Bernstein-Imitat

Es gibt auf Netflix ein Biopic über Leonard Bernstein. Und im Tagi einen Kritikverschnitt dazu.

Zum Film kommen wir noch. Zunächst ist es so, dass der Filmkritiker der «Süddeutschen Zeitung» eine Filmkritik geschrieben hat. Titel: «Es ist nur eine Nase, Hase». Lead: «Der Film zur umstrittenen Gesichtsprothese: Bradley Cooper spielt Leonard Bernstein als „sexuell-fluide Persönlichkeit“ im Netflix-Biopic „Maestro“.» Dahinter kann David Steinitz wohl stehen.

Version Tamedia: ««Maestro» von Bradley Cooper: Der Film über Leonard Bernstein ist packend, doch etwas enttäuscht». Doch, das ist der Titel hier. Lead: «Bradley Cooper spielt den amerikanischen Dirigenten und Komponisten zwar als «sexuell-fluide Persönlichkeit», der aber seine Frau hintergeht. Hatten wir das nicht schon mal?»

Unterschied? Richtig geraten. Bei der SZ macht der Titel neugierig, der Lead fasst den Aufreger und das Thema knackig zusammen. Bei Tamedia hingegen: Titel ist zum Wegschnarchen und lässt die Frage offen, wieso man dann den Artikel überhaupt noch lesen soll. Und der Lead stümpert mit Namenswiederholung vor sich hin.

Inhaltlich unterscheidet sich dann der jeweilige Lauftext nur um Nuancen, wo ein überflüssiger Tamedia-Kulturredaktor noch etwas rumgefummelt hat, wenn er schon dabei war, die ß rauszuoperieren.

Aber in beiden Versionen braucht der Autor zunächst einmal jede Menge Platz, um die Geschichte nochmal zu erzählen, dass durchgedrehte Woke-Menschen sich dabei unwohl fühlten, dass dem Schauspieler eine vergrösserte Nase angeklebt worden war – damit er dem Original-Zinken von Bernstein entsprach. Das sei zur Abwechslung mal nicht Black-, sondern «Jewfacing» und ginge gar nicht.

Bernsteins Kinder hingegen, die beratend gewirkt hatten, fanden das voll okay. Aber gut, haben wir nochmal drüber geschrieben.

Dann folgt die obligate Nacherzählung des Werdegangs des Musikgenies Bernstein («West Side Story»). Erstaunlicherweise lässt der Autor aus, was man an diesem Musical aus heutiger Sicht alles rummeckern könnte.

An Bradley Coopers «Maestro» kann Steinitz aber vor allem herummeckern, dass sich der Film auf das Liebesleben von Bernstein kapriziere. Nun hat er als Leitmotiv halt die Nase entdeckt, also muss er das zu Tode schreiben: «Wie sich das Saufen und Rauchen und überhaupt das ganze vermaledeite Leben nach und nach in diese immer poröser werdende Nase einfräsen, da müsste es schon mit dem Teufel zugehen, wenn es dafür nicht den Oscar fürs beste Make-up gäbe.»

Ist das launig-komisch, richtiger Teutonenhumor. Inhaltlich kann es ihm Cooper aber nicht wirklich recht machen; formal schon. Denn: «Auf einer rein sensorischen Ebene ist das alles sehr überwältigend, und kein Zuschauer muss sich schämen, wenn er deshalb zufrieden und gesättigt das Kino oder die Couch verlässt.»

Da ist man als potenzieller Zuschauer doch froh, sich endlich einmal nicht schämen zu müssen. Obwohl: «Der Film-Bernstein braucht seine Frau als Rahmenhandlung für sein Leben. Und der Film braucht Bernsteins Frau als Haupthandlung, weil den Machern zum Künstler Bernstein leider nicht mehr einfällt als das verschwitzte Dirigentengezappel vor grossem Publikum. Das ist für zwei Stunden Filmbiografie doch ein bisschen wenig.»

Hui, verschwitztes Dirigentengezappel; darf man das eigentlich über einen jüdischen Komponisten sagen? Einen mit Zinken erst noch? Hat damit die Filmkritik ihre Aufgabe erfüllt; dem Leser einen Anhaltspunkt zu liefern, ob er ohne Scham nach Visionierung zufrieden und gesättigt aufstehen darf? Oder ob er auf diese Zeitverschwendung mit einer Kopie der Darstellung eines egomanischen Künstlers verzichten kann, denn mit dieser «eher schlichten, hundertfach durchgenudelten Prämisse lässt sich kein rechter dramaturgischer Spannungsbogen stricken».

Es bleibt allerdings die Frage, ob sich ein Spannungsbogen stricken lässt. Mit oder ohne Zinken. Aber immerhin, man muss sagen, dass Tamedia mit seinem gescheiterten Einstieg das Scheitern des Autors perfekt widerspiegelt. Oder strickt, wie der sagen würde.

 

 

 

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