Ein Ranking der Lebensexperten
Ratgeberexperte ist kein geschützter Titel. Das merkt man.
Expertenantworten zu Lebensfragen werden gierig gelesen wie die Lottozahlen. Es ist eine Mischung aus Voyeurismus und Mitgefühl. Und ja, bei manchen Antworten kann man dann doch etwas lernen. Und sei es nur für den nächsten Smalltalk oder gar die sich anbahnende Ehekrise. Emma Amour (natürlich ein Pseudonym) auf watson.ch nimmt die FragestellerInnen ernst und spricht offen über Tabuthemen. «12 Tipps, wie Du einen Mann oral befriedigst (dankt mir später)» ist ein anschauliches Beispiel.
Emmenegger und Fux
Caroline Fux vom Blick führt weiter, was die «Liebe Martha» Emmenegger ab 1980 erfunden hatte. Eine Enttabuisierung sexueller Themen in der Schweiz. Schon vorher, 1969, startete eine ähnliche Rubrik im «Bravo». Generationen von Jugendlichen lasen die Fragen und Antworten von «Dr. Sommer». Erster «Dr. Sommer» war der Düsseldorfer Psychotherapeut Martin Goldstein. 15 Jahre leitete er die Rubrik. Gegenüber rtl.de sagte Sozialpädagoge Klaus Mader kürzlich, noch heute bekomme das «Dr. Sommer»-Team immer noch 200 bis 250 Anfragen in der Woche.
Schneider, Fischer, Ihde
Beim Tages-Anzeiger beantwortet Psychoanalytiker Peter Schneider regelmässig Leseranfragen. Es geht selten um Sex, sondern mehr um Verhaltenstipps, um Zwischenmenschliches, um Kniggefragen. Hin und wieder mit einem Augenzwinkern, aber durchaus ernsthaft beantwortet.
Nach wie vor betreibt der Tagi auch eine monatliche Ratgeberseite über das Arbeits, Sozial- und Familienrecht. Verantwortlich ist hier die Juristin Andrea Fischer. Ganz oben in der Kaiserkategorie bei Rechtsproblemen steht aber der Beobachter. Seitenlang werden Fragen übers Erben, Bschiss bei Online-Bestellungen oder das Arbeitsrecht beantwortet. Zudem hat Facharzt Thomas Ihde (Psychiatrie und Psychologie) eine ganze Seite zur Verfügung, um einfühlsam und umfassend zu helfen. Aktuelles Thema: «Ich habe 70 Jahre als Mann gelebt und merke, dass ich eigentlich eine Frau bin. Was kann ich tun?»
Verspotten als Auftrag
Schon ein bisschen schwieriger wird’s bei der Rubrik «Fragen Sie Dr. M./ Der Experte für alle Lebenslagen» in der Weltwoche. Es sind eindeutig freihändige, subjektive Antworten, die oft eine politische Einfärbung haben. Aber egal. Nur schon die Illustration mit einem überzeichneten Psychologen zeigt die «Unernsthaftigkeit» der Antworten. In diese Kategorie fallen auch die nächsten Beispiele. Michèle Roten und Thomas Meyer. Beide sind als Lebensfragenbeantworter tätig. Thomas Meyer (Autor der beiden Wolkenbruch-Bücher) ist seit 2014 beim Sonntags-Blick. Er gibt Antworten auf «alle möglichen und unmöglichen Lebensfragen». Eine Frage lautet beispielsweise, was man einem Freund antwortet, der zum Verschwörungstheoretiker geworden ist. «Ein Affront, auf den nur mit dem totalen Bruch zu antworten ist», so das Zitat, das dem Leser am meisten bleibt. Die Antwort ist virtuos formuliert, geht aber am Kern der Frage vorbei. Sie ist ein wenig gar herzlos und lebensfremd. Es scheint, wie wenn für den Schriftsteller einfach ein Betätigungsfeld erfunden wurde.
Vollends Nonens ist die Rubrik «Helpdesk», mit der Michèle Roten beim Tages-Anzeiger reaktiviert wurde. Für das Magazin schrieb die mittlerweile 41-Jährige zwischen 2005 und 2014 die Kolumne Miss Universum. Damit sorgte sie schweizweit für Furore. Seit wenigen Wochen ist sie nun als Lebensberaterin beim Züri-Tipp tätig. Am Donnerstag ging sie auf die Frage eines Baslers ein, der sich fragt, warum er jeden Tag auf seinen Dialekt angesprochen werde.
Sie gibt zehn Kurzantworten zum Auswählen, natürlich eine origineller als die andere. Etwa die: «Weil wir hoffen, dass Sie gleich ein Piccolo aus dem Ärmel zaubern und uns was vorflöten.» Für die Leserschaft ein Gaudi, für aufrichtige Ratgeber-Experten etwas daneben.
Eines ist allen «ExpertenInnen» gemeinsam. Sie beantworten auch die dümmsten Fragen, (wenn keine Fragen zu beantworten sind schreiben sie selber welche), schliesslich verdienen sie damit ihr Geld.