Peter Wanner schreibt einen Brief, Jean-Martin Büttner muss gehen. SRF baut ab und um.
Er ist wohl das, was man ein Urgestein nennt. Noch länger als Rainer Stadler bei der NZZ harrte Jean-Martin Büttner beim Tagi, bei T, bei TX, bei Tamedia aus. 37 Jahre verbrachte er dort, sein ganzes Berufsleben.
Er ist Jahrgang 1959, fing 1983, nach Abschluss seines Studiums, beim Tagi an. Das heisst, dass er ein paar Jahre zu früh gefeuert wurde, um problemlos ins Rentnerdasein zu rutschen. Aber solche Kleinigkeiten spielen heutzutage keine Rolle mehr.
Wanner hat einen Brief mit Beilage geschrieben
Wie persoenlich.com exklusiv vermeldet, hat Hausherr Wanner allen Journalisten bei CH Media einen Brief geschrieben. Weihnachtsgrüsse, schwierige Bedingungen, «schätzen Ihren Einsatz sehr», Blabla.
Da dem Schreiben kein Zehnernötli beilag, obwohl sich ja auch dieser Verlag das traditionelle Weihnachtsessen sparen kann (der Zunft geschuldet mehr ein Weihnachtstrinken; welche fabulöse Alkoholrechnungen enthemmte Journalisten verursachen können, sagenhaft), schauten sich die Betroffenen eine Beilage genauer an.
«Leitlinien für den Lokaljournalismus», so der Titel des E-Mail-Anhangs. Interessant. Wird hier erklärt, wieso die Leitlinie daraus besteht, Aussenstationen zuzuklappen, Lokaljournalisten rauszuschmeissen oder zu Regional-, wenn nicht Kantonaljournalisten zu machen?
Leitlinien im luftleeren Fantasieraum
Das ist zwar die bittere Realität, aber davon will sich ein publizistischer Ausschuss doch nicht seine Illusionen nehmen lassen. Der Lokaljournalist müsse «den Stallgeruch spüren», vor allem «nahe dran bleiben», nicht zuletzt: «Man muss ihn mögen, damit er an Informationen herankommt.» So stellt sich das ein Club von überwiegend älteren Herren vor, die noch nie oder seit Jahrzehnten nicht mehr so etwas wie Lokaljournalismus gemacht haben.
Schliesslich sitzt der «Kommunikationsberater» Peter Hartmeier* dem «Publizistischen Ausschuss» von CH Media vor, unterstützt von Koryphäen wie Esther Girsberger oder Peter Wanner himself. Natürlich darf auch die publizistische Leiter nach unten nicht fehlen, Pascal Hollenstein.
Man ahnt es, da kann ja nichts Gutes herauskommen. Nachdem man das den älteren Herren erklärt hat, sind sie nun überzeugt: «Mobile first». Irgendwie. Denn dank des Internets wisse man jetzt, «welche Titel und Artikel besonders gut klicken.» Da hat’s auch beim publizistischen Ausschuss (nomen est omen) spät, aber immerhin klick gemacht. Denn wenn man schon beim digitalen «Change» ganz vorne dabei ist, weiss man auch: «Der moderne Journalist ist ein Video-Journalist.» Denn auch das klickt ungemein.
Neuigkeiten von der Fernbedienung
Wunderbar, man hat sich sagen lassen, dass man nicht mehr nur mit der Fernbedienung, sondern auch mit – wie heisst das Zeugs schon wieder – Streamen bewegte Bilder anschauen kann. Multichannel, you know, Text ist so was von gestern, heute ist Bild und Ton und Text und Illu und Link, und Blog, und Social Media, und, und, und.
Wie macht das der moderne Journalist? Na, piece of cake, wie da der Digital Native sagt: «Mit Video‐ und Audio‐Schnipseln und Fotos bastelt der Journalist eine multimediale Story.» Manchmal gelingen selbst Pfeifen Sätze, die jeden weiteren Kommentar erübrigen. Ausser, dass noch nicht klar ist, ob das der Video-Journalist mit eigenen Mitteln und Selbststudium basteln soll oder nicht.
Bei SRF gibt es keine Bastelstunde
Entschieden weiter mit Video- und Audioschnipseln und überhaupt im Netz ist SRF. Als die Direktorin Nathalie Wappler im Livestream (nimm das, publizistischer Ausschuss) ihre Untergebenen darüber informierte, dass es ihr wirklich ernst ist mit dem digitalen Umbau, meinte man gigabyte-mässig immer noch Unglauben und «lassen uns doch nicht die Festtage völlig versauen» zu spüren.
Denn Wappler kündigte konkret an, dass im Januar die ersten 66 Vollstellen gekündigt werden. Sozialplan vorhanden. Insgesamt verabschiedet sich SRF in den nächsten zwei Jahren von 211 Stellenbesitzern. Das ist bei rund 3000 Angestellten nicht mal 10 Prozent, aber dennoch ist das üppig bezahlte Personal erschüttert, gerüttelt, gerührt und angefasst.
Gleichzeitig aber werden in einem ersten Akt 89 neue Stellen geschaffen. Was bedeutet, dass offenbar viele des Bastelns von Videos und Audios mächtige Mitarbeiter nicht in der Lage sind, ins Modern-Digitale umzusteigen. Eine Zeitenwende wie damals, als man den letzten Printjournalisten ihre Schreibmaschine wegnehmen musste und sie darauf aufmerksam machen, dass faxen nicht mehr die beste Übertragungsmethode ist.
Drei Meldungen, drei Erkenntnisse, eine Frage
Was sagen uns diese drei Ereignisse? Sie verschaffen drei Erkenntnisse. Texte von Büttner wären garantiert nicht besser geworden, wenn er sie mit Video- und Audioschnipseln verunstaltet hätte. Schlichtweg schon deshalb, weil ein guter Schreiber kaum auch ein guter Fotograf, Radio-Reporter oder gar VJ ist.
Was CH Media hier als Blick in die Zukunft vergeigt, ist das typische Resultat eines abgehobenen Altherrenvereins, der selbst vom Millionengrab watson.ch nicht gelernt hat, dass Internet nicht einfach Flimmern statt Drucken bedeutet. Und dass ein Lokaljournalist mit Kamera normalerweise schlechter ist als ohne. Insofern es ihn überhaupt noch gibt.
SRF hingegen, gebadet in genügend Zwangsabgaben, kann es sich leisten, bei der digitalen Transformation Nägel mit Köpfen zu machen. Zuerst ein wohlüberlegter Plan, dann die Strategie zur Umsetzung, dann die personellen Konsequenzen. Muss auch nicht unbedingt funktionieren. Aber im Vergleich zu Tamedia oder CH Media liegen Welten dazwischen.
Zwei Grosskonzerne ohne Konzept, ausser nach Staatshilfe zu krähen. Und ein mehr oder minder Staats-TV, dass verblüffenderweise nicht der Letzte im Umzug ist, wenn es um Paradigmenwechsel geht, sondern den Umzug anführt. Wie absurd ist das denn?
*Da sieht man, wie schnell ich abschalte, wenn sein Name erscheint. So heisst er richtig, nicht Hartmann. Schon wieder. Ich schreibe hundert Mal an die Wandtafel: Ich muss meinen Namens-Check verbessern. Aber immerhin, Dürrenmatt habe ich im ersten Anlauf richtig geschrieben.