WeWo wieder widerlich

Gegen den Strom führt auch in ganz trübe Gewässer, in die Kloake.

Es ist eine Ausgabe, die bereits mit dem Cover den Adrenalinspiegel steigen lässt. Man erkennt die Absicht und ist verstimmt. Man kann über Israels Premierminister, den nur sein Amt vor dem Knast schützt und der versuchte, der Strafe durch eine «Justizreform» zu entgehen, vieles sagen. Man kann ihn im Rahmen der Meinungsfreiheit auch als «Titan aus Jerusalem» bezeichnen. Aber er ist ganz sicher und unter keinen Auspizien «der bedeutendste Staatsmann unserer Zeit». Es macht weder Sinn, auf das Geschreibsel eines Francis Pike einzugehen, noch die lange Liste seiner Verfehlungen mehr als stichwortartig zu verwenden. Seine Hetze gegen die Friedenspolitik des dann ermordeten Jitzchak Rabin. Die Aufhebung des Baustopps für illegale israelische Siedlungen im Westjordanland. Der Verlust des Amts als Ministerpräsident 1999, schon damals wegen Korruptionsvorwürfen. Seine absurden Thesen zu Hitlers Plänen mit den Juden.

Man kann mit Fug und Recht sagen, dass Netanyahus Positionen und Politik eine bedeutende Rolle bei der heutigen verfahrenen Situation spielen. Den Gazastreifen in Schutt und Asche legen, auch das wird garantiert nicht die Basis für eine mittelfristige Lösung des Palästinenserproblems sein. Die Zustimmung zur Politik dieses «bedeutendsten Staatsmanns» unter Israels Bevölkerung ist ins Bodenlose gefallen.

Autor Pike führt als grössten Erfolg Netanyahus dessen Wirtschaftspolitik an. Nun, in Sachen Selbstbereicherung hat die gut geklappt. Aber wenn es ein Wirtschaftswunder in Israel gab (und wenn er ursächlich daran beteiligt wäre), dann pulverisiert sich das gerade durch die Kriegskosten und -kollateralschäden.

Prognosen sind immer schwierig, aber vielleicht wird Netanyahu mal in die Geschichte eingehen als der israelische Ministerpräsident, der fast zum Totengräber Israels geworden wäre. Dagegen behauptet Pike: «Wir sollten daher dankbar sein, dass Netanjahu entschlossen ist, die Hamas zu vernichten

Vielleicht könnte die «Weltwoche», immer schön gegen den Strom, stattdessen mal einen Augenzeugenbericht veröffentlichen, wie es bei der Vernichtung der Hamas der Zivilbevölkerung im Gazastreifen so geht. Die stoische Beschreibung des täglichen Grauens ist allerdings nur etwas für starke Nerven.

Dann glaubt Roger Köppel auch noch «an Deutschland» und spricht darüber ausgerechnet am Friedrich-Engels-Ring in Neubrandenburg. Zuvor hatte er allerdings noch Zeit, ein paar seiner manchmal berüchtigten Interviews zu führen. Eines mit Serbiens Präsident Vucic, eines mit «Kardinal Koch über die ewig faszinierende Botschaft des Christentums». Man fragt sich, wann der altersfrömmelnde Vielleser Köppel endlich mal Zeit findet, Deschners «Kriminalgeschichte des Christentums» (die letzten Bände reichen) oder einen Antigottesbeweis von Kant zu lesen. Stattdessen lässt er unwidersprochen, schlimmer als Urs Gredig, salbadern: «Gott ist Liebe – und Vernunft». Da freuen sich aber die versammelten Opfer der Inquisition, der Kreuzzüge und alle in der Dritten Welt Zwangsbekehrten und Massakrierten göttlich. Und Galilei fragt sich, wo in seinem Fall eigentlich die Vernunft geblieben war; die Unvernunft einer «die Welt ist eine Scheibe»-Religion bekam er hautnah zu spüren.

Das frömmelnde Gequatsche ist zudem 32’000 A lang; keiner traut sich, dem Verleger, Chefredaktor und Besitzer Einhalt zu gebieten, wenn der Buchstabendurchfall hat.

Dann noch etwas Trump-Lob, natürlich «Gratulation, Ueli Maurer», ein Porträt des «Philosophen und Aktivisten» Martin Sellner, geschrieben von Urs Gredig unter dem Pseudonym Philipp Gut. «Danke, Amerika», auch das muss mal wieder sein, Tamara Wernli und Anabel Schunke und David Schärer bleiben uns natürlich nicht erspart, und selbst der unverwüstliche Hansi Leutenegger, der allerdings auch jeden Scheiss mitmacht, bekommt seinen Auftritt.

Gäbe es nicht «Literatur und Kunst» oder die Peanuts, man wüsste mal wieder nicht, wieso man die «Weltwoche» kaufen oder gar lesen sollte. Nr. 4, 2024. Wir merken uns: Von hier an kann’s nur bergauf gehen.

 

12 Kommentare
  1. Arnie Z
    Arnie Z sagte:

    Ziemlich drollig, dass Zeyer nicht weiß, worum es bei Galilei ging. Nämlich nicht darum, ob die Erde eine Scheibe ist, sondern darum, ob sie sich um die Sonne dreht oder nicht.
    Beste Grüße aus der Bildungs-Katastrophen-Republik. Sieht es in der Schweiz nicht besser aus?

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  2. Karl Warth
    Karl Warth sagte:

    Alles, was sich klar zu Gott und Christus bekennt als „frömmelnd“ diffamieren zu wollen ist seinerseits ein Griff in die Kloake. Aus gestörter Beziehung zur eigenen Kultur einzig die negativen Seiten des Christentum sehen zu wollen verrät mehr über den Autor als über die Kirche. Gar die Kreuzzüge anzuführen zeugt von Halbwissen: Im Ukraine-Konflikt sind inzwischen bereits mehr Männer gefallen als während allen Kreuzzügen zusammen.
    Auch Nethanjahu mitverantwortlich für den Hamas-Terror zu sehen und ihn halt wieder zum Freiheitskampf stilisieren zu wollen ist unter der Würde von Zeyer. Die bluttrunkenen Mörder der Hamas waren zu Zeiten Rabins noch Kinder oder noch gar nicht geboren. Aber indoktriniert und radikalisiert wurden sie dennoch. Nicht von Netanjahu – sondern von ihren Eltern. Ihren palästinensischen Väter.

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    • René Küng
      René Küng sagte:

      Sehr geehrter Herr Warth
      Ihnen nehm ich’s vielleicht ja ab, das fromm und gläubig.
      Aber Zeyer wettert nicht gegen alle, nicht gegen Sie.
      Sondern gegen all die Schweinebande, im Christentum wie andern Sekten, die das Bedürfnis der Menschen nach Religiosität (dem nicht wissenschaftlich zu nagelndem) gnaden- und skrupellos ausnutzen. Für morden, schlachten, ausschliessen, diffamieren, ausnehmen, betrügen, missbrauchen, bereichern – Macht erhalten und ausbauen.
      Das machen auch andere Verbrecher und Verbrecher-Organisationen (Netanjudihui vielleicht nicht mal alles vom vorhergehenden Katalog persönlich, ganz sicher delegiert er alles davon), aber nicht unter dem Deckmantel von Kirche, Barmherzigkeit, fromm und so.
      Aber wenn Sie schon Ihre eigene, heile und fromme Welt zu leben und verteidigen suchen (was legitim ist für alle, die es zumindest umzusetzen versuchen), dann schimpfen Sie doch bitte nicht über Menschen, die gerade hinaus schreiben und sagen, wie verlogen, verdorben und über alles gesehen grauenhaft kriminell und unmenschlich die offizielle katholische Kirche seit Jahrhunderten gewütet hat.
      Sehr traurig und einfach sehr wahr. Und blutig.

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  3. Mathias Wyss
    Mathias Wyss sagte:

    Warum soll es falsch sein, mit Sellner zu sprechen, als bloss über ihn abzuschreiben? Das ist bzw. war doch Pflicht im Journalismus.

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  4. Reto Studer
    Reto Studer sagte:

    Na ja – was würden Sie machen, wenn Ihr Nachbar Sie umbringen will und Ihnen alle paar Tage ein Bömbelchen über den Zaun wirft?
    Zusammen Kumbajah singen?

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  5. H.R. Füglistaler
    H.R. Füglistaler sagte:

    Die WW hats halt schon zu sehr mit den Führern. War doch erst vor kurzem
    sogar der grösste aller Zeiten auf dem Titelblatt! Sehr viele Geschmacklosigkeiten
    in diesem Magazin. Leider gibts wenige Alternativen – ausser natürlich
    Zackbum. Und das ist erst noch brandaktuell – meistens sogar der Zeit voraus

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    • K. Meyer
      K. Meyer sagte:

      Immer wenn man meint, das Niveau könne nicht mehr weiter sinken, kommt der Herr Brunner und zeigt, das es doch geht. Ist Ihnen eigentlich gar nichts peinlich?

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