein, man ist glücklich, einen gesprächsbereiten betroffenen Arzt aufgetan zu haben. Alles andere würde doch in stressigen Aufwand ausarten.

Schwester, ein Tupfer bitte

Der «Tages-Anzeiger» begleitet schon länger das Schlamassel an der Herzklinik des Unispitals Zürich. Nun ist der ehemalige Leiter von beurlaubt über amtsenthoben zum Abgang «im gegenseitigen Einverständnis» durchgereicht worden. Der Whistleblower, der den Fall ins Rollen brachte, wehrt sich gegen seine neuerliche Entlassung. Gute Gelegenheit, mal mit dem Präsidenten des Spitalrats, des Kontrollgremiums über das Skandal-Spital, ein hartes Interview zu führen.

Nun ja. Die härteste Frage lautet: «Sie haben sich also einvernehmlich getrennt, zahlen ihm eine Abfindung, und sonst heisst es: Schwamm drüber.» Martin Waser, zwar völlig unbeleckt von medizinischen Kenntnissen, aber Berufspolitiker und Ex-Stadtrat, weiss, wie man mit frechen Fragen umgeht: «Das stimmt nicht.» – «Das ist eine Unterstellung.» – «Nein, das ist falsch. Der Waser ist nicht erpressbar.» – «Dazu kann ich nichts sagen.»

Immerhin wagen sich die beiden Interviewer sogar an die Frage, ob Waser und der Spitaldirektor Gregor Zünd nicht zurücktreten sollten. «Hätte es geholfen?», fragt Waser zurück, und damit ist er weitgehend unverletzt durchs Wattebausch-Interview gekommen.

Schwester, nochmal abtupfen

Auch die NZZ wagte sich an ein Interview mit Martin Waser. Inhalt? Siehe oben. Immerhin entlockt sie Waser ein titelfähiges Zitat: «Es brauchte einen klaren Schnitt». Auch hier kann Waser ungestraft um unangenehme Fragen herumrudern. Komme die Trennung von Prof. Maisano nicht einer Vorverurteilung gleich, da die Ergebnisse der Untersuchung gegen ihn noch gar nicht vorliegen? «Nein, absolut nicht», darf sich Berufspolitiker Waser einer Antwort entziehen.

Auch im Fall des Whistleblowers, der den Fall ins Rollen brachte, entlassen wurde, wieder eingestellt wurde und nun neuerlich entlassen wird, kann sich Waser in einen Stossseufzer flüchten: «… und das fliegt uns jetzt um die Ohren.» An die naheliegende Frage, ob es nach dermassen vielen Skandalen und Baustellen nicht höchste Zeit wäre, die Kontrollbehörde oder die operative Leitung des Spitals auszuwechseln, wagt sich die NZZ erst gar nicht.