Wie parteiisch ist die NYT?

Sie gilt als Benchmark für Qualitätsjournalismus. Zu Recht?

Ihr Redaktionsgebäude in New York ist beeindruckend. Ihre Journalisten sind beeindruckend. Die «New York Times» gilt als der selten bis nie erreichte Massstab für Qualitätsjournalismus.

Gegen den Output ihrer mehr als 1000 Journalisten verzwergt alles, was auf Deutsch erscheint. Für Schweizer Medien bräuchte man eine Lupe, wollte man sie vergleichen. Stimmt das so, ist das so?

Aus der Schweiz heraus ist es schwierig, die Positionen der NYT in den harten Auseinandersetzungen innerhalb der USA zu beurteilen, in der aufgeheizten Atmosphäre der nahe bevorstehenden Wahlen für das mächtigste Amt der Welt.

Wenn die NYT über die Schweiz schreibt, kann man ihre Qualität beurteilen

Aber wenn sich die grosse NYT um ein Thema aus der kleinen Schweiz kümmert, dann ist es eine gute Gelegenheit, die Qualität von Recherche, Faktentreue und unverfälschter Wiedergabe der Ereignisse zu beurteilen.

Vor allem, wenn es sich nicht um eine kleine Meldung über die kleine Schweiz handelt, sondern um ein Gewaltsstück mit 3211 Wörten, wie das im angelsächsischen Journalismus gemessen wird. Oder rund 20’000 Zeichen über einen einzelnen Menschen. Das Thema ist: «Die kurze Amtszeit und der plötzliche Sturz des einzigen schwarzen CEO».

Man kann dem Lead nicht vorwerfen, dass er den Inhalt des folgenden Artikels nicht akkurat zusammenfasse: «Tidjane Thiam machte die Credit Suisse wieder profitabel. Aber die Schweizer lehnten ihn als Aussenseiter ab, und ein jäher Skandal fällte ihn.»

 

Die NYT pflegt, wie ihr Abschreiber «Der Spiegel», den szenischen Einstieg in ein längeres Stück. Hier ist es eine Geburtstagsparty des VR-Präsidenten der Credit Suisse. Sie fand in einem Zürcher Lokal statt, es gab Showeinlagen, darunter die eines «Abwarts», der den Boden aufwischte und dazu tanzte.

Thiam und seine Tischbegleitung verliessen den Raum; es war ein Schwarzer, der den Abwart spielte. Als sie wieder zurückkehrten, sahen sie eine «Gruppe von Rohners Freunden» auf der Bühne, die eine eigene Nummer zum Besten gaben – alle mit Afro-Perücken.

Einstieg, Verallgemeinerung, Rückblende

Nach dem szenischen Einstieg muss die Verallgemeinerung kommen: Gespräche mit insgesamt 16 – anonymen – Quellen, nahen Mitarbeitern, Kunden, Freunden und Investoren, hätten ergeben, dass «race», also seine Hautfarbe und Herkunft, ein immer präsenter Faktor während seiner Amtszeit war, und dieser Rassismus «half, die Bedingungen für seinen erstaunlich schnellen Abgang zu schaffen».

Nach der Verallgemeinerung kommt die Rückblende; die Biographie Thiams von Geburt an. Bis hin zur Übernahme der Geschäftsleitung der CS, obwohl er dem um ihn werbenden Rohner «zweimal nein gesagt» habe.

Dann sein erfolgreiches Wirken, obwohl Zürich, die Schweiz ihm immer zu verstehen gegeben habe, dass er «nicht dazugehört», schliesslich die Auseinandersetzung mit seinem Private Banking Star, der Überwachungsskandal, der Abgang, obwohl er selbst nicht in die Affäre verwickelt gewesen sei.

Auch die Tränendrüse darf nicht fehlen

Trotz der Unterstützung grosser Aktionäre der CS, darunter David Herro von Harris Associates, die ihm öffentlich zur Seite sprangen, trat Thiam dann am 7. Februar zurück. Bei seiner letzten Medienkonferenz habe Thiam auf die Frage, ob seine Tätigkeit in England anders gesehen worden wäre, geantwortet «ich bin, wer ich bin», und jemand, der in seiner Nähe sass, will beobachtet haben, wie es in Thiams Augen verdächtig glitzerte.

Bevor wir uns die Tränen abwischen können, erzählt die NYT noch, wie Thiam in Zürich bleiben musste, um von der Bankenaufsicht FINMA einvernommen zu werden. Dabei wollte er dringend nach Los Angeles fliegen, wo sein Sohn mit nur 24 Jahren im Sterben lag, Krebs.

Schlusspunch und weiteres Wirken

Richtig, es fehlt noch der Schlusspunch, den setzt das Zitat einer Schwester von Thiam; sie fragt, ob die Schweizer wohl die Redlichkeit besässen einzugestehen, einen Schwarzen als Chef einer ihrer prestigeträchtigsten Firmen zu sehen, für sie «unerträglich» war.

Fehlt noch etwas? Natürlich; Thiam kämpft heute als Gesandter der Afrikanischen Union gegen die Pandemie in Afrika. Und andere Bankchefs kamen mit viel grösseren Fehlern davon, so der CEO von Barclays, der einen Whistleblower unter Einsatz der internen Sicherheitskräfte enttarnen wollte. Der bekam eine Busse und blieb im Amt. Natürlich ein Weisser, ebenso wie Jamie Dimon, der bei JPMorgan Chase einen Verlust von 6 Milliarden und eine Busse von einer Milliarde Dollar verschuldete.

Zusammenfassung des 100-Millionen-Manns

Wenn man die 20’000 Buchstaben zusammenfasst: Thiam kam widerwillig zur CS, sorgte bei der Bank für einen schmerzlichen Turn-Around, brachte sie wieder auf Erfolgskurs und wurde dann nach der Devise «der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen» abserviert. Von einer zutiefst rassistischen Schweizer Gesellschaft, die es nicht ertragen konnte, einen Schwarzen als CEO einer der beiden Grossbanken zu sehen.

Zudem ein Mann, der unbeirrt seinen Weg geht, von der Elfenbeinküste über hochklassige Schulen zu höchsten Positionen, zuletzt bei der Versicherungsgesellschaft Prudential. Bis er den Fehler machte, sich bei den Schweizern zu engagieren.

Das Narrativ ist klar. Aber auch wahr?

Das wäre das Narrativ, das Framing, die klare Aussage des Artikels. Nur: Stimmt das auch? Unterstellen wir, dass alle im Artikel erwähnten Vorkommnisse tatsächlich so stattgefunden haben. Beschreiben sie dann vollständig und ausgewogen die Tätigkeit Thiams?

In einer dermassen langen Strecke hätte sicher Erwähnung verdient, dass Thiam als Chef von Prudential eine Busse von 50 Millionen Pfund kassierte, weil er ein Übernahmeangebot nicht bei der Börsenaufsicht meldete. Eigentlich ein Entlassungsgrund. Aber auch er überlebte das.

Es hätte sicher auch Erwähnung verdient, dass alle, restlos alle Ankündigungen von Thiam über die zukünftige Entwicklung der CS nicht eintrafen. Es hätte vielleicht auch Erwähnung verdient, dass in der Amtszeit Thiams der sowieso schon magere Aktienkurs der CS sich nochmals fast halbierte.

Es hätte vielleicht auch Erwähnung verdient, dass durch Thiams Nachfolger verschiedene seiner Umbaumassnahmen wieder rückabgewickelt werden. Es hätte auch Erwähnung verdient, dass das Erscheinen mit Bodyguards und Helikopter bei Anlässen, zu denen auch Bundesräte mit öffentlichen Verkehrsmitteln und unbegleitet gehen, in der Schweiz tatsächlich Befremden auslöst.

Kritik an Schwarzen kann immer rassistisch sein

Es hätte schliesslich Erwähnung verdient, dass es nicht nur in der Schweiz unüblich und die klare Kriegserklärung an den Verwaltungsrat ist, wichtige Aktionäre zu öffentlicher Kritik am VR aufzufordern. Und es hätte abschliessend Erwähnung verdient, dass man auch die Karte «schwarz» als Trumpf ausspielen kann; Kritiken niedermachen kann, indem man sagt oder andeutet: Wäre der Kritisierte nicht dunkelhäutig, hätte es keine Kritik gegeben. Daher ist sie nicht berechtigt, sondern rassistisch.

Aber da all das nicht in diesem NYT-Artikel steht, der von insgesamt vier Journalisten verfasst wurde, muss man sich leider von der Illusion trennen, dass die NYT weiterhin der Massstab aller Dinge im Journalismus sei. Man kann nur hoffen, dass es sich hier um eine Ausnahme handelt, um einen Ausrutscher. Man muss allerdings gestehen, dass diese Hoffnung nicht allzu gross ist.

How biased is the NYT?

Weil wir wissen, wie ungern unsere angelsächsischen Kollegen eine Fremdsprache lernen, liefern wir ihnen hier die Übersetzung.

 

It is considered a benchmark for quality journalism. Right?

Your editorial building in New York is impressive. Your journalists are impressive. The “New York Times” is considered to be the rarely or never achieved benchmark for quality journalism.

In contrast to the output of its more than 1,000 journalists, everything that appears in German is dwarfed. For Swiss media you would need a magnifying glass if you wanted to compare them. Is that so?

From Switzerland it is difficult to judge the positions of the NYT in the tough conflicts within the USA, in the heated atmosphere of the imminent elections for the most powerful office in the world.

When the NYT writes about Switzerland, you can judge its quality

But if the big NYT deals with a topic from little Switzerland, then it is a good opportunity to judge the quality of the research, factual accuracy and unadulterated reproduction of the events.

Especially if it is not a small piece of news about little Switzerland, but a piece of 3211 words, as measured in Anglo-Saxon journalism. Or around 20,000 characters about a single person. The topic is: «The short term and the sudden fall of the only black CEO«.

The lead cannot be blamed for not accurately summarizing the content of the following article: “Tidjane Thiam made Credit Suisse profitable again. But the Swiss rejected him as an outsider, and a sudden scandal took him down.»

Like its copyist «Der Spiegel», the NYT maintains the scenic introduction to a longer piece. It’s a birthday party for the Chairman of the Board of Directors of Credit Suisse. It took place in a Zurich pub, there were shows, including that of a «janitor» who mopped the floor and danced to it.

Thiam and his companions left the room; it was a black man who played the caretaker. When they returned, they saw a «group of Rohner’s friends» on stage who were performing their own number – all with Afro wigs.

Introduction, generalization, flashback

 After the scenic introduction, the generalization must come: Conversations with a total of 16 – anonymous – sources, close employees, customers, friends and investors would have shown that «race», i.e. his skin color and origin, was an always present factor during his tenure, and this racism «helped create the conditions for its astonishingly quick exit».

After the generalization comes the flashback; Thiam’s biography from birth. Up to the takeover of the management of the CS, although he said «twice no» to Rohner who was courting him.

Then his successful work, although Zurich, Switzerland had always given him to understand that he “does not belong”, finally the argument with his private banking star, the surveillance scandal, the departure, although he was not involved in the affair himself.

To get the tears flowing should not be missing either

Thiam then resigned on February 7, despite the support of major CS shareholders, including Harris Associates› David Herro, who publicly stood by his side. At his last media conference, when asked whether his work in England would have been seen differently, Thiam replied “I am who I am”, and someone who sat near him said that Thiam’s eyes glittered suspiciously.

Before we can wipe our tears away, the NYT explains how Thiam had to stay in Zurich to be questioned by the FINMA banking regulator. He urgently wanted to fly to Los Angeles, where his son was dying of cancer at the age of only 24.

Final punch and further work

 Right, the final punch is still missing, which is provided by the quote from a sister of Thiam; she asks whether the Swiss would have the honesty to admit that seeing a black man head one of their most prestigious companies was «unbearable» for them.

Does anything miss? Naturally; Thiam is today fighting the pandemic in Africa as the envoy of the African Union. And other bank bosses got away with much bigger mistakes, so the CEO of Barclays, who wanted to expose a whistleblower using the internal security forces. He got a fine and stayed in office. A white man, of course, as was Jamie Dimon, who owed JPMorgan Chase a loss of $ 6 billion and a fine of $ 1 billion.

Summary of the 100 million man

 If you summarize the 20,000 letters: Thiam came reluctantly to CS, caused a painful turnaround at the bank, put it back on the road to success and was then based on the motto «the Moor has done his duty, the Moor can go» dumped. From a deeply racist Swiss society, who couldn’t bear to see a black man as CEO of one of the two big banks.

In addition, a man who is unwavering his way, from the Ivory Coast to high-class schools to top positions, most recently at the insurance company Prudential. Until he made the mistake of getting involved with the Swiss.

The narrative is clear. But also true?

 That would be the narrative, the framing, the clear message of the article. Only: is that also true? Let us assume that all of the events mentioned in the article actually took place this way. Do they then describe Thiam’s activities fully and in a balanced way?

In such a long piece it would certainly have been worth mentioning that Thiam, as head of Prudential, received a fine of 50 million pounds for failing to report a takeover offer to the stock exchange regulator. Actually a reason for dismissal. But he survived that too.

It would certainly have deserved to be mentioned that all, absolutely all of Thiam’s announcements about the future development of CS did not take place. It might also have deserved to be mentioned that during Thiam’s tenure, the already meager share price of CS was almost halved again.

Perhaps it would have deserved to be mentioned that Thiam’s successor will reverse various of his renovation measures. It should also have been mentioned that the appearance with bodyguards and helicopters at events to which Federal Councilors also go by public transport and unaccompanied, actually causes astonishment in Switzerland.

Criticizing blacks can always be racist

 Finally, it deserves to be mentioned that it is unusual not only in Switzerland and a clear declaration of war on the Board of Directors to call on important shareholders to publicly criticize the Board of Directors. And finally it deserves mentioning that you can also play the “black” card as a trump card; Can put criticism down by saying or suggesting: If the criticized weren’t dark-skinned, there would have been no criticism. Therefore it is not justified but racist.

But since none of this is in this NYT article, which was written by a total of four journalists, one unfortunately has to part with the illusion that the NYT continues to be the benchmark for all things in journalism. One can only hope that this is an exception, a slip-up. However, one must admit that this hope is not too big.

Ex-Press VIII

Blasen aus dem Mediensumpf

Früher, als alles noch besser war, gab es – neben der Druckvorstufe – noch drei Berufsgattungen, die heutzutage fast ausgestorben sind. Textchefs, Produzenten und Korrektoren. Deren gemeinsame Aufgabe war, einen Artikel richtig einzuschenken. Also mit einem knackigen Titel zu versehen, einem appetitanregenden Lead und danach ein Lauftext, bei dem sich der Leser nicht in einem Schüttelbecher fühlt.

Natürlich kann man bei den grossen Buchstaben genauso Fehler machen wie bei den kleinen, aber das ist hier schon ein starkes Stück:

 

«Der Kemel wehrt sich» (Tages-Anzeiger).

 

Das Kamel wehrt sich? Ein was wehrt sich? Ach so, schliesslich hat Kreml fünf Buchstaben, da kann man doch zwei Fehler machen, und die Mehrheit der Buchstaben ist immer noch richtig.

Auch von Tamedia, auch nicht schlecht: «Der Wunderschuh läutet ein neues Zeitalter ein». Indem er kräftig gegen die Glocke tritt, oder so. Aber immerhin, daran erkennt man, dass es kein bezahlter Text von Nike ist; so einen bescheuerten Titel hätten die sicher nicht gemacht.

«Single, weil die Auswahl scheisse ist», an diesem Titel in «20 Minuten» gibt es nichts zu mäkeln, höchstens, dass so immer mehr Artikel von Tamedia hierhin weitergereicht werden; könnte ja sein, dass ein Leser sie noch nicht kennt.

Nur um Nuancen liegen hier «20 Minuten» und der «Blick» auseinander, abgesehen von der Buchstabengrösse natürlich: «Werde ich sterben?», soll Donald Trump gefragt haben» versus «Donald Trump soll gefragt haben: «Werde ich sterben?» Sollen wir uns das im Rahmen der Feldereinteilung in der Syntaxtheorie mal genauer anschauen? Dachte ich mir doch; was Syntax ist, erklären wir dann im Kurs für Fortgeschrittene.

Auf der völlig sicheren Seite ist für ein Mal sowohl der «Blick» wie auch ein Wetterfrosch:

«Meteorologe warnt: «Es wird noch viel mehr Regen fallen.»

Nun kommen wir schon zum kleinen Intelligenztest; woher stammt dieser Titel: «37 herrliche verrückte Dinge aus Japan»? Gut, eine zweite Chance gebe ich noch: «7 romantische Komödien, die nicht völliger Quatsch sind». Nun hat wohl der Letzte gemerkt, dass es natürlich die Weltzentrale der Listicles ist: «watson». Darauf sollte sich das Online-Organ auch konzentrieren, denn wenn es schwieriger wird, kommt nur noch Blödsinn:

«Die Blockade bei den Bilateralen ist wie ein Smartphone ohne Update».

Geht noch einer drüber? Aber sicher, wozu hat CH Media auch die  Brachial-Kolumnistin, die Fettnäpfchen-Fee, die Gähn-Kalauer-Queen Simone Meier: «Er war da: Vieles, was wir über Johnny Depp geschrieben haben, war wahrscheinlich deppert». Fast richtig; nicht vieles, sondern alles. Und nicht nur über Johnny Depp.

Nun ein Aufschwung in die höheren Gefilde des Journalismus; in das Blatt, das sich seit diesem Wochenende auf das Wesentliche konzentriert: «Trump geht es schlechter als von seinem Leibarzt behauptet», weiss Dr. NZZ es besser als die anderen.

Etwas ungenau hingegen das St. Galler Tagblatt: «Velofahrer im Kanton St. Gallen tot aufgefunden». Dafür aber stellt Pascal Hollenstein mal wieder die grossen Zusammenhänge her und gleichzeitig die Schweiz in den Senkel:

«Deutsche Einheit: Die Schweiz im Schmollwinkel der Geschichte».

Wer noch nicht wusste, dass es den gibt und die Schweiz dort stand: macht nix, ist sowieso nur Unsinn.

CH Media, dessen Vorläufer doch enthüllte, dass ein Badener Stapi Fotos seines unverhüllten Gemächts aus seinen Amtsräumen seinem Schnuckiputzi schickte, ist inzwischen natürlich geläutert und gereinigt:

«Irritierend, wie die Chefetage mit den Mobbing- und Sexismusvorwürfen umgeht», verwundert sich CH Media.

Zur Erklärung: Das ewig in Geldnot steckende Organ «Republik» hat mal wieder einen Artikel eingekauft und versucht, ihn zum Skandal aufzupumpen. Was aber wie meist bei der «Republik» schwierig ist, weil es als «Beweis» für schreckliche Zustände bei der Schweizerischen Nationalbank nur eine Handvoll nicht sehr aussagekräfige Fälle gibt. Und zudem die Chefetage sicherlich bezüglich Frauenquote noch etwas Luft nach oben hat. Aber die Verwaltung von bald einmal einer Billion – das sind 1000 Milliarden – Franken, ist ausserhalb von streng feministischen Kreisen vielleicht ein Mü wichtiger.

Uns wird gelegentlich vorgeworfen, wir seien immer so negativ, was wir gar nicht sind. Aber wie auch immer, dieser Titel aus der NZZ am Sonntag ist schlicht und einfach ganz grosses Kino, sollte applaudiert und bewundert werden:

«Krieg in Karabach: Wo man Kalaschnikows auf Wickeltischen ölt»

Viel besser wird’s nicht in Sachen Titel.

 

Der AZ-Faktencheck

Nicht alles stimmt von A bis Z.

Für alle sportlichen Leser eine kleine Übung: Beginnen Sie bitte zur Aufwärmung mit einer aufrechten Pirouette. Strecken Sie sich nun ruckartig nach hinten über die Schulter und halten den linken oder rechten Schuh mit der Hand. Bitte dehnen Sie sich langsam Richtung Decke. Ihr Körper soll dabei aufrecht bleiben. Und jetzt: Lächeln. Sehr schön. Sie haben gerade die Biellmann-Pirouette geschafft und dürfen sich im Eisfach mit etwas Süssem belohnen.

Alle anderen machen bitte eine AZ-Pirouette. Benannt nach der Aargauer Zeitung, die ein Interview mit zwei deutschen Wissenschaftlern machte. Das Gespräch habe «Wellen geworfen», schreibt die Zeitung ein paar Tage später. Grund: Die Journalisten luden nicht Daniel Koch zu einer Plauderrunde ein, sondern die beiden Autoren des Spiegel-Bestsellers «Corona Fehlalarm?»

Feige oder peinlich? Wahrscheinlich beides

Was also tun? War es mutig oder übermutig den zwei Ärzten eine Plattform zu geben? Wahrscheinlich letzteres. Die AZ entschied sich deswegen für eine Pirouette. Sie schreibt: «Die deutschen Wissenschaftler Sucharit Bhakdi und Karina Reiss haben umstrittene Aussagen gemacht. Der Faktencheck.»

Zuerst interviewt man also zwei Ärzte und distanziert sich ein paar Tage später von ihren Aussagen. Ist das feige oder peinlich? Wahrscheinlich beides. Und es ist auch noch falsch. Eine der neun inkriminierten Aussagen war:

Die Kinderpsychologen in Deutschland haben keine freien Termine mehr, weil Kinder unter dem Maskentragen leiden.

Die Aussage ist – natürlich – überspitzt. Sie spielt auf die deutschen Zustände ab. Wenn man das Zitat widerlegen will, muss man also Experten befragen, die über Deutschland berichten können. Das wird im «Faktencheck» nicht gemacht. Befragt wurde nur ein Schweizer Verbandspräsident. Der sagt natürlich nichts über Deutschland, ergreift aber gleich die Gelegenheit für die Forderung nach zusätzlichen Ressourcen in der Beratung.

Willkürlicher «Faktencheck»

Ja, es stimme, schreibt eine Journalistin zurück, dass man im Faktencheck die deutschen Verhältnisse nicht berücksichtigt habe. Aber es «spielt keine grosse Rolle: Hier wie dort werden Kinder teilweise von maskierten Personen betreut. Hier wie dort nur zu einem kleinen Teil. Diese Unvollständigkeit finde ich vernachlässigbar angesichts der offensichtlich übertriebenen (ergo auch für Deutschland falschen) Aussage, dass alle Kinderpsychologen wegen der Masken ausgebucht sein sollen.»

Im Faktencheck wird also eine Aussage als übertrieben und falsch gewertet. Die Recherche hingegen stützt sich auf einen einzigen (Schweizer) Experten. Übrigens: Der Gute warnt seine eigenen Patienten vor einer Wartezeit von bis zu 4 Wochen.

Einen Beitrag zum Thema «Fake News» leistet sich CH Media aber mit der Verstümmelung einer weiteren Aussage der beiden Wissenschaftler gleich am Anfang.

Bhakdi: «Es wird ein nicht validierter und nicht zugelassener Labortest verwendet.»

Daraufhin wird im «Faktencheck» behauptet: «Die in Deutschland von Coronaskeptikern oft geäusserte These hat ihren Ursprung bei den ersten mangelhaften Covid-Tests Anfang der Krise in Deutschland.» Und zack, schon sind die beiden Wissenschaftler zu «Coronaskeptikern» heruntergestuft. Allerdings mit unlauteren Mitteln. Indem schlichtweg die zudem noch völlig richtige Begründung für diese Aussage unterschlagen wird:

«Dieser stellt auch noch Trümmer des Erregers fest, also irrelevante Virusgen-Fragmente. Das bedeutet: Es wurden zahllose Infektionen registriert, ohne dass die Personen an Covid-19 erkrankt oder gar infektiös waren. Dass diese gesunden Menschen andere mit dem Coronavirus anstecken, ist niemals belegt worden. Eine Behauptung also, und nichts mehr.»

Übrigens eine wissenschaftliche Feststellung, die auch vom deutschen Robert-Koch-Institut geteilt wird, was damit wohl nicht ins Lager der «Coronaskeptiker» übergelaufen ist. Das ist also kein «Faktencheck», sondern ein Beitrag dazu, dass die Medien selber ihre Glaubwürdigkeit zerstören.

Nochmals Nachtreten in einem Kommentar

Ist damit die Beckmesserei beendet? Nein, es wird noch in einem Kommentar nachgetreten: «Coronaskeptiker wie die Professoren Bhakdi und Reiss schüren Emotionen und lenken ab von der Tragödie.» Und ein solches Verhalten macht die Leser muff und lenkt nicht ab, sondern zeigt deutlich: Thema nicht beherrscht.

Wurden die beiden eingeladenen und später kritisierten Interviewpartner wenigsten mit dem «Faktencheck» konfrontiert?   «Nein», lautet die Antwort, «wir haben den Faktencheck Bhakdi und Reiss nicht vorgelegt. Die beiden haben mit dem Interview Platz bekommen für ihre fast unwidersprochenen Aussagen.»

Jetzt auch noch Schelte für die eigenen Journalisten? Das reicht sogar für den dreifachen Axel.

Präsident! Trump! Infiziert!

Wenn die Medien ins Hyperventilieren geraten, hilft kein Papiersack.

Sie kennen das. Menschen, die zu Schnappatmung neigen, können sich einen Papiersack vor den Mund halten und in ihn atmen. Der abnehmende Sauerstoffgehalt beruhigt dann, die normale Atmung setzt wieder ein.

Die Medien kennen diese Möglichkeit nicht. Seitdem bekannt ist, dass US-Präsident Donald Trump samt seiner First Lady positiv auf Covid-19 getestet wurde, kommt es mal wieder zu Rudelbildung in den Medien.

Die Gazetten sind übervoll

«Kostet ausgerechnet Corona Trump die Wahl?», fragt der «Blick» scheinheilig besorgt. «Experimenteller Cocktail für den US-Präsidenten», vermeldet die medizinische Fachzeitschrift «20 Minuten». Gleich eine ganze Artikelsalve feuert Tamedia ab; darunter: «Wie viele Menschen hat Donald Trump angesteckt?»

Eher staatstragend im alten NZZ-Stil stellt das «Tagblatt» fest: «Für Trumps Wahlkampf kommt die Corona-Infektion zur Unzeit.» Schon mit einem Ratgeber zur Hand sind die übrigen Blätter von CH Media: «Trump hat Corona: Was bedeutet das für den Wahlkampf? 7 Fragen und Antworten.»

Die NZZ riskiert einen Blick auf das Wesentliche: «Trumps Corona-Infektion sorgt für Nervosität an den Finanzmärkten.» Verwunderlich hingegen, dass noch niemand auf die Idee kam, Daniel Koch zu interviewen, dessen fachliche Einschätzung wäre doch wertvoll. Pech hingegen hat, zumindest in der Schweiz, der Tag der Deutschen Einheit. Just vor 30 Jahren hauchte die DDR, der erste Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden, ihr Leben aus.

Man weiss eigentlich nichts

Aber was sind schon die anderen Ereignisse von nah und fern; der US-Präsident hat das Virus. Das ist eigentlich auch das Einzige, was man bislang weiss und könnte mit diesem Satz sein Bewenden haben. Denn mehr weiss man schlichtweg nicht.

Wie steht’s denn um seinen Gesundheitszustand; wie ist der Verlauf, was bedeutet die Tatsache, dass er in der Hochrisikogruppe Ü-70 ist, ist er noch in der Lage, sein Amt auszuüben, ist diese Nachricht eigentlich echt oder Fake News? Verliert oder gewinnt er nun die Wahlen? Wird er versuchen, die Infektion als Vorwand zu nehmen, die Wahlen zu verschieben, ihr Resultat nicht anzuerkennen? Ist die Übersiedlung in ein Militärspital bereits der Vorbote einer beunruhigenden Entwicklung?

Man kann natürlich Vermutungen anstellen

All diese Fragen kann man natürlich stellen – und mit Vermutungen, Werweissereien, Kaffeesatzlesen, Zukunftsdeutungen aus der Glaskugel, dummen Geschwätz beantworten. Und damit kostbaren Platz in den zum Skelett geschrumpften Medien vergeuden.

Statt ganze Buchstabengebirge zu errichten, die schneller als Schnee in der Sonne wieder wegschmelzen, spurlos verschwinden. All dieses Gebrabbel liesse sich durch einen einzigen Satz ersetzen: Der US-Präsident hat bekanntgegeben, dass seine Frau und er positiv auf Covid-19 getestet wurden, es gehe ihm gut.

Spar-spa-sp-sp

Auch wir müssen sparen. Schon mit Buchstaben. Das kommt wohl noch überall.

Nach der Sparrunde ist während der Sparrunde. Während der Sparrunde ist vor der Sparrunde. Im Jammertal der Medien gibt es eigentlich nur mehr drei Trompeten, in die gepustet wird.

Die erste Trompete jammert herzerweichend. Inserate weg, Leser weg, Geld weg, Ideen weg, Alarm, die vierte Gewalt im Staate ist am Verröcheln. Hilfäää!

Diese Trompete lässt man erschallen, wenn Verleger und Verlage die hohle Hand machen. Her mit der Staatsknete, aber subito. Und bitte schön, grosse Verlage haben natürlich grosse Aufgaben bei der Bewahrung von Demokratie, der Kontrolle von allem und überhaupt. Also müssen die auch mehr Kohle kriegen als kleine, ist doch klar.

Aber es gibt die übliche Kakophonie der Schweizer Verleger, wo man sich kräftig zankt, nach welchen Kriterien die Staatshilfe ausgeschüttet wird; insbesondere online. Da tröten dann verschiedene Blasinstrumente dissonant durcheinander.

Spitze Trompetenstösse wie von Lully

Die zweite Trompete wird angestimmt als wäre es ein Stück von Lully oder Händel. Spitze Trompetenstösse dekorieren das Eigenlob. Die neuste Sparmassnahme sei keinesfalls in erster Linie eine Sparmassnahme. Im Gegenteil, immer wieder wird der Journalismus gestärkt, die Kompetenz erhöht, selbstverständlich werden niemals und keinesfalls Abstriche bei der Qualität gemacht.

Unbedingt wird weiterhin auf die strikte Trennung zwischen redaktioneller Eigenleistung und Werbeformen geachtet. So strikte, dass es der Leser meistens gar nicht mehr merkt, was denn was ist. Stellenabbau, Mittelkürzungen, geringeres Angebot, höhere Preise? Aber nein, so sollte man das nicht sehen, jubilieren die Trompeten. Bis die Speicheltaste gedrückt werden muss, damit der ganze Schleim abfliesst.

Die dritte Trompete dudelt nur leise

Die dritte Trompete wird eher beiläufig und gestopft gespielt. Denn hier soll die Melodie einen Klangvorhang zwecks Verhüllung liefern. Sie trötet «nö, nö, nö», wenn vorwitzige Fragen gestellt werden. Zum Beispiel, wieso denn auch Verlagshäuser von Kurzarbeit und von Corona-Krediten profitieren, aber dennoch Stellen abbauen. Das wurde exklusiv von ZACKBUM.ch recherchiert und durchgerechnet.

Oder wie es denn sein kann, dass die Grossverlage trotz allem Gejammer noch Gewinne einfahren, während die Mediensparten meistens in den roten Zahlen stecken. Ob da nicht Quersubventionierung möglich sei, denn die ertragreichen Internet-Tausch- und Handelsplattformen generieren ihre Gewinne ja, weil sie aus dem Print herausgewachsen sind und ursprünglich zur gedruckten Zeitung gehörten.

Das sei ganz und gar unmöglich, wird hier gedudelt, eine ganz falsche Auffassung, das seien unterschiedliche Profitcenters, Holding, halt kompliziert, nix für Laien, hat aber alles seine Richtigkeit.

Der Meister der Trompeten ist eine Liga für sich

Ein bemerkenswertes Solo gab gerade der Chefredaktor der NZZ. In einem Interview auf persoenlich.com zeigte Eric Gujer, dass er nicht nur gnadenlos staatstragend und intellektuell vor Holztäfelung am Tisch sitzen kann, sondern auch verbal mehr draufhat als seine Kollegen.

Denn selbst er muss, nun ja, wie er «offen sagen kann», «auch» Sparmassnahmen verkünden. Mit der Betonung auf «auch», denn in Wirklichkeit handelt es sich natürlich um Verbesserungen.  Von seinen Begründungen können sich alle anderen Verkünder von Sparmassnahmen ein paar dicke Scheiben abschneiden.

Zunächst ist die Reduktion auf zwei Bünde eigentlich keine Reduktion, sondern vielmehr «die von vielen Kunden erwartete Reduktion auf das Wesentliche». Das ist die Message, meine Damen und Herren. Unsere Leser wollen das, erwarten das, fordern das. Und bevor es Demonstrationen vor der Falkenstrasse gibt, ist die Geschäftsleitung bereit, dieser Forderung nachzugeben.

Ein interessantes, genialisches Marketing

Eine dünnere Zeitung für den gleichen, bald wohl wieder erhöhten Preis, ein interessantes Marketing. Die Schokolade wird geschrumpft, dafür kostet sie mehr, schmeckt aber besser. Grossartig. Oder in Gujers Worten: «Insgesamt bietet die NZZ ihren Kunden mehr als früher.»

Denn die Kunden, früher als Leser bezeichnet, hätten sich darüber beschwert, dass die NZZ zu dick sei «und fast schon eine Belastung». Alt und dick, das geht natürlich selbst der bei der Tante NZZ nicht. Man stelle sich das nur bildlich vor, wie sie auf ihren Lesern, Pardon, Kunden liegt. Schön, dass da Abhilfe und Erleichterung geschaffen wurde.

Gujer hat angesichts dieser – nennen wir es analog zu historischen Ereignissen – grossen Erleichterung noch mehr gute Nachrichten zu verkünden. So habe die NZZ inzwischen wieder 160’000 Abonnenten. Das ist ganz wunderbar, bei einer verkauften Auflage von rund 75’000 Exemplaren.

Mehr als doppelt so viele Abonnenten wie Printauflage

Auf 160’000 kommt man, wie auf ZACKBUM.ch schon durchgerechnet wurde, indem man alle Abos, Schnupper-, Studenten-, Lockvogel-Angebote mitrechnet. Hat Gujer noch mehr drauf? Natürlich, denn am Ende wird er noch m seine Meinung zur staatlichen Medienförderung befragt.

Selbstverständlich «sind wir aus liberaler Sicht» dagegen, denn das sei eindeutig Marktverzerrung. Das löst die Nachfrage aus, ob dann die NZZ solche Gelder verweigern würde. Im Gegensatz zur «Republik», die bei dieser Frage rumeiert, hat Gujer kein Problem, ein klares Wort zu finden: «Wir würden das Geld annehmen. Denn alles andere wäre ja dann auch wieder eine Wettbewerbsverzerrung.»

Das ist alles marketingmässig so toll, dass eigentlich nur die Frage offenbleibt, wieso Gujer nicht in die Werbung gegangen ist; mit dieser Gabe hätte er den Wettbewerb nicht verzerrt, sondern jeden gewonnen.

Eine billige Nummer

Der neuste «Schweizer Journalist» ist eine Enttäuschung. Versinkt er bald in der Bedeutungslosigkeit?

Stolz kann David Sieber auf seine neuste Ausgabe des «Schweizer Journalisten» leider nicht sein. Die Hälfte seines Heftes hat er mit Texten ohne Bezug zur Schweiz gefüllt. Dazu ein nicht repräsentatives Ranking unkritisch hochstilisiert. Ein bisschen wenig für 15 Franken Einzelverkaufspreis. Doch der Reihe nach.

Ehrenpreis für einen legendären Sprecher

Ehre wem Ehre gebührt: Das hat sich Chefredaktor David Sieber gedacht, als er die Würdigung von Polizeisprecher Marco Cortesi ins Blatt rückte. «Kurzfristig haben wir den Preis für das Lebenswerk ins Leben gerufen», schreibt Sieber mit salbungsvollen Worten. Diesen Ehrenpreis bekommt Zürichs legendärer Polizeisprecher Cortesi, weil «wir gehört haben, dass er nächsten Februar in Pension geht». Da ist Sieber nicht allein. Die halbe Journalistenschweiz weiss seit Monaten, dass Marco Cortesi bald pensioniert wird. Und dass Cortesi Würdigungen, Nachrufe etc. erst im Dezember möchte. Für den «Schweizer Journalisten» gilt die Ausnahme, dass das PR-Ranking nur einmal im Jahr rauskommt.

Nach der Lektüre des Sieber-Artikels («Kommunikationsprofi mit Herz») über Cortesi muss man es sagen: Von einem Chefredaktor eines Branchenmagazin hätte man mehr erwartet. Natürlich ist Cortesi der Bündner Charme-Bolzen. Und er hat eine Würdigung auch voll verdient. Aber so unkritisch und ohne jegliche Vertiefung? Denn Cortesi kann auch anders. Der Schreibende erinnert sich an eine eigene Recherche, als er der Polizei nachweisen konnte, dass sie eine Art «Pfefferspray-Kärcher» gegen Kurdische Demonstranten einsetzte. Da wurde Cortesi richtig sauer und die Auskünfte waren ganz, ganz kurz und sehr, sehr unvollständig.

Harry Rosenbaum hin und weg

Damit zum Aufhänger des Heftes, zum Ranking «Unternehmenssprecherin des Jahres». «Die neue Überfliegerin» heisst es auf dem Titelblatt ein bisschen platt. Denn man nimmt Bezug auf Flughafensprecherin Manuela Staub, die «an die Spitze gestürmt» ist. Das mag man ihr und ihren drei Kolleginnen von Herzen gönnen. Auch das Tribut «Fab Four», das ihnen Autor Harry Rosenbaum verliehen hat. «Fab Four» (berühmte, fabelhafte Vier) nannte man zwar die Beatles und das ist länger her. Aber egal.

Ein bisschen weit hinten, erst auf Seite 68, folgt dann das Portrait der Siegerinnen. Lustig: Auch Harry Rosenbaum scheint viel mit der Flughafenmedienstelle zu tun zu haben. «Die Unternehmenskommunikation der FZAG macht eine super Arbeit, die sehr nachhaltig wirkt», schreibt der Journalist aus St. Gallen. Doch er hakt nach. Gibt es für den Sieg mehr Ferien, mehr Lohn oder eine grosse Party? «Der CEO meinte, über einen zusätzlichen Ferientag liesse sich verhandeln. Und natürlich haben wir angestossen, sagen die Frauen von der Flughafen-Medienstelle spontan.» So weichgespült ist leider der ganze Artikel.

Peter Minder ganz hinten

Hinter den Flughafen-Frauen folgen auf dem Podest Pro Natura und die Schweizerische Post. Das Schlusslicht bilden als 131. Peter Minder, Medienchef von Ueli Maurer und als 132. die Medienstelle der Politpartei BDP.

Mehr als zwei Drittel ungenügend

Wie lief das Ranking eigentlich ab? Laut Reglement des «Schweizer Journalisten» war die Bewertung vom 3. August bis 6. September online. Die Benotung passierte nach dem Schweizer Schulnotensystem. Die Flughafen-Damen gewannen den Wettbewerb mit der Note 4,52. Das bedeutet «genügend bis gut». Was für einen Sieger auf eine durchaus schlechte Beurteilung der Branche durch die Journalisten schliessen lässt. So hat die Coop-Mediensprecherin Rebecca Veiga (+ Team) als 33. nur die Note 3,95 erreicht. «Ungenügend». Fazit: Mehr als zwei Drittel der benoteten Sprecher und Firmen sind durchgefallen. Peter Minder etwa holte eine 2,85. «Sehr schwach bis schwach», heisst es im Schweizerischen Notenschlüssel dazu.

Nur 160 machten mit bei der Abstimmung

Doch es kommt noch schlimmer. Die Aussagen sind darum relativ, weil nur rund 160 News- und Fachjournalisten mitgemacht haben. 160 Leute. Aktuelle Statistiken gehen von gut 13’000 erwerbstätigen Journalisten und Redakteuren aus (verifizierte Zahlen von 2018: 14’500). Somit haben also lediglich etwas über 1 Prozent der Journis am Ranking mitgemacht. Für ein Fachblatt eine schwache Leistung.

Repräsentativ ist anders. Ja, eigentlich müsste die Headline lauten: Schlechte Noten für die Medienstellen. Bei den Journalisten herrscht grosse Unzufriedenheit.

«Zu wenig Ostdeutsche in den Redaktionen»

Und nun zur Gesamtbeurteilung des Heftes. Der erste Eindruck: Erinnerungen an die Südostschweiz am Wochenende kommen auf. Und zwar darum, weil 70 Prozent jener Zeitung nichts aber auch gar nichts mit Graubünden zu tun haben. Es kommt alles aus der Zentralredaktion in Aarau. Genau so beim «Schweizer Journalisten». Zu vieles ist von den Schwesterblättern (Der Österreichische Journalist, mediummagazin.de, Der Wirtschaftsjournalist) reinkopiert. Drei Seiten über «Bundesverkehrsminister Scheuer», drei Seiten über die TV-Serie «Piefke-Saga». Drei Seiten Analyse «Zu wenig Ostdeutsche in den Redaktionen». Dazu irritierenderweise auch lokale Inserate und Verlagshinweise. Eine Seite «30 unter 30. Die jungen PR Talente Deutschlands». Oder: «22. Österreichischer Journalistinnenkongress. Am 4. November in Wien».

Je länger man sich mit dem Heft beschäftigt, desto mehr kommt man ins Grübeln. Ist da gerade ein Branchenmagazin am Abserbeln?

Aber stopp. Die  drei Seiten über «Geld vom Staat – wofür?» sind ganz ok. Zu Wort kommt etwa der Deutsche Zeitungsverleger-Präsident Mathias Döpfner. Der Schweiz-bezogene Teil aber ist eine merkwürdige Doublette des Artikels von Dennis Bühler, einige Seiten vorher («Die Hälfte für die Kleinen, die Hälfte für die Grossen»). Dort immerhin erfährt man, dass der Bund bei der geplanten Onlineförderung dem Stadtzürcher Online-Portal tsüri.ch 84’000 Franken jährlich zahlen möchte. Das Online-Magazin «Republik» bekäme gar 1,34 Millionen Franken. Geschrieben hat dieser Artikel übrigens Dennis Bühler, selber Redaktor bei der «Republik».

Ein Lichtblick, der Sportjournalistenverband

Gibt es denn nichts Spannendes, Erfreuliches zu berichten nach der Heftlektüre? Doch. Der Artikel von Andreas W. Schmid über die Unruhe im Sportjournalistenverband ist ein Stück, das man gerne liest in einem Branchenmagazin. Viel Swissness, viel Neues. Etwa, wenn man vom Krach der ehemaligen SRF-Journalistin Jeanine Geigele mit dem internationalen Sportjournalistenverband erfährt. Geigele berichtet, dass es dort kaum um Inhalte, dafür umso mehr um teures Essen und repräsentative Hotels geht. Und dass der internationale Sportjournalisten-Kongress 2019 in Lausanne schlussendlich vom Katarischen Verband mitorganisiert und bezahlt wurde. Der Schweizer Verband weigerte sich, dieses korrupte System zu unterstützen. Warum gab’s nicht mehr solche Artikel?

Bald ein «Jubiläum»

Der nächste Schweizer Journalist erscheint schon am 4. November. Sonderthema: «Jubiläumsausgabe: 15 Jahre Schweizer Journalist». 15 Jahre ist nicht gerade eine runde Zahl. Aber man muss die Feste feiern, solange man noch lebt.

 

P.S. Im Editorial geht David Sieber mit keinem Wort auf die wirtschaftliche Situation des eigenen Blattes ein. Etwa, dass wegen der internen schlechten Finanzlage so viele Artikel übernommen werden mussten von Österreich und Deutschland und es hoffentlich wieder besser werde. 

 

Mieser Erfolg schön geschrieben

Die Postautotochter Publibike rennt dem Erfolg hinterher. Doch dank beschönigenden Communiqués steht der staatliche Veloverleiher in den Medien erstaunlich positiv da.

Publibike ist der Branchenleader in der Schweiz. Die an frühere Minivelos erinnernden Gefährte dominieren das Bild der Schweizer Innenstädte. Praktisch überall hat die der Postauto Schweiz angegliederte Firma Publibike bei den öffentlichen Ausschreibungen die privaten Konkurrenten ausgestochen. Grund: Publibike hat für null Franken Kosten für die Allgemeinheit offeriert. Etwas, was die privaten Unternehmen nicht stemmen konnten. Einige gingen gar vor Gericht, um zu beweisen, dass der Betrieb so unmöglich zu finanzieren sei. Die Gerichte glaubten Publibike. Das war aber, bevor der Millionenbetrug von Postauto Schweiz AG öffentlich wurde. Unschön: Auch Publibike wurde mit den erschwindelten 205 Postautosubventionsmillionen querfinanziert. Nur so war es möglich, Publibike aufzubauen und so günstig zu offerieren.

Das Millionendefizit

2019 resultierte ein Defizit von 2,5 Millionen Franken. Total beträgt das aufgelaufene Defizit über 10 Millionen. Im Frühling 2020 forderte Publibike staatliche Unterstützung, sonst drohe der Konkurs. Dabei hatte Publibike zum Beispiel in Zürich mit der Stadt ausgehandelt, dass man gratis und franko Platz für die Velostationen bekam. Wegen einer Spezialregelung mussten die Orte nicht einmal öffentlich ausgeschrieben und bewilligt werden. Als Sponsoren treten bisher oft staatliche Institutionen wie Elektrizitätswerke und staatsnahe Firmen wie Kantonalbanken auf.

Bei der Kommunikation der Misere kann Publibike auf die Profis der Schweizerischen Post zählen. Da wird jeder Misserfolg schöngeschrieben.

Dazu kommt, dass die Publibike-Kommunikation sich auf die regionale Berichterstattung konzentriert. Dort wird in den Redaktionen ebenfalls gespart und nicht selten findet ein eingespieltes Geben und Nehmen statt. Die Exekutive wird mehrheitlich nicht kritisiert. Dafür bekommt man die eine oder andere Geschichte gesteckt.

1 Million Fahrten oder 1,3 Ausleihen pro Tag und Velo?

Ein Beispiel von vielen herausgepickt. Ein Amtsblatt aus der Region Zürich berichtet freudig, «Bisher 3325 Publibike-Fahrten in Kloten», dazu eine mit strahlendem Lächeln in Kamerarichtung radelnde Stadträtin. Doch heruntergerechnet bedeuten 3325 Fahrten sagenhafte tiefe 1,2 Ausleihen pro Tag und Velo. Damit kann man ja kein Geld verdienen. Auch der Tages-Anzeiger versäumte es Anfang Jahr, den Taschenrechner heraus zu nehmen und Fragen zu stellen. Sein Titel «Über 1 Million Fahrten mit dem «Züri-Velo». Er lobt Publibike über den Klee. Der Titel tönt super. Doch auch in Zürich wurde jedes Publibike-Velo im Schnitt nur 1,3 mal pro Tag ausgeliehen. Und auch dann nur je 16 Minuten. Ein Erfolg sieht anders aus.

Publibike hat versprochen, zumindest die Verträge, die meist bis 2023 oder 2024 dauern, einzuhalten. Was dann passiert, ist völlig offen.  Immerhin scheint Publibike einen Verbündeten zu haben, die regionalen Berichterstatter.

Die jüdischen Zeitungen

Im Zweifelsfall braucht man zwei jüdische Blätter.

Zur Einstimmung, Entschuldigung, ein alter Judenwitz: Ein Jude erleidet Schiffbruch und rettet sich mit Müh und Not auf eine unbewohnte Insel. Als erstes baut er zwei Synagogen. Jahre später wird er gerettet. Auf die Frage, warum er zwei Synagogen erstellt hat, antwortet er: «Also, in die erste gehe ich beten und in die zweite setze ich nicht einmal einen Fuss; aus Protest.»

In der Deutschschweiz gibt es zwei jüdische Zeitschriften: das «Tachles» und die «Jüdische Zeitung». Beide stammen aus Zürich. Die eine ist liberal, die andere streng religiös. Die «Jüdische Zeitung» sieht in allem ein Wunder Gottes oder eine Strafe Gottes oder eine Wunderstrafe des Allmächtigen.

Beliebt sind antisemitische Graffiti

Das «Tachles» sieht alles durch eine jüdische Brille. Zum Beispiel die Zürcher Protestkundgebung gegen die Corona-Massnahmen des Bundes. Ein Tachles-Journalist fand unter den Protestierenden einen «Fahnenträger, dessen Stoffstück einzig den Buchstaben Q zeigt. Der Mann outet sich damit als Anhänger der QAnon-Bewegung.»

Diesem einen Querkopf widmet die Wochenzeitschrift einen 5000-Zeichen-Text. Auch beliebt sind antisemitische Graffiti. In den letzten fünf Jahren erschienen im «Tachles» 67 Artikel über Schmierereien in der Schweiz und Ausland. Stehen Gemeinde- oder Kantonsratswahlen vor, informiert die Zeitschrift verlässlich, wer von den Kandidatinnen und Kandidaten jüdisch ist.

Warum Kinder keinen Mundschutz tragen müssen

Die «Jüdische Zeitung» steht über solchem Pipifax. Sie steht irgendwo zwischen Himmel und Verklärung. In der aktuellen Nummer schreibt zum Beispiel ein Rabbi Mosche Young über Donald Trump. «Die Gegner von Präsident Trump haben ihn dafür kritisiert, dass er egozentrisch sei und sich nicht wirklich um das Land kümmere.» Rabbi Mosche verteidigt Trump: «Vielleicht gehört das ja zum Job!» Danach führt der Rabbiner Beweise aus der Kabbala, der Bibel und dem Talmud an.

In der Heftmitte erklärt ein entrückter Rabbiner aus Basel, warum Kinder keinen Mundschutz tragen müssen: «Die Worte der Kinder sind so rein, dass sie keinen Mundschutz benötigen.»

Alle paar Jahre wird die Koexistenz dieser beiden völlig unterschiedlichen Zeitungen gestört. Dann schiesst nämlich das «Tachles» gegen die «Jüdische Zeitung» und wirft ihr «Geringschätzung von Nichtjuden» vor.

Welche jüdische Zeitung ich auf eine einsame Insel mitnehme? Natürlich beide!

 

Atasoys Sololauf

Salvador Atasoys «Medientalk» fällt auf, weil er bald die letzte Medienkritik ist. In der aktuellen Ausgabe setzte Atasoy aber zu sehr auf Theoretiker.

Der Medienkritik-Blog vom «Tages-Anzeiger»: auf Eis gelegt. Die Medienseite der «NZZ»: auf der Abschussliste. Die «Medienwoche»: mit immer weniger Beiträgen. «Persönlich»: zu 90 Prozent Verlautbarungstexte der Medienkonzerne, «Kleinreport»: ebenfalls viele Verlautbarungstexte.

Da fällt der «Medientalk» auf SRF 4 News durchaus positiv auf. Die jeweils gut 30-minütige Sendung wird immer am letzten Samstagmorgen im Monat ausgestrahlt, nachher gibt’s ihn als Podcast. Salvador Atasoy ist Produzent, Moderator und wohl auch treibende Kraft innerhalb von SRF für das Format. Es ist sein Sololauf. Entsprechend oft haben immer wieder die üblichen Verdächtigen ihren Auftritt, etwa Hansi Voigt. Trotzdem bringt das Format doch recht häufig spannende Erkenntnisse. Vor einem Monat waren es zwei jungen Journalistinnen, die frisch und scheinbar ohne Angst vor Sanktionen ihrer Arbeitgeber über die Männerdominanz in den Schweizer Redaktionsstuben berichteten. Andrea Fopp, Autorin bei Bajour und Nora Bader, Autorin bei 20 Minuten. Die beiden haben kürzlich das Buch «Frauen Macht Medien» herausgegeben.

Zehn Jahre nach Kurt Imhofs Premiere

Am vergangenen Samstag ging es nun um die neueste Qualitätsstudie MQR 2020. Sie erscheint alle zwei Jahre. Die erste Studie veröffentlichte 2010 der damalige Publizistikwissenschaftler Kurt Imhof (1956-2015). Damals war das Echo in den Medien gross, was sicher auch mit dem charismatischen und streitbaren Auftreten Imhofs zu tun hatte. 2020 ist das anders.

Laut Salvador Atasoy wurde fast gar nicht über die grossangelegte Studie berichtet. Das wollte der «Medientalk» nun nachholen. Doch warum lud Atasoy keinen Praktiker ein? Sagten alle Journalisten der in der Studie kritisierten Verlage «Tages-Anzeiger» und «CH Media» ab?

Zu Wort kamen bei Atasoy lediglich der eher farblose Wissenschaftler Daniel Vogler vom fög (Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich), sowie der ehemalige Journalist und heutige PR-Manager Andreas Durisch (Dynamics Group) vom herausgebenden Stifterverein. Die Einschätzung von Vogler und Durisch: Medien nutzen die Ergebnisse fürs eigene Marketing – wenn sie gut abgeschnitten haben. So habe Blick online das Ergebnis freudig vermeldet. Bei CH Media (mit der Aargauer Zeitung) und der TX Group (mit dem Tages-Anzeiger) wurde nichts vermeldet, was für Durisch «bedauerlich» ist. Durisch hat noch etwas beobachtet: «Die Medienberichterstattung ist total zurück gegangen.» Für Durisch einer der Gründe: «Medienjournalisten müssen die Hauspolitik des Verlags vertreten.» Darum nehme sie viel weniger Platz ein als früher. Das trifft sich mit der eingangs formulierten Beobachtung von ZACKBUM.ch. Die Medienkritik bekommt immer weniger Raum.

Boulevardisierung bei der Regionalberichterstattung

Und wo können die Verlage noch mehr sparen? Das Potenzial liege in der Regionalberichterstattung. Sie werde ausgedünnt und es erfolge eine Boulevardisierung. Grund: Unfälle und Verbrechen generieren viel Klicks, was bei der Strategie «online first» entscheidend sei.  Berichte über KMU’s und die regionale Politik laufen viel weniger. Zudem werden die Redaktionen weiter zentralisiert und Aussenstellen abgebaut, findet Andreas Durisch.

Damit bleibt auch weiterhin genügend Arbeit, um in zwei Jahren wieder eine Qualitätsstudie herauszugeben.

Der Umkehrschluss: Nicht Online ist besser geworden, sondern der Print schlechter

Zum Schluss noch dies: Eine der Hauptaussagen der Qualitätsstudie MQR 2020 ist, dass die Online-Medien mittlerweile so gut sind wie ihr Pendant im Print. «Ein grosser Schritt, denn bisher schnitt Online immer schlechter ab wie Print», so die Studie. Kurt Imhof selig würde nun nach kurz-legendärem Kichern sagen: «Man könnte die Studie auch anders interpretieren. Der Print ist so viel schlechter geworden, dass er sich dem Online angepasst hat». Dann würde nochmals sein diebisches Kichern folgen. Hier zu Ehren von Kurt Imhof der Link zu einer Trauerrede an seiner Beerdigung am 6. März 2015.