Schlagwortarchiv für: Tamedia

Kanne leer

Das grosse Medienergiessen über eine leere Walliser Beiz. Gehört zum «service public».

Wenn die Newsschleudern besonders demütig erscheinen wollen, sprechen sie vom «öffentlichen Dienst», den sie verrichten. Eine nötige Serviceleistung wie die Müllabfuhr, der Strassenunterhalt oder der ÖV.

Damit auf der Welt immer nur so viel passiert, wie in einer gedruckten Ausgabe oder neuerdings auf der Webseite Platz hat, besteht der Dienst am Kunden auch aus der Auswahl und Gewichtung der Nachrichten. Da wird gnadenlos Wichtiges von Belanglosem getrennt, und je nach Bedeutung mehr oder weniger viel Platz eingeräumt.

Exemplarisch kann man das Funktionieren dieses gut geölten Räderwerks, dieses Wunderwerks am Beispiel «Walliserkanne» verfolgen. Das Stichwort bringt es auf satte 330 Treffer in der Mediendatenbank, wenn man die Falschschreibung «Walliser Kanne» ebenfalls berücksichtigt. Aber Korrektorat war gestern.

Nun könnte man meinen, dass diese weltbewegende Staatsaffäre mit der Schliessung des Lokals, der Verhaftung – und Freilassung – der Wirte ihr Ende gefunden hätte. Noch etwas Aufarbeitung – war der Polizeieinsatz verhältnismässig, spinnt die Walliser Staatsanwaltschaft, die einen Monat U-Haft beantragte –, und gut ist.

Abstimmungspropaganda auf die unfeine Art

Dem wäre vielleicht so, wenn nicht am 28. November über das Referendum zum verschärften Corona-Gesetz abgestimmt würde. Nachdem in dem Mainstream-Medien inzwischen leichte Panik herrscht, ob dieses Referendum doch nicht nur von Verpeilten, Verwirrten, Verantwortungslosen und Verschwörungstheoretikern unterstützt wird, muss jedes Beispiel für solches Verhalten breiter als eine sechsspurige Autobahn ausgefahren werden.

Aber natürlich nicht dem Blöd-«Blick».

Die Devise lautet: seht her, solche Spinner rebellieren gegen verantwortungsbewusste staatliche Vorschriften. Wer das Corona-Kontrollgesetz ablehnt, unterstützt solch verwerfliches Tun.

Nun ist aber die Walliserkanne eigentlich bis auf den Grund geleert. Das Lokal ist geschlossen, die Übeltäter laufen frei herum, wie kann man da noch letzte Tropfen heraussaugen?

Blöd-«Blick» hat’s gefilmt, aber nicht gecheckt.

Peinlich, aber einfach. Denn «Blick TV», der Qualitätssender aus dem Hause Ringier, war vor Ort und hat gefilmt. Geglotzt, aber eine lustige Inschrift nicht verstanden. Dafür haben wir doch die übrigen Qualitätsmedien. Genauer das «Megafon». Richtig, das anonyme Hetzorgan aus der Küche der Berner «Reitschule», das schon durch einschlägigen Kopf-ab-Humor bekannt wurde.

Die geheimen Abgründe hinter der «Walliserkanne»

Das «Kollektiv» entdeckte auf dem Video von «Blick TV» Schreckliches, was allen anderen entging.

Inzwischen erledigt schon das «Megafon» Basisrecherchen für die Qualitätsmedien.

Seht Ihr’s? Da steht doch «WWG1WGA». Nur dem oberflächlichen Blick des Betrachters entgeht der unheimliche Hintergrund. Das ist nämlich die Abkürzung für «Where we go one we go all». Und das wiederum ist ein Slogan der QAnon-Verschwörungswelt. Die wiederum ist das Werk von Spinnern, die vor allem in den USA Zuspruch fanden. Nachdem allerdings alle «Vorhersagen» Flops waren, absurde Behauptungen wie die, dass die demokratische Partei unter Beteiligung von Hillary Clinton ein Pädophilennetzwerk unterhalte, als völliger Schwachsinn verlacht wurden, trotz mehreren Ankündigungen Donald Trump doch nicht als neuer Präsident inauguriert wurde, hat der Blödsinn schwer an Wirkung verloren.

«Wo einer hingeht, gehen alle hin». QAnon-Geschwurbel mit geklautem Logo.

Selbst ein Irrwisch wie Steve Bannon behauptet inzwischen, QAnon sei in Wirklichkeit ein «Psyop» des FBI. Also eine psychologische Kriegsführungsoperation, um die Opposition gegen den amtierenden Präsidenten der USA zu diskreditieren.

Die Original-Flagge von Gadsden.

Also eine Verschwörungstheorie verschwört sich sozusagen gegen sich selbst. Gut geeignet, eine Glosse über die Verführbarkeit der Menschen und über Massenhysterie zu verfassen. Nichts ist, sagt sich Tamedia, das Heim der qualitativ hochstehenden Berichterstattung.

Vom «Megafon» kopiert, von der SDA abgeschrieben. Qualität aus dem Hause Tamedia.

Fast 8000 Anschläge verschwendet das Organ auf die Ausleuchtung der schrecklichen Hintergründe der «Corona-Verschwörer in Zermatt». Mit diesem Graffiti entlarven sich die Wirte nämlich als QAnon-Anhänger, mit Aussagen als Vertreter der Ideologie von «Reichsbürgern».

Es ist schlimm, es ist schlimmer

Aber es ist ja alles noch schlimmer: Laut «Megafon» sind die Wirte auch schon vor Corona aufgefallen. Dazu postete die Zeitung auf Twitter ein Screenshot eines Kommentars auf Tripadvisor. «Darin erwähnt ein Gast ein Handgemenge («Dies vor einem Kleinkind») und beschwert sich über das aggressive Verhalten des Inhabers. Offenbar kein Einzelfall.»

Ein geschlossenes Lokal kann im «Walliser Bote» Schlagzeilen machen.

Was lernt der schreckensbleiche Leser daraus? Wer gegen das verschärfte Corona-Gesetz ist, spinnt. Wer sich gegen sinnvolle staatliche Massnahmen wehrt, spinnt. Wer als verantwortlicher Staats- und Stimmbürger handelt, muss dem Referendum eine Abfuhr erteilen. Sonst greift das Verhalten von ein paar Verpeilten Walliser Granitgrinden wie eine Epidemie um sich in der Schweiz.

Auch CH Media berichtet lang und breit über Pipifax.

Denn dann bricht das Chaos aus, der Bürgerkrieg, müssen überall Betonblöcke vor Lokaleingänge gewuchtet werden, füllen sich die Gefängnisse mit renitenten Wirten, während sich die Beizen in Brutstätten des Killervirus verwandeln. Da ist’s dann nicht weit bis zum Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung.

Befeuert wird das nur von ein paar Querschlägern:

WeWo-Hubi will auch mitspielen im Gruselkabinett des Lachhaften.

Da kann man nur in leichter Abwandlung von Asterix sagen: Die spinnen, die Walliser. Und die Medien.

Hust, röchel, würg

Rauchen schadet der Gesundheit. Saufen auch. Rauchen ist nicht verboten. Saufen auch nicht.

Alkoholkonsum verursacht gesellschaftliche Kosten von ca. 4,2 Milliarden Franken pro Jahr. Rund 1600 Todesfälle sind darauf zurückzuführen, mit Bier (900 Mio.), Wein (550 Mio.) und Spirituosen (250 Mio.) wird ein jährlicher Umsatz von 1,7 Milliarden Franken erzielt.

Die tabakverarbeitende Industrie erzielt in der Schweiz einen Umsatz von 27,3 Milliarden Franken. Pro Jahr werden dem Tabakkonsum rund 9500 Tote zugeschrieben. Die gesellschaftlichen Kosten (Medizin 3 Mia., plus Ausfälle durch Krankheit etc.) sollen sich pro Jahr auf über 5 Milliarden Franken belaufen.

Sowohl Alkoholkonsum wie auch das Rauchen sind erlaubt, wenn auch mit Restriktionen versehen. Die direkten Auswirkungen des Alkohols auf das Verhalten oder die Verkehrssicherheit sind ungleich gravierender als beim Tabak.

In regelmässigen Abständen wird auf das Rauchen eingeprügelt. So gerade wieder mal von Tamedia:

«Lobbying und Preisfreiheit statt Prävention und Regulierung: Ein Ländervergleich sieht die Schweiz als Zufluchtsort und Marketinglabor für die internationalen Tabakkonzerne.»

Schlimmer als in der Schweiz gehe es eigentlich nur in der Dominikanischen Republik zu, weiss Autor Gregor Poletti. Insgesamt 80 Länder seien untersucht worden, die Schweiz landet «auf dem unrühmlichen zweitletzten Rang, wie der demnächst offiziell publizierte Bericht zeigt».

Ein Artikel, der auf Datenschrott basiert

Abgesehen davon, dass der Bericht schon längst publiziert ist; um welche Untersuchung von wem handelt es sich, wie wurde diese Rangliste erstellt? «Daten herunterladen», verspricht unter der Tabelle ein Link. Er führt zu einer Excel-Tabelle:

Datenquelle als Witz bei Tamedia.

Wer hat diese Rangliste erstellt? Sie beruhe auf dem «Tobacco Industry Interference Index». Das hört sich irgendwie wissenschaftlich an, ist aber der nächste Witz:

Wissenschaftliche Untersuchung aus dem fernen Thailand.

Wer bastelt den nun?
«Dieser Global Tobacco Index, der ursprünglich von der Southeast Asia Tobacco Control Alliance (SEATCA) initiiert wurde, wird vom Global Center for Good Governance in Tobacco Control (GGTC) als Teil des globalen Watchdogs der Tabakindustrie STOP (Stopping Tobacco Organizations and Products) erstellt. GGTC mit Sitz an der School of Global Studies der Thammasat University ist eine gemeinsame Initiative mit SEATCA.»

Nichts gegen thailändische Universitäten, aber echt jetzt? Wie werden denn die Daten erhoben?

«Dieser Bericht basiert auf öffentlich zugänglichen Informationen über die Einmischung der Tabakindustrie in den Ländern und der Reaktion der jeweiligen Regierungen auf diese Einmischungen. Die Länder werden nach der Gesamtpunktzahl eingestuft, die von «Gruppen der Zivilgesellschaft» bereitgestellt werden.»

Sorry, Herr Journalist, bevor Sie dermassen in die Trompete blasen, hätten Sie sich vielleicht einmal über Ihre Quellen etwas genauer informieren können. Oder das dem Leser wenigstens mitgeben.

Der Link ins Nichts des «Entwicklers» der Datenquelle.

Der Autor will einfach sein Nebelsüppchen kochen

Schöner ist’s natürlich, über das unselige Wirken der «Tabaklobby» herzuziehen, wie die weiterhin die Kinder verführe und wie es noch striktere Werbeverbote für Glimmstengel brauche: «die Werbevorschriften bleiben zu lasch».

Wie kann man das ändern? «Damit erhält die Volksinitiative «Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung» gewaltigen Auftrieb. Sie will jede Art von Werbung für Tabakprodukte, die Kinder und Jugendliche erreicht, verbieten. Obwohl dies in der Umsetzung nicht ganz einfach werden dürfte, ist dies ein gangbarer Weg.»

Denn: es gebe «praktisch keine Einschränkungen, wie die Tabakindustrie ihre Produkte in der Schweiz vermarkten» könne. Bloss: Neu gelte «zwar ein Werbeverbot auf Plakaten, in Kinos, in öffentlichen Verkehrsmitteln und Gebäuden sowie auf Sportplätzen. Werbung in der Presse und im Internet ist aber auch künftig nicht grundsätzlich verboten, ausser in Radio und TV.»

Wie man aus einem dermassen von Verboten umrankten Marketing «praktisch keine Einschränkungen» machen kann? Zu viel geraucht? Oder schon ein Halbeli intus?

Der Schaden, der gar keiner ist

Aber es wird noch schlimmer. Natürlich erwähnt auch Poletti die 5,6 Milliarden Franken «Schaden», die Tabakkonsum in der Schweiz anrichte. Unbeschadet davon, dass diese Zahl falsch ist. Die NZZ versucht immer mal wieder, diesen Unsinn richtigzustellen.

Etwas ermüdet durch die Aufklärungsarbeit fetzte die alte Tante 2019 in erstaunlich harschem Stil:

«Lasst die Raucher in Ruhe! Wer gesund lebt, verursacht höhere Kosten. Raucher müssen sich zurzeit wieder vorrechnen lassen, welch hohe volkswirtschaftliche Kosten sie verursachen. Richtig ist das Gegenteil: Die Raucher sind Nettozahler. Sie subventionieren die Nichtraucher. Teurer sind laut einer Studie die Gesunden.»

Hoppla, schon wieder so eine merkwürdige Studie, wahrscheinlich auch aus Thailand? Nicht ganz: «Die Arbeit datiert von 1998. Ökonomen der Universität Neuenburg haben im Auftrag des Bundes die sozialen Kosten des Tabakkonsums berechnet. Fazit: Raucher sind volkswirtschaftlich betrachtet Nettozahler. Sie kommen nicht nur voll für die Schäden auf, die sie anrichten, sondern leisten sogar einen Beitrag darüber hinaus. Die rauchende Minderheit subventioniert den Rest.»

Dazu nur zwei Zahlen: Da Raucher bekanntlich früher und schneller sterben als Nichtraucher, entlasten sie die AHV um mindestens 1,3 Milliarden Franken. Zudem drücken sie 2,1 Milliarden Tabaksteuer ab. Zählt man weitere entlastende Faktoren zusammen, kommt man zum Resultat «Nettozahler».

Das mag nun Schimpfkanonen wie Poletti nicht schmecken, das ändert aber nichts an den Zahlen. Vielleicht sollte man den Nebel, den er anrichtet, etwas lichten.

Was für ein journalistisches Niedrigniveau

Poletti arbeitet aufgrund von mehr als zweifelhaften Zahlen einer mehr als zweifelhaften Organisation. Er redet einer Initiative das Wort, die praktisch nicht umsetzbar ist. Er will faktisch jegliche Werbung für ein völlig legales Produkt verbieten.

Raucher, zu denen der Autor auch viele Jahre gehörte, müssen sich schon lange auf ihrem legal und für teures Geld erworbenen Produkt übel beschimpfen lassen und Horrorbilder anschauen. Das ist beim Alkoholkonsum nicht der Fall.

Warum eigentlich? Nun, es gibt doch ziemlich viele Weinbauern in der Schweiz mit entsprechender Lobby. Während die furchtbar einflussreiche Tabaklobby all diese Einschränkungen nicht verhindern kann, obwohl sie einen ungleich höheren Umsatz erzielt. Aber beide Produzenten bieten ein legales Produkt an, wie Milchproduzenten oder die Hersteller von Bratfett.

Auch bei diesen Produkten, wie bei allen legalen Stoffen, ist es dem Konsumenten überlassen, ob er sich damit dem Risiko gesundheitlicher Schäden aussetzen will oder nicht.

Ihn darauf aufmerksam zu machen, ist erlaubt. Unfug zu verbreiten, sollte hingegen verboten werden.

Was für eine Frau

Sie Sexist, Sie. Sie haben den Titel sicher ohne Protestgeschrei gelesen.

Wie sagte ein Bekannter so richtig: Immer wenn man denkt, es geht nicht mehr dümmer … Genau, dann kommt eine ernsthafte Debatte über Absurdes.

Leider unterschätzt man meistens den Wahnsinn am Anfang. Als die SoZ titelte «Die Wörter Mann und Frau werden ausgemustert», kicherte man noch leise und schüttelte den Kopf. Obwohl die Dummheit bereits in Deutschland angekommen ist: «Die SPD forderte in Sachsen kürzlich zum Beispiel am Weltmenstruationstag im Mai Gratis-Produkte für «menstruierende Männer und menstruierende nicht-binäre Personen in öffentlichen Männertoiletten». Der staatliche Sender MDR schrieb zum selben Anlass auf seiner Website ganz selbstverständlich von «menstruierenden Menschen»».

Gut, der Deutsche, dachte man, aber hierzulande doch nicht. Da unterschätzte man aber «die Empfehlungen der «Nationalen Ethikkommission im Bereich Humanmedizin»» (NEK). Die hat sich Volontärin Anielle Peterhans angeschaut, und kein Qualitätskontrolleur im Hause Tamedia hat sich getraut, ihren Artikel zur Überarbeitung zurückzuweisen.

Längst in der Schweiz angekommen

Sie behauptet, das «Thema Geschlecht und inklusive Frage» sei bislang so behandelt worden, dass «die Annahme» mitgeschwungen sei, dass «die Debatte primär im englischsprachigen Raum geführt» werde, so auch in einem Artikel in der SoZ. Falsch, setzen, donnert Peterhans ihrer Kollegin vor den Latz, «das Thema ist längst in der Schweiz angekommen».

Tut er zwar nicht, macht aber nix.

Dann linst sie aber selbst, Frau und Konsequenz, über den Teich: «In vielen US-Bundesstaaten kann man bereits im Führerschein neben «männlich» und «weiblich» auch «X» als Geschlecht eintragen lassen.» Da will natürlich auch die NEK nicht hintenanstehen. Wer einmal zuschauen will, wie Steuergelder sinnlos zum Fenster rausgeschmissen werden, sollte sich deren «Ethische Erwägung zum Umgang mit dem Geschlechtseintrag im Personenstandsregister» zu Gemüte führen.

Wer die Lektüre im Kopf nicht aushält, ab S. 33 gibt es eine Zusammenfassung, die zwar auch noch unglaublich schwafelig ist. Wir lehnen jede Verantwortung für Veränderungen des Blutdrucks des Lesers ab und servieren ein Müsterchen:

«Die heute bestehende Pflicht, kurz nach Geburt einen registerrechtlichen Eintrag des Geschlechts als entweder «weiblich» oder «männlich» vorzunehmen, ist Ausdruck dieser binären Geschlechterordnung, die es – wie die NEK-CNE in Erinnerung ruft –, zwar als sozial konstruiert zu verstehen gilt, die aber auch in ihrer traditionellen lebensweltlichen Verwurzelung und für viele Teile der Gesellschaft grundlegenden Rolle ernst zu nehmen ist.»

Ach, wer meint mit einem «verstehe kein Wort» sich aus der Affäre zu ziehen: so geht das auch nicht. Das muss man ernst nehmen. Oder zur Strafe das Literaturverzeichnis von S. 36 bis 42 durchackern. Für Fragen darf man sich gerne an die Präsidentin der NEK wenden, oder an die 14 Mitglieder, allesamt Prof. Dr. oder mindestens Dr. Allenfalls helfen auch die vier Akademiker auf der «Geschäftsstelle» weiter.

Giftgrün und völlig unbekömmlich.

Gut, das eignet sich nun entweder für fassungsloses Schweigen – oder für eine Glosse. Aber doch nicht für Peterhans. Sie referiert diesen schreienden Unsinn mit ernstem Gesicht und gibt auch noch gleich ein Beispiel, wieso eine solche Nonsens-Debatte dringend nötig sei:

«Gemäss dem Bericht der Ethikkommission sind die Begriffe Mutter und Vater im Abstammungsrecht klar geschlechtlich konnotiert. Allerdings gelte auch, dass Mutter diejenige Person ist, die das Kind geboren hat. Eine Geschlechtsbezeichnung der Person im Gesetzestext sei deshalb nicht zwingend.»

Verstehen Sie auch nicht? Also ZACKBUM hat schon, nun ja, IQ-mässig etwas herausgeforderte Leser, um das mal ganz korrekt auszudrücken. Allerdings sollten die nicht den gleichen Fehler wie ZACKBUM machen und solches Geschwafel nicht ernst nehmen. Denn der Schluss von Peterhans enthält eine Drohung: «Noch ist das Schweizer Recht aber auf der binären Unterscheidung der Geschlechter aufgebaut.»

Noch.

Let it flow

Lasst es fliessen, Körper mit Vagina! ZACKBUM entdeckt seine feministische Seite.

Wir widmen den heutigen Tag Frauenthemen. Das ist überfällig, das muss sein. Ausserdem passiert ja auch nichts Wichtiges auf der Welt oder in den Medien. Oder wollen Sie wirklich im Ernst die Antwort von Alain Berset auf die Frage lesen: «Tausende protestieren – macht Ihnen das Angst, Herr Bundesrat?»

Wenn doch: Er beantwortet sie nicht.

What a man, sagen wir als Mann mit Pimmel.

Aber wir schweifen ab, was sonst eher eine weibliche Eigenschaft ist, nicht die eines Menschen mit Pimmel (doch, so wollen wir als Solidarität zu «Menschen mit Vagina» von nun an heissen). Das, was für ein eleganter Übergang, ist auch das erste, nun ja, weibliche Thema des Tages.

Es geht nämlich, wir zitieren furchtlos, um das hier:

«Natürlichkeit bei der Monatshygiene: Lasst es fliessen, Ladys».

Denise Jeitziner schreibt unerschrocken über ein sogenanntes Tabuthema. Denn, bis das Klimakterium, Pardon, die Menopause eingreift, menstruieren Frauen bekanntlich. Früher mal schlossen sie sich zu Menstruationszirkeln zusammen, gemeinsam monden nannten sie das.

Aber das war eine andere Generation von Ladys. Da ging es noch um gesellschaftliche Forderungen, nicht um die Betrachtung des eigenen Bauchnabels, das Abtasten eigener Befindlichkeiten oder eben um den Unterleib.

Wir wollen ja nicht rechthaberisch sein, aber …

Ohne hier männlich rechthaberisch erscheinen zu wollen: Ladys? Weiss die Autorin denn nicht, dass dieser Ausdruck ursprünglich so etwas Neckisches wie «Brotkneterin» bedeutete, dann adeligen, vornehmen Frauen vorbehalten war, schliesslich für alle Stände galt, wobei «Lady» doch ziemlich altmodisch ist?

The Lady of Shalott (John William Waterhouse 1888).

Aber gut, das muss man als Redaktorin doch nicht wissen, und es wird halt immer schwieriger, einen akzeptierten Ausdruck für diese Wesen mit Vagina zu finden. Wie auch immer, was ist das Problem?

«Zwischen dem allerersten Tröpflein Periodenblut im Teenageralter bis hin zur Menopause gibt es für die meisten Frauen nur eine Mission: dafür zu sorgen, dass auf keinen Fall etwas davon in der Unterhose landet oder – der Gipfel der Peinlichkeit – sichtbare Flecken hinterlässt.»

Da kann man als Mensch mit Pimmel nur staunen und lernen, DAS ist also die Mission der Frauen. Inzwischen können sie aber dieser Bestimmung mit neuen Methoden nachgehen: «Junge Frauen propagieren das Free Bleeding – also den Verzicht auf Tampons, Binden oder Menstruationstassen während der Periode.»

«Free Bleeding», auch auf diesen Begriff muss man mal kommen. Als – wir wagen das Wort – Mann ist man ja tatsächlich konsterniert, welche Hilfsmittel da zum Einsatz kommen:

Das Panoptikum der Hilfsmittel.

Wir schwanken auch, ehrlich gesagt, ob wir die Gratis-Abgabe von Tampons befürworten sollen oder als Verschwendung von Steuermitteln ablehnen. Oder uns dagegen wehren wollen, solange nicht gratis Rasierapparate verteilt werden. Aber, durch diese neue Frauenbewegung erweist sich diese Debatte als – hoppla – frauenfeindlich. Denn sie will den Weibern, Pardon, Ladys, ja dieses Hilfsmittel aufzwingen.

Das Wesen eines Tampons

In Wirklichkeit ist so ein Tampon, sprechen wir es doch aus, ein männliches Unterdrückungssymbol. Ein Penisersatz. Es unterdrückt den freien Fluss. Sperrt Frauen in das Gefängnis der abgefangenen Menstruation, will ihre Weiblichkeit unsichtbar machen, schliesst aus, statt dass es inkludiert. Sollen sich die Männer doch auch mal einen Tampon reinschieben. Gut, mangels Vagina halt woanders.

Aber, diese Frage stellt sich nun sowohl die Lady wie der Gentleman, wie soll denn das gehen mit dem freien Bluten? Also doch einfach in die Unterhose? Das kann’s ja auch nicht sein. Ist’s auch nicht, denn – es gibt Kurse, die leider Männer diskriminieren und ausschliessen.

Auch Frauen sind geschäftstüchtig, es gibt schon kostengünstige Angebote, hat Jeitziner recherchiert: «Für 49 Euro gibt es verschiedene Module mit Übungen, zwei Stunden Videomaterial, Bonuslinks, ein Zertifikat und Antworten auf Fragen wie: «Wie spüre ich, wann das Periodenblut kommt?»»

Auch uns Männer hält es kaum mehr auf dem Stuhl, wie geht das nur? Natürlich, es gibt einen «Trick»: die Lady kann doch schliesslich die Zeichen ihres Körpers deuten, «um dann im richtigen Moment auf die Toilette zu gehen und das Blut kontrolliert abzulassen. Zu Beginn der Periode alle 20 bis 30 Minuten, ab dem zweiten Tag müsse man nur noch alle zwei bis drei Stunden deswegen aufs Klo.»

Ehrlich gesagt: So genau wollen wir Gentlemen das eigentlich gar nicht wissen. Fügen aber unerschrocken hinzu: Frauen, die ständig aufs Klo müssen, nerven ungemein. Vor allem beim Autofahren.

Gut, es ist heraus. Aber wenigstens werden wir nun weniger mit gebrauchten Tampons beworfen.

Noch so eine Tamedia-Niete

Oliver Zihlmann ist «Co-Leiter Recherchedesk». Nur ist das nicht so sein Ding.

Normalerweise kümmert sich Zihlmann um das Ausschlachten gestohlener Geschäftsunterlagen. Aus dieser Hehlerware entstehen dann Leaks und Papers und Gedöns. Zum Riesenskandal hochgejazzte Tropfen und Tröpfchen, die dann schneller als Eis an der Sonne verdunsten.

Oder erinnert sich noch jemand an die Paradise-, Panama- oder Pandora-Papers? Eben. Nun haben die sogenannten «Facebook Files» seine Aufmerksamkeit erregt. Das hört sich für Zihlmann so etwas nach seiner eigenen Lieblingsbeschäftigung an, also hat er etwas drin rumgeschnüffelt.

Das Thema ist nicht mehr wirklich taufrisch, aber natürlich hat die Welt mit angehaltenem Atem auf einen Kommentar des Co-Leiters gewartet. Bevor sie dabei rot und blau anläuft, hat er geliefert:

«Die Lektüre der Facebook Files hinterlässt ein Gefühl der Bedrohung.»

Obacht, Zihlmann fühlt sich bedroht. Das kann ja nicht gut enden: Die Papiere zeigten, «dass das soziale Netzwerk für zahllose Menschen eine Gefahr ist». Also für uns nicht, aber wir sind ja auch nicht zahllos. Andere werden aber sozusagen zahnlos: «Hass, Gewalt, Desinformation, gefährliche Seiten, die junge Menschen in Essstörungen treiben

Für Zihlmann kein Sympathieträger: Mark Zuckerberg.

Das sei aber nur die Spitze des Zuckerbergs. Viel gefährlicher sei noch, dass sich viele lediglich über Facebook informierten: «Für sie sind Hass und Desinformation eine echte Gefahr.» Allerdings, leichte Entwarnung: «Viele westliche Nutzer informieren sich derzeit noch in privaten und öffentlich-rechtlichen Medien und können so Gerüchte aus Social Media überprüfen.»

Eigenlob stinkt nicht: Selbstdarstellung des Recherchedesks.

Nun ja, wer sich beispielsweise mit der Einheitssosse von Tamedia zuschütten lässt, wo regierungshörige Berichterstattung vorherrscht, dazu Elendsjournalismus mit Papier- und Brainmangel, wo wilde Corona-Kreischen, Genderwahnsinnige im Nabelschaumodus, Antidemokraten und Fakefakt-Checker am Gerät sind, kann auch nicht als ungefährdet bezeichnet werden.

Knallharte Diagnose, knallharte Therapie

Nun outet sich auch noch der Recherche-King als Kaiser ohne Kleider. Denn nach der Diagnose kommt unweigerlich der Therapievorschlag: angesichts dieser Gefahr müsse «die Politik hier mit aller Härte eingreifen». Was, gegen Tamedia? Aber nein, so weit will Zihlmann nicht gehen.

«Warum zum Beispiel die Betreiber der sozialen Medien nicht haftbar machen für das, was sie verbreiten, wie bei jedem traditionellen Medium? Dann würden der Hass und die Falschinformationen wohl zum ersten Mal wirklich von den Seiten verschwinden.»

Das ist nun eine dermassen dämliche Frage, dass sich Zihlmann mit ihr die Pole-Position im Inkompetenz-Team von Tamedia erobert. Schliesslich gehört er auch zu den vielen Lesern von ZACKBUM, und nicht nur deswegen sollte er wissen, wieso die sozialen Medien eben nicht haftbar für ihre Inhalte sind. Wenn nicht, hätte er es am 19. Oktober nachlesen können, dort haben wir es auch für Begriffsstutzige in aller Ausführlichkeit erklärt.

Zum Beispiel, dass aus «T» «Tamedia» und daraus «Tx» wurde?

Heute möchten wir aber noch ein paar weitere intelligente Fragen in den Raum stellen. Warum zum Beispiel nicht den Hunger auf der Welt besiegen? Alle kriegerischen Handlungen einstellen? Warum nicht Rassismus, Diskriminierung und Hetze einfach verbieten? Dann würde auch eine gute Portion Hass und Falschinformationen verschwinden.

Gut, das liesse sich auch durch die Einstellung des Tamedia-Elendsjournalismus befördern, aber dann wäre Zihlmann arbeitslos, und das wollen wir auch nicht. Aber wir empfehlen ihm, das nächste Mal – wenn schon, denn schon – eine alte Forderung der Zürcher Jugendbewegung aufzunehmen, die auch noch nicht erfüllt ist: «Freie Sicht aufs Mittelmeer. Nieder mit den Alpen!»

Oder vielleicht:

Freie Sicht auf die Realität. Nieder mit den Denkbarrieren des Recherchedesks.

Das ist der Fakt

Unumstössliche Tatsache ist die Definition. Nur: was ist das?

Seit Mönch Ockham (um 1288 bis 1347) im finsteren Mittelalter die Hammererkenntnis hatte, dass das Bezeichnete und das Bezeichnende nicht das Gleiche ist, hat sich unser Verhältnis zur Realität etwas verkompliziert.

Nicht nur wurde damit die absolute Lufthoheit der Bibel erledigt (weswegen Ockham dann, wie man heute sagen würde, sehr low profile weiterschrieb, was seiner Gesundheit durchaus zuträglich war), sondern banale «ist doch so»-Feststellungen waren nicht mehr möglich.

Wilhelm von Ockham, wie er vielleicht aussah.

Umberto Eco baute darauf einen Weltbestseller: Der Name der Rose bleibt Rose immerdar, die Blüte selbst verwelkt. Im Zeitalter der neuen Unübersichtlichkeit, von Fake News und alternativen Wahrheiten und Rechthabern, die ständig falsch oder richtig mit böse oder gut verwechseln, ist eine neue Gattung entstanden.

Vom Dokumentalisten zum Faktenchecker

Trara, der «Faktenchecker». Früher hiess der Dokumentalist, und jedes Qualitätsorgan beschäftigte ihn. Seine Aufgabe war es, den schreibenden Journalisten zum Wahnsinn zu treiben. Ist Bern wirklich die Bundesstadt der Schweiz? Heisst die Firma, der Mensch tatsächlich so, und bitte Belege dafür? Bezieht sich die Angabe auf das amtliche Endergebnis der Wahlen, und wo findet sich das? Wenn das eine AG ist, steht das auch so im Handelsregister? Gibt es eine Landesgrenze zwischen Bolivien und Argentinien?

Mit solchen Fragen nervte der Dokumentalist ungemein, trug aber ebenfalls ungemein zur Qualität von Publiziertem bei. Fehlerfreie Rechtschreibung, faktische Korrektheit, das bot eine akzeptable Basis für glaubhafte Beurteilungen, Einordnungen, Analysen.

Längst vorbei, nur noch ganz wenige deutschsprachige Erzeugnisse leisten sich diesen Luxus. Und wie der «Spiegel» mit der grössten deutschen Dokumentarabteilung schmerzlich erfahren musste, schützt das dennoch nicht vor einem Fälscher wie Relotius, wenn der nur gewünschte Narrative bedient.

«Der Spiegel»: Sagen vielleicht, schreiben nicht.

Aber neu gibt es dafür den sogenannten Faktenchecker. Seine Tätigkeit hat es bereits in Wikipedia geschafft. Das Online-Lexikon ist selbst ein Beispiel für eine moderne Art von Faktencheck. Schwarmintelligenz heisst das Vorgehen. Schreibt einer was Falsches rein, wird das von anderen korrigiert. Ergibt sich daraus ein Battle, greifen Administratoren mit weitergehenden Befugnissen ein. Funktioniert im Allgemeinen ziemlich gut.

Angelsächsische Medien leisten sich weiterhin vielköpfige Dokumentar-Abteilungen und haben aus der «Korrektur» ein eigentliches Ressort gemacht, wo meist schonungslos eigene Fehler richtiggestellt werden.

In der Schweiz herrscht trüber Nebel beim Faktenchecken

Trüber sieht es in der deutschsprachigen Publizistik aus. Wie der vorangehende Artikel exemplifiziert, disqualifiziert sich in der Schweiz der Oberfaktenchecker des grössten Medienkonzerns selber. Denn er will nicht Fakten checken, sondern Rechthaberei im Gesinnungsjournalismus betreiben. Tödliche Mischung.

Die öffentlich-rechtlichen Medien, wie das in Deutschland heisst, verfügen über genügend Finanzen, um sich wie die «Tagesschau» eine Abteilung «Faktenfinder» zu halten. Auch einige Talkshows sind dazu übergegangen, Behauptungen ihrer Gäste im Nachhinein zu überprüfen, weil das in der Hitze des Wortgefechts oft nicht möglich ist. Darum bemüht sich auch die SRG, Tamedia beschäftigt auch ein paar Hanseln zu diesem Thema.

Dann gibt es unabhängige Plattformen wie bspw. «correctiv.de». Faktencheck ist allerdings keine Wissenschaft, Methodik, Validität, saubere Trennung von Fakt, Interpretation, Färbung, Auswahl, verbale Gewichtung usw. lässt sich niemals objektivieren.

Selbst die Aussage von unbestreitbaren statistischen Tatsachen wie «über 70 Prozent aller Betroffenen vom Strafvollzug sind in der Schweiz Ausländer, während es in Europa nur 16 Prozent sind» lässt Interpretationsspielraum, Platz für verschiedenartige Begründungen und Schlussfolgerungen.

Der Bereich des fraglos Faktischen ist nicht sehr gross

Aber Zahlenangaben im Speziellen oder die korrekte Wiedergabe von Aussagen lassen sich tatsächlich objektiv überprüfen. Behauptet jemand, in der Schweiz würde 60 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsschwelle leben, liesse sich das kinderleicht widerlegen.

Schwieriger wird es schon bei der Behauptung, die Reichen würden in der Schweiz zu wenig Steuern zahlen. Hier beginnt das Problem mit Definitionsfragen, was ist «reich», was heisst «zu wenig». Hört damit aber nicht auf, da bspw. die einkommensstärksten 5 Prozent in der Schweiz ein Viertel aller steuerbaren Einkommen bei der Bundessteuer deklarieren und für über zwei Drittel des Steueraufkommens zuständig sind.

Immer ein ungeliebter Hinweis bei der ewigen Umverteilungsdebatte oder dem Ansatz, dass die da oben doch denen dort unten viel mehr unter die Arme greifen müssten.

Faktencheck, das hört sich nur oberflächlich nach Ordnung, Aufklärung, Korrektur an.

Nach sachlicher Richtigstellung, Hinweis auf unbestreitbare Tatsachen. Eben als Korrektiv zu Fake News, alternative Wahrheiten oder reiner Demagogie. Denn so wenig wie es eine reine Wissenschaft gibt (ohne gesellschaftliche Implikationen), so wenig gibt es objektives und unbestreitbares Faktenchecken.

Oberhalb von einfachen Zahlenangaben, historischen Daten oder korrekte Verwendung von Funktionen von Menschen. Plus, aber dieses Thema wollen wir bei ZACKBUM weiträumig umfahren, das korrekte Schreiben von Namen.

Politische Modeerscheinungen sind häufig faktenfrei

Faktenchecken könnte helfen, Debatten zu versachlichen. Allerdings nur ausserhalb der Blasenbildung in sozialen Medien. Da ist Hopfen und Malz verloren. Aber in sogenannten Qualitätsmedien nicht. Umso bedauerlicher, wenn auch hier das Image des Faktenchecks mutwillig beschädigt wird.

Dass Schweizer Anhänger der US-Bewegung «Black live matter» völlig verpeilt sind, sich an geliehenem Leiden Bedeutung und Gewicht verschaffen wollen, ist ein Fakt. Ihr Kampf gegen rassistisch motivierte Polizeigewalt gegen Schwarze zerschellt leider am Faktencheck, dass bei Tötungsdelikten im Allgemeinen gegen Schwarze über 90 Prozent der Täter – Schwarze sind. Und dass von den 56 Unbewaffneten, die von US-Polizisten 2018 erschossen wurden, «nur» 9 schwarzer Hautfarbe waren, dafür aber 17 Weisse und der Rest anderen Ethnien angehörte. Aber darum geht’s natürlich nicht.

Bei Newsorganen ist das ein Problem der mangelhaften Qualitätskontrolle und der Angst vor Sanktionen. Sonst hätte Tamedia sich schon längst von seinem Oberfaktenchecker, seinem Leiter des Interaktiv-Teams und seinem Politchef getrennt. Denn alle drei, wenn Fakten etwas zählen würden, sind untragbar, haben sich disqualifiziert, dem Image des Journalismus im Allgemeinen und von Tamedia im Speziellen schweren Schaden zugefügt.

Das ist der Fakt, und der ist belegbar, unbestreitbar, denn sie haben sich selbst disqualifiziert. Aber eben, in der besten aller Welten hätten Faktenfakes, Corona-Kreischereien oder antidemokratische Aussagen Konsequenzen.

Fragen, nur fragen

Eine der übelsten Verirrungen im Journalismus ist der Frage-Titel.

Jürg Ramspeck, man erinnert sich vielleicht, beendete seine grosse Karriere als Kolumnist beim «Blick». Was er dort schrieb, war nicht wirklich der Rede wert. Aber: in all seinen vielen Kolumnen gab es niemals einen Frage-Titel.

Das ist ein rhetorischer Kniff, fast immer gefolgt von inhaltlicher Leere. Nehmen wir zwei Beispiele aus unserer Lieblingsskriptüre. «Antikörpertests sind plötzlich salonfähig – aber warum?» Tja, lieber Tagi, gute Frage. Weil’s den Salons so passt?

Zunächst einmal gilt: «Fachleute haben hingegen ein gespaltenes Verhältnis zu diesen serologischen Tests.» So ist der Fachmann, auch die Fachfrau, immer gespalten in seinen (ihren) Verhältnissen. Der Artikel beantwortet dann so ziemlich jede Frage, die man zu Antikörpertests niemals stellen wollte. Ausser einer: «aber warum?»

Vielleicht sollte Tamedia sich ein Beispiel im eigenen Haus nehmen, denn «20 Minuten» ist da ganz entschieden: «Antikörpertests sollen weitere Lockerungen ermöglichen».

Damit ist Tamedia aber noch nicht ausgeschossen: «Ist grünes Anlegen sinnvoll – oder nur lukrativ für die Bank?» Gute Frage, aber hier kommt schon die nächste, wirklich gewichtige:

«Ist die Pandemie im Frühling zu Ende?»

Neben der Frage, ob es kommendes Wochenende regnet oder die Sonne scheint, handelt es sich hier um ein Thema von brennendem Interesse. Aber auch hier wird die Frage – blöd aber auch – nicht wirklich beantwortet.

Denn schon im ersten Absatz schrumpft die hoffnungsvolle Oberzeile «Rückkehr zur Normalität» auf Normal-Null: «Es ist ein Hoffnungsfunke. Nicht der erste im Verlaufe der schier endlosen Corona-Krise. Lukas Engelberger, der Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektoren-Konferenz, sagt jetzt: «Ich bin optimistisch, dass wir ab dem nächsten Frühling die Corona-Krise hinter uns lassen können.»»

Aber die Unsitte des Fragetitels kommt in den besten Gazetten vor: «Begibt sich die Schweiz in eine gefährliche Abhängigkeit von ausländischen Cloud-Anbietern?», stellt die NZZ bang in den Raum. Die klassisch liberale Antwort: jein, vielleicht. Also schon. Aber doch nicht so richtig.

Geht da noch einer? Sicher: «Axel Springer – Angriff der «New York Times» auf einen Konkurrenten?» Ja was denn sonst, dumme Frage, muss man das Intelligenzblatt zurechtweisen.

Ganz raffiniert geht hingegen CH Media vor; die verpacken eine Frage in ein Zitat unseres Gesundheitsministers: «Die Frage einer Aufhebung des Zertifikats stellt sich». Wunderbar, denn eine Frage stellen, das bedeutet natürlich nicht, sie zu beantworten. Einfacher sollte aber diese Frage sein: «Waren «einige tausend» oder «über 50’000» in Bern

Mit unseren heutigen modernen Methoden könnte es eigentlich möglich sein, die Anzahl Demonstranten am Samstag in Bern auf die Nase genau zu zählen. Aber leider:  «Klar ist auch: Am Ende ist die Frage nicht nur eine politische, sondern auch eine technische – grosse Menschenmengen präzise zu schätzen, ist schwer.» Och, die im Titel gestellt Frage ist zu schwer. Gut, wer nur beschränkt schreiben kann, kann natürlich noch weniger zählen, logo.

Die «Republik», das ist sie sich schuldig, wirft die Frage in den leeren Raum: «Ist das Schlimmste bald vorbei?» Wohl nicht, denn zurzeit sieht es so aus, als ob die «Republik» dieses Jahresende sogar ohne Bettelaktion und die Drohung, sich zu entleiben, überstehen wird.

Aber die Frage: «Fast 250 Millionen bestätigte Ansteckungen, fast 5 Millionen Todes­fälle im Zusammen­hang mit dem Virus: So lautet die nüchterne weltweite Bilanz zur Corona-Pandemie, die uns seit bald zwei Jahren in ihrem Bann hält. Es fällt nicht leicht, diese Zahlen einzuordnen. Ist das viel, ist das wenig?»

Ja, rund 20’000 Buchstaben später weiss man: kann man so oder so oder auch anders sehen. Aber immerhin, das Artikelende der «Republik» ist originell:

«Zum Schluss diesmal ein ausdrücklicher Hinweis: Haben wir in unserem globalen Überblick ein wichtiges Land vergessen? Oder eine wichtige Begebenheit in einem Land übersehen? Teilen Sie es uns im Dialog­forum mit.»

Wir senken das Niveau nur unwesentlich und schliessen mit ein paar Fragen aus dem «Blick»: «Überzeugt dieser Totimpfstoff auch die Skeptiker?» Aber leider, schluchz, wird auch diese Frage nicht beantwortet. Im Sport sollte sich «Blick» doch auskennen: «Drohen dem FCZ jetzt sogar Punktabzüge?» Aber ach, obwohl die versammelte «Fussball-Redaktion» am Gerät ist, bekommt man statt einer Antwort nur eine weitere Frage eingeköpfelt: «Und warum nicht auch Punktabzüge?» Genau, warum nicht ist immer eine gute Formulierung.

Schliesslich, das ist natürlich unvermeidlich, fragt sich auch das Blatt mit dem Regenrohr im Titel: «Ist die Corona-Pandemie im Frühling vorbei?»

Oder wenn nicht, dann im Sommer? Im Herbst? Immer wieder? Nie? Fragen über Fragen und die Antworten kennt nur der Wind.

 

 

 

 

Die Hunger-Kreische

Andrea Bachstein trägt das Leid der Welt auf den Schultern – und ins Blatt.

Ein ungeheuerlicher Massenmord spielt sich ab auf der Welt. «Ein Mord an 811’000’000 Menschen», knallt Tamedia ihren Lesern vor den Latz. Was, Sie indolenter Unmensch, noch nie davon gehört?

Dabei ist es eine «einzige Anklage an die Menschheit», erhoben von der «Welthungerhilfe». Das treibt Andrea Bachstein die Wände hoch. Nicht länger mehr kann sie sich um eher putzige Themen kümmern:

Atempause vorbei, tief Luft geholt und …

Nein, die Autorin der «Süddeutschen Zeitung» ist ausser sich. Das müssen die Leser der SZ aushalten, und auch die Konsumenten der Qualitätsmedien von Tamedia bekommen diese Anklage aus München serviert.

811 Millionen Menschen hungern, 41 Millionen stehen am Rande einer Hungersnot, weiss Bachmann. Ursachen? Logisch, Kriege und Konflikte, aber auch Naturkatastrophen:

«Es geht da längst nicht mehr um Einzelereignisse. Die Naturkatastrophe heisst Klimawandel, mal zeigt er sich in einer Flut, mal in einer Dürre.»

Nun sind die Ursachen von Hunger seit Thomas Malthus (1766 bis 1834) umstritten. Der englische Ökonom stellte das Axiom auf, dass die Menschen in geometrischer Progression und die Lebensmittel in arithmetischer Progression zunehmen. Wodurch Überbevölkerung zwangsläufig zu gravierenden Hungersnöten führen müsse.

Schon einige Theorien über Hunger scheiterten 

Als er diese Erkenntnis 1820 publizierte, lebte rund eine Milliarde Menschen auf der Erde. Inzwischen sind es acht mal mehr. Was seine Theorie widerlegt. Es ist längst bekannt, dass die Nahrungsmittelproduktion problemlos 8, sogar 10 oder 12 Milliarden Menschen ernähren könnte. Also sind die Probleme nicht naturgemacht, sondern von Menschen verursacht.

Schaut man sich den «Welthungerindex» an, fällt sofort auf, dass fast alle Länder mit «ernstem bis gravierendem» Schweregrad von Hungerproblemen in Afrika liegen. Obwohl Afrika problemlos in der Lage wäre, sich selbst zu ernähren und noch die Hälfte der übrigen Weltbevölkerung dazu.

Elendsregimes, Potentaten, mangelhafte Infrastruktur, kaum funktionierende Transportwege, Systeme, die durch sinnlose Entwicklungshilfe in Multimilliardenhöhe funktionstüchtig gehalten werden, das sind die Ursachen dieses Verbrechens, dieses «Menschheitsskandals», wie ihn Bachmann nennt.

Sind wir alle daran schuld?

Wenn es ein Menschheitsskandal ist, dann ist die Menschheit insgesamt daran schuld. Natürlich vor allem wir vollgefressenen Teilhaber an den Überflussgesellschaften der Ersten Welt, suggeriert die Autorin.

Es ist richtig: In der Schweiz fallen jedes Jahr 2,8 Millionen Tonnen «Lebensmittelverluste» an. 330 kg pro Kopf und Jahr wandern nicht in die Mägen, sondern in die Mülltonne. Eine verdammte Schweinerei, unbestritten.

Aber: wie belastbar ist diese Zahl von 811 Millionen hungernden Menschen? Wenn es um solche Schreckensthemen geht, ist der Vorwurf immer nahe, dass jedes kritische Hinterfragen der Ausdruck von kaltherzigem Zynismus sei. Das Gegenteil ist richtig: wer mit solchen Zahlen hantiert und die nicht wirklich belegen kann, ist ein verdammter Zyniker.

Wer mit solchen Zahlen und Ursachen hantiert, ist inkompetent

Wer sie zum Anlass zu Aufschrei, Verurteilung und wilden Behauptungen über den Klimawandel als Ursache verwendet, ist zudem inkompetent. Wie Bachmann, die lieber bei der Gartenpflege bleiben sollte.

Der ihrer Anklage zugrunde liegende Welthungerindex wird von der deutschen «Welthungerhilfe» und der NGO «Concern Worldwide» erstellt. Ohne Zweifel honorige Intstitutionen, die nur das Beste wollen. Aber können sie es auch?

Nicht einfach zu durchschauen, die «Komponenten».

Die Berechnungsgrundlagen für Hunger zeigen ein multifaktorielles Bild. Komplex, kompliziert, schwer praktikabel. Noch schlimmer sieht es bei den verwendeten Indizes, Faktoren, Massstäben zur Beurteilung des Hungerniveaus aus. Da werden – natürlich im Kleingedruckten – so sinnvolle Quellen wie «Schätzungen der Autor*innen» verwendet.

Denn in vielen Elendslöchern der Welt, wo kaum staatliche Einrichtigungen existieren, sind Statistiken oder Erhebungen nicht mehr als kühne Schätzungen, Ferndiagnosen. Noch unzuverlässiger als die Durchführung von Wahlen in Berlin, also sehr unzuverlässig.

Ein Ausschnitt aus der Berechnungsmethode …

Das alles bedeutet natürlich nicht, dass gravierender Hunger in der Welt nicht existiert. Natürlich verursacht Hunger schwerste Beeinträchtigungen bei der Entwicklung von Kindern. Also ist die wodurch auch immer verursachte Mangel- oder Unterernährung, weil unnötig, ein Versagen. Ein Verbrechen. Also menschengemacht.

Entwicklungshilfe ist eine der Hungerursachen

Perverserweise ist eine der Ursachen falsch verstandene Hilfe. Exemplarisch ist das Beispiel Äthiopien. Ein Land, das immer wieder von Hungersnöten heimgesucht wird. Die immer wieder mit freigiebigen Lebensmittelspenden bekämpft werden. Die immer wieder die gleichen verheerenden Auswirkungen haben. Menschen leben und vermehren sich in Gegenden, die aus verschiedenen Gründen nicht dazu geeignet sind, autonom eine so grosse Anzahl von Menschen zu ernähren.

Noch schlimmer: Lebensmittelnothilfe zerstört regelmässig die landwirtschaftliche Infrastruktur. Denn lokale Bauern müssen für ihre Produkte Bezahlung einfordern, sonst verhungern sie selbst. Wenn aber Gratis-Lebensmittel bezogen werden können, wer ist dann so dumm, dafür zu bezahlen? Solche Teufelskreise – neben Staatsversagen – verursachen Hungernöte. Kein «Schachern um CO2-Kontingente», wie die Autorin einäugig fixiert auf ihr Lieblingsthema behauptet.

Wozu hat Tamedia noch eine Auslandredaktion?

Wer die Menschheit, also uns alle anklagt, beim Mord an 811 Millionen Menschen einfach zuzuschauen, sollte diesen Vorwurf schon untermauern und begründen können. Es werden nicht 811 Millionen durch Hunger ermordet, es sind geschätzt 811 Millionen, die an Hunger leiden. Nun bewirkt weder der Klimawandel zunehmende Hungersnöte, noch mildert Entwicklungshilfe sie. Im Gegenteil, dadurch werden Hungersnöte perpetuiert.

Angeblich verfügt Tamedia noch über eine Auslandredaktion. Statt solchen Unsinn ungefiltert von der SZ zu übernehmen, könnten sich die Sesselfurzer doch einmal um Faktencheck und andere sinnvolle Tätigkeiten kümmern. Dann würden die Leser vielleicht einsehen, dass es Sinn macht, dafür auch Hunderte von Franken im Jahr zu bezahlen.

Die SZ titelt viel vorsichtiger als Tamedia.

 

 

 

 

 

 

Reiner Hass

Deutsche und Österreicher: schwierig. Darunter leidet der Tamedia-Leser.

Es geht doch nichts über eine klare Meinung. Pardon, Kommentar heisst’s in der «Süddeutschen Zeitung», wenn’s die Qualitätsmedien von Tamedia übernehmen, wird’s zur «Analyse». Am Inhalt ändert sich dabei nichts (ausser natürlich, dass ß zu ss wird, wozu hat Tamedia auch noch eine Auslandredaktion).

Cathrin Kahlweit zieht hier vom Leder, dass es eine Unart hat. Der Verfolger alles Antisemitischen Maxim Biller hatte mal eine Kolumne, die «100 Zeilen Hass» hiess. Daran muss sich Kahlweit ein Beispiel genommen haben.

Der Kommentar aber auch …

Der Nachfolger von Kurz? «Schneller kann man sich in einer staatstragenden Rolle nicht disqualifizieren.» Die zukünftige Rolle von Kurz? Er wird «wie ein Sektenführer im Hinterzimmer die Devise für die Regierungspolitik» ausgeben «und seine Anhänger ausströmen, um sie devot zu verbreiten und auszuführen». Das System Kurz?

«Die «neue Bewegung» mit ihrem «neuen Stil» war auf Sand gebaut. Nun versinkt sie in demselben – weil sie, wie die meisten populistischen Bewegungen, um eine medial konstruierte Lichtgestalt herum gebaut war, die zum gefallenen Engel wurde.»

Kurz im internationalen Vergleich? «Man muss den 35-jährigen Berufspolitiker nicht überhöhen, indem man ihn mit politischen Zerstörern wie Donald Trump oder Jair Bolsonaro vergleicht. Der Populismus des irren US-Amerikaners hat zu einer tiefen Spaltung der Gesellschaft … Selbst der «kleine Diktator» (Copyright Jean-Claude Juncker)Viktor Orbán taugt letztlich nicht als Vergleich.»

Denn merke: «Die ÖVP-Geschichte ist viel armseliger.» Schlussakkord:

«Solange man sich durch schmierige Deals mit Boulevardblättern Meinung kaufen kann, wird Österreich eine käufliche Republik bleiben.»

Nun ist es wohlfeil, einem Zurückgetretenen noch nachzutreten. Als die gleiche Kahlweit den damaligen Aussenminister Sebastian Kurz 2017 für die SZ interviewte, pflegte sie noch einen anständigen Umgangston und war offensichtlich vom Jungstar durchaus angetan. Auch seinen Aufstieg zum Parteichef im gleichen Jahr begleitete Kahlweit mit freundlichen Kommentaren («Shootingstar»).

Gestern so, heute so, morgen anders

Aber wen interessiert denn schon mein dummes Geschwätz von vorgestern, mag sich Kahlweit gesagt haben. Allerdings sollte ein Kommentar, erst recht eine «Analyse», etwas enthalten, wofür der Leser auch bereit sein könnte, Geld abzudrücken: analytische Spurenelemente.

Denn Meinung ist ja gut und schön, das «System Kurz» kurz und klein zu hauen, kann sicher Spass machen. Nur: wieso Kahlweit zu diesen bahnbrechenden Erkenntnissen nicht schon kam, als sie mit allen anderen im Chor vom jungen Shootingstar schwärmte, bleibt ihr süsses Geheimnis.

Dass eine «Analyse» eine Untersuchung sein sollte, mit der unter Anwendung klarer Kriterien geordnet und ausgewertet wird, was soll’s. Offenbar ist inzwischen auch in der politischen Betrachtung ein Körperteil in den Fokus des Interesses getreten. Der eigene Bauchnabel.

Entscheidend ist die eigene Stimmungslage

Die eigene Befindlichkeit, das Ich, die persönliche Stimmungslage, meine Meinung, damit wird der Leser belästigt. Dass der sich vielleicht aufgrund einer Lektüre eine eigene Meinung bilden könnte und sollte: ach was, das ist so was von old school. Wo kämen wir da hin. Der Leser muss belehrt, erzogen und gelenkt werden. Sonst käme er gar noch auf eigene, daher falsche Gedanken.

Ausserdem wird so die Welt und alles schön übersichtlich, kategorisiert, kartografiert, fassbar. Trump («irrer US-Amerikaner»), Orban («kleiner Diktator»), Bolsonaro («politischer Zerstörer»), Österreich («käufliche Republik»).

Dazu noch ein Schuss New Speak von Orwell (in anderem Zusammenhang: Impfzwang ist freiwillig), und schon hat die sogenannte Qualitätspresse einen weiteren Sargnagel eingeschlagen.

Um genauso holzschnittartig zurückzugeben: bezüglich Käuflichkeit sollte sich gerade die «Süddeutsche» sehr zurückhalten, wie ein Blick in ihre Vergangenheit zeigt. Solche argumentationsfreien, überheblichen, besserwisserischen, abqualifizierenden Seelenrülpser einer Rechthaberin im Nachhinein braucht es weder als Kommentar, noch als Analyse. Und wirklich lustig ist diese Selbstzerstörung auch nicht.

«Im Sinne Kants»

Wie in Tamedia über die Neueröffnung des Zürcher Kunsthauses geschnödet wird.

Kunst kommt bekanntlich von Können. Und von Kennen. Aber das braucht ein Kunstkritiker von Tamedia doch nicht. Es verblüfft allerdings, dass der altgediente BaZ-Kulturredaktor Christoph Heim ansatzlos über die Hauptausstellung des Erweiterungsbaus herfällt: «Das Kunsthaus Zürich verkauft sich».

Wie denn das? Da wird die Sinnsuche schwierig.

«Mit der Sammlung Bührle wird das Museum zum Schaufenster privater Sammler. Das ist ein Rückschritt in feudalistische Zeiten.»

Und das junge Publikum habe nichts davon.

Pfui; das interessiert ein junges Publikum doch nicht.

Der Waffenhändler und Kunstsammler Emil Bührle ist seit Langem aufs engste mit dem Kunsthaus verbandelt. Schon 1958 finanzierte er den damaligen Ausbau, nun hängt eine Auswahl seiner gigantischen Kunstsammlung als Leihgabe im Erweiterungsbau. Wie auch die Sammlungen von Werner Merzbacher und anderen.

Das stört Heim weniger. Auch dass ein eigentlicher Dokumentationsraum die Biographie und die Geschäfte Bührles nachzeichnet, seine Waffenexporte und das Entstehen seiner Sammlung, das vermag Heim nicht milde stimmen.

«Interesseloses Wohlgefallen» (im Sinne Kants)

Das Kunsthaus sei nun ein «Schaufenster privater Sammlungen wie die Museen des 18. Jahrhunderts». Na und? Stört Heim weniger, dass die private Fondation Beyeler in Riehen zurzeit eine grossartige Goya-Ausstellung beherbergt, natürlich grösstenteils mit privaten Leihgaben bestückt, die dadurch öffentlich zugänglich werden?

Ein «interesseloses Wohlgefallen (im Sinne Kants)» sei bei diesen Bührle-Bildern nicht möglich, schwurbelt Heim. Ohne hier auf die «Kritik der Urteilskraft» des spätfeudalistischen Denkers Immanuel Kant von 1790 einzugehen: das hört sich irgendwie tief und gut an, hat aber mit dem Ausstellen von Gemälden schlichtweg nichts zu tun.

Kant (gest. 1804): kann sich nicht mehr wehren.

Denn Heim hätte seinen Ansatz auch ehrlicher und einfacher formulieren können: Er findet es ziemlich scheisse, dass die Sammlung von Bührle hier öffentlich ausgestellt wird. Was beinhaltet, dass es ihm lieber wäre, wenn sie nicht angeschaut werden würde, obwohl das der Erhebung und Erbauung (auch Kant) dient.

Der Kritiker lässt keinen Stein auf dem anderen

Heim gefällt einfach nichts an dieser Neueröffnung. «Meritokratischer Erinnerungsort», «gemahnt an eine Shoppingmall», «Privatsache des Zürichbergs», also eigentlich alles furchtbar.

Wenn das alles falsch ist, wie sollte, könnte es denn richtig, besser werden? Na, einfach Heim fragen: «Für die Zukunft wäre es aber wichtig, wenn das Museum mit seinen Ausstellungen zu einem zentralen Forum demokratischer und ästhetischer Auseinandersetzungen würde, das auch die jüngere Generation interessiert.»

Die Kunst-Shoppingmall von aussen.

Dunkel raunt der Kritiker, inhaltsschwer und unverständlich

Ohä, da sagt der Leser vorsichtig: interessanter Ansatz. Was man halt so sagt, wenn man nur Bahnhof versteht. Aber Heim definiert auch gnadenlos, was ein modernes Kunsthaus (im Gegensatz zu einem postfeudalistischen) sein soll:

«Dabei ist das moderne Museum schon längst kein selbstgenügsames Bilderlager mehr, sondern, um das mit Begriffen der Kommunikationswissenschaft zu sagen, ein Sender, der mit Kunst ein überaus diverses, in verschiedene Gruppen zerfallendes Publikum erreichen muss.»

Oder um das in den Begriffen der Erkenntnistheorie im Zeitalter des Postdekonstruktivismus, im Luhmannschen Sinne und mit einem Sprutz Baudrillard zu sagen, nicht ohne auf den zu Unrecht vergessenen Louis Althusser zu rekurrieren: auch im Kunsthaus muss der herrschaftsfreie Diskurs (Jürgen Habermas) eingefordert werden! Das meinte auch schon Michel Foucault, aber der war homosexuell.

Eigentlich müsste jeder Besucher beweisen, dass er die «Ästhetik des Widerstands» von Peter Weiss gelesen hat, bevor er eintreten darf.

Oder auf Deutsch: welch ein geschmäcklerisches Kritikastern, aufgeblasen, aber ohne Sinn und Verstand. Völlig am Interesse und Geschmack des Publikums vorbei, dem in immer trüberen und immer kunstferneren Zeiten immerhin ein grosses Stück Teilhabe an sonst unerreichbaren Kunstwerken offeriert wird.

Das ist auch bitter nötig, angesichts des jämmerlichen Zustands, in dem sich das Feuilleton von Tamedia befindet. Wer eine Nora Zukker zur Literaturchefin ernennt (und erträgt), hat eigentlich jedes Recht auf Kunstkritik verwirkt.