Das Retro-Magazin der Klimaschützer

Wer sich unverstanden fühlt, wird selber Verleger.

Die Klimaaktivistinnen und -aktivisten stellten im Frühling 2019 fest, dass ihre Forderungen zu wenig gehört und in den Medien nicht immer korrekt wiedergegeben würden. Eine Aussage, die bei bürgerlich eingestellten Zeitgenossen wohl Proteste auslöst hätte. Klimaaktivist Sam Lüthi sagte damals im Rahmen einer Diskussionsrunde, dass man wegen fehlender Resonanz zwei Projekte in den Startlöchern habe. Informationen selber herausgeben, allenfalls gar in einem eigenen Magazin und nicht mehr über, sondern mit den Leuten reden. Eine der Ideen haben die Klimaaktivisten mittlerweile umgesetzt. Ein eigenes Magazin. Es heisst «netto.null». Man kann es zum Beispiel im Orell Füssli kaufen, für fünf Franken. Die Ausgabe Nr. 3 ist 60 Seiten dick. Sie kommt von der Druckqualität ähnlich daher wie der ebenfalls aus der Alternativszene stammende «Zeitpunkt».

Auffallend ist, dass die Klimajugend auf den klassischen Print setzt, der ja oft angeprangert wird als Waldvernichter. Immerhin ist das Magazin CO2-neutral gedruckt. Und ab etwa vier bis fünf Lesern pro Ausgabe schneidet Papier energetisch sowieso nicht schlechter ab als Texte, die online gelesen werden.

Der erste Eindruck zur grafischen Umsetzung: wie ein gut gemeinter staatlicher Umweltbericht von 1999 auf Word-Gestaltungs-Niveau. Aber schliesslich zählt der Inhalt.

Und natürlich sorgt die politisch ziemlich korrekte und im ganzen Heft durchgezogene Dreisprachigkeit Deutsch/Französisch/Italienisch für eine gewisse Schwerfälligkeit.

Und wie ist der Inhalt?

Auf drei Seiten wird die GLP angeprangert, dass sie sich für grünen Kapitalismus einsetze. Etwas, was laut der 26-jährigen Autorin Rahel Ganarin unmöglich ist. «Denn solange wir uns selbst paralysieren mit dem Fetisch der Horizontalität, welche alle Meinungen berücksichtigen will, ohne sie kritisch zu beleuchten, finden wir keine radikale Antwort auf die Klimakrise», schreibt sie im Schlusssatz.

Anja Gada (18) und Flurin Tippmann (19) gehen der Frage nach, warum die Occupy-Bewegung nicht erfolgreicher war. Und stellen fest, dass auch der Klimastreik an einem kritischen Punkt angelangt ist. Selbstkritisch und hinterfragend, das ist positiv.

Ebenso positiv ist die Bildstrecke von Klimademos. Wenn darauf jemand eine Maske trägt, dann nur, damit man ihn auf Überwachungskameras nicht erkennen kann. Das waren noch Zeiten.

Auch einen A3-grossen Poster findet man im Heft. Komischerweise erinnert er an leicht vergilbte Flyer von 1999 oder sogar von 1980. Aber damals ging’s der Natur wegen Russ, Staub und Schwefeldioxyd auch wirklich dreckig. Dafür war der Klimawandel noch kein Thema.

Jonas Kampus fragt sich, was wäre, wenn rechtsextreme Parteien die Existenz der Klimakrise akzeptieren würden. Umweltschutz als Machtinstrument, um die Kontrolle über Menschen zu erlangen? Ein Argument, das heute eher den Linken vorgeworfen wird.

Und endlich wird’s konkreter! Ziemlich weit hinten kommen eine Agenda und konkrete Forderungen, etwa minus 13 Prozent Treibhausgasemissionen bis 31.12.2020.

Die Klassiker Autos, Flugzeuge, Beton und Heizungen als Klimakiller werden im Heft als Sündenböcke praktisch nicht angeschnitten. Das ist erfrischend, aber auch wieder erschreckend nahe an der GLP.

Vorbildlich sind die Quellenangaben zu den einzelnen Artikeln. Man merkt, dass nicht wenige Autoren einen wissenschaftlichen Hintergrund haben.

Zusammenfassend: kein schlechtes Heft und ein Lob an die Macher, dass sie 2020 auf Print setzen. Aber neue Anhänger wird die Klimabewegung dadurch wohl nicht gewinnen. Oft zu langfädig, zu wenig attraktiv aufgemacht, zu wenig konkret. Fairerweise muss man aber anfügen: es ist von jungen Menschen gemacht. Da muss (noch) nicht alles perfekt sein. Und: Einen Nutzen hat das Magazin aber alleweil. Es schweisst zusammen, macht der Bewegung sicher Freude. Und das ist fast bei jedem solchen Heft der Fall. In der Schweizerischen Gewerbezeitung steht eigentlich auch nur, was die Mitglieder eh schon wissen. Oder zumindest das, wofür die Mitglieder stehen.

P.S. der Magazin-Titel netto.null wird nirgends erklärt. Als Klimaschützer weiss man das offensichtlich. Für alle anderen hier die Erklärung: Netto-​Null bedeutet, dass alle durch Menschen verursachten Treibhausgas-​Emissionen durch Reduktionsmassnahmen wieder aus der Atmosphäre entfernt werden müssen und somit die Klimabilanz der Erde netto, also nach den Abzügen durch natürliche und künstliche Senken, null beträgt. (Quelle: Wikipedia)

 

«Situation wie eine Woche vor dem Lockdown»

Redaktionen sollten filtern und einordnen. Aber womit?

Eine der wichtigsten Aufgaben jeder Redaktion, ja eigentlich ihre Existenzberechtigung besteht darin, Geschehnisse, Berichte, Standpunkte zunächst einmal auf die Folterbank der Analyse zu legen.

Stimmt diese News überhaupt, wer hat sie bestätigt, was ist die Quelle? Könnte es sein, dass der Verbreiter dieser News von Eigeninteressen gelenkt ist? Kann man eine Studie der Erdölindustrie einfach übernehmen, die zum überraschenden Ergebnis kommt, dass Ölheizungen sehr umweltfreundlich sind?

Die entscheidende Aufgabe einer Redaktion ist also, um dem Konsumenten schmackhaft zu machen, dass der bitte schön Geld für eine Leistung ausgeben sollte, die kunterbunte, komplizierte und nicht unbedingt durchschaubare Welt verständlicher zu machen.

Der Fachmann für alles ist von allem überfordert

Einordnen, gewichten, analysieren, Zusammenhänge herstellen, filtern. So sollte es sein, so ist es längst nicht mehr. Mangels Ressourcen. Mangels Kompetenz. Mangels Fachkenntnissen.

Die heutigen Journalisten sind keineswegs blöder als ihre Vorgänger in besseren Zeiten. Aber wer pro Tag mindestens zwei bis drei Online-Meldungen und dann schon auch noch ein Stück für die Printausgabe raushauen muss, hat schlichtweg keine Möglichkeit, sich einer Meldung vertieft anzunehmen.

Insbesondere, wenn ein vorgefertigter Text der letzten Schweizer Nachrichtenagentur, Keystone SDA, reinflattert. Insbesondere, wenn darin ein Experte, eine Koryphäe zitiert wird. Und da die meisten Zeitungen mit ihren Zentralredaktionen die gleichen Probleme haben, irrlichtert dann der gleiche SDA-Artikel höchstens mit einem leicht abweichenden Titel versehen, durch alle Medien.

Hat die Schweiz schon wieder die Kontrolle verloren?

Die Wahrheit ist konkret, also nehmen wir die Berichterstattung über den «Epidemiologen Althaus». Offenbar ein Fachmann, und wenn der behauptet, die Schweiz habe «die Kontrolle» über die Panedemie verloren, wenn der «auf rasche Massnahmen» drängt, dann ist aber ordentlich Feuer im Dach.

Die «SonntagsZeitung» (Artikel hinter Bezahlschranke) gibt ihm in einem Interview eine grosse Plattform, um unwidersprochen seine Unkenrufe auszustossen. Es gehe mal wieder um jeden Tag, es müsse gehandelt werden, dringlich, es sei unverständlich, dass die Verantwortlichen das nicht einsähen, warnt Christan Althaus.

Wenn das ein Mitglied der Task Force des Bundesrats sagt, dann sollten wir alle wohl vorsorglich schon mal unser Testament machen, nicht wahr? Nein, das wäre verfrüht.

Das knackige Titel-Quote ist die halbe Miete

Der Journalist ist heutzutage stolz auf sich, wenn er ein knackiges Quote aus einem Wissenschaftler herausgequetscht hat. «Situation wie im Frühjahr eine Woche vor Lockdown», ist das knackig oder was? Das sieht auch SDA so und macht flugs eine Meldung draus, die flugs durch den herbstlich schütteren Blätterwald rauscht.

Wieso sollen auch die beiden Interviewer, der Recherchier-King Oliver Zihlmann und der Bern-Korrespondent Denis von Burg, Erinnerungen an den damaligen Lockdown haben. Ist doch längst Geschichte, vergessen, Schwamm drüber.

Und weil sie keine Ahnung haben, erinnern sie sich nicht daran, dass damals der gleiche Christian Althaus die Öffentlichkeit damit erschreckte, dass es bis zu 100’000 Tote geben könnte, es müsse dringlich gehandelt werden.

Der gleiche Wissenschaftler lag schonmal knackig daneben

Seine damalige «wissenschaftliche» Prognose stützte sich auf Erkenntnisse des Imperial College zu London. Genauer des damals dort tätigen Wissenschaftler Neil Ferguson. Der ging von «bestenfalls» 250’000 Toten in England, 100’000 Toten in Schweden aus. Und Schweden ist bekanntlich mit der Schweiz vergleichbar.

Ferguson seinerseits hatte schon 2002 mehr als 50’000 Tote in England wegen des damals grassierenden Rinderwahnsinns vorausgesagt. Es waren dann weniger als 200. Ferguson wurde schliesslich als Berater der britischen Regierung gefeuert. In seinem Prognosemodell, das «dazu beitrug, Grossbritannien und andere Länder zu drakonischen Lockdowns zu bewegen», entdeckten Fachleute später eine Schwachstelle, die «als der verheerendste Softwarefehler aller Zeiten in die Geschichte eingehen könnte, was die wirtschaftlichen Kosten und die Zahl der verlorenen Leben betrifft».

Ein Fall für «Mister Corona» Daniel Koch

Es erübrigt sich wohl, darauf hinzuweisen, dass in der Schweiz bislang etwas mehr als 1800 Tote wegen Corona zu beklagen sind. Und ein dermassen irrlichternder Wissenschaftler, der sich auf einen anderen irrlichternden Wissenschaftler abstützte, wobei beide zu Prognosen kamen, die dramatisch von der Realität abwichen, hofft nun auf die Vergesslichkeit der Journaille, und spielt sich wieder als der grosse Warner auf.

Das ist ihm unbenommen, Aufmerksamkeit zu erzielen ist ja erlaubt. Aber vielleicht hätten die beiden Tamedia-Koryphäen vor dem Interview sich von «Mr. Corona», Daniel Koch, etwas briefen lassen sollen. Der nimmt zwar stolze 350 Franken für die Beratungsstunde, aber dann hätten die beiden vielleicht wenigstens eine einzige intelligente oder kritische Frage stellen können.

 

First we take München

Und dann irgendwann Zürich.

Früher galt für Sonntagszeitungen: Die Zeitung sollte nicht mehr als ein Kaffee im Restaurant kosten. Mittlerweile hat sich auch das geändert. Der Kaffee im Restaurant kostete 2019 in der Deutschschweiz durchschnittlich 4,22 Franken.

Die Sonntagszeitung hingegen kostet heute 5 Franken. Für den Betrag gibt es in vielen Restaurants sogar ein «Kafi-Gipfeli». Ist die Sonntagszeitung so viel wert? Spätestens seit Anfang 2017 ist diese Frage nicht mehr von ketzerischer Natur, sondern gewinnt immer mehr und mehr an Brisanz. Seit bald vier Jahren teilen sich die «Süddeutsche Zeitung» und der «Tages-Anzeiger» nämlich ein gemeinsames Korrespondentennetz. Die Eigenleistung sinkt stetig.

Wer beide Zeitungen genau liest, erkennt mehr und mehr Artikel, die bereits in der Süddeutschen gelaufen sind und dann mit ein paar Tagen Verspätung in den Titeln der TX Group kommen. Das betrifft den «Tagi», das «Tagimagi» und leider auch das «Flagschiff» Sonntagszeitung.

Wittwer-Geschenk nach München

Umgekehrt hingegen habe ich in der «Süddeutschen» selten einen Artikel eines TX Group-Journalisten gelesen. Ausnahme ist Italien-Korrespondent Oliver Meiler. Der wichtigste Transfer nach München ist eigentlich nur die ehemalige Tagi-Chefredaktorin Judith Wittwer, die in der Redaktion der «Süddeutschen» publizistisch bisher wenig auffiel und als erstes einen grossen Stellenabbau ankündigte.

Zurück zur Sonntagszeitung. Im wichtigen «Fokus»-Bund wurde gestern auf einer Doppelseite das Phänomen des K-Pops erörtert. Autor ist Jakob Biazza von der Süddeutschen. Der Artikel erschien natürlich bereits in seinem Blatt; zwei Tage vor der Sonntagszeitung.

Das Ärgerliche an der Sonntagszeitung ist aber, dass sie den Artikel falsch aufsetzte. Im Lead der Süddeutschen steht:

Pop aus Korea setzt an der Börse gewaltige Summen um. Er beeinflusst die US-Wahl und ist Traumfabrik und Mühle, die ihre Protagonisten auspresst – manchmal bis zum Tod. Über Musik am Limit.

Drei Sätze, drei Schüsse. Da ist alles verpackt: die Strahl- und Wirkungskraft der Songs. Die bittere Kehrseite des Erfolgs und auch die wirtschaftliche Seite.

Die Sonntagszeitung setzte folgenden Lead auf:

Koreanische Musik erobert gerade die Welt. Zum Beispiel BTS: Die Umsätze der Band machen 0,3 Prozent des Bruttoinlandprodukts Südkorea aus. Was steckt hinter dem phänomenalen Erfolg?

Wie viel Alkohol steckte eigentlich hinter, beziehungsweise in der Sonntagszeitung-Redaktion? Koreanische Musik erobert nicht «gerade» die Welt. Der südkoreanische Titel «Gangnam Style» zum Beispiel erzielte auf Youtube als erstes Video über eine Milliarde Zugriffe. Das war 2012. Guten Morgen, Zürich. Und wie interessant ist die Kennziffer 0,3 Prozent? Das entspricht 3 Promille und gibt vielleicht den Alkoholgehalt des Leadtexters an.

Also, wenn schon SZ-Texte mit ein paar Tage Verspätung übernommen werden, dann bitte auch gleich den Lead kopieren. Oder den gelieferten Text zweimal genau durchlesen.

Leitartikeln ins Leid und Elend

Wenn der Journalist im roten Bereich dreht.

Der Leitartikel war auch mal so eine Bastion des Qualitätsjournalismus. Jahrzehntelang frönte die NZZ dem schönen Brauch, jeweils am Samstag es der ganzen Welt mal wieder zu geigen.

Markus Somm übernahm dann diese Tradition in der «Basler Zeitung», wurde aber dennoch nicht Chefredaktor bei der NZZ. Auch der «Tages-Anzeiger», und somit flächendeckend seine Kopfblätter, pflegt den Leitartikel.

Ein Leitartikel voller Fehler

Ein besonders blödes Exemplar erblickte am Samstag das Licht der Welt. Schon der Titel (Artikel hinter Bezahlschranke) gibt zu denken: «Einen Lockdown auszuschliessen, ist ein Fehler».

Zunächst verteilt der Leitartikel Betragensnoten und tadelt, «dass viele Menschen wieder bedenkenlos feiern, singen und tanzen gingen». Statt zuhause Trübsal zu blasen und sich zu überlegen, ob sie die steigende Suizidrate in der Schweiz unterstützen wollen.

Solches Tun ist insbesondere deswegen verwerflich, weil bekanntlich Mitbürger über 80, die 70 Prozent aller Coronatoten ausmachen, dafür berüchtigt sind, dass sie bedenkenlos bis in die Morgenstunden feiern, singen und tanzen, sich dabei noch die Kante geben.

Der «Tages-Anzeiger» muss ganz streng mit uns werden

Aber, so urteilt der Leitartikler streng, wir seien «immer noch gefährlich entspannt in Bezug auf einen zweiten Lockdown». Das muss sich aber radikal ändern, und dafür setzt der Autor zu einem eingesprungenen Rittberger mit doppelter Schraube an: «Paradoxerweise wird aber ein Lockdown umso wahrscheinlicher, je mehr sich die Botschaft, dass es ihn nicht geben wird, in den Köpfen festsetzt.»

Es ist verblüffend, mit welcher Geschwindigkeit sich das Narrativ geändert hat. Von einem allgemeinen «zweiter Lockdown: niemals», über «alles tun, damit es keinen zweiten Lockdown gibt» zu «Lockdown, warum nicht?»

Schlimmer noch, «wer einen Lockdown kategorisch ausschliesst, macht sich schlicht der Irreführung schuldig», behauptet der «Tages-Anzeiger», das Organ der weisen Menschenführung.

Koste es, was es wolle, ist doch egal

Dann tritt er noch dem Bundesrat Maurer ans Schienenbein, der festhielt, dass sich die Schweiz einen zweiten Lockdown schlichtweg nicht leisten könne. «So teuer diese Maximalmassnahme auch würde», was sei das schon im Vergleich zu vielen Menschenleben, entscheidet der Autor forsch.

Ist er damit am Ende angelangt? Aber nein, «die Verharmlosungen» müssten «endlich ein Ende» nehmen, fordert er. Auch auf die Gefahr hin, als Verharmloser denunziert zu werden: Das ist natürlich Schwachsinn. Unsinn, Brandgefährlich. Wirklichkeitsfern. Schlicht verantwortungslos.

Tadel aus dem sich leerenden Grossraumbüro

Man stelle sich vor, da sitzt ein Tagi-Redaktor im sich immer mehr leerenden Grossraumbüro, während auch sein Medium darüber jammert, wie sehr die Massnahmen gegen die Pandemie an die Substanz gehen. Und bevor er auch eingespart wird, fordert er geradezu seine Entlassung.

Damit hat er allerdings nicht ganz Unrecht; die Lücke, die er hinterliesse, würde ihn vollständig ersetzen. Aber es ist schon nassforsch, nachdem der erste Lockdown alleine in der Schweiz Schäden von geschätzt 100 Milliarden Franken anrichtete, locker vom Hocker die Möglichkeit eines zweiten in den Raum zu stellen.

Schon mal was von Verhältnismässigkeit gehört?

Was hier der fachfremde Bundesrat und Gesundheitsminister angerichtet hat, ist schlichtweg die grösste wirtschaftliche Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg. Aber es kann doch nichts zu teuer sein, wenn es um Menschenleben geht. Wer das bestreitet, ist ein materialistischer Unmensch.

Ich bestreite das, bin kein Unmensch und zudem in fachkundiger Gesellschaft. Alle Krankenkassen in der Schweiz sind gesetzlich dazu verpflichtet, die Verhältnismässigkeit einer Therapie zu prüfen, bevor sie die Kosten übernehmen. Ja, und zu dieser Prüfung gehört selbstverständlich auch eine Kosten-Nutzen-Rechnung.

Denn sonst wären die Krankenkassenprämien nicht mehr länger schwer zu bezahlen, sondern unbezahlbar. Wer jeden Mitbürger als unverantwortlichen Hallodri darstellt, der es wagt, auf die eine oder andere Art das Leben etwas geniessen zu wollen, ist schlimmer als jeder Calvinist. Wer behauptet, nichts könne zu teuer sein, um Menschenleben zu retten, ist zudem ein verantwortungsloser Dummschwätzer.

Wo der Lohn herkommt, kümmert den Redaktor nicht

In Wirklichkeit verhält es sich natürlich umgekehrt als im Titel dieses Ergusses. Wer einen zweiten Lockdown herbeischreibt oder legitimiert, begeht einen verantwortungslosen Fehler.

Übersieht dabei die fatalen Schäden, das Absterben ganzer Branchen, Pleitewellen und Massenarbeitslosigkeit als mögliche Konsequenzen. Ist offensichtlich zu sehr daran gewöhnt, dass es ein Naturgesetz sei, dass er jedes Monatsende bis ans Lebensende seinen Lohn und dann seine Rente bekommt. Wo das herkommt, kümmert ihn nicht.

Ein Ranking der Lebensexperten

Ratgeberexperte ist kein geschützter Titel. Das merkt man.

Expertenantworten zu Lebensfragen werden gierig gelesen wie die Lottozahlen. Es ist eine Mischung aus Voyeurismus und Mitgefühl. Und ja, bei manchen Antworten kann man dann doch etwas lernen. Und sei es nur für den nächsten Smalltalk oder gar die sich anbahnende Ehekrise. Emma Amour (natürlich ein Pseudonym) auf watson.ch nimmt die FragestellerInnen ernst und spricht offen über Tabuthemen. «12 Tipps, wie Du einen Mann oral befriedigst (dankt mir später)» ist ein anschauliches Beispiel.

Emmenegger und Fux

Caroline Fux vom Blick führt weiter, was die «Liebe Martha» Emmenegger ab 1980 erfunden hatte. Eine Enttabuisierung sexueller Themen in der Schweiz. Schon vorher, 1969, startete eine ähnliche Rubrik im «Bravo». Generationen von Jugendlichen lasen die Fragen und Antworten von «Dr. Sommer». Erster «Dr. Sommer» war der Düsseldorfer Psychotherapeut Martin Goldstein. 15 Jahre leitete er die Rubrik. Gegenüber rtl.de sagte Sozialpädagoge Klaus Mader kürzlich, noch heute bekomme das «Dr. Sommer»-Team immer noch 200 bis 250 Anfragen in der Woche.

Schneider, Fischer, Ihde

Beim Tages-Anzeiger beantwortet Psychoanalytiker Peter Schneider regelmässig Leseranfragen. Es geht selten um Sex, sondern mehr um Verhaltenstipps, um Zwischenmenschliches, um Kniggefragen. Hin und wieder mit einem Augenzwinkern, aber durchaus ernsthaft beantwortet.

Nach wie vor betreibt der Tagi auch eine monatliche Ratgeberseite über das Arbeits, Sozial- und Familienrecht. Verantwortlich ist hier die Juristin Andrea Fischer. Ganz oben in der Kaiserkategorie bei Rechtsproblemen steht aber der Beobachter. Seitenlang werden Fragen übers Erben, Bschiss bei Online-Bestellungen oder das Arbeitsrecht beantwortet. Zudem hat Facharzt Thomas Ihde (Psychiatrie und Psychologie) eine ganze Seite zur Verfügung, um einfühlsam und umfassend zu helfen. Aktuelles Thema: «Ich habe 70 Jahre als Mann gelebt und merke, dass ich eigentlich eine Frau bin. Was kann ich tun?»

Verspotten als Auftrag

Schon ein bisschen schwieriger wird’s bei der Rubrik «Fragen Sie Dr. M./ Der Experte für alle Lebenslagen» in der Weltwoche. Es sind eindeutig freihändige, subjektive Antworten, die oft eine politische Einfärbung haben. Aber egal. Nur schon die Illustration mit einem überzeichneten Psychologen zeigt die «Unernsthaftigkeit» der Antworten. In diese Kategorie fallen auch die nächsten Beispiele. Michèle Roten und Thomas Meyer. Beide sind als Lebensfragenbeantworter tätig. Thomas Meyer (Autor der beiden Wolkenbruch-Bücher) ist seit 2014 beim Sonntags-Blick. Er gibt Antworten auf «alle möglichen und unmöglichen Lebensfragen». Eine Frage lautet beispielsweise, was man einem Freund antwortet, der zum Verschwörungstheoretiker geworden ist. «Ein Affront, auf den nur mit dem totalen Bruch zu antworten ist», so das Zitat, das dem Leser am meisten bleibt. Die Antwort ist virtuos formuliert, geht aber am Kern der Frage vorbei. Sie ist ein wenig gar herzlos und lebensfremd. Es scheint, wie wenn für den Schriftsteller einfach ein Betätigungsfeld erfunden wurde.

Vollends Nonens ist die Rubrik «Helpdesk», mit der Michèle Roten beim Tages-Anzeiger reaktiviert wurde. Für das Magazin schrieb die mittlerweile 41-Jährige zwischen 2005 und 2014 die Kolumne Miss Universum. Damit sorgte sie schweizweit für Furore. Seit wenigen Wochen ist sie nun als Lebensberaterin beim Züri-Tipp tätig. Am Donnerstag ging sie auf die Frage eines Baslers ein, der sich fragt, warum er jeden Tag auf seinen Dialekt angesprochen werde.

Sie gibt zehn Kurzantworten zum Auswählen, natürlich eine origineller als die andere. Etwa die: «Weil wir hoffen, dass Sie gleich ein Piccolo aus dem Ärmel zaubern und uns was vorflöten.» Für die Leserschaft ein Gaudi, für aufrichtige Ratgeber-Experten etwas daneben.

Halbiertes Magazin

Nur sechs  Jahre liegen zwischen zwei so unterschiedlichen Magazin-Ausgaben.

Beim Aufräumen ist mir ein Magazin von Tamedia in die Hände geraten. Die Ausgabe vom 30. August 2014 mit immerhin 48 Seiten. Auf dem Titelbild ausgerechnet die beiden jüdischen Autoren Thomas Meyer und Beni Frenkel. Meyer verdient heute sein Geld unter anderem als Ratgeberonkel beim Sonntagsblick. Frenkel schreibt fleissig für ZACKBUM.ch.

Das Interview, geführt von beiden damaligen Magazin-Reportern Sacha Batthyany und Miklos Gimes, ist auch nach sechs Jahren noch höchst unterhaltsam und spannend. Der damalige Aufhänger für das Gespräch: die Affäre Geri Müller, in dessen Zusammenhang von «jüdischen Kreisen» die Rede war.

Im Magazin von 2014 schrieb noch der Philosoph Daniel Binswanger, heute bei der «Republik». Max Küng dozierte verspielt über einen Abend zu Hause («Man kontrolliert zum vierten Mal die Lottozahlen der Abendziehung – vielleicht hat es ja eine Korrektur gegeben»). Matthias Daum (heute «Die Zeit, Schweizteil») und Peer Teuwsen (heute NZZ am Sonntag) stellten die Frage, wer heute die Schweiz regiert. Und gaben die Antwort «Das Volk als Drohkulisse. Abstimmungskampagnen mit zweifelhaften Chancen. Reiche SVP-Kreise. Aber auch linke Kreise setzen Appelle an den Souverän geschickt ein». Und noch eine Fragestellerin: Autorin Anuschka Roshani liess sich darüber aus, warum heute jeder an seinem Körper arbeite. Hübsch: die folgende 10-seitige (!) Bildstrecke über Las Vegas und wer überhaupt noch dortbleibt. Dann eine Doppelseite von Schriftstellern Sibylle Berg über «die guten Freaks.» Ein Meisterstück. Der Longseller: Das Buchstabenrätsel von Trudy Müller-Bosshard. Den Abschluss machte «Fünfzehn Minuten im Leben», selbstverständlich mit Portrait eines Profifotografen.

Kurzum: ein reichhaltiges Heft mit viel Swissness und eigenen Texten. Eine Samstagsfreude.

Nun der Quervergleich zum Magazin Ausgabe 2020. Es ist das Magazin vom 3. Oktober. Nur noch 32 Seiten. Die Titelgeschichte stammt vom Stern-Reporter (Wikipedia-Eintrag) Jan Christoph Wiechmann. Er schreibt über die eben herausgekommene Autobiografie von Madeleine Albright und führt dafür mit der ehemaligen US-Aussenministerin ein Interview. Das ist ziemlich vorhersehbar. Zum Zug kommt mit einer Kurzkolumne Thomas Widmer, den man von seinen originellen Wanderbeschrieben im Tagi kennt. Welch Zufall: Autorin Anuschka Roshani schreibt wieder über Körper, diesmal «Das Rätsel Testosteron» und ob das Hormon den Männern in der Krise helfe. Einen Auftritt hat auch Arnold Schwarzenegger. Er ist – in jüngeren Jahre aufgenommen – Fotomodell für einen länglichen Text über die Geschichte des Bodybuildings. Die ganzseitigen Rubriken von Christian Seiler (Essen und trinken), ein Tag im Leben von (Zu Hause bei, Foto «privat») und Max Küng gibt’s immer noch. Sie funktionieren eigentlich nach wie vor.

Doch Max Küng scheint nach über 20 Jahren Kolumnistendasein ein bisschen ausgebrannt.

Aktuell heisst seine Rubrik «Ich war noch niemals in». Wem nichts in den Sinn kommt, macht Ausflüge und schreibt darüber. Aber das könnte auch für den Schreibenden gelten. Zieht er einfach ein altes Magazin aus der Schublade und macht einen Quervergleich zu heute. Und er wagt auch noch ein Fazit: Früher war das Magazin dicker – und besser. Immerhin: Chefredaktor ist nach wie vor Finn Canonica.

Der Glücksspieler im Pech

Oder hat’s die «NZZ am Sonntag»?

Eine Story, von der jeder Boulevard-Journalist träumt: Spieler verliert in einer Nacht 1,5 Millionen. Nachdem er anderthalb Jahre zuvor schon mal über eine Million verzockt habe. Eine Story aus Las Vegas oder Atlantic City? Aber nein, das alles trug sich im Casino Zürich zu.

Gibt es dabei ein Problem? Eigentlich gewinnt immer das Casino, das weiss jeder «High Roller», jeder «Big Spender», jeder Berufsspieler wie der Engländer Henri Cammiade. Vielleicht wäre aber ein Boulevard-Journalist vorsichtiger an diese Story herangegangen – als die «NZZ am Sonntag».

Wohin nur mit so viel Bargeld?

Bei der jammerte sich nämlich der Berufszocker aus. Beim ersten Verlustabend habe er schon einige Gläser Wein intus gehabt. Erschwerend sei hinzugekommen, dass ihm das Casino mehrfach einen Mercedes der E-Klasse mit Chauffeur spendiert habe, womit er zu seinem Gelddepot fuhr, um Nachschub zu holen.

Gelddepot? Hier kommen wir zu einer Absonderlichkeit beim Glücksspiel um hohe Beträge. Gewinne werden in bar ausbezahlt, und nur in bar. Früher kein grosses Problem, aber man versuche einmal heute, zu einer europäischen oder Schweizer Bank zu gehen, einen grösseren Sack auf den Tresen zu wuchten und darum zu bitten, gerne mal eine Million in Cash einzuzahlen.

Woher man das Geld habe? Na, natürlich im Casino gewonnen. Da kichert der Bankangestellte. Ach, ob das Casino eine Bestätigung ausstellt? Nein, tut es nicht. Warum nicht? Aus dem gleichen Grund, wieso die Bank so viel Bargeld nicht annimmt: Angst vor Geldwäsche.

Einfühlsame Schilderung des Belohnungssystems im Hirn

Also muss der High Roller aus England grössere Summen Bargeld umherkutschieren, wenn er gewinnt. Oder sie bei seiner Zürcher Freundin lagern oder wie auch immer. Die NZZaS schildert einfühlsam, wie im Hypothalamus bei Spielsüchtigen das Belohnungssystem anspringt, bei hoher Taktung der Spiele umso stärker. «Noch besser fühlt es sich an, wenn die Suchtmittel kombiniert werden: Spielen, Alkohol, Rauchen.»

Davor sollten eigentlich diverse Mechanismen schützen, ein sogenanntes «Sozialschutzkonzept», ohne das Casinos in der Schweiz keine Konzession erhalten. Nun besteht das Problem natürlich darin, dass Zocker und Berufsspieler wie dieser Engländer unbegrenzt gewinnen dürfen. Aber vor unbegrenzten Verlusten sollen sie geschützt werden, durch gutes Zureden bis hin zur Sperre, dem Verbot, Schweizer Casinos zu betreten.

Der Not gehorchend, eröffnete der Spieler ein Jetonkonto

Hier wird die Story des High Rollers recht abenteuerlich. Nachdem er wieder kräftig gewonnen hatte, habe er Schiss bekommen, überfallen zu werden. Also sei ihm nichts anderes übriggeblieben, als ein Jetonkonto beim Casino zu eröffnen. Alleine im August dieses Jahres gewann er offenbar 1,24 Millionen Franken, die er auf dieses Konto gutschreiben liess.

Dann folgt die nächste Pechsträhne, Verlust auf Verlust. Er habe seinen «Client Relationship Manager» mehrfach gebeten, ihn nicht mehr weiterspielen zu lassen, behauptet Cammiade. Aber in einer Nacht sind wieder 1,5 Millionen weg, alles, was auf dem Jetonkonto lag.

Nun benehmen sich Berufsspieler manchmal nicht anders als Zocker an der Börse. Solange es gut läuft und die Gewinne sprudeln, ist alles bestens. Hagelt es Verluste, erhebt sich grosses Geschrei. Man sei nicht richtig über die Risiken aufgeklärt worden, man habe gar nicht so ein Risikoprofil, usw. Das mag manchmal stimmen, meistens aber nicht.

Nachdem andere Versuche scheiterten, wieso nicht Öffentlichkeitsarbeit

Nachdem der Berufsspieler mit seinen Versuchen, dem Casino unstatthaftes Verhalten vorzuwerfen, gescheitert war, ebenso bei der Eidgenössischen Spielbankenkommission (ESBK), der Aufsichtsbehörde über alle Schweizer Casinos, versuchte er es offensichtlich mit Öffentlichkeitsarbeit.

Ihm kam zupass, dass das Swiss Casino Zürich sträflich unterschätzte, welche Wellen dieser Artikel schlagen sollte. Am Montag wurde die Story breit aufgenommen; endlich mal etwas anderes als ewig Corona und US-Wahlen. Das Casino liess sich anfangs nur mit der knappen Mitteilung vernehmen, dass es den Fall an die ESBK gemeldet habe, die keinerlei Unregelmässigkeiten feststellen konnte.

Erst durch Gebrüll aufgeschreckt sagt Swiss Casinos was

Aufgeschreckt durch das Gebrüll vom «Landboten» über «20 Minuten», «Tages-Anzeiger», CH Media und natürlich des «Blick», bequemte sich Swiss Casinos endlich zu einer Stellungnahme. Während seine Medienmitteilungen normalerweise Themen wie «Säulirennen im Casino St. Gallen», «Zwei Zürcherinnen werden über Nacht zu Millionärinnen» oder «Wiedereröffnung Adventure Rooms» bestreichen, rückt der Betreiber  der Schweizer Casinos eine Kleinigkeit zurecht:

Nämlich dass der Berufszocker das Casino Zürich alleine im Jahr 2019 mehr als 30 Mal besucht habe. Und unter dem Strich, Gewinne minus Verluste, bislang mit 220’500 Franken – in der Gewinnzone sei.

Man kann sich also ungefähr vorstellen, welche Beträge er einsetzt, gewonnen hat und jeweils klaglos hinaustrug, wenn er nach über 2,5 Millionen Verlust in zwei Nächten immer noch mehr als das Dreifache eines durchschnittlichen Schweizer Jahreseinkommens als Trostpflästerchen besitzt.

Vielleicht hätte die NZZaS es besser mit Dostojevski probiert

Da er nun aber gesperrt ist, kann er diesen Betrag in der Schweiz weder legal durch Glücksspiel vermehren – oder verringern. Also geht es ihm besser als Dostojevskis «Der Spieler».

Die «NZZ am Sonntag» wäre vielleicht gut beraten gewesen, dieses Gewaltswerk auf zwei Seiten zu präsentieren – statt eine windige und einseitige Story eines Zockers, der sich nicht unter Kontrolle hat und dafür – wie üblich – allen anderen die Schuld geben will. Wie ein solcher Unfug von Rafaela Roth durch alle Kontrollinstanzen flutschte und üppig illustriert den Leser auf einer Doppelseite angähnt – unverständlich und beunruhigend.

Dinosaurier Teletext

Nachrichten im Taschenformat. Der Sport rettet Swiss TXT.

Der Lockdown im März und April hatte ja auch sein Gutes. Die Menschen in der Schweiz klickten wie verrückt auf die Nachrichtenseiten. Davon profitierten auch kleine Nachrichtenportale wie die Schaffhauser Nachrichten (www.shn.ch). Zwischen Februar und März 2020 explodierten die Zugriffszahlen – Unique Clients – von 120’000 auf 480’000. Gleiches galt auch für die anderen Medien. Die einzige Nachrichtenseite mit signifikantem Verlust war teletext.ch: Sie stürzte von 790’000 auf 550’000 Klicks ab. Und im April ging es noch einmal runter, auf 376’000.

Keine Sportresultate

Der Grund der Frühlingsbaisse ist einfach. Teletext wird vor allem wegen den Sportresultaten abgerufen. Und die fehlten viele Wochen. Doch wo es in anderen Redaktionen brenzlig wird, herrscht beim 1983 gegründeten Unternehmen Zuversicht. Teletext, heute «Swiss TXT», gehört nämlich der SRG. Die 270 Mitarbeiter haben 2019 knapp 23,5 Millionen Franken Umsatz und 329’000 Franken Gewinn erwirtschaftet. Der grösste Teil davon stammt von Untertitelungen der Sendungen. Der gehört zum gesetzlichen Grundauftrag. Die SRG muss ihre Inhalte barrierefrei zur Verfügung stellen und verlagert diese mühsame Arbeit an «Swiss TXT».

Nachrichten im Kleinstformat

Daneben füllen sechs Journalisten Nachrichten im Kleinstformat auf Telext ab. Früher war «Teletextler» ein stehender Begriff für einen abgelöschten, dafür pedantischen Journalisten. Im Duden, so die Saga, waren mehr Fehler enthalten als im Teletext-Universum. Heute ist das nicht mehr der Fall. Dafür ist Teletext sehr schnell. Die App mit den Sport(zwischen)-Resultaten ist bei Fans sehr beliebt. Und in Sportstadien haben Bildschirme mit Teletext den guten alten Totomaten abgelöst.

Falsche Zahlen

In der Lockdown-Zeit lasen «rund eine Million tägliche NutzerInnen» die Teletext-Seiten via Fernseher, behauptete Swiss TXT mehrmals auf der Homepage. Eine Million pro Tag? Auf Nachfrage entpuppte sich die Zahl als falsch. Bei der Million handle es sich um Aufrufe pro Woche, nicht pro Tag. Man werde das intern besprechen. Mittlerweile findet man keine entsprechenden Zahlen mehr auf der Firmenwebsite.

Immerhin: Nun liegt Teletext wieder bei monatlich 574’00 Klicks (August). Die Tendenz ist steigend. Denn seit dem 1. Oktober finden wieder Eishockeyspiele der obersten Schweizer Liga statt.

Das Geschäftsmodell Doktor Stutz

In der Reihe «Was macht eigentlich» heute Ex-TV-Doktor Samuel Stutz.

Für Ü40-TV-Konsumenten ist Doktor Samuel Stutz eine Instanz. Der «TV-Doktor» mit dem charakteristischen Stadtbasler Dialekt moderierte bis 2007 eine Gesundheitssendung auf SRF 2. Seither gibt er sein eigenes Magazin heraus, das sechs Mal im Jahr erscheint. Es heisst «Sprechstunde Doktor Stutz». Stutz macht das, was auch schon andere aus dem TV bekannte Menschen gemacht haben. Die Prominenz nutzen für eigene Interessen. So etwa die späteren SVP-Politiker Werner Vetterli und Maximilian Reimann. Dann der Buchautor Patrick Rohr oder die Moderationstrainerin Beatrice Müller und natürlich aktuell Investigativ-Journalistin und Anlassmoderatorin (Eigenwerbung) Patrizia Laeri.

Auflage von über 200’000 Exemplaren

Doch zurück zu Samuel Stutz. Seit 13 Jahren also ist er Herausgeber von «Sprechstunde Doktor Stutz». Es hat aktuell eine respektable WEMF-beglaubigte Auflage von 222’243 Exemplaren. Das Jahresabo kostet für 6 Ausgaben 39 Franken. Man kann sich das Heft aber auch in Auslagen oder Zeitungsständern gratis schnappen, etwa in Poststellen oder im Hauptbahnhof Zürich. Die Abos spielen laut Samuel Stutz keine Rolle: «Das Magazin Sprechstunde wird kostenlos an die Bevölkerung verteilt», so der Arzt.

Das 88 Seiten dicke Magazin ist eine Art medizinische Ausgabe der bekannten Drogeriehefte. Und es strotzt vor Kaufangeboten, oft mit «sensationellen Leserrabatten».

Das «Spezial-Müesli von Doktor Stutz» für 22 Franken 40 pro Packung. Ein 20-Prozent-Gutschein für ein Medikament gegen «gereizte Augen». Ein 2-Franken-Rabattbon für eine Salbe gegen Knieschmerzen, Eine 40-Franken-Reduktion beim Kauf eines Anova-Gesundheitsschuhs. Eine Packung «Müesli-Brot-Backmischung von Doktor Stutz» gratis beim Kauf von drei Packungen zu 29 Franken 70. Ein Vibrator Raya à 47 Franken 50 (ohne Rabatt). Ein «Schmerzgerät mit Wärmefunktion OMRON Intens» für 99 Franken 50 statt 137 Franken. Ein Schrittzähler OMRON Walking für 55 anstatt 65 Franken. Eine Darmkur für 199 statt 230 Franken 50. Und noch das  Blutdruckmessgerät Rossmax X5 für 99 statt 134 Franken. Auch im Angebot: die «Personenwaage für eine genaue Ganzkörpermessung» zu 89 statt 129 Franken. Das teuerste Gerät ist der IDIAG P100. Ein Trainingsgerät für die Atemmuskulatur. Der «sensationelle Leserrabatt»: 690 anstatt 920 Franken. ZACKBUM.ch hat in einem separaten Artikel recherchiert, ob die Doktor-Stutz-Versprechung «Minderung des Verlaufs und der Folgen durch das Virus» zutrifft.

Doktor Stutz ist eine Grösse im Versandhandel, keine Frage. Dazu gehört die Eigenmarke «dr. stutz» mit den erwähnten Müseli, Brotbackmischungen, «Pasta, die nicht dick macht», Cracker und Porridge.

Die Zielgruppe sind eher ältere Menschen, die mit Samuel Stutz, heute 60 Jahre alt, schön und schmerzfrei leben wollen. Oder sich zumindest eine Besserung erhoffen, dank Dr. Samuel Stutz.

10 Seiten Inserate, gut 70 Seiten PR-Texte

Gut scheint das Geschäft für Stutz tatsächlich zu laufen. Von den 88 Seiten sind über 10 Seiten reine Inserateseiten. So etwa Novartis, Migros und eine Firma, die Badelifte installiert. Dazu kommen gut 70 Seiten nicht deklarierte Publireportagen, oft in Form eines produkteanpreisenden Textes und einem Inserat dazu. Ob und wie der «TV-Doktor Stutz macht», ist offen. «Umsatzzahlen geben wir keine bekannt», heisst es auf Anfrage lediglich.

Doktor Stutz rät zum Blasen

Tolle Tipps gegen Coronaverlauf

«Maky» und «Sprechstunde Doktor Stutz» sind die beiden einzigen Schweizer Magazine, die nach Lebewesen benannt sind. Maky ist ein putziges Äffchen, Doktor Stutz ein pfiffiger Mediziner, der nach Karriere beim TV ein Magazin herausgibt. Das Blatt ist gratis und liegt in Bahnhöfen herum. In der aktuellen Ausgabe wird auf Seite 52 die Wahrheit über die Klitoris verkündet und auf der nächsten Seite Vibrator Raya verkauft.

Auf Seite 80 wird es ernst: «Covid-19 – Machen Sie jetzt unbedingt Atemtraining!» Auf dem Bild sieht man eine Frau, die ein bohrähnliches Gerät oral benutzt. Es handelt sich um den Idiag P100. Der Atemmuskeltrainer sei unter anderem von der ETH Zürich entwickelt worden, schreibt der unbekannte Autor. Man könne damit den Verlauf und die Folgen von Corona mildern. Doktor Stutz offeriert einen «sensationellen Leserrabatt». Das Ding kostet bei ihm nicht 920 Franken, sondern nur 690 Franken.

Eine Professorin der ETH schreibt auf Anfrage: «Die Aussagen von Dr. Stutz würde ich in dieser Absolutheit auch nicht unterschreiben – das Potential ist nicht null.»

Und  ob eine trainierte Atmungsmuskulatur im Fall einer COVID-Erkrankung zu einem besseren Verlauf führe, sei nicht bekannt. Bezüglich COVID-Patienten und allfälligen Langzeit-Schäden der Lunge gebe es insgesamt noch viele offene Fragen. 

Der Blasbalg P100 scheint also doch nicht so eine Wunderwaffe zu sein; da hilft auch keine Preisermässigung von 230 Franken.

Doktor Stutz sieht das natürlich anders: «Ich selber habe nicht nur an unzähligen Patienten seine Wirkung gesehen, sondern auch in der eigenen Familie. Ich würde das Gerät nicht so propagieren, wäre ich nicht total davon überzeugt.»

Und er rät: «Sie sollten mal selber mit diesem Gerät trainieren. Nach zwei, drei Monaten würden Sie sich kaum wiedererkennen.» Nein, danke, ich hätte lieber den Vibrator.

Hinweis: In einer früheren Fassung stand, dass die ETH auf Wirken von Zackbum.ch ihre Meinung änderte. Das stimmt nicht.