Beiträge

Frau Birrer hat eine Idee

Das ist keine gute Idee.

Raphaela Birrer ist die Oberchefredaktorin von Tamedia. Das heisst, sie beschallt den Tagi und eine Unzahl weiterer Kopfblätter, die das meiste von der Zentralreddaktion in Zürich übernehmen. Ob’s in Basel oder Bern passt, ist doch egal.

Aber item, wenn die Oberchefredaktorin einen Kommentar schreibt, dann sollte das etwas bedeuten. Richtig bedeutungsvoll wird es, wenn sie nicht einfach ein gepflegtes Einerseits-Andererseits absondert. Ausgesprochen bedeutungsvoll wird es, wenn  sie einem Bundesrat über den Mund fährt: «Rösti muss der SRG zuerst Grenzen setzen – und dann sparen».

Medienminister Albert Rösti hat den Gegenvorschlag des Bundesrats zur 200-Franken-Initiative vorgestellt. Die nennt Birrer schon mal falsch «Halbierungs-Inititaive». Für sie sind offenbar 200 Franken die Hälfte von 335. Na ja, sie muss ja nicht rechnen können.

Sie muss auch nicht neutral zur 200-Franken-Initiative stehen: «Vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass Rösti diese viel zu weitreichende Initiative mit einem Gegenkonzept bekämpfen will.» Es ist auch erlaubt, einem Bundesrat zu zeigen, wo Birrer den Most holt: «Falsch ist hingegen sein Vorgehen. Rösti will zuerst die Gebühren senken und dann (nach der Volksabstimmung zur Halbierungsinitiative) im Jahr 2029 die Konzession erneuern. Dabei müsste es genau umgekehrt ablaufen.»

Birrer muss auch nichts von Logik verstehen. Nur: muss sie das alles so öffentlich zeigen? Sie fordert also den Bundesrat auf, zuerst die Konzession zu erneuern, bzw. zuerst die Aufgaben der SRG neu zu definieren. Das ist eine Superidee, weil man ja nicht weiss, ob die Initiative angenommen wird oder nicht. Dann wäre also der Auftrag neu formuliert, aber wenn sie angenommen würde, könnte dann doch etwas das Geld dafür fehlen. Oder Rösti geht von seinen 300 Franken aus und verteilt entsprechend die Ressourcen bei der SRG. Und am Schluss wird die Initiative und der Gegenvorschlag abgelehnt, alles bleibt beim Alten.

Versuchen wir, Birrer ganz langsam und vorsichtig an ihren groben Denkfehler heranzuführen. Dabei hilft sicher ein ihr näherliegendes Beispiel. Tamedia spart bekanntlich ein paar Milliönchen ein. Laut Birrer müsste man das aber so machen: zuerst müsste geklärt werden, was denn die inhaltliche Mission von Tamedia ist, «dann das Budget daran angepasst werden», wie sie das bei der SRG fordert.

Da würde sich Pietro Supino aber schlapplachen und einige hässliche Sachen über einen so unsinnigen Vorschlag sagen.

Er würde vor allem sagen: wenn ich noch nicht weiss, wie viel Geld ich in Zukunft kriege, wie soll ich dann vorher Inhalte definieren? Ist doch bescheuert. Und damit hätte er sogar einmal Recht.

Aber nach dem Denkfehler kommt noch die Peinlichkeit. Denn der Rüffel an Rösti (der Mann ist halt in der falschen Partei) kommt nun noch Propaganda in eigener Sache. Denn wie auch immer und mit wie viel Geld auch immer, auf einem Gebiet sieht Birrer strengen Handlungs- und Sparbedarf:

«Mit ihren Websites und Apps erreicht sie (die SRG, Red.) heute fünfmal so viele Nutzer wie noch 2016. Damit konkurrenziert sie direkt die privaten Medien, zu denen auch diese Redaktion gehört.»

Da sieht Birrer ganz uneigennützig dringlichen Handlungsbedarf: «Damit diese Wettbewerbsverzerrung beseitigt wird, muss die Onlinetätigkeit der SRG in der Konzession griffig eingeschränkt werden.»

Griffig? Einfach so, dass die Teppichetage der Medienkonzerne, in erster Linie die von Tamedia, «Tages-Anzeiger», Tx oder wie der Laden gerade heisst, weiterschnarchen kann. Welche kühne Forderung Birrers am Schluss: «Ein griffiges inhaltliches Gegenkonzept zur Halbierungsinitiative – das sollte dem Bundesrat das öffentliche Radio und Fernsehen wert sein.»

Das ist eine sowohl unsinnige, wie wohlfeile wie voreingenommene Forderung. Sie hätte ehrlicher schreiben können, Rösti solle gefälligst das Online-Angebot von SRG zusammenstutzen, weil das ihren Konzern kujoniert.

Richtig mutig allerdings – aber eben, Mut kann die Stelle kosten – wäre es gewesen, wenn Birrer geschrieben hätte: ein griffiges Gegenkonzept zum ständigen Stellenabbau und der Skelettierung des inhaltlichen Angebots – das sollte dem Coninx-Clan und seinem Statthalter Tamedia wert sein.

Das wäre mal eine Ansage. Aber eben, Zivilcourage ist bei Tamedia Mangelware. Birrer jammert ganz allgemein über «den starken Spardruck» der Medien, den «der gerade heute kommunizierte Stellenabbau bei CH Media verdeutlicht». Aha. Aber hat man deutliche oder undeutliche Worte von Birrer zum Stellenabbau bei Tamedia gehört? Von der üppig ausgestatteten Chefredaktion? Von Kerstin Hasse, die doch sonst mit Forderungen nicht hinter dem Berg hält?

Wie tief soll das alles noch sinken? Eine Chefredaktorin, die öffentlich Denkfehler vorführt und unverhüllt Propaganda in eigener Sache macht. Aber – mitsamt ihrer wohlbezahlten Chefredaktion – kein kritisches Wort zum Sparkurs im eigenen Haus äusssert. Führung durch Vorbild. So sieht dann auch der übrige Inhalt von Tamedia aus.

 

Sieg oder Niederlage?

Diese beiden Zustände sollte man unterscheiden können.

Der Krimkrieg von 1853 bis 1856 hat durchaus Ähnlichkeiten mit dem aktuellen Krieg in der Ukraine. Russland war beteiligt, das Osmanische Reich, dann auch Frankreich und Grossbritannien. Die europäische Öffentlichkeit war zwar mit leichter zeitlicher Verzögerung durchaus umfassend über die Kriegshandlungen informiert. Der Krieg wurde übrigens nach Verhandlungen mit dem Frieden von Paris beendet.

Es gab damals keine modernen Übermittlungsmethoden von News, die Reportage-Fotografie steckte noch in den Kinderschuhen. Es gab keine Möglichkeiten, einen Kriegsverlauf aus unabhängigen Quellen zu verifizieren – wie das heute mit Satellitenaufnahmen problemlos möglich ist. Möglich wäre.

Denn Hand aufs Herz: ohne die unzähligen sich widersprechenden Medienmeldungen zu zitieren: wie steht es denn aktuell um die grosse Offensive der Ukraine? Sind die Russen demotiviert, gab es entscheidende Durchbrüche, stehen die russischen Truppen am Rand einer Niederlage, hat die Ukraine bedeutende Geländegewinne gemacht, steht die Eroberung der Krim nahe bevor?

Oder musste die ukrainische Armee, ungenügend ausgerüstet und mit zweitklassigem westlichen Material versehen, einen hohen Blutzoll entrichten, stehen die Erfolge in keinem Verhältnis zu den Verlusten und dem Aufwand? Verröchelt die Offensive in den Verteidigungslinien und Minenfeldern der Russen, erweisen sich beispielsweise deutsche Leopard-Panzer als leichtes Ziel, zudem viel zu kompliziert in der Bedienung und in der Ukraine nicht reparierbar?

Völlig unabhängig von der politischen Position des Betrachters muss sich jeder eine Frage stellen. Dass sowohl in der Ukraine wie auch in Russland eine strikte Medienzensur herrschen, offizielle Sprachregelungen befolgt werden müssen, der mündige (oder auch der unmündige) Staatsbürger kaum Chancen hat, sich ein mehr oder minder der Wirklichkeit entsprechendes Bild über die Kampfhandlungen zu machen – geschenkt.

Aber wie steht es mit uns, im angeblich freien Westen, wo eine Unzahl von unabhängigen Newsquellen uns mit allen nötigen Informationen versorgen, unzensiert, nur an einer möglichst realistischen Abbildung der Wirklichkeit interessiert?

Dass es auch westliche Propagandalügen gibt, belegt der Artikel von Felix Abt. Aber wer behauptet, Russland und seine Alliierten lügen propagandistisch, während wir beispielsweise in der Schweiz uns eine eigene Meinung aufgrund umfangreicher Berichterstattung machen könnten – der liegt kreuzfalsch.

Mit der heutigen Technologie müsste es doch problemlos möglich sein, die Entwicklung der ukrainischen Offensive korrekt abzubilden, darzustellen, aufzuzeigen.

Vielleicht gibt es ZACKBUM-Leser, die über solche Informationen verfügen. Wir aber nicht, und das ist ein Skandal. Seitdem es «embedded journalists» gibt, eine niedliche (eingebettet) Umschreibung dafür, dass sie nur zu sehen kriegen, was sie im Eigeninteresse der sie einbettenden Armee sehen sollen, ist auch die Kriegsberichterstattung auf den Hund gekommen.

Denn der Kriegsreporter, der auf eigene Faust loszieht, ohne dass jemand Versicherungen und die nötigen Sicherheitsmassnahmen (das geht schwer ins  Geld) bezahlt, ist selbstmörderisch unterwegs. Aber er könnte sowieso nur einen geografisch beschränkten Ausschnitt der Kampfhandlungen beschreiben. Einer modernen Redaktion hingegen sollte es eigentlich möglich sein, mittels Intelligence, Satelliten, mittels allen Quellen moderner Analyse, dem Leser ein glaubhaftes Bild der Kriegslage zu vermitteln.

Einfache Frage: wieso tut das dann kein Schweizer Medienorgan?

Flatliner

Das bedeutet: nicht messbare Hirnaktivität. Schlimm für einen «Kognitionspsychologen».

Professor Christian Stöcker ist «Spiegel»-Kolumnist. Die Studenten der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften, wo er leert, sind zu bedauern. Denn von Lehren kann keine Rede sein.

In seiner jüngsten Kolumne beklagt er: «So schafften es Putins Lügen bis in den Bundestag». Denn: «Russland investiert Hunderte Millionen Dollar, um Politik zu beeinflussen – auch in Europa, auch in Deutschland

Mit Kognition bezeichnet man die Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung von Informationen. Von wo hat der Professor denn seine Informationen aufgenommen? Aus unabhängiger und vertrauenswürdiger Quelle: «Mindestens 300 Millionen US-Dollar hat Russland seit 2014 in anderen Ländern »investiert«, Hunderte weitere Millionen seien geplant, meldete unter anderem die «New York Times»unter Berufung auf US-Geheimdiensterkenntnisse.»

Würde einer seiner Studenten das als Basis für eine Seminararbeit nehmen, der Professor würde ihn hoffentlich aus dem Hörsaal jagen. Eine Sekundärquelle, die sich auf angebliche, anonyme «Geheimdiensterkenntnisse» bezieht. Das ist schon mal ziemlich flatlining. Oder an Lächerlichkeit schwer zu überbieten.

Dann macht Stöcker auf unbeeindruckt: «Mich persönlich hat diese Meldung kein bisschen überrascht, im Gegenteil. Ich gehe davon aus, dass die 300 Millionen nur ein kleiner Teil des Geldes sind, das Wladimir Putins Regime seit vielen Jahren und an vielen Stellen investiert, um westliche Demokratien und andere Länder zu destabilisieren.»

Es gibt interessante kognitive Studien, wieso der Mensch Informationen viel lieber und unkritischer aufnimmt, die seiner vorgefassten Meinung entsprechen – als ihr widersprechende. Auch wenn die ihm genehmen Informationen offenkundig falsch, unbelegt, dünn oder absurd sind. So ist der Mensch halt, so ist auch ein «Kognitionspsychologe».

Nun kann man natürlich mit Sicherheit davon ausgehen, dass Russland Geld einsetzt zur Landschaftspflege, wie das in Deutschland hiess, als der Flick-Konzern das halbe politische Personal auf seiner Payroll hatte. Sich mit Geld positive Nachrichten zu erkaufen, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, Gerüchte, Verschwörungstheorien und Lügen in die Welt zu setzen, das gegnerische Lager zu verwirren, das gehört zur Staatspolitik, seit es Grossmächte gibt.

Die CIA ist darin der unbestrittene Meister, was – im Gegensatz zu diesen «Geheimdiensterkenntnissen» schon x mal dokumentiert und aufgearbeitet wurde, Hier ist ein schöner Überblick. Es hat doch gewisse Vorteile, dass es im Westen eine einigermassen freie Presse gibt, bei allen Einschränkungen.

Beschränkt ist hingegen, wer sein Augenmerk so voreingenommen und mit Tunnelblick auf die subversiven Tätigkeiten Russlands richtet. Und dabei nicht einmal die Massenvernichtungswaffen-Lüge erwähnt, der wohl grösste Propaganda-Stunt der letzten Jahrzehnte. Eine brandschwarze Lüge, die die USA verbreiteten, um ihren völkerrechtswidrigen Einmarsch in den Irak zu rechtfertigen.

Aber zurück zu Russland. Und der kognitiven Dissonanz bei Stöcker: «Die US-Regierung vermutete schon 2015, dass Putin außerdem Jobbik in Ungarn und die Lega Nord in Italien finanziell unterstützte, aber auch Italiens Fünf-Sterne-Bewegung, Griechenlands Syriza und, das wurde damals aber als Vermutung der USA formuliert, eventuell auch die Linke in Deutschland.»

Also die US-Regierung vermutet, was im Fall der Linken in Deutschland nochmal als Vermutung formuliert wird, also sozusagen eine doppelte Mutmassung. Damit will sich Stöcker vor potenziellem Ärger bewahren, denn solche Behauptungen sind einwandfrei rufschädigend für eine legale politische Partei. Die Bezeichnung Dummschwätzer könnte man auch übel nehmen, aber die hat er sich hier redlich verdient.

Nun macht Stöcker das, was auch der «Republik» in der Schweiz lieb ist: namentliche denunzieren: «Jürgen Elsässer, früher Links- nun schon lange Rechtsextremist und Chefredakteur des »gesichert extremistischen« Magazins »Compact«; Leute, die mit Verschwörungscontent Geld verdienen wie Ken Jebsen und Heiko Schrang. Und auch Eva Hermann wird erwähnt

Solche Rüpeleien sind immer dann besonders toll, wenn man den Angerempelten keine Gelegenheit zur Stellungnahme gibt. Nachdem er so einige ihm missliebige Gestalten verleumdet hat, widmet er sich einem russischen Propaganda-Thema: «Russland hat in den vergangenen Jahren diversen seiner Nachbarstaaten US-finanzierte Biowaffenlabore angedichtet, zum Beispiel Kasachstan, Georgien, Aserbaidschan und eben der Ukraine

Es ist richtig, dass die Existenz dieser «Biowaffenlabore» ungefähr so schlüssig nachgewiesen ist wie der Besitz von biologischen Massenvernichtungswaffen von weiland Saddam Hussein. Nun kämpft sich Stöcker aber einen Schritt weiter: «Anfang März behauptet dann auch »Fox News«-Propagandist Tucker Carlson in seiner Show, in der Ukraine gebe es geheime US-Biowaffenlabore. Carlson bezeichnet das Dementi des eigenen Außenministeriums als »Lüge«

Nun kommt Stöcker zum Höhepunkt, der Passage, in der sein Kolumnen-Titel gestützt wird: «Am 25. März 2022 hat es die alte Geschichte dann im neuen Gewand auch in den Bundestag geschafft: Am Pult des deutschen Parlaments steht an diesem Tag Steffen Kotré von der AfD und sagt: »Wir müssen auch über die Biowaffenlabore in der Ukraine reden, die gegen Russland gerichtet sind.«»

Kotré ist nun tatsächlich nicht das hellste Licht auf der Torte der AfD. Aber dass ein Abgeordneter im Bundestag Unsinn verzapft ist nun ein Phänomen, das sich nicht unbedingt auf die AfD beschränkt. Aber Stöcker schwant dahinter ganz Übles:

«Wir haben es – und zwar mit absoluter Sicherheit nicht nur bei der »Biolabs«-Verschwörungserzählung – mit einer konzertierten, gründlich geplanten und koordinierten Aktion zu tun. Unterstützt zum Teil durch freiwillige Hilfe aus der Szene der Verschwörungsfans und derer, die mit Verschwörungscontent Geld verdienen

Da ist wieder die Sprache des Kalten Kriegs, wo Kalte Krieger im Westen ständig Angst davor hatten, dass die Roten, die Moskau-Hörigen unsere freie Meinungsäusserung dazu missbrauchen, mit koordinierten Aktionen den Westen zu destabilisieren. In der Schweiz erreichte die Hysterie mit der Fichierung von Zehntausenden von Staatsbürgern ihren Höhepunkt. Angesichts dieser Paranoia des «Koginitionspsychologen» ist zu befürchten, dass er auch Akten über Kollegen und Studenten angelegt hat, die er als Teilnehmer an dieser «koordinierten Aktion» vermutet. «Freiwillig» als nützlicher Idiot oder eiskalt planend.

Aber es gibt einen Hoffnungsschimmer:

«Hoffentlich ist die eingangs zitierte Veröffentlichung des US-Außenministeriums der Einstieg in eine international konzertierte Aktion, die Putins Propagandisten in der Öffentlichkeit, den sozialen Medien und der Politik endlich auf den Präsentierteller stellt. »Die Vereinigten Staaten werden offizielle Kanäle nutzen, um die betroffenen Länder mit als geheim eingestuften Informationen über russische Operationen zu informieren, die auf ihre politische Sphäre zielen«, heißt es in dem eingangs zitierten Dokument. Es wird höchste Zeit. Wir haben Putins Propagandisten viel zu lange gewähren lassen.»

Es ist ein alter Scherz, aber hier leider wieder angebracht. Die meisten beratenden Psychologen brauchen selbst psychologische Beratung. Wenn jemand dann ausgerechnet auf dem Feld der Kognition forscht und lehrt, dabei einen solchen dissonanten Diskurs führt, wird’s aschgrau. Dass der «Spiegel» diesen Stuss veröffentlicht, verwundert hingegen nicht.

Stimme der Vernunft

Die NZZ läuft zu alten Formen auf.

Wenn man den Artikel von Benedict Neff liest, der wohlgemerkt unter der Rubrik «Meinung & Debatte» erscheint, nimmt man beruhigt zur Kenntnis, dass noch nicht alle Journalisten den Verstand verloren haben.

Das Urteil muss so harsch ausfallen, weil sich die meisten Medien einer Aufgabe versagen, die eigentlich die Grundlage ihrer Existenzberechtigung ist. Nämlich die möglichst realitätsnahe Beschreibung von Ereignissen. Was dazu dienen sollte, dass sich der Konsument eine eigene Meinung bilden kann.

Natürlich gibt es dabei nicht die einzig korrekte, gar objektive Darstellung. Organe wie die «Pravda» waren und sind eine Karikatur der Behauptung, die «Wahrheit» zu verbreiten und nichts als die Wahrheit. Stattdessen wird gefiltert, gelogen, eingefärbt, ausgelassen, umgebogen, zurechtgeschrieben. Keinesfalls, damit sich der Leser eine eigene Meinung bilden kann. Sondern damit er die vorgegebene Meinung annimmt, übernimmt, nachplappert.

Nun haben all diese Versuche einen Haken: früher oder später siegt das Faktische über die Fiktion. Wer behauptete, der Sozialismus eile auf allen Gebieten von Sieg zu Sieg, musste konsterniert zur Kenntnis nehmen, dass er gerade zusammengebrochen war und als Wirtschaftsmodell nie taugte.

Wer behauptet, die ukrainische Armee eile von Sieg zu Sieg, die russische hingegen sei am Rande der Niederlage, zeichnet ebenfalls ein Zerrbild der Realität.

«Irgendwann wurden Satellitenbilder eines 64 Kilometer langen russischen Militärkonvois vor Kiew verbreitet. Das Unheil schien im Anzug. Die Kolonne kam in der ukrainischen Hauptstadt aber nie an. Stattdessen waren die Zeitungen bald voll mit Bildern von russischem Militärschrott. Panzern, zusammengeschossen, ausgebrannt oder einfach stehengelassen auf ukrainischen Strassen.»

Es verfestigte sich das Zerrbild einer möglichen militärischen Blamage Russlands, konstatiert Neff. Dagegen traten zwei renommierte Experten an:

«Ende Mai meldeten sich die zwei führenden Kriegserklärer der deutschen Medien zu Wort: Herfried Münkler und Carlo Masala. «Die Ukraine steht im Begriff, den Krieg zu verlieren», sagte Münkler in der «Welt». «Es läuft für Putin. Von daher gibt es keinen Anreiz, sich in Verhandlungen hineinzubegeben», so meldete Masala fast zeitgleich. Die beiden Voten schienen wie aus dem Nichts zu kommen. Eben noch, mussten sich manche Medienkonsumenten gedacht haben, lief der Krieg doch für die Ukrainer. Die Amerikaner verkündeten, die Ukraine könne den Krieg gewinnen. Ebenso äusserte sich der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.»

Nun könnte man meinen, dass das doch Ausdruck der Überlegenheit einer freien Presse sei, Beweis für die Meinungspluralität. Dagegen hält Neff:

«Wer nüchtern auf die Kriegslage zu blicken versucht, macht sich unter Umständen schon verdächtig. Als würde er damit die westlichen Werte oder den ukrainischen Abwehrwillen verraten.»

Abweichende Meinungen zu unterdrücken, das war und ist das Prinzip autoritär geführter Staaten wie Russland. Abweichende Meinungen zu tolerieren, ihnen aber keine Beachtung zu schenken, das ist das überlegene Prinzip westlicher Medien.

In die gleiche Liga fallen die repetitiven Berichte über den Gesundheitszustand des Kreml-Herrschers. Putin ist krank. Krebs, multiple Sklerose, Schilddrüse, Verlust des Augenlichts. Beweise, Belege? Experten für Körpersprache, verborgene Quellen aus dem Innern des Machtzirkels, Aussagen von angeblich Putin behandelnden Ärzten, die aber natürlich anonym bleiben müssen.

Und die Kriegsziele? Kann die Ukraine siegen? Wird Russland verlieren? Sind die ukrainischen Forderungen nach einem vollständigen Rückzug als Vorbedingung für Verhandlungen realistisch? «Dass dieser Krieg ohne Gebietsabtretung an Russland enden könnte, ist schwer vorstellbar. So wenig man sich dieses Szenario wünscht», bilanziert Neff nüchtern.

Das ist seine Meinung, und die kann so falsch sein wie das Geraune der Kriegsgurgeln und Ukraine-Versteher. Dass auch Neff eine einsame Position vertritt, dass die NZZ das einzige gewichtige Organ  in der deutschsprachigen Medienlandschaft ist, das solch differenzierte Meinungen zulässt, das auch die angeblich freiheitliche und westliche Demokratie in der Ukraine in Frage stellt, auf Zensur, Korruption, autokratische Tendenzen hinweist, gereicht ihr zur Ehre.

Macht die Schande der anderen Publikationsorgane deutlich.

Hanslis Interview mit Vitali

Auch ein Oberchefredaktor ist nicht in jedem Thema sattelfest.

2012 bestritt Vitali Klitschko seine letzten Kampf als Profiboxer. Er schlug 87 Prozent seiner Gegner k.o., eine beeindruckende Bilanz. 2014 wurde er zum Bürgermeister von Kiew gewählt.

Im Widerstand rund um Euromaiden ging Klitschko ein Bündnis mit der rechtsextremen Swoboda-Partei und Julija Tymoschenko ein. Nach anfänglichen scharfen Auseinandersetzungen mit Präsident Selenskyj ist Klitschkow heute ein wortmächtiger Botschafter ukrainischer Anliegen.

Noch 2019 vermeldeten die Medien: «Kaum hat seine Partei die vorgezogene Parlamentswahl am 21. Juli gewonnen, greift Präsident Wolodymyr Selenskyj gleich einen der bekanntesten Ukrainer weltweit an. Das Präsidentenbüro hat die Regierung gebeten, den Bürgermeister von Kiew und Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko als Chef der Stadtverwaltung zu entlassen.» Vergeben und vergessen.

Natürlich waren die Klitschko-Brüder am WEF anwesend, wo es dem Oberchefredaktor Arthur Rutishauser von Tamedia gelang, ein Interview zu ergattern. Das sind Prestigesachen, wo Chefredaktoren ihren Titel in die Waagschale werfen, um an eine begehrte Person heranzukommen.

Das Problem ist dann allerdings, dass sie relativ unbeleckt von Vorkenntnissen oder Hintergrundwissen durchs Interview stolpern und dem anderen eigentlich Carte blanche geben, seine Kernaussagen einmal mehr zu wiederholen.

Nach einer Liebeserklärung an die Schweiz und höflichem Dank für Flüchtlingsaufnahme und humanitäre Hilfe, kommt Klitschko ohne Umwege zur Sache:

«Aber jetzt stoppen Sie bitte die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland. Jeder Dollar, jeder Franken und Euro, der nach Russland geht, ist Blutgeld. Dieses Geld nützt Putin nicht zum Wohle seiner Bevölkerung oder für die Weiterentwicklung der Wirtschaft, sondern für Waffen. Es klebt ukrainisches Blut an jedem Franken, den Sie dank dem Handel mit Russland verdienen.»

Also muss man es sich so vorstellen, dass Gasverteiler in der Schweiz metaphorisch gesehen ukrainisches Blut mitverfeuern.

Darauf erwidert Rutishauser lahm, dass die Schweiz aber neutral sein wolle und müsse und sich aus dem Krieg heraushalte.

Das bringt ihm gleich die nächste linke Gerade von Klitschko ein: «Sie müssen sich entscheiden, Schwarz oder Weiss? Unterstützt die Schweiz den Frieden und die Freiheit, oder ist sie auf der Seite des Aggressors, nämlich Russlands?»

Vielleicht versuche die Schweiz tatsächlich gerade, halb schwanger zu sein, zappelt Rutishauser dann in den Seilen, spuckt den Mundschutz aus und fragt, ob die Schweiz denn wirklich anfangen solle, «russische Medien zu zensurieren».

Linker Jab, rechte Schlaghand: «Ja, denn so, wie das jetzt läuft, haben Sie den Krieg im Inneren der Schweiz. Ich sah mir heute Morgen im Hotel die Website von «Russia Today» an. Die erklären, Mariupol sei durch die Ukrainer zerstört worden. Stoppen Sie diese Propaganda!»

Bereits schwer angezählt meint Rutishauser: «Die glaubt hier doch sowieso niemand.»

Um unter einem Schlaghagel zusammenzubrechen: «Unterschätzen Sie die Macht der Medien nicht, unterschätzen Sie die Propaganda nicht. Die Propaganda ist eine grosse Macht. Sogar mächtiger als Waffen. Das sage ich Ihnen als jemand, der in der Sowjetunion gross geworden ist.»

Schon ausgezählt taumelt Rutishauser in seine Ecke und murmelt noch: «Kann die Schweiz irgendetwas tun, um den Krieg zu stoppen?»

Klitschko hat schon beide Arme hochgerissen, um seinen Interviewsieg durch technischen K.o. zu feiern. Aber diese Gelegenheit lässt er sich natürlich nicht entgehen:

«Ja, ich sage es nochmals, es gibt zwei Dinge, die Sie tun können: Stoppt erstens die russische Propaganda und hört zweitens auf, mit den Russen zu handeln.»

Es ist sicherlich einschüchternd, einem 2,01 Meter grossen ehemaligen Boxweltmeister gegenüberzusitzen. Aber Fragen zu stellen und nicht nachzuhaken, als habe Rutishauser zu viele Kopftreffer abbekommen, darauf zu verzichten, sich solche Einmischungen in unsere Presse- und Handelsfreiheit zu verbitten, das hätte der Oberchefredaktor besser das Handtuch in den Ring werfen sollen. Also das Interview im Archiv seiner unveröffentlichten Werke versenken.

 

Schweizer Jugend versteht Putin

Kann weisses Papier schreckensbleich werden? Der Tagi probiert’s aus.

Ihr freiwilliger Beitrag für ZACKBUM

Nun bemühen sich die Medien seit Wochen, den Kreml-Herrscher als Amok, Wahnsinnigen, Kriegsverbrecher, Diktator, Verderber seines Landes, Zerstörer der Ukraine zu brandmarken. Wieder und wieder. Und nun das.

«Neue Auswertungen der repräsentativen Tamedia-Umfrage von Ende März zeigen nämlich, dass nahezu jeder Dritte in der Alterskategorie der 18- bis 34-Jährigen den Krieg zwar verurteilt, trotzdem aber «Verständnis für die Motive Putins hat».»

Die heutige Jugend, das ist ja schrecklich. Woran liegt das nur? Dafür hat die Allzweckwaffe der Welterklärung natürlich eine Antwort. Nein, Schwurbler Kovic hat mal Pause, hier muss der «Politologe» Michael Hermann ran. Durch seine Kolumne im Tamedia-Reich kann man bei ihm sicher sein, dass er das sagt, was Tamedia hören möchte: «Jugendliche hingegen informieren sich vor allem in den sozialen Medien. So sind sie vielen unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt – eben auch den Lügen der gut funktionierenden russischen Propaganda.»

Dass Hermanns Propaganda im Sinne seiner staatlichen Auftraggeber auch prima funktioniert – ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Zwei Opfer dieser Propaganda hat Tagi-Redaktor Dominik Balmer aufgespürt. Der eine sagt deshalb Dummheiten wie: «Die Nato bezeichnet er als «imperial» und den Interessen der USA dienend. Das Militärbündnis habe Russland mit seiner ständigen Expansion «provoziert». Es hätte nach dem Zerfall der Sowjetunion aufgelöst werden müssen. Insofern könne er Russlands Reaktion «verstehen, wenn auch nicht gutheissen»

Der zweite Putin-Versteher ist, das musste ja so kommen, natürlich Mitglied der SVP. Der sagt: ««Ich verurteile den Krieg, das ist nie eine Lösung.» Die Schuld liege aber nicht nur bei den Russen. «Beide, die Nato und Russland, sind schuld.»»

Auch hier zeigt sich, was im Kopf passiert, wenn man sich in sozialen Medien informiert und sich sogar «bei den in der EU blockierten russischen Propagandasendern RT DE (früher Russia Today) und Sputnik informiert. Bei Medien also, die nachweislich Falschinformationen verbreiten.»

Auch die Umfrageleiterin ist erschüttert: für sie «können die sozialen Medien eine «extreme Gefahr für die freie Meinungsbildung und damit die Demokratie» sein, zumindest solange nicht klar sei, wie verlässlich Informationen auf diesen Plattformen seien».

Glücklicherweise, atmet Tamedia auf, «sind ältere Menschen gemäss Hermann grundsätzlich besser informiert – und daher in ihrem Urteil weniger wankelmütig. In fast allen Umfragen zum Russland-Krieg ist der Anteil der «Weiss nicht»- Antworten bei den Jungen hoch. Ein Indiz für ihre Unentschlossenheit.»

Also können wir wenigstens auf die Alten bauen, die sind für strikte Sanktionen und eindeutig gegen Putin. Ob sie allerdings seine Motive oder überhaupt die Situation verstehen, das ist dann schon die Frage.

Aber immerhin plappern sie nicht solchen Unsinn wie der SVP-Jüngling: «Es ist sehr wichtig, sich eine eigene Meinung zu bilden. Und zwar gerade dann, wenn alle Medien einer Meinung sind wie jetzt im Krieg in der Ukraine.»

Wo kämen wir da hin, wenn jeder versuchen würde, sich eine eigene Meinung zu bilden. Oder sich nicht nur in den Mainstream-Medien zu informieren. Der wäre dann eventuell sogar für die bewaffnete Neutralität und zweifelte an der willfährigen Übernahme aller EU-Sanktionen. Dabei ist es doch viel besser, ein Putin-Nichtversteher zu sein. Denn wer etwas (oder jemanden) nicht versteht, dem kann man leicht erklären, wie er es verstehen sollte. Und das ist ja die vornehmste Aufgabe der Auslandberichterstattung von Tamedia. Dass die zudem noch aus dem Ausland kommt, je nun, für ein paar hundert Franken Abokosten kann man doch nicht erwarten, dass Tamedia sich noch eine eigene Auslandredaktion leistet.

Oh, das tut der Konzern? Aber gut, es braucht ja jemanden, der das ß in ein anständiges ss verwandelt, parken und grillen sagt man auch nicht in der Schweiz, und für Fans der EU ist es doch völlig egal, ob der Leser Artikel serviert bekommt, die aus EU-Perspektive geschrieben sind. Das einfach zu schlucken, das ist doch viel besser als zum Putin-Versteher zu werden.

Es ist halt schon so, diese Erfahrung muss jede Generation machen: die heutige Jugend ist nicht mehr so, wie die Alten früher mal waren. Alles wird schlimmer, wo soll das nur enden?

Verbale Benimmregeln

Mit der Sprache ertasten wir die Wirklichkeit. Also benehmt euch!

Es gibt die berühmten zehn Regeln der Kriegspropaganda. Was Lord Ponsonby nach dem Ersten Weltkrieg aufschrieb, wurde oft kopiert, nie erreicht:

Lord Ponsonby (1871 – 1946).

«Die zehn Grundsätze der Kriegspropaganda:

1. Wir wollen den Krieg nicht

2. Das gegnerische Lager trägt die Verantwortung

3. Der Führer des Gegners ist ein Teufel

4. Wir kämpfen für eine gute Sache

5. Der Gegner kämpft mit unerlaubten Waffen

6. Der Gegner begeht mit Absicht Grausamkeiten, wir nur versehentlich

7. Unsere Verluste sind gering, die des Gegners enorm

8. Künstler und Intellektuelle unterstützen unsere Sache

9. Unsere Mission ist «heilig»

10. Wer unsere Berichterstattung in Zweifel zieht, ist ein Verräter»

Das befolgen inzwischen wieder weite Kreise der Kriegsgurgeln in unseren Mainstreammedien.

Seither müssen nur wenige, nebensächliche Ergänzungen in Form von Dichotomien vorgenommen werden.

Der Gegner hetzt – wir informieren.

Der Gegner lügt – wir sagen die Wahrheit.

Der Gegner behauptet – wir sagen, wie’s ist.

Der Gegner ist fanatisiert – wir sind rational.

Der Gegner ist wahnsinnig – wir sind vernünftig.

Der Gegner ist Masse – wir sind Individuen.

Der Gegner ist böse – wir sind gut.

Der Gegner ist Barbar – wir sind zivilisiert.

Der Gegner verachtet das Leben – wir schützen es.

Was noch fehlt, ist die Definition des Gegners. Die muss möglichst einfach und klar sein. Jegliche Differenzierung ist überflüssig. Der Gegner ist der Russe. Jeder Russe. Ausser, der sei Dissident, Oppositioneller und habe sich öffentlich und deutlich von Putin und seinen Machenschaften distanziert. Aber selbst dann ist er in erster Linie Russe.

Das gilt nicht nur für heute lebende Russen. Auch frühere Russen sind kollektiv mitschuldig. Musiker wie Rachmaninow. Schriftsteller wie Dostojewski. Maler wie El Lissitzky. Theoretiker wie Bakunin. Wohl auch Sacharow. Solschenizyn. Alles Russen.

Der Iwan halt. Der russische Bär. Unzivilisiert. Irgendwie mongolisch barbarisch. Sagen wir’s doch, wie’s ist: der irgendwie immer noch bolschewistische Untermensch. Wild, verrückt, zügellos. Fanatisch, verführt, willenlos, Kampfmaschine, lügnerisch, arglistig, heimtückisch. Stalin. Dserschinski. Trotzki. Alles Umstürzler. Wollten und wollen den Weltbrand. Denen kann man nicht trauen.

Aber die haben Atombomben. Und schliessen deren Einsatz nicht aus. Diese Barbaren. Das tut man doch nicht. Wie bitte, die USA schliessen den Einsatz auch nicht aus? Die haben sogar bislang als Einzige Atombomben als Kriegswaffe eingesetzt?

Wer wagt es? Ein Defätist. Ein Putin-Versteher. Sicher vom Kreml bezahlt. Im besten Fall ein Verwirrter und Verführter. Im schlimmsten Fall ein Willi Wühler, ein Subversiver. Ein Vaterlandsverräter halt. Dem darf man keine Plattform geben. Da hört sich’s mit der Meinungsfreiheit aber auf.

Moskau einfach.

 

Panoptikum der Heuchler

Verächtlicher als Putin sind nur unsere schreibenden Kriegsgurgeln.

Lassen wir aus juristischen Gründen Namen weg. Es gibt Besitzer und Benützer grosser Medienplattformen, die hemmungslos andere Menschen in den Tod schicken wollen.

Ihr freiwilliger Beitrag für ZACKBUM

Diese Sandkastenkrieger wollen NATO-Truppen in die Ukraine abkommandieren, fordern, dass das westliche Verteidigungsbündnis bei einem Nicht-Mitglied eine No-Fly-Zone durchsetze. Sie krähen mutig, dass man sich von russischen Drohungen, dass gewisse Aktionen mit einem Atomschlag beantwortet werden könnten, doch nicht in die Knie zwingen lassen darf.

Vor etwas mehr als hundert Jahren endete der Erste Weltkrieg. Es war der erste Krieg, in dem Propaganda flächendeckend eingesetzt wurde. In dem erkannt wurde, dass Erfolge auf dem Schlachtfeld durchaus wesentlich für den Kriegsverlauf sind. Aber die Beeinflussung der eigenen Bevölkerung auch.

Der Feind wird dämonisiert und entmenschlicht. Er ist grausam, barbarisch, unzivilisiert. «Jeder Schuss ein Russ», «Gott strafe England», solche Reime und Slogans wurden geboren, der Deutsche war der «Hunne», eine Bedrohung für die ganze Menschheit. Die Massenmedien wurden zu hysterischen Propagandaschleudern. Meistenteils freiwillig.

Rassistische Archetypen wurden angerufen. Jeder Angehörige einer Nation wurde kollektiv schuldig gesprochen. Nicht nur der Soldat war der Feind, jeder Russe, Deutsche, Engländer, Österreicher. Der Künstler, der Buchhalter, der Musiker. Wehe, wer auf der Strasse als Angehöriger einer feindlichen Nation erkannt wurde. Der Lynchmob drohte.

Was vor Kurzem noch fern schien, kommt näher und näher

Was für ein mutiger Mann war da John Heartfield, der Erfinder der politischen Fotomontage (Kindersoldaten: googeln). Er hiess eigentlich Helmut Herzfeld und benannte sich 1916 in Heartfield um – als Protest gegen den englandfeindlichen Nationalismus in Deutschland.

«Krieg und Leichen – die letzte Hoffnung der Reichen.» John Heartfield.

All dieses Geschrei, dieser Nationalismus und Patriotismus, diese Hetzer am Schreibtisch, das erschien uns bis vor Kurzem fern und unverständlich. Der russische Überfall auf die Ukraine löst aus, dass sich die Geschichte wiederholt. Wie kommen ansonsten zurechnungsfähige Schweizer Publizisten auf die perverse Idee, Soldaten in den Tod schicken zu wollen? Reicht es ihnen nicht, dass das der russische Präsident tut, den sie deswegen als wahnsinnigen Verbrecher verurteilen?

Der Unterstand im Ersten Weltkrieg.

Sind sie wirklich bereit, einen weltverschlingenden Atomkrieg zu riskieren, den ein militärischer Einsatz der NATO in der Ukraine ohne Weiteres auslösen könnte? Wollen sie sich wirklich zu «Masters of War» aufschwingen, über die schon Bob Dylan sang, dass ihnen nicht einmal Jesus vergeben würde?

In der Blutmühle von Verdun.

Sind sie einfach verantwortungslos, weil sie wissen, dass ihr Wort nicht zählt? Ist ihnen bewusst, dass ihre markigen Forderungen nach Beschlagnahmung aller «Russengelder» in der Schweiz, nach sofortigem Stopp von Handelsgeschäften an den Grundfesten unseres Rechtsstaats rütteln? An der Eigentumsgarantie und der Gewerbefreiheit?

Dass niemand seine Unschuld beweisen muss und schuldig sei, bis er das widerlegen kann? Dass das Abfordern von Bekenntnissen für und gegen ein Rückgriff in die Zeiten der mittelalterlichen Inquisition ist?

Hat natürlich niemand gewollt. Niemals.

Ist diesen Heuchlern nicht bewusst, wie wohlfeil Kriegsgeschrei aus mit russischem Gas beheizten Redaktionsstuben ist? Die Heimfahrt im mit raffiniertem russischen Öl betriebenen Schlitten? Ist ihnen nicht bewusst, wie entlarvend es ist, wenn sie auf die Frage antworten, was sie denn persönlich – ausser andere in den Tod schicken wollen – so täten, um zu helfen, dass sie dann schon mal spenden werden, irgendwann in der Zukunft?

Ist diesen Heuchlern bewusst, dass die Konzentration auf die friedliche Forderung, sofort jegliche Handelsbeziehungen mit Russland einzustellen, die wirksamste Waffe gegen den Ukraine-Krieg ist? Das wäre aber mit eigenen, nicht mit fremden Opfern verbunden.

Der Präsident der Ukraine hat alles Recht der Welt, auf dem Klavier der Propaganda, der PR, der rhetorischen Kriegsführung zu spielen. Er hat den Propagandakrieg gegen Russland haushoch gewonnen. Die Schweizer Medien, und nicht nur die, haben ihn elend verloren. Was nach Covid noch an Reputation vorhanden war, geht gerade in den Orkus.

Die Visuals dieses Artikels sind nichts für schwache Nerven. Aber sie bebildern, was in letzter Konsequenz passiert, wenn jemand den feigen Kriegsrufen in unseren Medien Folge leisten würde. Dass sich diese heuchlerischen Kriegsgurgeln damit der völligen Lächerlichkeit aussetzen, ist ihnen, das ist wahrhaft Anlass für homerisches Gelächter, nicht einmal bewusst in ihrer bedeutungsschweren Aufgeblasenheit.

Soldaten im Propagandakrieg

Wir sind auf die eigene Bedeutungslosigkeit zurückgeworfen. Aber nicht alle wissen darum.

Eigentlich gibt es nur eine Art von Menschen, deren Meinung tatsächlich zählt. Das sind die Regierenden, die Herrschenden, die Mächtigen. Was ein US-Präsident, der chinesische Machthaber, ein Bill Gates oder ein George Soros, ein Carlos Slim denken, wollen, beabsichtigen, das bewegt etwas.

Natürlich sind sie umgeben von Beratern und Einflüsterern wie Schmeissfliegen, die sich den Platz nahe am Ohr des Mächtigen streitig machen. Einflüsterer wie der mutmassliche Kriegsverbrecher Henry Kissinger, graue Eminenzen, Kofferträger spielen eine wichtige Rolle bei Entscheidungen.

Die werden meistens nicht in offener Feldschlacht an grossen Tischen gefällt. Sondern in kleiner, vertrauter Runde, am Abend, durchaus auch mit einem Absackerchen. Da gewinnt dann nicht etwa der mit den besseren Argumenten. Sondern der begabte Rhetoriker, der Schlagfertige, der im richtigen Moment den richtigen One-Liner produzieren kann. Das ist nicht immer der Präsident, wie das in «House of Cards» so unnachahmlich vorgeführt wurde.

Natürlich spielt auch der Generalstab eine wichtige Rolle, also sein meinungsstärkstes Mitglied, denn zumindest als Option ist Gewalt immer ein Thema. Auch bei wirtschaftlich Mächtigen, dafür gibt es auch im Westen private Söldnerfirmen, die auf Wunsch ganze Staatsstreiche servieren.

Schliesslich spielt der Geheimdienstchef eine besondere Rolle, das ist in Privatfirmen der Intel-Officer. Beide sollen den Mächtigen mit legalen oder illegalen Mitteln erworbene Intelligence liefern, also Lageberichte, Einschätzungen, Geheiminformationen.

Aus der Serie: Kim looking at things.

Selbst Kim der Dickere kann zwar auf begrenztem Raum, dort aber unbeschränkt seine Meinung durchsetzen. Umso diktatorischer ein Regime funktioniert, desto hierarchischer sind die Entscheidungswege. Von oben nach unten. Wobei das Problem besteht, dass von unten nach oben meist nur das kommt, was der Herrscher hören will.

So ist es lustigerweise eines der grösseren Probleme aller Mächtigen, realistische und wirklichkeitsnahe Entscheidungsgrundlagen zu bekommen. Der Überfall auf die Ukraine ist das aktuellste Beispiel einer unendlich langen Reihe solcher Entscheidungen, die offensichtlich in völliger Verkennung der wirklichen Sachlage getroffen wurden. In den ersten, längst vergessenen Ankündigungen aus dem Kreml hiess es noch, dass es sich um eine zeitlich eng begrenzte, sozusagen überschaubare Militäraktion handeln werde. Mehr so ein chirurgischer Eingriff, anlog zur Okkupation der Krim. Schnell rein, schnell aufräumen, schnell wieder raus.

Ständig Fehlentscheide aufgrund ungenügender Faktenkenntnis

So kann man sich täuschen. Die beiden letzten Weltkriege (wie die meisten Kriege zuvor) waren voller Fehlentscheide aufgrund falscher Wahrnehmungen. Frankreich wird einem deutschen Angriff widerstehen. Die UdSSR wird dem deutschen Angriff nicht widerstehen. Der damalige Kremlherrscher Stalin wollte es mehrere Tage lang nicht glauben, dass sein Verbündeter Hitler tatsächlich mit dem Überfall auf die UdSSR begonnen hatte. Zuvor hatte Stalin alle Geheimdienstinformationen, die sogar das exakte Datum der Invasion vorhergesagt hatten, als Feindpropaganda, auf die man hereingefallen sei, vom Tisch gewischt. Alle Kriege der eigentlich weit überlegenen arabischen Staaten gegen Israel endeten in krachenden Niederlagen. Der Vietnamkrieg war von Anfang bis Ende ein so aussichtsloses wie verbrecherisches Unternehmen.

In Afghanistan haben sich alle Grossmächte seit den Kolonialzeiten die Zähne ausgebissen und eine blutige Nase geholt. Die Ureinwohner beider Amerika meinten, den Besuchern von jenseits des Atlantiks entweder mit Freundlichkeit oder mit überlegener militärischer Stärke entgegentreten zu können.

Umgeben werden all diese Mächtigen von geschickten Handwerkern, die ihre Entscheidungen der Öffentlichkeit schmackhaft machen. Spin Doctors, PR-Genies, Wortzauberer. Mit der Verbreitung der Massenmedien und nochmals mit mehr Schub durch all die Internet-Plattformen spielt der mediale Aspekt einer Entscheidung eine gleich grosse Rolle wie materielle Faktoren bei der Umsetzung. Einen Krieg gewinnen, das bedeutet auch und nicht zuletzt den Propagandakrieg gewinnen.

Der Lautsprecher beginnt, sich wichtig zu nehmen

Dazu sind Plattformen, Megafone, Lautsprecher, Multiplikatoren unabdingbar. Das führt aber zu einem merkwürdigen Kollateralschaden. Die Angestellten dieser Lautsprecher, also die Journalisten, die Redaktoren, meinen, dass auch ihre Meinung etwas zähle. Dabei sind sie höchstens Soldaten im Propagandakrieg. Erfüllungsgehilfen. Kanonenfutter, mehr oder minder nützliche Windfahnen, Meinungsträger, meistens Opportunisten.

Häufig auch noch mit einem sehr bescheidenen Rucksack an Allgemeinbildung oder Vorkenntnissen ausgerüstet. Aber sie geben sich der Illusion hin, weil das Mediale so wichtig geworden ist, dass das ihre eigene Bedeutung erhöht habe. Dabei ist es den wirklich Mächtigen völlig schnurz, ob Redaktor X einen flammenden Kommentar dagegen schreibt, Redaktor Y scharfe Kritik übt, gewürzt mit strengen Forderungen.

In den Kommandozentralen der Entscheider löst das – wenn überhaupt – gelegentlich amüsiertes Gelächter aus, wenn kleine Würstchen grossen Machtmenschen die Leviten lesen, sie zurechtweisen, ihnen Handlungsanleitungen ans Herz legen.

Die Meinung der Mächtigen zählt. Die Meinung der Medienmacher zählt nicht. Die einen wissen um die Macht, die anderen bilden sie sich ein.

Und der grosse Rest?

Die breite Masse aber, wozu auch ZACKBUM zählt, ist sich wenigstens bewusst, dass unsere Meinung, unsere Ansichten eigentlich nichts zählen. Überhaupt nichts. Keine Demonstration, keine Zeichen, kein Einstehen für, kein Protestieren gegen wird etwas ändern.

Wieso wir es denn überhaupt tun? Ganz einfach. Weil es uns selbst bestätigt, dass wir auch auf der Welt sind und einen eigenen Kopf haben. Der sich auch an der Realität abarbeitet und zu Erkenntissen, Schlussfolgerungen, Einsichten kommt. Aber eigentlich nur für sich selbst – und für die «happy few», für die Stendhal schrieb. Für die jeder schreibt, der nicht der Illusion verfallen ist, Schreiben bringe mehr als im besten Fall intellektuellen Spass und wirkungslosen Erkentnisgewinn.

Denn schreiben bedeutet immer: trotz alledem. Man schreibt, weil man muss. Sonst ist da nichts.

Wumms: Philipp Löpfe

Der Mann ist verwirrt. ZACKBUM ist besorgt.

Löpfe eiert durch die Geschichte und erinnert an Ungarn 1956 und Tschechoslowakei 1968: «Damals waren Linke und Rechte vereint, ein paar Alt-Stalinisten bei der völlig irrelevanten kommunistischen Partei PDA ausgenommen. Doch bald eroberten die Konservativen die Hoheit über den Luftraum der Debatte. Wer es wagte, die Schweiz zu kritisieren, bekam postwendend das Angebot für ein Ticket nach «Moskau einfach».»

Mit PDA meint er übrigens PdA, die Partei der Arbeit.

Hä?

Diesmal hielten sich «die Linken» allerdings zurück, währenddessen: «Die Rechtspopulisten hingegen gehen in die Offensive und küssen Putins Ring

Hä?

«Seit Jahrzehnten singen SVP und «Weltwoche» aus dem gleichen Gesangsbuch wie die amerikanischen Republikaner und Fox News. So kopierten Blocher und seine Mannen einst den «Vertrag mit Amerika» und Köppel versucht sich täglich mit mässigem Erfolg als Tucker-Carlson-Kopie

Hä?

«Dass Putin seine Rede in grossen Teilen von Hitler abgeschrieben hat, der vor dem Einmarsch in die Tschechoslowakei praktisch identisch argumentiert hat, dürfte Trump kaum bekannt sein.»

Hä?

«Wahrscheinlich heissen nicht alle SVP-Mitglieder Köppels peinlichen Kniefall vor dem russischen Präsidenten gut. Doch vorläufig kann Putin einen wichtigen Sieg an der Propaganda-Front verbuchen

Hä?

Sicher, man darf «watson» eigentlich nur bei seinen Listicals einigermassen ernst nehmen. Aber hier überschreitet Löpfe eindeutig die Grenze zur Verwirrtheit und erobert ein Gebiet des Nonsens nach dem anderen. Oder ist das sein Beitrag zu den närrischen Tagen?