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Es ist eine Sauerei

Hier gäbe es Grund zur Aufregung. Auch ausserhalb der NZZ und der «Weltwoche».

Die USA spielen Weltpolizist. Was früher Kanonenboote und der «Big Stick» waren, sind heute Sanktionslisten und der Besitz der Weltwährung Dollar.

Die NZZ konstatiert trocken: «Wer als Unternehmen oder Einzelperson auf der Sanktionsliste des amerikanischen Finanzministeriums landet, steht vor dem finanziellen Ruin.» Das geht kurzgefasst so: es gibt die US-behörde Ofac. Diese durch nichts als ein uraltes Gesetz legitimierte Dunkelkammer kann auf Anordnung des Präsidenten jede beliebige Firma, jede beliebige Person auf der Welt auf eine Sanktionsliste setzen. Darauf stehen zur Zeit rund 12’000 Personen.

Begründung: eigentlich überflüssig, es wird ein Verstoss gegen die unzähligen Sanktionen vermutet, die die USA unterhalten. In jüngster Zeit natürlich gegen Russland. Beweise, Belege, Gerichtsverfahren, Möglichkeit zur Gegenwehr? Nicht vorhanden.

Oder nur theoretisch. Denn vor einem allfälligen Ergebnis ist der Betroffene ruiniert. Denn wer auf diese Liste kommt, wird von allen Finanzinstituten gemieden, als hätte er eine ansteckende tödliche Krankheit. Konten werden begründungslos gekündigt, Kreditkarten funktionieren nicht mehr, Guthaben werden eingefroren. Denn alle Finanzdienstleister haben Schiss, dass sie sonst auch ins Visier der Amis geraten könnten.

Und die drohen dann einfach damit, die Benützung der Weltwährung Dollar zu verbieten. Können sie, und das ist der Tod innert 24 Stunden für jedes Geldhaus der Welt. Oder in den Worten der NZZ: «Experten sprechen von einer «finanziellen Todesstrafe». Selbst die staatliche Postfinance, die in der Schweiz eigentlich einen Grundversorgungsauftrag hat, bemüht sich darum, solche Kunden loszuwerden

Konkret geht es darum: «Was es bedeutet, als Einzelperson vom Bannstrahl der USA getroffen zu werden, erleben die Anwälte Andres Baumgartner und Fabio Delcò derzeit am eigenen Leib. Es sind ihre Namen, die seit dem 30. Oktober neu auf der Sanktionsliste der USA stehen. Sie betreuen in ihrer Anwaltskanzlei im Zürcher Kreis 1 seit Jahrzehnten vornehmlich Russisch sprechende Kunden.»

Aber im Gegensatz zu vielen anderen, die peinlich berührt schweigen und versuchen, irgendwie davonzukommen, wehren sich die beiden Anwälte: «Es gab gegen uns nie ein Straf- oder Disziplinarverfahren, geschweige denn eine Verurteilung. Weder in der Schweiz noch in den Vereinigten Staaten.»

Die Schweiz führt nur Sanktionen der EU sklavisch aus, keine der USA. Also würde das theoretisch bedeuten, dass dieser Bannfluch des Ofac in der Schweiz keine Wirkung haben dürfte. Sonst wäre das ja ein rechtsimperialistischer Übergriff in die Souveränität des Schweizer Rechtsstaats, der in seinem Wirkungsbereich keine fremden Vögte zulassen sollte.

In der Realität ist’s aber anders, die Schweizer Banken kriechen schon wieder zu Kreuze, wie der Strafrechtsprofessor Marcel Niggli auf den Punkt bringt: «Aus einer Risikoperspektive ist das Vorgehen der Banken daher verständlich, aus einer rechtsstaatlichen Perspektive ist es aber katastrophal.»

Richtig Wischiwaschi wird es, wenn der Rechtsprofessor und Bankenbüttel Peter V. Kunz das Wort ergreift: «Eine Grossmacht wie die USA kann machen, was sie will.»

Genau das ist aber das Problem. Ein Kleinstaat wie die Schweiz kann nur ihre Souveränität behaupten, wenn sie auf der Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien beharrt. Denn das ist ihre einzige Waffe im Kampf gegen freche Übergriffe nach der Devise Faustrecht und Macht des Stärkeren.

Was tut also die Schweizer Regierung, um beispielsweise zu verhindern, dass diese beiden Anwälte nach Jahrzehnten unbescholtener Tätigkeit vor dem Ruin und dem Scherbenhaufen ihrer beruflichen Existenz stehen?

Sie will sich zu «Einzelfällen» nicht äussern, lässt sie durch das Seco ausrichten, legt aber Wert auf die Feststellung, dass US-Sanktionen in der Schweiz «keine Wirkung» hätten.

Das ist eine zynische Behauptung, eine Ablenkung davon, dass die Schweizer Regierung tatenlos zuschaut, wie ihre Rechtssouveränität gevögelt wird. Wie zwei Rechtsanwälte fertiggemacht werden, ohne dass sie jemals eines Vergehens oder gar Verbrechens überführt wurden, ohne dass gegen sie ein Straf- oder Zivilverfahren läuft.

Und das ist schlichtweg eine Sauerei. Eine zweite Sauerei ist, dass ausser der NZZ (und der «Weltwoche», dank ZACKBUM-Redaktor René Zeyer) kein einziges Schweizer Medium auf diesen Skandal aufmerksam macht. Dabei ist dieses Problem ein wenig wichtiger als die Frage, ob man den idiotischen Genderstern verwenden sollte oder nicht.

Bravo, «Blick»

Ob die oberste Chefin mit ihrem neuen hohen Amt so ausgelastet ist, dass der «Blick» zu alten Formen aufläuft?

Gut, es ist keine Original-Story, sondern wurde vom «Beobachter» übernommen. Aber viel mehr zu meckern gibt es nicht.

Einleitend weist Lukas Lippert auf die düsterste Dunkelkammer der US-Administration hin: «Es ist wohl die gefürchtetste Liste der Welt. Wer auf der Russland-Sanktionsliste des Office of Foreign Assets Control (Ofac) landet, ist so gut wie erledigt. Wer bei den Amerikanern als Feind gilt, mit dem will niemand mehr etwas zu tun haben, vor allem keine Bank.»

Das Problem mit der Ofac ist: niemand weiss, aus welchen Gründen man auf deren schwarze Liste kommt. Was aber jeder, der drauf ist, weiss: man kommt fast nicht mehr runter, es gibt kaum rechtlichen Möglichkeiten. Selbst wenn eine Namensverwechslung dazu führte. Und anschliessend wird das Leben zur Hölle.

Die Sanktionen von angeblichen Feinden der USA mag theoretisch Sinn machen. Aber: «Doch in der Schweiz scheint man vergessen zu haben, dass es auch noch einen Rechtsstaat gibt. Das zeigt der Fall von Bruno Koller.»

Plötzlich war der Schweizer Geschäftsmann samt seiner Firma auf dieser schwarzen Liste. Das merkte er daran, dass seine Kreditkarte nicht mehr funktionierte. «Warum er auf der Liste steht und was ihm vorgeworfen wird, ist ihm bis heute nicht klar. Er erhält dazu keine Informationen von der US-Behörde.»

Hinzu kommt, dass seine Firma Konkurs ging, er von der AHV und Pensionskasse lebt.

«Er wird auch weder von der Schweiz noch von der EU sanktioniert. Es läuft kein Strafverfahren. «Ich habe nichts falsch gemacht», sagt er. Trotzdem ist nun auch die letzte Bank, bei der er ein Konto hatte, vor den Amerikanern eingeknickt – offenbar auf Druck der Schweizer Aufsichtsbehörde.»

Kafkaesk: sowohl AHV wie Pensionskasse machen keine Barauszahlungen, sondern nur Überweisungen auf ein Konto. Erst auf Intervention des «Beobachter» geht es dann doch per Barcheck. Das ist aber kein Einzelfall, auch einem anderen von den USA sanktionierten Rentner wurde sein Konto gekündigt, was aber das Handelsgericht Bern zurückwies.

Die Postfinance hatte argumentiert, «dass ihr «schwerwiegende Rechts- und Reputationsschäden» drohten und ein «massiver Abklärungsaufwand» bei jeder Kontobewegung bestehe. Darum verweigerte sie die Kundenbeziehung, auch wenn sie eigentlich eine gesetzliche Grundversorgungspflicht hätte

Schon der reiche Russe Viktor Vekselberg musste bis vors Bundesgericht, um sich ein Konto im Rahmen der Versorgungspflicht der Postfinance zu erstreiten.

Ins Bild passt auch, dass die Staatsbank vor einigen Jahren plötzlich alle Geldüberweisungen nach Kuba einstellte. Obwohl das – in jeder Währung der Welt, ausser US-Dollar – völlig legal ist und von vielen Banken ausserhalb der Schweiz ausgeführt wird. Mit diesem Entscheid der Postfinance gerieten nicht nur NGO, sondern auch Schweizer Geschäftsleute in die Bredouille, die plötzlich ihren Zahlungsverpflichtungen aus Geschäften auf Kuba nicht mehr nachkommen konnten. Weil die Postfinance die letzte Schweizer Bank war, die diese Dienstleistung noch anbot.

Seit dem Steuerstreit gibt es wohl nichts Feigeres als Schweizer Banken, die in vorauseilendem Gehorsam alles dafür tun, um Liebkind bei den Amis zu sein. Der Schweizer Rechtsstaat ist ihnen dabei furzegal.

Ein Bravo für den «Blick», auf solche Missstände hinzuweisen.

Rechtsverständnis

Die Sanktionen gegen Russland ritzen den Rechtsstaat.

Die Auswirkungen der Sanktionen auf die russische Wirtschaft sind sehr überschaubar. Dank Mulitmilliardeneinnahmen aus Rohstoffverkäufen in neue Richtungen klingelt das Geld in der Kasse des russischen Staates.
Die Auswirkungen der Sanktionen auf den Schweizer Rechtsstaat sind gigantisch. Und bedenklich.

Zunächst übernimmt der Bundesrat unbesehen sämtliche Sanktionen der USA und der EU. Theoretisch prüft er sie, praktisch winkt er sie durch. Damit ist nicht zuletzt die Schweizer Neutralität in Frage gestellt.

Dann haben von ihnen Betroffene keinerlei Möglichkeit zur Gegenwehr. Ein rechtsstaatlich unmöglicher Zustand. Russe, reich, Oligarch. Das genügt, damit das Eigentumsrecht ausser Kraft gesetzt wird. Schlimmer noch: gegen solche Arrestierungen oder Beschlagnahmen kann kein Rechtsmittel eingelegt werden. Das Buebetrickli: es handelt sich um Beschlüsse des Bundesrats. Dagegen kann kein Gericht angerufen werden, das Parlament kann auch nicht eingreifen.

Wenn sich ein Betroffener an den Bundesrat direkt wendet, werden seine Schreiben schlichtweg in den Papierkorb geworfen, Antworten gibt es nie.

All das sind rechtsstaatlich mehr als fragwürdige Zustände. Aber es geht noch schlimmer.

Da sich die Sanktionen als untauglich erweisen, werden sie ständig verschärft. Alleine die EU hat bislang 1435 Sanktionen gegen Russland erlassen. Gerade hat sich die dsyfunktionale Staatengemeinschaft auf ein 13. Sanktionspaket verständigt. Es wird wie seine Vorgänger in der EU mehr Schäden anrichten als in Russland. Es wird sicherlich ohne zu zögern auch in der Schweiz angewendet.

Rechtsstaatlich besonders empörend ist die Bestimmung, dass Schweizer Anwälte russischen Firmen nicht rechtlich beistehen dürfen. Berät ein Schweizer Anwalt eine Firma mit Niederlassung in Russland, droht ihm eine Gefängnisstrafe von maximal einem Jahr.

Das will nun ein Parlamentarier abschaffen. Dafür kassiert Beat Rieder, Mitte-Ständerat aus dem Wallis, bereits steifen Gegenwind. Er konstatiert: «Wegen des Ukraine-Kriegs werden jetzt überall Grenzen überschritten, deren Überschreiten vor einigen Jahren noch unvorstellbar gewesen wäre.»

Immerhin bekommt Rieder Unterstützung vom FDP-Vizepräsidenten Andrea Caroni, der im Tagi so zitiert wird: ««In unserem Rechtsstaat gewähren wir allen einen Rechtsbeistand. Das gilt sogar für Terroristen, Mafiosi und Kriegsverbrecher. Das können wir nicht einzig russischen Sanktionierten verwehren.» Caroni, ebenfalls Rechtsanwalt von Beruf, betont, er stehe hinter allen anderen Sanktionen. Aber diese gehe zu weit.»

Von den Befürwortern werden Feinheiten wie die angeführt, dass schliesslich nur Rechtsberatung verboten sei, käme es zu einem Gerichtsverfahren, dürfe dort ein Anwalt tätig werden. Absurde Haarspaltereien.

Noch schlimmer als diese Verletzungen des Rechtsstaats, um einen Unrechtsstaat bzw. unbescholtene Firmen und Einzelpersonen zu sanktionieren, sind die hysterischen Reaktionen der Befürworter. So sagt die SP-Ständerätin Franziska Roth im «Tages-Anzeiger»: ««Schweizerische Anwälte sollen Verbrechern und Embargo-Brechern weiterhin beim Verstecken ihrer Reichtümer helfen – das ist es, was die Motion fordert.» Dies sei nicht nur aussenpolitisch, sondern auch sicherheitspolitisch fatal: «Die Sicherheit Europas und der Schweiz hängt auch davon ab, dass die Embargo-Beschlüsse gegen die Putin-Freunde tatsächlich wasserdicht umgesetzt werden.»»

Die Sicherheit der Schweiz hängt in erster Linie und vor allem davon ab, dass sie ein Rechtsstaat ist und bleibt.

Man sieht hier nicht zum ersten Mal, wie dünn die Firnis ist, die bei vielen Menschen ihr Verhältnis zum Rechtsstaat bedeckt. Geht es um Russland, verschwindet die blitzschnell, dahinter kommt Hässliches zum Vorschein. Willkür, die Umkehrung der Unschuldsvermutung, ein Sanktionierter ist durch Zugehörigkeit zu einer Ethnie schuldig und kann nicht einmal seine Unschuld  beweisen. Rechtliche Unterstützung ist ihm auch zu verweigern, diesem Paria, diesem Verbrecher durch Nachnamen.

Solche Zustände herrschen in Unrechtsregimes wie in Russland. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Schweiz wie Russland sei. Aber die Prinzipien des Rechtsstaas sind unser einziger und letzter Schutzwall vor Faustrecht und Barbarei, vor der politischen Auslegung von Gesetz und Recht, wie es gerade in den Kram passt.

«Nur ein starker Staat kann die vereinbarten Normen durchsetzen», tönt Roth auf ihrer Webseite. Vielleicht erklärt sich ihr Ausbruch gegen fundamentale Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit so: «Bevorzugtes Essen und Getränk: Hauptsache ein Glas Rotwein, alles andere ist Beilage.»

Denn zu diesen Normen gehört, dass jeder Mensch das Recht auf die Vertretung durch einen Anwalt hat. Aber für Roth ist das offenbar eine Floskel, die man in US-Krimis hört, die aber in der Schweiz keine Gültigkeit habe. Verbrecher, Embargo-Brecher, Mörder, Pädophile – auch betrunkene Autofahrer – alle haben das Recht auf einen Anwalt. Und kann man sich keinen leisten, wird er gestellt. Punkt.

Wer hinnimmt, dass Sanktionen gegen einen Unrechtsstaat den Schweizer Rechtsstaat beschädigen, hat eigentlich im Ständerat nichts zu suchen.

 

Von Juden und Russen

Trigger-Begriffe triggern immer.

Aus diesem Grund vermeidet ZACKBUM weitgehend  Vergleiche mit angebräunten Zeiten. Alles Wohlfeile «das erinnert an Hitler-Deutschland» ist mit äusserster Vorsicht zu verwenden. Denn das Jahrhundertverbrechen des Holocaust darf niemals relativiert werden.

Das bedeutet aber nicht, dass Israel nicht kritisiert werden darf. Hier wird die Holocaust-Keule wohlfeil eingesetzt, um eine kritische Berichterstattung über israelische Verbrechen in den illegal besetzten Gebieten totzuschlagen.

ZACKBUM hat es gewagt, die Frage zu stellen, ob Russen die neuen Juden seien. Dem wird sofort entgegengehalten, dass bislang Russen im Westen sicherlich nicht in KZs gesperrt werden oder gar vergast.

Das ist richtig, aber das ist in diesem Vergleich auch nicht enthalten. Der Vergleich in Frageform bezieht sich darauf, dass vor der Vernichtung auch bei Juden zunächst die Enteignung stand. Oder wie das Raoul Hilberg in seinem unübertroffenen Werk «Die Vernichtung der europäischen Juden» formulierte: Die Vernichtungslogik der Nazis gegen die Juden war: Zuerst «Ihr dürft nicht so sein, wie ihr seid.» Dann: «Ihr dürft nicht unter uns sein.» Schliesslich: «Ihr dürft nicht sein.»

Der Diskurs der Ausgrenzung wurde schon von Adolf Muschg als «eine Form von Auschwitz» denunziert, was zu einem Aufschrei der Betroffenen führte, aber eine völlig richtige, zugespitzte Beobachtung ist.

In unserem Artikel «Sind Russen die neuen Juden?» haben wir in vollem Bewusstsein des Minenfelds, das man mit solchen Vergleichen betritt, logisch unbestreitbar argumentiert:

Die Zugehörigkeit zur vage definierten Gruppe «reicher Russe» reicht inzwischen, um generell, nicht im Einzelfall einen «Generalverdacht» zu unterstellen. Wer alleine durch diese Eigenschaft auf eine Sanktionsliste gerät (indem er zum Beispiel mit dem Namen identifizierbar auf einer Forbes-Liste der Reichen auftaucht), dessen Besitztümer werden beschlagnahmt. Präventiv.

In Umkehr der Unschuldsvermutung. Schuldig, bis der Betroffene das Gegenteil beweisen kann. Jede Versuche der Gegenwehr, beispielsweise völlig legale Holding- oder Truststrukturen, werden als weiterer Beweis der hinterfotzigen Gerissenheit ausgelegt. Politiker fordern, dass unter Verletzung aller rechtsstaatlicher Grundprinzipien im Namen des angeblich Guten kurzer Prozess mit russischen Vermögenswerten gemacht werden soll.

Sie sollen nicht nur beschlagnahmt und enteignet werden. Sie sollen sogar als angebliche Wiedergutmachung der korrupten, autokratischen ukrainischen Regierung zur Verfügung gestellt werden. Nach der Devise: Russe, reich, Räuber. Wer Russe ist, dazu reich und im Vertrauen auf den Rechtsstaat im Westen lebt, soll erleben, dass hierzulande die Eigentumsgarantie die gleiche Gültigkeit hat wie in Russland.

Als Gipfel der Unverschämtheit haben von den Sanktionen Betroffene in der Schweiz keine Möglichkeit, sich gegen Willkürmassnahmen zu wehren. Der Rechtsweg ist ihnen verwehrt, sie können kein Gericht anrufen, um sich gegen staatliche Enteignung und Beschlagnahmung zu wehren. Der Bundesrat hat die Gewaltenteilung ausgehebelt und spielt Legislative, Exekutive und Judikative in Personalunion.

Schlimmer noch, versucht sich ein Betroffener gegen diese ohne Überprüfung übernommenen Sanktionen der EU oder der USA zu wehren, kann er nur an den Bundesrat gelangen. Der die Anfragen und Anträge nicht beantwortet und in den Papierkorb schmeisst.

Die Hysterie gegen alles Russische umfasst – eine weitere Analogie – nicht nur Oligarchen, sondern alles Russische. Kultur, Kunst, Musik, Literatur, Malerei. Alles.

Ist es nun statthaft, diese Verwilderung des Rechtsstaats, die Aufhebung der Gewaltenteilung, die Umkehr der Unschuldsvermutung, die Schuldvermutung qua Teilhaberschaft an einer stigmatisierten Gruppe, mit dem Vorgehen des Dritten Reichs in den Anfängen der Judenverfolgung zu vergleichen?

Als die Gesetze zur Enteignung von Juden erlassen wurden, als ihre Entrechtung begann, war die Wannsee-Konferenz noch in weiter Zukunft. Sind fand erst 1942 statt. Erst hier wurde aus «ihr dürft echt so sein, wie ihr seid», aus « ihr dürft nicht unter uns sein» das endgültige «ihr dürft nicht sein».

Wer den begründeten Vergleich der Behandlung von reichen Russen heute mit der Behandlung von reichen Juden damals zieht, tut nichts Unstatthaftes. Er relativiert nicht den Holocaust, weil niemand auf die Idee käme, als nächste Handlung gegen reiche Russen deren Einlieferung in Arbeits- oder gar Todeslager zu prognostizieren.

Aber die Art der Enteignung, der Entrechtung, der Aufhebung rechtsstaatlicher Prinzipien, der Ersatz der individuellen Unschuldsvermutung durch eine kollektive Schuldvermutung, eben der «Generalverdacht», das riecht nicht nur angebräunt und angebrannt, das ist bräunlich, widerlich und faschistoid.

Sind die Russen die neuen Juden?

Achtung: ein gewagter, aber begründbarer Vergleich in Frageform.

Schlupflöcher schliessen, Sanktionen verschärfen, Vermögen beschlagnahmen. Russe, reich, zwei ausreichende Gründe, den Rechtsstaat in die Tonne zu treten. Zumindest fordern das einige.

Der «Tages-Anzeiger»-Konzern hat vor der Parlamentsabstimmung über die mögliche Waffenlieferung an die Ukraine via Drittstaaten eine Kampagne gefahren, um den Befürwortern Schub zu geben. Vergeblich, die «Lex Ukraine» scheiterte im Nationalrat endgültig und ist vom Tisch.

Der Druck aus dem Ausland auf die Schweiz steigt, dass sie sich energischer an den Sanktionen gegen Russland beteiligen solle, jegliche Vermögenswerte russischer Firmen oder Personen im Zugriffsgebiet der Schweiz sollten am besten beschlagnahmt werden. So behauptet ein kleines US-Licht im «Tages-Anzeiger»: «Neutralität hilft nur noch Moskau». Die Schweiz solle alle russischen Vermögen suchen und «aktiv prüfen». Sie stünden «seit letztem Jahr unter einem Generalverdacht».

Es ist den USA – oder der EU – unbenommen, in ihren Herrschaftsgebieten ein paar rechtsstaatliche Grundsätze über Bord zu werfen. Damit beschädigen sie zwar die Fundamente des zivilisierten Zusammenlebens, aber da wollen wir uns nicht einmischen.

Wir wollen aber nochmals darauf hinweisen, dass die deutschen Rüstungsmittelexportgesetze genau wie die schweizerischen glasklar die Ausfuhr von Waffen in Kriegs- oder Krisengebiete untersagen. Natürlich auch via Drittländer, sonst hätten diese Restriktionen ja ein Loch, grösser als ein Scheunentor. Nun hält sich Deutschland nicht an seine eigenen Gesetze.

Auch das ist deren Problem, obwohl Deutschlands historisch gesehen recht kurze Geschichte als Rechtsstaat die Regierenden davon abhalten sollte, einen solchen Murks zu veranstalten. Aber immerhin hat der Schweizer Bundespräsident Alain Berset bei einem Besuch in Berlin gegenüber dem deutschen Bundeskanzler Scholz klargestellt, dass sich die Schweiz an ihre Gesetze halte. Eigentlich eine überflüssig-selbstverständliche Bemerkung. Aber nicht mehr in den heutigen Zeiten.

Auch beim Treffen von 45 Regierungs- und Staatschefs in der Moldau hat Berset dem teilnehmenden Selenskyj zu erklären versucht, was die Schweizer Neutralität ist, was in ihr erlaubt ist und was nicht. Ob das der autokratische Präsident eines zutiefst korrupten Staates verstanden hat?

Aber das ist dessen Problem. Die Schweiz hat ihre eigenen. Vor allem zwei. Nicht nur aus dem Ausland, konkret von den G-7-Staaten, wird der Druck auf die Schweiz erhöht, sich über klare Vorschriften und Gesetze hinwegzusetzen. Nach der Devise: der gute Zweck, die Bestrafung Russlands für seine Ukraine-Invasion, heilige auch schlechte Mittel. Das wird leider auch in der Schweiz von einigen Medienschaffenden befürwortet. Sowohl, was Waffenlieferungen betrifft, wie auch, was eine illegale Ausweitung der Sanktionen betrifft.

Dabei ist die unkritische und ungeprüfte Übernahme von USA- und EU-Sanktionen schon für sich rechtsstaatlich mehr als fragwürdig. Unser zweites Problem: Der Bundesrat beschliesst das in eigener Regie. Das Parlament hat kein Mitspracherecht, die Betroffenen können nicht den Rechtsweg beschreiten. Ihnen wird also ein fundamentales Recht des Rechtsstaats genommen. Jeder, der vor allem von einer staatlichen Zwangsmassnahme betroffen ist, kann sich vor Gericht dagegen wehren. Hier aber nicht.

Der Bundesrat masst sich die Kompetenzen der Legislative und der Judikative an. Wer sich mangels Alternativen als Betroffener von Sanktionen an ihn wendet, bekommt schlichtweg keine Antwort. Das ist schrecklich, eines Rechtsstaats unwürdig.

Aber das ist erst der Anfang dieses Irrwegs. Die Stimmen werden immer lauter, die fordern, dass alle jüdischen, Pardon, russischen Vermögen unter einen Generalverdacht gestellt werden. Nach der einfachen Devise: Russe, reich, Räuber.

Es gibt fundamentale Prinzipien eines funktionierenden Rechtssystems. Dazu gehört die Unschuldsvermutung. Niemand muss seine Unschuld beweisen, jedem muss seine Schuld über jeden vernünftigen Zweifel hinaus nachgewiesen werden. Im Zweifel für den Angeklagten; sollte es an seiner Schuld doch noch Zweifel geben, ist zu seinen Gunsten zu entscheiden, nicht gegen ihn. Dann braucht es einen Anfangsverdacht, und der darf nicht aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe bestehen. Solche Zustände hatten wir zuletzt in den dunklen, braunen Zeiten, als in Deutschland und darüber hinaus jeder Jude unter dem Generalverdacht stand, seine Besitztümer unrecht erworben zu haben – weshalb man sie ihm skrupellos und ohne die Möglichkeit zur Gegenwehr wegnehmen konnte.

Jüdische Vermögen standen damals auch unter einem «Generalverdacht». Besonders kritisiert wurde, dass Juden versuchten, ihre Besitztümer in Sicherheit zu bringen. Typisch, verschlagen, hinterlistig. Schon damals mit entsprechenden Konstrukten wie Trusts, Holdings und Auslagerungen. Was völlig legal war. So wie solche Konstruktionen heute völlig legal sind, auch wenn sie von Russen verwendet werden. Ausser, man kann im Einzelfall beweisen, dass es zu illegalen Taten kam. «Reicher Russe, das reicht», das kann ja nicht im Ernst das Prinzip eines Rechtsstaats sein. Auch nicht: «der wurde mal im gleichen Raum wie Putin gesichtet, das reicht doch.»

Wer so argumentiert, beschädigt den Rechtsstaat. Er wird zum Antidemokraten, wenn er darüber hinaus die Schweizer Neutralität für obsolet erklärt, Ausnahmen machen möchte. «Neutralität hilft Moskau», dieser Satz ist so dümmlich, wie wenn zu Zeiten des Dritten Reichs gesagt worden wäre: «Neutralität hilft Berlin, hilft Hitler». Natürlich hat die Schweizer Neutralität nicht dabei geholfen, Hitler zu besiegen. Aber sie hat immerhin das unbeschädigte Überleben der Schweiz ermöglicht, was bei allen unschönen Dingen damals keine kleine Leistung war.

Schon jetzt wird die Neutralität der Schweiz von Russland nicht mehr anerkannt, weil die Eidgenossen die Sanktionen übernehmen, obwohl sie nicht vom UN-Sicherheitsrat beschlossen wurden. Dass das nie passieren wird, ist keine Schweizer Schlaumeierei, sondern ein Konstruktionsfehler dieses UNO-Gremiums mit den Vetorechten der Supermächte.

Wer angesichts angeblich besonderer, spezieller, einmaliger Umstände eine Ausnahme vom Prinzip fordert, beschädigt dieses Prinzip schwer. Ohne dass damit der Ukraine gross geholfen oder Russland grosser Schaden zugefügt worden wäre.

Der Hinweis hilft sicherlich, dass das ganze Gedöns über Sanktionen und Waffenlieferungen von haargenau 10 Staaten der Welt aufgeführt wird, wenn wir die EU als eine Union betrachten. Über 160 Staaten, darunter Schwergewichte wie China, Indien oder Brasilien, haben sich dieser Politik nicht angeschlossen. Warum genau sollte es die Schweiz tun, unter Aufgabe ihrer Neutralität und ihrer rechtsstaatlichen Prinzipien?

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Stefan Millius

Quo vadis, NZZ?

Neben viel Intelligentem gibt es immer wieder bestürzend Dummes.

Der Kommentar «Noch nie ging es Frauen so gut» von Birgit Schmid in der NZZ strotzt vor Intelligenz, gutem Sprachgebrauch und Argumenten. Sie zerlegt die neue Weinerlichkeit, zu der europäischer, Schweizer Feminismus denaturiert ist. Je mehr er Phantomschmerzen bejammert, desto hysterischer wird er.

Damit zeigt Schmid auch durchaus Mut; logisch, wird ihr kleines Wunderwerk in feministischen Kreisen mit finsterem Schweigen beantwortet; dort bereitet man sich bereits auf den «Frauenstreiktag» am 14. Juni vor.

Auch viel Mut zeigt Andreas Rüesch mit seinem NZZ-Kommentar «Mehr Freiheit, weniger Neutralität». Allerdings ist es bei ihm Mut zur offen gezeigten Dummheit. Im Titel missbraucht er den alten FDP-Slogan «Mehr Freiheit, weniger Staat». Wie soll nun aber mehr Freiheit durch weniger Neutralität entstehen? Angesichts des Ukraine-Kriegs diagnostiziert Rüesch in der Schweiz «zwei Lager: die Fundamentalisten und die Schlaumeier». Mit diesen beiden abwertenden Begriffen meint er die Verteidiger der strikten Neutralität, die auch gegen Wirtschaftssanktionen gegen Russland seien. Und diejenigen, die eine «Lockerung» der Neutralität anstrebten, damit die Ukraine sogar mit Waffenlieferungen direkt oder indirekt unterstützt werden könnte.

Beides sei falsch, denn: «Neutralität ist nur so lange etwas wert, als sie vom Ausland anerkannt und geschätzt wird. Das trifft je länger, je weniger zu», weiss Rüesch, bleibt aber jeden Beweis dafür schuldig. Stattdessen greift er weit in die Geschichte zurück und wiederholt Altbekanntes, von 1689 an. Dann springt er schnell zur Nachkriegsordnung nach 1945, lässt aber beispielsweise den Vertrag von Versailles von 1919 aus, in dem die Neutralität der Schweiz «zum Zweck der Aufrechterhaltung des Friedens» anerkannt wurde.

Nach dieser selektiven Auswahl aus der Geschichte meint Rüesch, durch Wiederholung werde sein Argument besser: «Unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges nähert sich das ausländische Verständnis für die schweizerische Neutralität jedoch dem Nullpunkt. Aus den USA und der EU hagelt es Kritik an einer Politik, die als unsolidarisch und egoistisch betrachtet wird. Der ganze Westen hat sich angesichts der Bedrohung aus Russland einen Ruck gegeben, nur die Schweiz scheint die Zeitenwende zu verschlafen.»

Deutschland zum Beispiel hat sich den Ruck gegeben, die eigenen Waffenexportgesetze über Bord zu werfen; die USA geben sich gerade den Ruck, die Lieferung von Kampfflugzeugen nicht mehr kategorisch auszuschliessen. Aber die Schweiz habe die «Zeitenwende verschlafen», dass Rechtsstaatlichkeit keine Rolle mehr spielen soll. Was für ein aufeinandergestapelter Unsinn.

Repetitiv salbadert Rüesch, dass auch «befreundete Staaten» angeblich «befremdet» darüber seien, was immerhin Bundesrat Alain Berset bei seinem Besuch in Deutschland mal wieder klargestellt hat: die Schweiz hält sich an ihre Gesetze. Punkt. Befremden, Kritik daran, dass die Schweiz ein Rechtsstaat ist, das sollte nun niemanden, auch Rüesch nicht, ernsthaft ins Wanken bringen.

Völlig unverständlich wird er, wenn er sogar einen «wachsenden Reputationsverlust» befürchtet, wenn «die Schweiz die Krise auszusitzen versucht und auf ihrer Tradition beharrt». Himmels willen, ist denn nun auch in der NZZ alles erlaubt? Das Befolgen von Gesetzen, die Anwendung der vertragliche garantierten Neutralität, mit der die Schweiz im Übrigen durch zwei Weltkriege hindurch nicht schlecht gefahren ist, sei nun «aussitzen» und «beharren auf Traditionen»? Soll man also nicht länger auf der Tradition beharren, die Bundesverfassung und andere Gesetze ernst zu nehmen und ihnen nachzuleben, auch wenn das als «aussitzen einer Krise» missverstanden wird?

Behauptungen statt Argumente, nun läuft Rüesch in die Zielgerade ein: «Eines ist klar: Die Neutralität hat ihre ursprüngliche Raison d’être längst verloren.» Wem ist das klar, wieso sollte das so sein, was hat sich geändert? «All dies ist passé, da unsere Nachbarn längst in Frieden miteinander leben. Die Schweiz ist nicht mehr neutral, weil sie damit einer Staatsräson folgt, sondern weil die Neutralität Teil einer kaum noch hinterfragten nationalen Identität geworden ist.»

Unsere Nachbarn leben zurzeit in Frieden miteinander. Entweder glaubt auch Rüesch an das Ende der Geschichte, oder aber, das könnte sich im Verlauf der kommenden Jahrzehnte durchaus wieder ändern. Man denke nur an die vielen internen Probleme, die sich in Italien, Frankreich, aber auch Deutschland aufstapeln.

Oder verlängern wir Rüeschs Gedankengang nicht in die Zukunft, sondern in die Vergangenheit. Laut ihm hätte sich die Schweiz also auch spätestens ab 1939 einen Ruck geben sollen, nicht länger auf überkommenen Traditionen verharren, den Zweiten Weltkrieg nicht «aussitzen», sondern die «Freiheit von Europa» nicht zuletzt mit Waffenlieferungen an die Alliierten stärken sollen? Selbst Rüesch sollte dazu in der Lage sein, sich auszumalen, was das bewirkt hätte …

Was wäre denn heute die Alternative zur angeblich obsolet gewordenen Neutralität? Da wirft Rüesch den nicht gerade originellen Begriff der «Bündnisfreiheit» in die Runde. Genauer: Die Schweiz könne «gefahrlos ihre Politik der dauernden Neutralität aufkündigen und zu einer fallweisen, «einfachen» Neutralität übergehen».

Jetzt ist die Katze aus dem Sack. Neutralität von Fall zu Fall. Das passt zu Rechtsstaatlichkeit von Fall zu Fall.  Und wer oder was entscheidet, wann man es mal nicht so eng sehen sollte mit der Neutralität? «Der jetzige Fall eines Aggressionskrieges in Europa, der auch Schweizer Interessen mit Füssen tritt, wäre das Paradebeispiel einer solchen Konstellation.»

Pardon, welche Schweizer Interessen werden durch die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine «mit Füssen getreten»? Laut Rüesch in erster Linie die Interessen der Schweizer Rüstungsindustrie: «Die Schweiz bliebe frei von Bündnispflichten, aber sie gewänne ungeahnte Freiräume in der Verfolgung ihrer Interessen hinzu, erlöst aus der Zwangsjacke ihrer bisherigen Aussenpolitik. Zugleich öffnete sich ein Weg, um die Freiheit Europas zu stärken – mit der Lieferung von Militärmaterial an die Ukraine, die in ihrem Überlebenskampf auch auf die Schweiz angewiesen ist

Ohne Schweizer Hilfe könnte die Ukraine ihren Überlebenskampf verlieren, mit ihr gewinnen? Welch ein unfassbarer Unsinn.

«Zwangsjacke, erlöst, Freiheit» für Waffenhändler und -hersteller? Was für ein armseliges Bild soll die Schweiz abgeben, wenn es nach Rüesch ginge. Glücklicherweise geht es nicht nach ihm; aber dass ausgerechnet die NZZ ihm den Platz einräumt, diesen Anschlag auf die Fundamente des Schweizer Rechtsstaats zu unternehmen und ungeniert die Interessen der Schweizer Rüstungsindustrie zu vertreten, das ist beunruhigend.

 

Wumms: Fabian Renz

Bei Tamedia ist inzwischen alles erlaubt.

Dann lümmelt er weiter: «Von der Schweiz haben die Angegriffenen in der Ukraine nichts zu erhoffen und die russischen Aggressoren nichts zu befürchten. Stattdessen werden wir pflichtschuldig beiden Seiten unsere Guten Dienste anbieten. Die Neutralität zeigt wieder mal ihr kaltes Zahnpastalächeln

Ob diese Zügellosigkeit, diese Rechtsfeindlichkeit, diese erschreckende Nonchalance, dieses kalte Lächeln womöglich ungeputzter Zähne gegenüber dem Rechtsstaat erlaubt ist, weil mit Raphaela Birrer eine schwache Chefredaktorin eingesetzt wurde? Renz führt dann seinen Feldzug gegen gültige Gesetze bezüglich Rüstungsmittelexport, gegen die Regeln der Schweizer Neutralität fort: «Sollte ein Staat der Ansicht sein, die Schweiz verletze das Neutralitätsrecht, könnte er Klage erheben. Dieses Risiko dürften wir angesichts des Ukraine-Kriegs eingehen

Verstehen wir ihn richtig? «Die Schweiz», also Renz, möchte gerne gültige Gesetze in die Tonne treten und dann schauen, ob jemand dagegen klagt? Der Mann muss verbotene Substanzen eingenommen haben, anders lässt sich dieser Ausraster nicht erklären.

Waffenexporte in Kriegsgebiete, an eine kriegsführende Partei sind verboten. Auch über Drittstaaten, sonst gäbe es dort ein scheunentorweit klaffendes Loch in diesem Gesetz. Um das zu kapieren, muss man nicht Journalismus studiert haben. Ein Restbestand von gesundem Menschenverstand reicht.

Aber bei Renz geht Rechtsstaat so: Also gut, Diebstahl ist verboten. Aber für eine gute Sache klaue ich mal ein Portemonnaie. Wenn jemand denkt, das sei ein Gesetzesverstoss, dann soll er doch klagen.

Wahnsinn ohne Methode, unglaubliche Zustände im Hause Tamedia. Es deutet alles darauf hin, dass Pietro Supino völlig die Kontrolle verloren hat. Oder aber, es ist ihm völlig schnurz, was in seinen Blättern publiziert wird.

Recht und Moral

Wenn Moral Recht fordert, gebiert sie Unrecht. Der Sonntag am Montag.

Strafrechtsprofessor Marcel Niggli sagt einen Gedanken für die Geschichtsbücher:

«Wir wissen bei Gesetzen genau, woran wir sind. Das Recht unterscheidet – anders als die Moral – klar zwischen weiss und schwarz: Das ist erlaubt, das ist nicht erlaubt. Es gibt keine Grauzonen.»

Eigentlich ist es unglaublich, dass nach rund 2000 Jahren des Versuchs der Verfestigung von Rechtsstaatlichkeit dessen Fundamente so nonchalant von so vielen über Bord geworfen werden. Dazu gehört eine ganze Latte von Journalisten, die gewissenlos, aber moralgedopt sich über fundamentale Prinzipien des Rechtsstaats hinwegsetzen wollen.

Dazu gehören Politiker, die als Opportunisten, als Windfähnchen oder gar aus Überzeugung fordern, dass sanktionierte Gelder von reichen Russen an die Ukraine ausgehändigt werden sollten. Dazu gehört sogar ein völlig verpeilter Strafrechtsprofessor, der unter gewaltsamem Umbiegen von eigentlich klaren Gesetzesartikeln behauptet, es gäbe sogar rechtliche Grundlagen für einen solchen Diebstahl und für eine solche Fehlverwendung vieler Millionen.

Alleine schon, dass Mark Pieth so etwas sagen kann (was natürlich sein Recht im Rahmen der Meinungsfreiheit ist), ohne dass ihm Titel und Würden abgesprochen werden, ist ein Skandal. Das ist so, wie wenn ein Herzchirurg sagen würde, dass er es für möglich hält, ein krankes Herz durch Gesundbeten zu heilen.

Hingegen muss jeder Staatsbürger die Ansicht von Niggli teilen: der Wunsch nach Einzug russischer Vermögen mittels Gesetzesänderung «würde die Abschaffung der Gesetze bedeuten. Wenn die Schweiz den Rechtsanspruch auf Eigentum aufhebt, würde ich auswandern.»

Schon das (existierende) Sanktionsgesetz ist ein rechtlicher Grenzfall. Es hebt nämlich ein paar fundamentale Prinzipien auf. Zum Beispiel die sonst zwingende Vorschrift, dass niemand seine Unschuld beweisen muss. Wenn aber Eigentum sanktionierter Personen beschlagnahmt wird, geschieht das ohne einen individuellen Schuldnachweis, sondern nur aufgrund der Zugehörigkeit zu einer unscharf definierten Gruppe.

Es muss leider gesagt sein: das letzte Mal wurde in dunklen Zeiten mit Juden so umgesprungen. Wobei wir alle uns einig sind, dass es sich damals um einen Unrechtsstaat handelte und um ein Verbrechen.

Genau gleich verhält es sich mit der Forderung nach Schweizer Waffenlieferungen an die Ukraine. Dass geistige Tiefflieger wie Sanija Ameti die sofortige Lieferung von Schweizer Panzern für die Verlängerung des Krieges dort fordern, ist nicht weiter bedenklich; sie weiss es nicht besser.

Dass diese Forderung aber auch von ansonsten ernst zu nehmenden Politikern bis ins bürgerliche Lager hinein erhoben wird, zeigt ebenfalls ein bedenkliches Verhältnis zum Schweizer Rechtsstaat, dessen Gesetze das eindeutig, glasklar und nicht wegschwurbelbar verbieten.

Das vor allem von Publizisten angemerkt wird, dass doch das Ausland den Kopf über die Schweiz schüttle und deren «Abseitsstehen» verurteile, ist an Dummheit und Arroganz nicht zu überbieten. Das Ausland schüttelt den Kopf darüber, dass sich die Schweiz an ihre Gesetze hält? Deutschland schüttelt den Kopf, das sich selbst nicht an seine Kriegsmaterialexportgesetze hält?

In welcher Welt leben wir eigentlich? Selbst Franz Josef Strauss, sonst nicht gerade bekannt als unerbittlich gesetzestreuer Bürger, zitierte immer gerne den Satz: pacta sunt servanda. Vereinbarungen sind einzuhalten. Gilt diese Richtschnur unseres Handelns nicht mehr, fallen wir zurück in Barbarei, Faustrecht und Willkür.

Gerade Russland ist ein abschreckendes Beispiel dafür. Abgesehen davon, dass auch innerhalb der Landesgrenzen kein Rechtsstaat herrscht: der Überfall auf die Ukraine war nur möglich, weil sich Russland nicht an eigene Vereinbarungen gehalten hat, nämlich die verbindliche Zusicherung der Respektierung der territorialen Integrität der Ukraine. Abgesehen vom Bruch des Völkerrechts.

Aus solchen Rechtsbrüchen erwächst immer Unheil, Ungutes, Chaos, Leid, Zerstörung, Krieg.

Natürlich werden solche Verbrechen begründet. Russland sagt ja nicht: jawohl, wir sind wortbrüchig geworden und entgegen allen Gesetzen in der Ukraine eingefallen. Russland bemäntelt dieses Verbrechen mit vielen Begründungen. Inklusive dem moralischen Recht, sich gegen ein angeblich faschistisches Regime mit Expansionsgelüsten wehren zu müssen.

Die Parallelen sind noch deutlicher. Die NZZ berichtet: «Wjatscheslaw Wolodin, Sprecher der Staatsduma, schlägt vor, das Eigentum von «Schurken» zu beschlagnahmen, die ins Ausland gegangen sind und den Krieg kritisieren.»

Fällt den moralinübersäuerten Schweizer Brandstiftern nicht auf, dass sie genau das Gleiche tun? Sie behaupten, aus angeblich übergeordneten moralischen Gründen gebe es sozusagen einen übergesetzlichen Notstand. Der Laie holzt sich einfach eine Begründung zu recht; «wer nicht die Ukraine unterstützt, unterstützt Putin», behauptet ein abgehalfterter Dummschwätzer.

Krude, krumme und fatale Gedanken wälzt auch der Parteichef der «Mitte». Nachdem Gerhard Pfister lange geschwiegen hat, ist er sich inzwischen sicher, woher der Wind weht und rhabarbert vor sich hin:

«Die Schweiz kennt die bewaffnete Neutralität. Sie muss sich angemessen verteidigen können. Die Schweiz und ihre Werte werden jetzt in der Ukraine mitverteidigt. Es liegt darum im Landesinteresse der Schweiz, die Verteidigung der Ukraine zu unterstützen. Darum ist das für mich ein Verteidigungsfall.»

Schweizer Werte werden in der Ukraine verteidigt? Also unter anderem Korruption, gekaufte Wahlen, Zensur, Aushebelung parlamentarischer Demokratie, Unterdrückung jeglicher Opposition? Der Letzte, der einen solchen Unsinn verzapfte, war der damalige deutsche Verteidigungsminister Struck: «Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird heute auch am Hindukusch verteidigt.» Nachdem Afghanistan für den Westen verloren ist, müsste nach dieser Logik Deutschlands Sicherheit flöten gegangen sein.

Noch fataler wird es, wenn sogar Rechtsgelehrte sich auf diesen Pfad ins Verderben begeben. Immerhin gab Tamedia Prof. Niggli Gelegenheit (wohl unseren Spuren folgend, denn wir haben ihn zuerst zu diesem Thema befragt), den absurden Behauptungen von Pieth entgegenzutreten.

Aber wir wissen aus Erfahrung, wie eine solche Umbiegung klarer Gesetzes funktioniert. Zunächst steht das Gesetz klar, eindeutig und unbeschädigt da. Dann kommen die ersten Rechtsverdreher und fummeln dran rum. Begleitet von Politikern, die mal dies oder das sagen. Dann wacht die Meute von journalistischen Lemmingen auf, die sich mit Moralin bis unter die Nase aufgepumpt und verantwortungslos fatale Forderungen aufstellen.

Dann kommen besonnene Worte, man müsse vielleicht zuerst das Gesetz ändern, dann ginge schon, was vorher eindeutig verboten war. Und am Schluss steht ein zuvor gut bekleideter Rechtsstaat in Lumpenfetzen gehüllt da. Und keiner dieser Idioten denkt über seine Nasenspitze hinaus, oder hört auf das, was Professor Niggli völlig richtig sagt:

«Heute geht es um ein paar Russen, aber morgen geht es vielleicht um Sie und mich. Denn die Politik sagt damit: Was Ihnen gehört, gehört Ihnen nur, solange es uns passt. Und sonst nehmen wir es Ihnen weg. Das ist eine beunruhigende Perspektive.»

Auch er zieht einen Vergleich, der in diesem Zusammenhang leider auf der Hand liegt:

«Die Enteignungsforderungen gegenüber den Russen bringen eine grosse Skepsis gegenüber dem Recht zum Ausdruck. Das erinnert mich an die Weimarer Republik in den 1930er-Jahren: Man schiebt die Paragrafen nonchalant zur Seite zugunsten von dem, was man für das politisch oder moralisch Richtige hält. Genau so wurde damals in Deutschland die Demokratie zerrieben und letztlich ausgehöhlt.»

Wer sich so an den Fundamenten des Rechtsstaats zu schaffen macht, unterhöhlt tatsächlich nicht einfach ein paar Paragraphen. Sondern die Demokratie, die Gesellschaft, das zivilisierte Zusammenleben.

Hier gibt es nur – wie damals – zwei Möglichkeiten: auswanden oder mit aller Kraft Widerstand leisten.

So steht’s im Gesetz

Wenn vermeintliche Moral wichtiger als Gesetzestreue wird …

… ist eine Gesellschaft in Gefahr, den Bereich des zivilisierten Zusammenlebens zu verlassen. Wenn Gesetze nicht mehr gelten oder umgebogen werden können, ist der Rechtsstaat in Gefahr.

Der Rechtsstaat ist unser einziger Schutzwall gegen Barbarei, Willkür und Faustrecht. Wohin es führen kann, wenn der Rechtsstaat nicht existiert oder dysfunktional wird, kann man bei allzu vielen Ländern der Welt beobachten. Nicht zuletzt in Russland oder der Ukraine. Beides zutiefst korrupte Regimes, wo fundamentale Prinzipien des Rechtsstaats nicht funktionieren.

Nun hat das eine Unrechtsregime das andere überfallen. Da das unter Bruch aller internationalen Verträge erfolgte, in denen Russland die territoriale Integrität der Ukraine zusicherte, ist das Putin-Regime noch mehr ein Paria als das Selenskyj-Regime. Ganz abgesehen davon, dass sich der Krieg in der Ukraine längst zu einem internationalen Konflikt ausgeweitet hat; ein typischer Stellvertreterkrieg wie weiland Korea oder Vietnam. Nur waren dort die USA der Invasor, der unzählige Kriegsverbrechen (Agent Orange, Flächenbombardierungen, Massaker) beging.

In all solchen Auseinandersetzungen der Grossen, der Atommächte, hat ein Kleinstaat wie die Schweiz aus reinem Selbsterhaltungsprinzip die Aufgabe, sich strikt an seine Gesetze zu halten – und sie gegen Angriffe von aussen (und innen!) zu verteidigen.

Nun wird seit einiger Zeit vor allem von der EU, aber auch von diversen politischen Parteien in der Schweiz, das «Bundesgesetz über das Kriegsmaterial» in Frage gestellt. Deutschland hat fast identische Bestimmungen, foutiert sich aber darum und liefert inzwischen sogar schwere Waffen wie Kampfpanzer an eine Kriegspartei. Seine Aussenministerin behauptet sogar, die EU befinde sich «im Krieg mit Russland».

Unglaubliche Zustände. Nassforsch fordert vor allem Deutschland von der Schweiz, dass die gefälligst auch auf ihre Gesetze scheissen solle. Verpeilte Kommentatoren behaupten, wer nicht Waffen an die Ukraine liefere, unterstütze Putin. Prinzipienlose Kommentatoren fordern, dass auch die Schweiz sofort und massiv Waffen an die Ukraine liefern soll. Zumindest der Weiterleitung von bereits exportiertem Kriegsmaterial an die Ukraine nicht im Wege stehen soll.

Nun heisst es im entsprechenden und gültigen Gesetz glasklar in Artikel 18:

«In der Regel kann eine Ausfuhrbewilligung nur erteilt werden, wenn es sich um die Lieferung an eine ausländische Regierung oder an eine für diese tätige Unternehmung handelt, und wenn eine Erklärung dieser Regierung vorliegt, dass das Material nicht wieder ausgeführt wird (Nichtwiederausfuhr-Erklärung).»

Glasklar, der nächste Absatz regelt noch präzise definierte, kleine Ausnahmen.

Artikel 22a definiert die «Bewilligungskriterien für Auslandgeschäfte»:

«Auslandsgeschäfte nach Artikel 22 und Abschlüsse von Verträgen nach Artikel 20 werden nicht bewilligt, wenn:
a. das Bestimmungsland in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist;
b. das Bestimmungsland Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzt;
c. im Bestimmungsland ein hohes Risiko besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wird; oder
d. im Bestimmungsland ein hohes Risiko besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial an einen unerwünschten Endempfänger weitergegeben wird.»

Auch hier gibt es nur eine klar definierte Ausnahme:

«Abweichend von Absatz 2 kann eine Bewilligung für Auslandsgeschäfte für Einsätze zugunsten des Friedens erteilt werden, die auf der Grundlage eines Mandats der Vereinten Nationen, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa oder einer supranationalen Organisation, deren Ziel die Friedensförderung ist, durchgeführt werden.»

Für jeden Laien ist verständlich: es ist ausgeschlossen, Kriegsmaterial an die Ukraine zu liefern. Es ist ausgeschlossen, den Wiederexport von an andere Länder geliefertes Schweizer Kriegsmaterial an die Ukraine zu bewilligen.

Das ist das Gesetz.

Gesetze kann man ändern. Entsprechende Bestrebungen sind im Gange, das ist völlig legitim. Aber bis dieser Prozess mit einer allfälligen Veränderung dieser Gesetze abgeschlossen ist, gelten sie.

Wer daran herumkrittelt, rabulistisch nach Schlupflöchern sucht, moralinsauer übergesetzliche Notwendigkeiten fabuliert, wer gar peinlich berührt davon ist, wenn das Ausland die Schweiz dafür kritisiert, sich an ihre Gesetze zu halten, ist ein gefährlicher Brandstifter im Rechtsstaat.

Darunter sind Politiker, Einzelmasken, die nach Aufmerksamkeit gieren, aber auch Rechtsgelehrte, die zu zeigen versuchen, dass man mit genügend Hinschmalz jedes Gesetz so umbiegen könnte, dass das Gegenteil seiner klaren Aussage gelten würde.

Und natürlich gibt es ein sich ständig vergrösserndes Heer von Schreibtischgenerälen, von schreibenden Kriegsgurgeln, von unerschrockenen Kämpfern am Sandkasten, die gerne Schweizer Waffen in der Ukraine sähen, die dafür sind, dass auch die neutrale Schweiz dafür sorgt, dass noch mehr gelitten, zerstört, getötet wird. Natürlich für eine gute Sache, was jedem Getöteten sicherlich ein gutes Gefühl mit ins Jenseits verschafft.

Die Empörung über das Unrecht, das Russland als Unrechtsstaat verursacht, darf nicht dazu führen, dass auch die Schweiz den Boden der Rechtsstaatlichkeit verlässt. Ein besonders abschreckendes Beispiel liefert gerade der Rechtsprofessor Mark Pieth, der sogar behauptet, dass die von reichen Russen in der Schweiz beschlagnahmten Werte gesetzeskonform enteignet, also gestohlen und an die Ukraine ausgehändigt werden könnten.

Das alles sind Anschläge auf den Schweizer Rechtsstaat. Hoffentlich bleibt er unberührt von diesem Wahnsinn. Falls nicht, ist das keine gute Nachricht für die Ukraine. Aber eine ganz schlechte für jeden Schweizer Staatsbürger.

Im Namen des Guten: Geld her!

Wird der Staat zum gemeinen Dieb?

Es gibt nur eine dünne rote Linie zwischen einigermassen zivilisiertem Zusammenleben und Willkür in der Barbarei. Die wird markiert durch die beiden Begriffe Rechtsstaat und Eigentumsgarantie.

Das ist so trivial und fundamental, dass es einem den Atem verschlägt, wenn man erleben muss, mit welcher Nonchalance darüber laut nachgedacht wird, diese rote Linie forsch zu überschreiten.

Flachdenker, Antidemokraten, fahrlässige Brandstifter und ungefestigte Schlawiner toben sich zurzeit auf zwei Gebieten aus. Zum einen befürworten sie lauthals Waffenlieferungen an die Ukraine. Von Schutzhelmen ist Deutschland bereits bei der Lieferung von Kampfpanzern angelangt. Dass seine Waffenexportgesetze das genauso klar untersagen – auch via Drittländer – wie die entsprechenden Bestimmungen in der Schweiz – scheiss drauf. Das sagen grüne Kriegsgurgeln und auch immer mehr Sozialdemokraten. Wie in der Schweiz.

Das Russland völkerrechtswidrig und unter Bruch internationaler Verträge über die Unantastbarkeit des ukrainischen Territoriums dort einmarschiert ist, Kriegsverbrechen begeht und Leid und Schäden ungeheuerlichen Ausmasses anrichtet, ist unbestritten.

Dass Russland – so wenig wie die Ukraine – kein Rechtsstaat ist, ist ebenfalls unbestritten. Darf das nun ein Grund für die EU, für Deutschland, für die Schweiz sein, ihre eigene Rechtsstaatlichkeit in die Tonne zu treten? Fraglos nein.

Darf man einen barbarischen Mörder ohne ordentlichen Prozess, bei dem er nicht seine Unschuld zu beweisen hat, barbarisch hinrichten? Fraglos nein. Darf man ihn ohne Beweise verurteilen, nur weil er angeblich zu einer Mörderbande gehört? Fraglos nein.

Darf man im Rahmen der Sanktionsgesetzgebung die Eigentumsgarantie aufheben? Da das gesetzlich vorgesehen ist, fraglos ja. Darf das ohne Nachweis in jedem individuellen Fall, dass diese Vermögen unrechtmässig erworben wurden, geschehen? Leider ja.

Bereits das ist die Wiedereinführung der Sippenhaft durch die Hintertür. Du gehörst der Ethnie der Juden oder Araber an. Man kann dich unter dem Begriff reicher russischer Oligarch subsumieren. Damit verlierst du deine rechtsstaatliche Garantie, dass man dir zuerst individuell schuldhaftes Tun über jeden vernünftigen Zweifel erhaben und rechtsgültig nachweisen muss.

Alleine das ist stossend. Nun geht es im Rahmen der Sanktionsgesetzgebung bislang nur soweit, dass solche Vermögenswerte in der Schweiz beschlagnahmt werden können, also der Verfügungsgewalt des Besitzers entzogen werden. Das ist nach allgemeinen Berechnungen bei rund 7,5 Milliarden Franken und 15 Liegenschaften zurzeit der Fall.

Damit ist die Eigentumsgarantie nur geritzt, nicht schwer beschädigt. Denn der betroffene russische Reiche ist zwar ohne individuellen Schuldnachweis in Sippenhaft genommen worden, er kann sich dagegen auch nicht auf dem Rechtsweg zur Wehr setzen. Aber man hat ihm sein Eigentum (noch) nicht gestohlen.

Nun gibt es aber in der EU, in Deutschland und in der Schweiz Bestrebungen, genau das zu tun. «Wer Schäden anrichtet, sollte auch dafür aufkommen», erklärte Aussenminister Ignazio Cassis am Mittwoch am Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos. Derzeit fehle in der Schweiz zwar der rechtliche Rahmen, um die eingefrorenen Gelder zu beschlagnahmen. Aber dieser sei veränderbar, so Cassis.

Das berichten übereinstimmend Schweizer Medien. Es wird zwar allgemein darauf hingewiesen, dass die rechtlichen Hürden für das Einziehen dieser Vermögenswerte hoch seien. Aber nur die NZZ wagt es, ganz klar Stellung zu beziehen: «Russische Gelder für die Ukraine: Unrecht nicht mit Unrecht vergelten.»

Brandgefährlich ist hingegen der politische Eiertanz, der aufgeführt wird. Von einem klaren Nein wird bereits zu einer «Prüfung der Frage» geschritten, werden die «rechtlichen Voraussetzungen» ventiliert, juristische Haarspaltereien bemüht. Und sollte das alles nicht ausreichen, die Moralkeule geschwungen. Wie formulierte das Dumpfbacke Frank A. Meyer: «Wer der Ukraine militärisch nicht zu Hilfe eilt, obwohl er es könnte, der eilt Putin zu Hilfe: Wer die Ukraine schwächt, stärkt Russland.»

Neutralität, Gesetze, Rechtsstaat, überprüfbares Handeln, wogegen jederzeit Rechtsmittel ergriffen werden können? Der berüchtigte übergesetzliche Notstand als Rechtfertigung für rechtswidriges, aber angeblich gutes Tun? Scheiss drauf, sagt Meyer. Scheiss drauf sagen alle Befürworter des Diebstahls von russischem Vermögen in der Schweiz. Der Zweck heiligt die Mittel, die Mittel sind heilig.

Aber damit des Irrsinns noch nicht genug. Wenn der Staat konfisziert, was nachweisbar illegal erworben wurde – wie im Fall von Diktatorengeldern –, beginnt anschliessend der schwierige Prozess der Rückgabe an den rechtmässigen Besitzer. Was im Fall von Unrechts- und Elendsstaaten in der Dritten Welt nicht einfach ist. Aber niemand käme hier auf die Idee, diese Gelder zur Heilung durch das besitzberechtigte Land begangener Gräueltaten in anderen Ländern zu verwenden.

Nehmen wir an, theoretisch, das Geld eines nigerianischen Diktators wird beschlagnahmt. Um es Nigeria zurückzugeben. Aber wohl nicht, um durch Nigeria begangene Kriegsverbrechen in Biafra zu kompensieren.

Aber genau das soll mit den beschlagnahmten Russengeldern geschehen. Sie sollen nicht nur weggenommen werden, sondern der Ukraine zur Verfügung gestellt. Nebenbei dem korruptesten Land Europas.

Wer einen Dieb bestiehlt, ist selbst ein Dieb. Moralisch lautere Motive mögen strafmildernd wirken, aber am Diebstahl ändert das nichts. Wer mit der vermeintlich guten Absicht, ein schreiendes Unrecht zu heilen, die Grundpfeiler unseres zivilisieren Zusammenlebens ansägen, zertrümmern will, ist schlimmer als ein Dieb. Schlimmer als ein Verbrecher. Er will ohne Not das allerwichtigste Gut unserer Gesellschaft beschädigen. Wer in der Schweiz rechtsstaatliche Grundsätze so misshandeln will wie Putin das tut, tut nichts Gutes, auch wenn er das behauptet. Wer das tun will, stellt eine Bedrohung für den Schweizer Rechtsstaat dar.

Genau wie Putin.