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Das ist der Fakt

Unumstössliche Tatsache ist die Definition. Nur: was ist das?

Seit Mönch Ockham (um 1288 bis 1347) im finsteren Mittelalter die Hammererkenntnis hatte, dass das Bezeichnete und das Bezeichnende nicht das Gleiche ist, hat sich unser Verhältnis zur Realität etwas verkompliziert.

Nicht nur wurde damit die absolute Lufthoheit der Bibel erledigt (weswegen Ockham dann, wie man heute sagen würde, sehr low profile weiterschrieb, was seiner Gesundheit durchaus zuträglich war), sondern banale «ist doch so»-Feststellungen waren nicht mehr möglich.

Wilhelm von Ockham, wie er vielleicht aussah.

Umberto Eco baute darauf einen Weltbestseller: Der Name der Rose bleibt Rose immerdar, die Blüte selbst verwelkt. Im Zeitalter der neuen Unübersichtlichkeit, von Fake News und alternativen Wahrheiten und Rechthabern, die ständig falsch oder richtig mit böse oder gut verwechseln, ist eine neue Gattung entstanden.

Vom Dokumentalisten zum Faktenchecker

Trara, der «Faktenchecker». Früher hiess der Dokumentalist, und jedes Qualitätsorgan beschäftigte ihn. Seine Aufgabe war es, den schreibenden Journalisten zum Wahnsinn zu treiben. Ist Bern wirklich die Bundesstadt der Schweiz? Heisst die Firma, der Mensch tatsächlich so, und bitte Belege dafür? Bezieht sich die Angabe auf das amtliche Endergebnis der Wahlen, und wo findet sich das? Wenn das eine AG ist, steht das auch so im Handelsregister? Gibt es eine Landesgrenze zwischen Bolivien und Argentinien?

Mit solchen Fragen nervte der Dokumentalist ungemein, trug aber ebenfalls ungemein zur Qualität von Publiziertem bei. Fehlerfreie Rechtschreibung, faktische Korrektheit, das bot eine akzeptable Basis für glaubhafte Beurteilungen, Einordnungen, Analysen.

Längst vorbei, nur noch ganz wenige deutschsprachige Erzeugnisse leisten sich diesen Luxus. Und wie der «Spiegel» mit der grössten deutschen Dokumentarabteilung schmerzlich erfahren musste, schützt das dennoch nicht vor einem Fälscher wie Relotius, wenn der nur gewünschte Narrative bedient.

«Der Spiegel»: Sagen vielleicht, schreiben nicht.

Aber neu gibt es dafür den sogenannten Faktenchecker. Seine Tätigkeit hat es bereits in Wikipedia geschafft. Das Online-Lexikon ist selbst ein Beispiel für eine moderne Art von Faktencheck. Schwarmintelligenz heisst das Vorgehen. Schreibt einer was Falsches rein, wird das von anderen korrigiert. Ergibt sich daraus ein Battle, greifen Administratoren mit weitergehenden Befugnissen ein. Funktioniert im Allgemeinen ziemlich gut.

Angelsächsische Medien leisten sich weiterhin vielköpfige Dokumentar-Abteilungen und haben aus der «Korrektur» ein eigentliches Ressort gemacht, wo meist schonungslos eigene Fehler richtiggestellt werden.

In der Schweiz herrscht trüber Nebel beim Faktenchecken

Trüber sieht es in der deutschsprachigen Publizistik aus. Wie der vorangehende Artikel exemplifiziert, disqualifiziert sich in der Schweiz der Oberfaktenchecker des grössten Medienkonzerns selber. Denn er will nicht Fakten checken, sondern Rechthaberei im Gesinnungsjournalismus betreiben. Tödliche Mischung.

Die öffentlich-rechtlichen Medien, wie das in Deutschland heisst, verfügen über genügend Finanzen, um sich wie die «Tagesschau» eine Abteilung «Faktenfinder» zu halten. Auch einige Talkshows sind dazu übergegangen, Behauptungen ihrer Gäste im Nachhinein zu überprüfen, weil das in der Hitze des Wortgefechts oft nicht möglich ist. Darum bemüht sich auch die SRG, Tamedia beschäftigt auch ein paar Hanseln zu diesem Thema.

Dann gibt es unabhängige Plattformen wie bspw. «correctiv.de». Faktencheck ist allerdings keine Wissenschaft, Methodik, Validität, saubere Trennung von Fakt, Interpretation, Färbung, Auswahl, verbale Gewichtung usw. lässt sich niemals objektivieren.

Selbst die Aussage von unbestreitbaren statistischen Tatsachen wie «über 70 Prozent aller Betroffenen vom Strafvollzug sind in der Schweiz Ausländer, während es in Europa nur 16 Prozent sind» lässt Interpretationsspielraum, Platz für verschiedenartige Begründungen und Schlussfolgerungen.

Der Bereich des fraglos Faktischen ist nicht sehr gross

Aber Zahlenangaben im Speziellen oder die korrekte Wiedergabe von Aussagen lassen sich tatsächlich objektiv überprüfen. Behauptet jemand, in der Schweiz würde 60 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsschwelle leben, liesse sich das kinderleicht widerlegen.

Schwieriger wird es schon bei der Behauptung, die Reichen würden in der Schweiz zu wenig Steuern zahlen. Hier beginnt das Problem mit Definitionsfragen, was ist «reich», was heisst «zu wenig». Hört damit aber nicht auf, da bspw. die einkommensstärksten 5 Prozent in der Schweiz ein Viertel aller steuerbaren Einkommen bei der Bundessteuer deklarieren und für über zwei Drittel des Steueraufkommens zuständig sind.

Immer ein ungeliebter Hinweis bei der ewigen Umverteilungsdebatte oder dem Ansatz, dass die da oben doch denen dort unten viel mehr unter die Arme greifen müssten.

Faktencheck, das hört sich nur oberflächlich nach Ordnung, Aufklärung, Korrektur an.

Nach sachlicher Richtigstellung, Hinweis auf unbestreitbare Tatsachen. Eben als Korrektiv zu Fake News, alternative Wahrheiten oder reiner Demagogie. Denn so wenig wie es eine reine Wissenschaft gibt (ohne gesellschaftliche Implikationen), so wenig gibt es objektives und unbestreitbares Faktenchecken.

Oberhalb von einfachen Zahlenangaben, historischen Daten oder korrekte Verwendung von Funktionen von Menschen. Plus, aber dieses Thema wollen wir bei ZACKBUM weiträumig umfahren, das korrekte Schreiben von Namen.

Politische Modeerscheinungen sind häufig faktenfrei

Faktenchecken könnte helfen, Debatten zu versachlichen. Allerdings nur ausserhalb der Blasenbildung in sozialen Medien. Da ist Hopfen und Malz verloren. Aber in sogenannten Qualitätsmedien nicht. Umso bedauerlicher, wenn auch hier das Image des Faktenchecks mutwillig beschädigt wird.

Dass Schweizer Anhänger der US-Bewegung «Black live matter» völlig verpeilt sind, sich an geliehenem Leiden Bedeutung und Gewicht verschaffen wollen, ist ein Fakt. Ihr Kampf gegen rassistisch motivierte Polizeigewalt gegen Schwarze zerschellt leider am Faktencheck, dass bei Tötungsdelikten im Allgemeinen gegen Schwarze über 90 Prozent der Täter – Schwarze sind. Und dass von den 56 Unbewaffneten, die von US-Polizisten 2018 erschossen wurden, «nur» 9 schwarzer Hautfarbe waren, dafür aber 17 Weisse und der Rest anderen Ethnien angehörte. Aber darum geht’s natürlich nicht.

Bei Newsorganen ist das ein Problem der mangelhaften Qualitätskontrolle und der Angst vor Sanktionen. Sonst hätte Tamedia sich schon längst von seinem Oberfaktenchecker, seinem Leiter des Interaktiv-Teams und seinem Politchef getrennt. Denn alle drei, wenn Fakten etwas zählen würden, sind untragbar, haben sich disqualifiziert, dem Image des Journalismus im Allgemeinen und von Tamedia im Speziellen schweren Schaden zugefügt.

Das ist der Fakt, und der ist belegbar, unbestreitbar, denn sie haben sich selbst disqualifiziert. Aber eben, in der besten aller Welten hätten Faktenfakes, Corona-Kreischereien oder antidemokratische Aussagen Konsequenzen.

Fragen, nur fragen

Eine der übelsten Verirrungen im Journalismus ist der Frage-Titel.

Jürg Ramspeck, man erinnert sich vielleicht, beendete seine grosse Karriere als Kolumnist beim «Blick». Was er dort schrieb, war nicht wirklich der Rede wert. Aber: in all seinen vielen Kolumnen gab es niemals einen Frage-Titel.

Das ist ein rhetorischer Kniff, fast immer gefolgt von inhaltlicher Leere. Nehmen wir zwei Beispiele aus unserer Lieblingsskriptüre. «Antikörpertests sind plötzlich salonfähig – aber warum?» Tja, lieber Tagi, gute Frage. Weil’s den Salons so passt?

Zunächst einmal gilt: «Fachleute haben hingegen ein gespaltenes Verhältnis zu diesen serologischen Tests.» So ist der Fachmann, auch die Fachfrau, immer gespalten in seinen (ihren) Verhältnissen. Der Artikel beantwortet dann so ziemlich jede Frage, die man zu Antikörpertests niemals stellen wollte. Ausser einer: «aber warum?»

Vielleicht sollte Tamedia sich ein Beispiel im eigenen Haus nehmen, denn «20 Minuten» ist da ganz entschieden: «Antikörpertests sollen weitere Lockerungen ermöglichen».

Damit ist Tamedia aber noch nicht ausgeschossen: «Ist grünes Anlegen sinnvoll – oder nur lukrativ für die Bank?» Gute Frage, aber hier kommt schon die nächste, wirklich gewichtige:

«Ist die Pandemie im Frühling zu Ende?»

Neben der Frage, ob es kommendes Wochenende regnet oder die Sonne scheint, handelt es sich hier um ein Thema von brennendem Interesse. Aber auch hier wird die Frage – blöd aber auch – nicht wirklich beantwortet.

Denn schon im ersten Absatz schrumpft die hoffnungsvolle Oberzeile «Rückkehr zur Normalität» auf Normal-Null: «Es ist ein Hoffnungsfunke. Nicht der erste im Verlaufe der schier endlosen Corona-Krise. Lukas Engelberger, der Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektoren-Konferenz, sagt jetzt: «Ich bin optimistisch, dass wir ab dem nächsten Frühling die Corona-Krise hinter uns lassen können.»»

Aber die Unsitte des Fragetitels kommt in den besten Gazetten vor: «Begibt sich die Schweiz in eine gefährliche Abhängigkeit von ausländischen Cloud-Anbietern?», stellt die NZZ bang in den Raum. Die klassisch liberale Antwort: jein, vielleicht. Also schon. Aber doch nicht so richtig.

Geht da noch einer? Sicher: «Axel Springer – Angriff der «New York Times» auf einen Konkurrenten?» Ja was denn sonst, dumme Frage, muss man das Intelligenzblatt zurechtweisen.

Ganz raffiniert geht hingegen CH Media vor; die verpacken eine Frage in ein Zitat unseres Gesundheitsministers: «Die Frage einer Aufhebung des Zertifikats stellt sich». Wunderbar, denn eine Frage stellen, das bedeutet natürlich nicht, sie zu beantworten. Einfacher sollte aber diese Frage sein: «Waren «einige tausend» oder «über 50’000» in Bern

Mit unseren heutigen modernen Methoden könnte es eigentlich möglich sein, die Anzahl Demonstranten am Samstag in Bern auf die Nase genau zu zählen. Aber leider:  «Klar ist auch: Am Ende ist die Frage nicht nur eine politische, sondern auch eine technische – grosse Menschenmengen präzise zu schätzen, ist schwer.» Och, die im Titel gestellt Frage ist zu schwer. Gut, wer nur beschränkt schreiben kann, kann natürlich noch weniger zählen, logo.

Die «Republik», das ist sie sich schuldig, wirft die Frage in den leeren Raum: «Ist das Schlimmste bald vorbei?» Wohl nicht, denn zurzeit sieht es so aus, als ob die «Republik» dieses Jahresende sogar ohne Bettelaktion und die Drohung, sich zu entleiben, überstehen wird.

Aber die Frage: «Fast 250 Millionen bestätigte Ansteckungen, fast 5 Millionen Todes­fälle im Zusammen­hang mit dem Virus: So lautet die nüchterne weltweite Bilanz zur Corona-Pandemie, die uns seit bald zwei Jahren in ihrem Bann hält. Es fällt nicht leicht, diese Zahlen einzuordnen. Ist das viel, ist das wenig?»

Ja, rund 20’000 Buchstaben später weiss man: kann man so oder so oder auch anders sehen. Aber immerhin, das Artikelende der «Republik» ist originell:

«Zum Schluss diesmal ein ausdrücklicher Hinweis: Haben wir in unserem globalen Überblick ein wichtiges Land vergessen? Oder eine wichtige Begebenheit in einem Land übersehen? Teilen Sie es uns im Dialog­forum mit.»

Wir senken das Niveau nur unwesentlich und schliessen mit ein paar Fragen aus dem «Blick»: «Überzeugt dieser Totimpfstoff auch die Skeptiker?» Aber leider, schluchz, wird auch diese Frage nicht beantwortet. Im Sport sollte sich «Blick» doch auskennen: «Drohen dem FCZ jetzt sogar Punktabzüge?» Aber ach, obwohl die versammelte «Fussball-Redaktion» am Gerät ist, bekommt man statt einer Antwort nur eine weitere Frage eingeköpfelt: «Und warum nicht auch Punktabzüge?» Genau, warum nicht ist immer eine gute Formulierung.

Schliesslich, das ist natürlich unvermeidlich, fragt sich auch das Blatt mit dem Regenrohr im Titel: «Ist die Corona-Pandemie im Frühling vorbei?»

Oder wenn nicht, dann im Sommer? Im Herbst? Immer wieder? Nie? Fragen über Fragen und die Antworten kennt nur der Wind.

 

 

 

 

Die Hunger-Kreische

Andrea Bachstein trägt das Leid der Welt auf den Schultern – und ins Blatt.

Ein ungeheuerlicher Massenmord spielt sich ab auf der Welt. «Ein Mord an 811’000’000 Menschen», knallt Tamedia ihren Lesern vor den Latz. Was, Sie indolenter Unmensch, noch nie davon gehört?

Dabei ist es eine «einzige Anklage an die Menschheit», erhoben von der «Welthungerhilfe». Das treibt Andrea Bachstein die Wände hoch. Nicht länger mehr kann sie sich um eher putzige Themen kümmern:

Atempause vorbei, tief Luft geholt und …

Nein, die Autorin der «Süddeutschen Zeitung» ist ausser sich. Das müssen die Leser der SZ aushalten, und auch die Konsumenten der Qualitätsmedien von Tamedia bekommen diese Anklage aus München serviert.

811 Millionen Menschen hungern, 41 Millionen stehen am Rande einer Hungersnot, weiss Bachmann. Ursachen? Logisch, Kriege und Konflikte, aber auch Naturkatastrophen:

«Es geht da längst nicht mehr um Einzelereignisse. Die Naturkatastrophe heisst Klimawandel, mal zeigt er sich in einer Flut, mal in einer Dürre.»

Nun sind die Ursachen von Hunger seit Thomas Malthus (1766 bis 1834) umstritten. Der englische Ökonom stellte das Axiom auf, dass die Menschen in geometrischer Progression und die Lebensmittel in arithmetischer Progression zunehmen. Wodurch Überbevölkerung zwangsläufig zu gravierenden Hungersnöten führen müsse.

Schon einige Theorien über Hunger scheiterten 

Als er diese Erkenntnis 1820 publizierte, lebte rund eine Milliarde Menschen auf der Erde. Inzwischen sind es acht mal mehr. Was seine Theorie widerlegt. Es ist längst bekannt, dass die Nahrungsmittelproduktion problemlos 8, sogar 10 oder 12 Milliarden Menschen ernähren könnte. Also sind die Probleme nicht naturgemacht, sondern von Menschen verursacht.

Schaut man sich den «Welthungerindex» an, fällt sofort auf, dass fast alle Länder mit «ernstem bis gravierendem» Schweregrad von Hungerproblemen in Afrika liegen. Obwohl Afrika problemlos in der Lage wäre, sich selbst zu ernähren und noch die Hälfte der übrigen Weltbevölkerung dazu.

Elendsregimes, Potentaten, mangelhafte Infrastruktur, kaum funktionierende Transportwege, Systeme, die durch sinnlose Entwicklungshilfe in Multimilliardenhöhe funktionstüchtig gehalten werden, das sind die Ursachen dieses Verbrechens, dieses «Menschheitsskandals», wie ihn Bachmann nennt.

Sind wir alle daran schuld?

Wenn es ein Menschheitsskandal ist, dann ist die Menschheit insgesamt daran schuld. Natürlich vor allem wir vollgefressenen Teilhaber an den Überflussgesellschaften der Ersten Welt, suggeriert die Autorin.

Es ist richtig: In der Schweiz fallen jedes Jahr 2,8 Millionen Tonnen «Lebensmittelverluste» an. 330 kg pro Kopf und Jahr wandern nicht in die Mägen, sondern in die Mülltonne. Eine verdammte Schweinerei, unbestritten.

Aber: wie belastbar ist diese Zahl von 811 Millionen hungernden Menschen? Wenn es um solche Schreckensthemen geht, ist der Vorwurf immer nahe, dass jedes kritische Hinterfragen der Ausdruck von kaltherzigem Zynismus sei. Das Gegenteil ist richtig: wer mit solchen Zahlen hantiert und die nicht wirklich belegen kann, ist ein verdammter Zyniker.

Wer mit solchen Zahlen und Ursachen hantiert, ist inkompetent

Wer sie zum Anlass zu Aufschrei, Verurteilung und wilden Behauptungen über den Klimawandel als Ursache verwendet, ist zudem inkompetent. Wie Bachmann, die lieber bei der Gartenpflege bleiben sollte.

Der ihrer Anklage zugrunde liegende Welthungerindex wird von der deutschen «Welthungerhilfe» und der NGO «Concern Worldwide» erstellt. Ohne Zweifel honorige Intstitutionen, die nur das Beste wollen. Aber können sie es auch?

Nicht einfach zu durchschauen, die «Komponenten».

Die Berechnungsgrundlagen für Hunger zeigen ein multifaktorielles Bild. Komplex, kompliziert, schwer praktikabel. Noch schlimmer sieht es bei den verwendeten Indizes, Faktoren, Massstäben zur Beurteilung des Hungerniveaus aus. Da werden – natürlich im Kleingedruckten – so sinnvolle Quellen wie «Schätzungen der Autor*innen» verwendet.

Denn in vielen Elendslöchern der Welt, wo kaum staatliche Einrichtigungen existieren, sind Statistiken oder Erhebungen nicht mehr als kühne Schätzungen, Ferndiagnosen. Noch unzuverlässiger als die Durchführung von Wahlen in Berlin, also sehr unzuverlässig.

Ein Ausschnitt aus der Berechnungsmethode …

Das alles bedeutet natürlich nicht, dass gravierender Hunger in der Welt nicht existiert. Natürlich verursacht Hunger schwerste Beeinträchtigungen bei der Entwicklung von Kindern. Also ist die wodurch auch immer verursachte Mangel- oder Unterernährung, weil unnötig, ein Versagen. Ein Verbrechen. Also menschengemacht.

Entwicklungshilfe ist eine der Hungerursachen

Perverserweise ist eine der Ursachen falsch verstandene Hilfe. Exemplarisch ist das Beispiel Äthiopien. Ein Land, das immer wieder von Hungersnöten heimgesucht wird. Die immer wieder mit freigiebigen Lebensmittelspenden bekämpft werden. Die immer wieder die gleichen verheerenden Auswirkungen haben. Menschen leben und vermehren sich in Gegenden, die aus verschiedenen Gründen nicht dazu geeignet sind, autonom eine so grosse Anzahl von Menschen zu ernähren.

Noch schlimmer: Lebensmittelnothilfe zerstört regelmässig die landwirtschaftliche Infrastruktur. Denn lokale Bauern müssen für ihre Produkte Bezahlung einfordern, sonst verhungern sie selbst. Wenn aber Gratis-Lebensmittel bezogen werden können, wer ist dann so dumm, dafür zu bezahlen? Solche Teufelskreise – neben Staatsversagen – verursachen Hungernöte. Kein «Schachern um CO2-Kontingente», wie die Autorin einäugig fixiert auf ihr Lieblingsthema behauptet.

Wozu hat Tamedia noch eine Auslandredaktion?

Wer die Menschheit, also uns alle anklagt, beim Mord an 811 Millionen Menschen einfach zuzuschauen, sollte diesen Vorwurf schon untermauern und begründen können. Es werden nicht 811 Millionen durch Hunger ermordet, es sind geschätzt 811 Millionen, die an Hunger leiden. Nun bewirkt weder der Klimawandel zunehmende Hungersnöte, noch mildert Entwicklungshilfe sie. Im Gegenteil, dadurch werden Hungersnöte perpetuiert.

Angeblich verfügt Tamedia noch über eine Auslandredaktion. Statt solchen Unsinn ungefiltert von der SZ zu übernehmen, könnten sich die Sesselfurzer doch einmal um Faktencheck und andere sinnvolle Tätigkeiten kümmern. Dann würden die Leser vielleicht einsehen, dass es Sinn macht, dafür auch Hunderte von Franken im Jahr zu bezahlen.

Die SZ titelt viel vorsichtiger als Tamedia.

 

 

 

 

 

 

Reiner Hass

Deutsche und Österreicher: schwierig. Darunter leidet der Tamedia-Leser.

Es geht doch nichts über eine klare Meinung. Pardon, Kommentar heisst’s in der «Süddeutschen Zeitung», wenn’s die Qualitätsmedien von Tamedia übernehmen, wird’s zur «Analyse». Am Inhalt ändert sich dabei nichts (ausser natürlich, dass ß zu ss wird, wozu hat Tamedia auch noch eine Auslandredaktion).

Cathrin Kahlweit zieht hier vom Leder, dass es eine Unart hat. Der Verfolger alles Antisemitischen Maxim Biller hatte mal eine Kolumne, die «100 Zeilen Hass» hiess. Daran muss sich Kahlweit ein Beispiel genommen haben.

Der Kommentar aber auch …

Der Nachfolger von Kurz? «Schneller kann man sich in einer staatstragenden Rolle nicht disqualifizieren.» Die zukünftige Rolle von Kurz? Er wird «wie ein Sektenführer im Hinterzimmer die Devise für die Regierungspolitik» ausgeben «und seine Anhänger ausströmen, um sie devot zu verbreiten und auszuführen». Das System Kurz?

«Die «neue Bewegung» mit ihrem «neuen Stil» war auf Sand gebaut. Nun versinkt sie in demselben – weil sie, wie die meisten populistischen Bewegungen, um eine medial konstruierte Lichtgestalt herum gebaut war, die zum gefallenen Engel wurde.»

Kurz im internationalen Vergleich? «Man muss den 35-jährigen Berufspolitiker nicht überhöhen, indem man ihn mit politischen Zerstörern wie Donald Trump oder Jair Bolsonaro vergleicht. Der Populismus des irren US-Amerikaners hat zu einer tiefen Spaltung der Gesellschaft … Selbst der «kleine Diktator» (Copyright Jean-Claude Juncker)Viktor Orbán taugt letztlich nicht als Vergleich.»

Denn merke: «Die ÖVP-Geschichte ist viel armseliger.» Schlussakkord:

«Solange man sich durch schmierige Deals mit Boulevardblättern Meinung kaufen kann, wird Österreich eine käufliche Republik bleiben.»

Nun ist es wohlfeil, einem Zurückgetretenen noch nachzutreten. Als die gleiche Kahlweit den damaligen Aussenminister Sebastian Kurz 2017 für die SZ interviewte, pflegte sie noch einen anständigen Umgangston und war offensichtlich vom Jungstar durchaus angetan. Auch seinen Aufstieg zum Parteichef im gleichen Jahr begleitete Kahlweit mit freundlichen Kommentaren («Shootingstar»).

Gestern so, heute so, morgen anders

Aber wen interessiert denn schon mein dummes Geschwätz von vorgestern, mag sich Kahlweit gesagt haben. Allerdings sollte ein Kommentar, erst recht eine «Analyse», etwas enthalten, wofür der Leser auch bereit sein könnte, Geld abzudrücken: analytische Spurenelemente.

Denn Meinung ist ja gut und schön, das «System Kurz» kurz und klein zu hauen, kann sicher Spass machen. Nur: wieso Kahlweit zu diesen bahnbrechenden Erkenntnissen nicht schon kam, als sie mit allen anderen im Chor vom jungen Shootingstar schwärmte, bleibt ihr süsses Geheimnis.

Dass eine «Analyse» eine Untersuchung sein sollte, mit der unter Anwendung klarer Kriterien geordnet und ausgewertet wird, was soll’s. Offenbar ist inzwischen auch in der politischen Betrachtung ein Körperteil in den Fokus des Interesses getreten. Der eigene Bauchnabel.

Entscheidend ist die eigene Stimmungslage

Die eigene Befindlichkeit, das Ich, die persönliche Stimmungslage, meine Meinung, damit wird der Leser belästigt. Dass der sich vielleicht aufgrund einer Lektüre eine eigene Meinung bilden könnte und sollte: ach was, das ist so was von old school. Wo kämen wir da hin. Der Leser muss belehrt, erzogen und gelenkt werden. Sonst käme er gar noch auf eigene, daher falsche Gedanken.

Ausserdem wird so die Welt und alles schön übersichtlich, kategorisiert, kartografiert, fassbar. Trump («irrer US-Amerikaner»), Orban («kleiner Diktator»), Bolsonaro («politischer Zerstörer»), Österreich («käufliche Republik»).

Dazu noch ein Schuss New Speak von Orwell (in anderem Zusammenhang: Impfzwang ist freiwillig), und schon hat die sogenannte Qualitätspresse einen weiteren Sargnagel eingeschlagen.

Um genauso holzschnittartig zurückzugeben: bezüglich Käuflichkeit sollte sich gerade die «Süddeutsche» sehr zurückhalten, wie ein Blick in ihre Vergangenheit zeigt. Solche argumentationsfreien, überheblichen, besserwisserischen, abqualifizierenden Seelenrülpser einer Rechthaberin im Nachhinein braucht es weder als Kommentar, noch als Analyse. Und wirklich lustig ist diese Selbstzerstörung auch nicht.

«Im Sinne Kants»

Wie in Tamedia über die Neueröffnung des Zürcher Kunsthauses geschnödet wird.

Kunst kommt bekanntlich von Können. Und von Kennen. Aber das braucht ein Kunstkritiker von Tamedia doch nicht. Es verblüfft allerdings, dass der altgediente BaZ-Kulturredaktor Christoph Heim ansatzlos über die Hauptausstellung des Erweiterungsbaus herfällt: «Das Kunsthaus Zürich verkauft sich».

Wie denn das? Da wird die Sinnsuche schwierig.

«Mit der Sammlung Bührle wird das Museum zum Schaufenster privater Sammler. Das ist ein Rückschritt in feudalistische Zeiten.»

Und das junge Publikum habe nichts davon.

Pfui; das interessiert ein junges Publikum doch nicht.

Der Waffenhändler und Kunstsammler Emil Bührle ist seit Langem aufs engste mit dem Kunsthaus verbandelt. Schon 1958 finanzierte er den damaligen Ausbau, nun hängt eine Auswahl seiner gigantischen Kunstsammlung als Leihgabe im Erweiterungsbau. Wie auch die Sammlungen von Werner Merzbacher und anderen.

Das stört Heim weniger. Auch dass ein eigentlicher Dokumentationsraum die Biographie und die Geschäfte Bührles nachzeichnet, seine Waffenexporte und das Entstehen seiner Sammlung, das vermag Heim nicht milde stimmen.

«Interesseloses Wohlgefallen» (im Sinne Kants)

Das Kunsthaus sei nun ein «Schaufenster privater Sammlungen wie die Museen des 18. Jahrhunderts». Na und? Stört Heim weniger, dass die private Fondation Beyeler in Riehen zurzeit eine grossartige Goya-Ausstellung beherbergt, natürlich grösstenteils mit privaten Leihgaben bestückt, die dadurch öffentlich zugänglich werden?

Ein «interesseloses Wohlgefallen (im Sinne Kants)» sei bei diesen Bührle-Bildern nicht möglich, schwurbelt Heim. Ohne hier auf die «Kritik der Urteilskraft» des spätfeudalistischen Denkers Immanuel Kant von 1790 einzugehen: das hört sich irgendwie tief und gut an, hat aber mit dem Ausstellen von Gemälden schlichtweg nichts zu tun.

Kant (gest. 1804): kann sich nicht mehr wehren.

Denn Heim hätte seinen Ansatz auch ehrlicher und einfacher formulieren können: Er findet es ziemlich scheisse, dass die Sammlung von Bührle hier öffentlich ausgestellt wird. Was beinhaltet, dass es ihm lieber wäre, wenn sie nicht angeschaut werden würde, obwohl das der Erhebung und Erbauung (auch Kant) dient.

Der Kritiker lässt keinen Stein auf dem anderen

Heim gefällt einfach nichts an dieser Neueröffnung. «Meritokratischer Erinnerungsort», «gemahnt an eine Shoppingmall», «Privatsache des Zürichbergs», also eigentlich alles furchtbar.

Wenn das alles falsch ist, wie sollte, könnte es denn richtig, besser werden? Na, einfach Heim fragen: «Für die Zukunft wäre es aber wichtig, wenn das Museum mit seinen Ausstellungen zu einem zentralen Forum demokratischer und ästhetischer Auseinandersetzungen würde, das auch die jüngere Generation interessiert.»

Die Kunst-Shoppingmall von aussen.

Dunkel raunt der Kritiker, inhaltsschwer und unverständlich

Ohä, da sagt der Leser vorsichtig: interessanter Ansatz. Was man halt so sagt, wenn man nur Bahnhof versteht. Aber Heim definiert auch gnadenlos, was ein modernes Kunsthaus (im Gegensatz zu einem postfeudalistischen) sein soll:

«Dabei ist das moderne Museum schon längst kein selbstgenügsames Bilderlager mehr, sondern, um das mit Begriffen der Kommunikationswissenschaft zu sagen, ein Sender, der mit Kunst ein überaus diverses, in verschiedene Gruppen zerfallendes Publikum erreichen muss.»

Oder um das in den Begriffen der Erkenntnistheorie im Zeitalter des Postdekonstruktivismus, im Luhmannschen Sinne und mit einem Sprutz Baudrillard zu sagen, nicht ohne auf den zu Unrecht vergessenen Louis Althusser zu rekurrieren: auch im Kunsthaus muss der herrschaftsfreie Diskurs (Jürgen Habermas) eingefordert werden! Das meinte auch schon Michel Foucault, aber der war homosexuell.

Eigentlich müsste jeder Besucher beweisen, dass er die «Ästhetik des Widerstands» von Peter Weiss gelesen hat, bevor er eintreten darf.

Oder auf Deutsch: welch ein geschmäcklerisches Kritikastern, aufgeblasen, aber ohne Sinn und Verstand. Völlig am Interesse und Geschmack des Publikums vorbei, dem in immer trüberen und immer kunstferneren Zeiten immerhin ein grosses Stück Teilhabe an sonst unerreichbaren Kunstwerken offeriert wird.

Das ist auch bitter nötig, angesichts des jämmerlichen Zustands, in dem sich das Feuilleton von Tamedia befindet. Wer eine Nora Zukker zur Literaturchefin ernennt (und erträgt), hat eigentlich jedes Recht auf Kunstkritik verwirkt.

 

P wie peinlich

Nach den Paradise und den Panama Papers nun Pandora. Sie nennen es Aufklärung, aber es ist Hehlerei.

Diesmal sollen es rund 12 Millionen Dokumente sein, die aus verschiedenen Firmen weltweit gestohlen wurden. 3 Terabyte sind insgesamt 14 Unternehmen abhanden gekommen, die sogenannte Offshore-Konstrukte anbieten.

Umgangssprachlich nennt man das Angebot Briefkastenfirmen. Etwas vornehmer Sitzgesellschaften. Der Sinn der Sache besteht darin, ein Gefäss herzustellen, in dem verschiedene finanzielle Aktivitäten gebündelt und verwaltet werden können.

Da Geld keine Grenzen kennt, wählt man dafür überraschenderweise keinen Standort, an dem die Steuern turmhoch auf Erträgen oder dem Kapital selbst lasten. Sondern sogenannte Steueroasen. Normalerweise ist eine Oase immer besser als eine Wüste.

Hier aber hat sich ein bedingter Reflex durchgesetzt, wenn ein paar Reizwörter zusammenkommen. Briefkastenfirma, karibische oder pazifische Insel, Steuerparadies, reich.

Um Kriminelle zu entlarven, ist kriminelles Handeln erlaubt

Das genügt für das Urteil: Schweinebacke. Steuerhinterzieher. Versteck für Gelder von zweifelhafter bis krimineller Herkunft. Da ist Datenklau erlaubt, weil es der Aufklärung dient. Licht ins Dunkel finsterer Finanzströme wirft. Politiker, Potentaten und Kriminelle outet.

Dazu noch ihre Helfershelfer an den Pranger stellt. Wie zum Beispiel Schweizer Anwälte und Treuhänder, die bei der Errichtung solcher Konstrukte Handlangerdienste leisten.

Gebündelt werden diese Aktivitäten vom sogenannten «International Consortium of Investigative Journalists» (ICIJ). Die bekamen diesen Datenklau zugespielt, worauf sich ein paar hundert Journalisten ans Ausschlachten machen. Darunter Mitarbeiter von Tamedia, der «Süddeutschen Zeitung», «Washington Post» oder «Le Monde».

Nach einigen Monaten der Auswertung gehen dann alle diese Organe gleichzeitig an die Öffentlichkeit. Mit einem möglichst dröhnenden Paukenschlag. Denn der ganze Aufwand soll sich schliesslich lohnen. Allerdings hat Tamedia immer wieder Pech. Es tauchen kaum Schweizer Bezüge in diesen Datenmeeren auf. Kein Prominenter, keine reiche Schweinebacke mit Schweizer Pass oder wenigstens Wohnsitz.

Als rettender Strohhalm bieten sich da Schweizer Treuhänder und Anwälte an. Wenn man eine grosse Luftpumpe nimmt, kommt man zu dieser Formulierung:

«Die Schweiz steckt tief im Sumpf – tiefer noch als bei den Panama Papers. Schweizer Anwälte, Treuhänder und Beraterinnen haben alleine bei einer grossen Kanzlei in der Karibik 7000 Offshorefirmen betreut.»

Welcher Sumpf? Bislang ist nicht einmal angedeutet, dass auch nur in einem einzigen Fall bei der Betreuung solcher Konstrukte kriminelles Handeln involviert war. Oberhalb davon, dass auch ein harmloses Sparbüchlein zu kriminellen Taten missbraucht werden kann. Deshalb stecken aber Sparbüchlein doch nicht in einem Sumpf.

Wieder werden Politiker und Prominente geoutet. Bislang als bekanntester der tschechische Ministerpräsident. Aber die Reaktion in der Öffentlichkeit ist verhalten. Zu oft sind die grossen Ankündigungen als Miniskandale geendet. Denn bei all diesen Papers gibt es immer die gleichen Probleme.

Zehn Punkte, die gegen solche Datenklaus sprechen

  1. Die geklauten Daten werden angeblich von anonymer Quelle angeboten. Daher weiss man nichts über die Motive der Diebe. Man weiss auch nicht, wer einen solchen Aufwand betreibt (so ein Hack ist keine Amateurarbeit einer Nacht), um dann dieses Erpressungspotenzial einfach wegzuschenken.
  2. Weil man die Quelle nicht kennt, weiss man nicht, ob und wie eine Vorselektion der Daten stattgefunden hat. Auffällig ist auf jeden Fall, dass in keinem einzigen der Datenlecks US-Firmen oder US-Personen auftauchen. Schliesslich sind die USA die grösste Geldwäscheranstalt der Welt und in Delaware, Texas und anderswo stapeln sich anonyme Briefkastenfirmen bis in den Himmel.
  3. Journalisten ernennen sich zu Staatsanwälten, Gerichtsinstanzen und Scharfrichtern in einer Person. Das steht ihnen nicht zu, und um möglichst grossen Profit aus dem Ausschlachten zu ziehen (die Bearbeitung solcher Datenberge kostet gigantisch viel Arbeitszeit), teilen sie auch ihre Erkenntnisse nicht mit den Strafverfolgungsbehörden. Ein Skandal.
  4. Das Grundproblem all dieser Datenklauerei ist: der Unterhalt einer Finanzkonstruktion, ihre Errichtung und ihre Benützung ist bis zum Beweis des Gegenteils legal. Steuersparen ist legal. Den sogenannten beneficial owner, also den eigentlichen Nutzniesser des Konstrukts, geheim zu halten, ist legal und oft sinnvoll. Um beispielsweise Menschen in wackeligen Rechtsstaaten vor Verfolgung oder Entführung zu schützen.
  5. Die Euphemismen «Leaks» oder «Papers» sollen überspielen, dass es sich nicht um das Heraustropfen von Daten oder um das Sichten von Papieren handelt. Sondern die einzige jetzt schon bewiesene kriminelle Handlung ist dieser Diebstahl selbst. Und die Verwertung des Diebesguts.
  6. Weil Journalisten keine Strafverfolger sind, können sie auch nicht zwischen legal und illegal unterscheiden. Daher haben sie den Fantasieausdruck «illegitim» erfunden. Das Wort bedeutet eigentlich gar nichts, hört sich aber schön kriminell an. Dabei könnte man es auch umgekehrt verwenden: was illegitim ist, ist legal.
  7. Welche Exponenten oder Benützer solcher Konstrukte an den öffentlichen Pranger gestellt werden – und welche nicht –, das entscheiden selbstherrlich die Journalisten selbst. Dabei verwenden sie den genauso wolkigen Begriff «öffentliches Interesse». Die Vergangenheit hat allerdings sehr oft gezeigt, dass sich erste Anschuldigungen als völlig haltlos, falsch, unberechtigt erwiesen.
  8. Die Benützung solcher Konstrukte mag anrüchig, moralisch verwerflich sein, im Widerspruch zu öffentlichen Behauptungen stehen und daher eine gute Portion Heuchelei entlarven. Es mag stossend sein, dass ein Politiker für scharfe Steuergesetze und die Bestrafung von Steuerhinterziehern eintritt, gleichzeitig selbst eine Briefkastenfirma zur Steueroptimierung verwendet. Aber es ist normalerweise völlig legal.
  9. Neben den USA ist Grossbritannien via seine Kolonialinseln zuvorderst bei der Beherbergung solcher Sitzgesellschaften dabei. Es herrscht ein internationaler Konkurrenzkampf. Aber eins in die Fresse kriegen immer nur die weiteren Konkurrenten: Panama, Singapur, im Vorbeilaufen auch die Schweiz.
  10. Das Verhalten der Benützer solcher Konstruktionen mag anrüchig und fragwürdig sein. Aber die ausschlachtenden Journalisten verwenden haftungsfrei gestohlene Geschäftsunterlagen zwecks Auflagesteigerung und somit Profit. Das nennt man normalerweise Hehlerei. Hier heisst es aber Aufdeckung und Enthüllung.

Inzwischen ist die P-Reihe zur Trilogie geworden. Paradise, Panama und Pandora. Insgesamt handelt es sich um Hunderttausende von Briefkastenfirmen und involvierten Personen. Als Nutzniesser oder Hersteller. Nur: insgesamt kam es zu vielleicht ein paar hundert Strafuntersuchungen weltweit. Und zu vielleicht ein paar Dutzend Verurteilungen. Das ist ein Promillebetrag. Die Berge haben nicht einmal Mäuse geboren.

Aufwand und Ertrag. Angerichteter Schaden durch zu Unrecht an den öffentlich Pranger gestellte Personen und Firmen. Im Verhältnis dazu ist der Beitrag zur Durchsetzung des Rechts minim.

In der Büchse der Pandora liegen bekanntlich alle Übel der Welt. Aber auch die Hoffnung. Dass diese Journalisten, diese selbsternannten Rächer der Gerechtigkeit mit ihrem schädlichen Tun aufhören, diese Hoffnung muss man allerdings fahren lassen.

haftungsfrei

Das Trümmerfeld der Kollateralschäden ist gigantisch. Millionenschäden, ein ramponierter Ruf, ein fast halbjähriger Gefängnisaufenthalt in einem Höllenknast. Gerichtsverhandlungen in der Schweiz, in Grossbritannien und auf Mauritius. Untersuchungen durch die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV), die Bundesanwaltschaft (BA), den Londoner High Court, die Staatsanwaltschaften von Mauritius und von Angola. Angestellte, die entlassen werden mussten oder ihren Lohn erst mit grosser Verzögerung erhielten, mit dem Rausschmiss aus der Wohnung mangels Mietzahlung bedroht wurden. Rund 140’000 Franken in verlorenen Prozessen verschwendete Steuergelder alleine in der Schweiz. Von den unzähligen Mannstunden der Untersuchungsbehörden ganz zu schweigen.

Ankläger, Richter und Henker

Ein gutbeleumundeter Geschäftsmann wurde in Verbindung gebracht mit Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Korruption. Zudem soll er sich auf Kosten der Ärmsten der Armen unziemlich bereichert haben, für seine Tätigkeit exorbitante Gebühren verlangt, von ihm verwaltete Gelder mit eigenen Interessen verquickt haben. Er soll kalt lächelnd in Kauf genommen haben, dass Geld, das er für Luxusimmobilien in der Schweiz und in Dubai ausgibt sowie für einen Privatjet, armen Kindern in den Slums der Hauptstadt Luanda fehlt. Und schliesslich soll er zu diesem Mandat durch Vetternwirtschaft gekommen sein, da er den Sohn des mächtigsten Clans von Angola kennt.

Happige Vorwürfe. Wenn davon auch nur ein Bruchteil stimmt, wäre der Geschäftsmann moralisch, sozial und wirtschaftlich ruiniert. Als die «Sonntagszeitung» im November 2017 mit dem Titel «Wie ein Schweizer von Angolas Milliarden profitiert» das Feuer eröffnete, gingen in Windeseile Schweizer Geschäftspartner auf Distanz, so die Alt-Bundesrätin Ruth Metzler. Denn wer will sich schon im Umfeld eines solchen Profiteurs blicken lassen. Weitere Blattschüsse aus dem Hause Tamedia folgten.

Aufgrund der Verdachtsberichterstattung begannen die ESTV und die BA mit Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung oder gar Geldwäsche. Da die BA dringend mal ein Erfolgserlebnis braucht, steckte sie ihre Untersuchung gegen unbekannt dem Tamedia-Recherchierjournalisten Christian Brönnimann, der sie dann als Beleg für die Richtigkeit seiner Verleumdungskampagne verwenden konnte. Aber woher hatte Brönnimann denn seine Indizien gegen den schweizerisch-angolanischen Geschäftsmann? Aus dem jüngsten Datenraub, den sogenannten «Paradise Papers».

Der Blattschuss Marke Brönnimann.

Wieder einmal waren von unbekannter Täterschaft einer Firma, die unter anderem Holdings aufsetzt, Millionen von Geschäftsunterlagen gestohlen und Journalisten übergeben worden. Die machten sich dann, wie zuvor auch schon, an die Ausschlachtung der Daten. Das ist aufwendig und teuer. Da war das Haus Tamedia natürlich sehr froh, dass in den «Papers» auch der Name eines Schweizer Geschäftsmanns auftauchte: Jean-Claude Bastos. Der war bislang unter dem Radar der Öffentlichkeit geflogen.

Aber er unterhielt auf Mauritius diverse Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Von denen aus verfolgten die sogenannten Recherchierjournalisten von Tamedia die Spuren zu seinen Firmen in der Schweiz und zu seinen Engagements in Angola. Und klopften sich auf die Schenkel vor Vergnügen. Dubioser Geschäftsmann, Firmen auf einer kleinen Insel, Hauptsitz in Zug, Riesen-Geldfonds eines der ärmsten Länder der Welt, eigene Geschäfte dort, korrupte Oligarchie in Angola, unvorstellbarer Reichtum und bittere Armut: Besser geht es nicht. Da kann man aufgrund von Hehlerware mal wieder Ankläger, Richter und Henker in einer Person spielen.

Die Kampagne Brönnimanns hatte anfangs durchschlagenden Erfolg. ESTV und BA sperrten die Konten der Firmen von Bastos und dessen eigene Konten in der Schweiz. Die Behörden von Mauritius taten desgleichen. Und der angolanische Staatsfonds kündigte alle Verwaltungsaufträge und erreichte mit einer superprovisorischen Verfügung in London das weltweite Einfrieren aller Guthaben des Fonds. Noch schlimmer: Als Bastos nach Angola reiste, um eine möglichst schnelle Lösung in diesem Schlamassel zu suchen, wurden dem Doppelbürger zuerst seine Pässe abgenommen, und im September 2018 wurde er in einen Höllenknast in der Nähe der Hauptstadt Luanda gesteckt.

Das sollte ja dann wohl das Ende seiner Geschäftstätigkeit gewesen sein; als Nächstes würde man wohl nur noch von einer ganzen Reihe von Verurteilungen im Zusammenhang mit ihm hören. Ein grossartiger Triumph des investigativen Journalismus. Einem ganz üblen Gesellen, der sich skrupellos unmässig bereichert, Mein und Dein nicht unterscheiden kann, auf Kosten von Kindern mit Hungerbäuchen in Saus und Braus lebt, wurde das Handwerk gelegt. Da ist es doch unerheblich, dass diese «Recherche» lediglich auf ein paar gestohlenen Geschäftsunterlagen fusste.

Alles legal, eine Klatsche nach der anderen

So wäre der märchenhafte Schluss gewesen. Aber die Wirklichkeit ist kein Märchen. Zunächst schmetterte der Londoner High Court die superprovisorische Verfügung ab. Und hielt in seinem Urteil ausdrücklich fest, dass alles legal war und ist, dass es normal ist, dass Firmenkonstrukte benützt werden, wie sie in internationalen Geschäften üblich sind, dass alle Verträge transparent und unabhängig überprüft wurden. Und dass die verlangten Gebühren durchaus «marktüblich» seien. Klatsche eins.

Nach zähem Kampf beschieden dann Gerichte in Zug und Zürich der Schweizer Steuerbehörde, dass ihre Sperrungen der Firmenkonten auf «vagen und unsubstantiierten» Behauptungen von möglicher Steuerhinterziehung beruhten, ja gar «rechtsmissbräuchlich» seien und daher aufzuheben. Klatsche zwei.

Die Bundesanwaltschaft hatte lange Zeit gehofft, von ihren Kollegen in Angola ein Rechtshilfeersuchen zu bekommen, was ihre Blockierungen der Konten wegen des Verdachts auf Geldwäsche endlich legitimiert hätte. Als das ausblieb, zog auch die BA ihre Sperrungsverfügungen zurück. Klatsche drei.

Und schliesslich liess die angolanische Staatsanwaltschaft alle Anschuldigungen fallen. Bei der Verhaftung von Bastos hatte sie behauptet, er sei in die Unterschlagung von 500 Millionen Dollar bei der angolanischen Nationalbank verwickelt, obwohl das nachweislich nicht stimmte. Aber in diesem wackeligen Rechtsstaat musste ja ein Vorwand gefunden werden. Klatsche vier.

Aufgrund dieser Entwicklungen lenkten auch die Untersuchungsbehörden von Mauritius ein, entsperrten sämtliche Konten und erteilten den Unternehmen von Bastos wieder die Geschäftslizenz. Klatsche fünf.

Es ist unbestreitbar, dass all diese Ereignisse durch die Medienkampagne von Tamedia, genauer von Christian Brönnimann, ausgelöst wurden. Millionenschäden im Fonds durch das Einfrieren seiner Guthaben, zum Fenster hinausgeworfene Steuergelder allerorten für Untersuchungen und Prozesse, die Beschädigung der wirtschaftlichen Existenz vieler unbescholtener Mitarbeiter. Und nicht zuletzt der Gefängnisaufenthalt von Bastos, der im Gegensatz zu Brönnimann Verantwortung übernommen hatte.

Denn Brönnimann weist sämtliche Schuld, Verantwortung weit von sich. Dafür, dass Behörden Untersuchungen durchgeführt haben, könne er nichts, das sei deren Verantwortung. Als ich ihm nach der Freilassung von Bastos ein weiteres Mal Gelegenheit gebe, sich zur Frage seiner Verantwortlichkeit zu äussern, verwendet er eine Schutzbehauptung und erwidert: «Nachdem ich Ihre letzte Anfrage in aller Ausführlichkeit beantwortet habe, Sie diese Antworten aber nicht mal ansatzweise berücksichtigt haben, verzichte ich auf eine weitere Stellungnahme.»

Natürlich hatte ich seine ausführliche Stellungnahme ausführlich berücksichtigt. Aber so ist das halt mit der Verantwortung im Journalismus. Ich erwiderte ihm:

«Sackschwach. Feige, verantwortungslos und sackschwach. Aber stimmig.»

Pandora: die zerbeulte Büchse

Man wusste es: es braucht mal wieder ein Datenleak. Damit Tamedia toben kann – bis alles wieder vergessen geht.

Eigentlich könnte man die Textbausteine rezyklieren. Datenleak, Gigabyte, kriminell, weltweit, verstecken, Schwarzgeld, illegal.

Dazu noch: Potentaten, Diktatoren, Superreiche, Helfershelfer, Schweizer Schweinebacken in Treuhandgesellschaften und anderswo. Einmal gut umrühren, dann schütteln, und schon ist der nächste Riesenskandal ausgeschüttet: wir stellen vor, die Pandora-Papers.

Auch die Pandora-Papers, dieser Blick in die Zukunft sei gewagt, werden genauso verröcheln wie alle ihre Vorgänger. Aus den gleichen Gründen. Unbekannte Täter mit unbekannten Motiven entwenden ganze Datenbanken. Bei den «Panama-Papers» traf es in erster Linie die Firma Fonseca in Panama City. Die hatte jahrzehntelang sogenannte Sitzgesellschaften errichtet und verkauft.

Ein völlig legales Geschäft, deshalb hatte Fonseca auch niemals Scherereien mit dem Gesetz. Aber es waren natürlich alle Reizwörter versammelt. Panama, Briefkastenfirmen, superreiche Schweinebacken, Kriminelle und anderer Abschaum: schön, dass man in diese Dunkelkammer hineinleuchtet.

Kleines Problem: aus dem damals Hunderttausenden von Datensätzen ergaben sich am Schluss eine Handvoll Strafverfahren, die zu einem Händchen voll Verurteilungen führten. Denn die eigentliche Wahrheit hinter diesem Leak, hinter allen Leaks ist: sie beweisen, dass solche Sitzgesellschaften wohl die sauberste Art sind, international angelegtes Geld zu verwalten.

Die Rate der kriminellen Verwendung liegt im Promillebereich.

Zweites Problem: das internationale Journalistenteam, das jeweils die Beute ausschlachtet, ernennt sich selbst zum Staatsanwalt, Untersuchungs- und Scharfrichter. An den medialen Pranger werden ausgewählte Opfer genagelt. Auswahlkriterium: «öffentliches Interesse». Das ist lachhaft. Da die Journalisten zu ihrem Bedauern keine strafrechtlichen Untersuchungen führen können, unterscheiden sie feinsinnig zwischen legal (was normalerweise sowieso der Fall ist) und nicht etwa illegal, sondern «illegitim».

Das ist ein tolles Wort, das Kriminelles insinuiert, in Wirklichkeit aber nur bedeutet: nach der persönlichen Meinung des Journalisten tut man das nicht.

Regelmässig köpfen diese Scharfrichter die Falschen

Regelmässigf hauen diese selbstherrlichen Scharfrichter auch daneben. Stellvertretend für viele andere Opfer seien hier nur Gunter Sachs und Jean-Claude Bastos erwähnt. Beiden, Sachs sogar posthum, wurde die «illegitime» Verwendung von Firmenkonstrukten vorgeworfen. Mindestens zum Zweck der Steuerhinterziehung, wenn nicht gleich für kriminelle Aktivitäten.

Ist doch klar; der eine Playboy und Multimillionär, der andere Verwalter eines angolanischen Staatsfonds: plus Bahamas, Mauritius, Cook Island, Offshore: sonst noch Fragen? Allerdings. In beiden Fällen wurde nachgewiesen, dass sämtliche Anschuldigungen völlig aus der Luft gegriffen waren. Sachs hatte sich keinerlei steuerliche Vergehen zuschulden kommen lassen. Bei Bastos endete der Fall tragisch. Der schweizerisch-angolanische Geschäftsmann verbrachte einige Monate in einem angolanischen Höllenknast, seine Verwaltungsfirmen musste Bankrott erklären, weil beispielsweise die Schweizer Steuerverwaltung aufgrund der üblen Andeutungen von Tamedia deren Konten vorsorglich sperrte.

Zudem, wie Tamedia gross und triumphierend vermeldete, wurden an verschiedenen Orten der Welt Anklagen gegen Bastos eingereicht, zum Beispiel in London. Klare Sache, endlich kümmert sich die Justiz darum, der auch damals beteiligte Christian Brönnimann klopfte sich auf die Schulter, bis er fast vor Wichtigkeit einknickte.

Nur sehr, sehr klein – oder gar nicht – vermeldete dann Tamedia, dass restlos alle Strafuntersuchungen, alle Prozess ergebnislos eingestellt oder von Bastos gewonnen wurden. Nur: Firmen kaputt, Bastos ein gebrochener Mann, grobfahrlässig Schaden angerichtet. Wenigstens ein schlechtes Gewissen nachher?

I wo, man könne doch nichts dafür, wenn aufgrund der eigenen Artikel Strafuntersuchungsbehörden aktiv würden, meinte Brönnimann kaltschnäuzig. Bevor wie die aktuelle Sauce kurz in ein Sieb schütten, wiederholen wir heute den Artikel, den René Zeyer am 28. März 2019 über die damalige Sauce schrieb.

Über einen Medienskandal erster Güte, der leider für die Verantwortlichen völlig haftungsfrei ausging. So wie es auch diesmal der Fall sein wird. Normalerweise werden Wiederholungstäter schärfer angefasst als Ersttäter. Ausser bei den ewigen Leaks.

Laut der Sage enthält die Büchse der Pandora ja nicht nur alle Übel der Welt. Sondern auch Hoffnung. Aber hier ist die Sache hoffnungslos.

Tiefflieger Loser

Niemand ist vor ihm sicher. Konkurrenten, Bundesräte, die Justiz. Wo bleibt das Qualitätsmanagement?

Tamedia ist furchtbar stolz darauf, dass angeblich die Qualität der Produkte streng und objektiv und unabhängig kontrolliert werde.

Dass diese «Qualitätssicherungsmassnahmen» vom ehemaligen Tagi-Chefredaktor Res Strehle verantwortet werden, dem wohl schlimmsten Wendehals der Schweizer Publizistik, was soll’s.

Dass der letzte Rapport zufällig dann erschien, als 78 Tamedia-Frauen sich wie wild über unerträgliche Zustände auf den Redaktionen beschwerten – und davon kein Sterbenswörtchen im Bericht stand, was soll’s.

Dass die Corona-Kreische Marc Brupbacher ungeniert Bundesräte und überhaupt alle, die ihm nicht passen, anrempeln kann («völlig übergeschnappt»), was soll’s.

Gnädig gegen sich selbst, hart gegen die Wahrheit.

Aber dann haben wir noch Philipp Loser. Die Allzweckwaffe des Hauses. Höchstens noch egalisiert von Andreas Tobler, dem Versteher von Mordaufrufen. Allerdings nur, wenn sie sich gegen Roger Köppel richten. Toblers neuer Schwerpunkt ist Frauenverstehen.  Beide sind immer gerne bereit, Konzernjournalismus zu betreiben. Tobler kläfft gegen Jonas Projer, wenn der Chefredaktor der NZZaS wird («widerspricht auch dem Qualitätsanspruch der «NZZ am Sonntag» – und der linksliberalen Positionierung des Blattes».)

Wohlgemerkt lange, bevor Projer sein Amt antrat. Da will auch Loser nicht hintanstehen. Der drosch schon so unfair und ungehemmt auf den Konkurrenten Hanspeter Lebrument ein («Über dem «Alten vom Berg» sollen «Geier kreisen», aus dem «Palast Lebrument» sei ein «MausoLöum» geworden»), dass das selbst die tiefliegende Latte der «unter jeder Sau»-Qualität bei Tamedia riss. Der Artikel wurde aus dem Archiv gespült, Loser musste zum «Alten vom Berg» kriechen und sich entschuldigen.

Wieso allerdings all den vielen Qualitätskontrolleuren vor Publikation nicht auffiel, was für ein Schmierenstück das war – und dass der Angerempelte nicht mal Gelegenheit erhalten hatte, Stellung zu nehmen –, nun Qualitätskontrolle ist nicht so einfach.

Nun ist die Schweizer Klassenjustiz fällig

Bei anderen schon, denn nun nimmt sich Loser die Justiz vor. «Gnädig gegen rechts, hart gegen links», behauptet er in seiner Kolumne, als wäre in der Schweiz die alte Klassenjustiz wiederauferstanden. Dass das in der Weimarer Republik kritisiert wurde, zum Beispiel von Carl von Ossjetzky, Kurt Tucholsky und Ernst Ottwalt, dazu würde Loser wohl sagen: Was ist denn die Weimarer Republik? Und wer waren denn die?

Er lamentiert über die Verfolgung von Sibel Arslan. Denn sie vereine «drei Feindbilder rechter Politik. Sie ist eine junge, unabhängige Frau. Sie hat einen Migrationshintergrund. Sie ist links».

Jung, unabhängig, links mit Migrationshintergrund.

Das mag so sein, aber was hat das mit «seltsamen Ermittlungen gegen eine Nationalrätin» zu tun? Alles das Gleiche, behauptet Loser. Das zeige sich «in den Kommentarspalten der Online-Medien», ebenso bei «unangebrachten Sprüchen von rechten Ratskollegen» und eben, in einer Untersuchung der Basler Staatsanwaltschaft. Denn die erdreistete sich, dem Parlament den Antrag auf Aufhebung der Immunität als Nationalrätin zu stellen. Ein nötiger Schritt, um allenfalls Einvernahmen durchführen zu können.

Denn es bestand der Anfangsverdacht, dass sie an einer unbewilligten Demonstration teilgenommen habe, behauptet Loser. Allerdings nicht als «Freiheitstrychlerin». Wenn bei solchen Demonstrationen nur schon «Ueli, Ueli» gerufen wird, bekommt Bundesrat Ueli Maurer gleich eine rein, dieser Zeusler, Zündler und Gefährder des Friedens im Lande.

Der Antrag gegen Arslan wurde abgelehnt, also könnte die Karawane weiterziehen. Zurück bleibt aber Beller Loser. Hart gegen links, blind gegen rechts, als Beleg kann Loser die Meinung eines Christian von Wartburg anführen: «Es darf keinen Moment auch nur den Anschein machen, dass eine so mächtige Behörde wie die Staatsanwaltschaft nicht streng nach Strafprozessordnung vorgeht.»

Ein Jurist und SP-Grossrat auf Stammtischniveau

Von Wartburg ist Grossrat für die Basler SP und «Präsident der parlamentarischen Oberaufsicht» in Basel. Nun ist er auch Jurist und sollte daher wissen, dass Anschuldigungen gegenüber Strafverfolgungsbehörden mit grosser Vorsicht und noch grösseren Belegen vorgebracht werden sollten.

Sonst herrscht Stammtischniveau. Die einen regen sich über angeblich zu hartes Vorgehen gegen Arslan auf. Die anderen beklagen, dass den illegalen Besetzern des Bundeshausplatzes nichts passierte, dass sogar Blockierer vor einem Eingang der CS dank edler Motive Freisprüche geschenkt werden.

Für Loser «bleibt allerdings ein banges Gefühl zurück nach einem Fall wie jenem in Basel». Er stellt sich und seinen Lesern die bange Frage: «Durchaus möglich, dass auch andere Strafverfolgungsbehörden der Schweiz politisierte Entscheidungen treffen. Ob es dort auch jemand bemerkt?»

Ob Loser etwas bemerkt? Arslan wurde nicht wegen Teilnahme an einer Demonstration strafrechtlich verfolgt, sondern wegen des Verdachts der Behinderung einer Amtshandlung. Ist etwas anderes. Loser führt kein einziges Beispiel für Kuscheljustiz gegen Rechte an. Kann er auch schlecht, denn bei Demonstrationen der Massnahmenkritiker kommt es regelmässig zu Verhaftungen und Anzeigen.

Was tut Loser also da? Er senkt das gesenkte Niveau von Tamedia noch weiter ab. Ohne dass eine Qualitätskontrolle eingreifen würde. Aber wer nach seinem Blattschuss aus dem Hinterhalt gegen einen missliebigen Konkurrenten offensichtlich weiter unkontrolliert eine Kolumne bestreiten darf, ist der lebende Beweis dafür, dass es gar nichts zu kontrollieren gibt. Mangels Qualität.

«Gnädig gegen rechts»? Leere Behauptung ohne ein einziges Beispiel. «Hart gegen links»? Soll denn die Staatsanwaltschaft nicht mehr einem Anfangsverdacht nachgehen, auch gegen eine Nationalrätin? Dummes Gequatsche ohne Sachverstand. Wird sicherlich im nächsten Qualitätsbericht als herausragendes Beispiel für eine Meinungskolumne gelobt werden.

Tamedia: Probebohrung

Werden wir ganz objektiv. Auf dem Newsnet sind am 30. 9. haargenau 62 Artikel erschienen. Wertschöpfung?

Neben der Selbstbefriedigung des Autors, dem Verbreiten der richtigen Meinung oder dem Verteilen von guten Ratschlägen, an denen die Welt genesen soll, ist die Hauptaufgabe einer Newsplattform, Mehrwert zu schaffen.

In der neuen Rubrik Probebohrung untersuchen wir den Output eines Tages. Da wir leider keinerlei Hilfswillige, Kindersoldaten oder Sozialhilfemepfänger beschäftigen, wählen wir aus diesen Stücken per Zufallsprinzip 10 aus. Wobei wir uns bemühen, Ausland, Politik, Wirtschaft, Sport und Feuilletonistisches zu berücksichtigen.

Jedes Werk kann maximal drei Punkte erzielen. Für Authentizität (das konnte man sonst nirgends lesen), für Erkenntnisgewinn (das wusste man vorher so nicht) und schliesslich für die informative Bedeutung (die Mitteilung ist es wert, publiziert und gelesen zu werden).

Daraus ergibt sich ein maximaler Punktestand von 30. Ein Ergebnis von bis zu 15 Punkten bedeutet: durchgefallen. 15 bis 25: durchaus mit Gewinn zu lesen. Über 25: fucking world class, wie Chris von Rohr sagen würde.

Frisch ans erste Werk

  1. Gewalt gegen Ausländerinnen: «Es wäre besser gewesen, wenn er mich richtig verprügelt hätte». Das könnte interessant sein; zwei Fallbeispiele von Gewalt in der Ehe mit Ausländerinnen oder unter Ausländern in der Schweiz. Und die Probleme, die durch die an die Ehe gekoppelte Aufenthaltsberechtigung entstehen. Aber zäh ziehen sich «Republik»-verdächtige 26’000 A dahin, dennoch bleiben die Beispiele unvollständig und blass. Ein Punkt für Authentizität, einen halben für Erkenntnisgewinn. Score: 1,5.
  2. Streit bei den US-Demokraten: Sie hält Bidens Schicksal in den Händen. Eine Schmonzette vom SZ-Korrespondenten Hubert Wetzel über eine dissidente demokratische Senatorin. Leider null Punkte. Score: 1,5
  3. Lieferengpässe in Vietnam: On-Aktien stehen unter Druck. Der Artikel stammt aus der F&W, also kommt er auch nur auf null Punkte. Score: 1,5
  4. Rücktrittsgerüchte um Bundesrat: Die Nachfolger von Ueli Maurer stehen schon bereit – es sind fast alles Männer. Zwei Autoren rühren in der Gerüchteküche und präsentieren angebliche Nachfolgekandidaten. Halber Authentizitätspunkt, ein Erkenntnisgewinn, halbe Bedeutung, weil spekulativ. Score: 3,5
  5. Zürcher Kampf gegen Ölheizungen: «Das Energiegesetz führt zu keiner einzigen Leerkündigung». Sagt der grüne Baudirektor, dem der Autor nicht widersprechen will. Aber immerhin einiges an Informationen zusammengetragen. Daher 1 plus 1 plus 1. Score: 6,5
  6. Erklärungen vom Tornadoexperten: Wie es zum Tornado in Kiel kam. Das es sich hier um eine Zangengeburt handelt, merkt man schon dem holprigen Titel des Fremdbeitrags an. Also 0 Authentizität, ein halber für Gewinn und 0 für publikationswürdig, weil dieses Problem in Kiel durchaus interessiert, in Zürich weniger. Score: 7
  7. Aufschwung mit Tücken: Hat Sportklettern ein Sexismus-Problem? Wir kommen zur Sportberichterstattung. Exotische Sportart; eine deutsche SZ-Journalistin berichtet über einen Knatsch in Österreich. Das gibt leider null Punkte. Score: 7
  8. Britneys Vater als Vormund abgesetzt: Endlich frei. Ein Beitrag zum People-Journalismus des SZ-Mitarbeiters Jürgen Schmieder über den erfolgreichen Befreiungskampf von Britney Spears. Leider nix Authentisches, halber Erkenntnisgewinn und sagen wir grosszügig, dass das Thema interessiert, auch noch ein Punkt. Score: 8,5
  9. Kolumne Katja Früh: «Fuck, du bist alt geworden». Die virulente Kolumnitis muss auch berücksichtigt werden. Leider trifft es hier Katja Früh. Es geht irgendwie um Alltag, irgendwo um Langeweile, dann ein Tochter-Mutter-Ding, und schliesslich sehr viel Katja Früh betrachtet ihren Bauchnabel. Aber immerhin authentisch, daher insgesamt ein Punkt. Score: 9,5
  10. Tipps für die Wohnungssuche: So finden Sie selbst in Zürich eine neue Bleibe. Ausserhalb von Zürich kein weltbewegendes Thema, hier aber schon. Also authentisch, dank Tipps bereichernd, und publikationswürdig auf jeden Fall. Score: 12,5.

Leider ergibt diese völlig subjektive Auswahl mit immerhin nachvollziehbaren Kriterien einen Gesamtpunktestand, der nur das Verdikt zulässt: durchgefallen. Lag’s an der Auswahl? An der Subjektivität der Beurteilung? An den verwendeten Kriterien? Kann man alles anführen, wenn man sich das Ergebnis schönreden will.

Aber ZACKBUM bleibt dabei: Wenn das eine einigermassen repräsentative Auswahl des Online-Schaffens vom 30. September war, dann bekommt der Konsument nichts Adäquates dafür geboten, dass er seine Zeit – und Geld bei all den Artikeln hinter der Bezahlschranke – investiert.

Das würde sich mit einer zusätzlichen Subventionsmilliarde auch nicht ändern, im Fall.