Kennen Sie Jule?

Jule Stinkesocke? Nein? Müssten Sie auch nicht.

«Alles nur geklaut?» So titelt die «Süddeutsche Zeitung» einen Bericht über eine Bloggerin, die über ihr Leben als querschnittsgelähmte Ärztin in Hamburg berichtet. Oder auch nicht, denn es gibt viele Indizien, dass das ein Fake ist:

Gleich zwei Autorinnen der SZ mäandern sich durch diese sehr deutsche Geschichte. Denn der Blog erregte im Norden Aufmerksamkeit, wurde schon 2012 zum «besten deutschsprachigen Blog» gewählt, in einer Abstimmung der «Deutschen Welle».

Nun scheint aber das Profilbild von einer australischen Pornodarstellerin zu stammen und die querschnittsgelähmte Ärztin gar nicht zu existieren. Auf jeden Fall sind Blog und Twitter-Account offline. Das ist natürlich für Deutsche in Deutschland, vor allem für Hamburger in Hamburg, eine Story. Falls die Leser nicht wegschnarchen bei der «Republik»-Länge des Artikels von über 11’000 Anschlägen.

Nun ist diese Story schon für München etwas sehr weit im Norden angesiedelt. Na und, sagt sich da der Qualitätskonzern Tamedia mit seinen Qualitätstiteln:

Anderer, schlechterer Titel, anderer, schlechterer Lead, der Rest ist nur geklaut. Also übernommen, wie man das vornehmer ausdrückt, wenn man dafür bezahlt, Artikel von der SZ zu übernehmen, die nicht das Geringste mit der Schweiz oder Schweizer Lesern zu tun haben. Sei das ein ehemaliger Münchner Oberbürgermeister, der über sein Verhältnis zu Katzen schreibt, sei das eine Unternehmerwitwe aus Nördlingen – oder sei das ein Fake-Profil einer norddeutschen Bloggerin.

Der Gipfel ist aber, dass Tamedia die Geschichte seinen Lesern nur hinter der Bezahlschranke serviert. Auch bei der SZ kommt man nicht gratis an ihn ran, aber mit einem «Probeabo Basis» für schlappe € 1.99 kann man ihn und alle weiteren Artikel der SZ vier Wochen lang lesen.

Bei Tamedia, also bei «Tages-Anzeiger», also für den «Tages-Anzeiger» kostet das «Basic Monatsabo» stolze 15 Franken. Allerdings ist bei Neuabschluss der erste Monat gratis. Eine weise Entscheidung, denn wer will ernsthaft für solchen Schrott etwas bezahlen? Für einen Stinkesockenartikel?

Apropos, eine Momentaufnahme der Homepage vom Tagi am 12. April 2023, nachmittags. Aufmacher oben links: «Wie Panzer an die Front kommen», hinter Aboschranke. Übernommen von der SZ. Daneben «Kommentar zu US-Geheimdienst-Leak», übernommen von der SZ. «Italien verschwindet», übernommen von der SZ. «Promo für neuen Roman», NICHT von der SZ übernommen. Aber von Nora Zukker.

«Deutschland will Besitz und Anbau von Cannabis erlauben», NICHT von der SZ übernommen. Dafür von der SDA. «Myanmars Militär mit tödlicher Attacke», SDA. «Nach Trump-Anklage», NEIN, nicht SZ, auch nicht SDA. Sondern AFP.

«Wo sind die Milliarden der russischen Zentralbank?», wieder SZ. «Peking fürchtet sich vor künstlicher Intelligenz», AFP.  Und so weiter, und so fort.

Preisfrage: Will die Tx Group, Pardon, Tamedia, Pardon, «Tages-Anzeiger» mit angeflanschten Kopfblättern, will der Konzern mit diesem Angebot Leser gewinnen oder verjagen? Leser dazu animieren, Geld in die Hand zu nehmen oder Leser dazu motivieren, das Abo zu kündigen? Nur so als Hinweis zuhanden von Pietro Supino. Oder vielleicht möchte Raphaela Birrer darüber nachdenken. Das wäre aber sinnlos.

1 Antwort
  1. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Warum so kritisch? Das ist eben Kreislaufwirtschaft. Beim Tages-Anzeiger besonders ausgeprägt, das zentrale Stehsatzlager des Verwertungskonzern gibt vieles her. Sogar die «Schweizer Familie» liefert. Kürzlich durfte sich die Berner Musikerin Jaël im Interview mit Fabienne Eichelberger SF, herzzereissend ausweinen, mit Nachdruck im TA.
    Wichtig in der Kreislaufwirtschaft beim TA sind die bescheuerten Titelkosmetiker. Artikel in der SZ über die Mailänder Sterneköchin Viviana Varese
    «Die Hochküche ist noch immer überwiegend frauenfeindlich, weiß und rassistisch»
    Gleicher Artikel heute im TA Print:
    «Zu süditaliensich, zu fett, zu lesbisch»
    Die Redaktion unter der «ausgezeichneten Führungskraft der nächsten Generation» hat noch nicht realisiert das lesbisch mittlerweile so normal ist wie ein Tram das 1 Minute zu spät kommt. Immerhin werden die Glüschtler unter den Leser auf den Artikel aufmerksam und lesen und werden enttäuscht! Schon eine Leistung wenn eine bemerkenswerte Frau im Titel auf 3 scheinbar «negative» Attribute reduziert wird. Der BLICK muss sich warm anziehen!

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