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Willkür, Wildwest und Rechtsstaat

Es existiert eine klare rote Linie zwischen Willkür und unserer Bastion gegen Barbarei.

Aus gegebenem Anlass und für Compliance-Mitarbeiter der Postfinance (aber nicht nur dort) zum Mitschreiben. In einem funktionierenden Rechtsstaat gibt es einfache Mechanismen und Regeln, deren Befolgung allen Beteiligten Rechtssicherheit gibt.

Wer in die Rechte oder den Besitz eines anderen eingreift, hat sich dabei an wenige, banale Regeln zu halten.

  • Der Eingriff hat mit einer Begründung zu erfolgen. Diese Begründung sollte einen Verweis auf die rechtlichen Grundlagen für den Eingriff enthalten.
  • Diese Begründung hat zeitgleich mit dem Eingriff zu erfolgen. Zudem muss aufgeführt sein, wer mit welcher Berechtigung diesen Eingriff durchführt.
  • In der Begründung muss obligatorisch eine Rechtsmittelbelehrung enthalten sein. Es muss erklärt werden, innert welcher Frist der Betroffene wo dagegen Beschwerde einlegen kann.
  • Bei schwerwiegenderen Eingriffen braucht es eine anfechtbare Verfügung. Es muss etwas Schriftliches vorliegen, gegen das auf dem ordentlichen Rechtsweg, also vor Gericht, vorgegangen werden kann.
  • Bei solchen Eingriffen muss der Betroffene angehört werden, er muss die Möglichkeit haben, dazu Stellung zu nehmen.

Das sind ein paar leicht verständliche Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit sich ein Eingriff in die Rechte eines Individuums (oder einer Firma) im rechtsstaatlichen Rahmen abspielt.

Im geschilderten Fall wurde von der Postfinance kein einziges dieser Kriterien erfüllt.

  • Der Auftrag, eine überwiesene Geldsumme dem Konto des Empfängers gutzuschreiben, wurde nicht ausgeführt. Begründungslos.
  • Dem so um sein Eigentum geprellten Empfänger wurde dieser Eingriff nicht mitgeteilt, ebenso wenig dem Absender. Dem Empfänger wurde 10 Tage lang wahrheitswidrig gesagt, dass keinerlei Überweisung wie von ihm angegeben und belegt, eingetroffen sei. Obwohl sich die Postfinance seit Tagen im Besitz dieser Überweisung befand, stritt sie das ab.
  • Nachdem sich die Postfinance nach 10 Tagen dazu bequemte, den Eingang der Überweisung vor zehn Tagen einzuräumen, schob sie zunächst eine weitere unwahre Begründung vor, wieso der Betrag dem Kunden nicht gutgeschrieben werde.
  • Es wurde keine Erklärung geliefert, wer mit welcher Berechtigung diesen Eingriff ins Eigentum eines anderen vorgenommen hatte. Es wurde lediglich schlussendlich behauptet, die Compliance der Postfinance habe eine «Sanktionsproblematik» entdeckt.
  • Diese Auskunft wurde nur mündlich erteilt, schon die Herausgabe einer sachdienlichen E-Mail-Adresse, um den Vorgang zu verschriftlichen, wurde verweigert.
  • Dieser vagen Begründung fehlte ein Verweis auf die zugrunde liegenden Vorschriften, ebenso erfolgte keine Rechtsmittelbelehrung. Auf die Frage nach einer Beschwerdemöglichkeit wurde geantwortet, dass man sich an das «Beschwerdemanagement» der Postfinance oder gleich an ihren CEO wenden solle. Auch hier wurden keine sachdienlichen Adressangaben gemacht. Anscheinend wurde dem «Beschwerdemanagement» eine an die Medienstelle gerichtete Anfrage des Journalisten und Empfängers weitergeleitet, ohne dass eine Reaktion erfolgte.
  • Da keinerlei schriftliche Bestätigung dieses Vorgangs vorliegt, ist es auch nicht möglich, dagegen Rechtsmittel wie eine Anfechtung vor einem ordentlichen Gericht zu ergreifen.
  • Da die Beschlagnahme ohne Wissen des Absenders oder des Empfängers der Überweisung erfolgte, hatte keiner der Besitzer die Möglichkeit, zu diesem Vorgang Stellung zu nehmen.
  • Worin diese angebliche «Sanktionsproblematik» bestehe, wurde nicht erklärt. Es wurde nur mündlich darauf verwiesen, dass eine nicht identifizierte staatliche Behörde nun überprüfe, ob dieser Betrag dem Empfänger gutgeschrieben werden könne oder nicht. Wie lange diese Überprüfung dauert, von wem genau sie ausgeführt werde – keine Angaben.
  • Seit bald einmal zwei Wochen sitzt die Postfinance auf einem nicht ihr gehörenden Geldbetrag und weigert sich, ihrer Verpflichtung als Dienstleister nachzugehen, ihn auftragsgemäss einem Kunden gutzuschreiben. Das Geld ist also sowohl für den Absender wie für den Empfänger blockiert. Der Absender wurde darüber nicht informiert, der Empfänger erst nach mehrfachem Insistieren und der Veröffentlichung des Vorgangs.
  • Die einzige Kontaktperson der Postfinance besteht auf Mündlichkeit, will keine Adresse für schriftliche Eingaben herausrücken und weist zudem darauf hin, dass diese «Überprüfung» wegen angeblicher Überlastung der Behörde dauern könne und man von täglichen Anrufen absehen solle.
  • Wieso eine «Sanktionsproblematik» existieren könnte, obwohl weder der Absender der Überweisung, noch die darin involvierte Bank des Absenders, noch die Korrespondenzbank, noch der Empfänger auf einer Sanktionsliste stehen, vermochte bei Postfinance niemand zu beantworten.

Man sieht an diesem ausführlich geschilderten Verhalten der Postfinance, was passiert, wenn das Einhalten rechtsstaatlicher Vorschriften, Regeln, Abläufe ausser Kraft gesetzt wird. Und durch Willkür, selbstherrliches Handeln unter dem Schutz der Anonymität  in einem rechtsstaatfreien Raum ohne Haftbarkeit oder Verantwortlichkeit ersetzt wird.

Es greifen Sitten wie im Wilden Westen um sich, inklusive Faustrecht. Denn die Postfinance missbraucht den Geldbetrag dieser Überweisung einfach mal als Faustpfand. Ohne jegliche Legitimation ausser der Tatsache, dass er sich in ihrem Einflussbereich befindet. Ob und wann und wie sie ihn wieder hergibt, ist offenbar reiner Willkür überlassen, da es keine Handhabe gibt, die Postfinance in den Bereich der Rechtsstaatlichkeit zurückzuzwingen.

Ein Einzelfall? Wohl eher nicht, Auf jeden Fall ein Skandal, ein ungeheuerlicher Vorgang, der dringlich das Eingreifen staatlicher Aufsichtsbehörden erforderlich macht. Sie sind darüber orientiert. Werden sie auch entsprechenden handeln?

Rechtsausübung in Wildwestmanier: «give him a fair trial – then hang him.»

Oligarch Blocher

Kleines Gedankenspiel als Anstoss für Recherchen.

Tamedia hat ein Recherchedesk. Die «Republik» fällt immer wieder mit Recherchestücken auf. Auch NZZ und CH Media, sogar die «Blick»-Gruppe tun gelegentlich das, was neben der Reportage zur Königsdisziplin im Journalismus gehört. Man wühlt sich durch Dokumente, geht Spuren nach, interviewt Auskunftspersonen, verlangt Einblicke und Zugang zu staatlichen Unterlagen.

Man leuchtet in Dunkelkammern, die vornehmste und wichtigste Aufgabe des Journalismus. Hier ist er noch vierte Gewalt. Hier kann er noch einen Unterschied zu autoritären Regimen mit Zensur machen. Also einen Unterschied zu Russland und der Ukraine, zum Beispiel. Allerdings wirft sich vor allem Tamedia, im Verbund mit vielen anderen Medien, häufig darauf, aus unbekannter Quelle zugespielte gestohlene Geschäftsunterlagen auszuwerten. Um dann Ankläger, Richter und Vollstrecker in einer Person zu spielen.

Leaks und Papers und andere trübe Quellen

Das sind die üblen Aspekte des falsch verstandenen Recherchierjournalismus. Oder aber, Spezialität der «Republik», man stapelt Aussagen anonymer, ehemaliger Mitarbeiter einer Firma aufeinander, unterlässt, der betroffenen Bude ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben – und kräht Skandal. Bläst eine Mücke zum Elefanten auf, der dann schneller als ein angestochener Luftballon wieder zusammenschnurrt. So geschehen beim angeblichen Riesenskandal «Globe Garden». Und nicht nur dort.

Einen neuen Tiefpunkt erreichte diese Art von «Recherchierjournalismus» in einem Gewaltsriemen über eine Verschwörung angeblicher «Info-Krieger». Da gäbe es auch in der Schweiz ein «Netzwerk» rechter Medien und Publizisten, die gemeinsam Lügen, Verschwörungstheorien und Fake News produzierten. Über 30 angebliche Mitverschwörer wurden namentlich von der «Republik» aufgezählt, dazu ein rundes Dutzend Organe, die ebenfalls in dieses Kartell der dunklen Macht eingebunden seien. Allerdings: niemandem wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Keinem einzigen der namentlich erwähnten Personen oder Organe. Und lediglich mit einem einzigen angeblichen Vertreter dieser dunklen Mächte wurde gesprochen. Das ist wohl der Tiefpunkt des «Republik»-Journalismus, und wir warten gespannt, mit welchen Anstrengungen der noch unterboten werden könnte.

Gedankenspiel als Anstoss für Recherchen

Aber ZACKBUM will nicht nur kritisieren. Wir hätten auch einen konstruktiven Vorschlag. Aktuell, spannend, interessant. Machen wir dazu ein kleines Gedankenspiel. Dem alt Bundesrat, SVP-Granden und Milliardär Christoph Blocher fehlt nur eine Eigenschaft, um als Oligarch bezeichnet zu werden. Er gehört zweifellos ins Lager der Putin-Versteher, hat nichts dagegen, dass seine Tochter mit Russland geschäftet und die Aufnahme von Verhandlungen zwecks Beendigung des Ukrainekriegs fordert. Dazu ist er sagenhaft reich. Lediglich das Fehlen eines russischen Nachnamens bewahrt ihn wohl davor, auf eine Sanktionsliste der EU oder der USA zu geraten.

Nehmen wir aber mal an, sein Name stünde plötzlich auf einer solchen Liste. Wie die Namen von inzwischen Hunderten von Personen und Firmen. Das wäre doch Anlass genug, mit einer Recherche zwei banalen Fragen nachzugehen:

  1. Wie kommt man auf diese Sanktionslisten?

  2. Wie kann man sich dagegen wehren?

Ein paar kleine Hinweise. Es ist zum Beispiel bekannt, dass die US-Behörden sich auf Listen der reichsten Menschen der Welt umtun, wie sie beispielsweise vom Magazin «Forbes» geführt werden. Wer da vorkommt und einen russisch tönenden Nachnamen hat, hat eine gute Chance, sich plötzlich auf einer Sanktionsliste wiederzufinden. Das reicht als Begründung aus.

Es ist bekannt, dass in diesem Fall viele Regierungen dazu neigen, Immobilien oder Jachten als Symbol unverschämten Reichtums zu beschlagnahmen. Auch wenn die Besitzverhältnisse nicht wirklich geklärt sind. So reicht beispielsweise der Verdacht, dass eine Superjacht dem Kreml-Herrscher Putin gehören könnte, um sie zu requirieren.

Was machen Staaten mit beschlagnahmten Gütern?

Nun sind Staaten nicht dafür geeignet, ein Sammelsurium von Besitztümern zu verwalten. Alleine der Unterhalt einer grossen Jacht oder eines luxuriösen Anwesens kostet. Was soll also damit geschehen? Forderungen werden laut, dass diese Werte versteigert, verkauft werden sollen, damit man den Erlös dafür verwenden könne, den Wiederaufbau der Ukraine zu unterstützen.

Da wäre die Recherche sinnvoll, wie sich solche Aktionen mit der Eigentumsgarantie und der Rechtsstaatlichkeit von zivilisierten Ländern vereinen lassen. Aufgrund welcher gesetzlicher Grundlage wird hier gehandelt? Wodurch wird sichergestellt, dass es sich nicht um willkürliche Aktionen handelt? Wie wird sichergestellt, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung gilt? Denn es gibt Oligarchen, die sämtliche dieser Kriterien erfüllen – aber nicht sanktioniert werden. Wobei der Verdacht naheliegt, dass sie eine wichtige Rolle bei der anhaltenden Versorgung westlicher Staaten mit Rohstoffen aus Russland spielen.

Schliesslich: Wie bei von den USA geführten Listen angeblicher Unterstützer des Terrorismus erhebt sich hier die Frage, wie ein Betroffener sich rechtlich dagegen wehren kann. Denn es gehört zu den eisernen Prinzipien unseres Rechtsverständnisses, dass man sich immer gegen eine Sanktion zur Wehr setzen kann. Jede Massnahme, jede Verfügung muss eine Rechtsmittelbelehrung beinhalten. Selbst eine banale Parkbusse kommt mit dem Hinweis, innert welcher Frist man sich wie bei einer zuständigen Stelle gegen die Bezahlung wehren könne.

Der Rechtsweg als Garant gegen Willkür und Barbarei

Indem man den sogenannten Rechtsweg beschreitet. Also eine unabhängige gerichtliche Überprüfung verlangt. Das kann dauern und kostet Geld. Aber ohne diese Möglichkeit wären Willkür und staatlicher Macht keine Grenzen gesetzt. Innerhalb des Rechtsstaats ist vor allem die Möglichkeit, gegen staatliche Zwangsmaßnahmen Einsprache zu erheben, der fundamentale Unterschied zu Willkür und Barbarei.

Wo und wie ein Betroffener sich gegen den Entscheid wehren kann, ihn auf eine solche Sanktionsliste zu setzen, ist nicht bekannt. Es ist nicht bekannt, welches Gericht für eine Einsprache zuständig wäre. Das ist besonders im Fall des Rechtsstaats Schweiz beunruhigend. Denn die Schweiz führt bekanntlich keine eigenen Untersuchungen oder Überprüfungen durch, sondern übernimmt fraglos Sanktionslisten, die von der EU beschlossen wurden. Ohne Einblick in die Gründe, ohne Kenntnis der Motive. Ohne Hinterfragen, Analysieren, Abklären. Obwohl diese Sanktionen dramatische Auswirkungen auf die Betroffenen haben. Ihre Eigentumsgarantie wird aufgehoben. Sie verlieren schlagartig den Zugang zu Besitztümern, Vermögenswerten und Anlagen. Sind sie Besitzer von Firmen, verlieren sie die Kontrolle darüber.

Wer als Firmenbesitzer gegen Gesetze verstösst – oder zumindest in diesen Verdacht gerät –, hat ein ganzes Arsenal von Möglichkeiten, dagegen vorzugehen. Damit kann er sogar Sanktionen oder Bussen jahrelang hinauszögern, was sicherlich ein Ärgernis darstellt. Häufig ist es auch ungemein schwierig, persönliche Verantwortlichkeiten für grobe Fehler nachzuweisen. Deshalb ist – mit einer einzigen Ausnahme – noch nie ein Schweizer Banker persönlich haftbar gemacht worden. Obwohl hier schuldhaft Abermillionen und Milliarden verröstet wurden.

Individuell schuldhaftes Verhalten nachweisen

Aber schuldhaftes Verhalten individuell nachzuweisen, Haftbarkeit zu erstellen, das ist ungemein schwierig. Im Fall des Groundings der Swissair überschrieben einzelne der damaligen Verwaltungsräte ihre Besitztümer an Ehepartner oder Familienmitglieder. Nur für den Fall. Aber alle Versuche, persönliche Schuld nachzuweisen, Schadenersatz einzutreiben, endeten Jahre später mit Freisprüchen vor Gericht. Obwohl es offenkundig war, dass die Swissair auch mit gröbsten Managerfehlern in Grund und Boden gewirtschaftet wurde.

Aber reich, Russe, geschäftet irgendwie mit Russland, zahlt dort gar Steuern, da braucht es nur noch ein Foto, auf dem der Betroffene im gleichen Raum mit Gottseibeiuns Putin abgebildet wurde – und schon ist die Eigentumsgarantie aufgehoben, erfolgt Sanktion auf Verdacht. Rechtliches Gehör, Möglichkeit zur Gegenwehr gegenüber solch drakonischer Massnahmen? Unmöglich.

Das wäre doch ein Thema, das geradezu danach schreit, mit der geballten Recherchierkraft Schweizer Medien untersucht zu werden. Aber dieser Schrei verhallt offenbar ungehört. Kä Luscht, sagen da die Recherchegenies auf den Redaktionen. Passt nicht in unsere Narrative. Könnte Ärger geben und staatliche Behörden muff machen. In einem solch jämmerlichen Zustand befinden sich die Schweizer Medien. Sie üben Selbstzensur, da ist staatliche Zensur gar nicht nötig.

Wumms: Christian Brönnimann

Der Tamedia-Redaktor pfeift auf den Rechtsstaat.

Brönnimann versteht sich als Recherchierjournalist. Darunter musste schon der Autor dieser Zeilen leiden, aber das war nichts gegen das Schicksal eines angolanisch-schweizerischen Geschäftsmanns.

Aufgrund gestohlener Geschäftsunterlagen trat Brönnimann eine ganze Kampagne gegen ihn los. Er habe sich am Elend eines afrikanischen Landes bereichert, wohl krumme Geschäfte gemacht, vielleicht Steuern hinterzogen, und überhaupt. Wer einen milliardenschweren Staatsfonds verwalte, der müsse ja Dreck am Stecken haben.

Das führte dazu, dass das Geschäftsimperium des Mannes zusammenbrach, viele Mitarbeiter ihre Stelle verloren und der Geschäftsmann einige Zeit in einem Höllenknast in Angola verbringen musste.

Brönnimann vermeldete triumphierend, wo überall Strafuntersuchungen aufgrund seiner Artikel aufgenommen, Gerichtsverfahren anhängig gemacht wurden. Er vermeldete dann sehr, sehr klein oder überhaupt nicht, dass alle, restlose alle diese Verfahren eingestellt wurden – oder dem Geschäftsmann bestätigt wurde, dass er völlig korrekt gehandelt hatte.

Auf unsere Frage, ob Brönnimann da nicht eine Mitverantwortung für dieses Debakel trage, erwiderte er kühl, dass er doch nichts dafür könne, wenn staatliche Behörden tätig werden.

Nun nimmt er sich in einem Kommentar unseres Rechtsstaats an; der sei angeblich in einem «Dilemma». Wieso, hat Brönnimann schon wieder zugeschlagen? Nein, es geht um die Verwendung der beschlagnahmten «Oligarchen-Milliarden».

Brönnimann hebt mit einer Verurteilung des ehemaligen US-Präsidenten Bush Junior an: «Ein Staatspräsident führt einen brutalen Angriffskrieg, in dem Tausende sterben, Millionen vertrieben und ganze Städte zerbombt werden. Milliardenschwere Geschäftsmänner haben jahrelang von ihrer Nähe zum Kriegstreiber profitiert und distanzieren sich nun nicht von dessen Verbrechen.»

Mutig, den völkerrechtswidrigen Einmarsch in den Irak und die dort begangenen Kriegsverbrechen zu kritisieren. Oh, hoppla: «Es wäre nichts als recht, wenn der Wiederaufbau der Ukraine dereinst zuerst mit den Milliarden aus dem Oligarchen-Zirkel rund um Wladimir Putin bezahlt würde und erst dann mit öffentlichen Geldern.»

Aber da gibt es ein blödes Hindernis: «Unsere Gesetze sehen die Möglichkeit nicht vor, dass der Staat jemandem seinen Besitz wegnehmen kann ohne rechtskräftige Verurteilung wegen eines schweren Delikts

Was tun? Kreativ werden mit Brönnimann:

«Die rechtsstaatlichen Grundsätze sind für Friedenszeiten geschrieben. Es ist nun an der Politik, einen Weg zu suchen, um dieses Korsett so zu lockern, dass am Schluss nicht Milliarden in den Einflussbereich Putins zurückfliessen.»

Stehen rechtsstaatliche Grundsätze einem Wunsch von Brönnimann entgegen, dann behauptet er frech, dass die doch nur in Friedenszeiten gelten. Daher müsse das «Korsett gelockert werden». Ein Euphemismus für: den Rechtsstaat in die Tonne treten. Ein Euphemismus für staatlichen Diebstahl.

Dass ein solcher perfider Anschlag auf Grundprinzipien unseres Rechtsstaats bei Tamedia erscheinen darf, ist ein Skandal. Dass das unwidersprochen bleibt, ist ein Skandal. Dass Brönnimann nicht öffentlich dafür sanktioniert wird, ist ein Skandal.

Also ist es einfach ein übliches Stück aus dem Tollhaus des modernen Qualitätsjournalismus.

 

 

 

 

Mehr Wildwest im Rechtsstaat

Reich, Russe, Oligarch: her mit dem Geld.

Die Schweiz ist erfolgreich auf der Jagd nach hier verstauten Vermögen. Bereits 1100 Personen und 80 Institutionen sind ihr Geld losgeworden. Immerhin rund 9 Milliarden Franken.

In der ganzen EU sind 30 Milliarden Euro eingefroren worden. Warum, von wem? Nun, von allen, die auf sogenannten «Sanktionslisten» stehen. Wie kommt man da drauf? Wenn der Verdacht besteht, die Person habe aktiv etwas mit dem Krieg in der Ukraine zu schaffen, produziere für Russland Waffen oder stelle seine Jacht für kriegerische Handlungen zur Verfügung?

Ach was, ein Eintrag in der «Forbes»-Liste der reichsten Menschen der Welt oder der USA reicht bereits, wenn der Reiche einen russischen Nachnamen trägt. Also Geldwäscher, Mafiosi oder Blutdiamentenhändler Miller hat kein Problem deswegen. Aber ein Vekselberg, Abramowitsch hingegen schon.

Es handelt sich hier einwandfrei um eine perverse Umkehr eines Grundprinzips unseres Rechtsstaats. Niemals muss ein Beschuldigter seine Unschuld beweisen. Immer muss ihm über jeden vernünftigen Zweifel hinaus seine Schuld bewiesen werden. Gibt es daran den geringsten Zweifel, gilt «in dubio pro reo». Eigentlich unterscheidet schon dieses Prinzip geordnetes gesellschaftliches Zusammenleben von Willkür, Unrecht und Wildwest: es gilt nicht die Schuld-, sondern die Unschuldsvermutung.

Der Beschuldigte muss seine Unschuld beweisen

Bei den sogenannten Oligarchen wird dieses Prinzip pervertiert und auf den Kopf gestellt. Sie stehen unter Generalverdacht und sind gezwungen, nachzuweisen, dass sie ihr Vermögen rechtmässig und ohne kriminelle Geschäfte zu betreiben, erworben haben.

Das gilt wohlgemerkt nur für russische Oligarchen. Saudische Kriminelle, Despoten aus der Dritten Welt, Mafiosi, Menschenhändler, der Abschaum der Menschheit profitiert davon, dass ihm individuell kriminelle Herkunft seiner Gelder nachgewiesen werden muss. Das mag für einige störend sein, ist aber gut und richtig so.

Nun weiss man, dass Reiche dazu neigen, ihre Vermögenswerte zu verstecken, den sogernannten «beneficial owner» hinter Tarnkonstruktionen zu verschleiern. Dazu dienen Konstrukte auf kleinen karibischen und pazifischen Inseln, die teilweise zum Rechtsraum von Grossbritannien, den USA oder Frankreich gehören. Was dort aber kein Problem ist. Ausser, man ist Russe.

In der Schweiz wird gerne das Anwaltsgeheimnis benützt. Hansueli Schöchli geht in der NZZ der Frage nach, was die entsprechene Verordnung des Bundesrats genau bedeutet: «Alle, die wissen oder vermuten, dass von Sanktionen Betroffene Vermögen in der Schweiz haben, müssen dies dem Staatssekretariat für Wirtschaft «unverzüglich melden»

Was ist mit dem Anwaltsgeheimnis?

In der ersten Fassung der Verordnung galt das auch für Anwälte. Da gibt es aber das Anwaltsgesetz, das glasklar definiert, dass Anwälte «zeitlich unbegrenzt und gegenüber jedermann dem Berufsgeheimnis über alles, was ihnen infolge ihres Berufes von ihrer Klientschaft anvertraut worden ist», unterstünden.

Dritterseits gibt es das 2002 beschlossene Embargogesetz, das verlangt:

«Wer von den Massnahmen nach diesem Gesetz unmittelbar oder mittelbar betroffen ist, muss den vom Bundesrat bezeichneten Kontrollorganen die Auskünfte erteilen und die Unterlagen einreichen, die für eine umfassende Beurteilung oder Kontrolle erforderlich sind.»

In solchen Gemengelagen kann eine Fachauskunft helfen: «Ein vom Anwaltsverband bestelltes Gutachten des Freiburger Strafrechtsprofessors Marcel Niggli kommt zu dem Schluss, dass die Ukraine-Verordnung des Bundesrats das Anwaltsgeheimnis nicht übersteuern kann.»

Was also bedeuten würde, dass Anwälte nicht auskunftpflichtig sind, was bedeuten würde, dass Oligarchen sich hinter dem Anwaltsgeheimnis verstecken könnten. Was sowohl bei Volkes Stimme wie im Ausland Protest auslösen könnte. Also was tun? Da gelingt Schöchli eine fast genialische Formulierung:

«In der Praxis ist vorderhand anscheinend künstlerische Unschärfe mit pragmatischer Toleranz angesagt: Die Rechtsfrage bleibt offen, aber der Bund dürfte kaum den Anwälten nachjagen.»

Künstlerische Unschärfe mit pragmatischer Toleranz. So kann man das Ende von klaren rechtsstaatlichen Verhältnissen auch bezeichnen. In den USA herrscht einerseits Wildwest in Rechtsfragen. Andererseits herrscht ein ungeheuerlicher Formalismus zum Schutz der Gesetze.

Die USA machen’s uns vor

Wir kennen das aus unzähligen US-Krimis: bei der Verhaftung müssen dem Verhafteten seine Rechte verlesen werden, Recht auf Anwalt, von jetzt an kann und wird alles, was er sagt, vor Gericht gegen ihn verwendet werden. Sollte das hingegen vergessen gehen oder nicht korrekt erfolgen, kann selbst ein Geständnis nicht gegen den Angeschuldigten verwendet werden.

Das kann durchaus dazu führen, dass ein geständiger Mörder freikommt. Was sehr stossend ist. Aber immer noch besser als eine Beschädigung des Rechtsstaats durch Rechtsbeugung.

Wenn ein Oligarch mit seinem kriminell erworbenen Vermögen, das er sogar in den Dienst der russischen Regierung stellt, davonkommt, ist das stossend. Aber immer noch besser, als dass eine Sippenhaft und eine Beweisumkehr für alle Oligarchen gilt.

Den Schaden, den ein Einzelner so anrichten kann, ist völlig vernachlässigbar im Verhältnis zu einer gravierenden Beschädigung des Rechtsstaats. Applaudiert von Medien und Politikern wird daran gerade mit Energie gearbeitet.

Kritische Stimmen, Protest? Wird als Gemopse von Putin-Verstehern abgekanzelt, die sich von der russischen Propaganda einlullen liessen.

 

 

 

 

Was ist Diskriminierung? Teil 2

Reich, Russe, Bärenjagd.

Hier geht’s zum Teil 1.

Kehren wir zurück ins Kleine, in die Schweiz. Viele Politiker würden sich über den schrecklichen Krieg in der Ukraine empören, schreibt Loser, aber sie lehnten «sämtliche Vorschläge ab, die den russischen Oligarchen das Leben in der Schweiz schwerer machen könnten».

Verstehen wir ihn richtig? Russischen Oligarchen, wer immer das sein mag, soll das Leben schwer gemacht werden? Weil sie reich und Russen sind? Ohne rechtliche Grundlage? Auf Verdacht hin? Sind wir wieder zu den Zeiten der Verbrechervisage zurückgekehrt? Zu den Zeiten von Cesare Lombroso, der überzeugt war, «kriminelle» Schädelformen messen zu können?

Der Vergleich drängt sich auf. Judenverfolgungen waren häufig dadurch verursacht, dass es Christen nicht erlaubt war, am Zins- und Geldhandel teilzunehmen. Also wurden Pogrome veranstaltet, mit denen sich Teile der Gesellschaft, vor allem Adlige und reiche Christen, ihrer Schulden entledigten. Natürlich mussten andere Gründe vorgeschoben werden, um das zu bemänteln.

Nun sprechen wir auch bei reichen Russen von erklecklichen Summen. Naturgemäss sind sie schwer zu schätzen, aber laut «Handelszeitung» gehen Kenner der Sachlage davon aus, dass alleine in der Schweiz reiche Russen mehr als 100 Milliarden Dollar gebunkert haben. Andere Schätzungen gehen von bis zu 300 Milliarden aus. Das wären 40 Prozent des BIP.

Jagd auf Oligarchen mit Jagdschein

Loser träumt davon, dass analog zum Vorgehen der USA eine spezielle Task Force gebildet werden soll, die «Jagd auf Oligarchen» mache, wie das der «Blick» fordert. Worin bestünde nun die Tätigkeit dieser Suchtrupps? Sie sollen offen sichtbare oder verborgene Besitztümer reicher Russen aufspüren – und die beschlagnahmen.

Warum? Weil nach vielen Jahren plötzlich der Verdacht aufkeimt, dass diese Vermögen illegal erworben worden sein könnten. Oder, eine Lieblingsleerformel von Loser & Co., zumindest illegitim. Dieser Verdacht existierte zwar schon vorher, führte aber nie zu drakonischen Massnahmen.

Hat sich nun sozusagen der kriminelle Gehalt dieser Russenvermögen verändert? Nein, die einzige Veränderung ist der russische Überfall auf die Ukraine. Haben diese reichen Russen damit direkt oder indirekt zu tun, profitieren sie davon? Wohl mehrheitlich nicht, oder aber, es müsste in jedem Einzelfall nachgewiesen werden.

Das wäre Rechtsstaat. Wildwest ist: zuerst schiessen, dann fragen. US-Justiz ist: gebt ihnen einen fairen Prozess – dann hängt sie auf. Beschlagnahme ist: wir nehmen dir dein Eigentum weg. Dann darfst du beweisen, dass es dir rechtmässig gehört. Wenn du noch das Geld dafür hast.

Ist das eine zivilisierte Vorstellung von Rechtsstaatlichkeit?

«Geld stinkt nicht», weiss Loser. Da hat er recht. Das Geld, das sich verlumpende und überschuldete Staaten so einstecken, stinkt tatsächlich nicht. Denn nach der Beschlagnahmung kommt normalerweise die Verwertung. Denn der Staat will ja nicht Besitzer von Jachten, Flugzeugen, Villen oder Fabergé-Eiern bleiben. Der Erlös füllt die leeren Kassen, wunderbar. Nur stinkt dieses Vorgehen zum Himmel.

Und alle, die ihm das Wort reden, tun nichts Gutes. Sondern beschädigen unseren letzten Schutzwall gegen Abgründe. Allen, die solchem Tun das Wort reden, kennen den wohl weisesten und wichtigsten Satz zur Verteidigung des Rechtsstaats nicht:

Das Unrecht, das einem Einzelnen widerfährt, ist eine Bedrohung für alle.

Mit seinen Forderungen ist Loser, und nicht nur er, eine Bedrohung für alle.

Hilfe, mein Papagei onaniert

Niveau: liefergelegt. Denkapparat: ausgeschaltet. Banalyse statt Analyse. Part 2.

«Held. Staatspräsident. Präsident. Format. Mutig. Grösse. PR-Genie. Tapfer. Vorbild. Gewachsen. Anführer. Mediengenie. Ausgezeichneter Redner. Motivierend. Unterschätzt. Überlegen. Stark. Begeisternd. Landesvater. Treue. Patriotismus. Freiheit. Echt. Authentisch»

Blütenlese eines Tages.

In einem Rechtsstaat gilt, dass ein Angeschuldigter nicht seine Unschuld beweisen muss. Sondern der staatliche Ankläger die Schuld, die über jeden vernünftigen Zweifel erhaben sein sollte. Denn sonst gilt der zentrale Satz: Im Zweifel für den Angeklagten.

Das gilt für alle und überall. Natürlich mit Ausnahme von russischen Oligarchen. Tamedia verfügt offenbar seit Längerem über Insiderkenntnisse, was Roman Abramowitsch betrifft. Früher, ja früher, war er ein gern gesehener Gast, mitsamt seinen Firmen und natürlich Steuergeldern sowie spendablen Ausgaben.

Roman Abramowitsch (links).

Die Berichterstattung war lange Jahre wohlwollend, höchstens etwas verwundert über den Multimilliardär. Das hat sich in den letzten Jahren geändert, und seit dem Überfall auf die Ukraine weht ein eisiger Wind dem Oligarchen ins Gesicht.

Seine Vermögenswerte in der Schweiz sollen eingefroren werden, weiss Tamedia. Und die Rechercheure wissen auch, dass die Schweizer Justiz geamtet hat. Genauer das Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen. Dorthin war Abramowitsch gezogen, um die Bundespolizei und andere Schweizer Behörden dazu zu zwingen, Anschuldigungen gegen ihn zurückzunehmen.

Fedpol hatte geurteilt, die Anwesenheit des Oligarchen in der Schweiz sei eine «Gefährdung der öffentlichen Sicherheit sowie Reputationsrisiko für die Schweiz». Der Rohstoff-Magnat sei «wegen Verdachts auf Geldwäscherei und mutmasslicher Kontakte zu kriminellen Organisationen bekannt».

Das wollte Abramowitsch nicht auf sich sitzen lassen und verlangte Streichung, Löschung, Zurücknahme – oder Offenlegung von Belegen für diese Behauptungen. Nun urteilten die obersten Verwaltungsrichter der Schweiz, laut Tamedia:

«Die St. Galler Richter betonen zwar auch, dass die erhobenen Daten Verdachtsinformationen seien. Aber Abramowitsch habe «in keiner Weise» belegen können, dass die Ermittlungsergebnisse grundfalsch wären

An dieses skandalöse Urteil schliesst sich nun sicherlich eine strenge Rüge der Autoren Thomas Knellwolf und Bernhard Odehnal an. Denn das sind sicherlich zwei sattelfeste Verteidiger des Rechtsstaats, Kritiker von Unrechtsstaaten wie Russland. Die Ukraine ist zwar auch alles andere als ein Rechtsstaat, aber das spielt zurzeit nicht so eine Rolle.

Unschuldsvermutung, im Zweifel für?

Eine grosse Rolle spielt allerdings, dass es sich hier nicht um einen normalen Staatsbürger handelt – sondern um einen russischen Oligarchen. Und für die gelten natürlich rechtsstaatliche Prinzipien nicht. Schliesslich weiss man ja, wie die zu ihrem Vermögen kamen. Und wie nah die Putin standen oder stehen.

Und ist es nicht herrlich, dass ihre Flieger nun am Boden bleiben. Die Jachten im Hafen. Die Häuser und Villen versiegelt werden, mitsamt den Bankkonten. Und nicht mal die Black Centurion von American Express funktioniert mehr. Der Rechtsstaat Schweiz auch nicht so wirklich.

Wer die hat, lässt zahlen.

Aber so einen Kollateralschaden muss man doch im Kampf gegen Putin, für die Ukraine, gegen Oligarchen in Kauf nehmen. Nur Putin-Versteher oder nützliche Idioten des Kreml, die zu häufig «Russia Today» geschaut haben, können das kritisieren.

Denn Abramowitsch steht nun auf der Sanktionsliste der EU, und die Schweiz übernimmt die bekanntlich. Die «Republik», sie sei für einmal lobend erwähnt, hat sich etwas Gedanken gemacht, wie man eigentlich als russischer Reicher auf diese Shitlist kommt:

«Ob also ein russischer Oligarch auf einer Sanktions­liste landet oder nicht, wird durch einen vielschichtigen und relativ intransparenten Vorgang bestimmt. Und auch der Zufall spielt wohl mit, ob jemand ins Visier der Sanktions­behörden gerät oder nicht. So hatte beispiels­weise das US-Finanz­ministerium seine 2018 veröffentlichte «Putin-Liste», die als Grundlage für spätere Sanktionen dienen sollte, von der Milliardären-Liste abgeschrieben, die das Magazin «Forbes» im Jahr zuvor veröffentlicht hatte.»

In der Schweiz kann man ja die Liste der «Bilanz» durchforsten … Die ersetzt locker ein ordentliches Strafverfahren mit Urteil. Denn man weiss ja seit Proudhon:

«Eigentum ist Diebstahl.»

 

 

 

 

Von Ameisen und Journalisten

Wenn ich Djokovic sage, geht sicher ein leises Stöhnen durch die Reihen der Leser.

Ich verspreche aber, weder zu langweilen noch Längstbekanntes zu wiederholen.

Kriegt ein Visum. Kriegt das Visum weggenommen. Kriegt das Visum vom Richter wieder zugesprochen. Kriegt das Visum vom Minister weggenommen. Australien verabschiedet sich als Rechtsstaat. Und keinem Schweizer Journalisten fällt das auf.

Denn zu den eisernen Prinzipien gehört die Trennung zwischen Exekutive und Judikative. Kein Minister dürfte einen Gerichtsentscheid umstossen. Australien tut das. Bye, bye, Rechtsstaat.

Wenn Qualitätsmedien berichten.

Inzwischen ist zum Fall Djokovic von allen alles auf alle Arten gesagt worden. Es hat sich sogar eine Ameisenmühle gebildet. Unter diesem Phänomen leiden die Ameisen genauso wie auch die Journalisten.

Bei den Ameisen ist es so: da die Tiere blind sind, folgen Wanderameisen den Botenstoffen ihrer vorangehenden Artgenossen. Das ist gut und sinnvoll – ausser, der Ameisenzug kreuzt seine eigene Spur. Dann kann es passieren, dass die Insekten anfangen, im Kreis zu laufen. Damit verstärkt sich natürlich der Botenstoff, also kommen sie aus der Nummer nicht mehr raus.

Tödlich für Ameisen – und für Qualitätsjournalismus.

Normalerweise endet so eine Ameisenmühle mit dem Tod durch Erschöpfung. Bei Journalisten ist es nicht so dramatisch. Wenn sie in einen solchen Strudel geraten – zum Beispiel zum Thema, ob ein Tennisspieler in Australien Tennis spielen darf oder nicht –, dann nehmen auch immer mehr Schreiberlinge Witterung auf, schreiben mit, schreiben ab und schreiben vor allem in die gleiche Richtung.

Dann schreiben sie noch ein wenig übers Schreiben, geben Ratschläge, verteilen Betragensnoten, fordern mit wackelndem Zeigefinger Moral, Ethik und Anstand ein – und irgendwann sind sie es leid und suchen nach einer neuen Mühle.

Ameisen sind entschuldigt, Journalisten nicht

Die Ameisen können ja nichts dafür, aber bei Journalisten ist es beelendend, wie alle uniform in die gleiche Richtung schreiben und laufen. Dabei gäbe es doch bei jedem solchen Kampagnenthema interessante Aspekte, die beleuchtet werden könnten.

Zum Beispiel? Zum Beispiel die grausame australische Flüchtlingspolitik. Zum Teil über Jahre hinweg sitzen arme Schweine, die sich keine Anwälte leisten können, in Abschiebeknästen fest. Tausende von Asylsuchenden vegetieren in Internierungslagern «offshore», also beispielsweise auf Papua-Neuguinea.

Kritisiert von der UNO: australisches Flüchtlingscamp.

Diese Lager werden von Privatfirmen betrieben, die ein Minimalangebot mit maximalem Profit verbinden. Abschiebeknast in einem Hotel, wie es dem Tennisspieler widerfuhr, ist schon die Luxusvariante. Das wäre doch ein interessantes Thema. Aber dazu müsste man die Ameisenmühle verlassen.

Interessante Themen noch und noch

Ein zweites interessantes Thema ist die Absurdität, dass zwar die einzelnen Bundesländer ein Visum ausstellen können, das aber jederzeit von der Zentralregierung für ungültig erklärt werden kann. Genau ein solches Visum besass der Tennisspieler, der ja nicht einfach auf gut Glück nach Australien reiste.

Wie auch schon mancher Schweizer bei einem Einreiseversuch in die USA erleben musste: mit oder ohne Visum, es gibt im angelsächsischen Raum keine Einreisegarantie. Es ist dem Ermessen – oder der Willkür – des Beamten überlassen, ob er den Daumen hebt oder senkt.

Ich war mal zu faul, die dämliche Frage auf dem Einreiseformular in die USA zu beantworten, wo genau man abzusteigen gedenke. Ich schrieb einfach «Hotel» auf die entsprechende Linie. Das wurde dann moniert, und als ich noch den Fehler machte, «come on» zu sagen, entging ich der sofortigen Rückreise nur durch mehrfache, zerknirschte Entschuldigungen.

Nach ein paar schweisstreibenden Momenten entschied der Beamte, dass ich das Formular neu und vollständig auszufüllen habe, nochmal zuhinterst in seiner Schlange mich anstellen müsse und mich beim zweiten Vorstellen anständig zu benehmen habe.

Jeder, absolut jeder ist hier einer ziemlich weitgefassten Willkür ausgeliefert. Wer zum Beispiel nur ein Touristenvisum besitzt und so blöd ist, bei der Einreise anzugeben, dass er ein Interview zu führen gedenke oder anderweitig journalistisch tätig sein möchte, hat ebenfalls eine grosse Chance, stattdessen im gleichen Flieger wieder nach Hause geschickt zu werden.

Wäre auch ein Thema, aber eben, Ameisenmühle.

Wenn Willkür, Populismus und Entscheidung für Wahlen herrschen

Damit nicht genug. Es ist offenbar so, dass es der willkürlichen Entscheidung eines Ministers vorbehalten ist, ob ein gerichtlich festgestellter Tatbestand – der Tennisspieler darf einreisen – anerkannt wird oder nicht. Das ist rechtsstaatlich ungeheuerlich.

Man stelle sich vor: In der Schweiz kommt ein Gericht zu einem Urteil.

Anschliessend sagt ein Bundesrat: wisst Ihr was, das passt mir nicht, overruled. Ich entscheide das Gegenteil.

Das ist ein eklatanter Verstoss gegen ein heiliges Grundprinzip der Gewaltentrennung.

Gesetze werden im Parlament gemacht, die Regierung hat sich daran zu halten, und die Judikative kontrolliert deren Einhaltung. Staatskunde, erste Lektion. Existiert diese Gewaltenteilung nicht, spricht man gerne und schnell von autoritären Regierungsformen, von Willkür, vom Fehlen grundlegender Prinzipien. Wie sieht das im Fall Australiens aus?

Auch zumindest ein interessanter Aspekt. Aber, genau, nichts für journalistische Ameisen.

Mit welchen Gründen entschied der Minister?

Noch ein Thema: Kann man nun annehmen, dass der zuständige Minister seine Entscheidung ausschliesslich aufgrund der möglichen Gefährdung der öffentlichen Gesundheit durch den Tennisspieler treffen wird? Wer an den Weihnachtsmann, Wunder und Geister glaubt, mag das annehmen. Angesichts bevorstehender Wahlen, der internationalen Aufmerksamkeit für den Fall, angesichts der Frage, mit welcher Entscheidung die Partei des Ministers genügend Stimmen erhält, damit er weiterhin im Amt bleibt, spielt das wohl eine sehr, aber sehr untergeordnete Rolle.

Zuerst tagelang abgetaucht: Minister Hawke.

Genau solche fragwürdigen Konstellationen entstehen, wenn die saubere Trennung zwischen Judikative und Exekutive durchlöchert wird. Das sind doch alles interessante Aspekte, die es wert wären, vertieft durchleuchtet und publizistisch aufbereitet zu werden.

Aber im Spar- und Elendsjournalismus der grossen Medienhäuser haben solche Ausflüge aus der Ameisenmühle keinen Platz. Lieber darf noch der allerletzte Redaktor seinen Senf dazugeben, was er von der Person, der Nationalität und dem Verhalten des Tennisspielers so hält. Als ob das noch irgend jemanden interessieren würde.

 

Ein Dokument der Schande

Zurück zum Absolutismus.

So sieht es aus, wenn der Rechtsstaat ins Güllenloch der Willkür fällt:

Die Übersetzung:

Der ehrwürdige Alex Hawke MP
Minister für Einwanderung, Staatsbürgerschaft, Migrantendienste und multikulturelle Angelegenheiten

Freitag, 14. Januar 2022
Medienmitteilung
Erklärung zu Herrn Novak Djokovic
Heute habe ich von meiner Befugnis gemäss Abschnitt 133C(3) des Migrationsgesetzes Gebrauch gemacht, das Visum von Herrn Novak Djokovic aus Gründen der Gesundheit und der guten Ordnung zu annullieren, da dies im öffentlichen Interesse lag.

Ehrwürdig? Gründe der guten Ordnung? Befugnis? Gesundheit?

Würde ein offiziell anerkannter Unrechtsstaat wie Russland, Nord-Korea oder China so vorgehen – ein Aufschrei der sogenannten Qualitätsmedien wäre garantiert. Scharfe Verurteilung, oberlehrerhafte Kommentare, wackelnde Zeigefinger, strenge Sorgenfalten auf der Stirne, Forderungen nach Massnahmen, Sanktionen, Protest.

Australien setzt sich über den Rechtsstaat hinweg und entzieht einem Serben ein erteiltes, annulliertes, gerichtlich wieder erstelltes Visum? Na, der serbische Trotzkopf hat sich das doch selber zuzuschreiben.

 

Redak-Torin* Salome *Müller*In*

Rastlos und übergriffig setzt sie sich für die Sache der Frau ein. Leistet ihr dabei eine Bärinnendienstin.

Zunächst: Ich entschuldige mich Ausdrücklich für das «der» vor Frau, auch beim Genitiv hat der Sprachfeminismus noch Arbeit vor sich.

Aber fangen wir mit einer guten Nachricht an. Wie teilte mir ein aufmerksamer Leser so richtig mit: «Fortschritt. Der Stern wandert.» Natürlich, es handelt sich um einen noch nicht durchfeminisierten, männlichen Leser, der die wunderliche Marotte beobachtet, dass Salome Müller ihre Funktion als gelegentliche Tagi-NL-Autorin dafür missbraucht, vor allem die dafür auch noch bezahlenden Abonnenten (männlich) mit einem fröhlichen «Guten Morgen, liebe Leserinnen*» zu begrüssen.

Mit diesem Genderstern an ungewohntem Ort wolle sie ihren «Respekt» gegenüber all denen bezeugen, die sich nicht in das banal-binäre Raster Männlein/Weiblein pressen lassen wollen. Aber, bei Minerva, wo ist der Respekt geblieben? Die neue Variante lautet: «liebe Leser*innen». Ob das wirklich ein Fortschritt ist?

Der wandernde Stern. Aber der Dutt ist unverrückbar.

Es geht um Menschenrechte, bitte schön

Aber sprechen wir nicht länger von solchem Pipifax (der, maskulin, blöd). Inzwischen geht es der Dame mit dem komischen Wurmfortsatz auf dem Haupt um grössere Dinge. Um nichts weniger als die Menschenrechte.

Kämpferinnen für die Menschenrechte zeichnen sich oft dadurch aus, dass sie sie in weit entfernten Gegenden einfordern. Das ist auch hier der Fall. Denn gegen die Schweizer Doppelbürgerin Natallia Hersche wurde im fernen Weissrussland ein «wuchtiges Urteil» gefällt. Zweieinhalb Jahre Gefängnis, weil sie dort «für die Einhaltung der Menschenrechte auf die Strasse ging».

Allerdings wurde sie nicht deswegen, sondern wegen «gewalttätigem Widerstand gegen einen Polizisten» (Art. 363, Absatz 2, Strafgesetzbuch) verurteilt. Sie räumte das indirekt auch beim Prozess ein; sie habe Todesangst gehabt und gedacht, wenn sie dem Polizisten seine Sturmhaube vom Kopf reisst und ihm in die Augen schaue, dann würde der sicher Mitleid empfinden und sie laufenlassen.

Wurde sie zum Lächeln gezwungen? Herrsche beim Prozess. (Foto: spring96.org)

Wer sich in der Schweiz gegen eine Verhaftung wehrt, bekommt einen Orden

Da Müller – in Gegensatz zu mir – das ganze Urteil gelesen und verstanden hat, kommt sie ihrerseits zu einem klaren Verdikt: «Es ist ein politisches, ein willkürliches Urteil» gegen eine «zweifache Mutter aus St. Gallen». So unmenschlich geht’s in Lukaschenkos Reich zu und her. Eine Mutter wird von ihren Kindern getrennt, nur weil sie als Doppelbürgerin nach Weissrussland fuhr, um an Demonstrationen teilzunehmen.

Sie soll sich angeblich gegen die Verhaftung gewehrt haben, womit sie natürlich auch nur ein Menschenrecht einforderte. Wenn sich in der Schweiz jemand gegen die Verhaftung wehrt, besonders bei einer illegalen Manifestation, wird er umgehend mit einem Orden für Zivilcourage ausgezeichnet.

Denn, merke auf, die Schweiz sei – im Gegensatz zu Weissrussland – ein «sicherer Rechtsstaat», weiss Staatskundlerin Müller. Es läge mir fern, das Regime in Weissrussland als Rechtsstaat zu bezeichnen. Es ist eine der typischen post-sowjetischen Diktaturen mit einem Häuptling, der seine Halbwertszeit überschritten hat. Aber was empfiehlt denn Müller der Schweiz als rechtsstaatliche Mittel? Diplomatische Betreuung, eventuell Unterstützung, Bezahlung eines Anwalts?

Der Rechtsstaat muss Druck aufsetzen gegen einen Unrechtsstaat

Ach was, Pipifax (männlich, blöd), da muss mit massiveren rechtsstaatlichen Mitteln durchgegriffen werden. «Aussenminister Cassis kann Druck aufsetzen. Oder der Bundesrat baut mit Sanktionen Druck auf.» Welche rechtsstaatlichen Mittel hätte er denn da? «Die Regierung könnte die Konten des weissrussischen Staatsoberhaupts Alexander Lukaschenko und seiner Familie einfrieren und Visa-Beschränkungen erlassen.» Habe die EU schon lange getan, worauf wartet die Schweiz?

Nehmen wir mal spasseshalber an, ein Weissrussin nähme in der Schweiz an einem Plausch des Schwarzen Blocks teil. Ein wenig Sachschaden, ein paar verletzte Bullen, das Übliche halt. Nehmen wir an, sie würde im Rechtsstaat Schweiz dafür verurteilt. Nehmen wir weiter an, Lukaschenko würde deswegen toben, seinen Botschafter einbestellen, mit Sanktionen gegen die Schweiz drohen, Einreiseverbote aussprechen.

Da würde man sicherlich auch bei Müller das Halszäpfchen sehen, so erregt würde sie diese Einmischung, dieses Verhalten eines Unrechtsstaats, diesen eklatanten Verstoss gegen die heilige Gewaltenteilung – und die Menschenrechte – verurteilen.

Was wäre, wenn sich Lukaschenko das trauen würde?

Was masst sich der an, unsere Urteile als politisch und willkürlich zu verunglimpfen. Soll doch lieber mal bei sich aufräumen. Dem sollte man eine Antwort geben, dass er nur noch Sternchen sieht, würde die Sternchen-Feministin vielleicht fordern.

Menschenrechte sind Grundrechte, weiss Müller am Schluss ihres rechtsstaatlich durchaus durchwachsenen Kommentars. «Sie gelten auch für Natallia Hersche.» Wohl auch im Rechtsstaat Schweiz. Aber nicht für Müller, wenn sie fordert, mit unrechten Mitteln ein mögliches Fehlurteil zu bekämpfen.

Kleine Rechtskunde über Doppelbürger (ja, auch Doppelbürgerinnen*)

So nebenbei: Die Doppelbürgerin mit oder ohne Stern kann sich im einen ihrer Heimatstaaten nicht auf die Zugehörigkeit zum andern berufen, sondern ist erst einmal Inländer/In*+#. So viel zum Schutz der Schweizer Staatsbürgerin. Und bei aller Abscheu gegen Lukaschenko: Das Frauenstimmrecht wurde in Belarus, so wie in der gesamten UdSSR, 1917 eingeführt. Im Fall. Aber Feminismus und Logik, nun ja, ich sage nichts mehr, so als Mann.