Das kann nur ein Inserat
Im gestrigen Tagblatt der Stadt Zürich wurde einem wieder einmal bewusst, was ein Inserat auslösen kann.
Das gestern Mittwoch erschienene «Tagblatt der Stadt Zürich» ist immerhin 68 Seiten dick. Davon sind gut 20 Seiten Inserate, dazu kommen mindesten sieben Seiten amtliche Nachrichten. Kein schlechter Inserate-/Text-Mix. Vor allem nicht in Corona-Zeiten.
Polittext,Politwerbung?
Auffällig: Auf Seite 14 waren zwei Artikel platziert, die von Interessengruppen geschrieben oder zumindest in Auftrag gegeben wurden. Ziel: Sie sollen die Wählerschaft beeinflussen. Im konkreten Fall weibelt eine «Allianz Z für eine lebenswerte Stadtentwicklung» . Man sagt «NEIN zu den Verdichtungstechnokraten» . Auf gut Deutsch: Man ist gegen das geplante Fussballstadion und die beiden 137-Meter-Hochhäuser. Abstimmungstermin dieser Stadtzürcher Vorlage: 27. September. Soweit, so gut. Doch neben dem Text, layouterisch gesprochen mit einer hässlichen Treppe, ist ein Inserat für die nationale Begrenzungsinitiative platziert. Der Text dieses SVP-Vorhabens: «Zu viel ist zu viel! Seit der Einführung der Personenfreizügigkeit wurden Naturflächen im Umfang von 57000 Fussballfeldern zubetoniert» . Autsch. Man hat es sehen kommen. Die SVP scheint nun doch gegen das Stadionprojekt in Zürich zu sein. Dabei ist eigentlich eine breite Allianz von SVP, FDP und dem Stadtrat für die Überbauung. Doch im «Tagblatt» wird dem Leser suggeriert, dass das «Umweltkomitee gegen die Zubetonierung der Schweiz» – der Inserateabsender – aber ganz sicher gegen das «Monsterprojekt» in Zürich-West ist.
Fazit: Das Setzen von Inseraten ist manchmal Glücksache. Dass es noch schlimmer geht, bewies die Landeszeitung Lüneburg 2006. Sie hatte neben einem Artikel über Auschwitz ein Inserat eines Energieversorgers platziert. Der Slogan: «Eon sorgt schon heute für das Gas von morgen.» Chefredaktor Christoph Steiner schrieb in der nächsten Ausgabe: «Die Verknüpfung des Themas Völkermord in Auschwitz mit einem in diesem Zusammenhang missverständlichen Werbeslogan des Unternehmens war weder beabsichtigt noch wurde sie achselzuckend ignoriert.» Die Redaktion entschuldige sich «für diesen bösen Fehler, durch den die Intention des Artikels unterlaufen wird, ein fast vergessenes, barbarisches Kapitel unserer Geschichte zu beleuchten». (Quelle: persoenlich.com)
Wie steht’s den mit der Deklaration dieser PR-Texte?
Zurück zum «Tagblatt der Stadt Zürich»: Die mit «Politforum» beschriftete Seite beinhaltet noch einen weiteren Text, über Tierquälerei wegen der Jagd. Der Absender hier: Der Schweizer Tierschutz. Jeweils oben rechts steht unauffällig der Begriff «Paid Post» . Erst auf der nächsten Seite wird in einem unauffälligen Kästli erklärt, worum es sich handelt. Es sei eine Möglichkeit des «Tagblatt» , Parteien und Organisationen ihre Anliegen (…) zu speziellen Konditionen zu präsentieren. «Die bezahlten Kolumnen/Artikel sind mit «Paid Post» gekennzeichnet.» RED.
Abwertung des redaktionellen Teils
Eine eher umständliche Art, darauf aufmerksam zu machen, dass es sich um politische Werbung handelt. Den Auftraggeber wird es freuen, die Redaktion wohl weniger. Denn solche Verschleierungen werten den redaktionellen Text einer Zeitung definitiv ab.
Aber wie heisst es so schön: Das kann nur ein Inserat.
Ich finde es problematisch, wenn bezahlte Inhalte nicht klar als solche erkennbar sind. Gerade in Zeiten, in denen das Vertrauen in die Medien immer wichtiger wird, sollte die Trennung zwischen redaktionellem Inhalt und Werbung deutlicher gemacht werden.
Vielleicht wäre es besser, wenn man solche «Paid Posts» auf einer separaten Seite veröffentlicht oder zumindest deutlich kennzeichnet. In diesem Zusammenhang würde mich auch interessieren, ob man solche politischen Botschaften auch als gratis Inserat schalten könnte und ob dies genauso wirksam wäre.