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Ordnungspolitischer Zwischenruf

So nannte das mal die NZZ. Das waren noch Zeiten.

Inzwischen leben wir aber in Zeiten, wo immer weniger argumentativ aufeinander eingeprügelt wird, sondern Haltungen, Positionen entweder gelobt – oder verurteilt werden. Es gilt nicht mehr: Abt sagt das. Das ist falsch, weil. Sondern es wird zum Ausdruck gebracht, dass einem die ganze Richtung nicht passt.

Das ist natürlich jedem ZACKBUM-Leser unbenommen. Da wir keine Verantwortung für gesundheitliche Folgen zu grosser Erregung übernehmen können, wollen wir nochmals darauf hinweisen, dass die Lektüre freiwillig ist. Und dass wir jeden kritischen Kommentar, wenn er sich innerhalb der weitgefassten Grenzen von Anstand und rechtlich Zulässigem bewegt, veröffentlichen.

Aber es scheint uns doch nötig, einen kurzen ordnungspolitischen Zwischenruf abzusetzen. ZACKBUM teilt die Auffassungen von Felix Abt nicht. ZACKBUM hat weder die Zeit noch die Kompetenz, seine Argumente zu überprüfen, zu verifizieren oder zu falsifizieren.

ZACKBUM ist hingegen der unerschütterlichen Auffassung, dass es Platz für vom Mainstream und Einheitsbrei abweichende Meinungen geben soll. Daher käme es uns eher nicht in den Sinn, solche Meinungsträger als Gastautoren zu akzeptieren. Ausser, sie hätten ein konkretes Widerwort zu bieten.

ZACKBUM ist zudem der Auffassung, dass Verortungen oder Kritiken an den Gastartikeln, die nicht konkret zur Sache gehen, vielleicht der Psychohygiene des Verfassers dienen, aber keinen erkenntnisfördernden Beitrag zur Debatte bilden.

Dennoch werden wir auch solche Äusserungen weiterhin publizieren, denn wir sind liberal. Aber als Betreiber dieser Plattform bestimmen wir nunmal die Spielregeln. Und wem das nicht passt, der kann das Spielfeld problemlos und freiwillig verlassen. Wer mitspielen will, ist darum gebeten, Inhaltliches zum Spiel beizutragen, sich umlaufenden Spiel zu äussern und nicht zu ausufernd Betrachtungen über die Welt als solche anzustellen.

Vielen Dank.

Was heisst da kritisch?

Neuer Wettbewerb: wer ist der Kritischste im Land?

Statt sich um die Sittenverluderung im Journalismus zu kümmern, dass mangels Recherchekapazitäten (und -fähigkeiten) Abgefüttertes gerne genommen wird, wollen nun alle Medien furchtbar kritisch und distanziert während der Corona-Krise berichtet haben.

Selbst Marc Walder, der quasi eine Standleitung ins Gesundheitsdepartement von Berset hatte, erwähnt einen (!) kritischen Artikel als Beweis, dass es da überhaupt keine unziemliche Nähe gegeben habe. Es darf anhaltend gelacht werden.

Natürlich sind nun auch der «Blick» und der «Tages-Anzeiger» immer ganz, ganz kritisch gewesen. Tamedia bemüht dafür eine Auswertung des University College London, die dem Haus attestiert, es habe bei Corona negativer über Berset geschrieben als alle anderen Schweizer Medienhäuser.

Was Tamedia schamvoll verschweigt: Tamedias Corona-Kreischen kritisierten Berset oft wegen dessen angeblich viel zu laschen Einschränkungen von Freiheitsrechten. Im roten Bereich drehende Redaktoren forderten sogar Impfzwang und kanzelten «Impfverweigerer» als potenzielle Mörder ab.

Die grossen Medienkonzerne sind nicht einmal mehr in der Lage, ihr eigenes Versagen während der Pandemie kritisch aufzuarbeiten. Während sich der «Blick» (und natürlich SRF) in Lobhudeleien über staatsmännische Führer und Lenker fast überschlugen, wollte der angeblich linksliberale «Tages-Anzeiger» möglichst noch harschere Einschränkungen. Dass damit Tausende von KMU in den Ruin getrieben worden wären, dass schon so mehr als die Hälfte aller Arbeitnehmer auf Kurzarbeit waren – was kümmerte es.

Kritisch? Allem gegenüber. Vor allem den anderen gegenüber. Selbstkritisch? Hat man von all den Unken, die Zehntausende von Toten prognostizierten, gar Endzeitstimmung mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen prognostizierten, jemals ein Wort der Selbstkritik gehört? Hat man von all den ruchlosen Abkanzlern aller kritischen Stimmen jemals ein selbstkritisches Wort gehört? Hat von all denen, die gehorsamsverweigernde Skeptiker auf das Übelste beschimpften, als bescheuerte Aluhutträger, Anhänger von absurden Verschwörungstheorien, gerne bereit, rechten Populisten auf den Leim zu kriechen, jemals eine leise Andeutung einer Selbstkritik gehört?

Glauben all diejenigen, es gäbe keine Archive mehr, ihr Gerüpel und Gerempel und Gekeife, ihre liebedienerische Obrigkeitshörigkeit oder ihre arroganten Forderungen nach möglichst harten Massnahmen seien alle mitsamt dem Virus im Orkus verschwunden?

Es hat schon eine gewisse Schamlosigkeit, wenn nun unterwürfige Lobhudler, inquisitorische Rechthaber, Doomsday-Propheten und durch nichts qualifizierte Besserwisser so tun, als hätten sie ausgewogen, distanziert, kritisch und reflektiert über die Pandemie und ihre staatliche Bekämpfung berichtet.

Da gilt wohl extrem: ist der Ruf erst ruiniert …

Die Verpeilten

Nix dabei? Das Berset-Walder-Päckli wird schöngeschrieben.

Es gibt etwas sehr Unangenehmes an Intellektuellen. Sie können eigentlich alles so oder so sehen. Besonders, wenn sie dann noch originell sein wollen, wird’s aschgrau. Hubert Mooser von der «Weltwoche» will ganz originell sein.

Also haut er mal einen raus, den man nur als Rohrkrepierer bezeichnen kann. Schon der Titel sagt alles: «Bersets Corona-Leaks: Wenn Journalisten Indiskretionen anprangern, sägen sie am Ast, auf dem sie selber sitzen».

Wenn Intellektuelle zu eiern beginnen, merkt man das zuerst am ungenauen Sprachgebrauch. Handelt es sich hier um «Corona-Leaks»? Werden hier «Indiskretionen» kritisiert? Mooser wird noch deutlicher: Der ehemaligen Kommunikationschef von Bundesrat Berset habe «nichts getan, was im Umfeld der Bundesräte nicht seit Jahren praktiziert wird. Aber an ihm soll jetzt ein Exempel statuiert werden, um alle anderen zu disziplinieren».

Mooser hat gleich noch einen schlechten Rat für seine Kollegen zur Hand: «Journalisten sollten sich deshalb nicht zu willfährigen Helfern der bundesbernischen Informations-Verhinderer degradieren lassen. Damit schaden sich nämlich die Medien nur selber.»

Mooser war bereits Diener vieler Herrn. Tagi, «Blick», «20 Minuten», RTL, «SonntagsZeitung», «Basler Zeitung». In all den Jahren ist er nie durch einen Primeur aufgefallen, durch die Veröffentlichung einer brandheissen Eigenrecherche. Will er also die Hoffnung darauf nicht aufgeben? Wenn’s so einfach wäre.

Niemand prangert hier «Indiskretionen» an. Noch viel weniger handelt es sich um «Corona-Leaks». Verpeilte Sprache, verpeiltes Denken. Hat Lauener wirklich nur das praktiziert, was alle schon seit Jahren tun?

Ist also das Departement Cassis in ständigem Kontakt mit NZZ-Chefredaktor Eric Gujer? Profitierte die «Weltwoche» von Indiskretionen aus dem Hause Maurer? Unterhielt Sommaruga einen pfleglichen Informationsaustausch mit Tamedia? Liessen sich diese Organe dann als Gegenleistung zu einer liebedienerischen Publizistik hinreissen?

Oder einfach: Hat Mooser Anlass und Stossrichtung der Kritik nicht verstanden – oder will er sie nicht verstehen? Wir hoffen für ihn – Letzteres.

Dass ein Politiker, ein Regierender dafür sorgt, dass ihm genehme, aber vertrauliche Informationen an die Medien durchsickern, ist tatsächlich nicht aussergewöhnlich. Allerdings stellt sich dabei immer die Frage der Strafbarkeit, denn für etwas gibt es scheint’s das Amtsgeheimnis.

Was Bersets Departement und Walder hier veranstaltet haben, spricht aber allen hehren Lobgesängen auf journalistische Unabhängigkeit, Kontrollfunktion, Vierte Gewalt und redaktioneller Unabhängigkeit Hohn.

Alle Medienclans haben ihre politischen Überzeugungen und Haltungen. Das gilt auch für die NZZ als clanunabhängiges Medium. Niemals käme es einem Redaktor – ausser er sei lebensmüde – in den Sinn, dagegen anschreiben zu wollen. So wird man in der «Weltwoche» niemals einen positiven Artikel über Widmer-Schlumpf lesen. Das sind die Kleiderordnungen, an die sich auch ein Mooser hält.

Dass aber ein CEO und Mitbesitzer eines Medienimperiums eine Stallorder herausgibt, wie über ein Thema und seinen Exponenten zu berichten sei, das ist aschgrau. Damit sägt Walder am journalistischen Ast, auf dem seine Redaktion sitzt. Eine solche Nähe zwischen einem mächtigen Medienmann und einem Politiker ist unappetitlich. Kritik an dem, was daraus entstanden ist, ist dringlichst geboten.

Mooser möchte vielleicht der Maxime seines Hauses frönen, im Zweifelsfall das Gegenteil zu schreiben, was der Mainstream schreibt. Das kann manchmal interessant, manchmal sogar richtig, manchmal zumindest amüsant-anregend sein. Oder schlichtweg bescheuert. So wie hier.

 

«Republik»: Besitzer-Beschimpfung

Verlegerkritik an einem Schmieren-Artikel? Die Autoren kläffen zurück.

Die «Republik» beantwortete die Frage von ZACKBUM, ob es menschenmöglich sei, das unterirdische Niveau des Verleumdungsartikels über ein angebliches Netzwerk von «Info-Kriegern» noch zu unterbieten. Die Antwort lautet ja, es erblickte der Schmieren-Artikel «Der Aufsteiger» über den NZZaS-Chefredaktor Jonas Projer das Licht der kleinen Welt der Demokratieretter.

Diese ausschliesslich auf anonymen Stänkereien beruhende Kloake journalistischen Schaffens wurde sogar innerhalb der Gesinnungsblase der «Republik»-Verleger in Kommentaren scharf kritisiert. Neben wenig (wohl bestelltem) Lob hagelt es sogar Abbestellungen:

«Der Artikel behauptet, statt zu zweifeln. Er ist kritisch, ohne selbstkritisch zu sein. Die Autor:innen scheinen restlos überzeugt von ihrer Einschätzung.  – Und jetzt? Was genau ist die Story? – Für mich ist das Gossip: Persönliche Recherchen, gespickt mit Zitaten, wo sie grad passen. – 

Dieser Artikel hat mich in meinem Unbehagen bestärkt, das mich bei der Lektüre von Republik zunehmend befällt.

– Manchmal führe ich mit mir den folgenden Test durch: Ich frage mich «Was von dem, was ich eben gelesen habe, könnte ich jemandem als eine verlässliche und überprüfbare Information weitervermitteln?» Je näher die Antwort gegen Null zustrebt, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass es sich beim Gelesenen um Kolportage handelt. – Braucht es dazu uns, das Publikum? Gibt es dafür keine andere Organe? – Sie Herr Albrecht, wie auch der Rest des Teams, welche die publizistische Verantwortung der Republik trägt, sollten sich hingegen fragen: Haben Sie auch tatsächlich was Relevantes zu berichten über diese Person? (Meinem Verdikt nach: Offenbar nicht wirklich. Deshalb die Seichtigkeit.) – Ich persönlich finde den Artikel ziemlich geschmacklos.»

Sogar der Ex-Mitarbeiter Urs Bruderer kann nicht schweigen: «Disclaimer: Jonas Projer war mein Kollege in Brüssel und ist mein Freund. Und für die „Republik“ hab ich mal gearbeitet. Aber so geht das nicht. „Die Republik hat mit zwei Dutzend Personen gesprochen, …“ – diese Floskel ist kein Freipass, um nachher eine Geschichte ohne Belege und Zitate zu erzählen.»

Dass den Autoren Albrecht und Beck eine Kritik von ZACKBUM schwer an einem gewissen Körperteil vorbeigeht, ist einfach Ausdruck von Arroganz, die aus Unsicherheit entsteht. Aber wenn selbst innerhalb der eigenen Verlegerschaft massiv protestiert wird, entsteht daraus der vielbeschworene «Dialog» mit den Autoren? Nicht wirklich. So meldet sich Albrecht zu Wort und weist seine Brötchengeber scharf zurecht:

«Ich möchte hier auf die vielen Kommentare antworten, die unseren Text kritisieren. Und ich möchte betonen, dass es für uns nach wie vor keinen Zweifel an der Recherche gibt. … Es ist wichtig, dass wir die Geschehnisse so wiedergeben, wie wir es hier getan haben. Dazu gehört auch die Zitierung von anonymen Quellen. Ohne sie wäre Veränderung unmöglich

Welche Recherche? Welche Geschehnisse? Welche Veränderungen?

Auch die Co-Autorin Ronja Beck will unter Beweis stellen, dass sie völlig beratungsresistent ist: «Ich glaube, hier eine Diskussion zu entfachen, bringt aus offensichtlichen Gründen nichts. Deshalb nur kurz: Warum du Informationen von anonymisierten Quellen mit Gerüchten gleichsetzt, ist mir schleierhaft. Ich kann dir versichern, wir haben hier mit gut informierten Quellen gesprochen.»

Sie will offenbar nicht verstehen, dass die Verwendung von anonymen Quellen eine entscheidende Voraussetzung hat: die Glaubwürdigkeit desjenigen, der sie zitiert …

Aber Beck kann noch mehr dafür tun, sich lächerlich zu machen: «Es gibt auch nahezu beliebig viele Unternehmen, die ihr Personal schlecht behandeln. Hätten wir deshalb nie über Globegarden schreiben sollen

Darauf erübrigt sich jeder Kommentar, ausser dem eines «Verlegers»: «Globegarden? Ich hoffe, die Geschichte über Projer fällt nicht genauso in sich zusammen … 😬»

Denn das Duo Infernal Albrecht/Beck zeichnete ebenfalls für den Gewaltsflop «Globe Garden» verantwortlich. Aufgrund fast ausschliesslich anonymer Anwürfe ehemaliger Mitarbeiter zogen die beiden den grössten Betreiber von Kitas in der Schweiz durch den Dreck. Eine gründliche externe Untersuchung der Vorwürfe ergab dann: nichts dran, null, kein einziger Vorwurf (sofern die ungenauen Behauptungen überhaupt konkretisiert werden konnten) liess sich erhärten. Nicht einer. Anlass für Einsicht oder Selbstkritik bei den beiden? Ebenfalls null.

Offensichtlich findet bei der «Republik» keinerlei Qualitätskontrolle mehr statt. Anders lässt sich der Unsinn über die «Info-Krieger» nicht erklären. Anders lässt sich nicht erklären, dass dieser Schmieren-Artikel publiziert werden konnte, der an Lächerlichkeit und fehlerhaften Anwürfen nicht zu überbieten ist. Dazu nur ein Beispiel als Absackerchen.

Um den ungebremsten Egotrip von Projer zu belegen, behaupten die beiden Schmierfinken in ihrem Artikel: «Damit die Schein­werfer keine unerwünschten Schatten auf das Gesicht des Chef­redaktors werfen, muss die Raum­höhe erweitert werden.»

Kleines Problem mit der Wirklichkeit: Der Chefredaktor stand im ersten Jahr praktisch nie vor der Kamera

Wie kommentiert ein gefrusteter Verleger so richtig: «Ich bin allerdings vor allem enttäuscht, wie auf die kritischen Kommentare reagiert wird. Ich sehe vor allem Rechtfertigungen und Abwehrreaktionen.»

Wer sich selbst ohne Not ins Eck manövriert, über keinerlei Fähigkeit zur Selbstkritik verfügt, null Ehrfurcht vor den primitivsten Standards seines Berufs hat, sollte ihn wechseln, statt das ohnehin ramponierte Image noch weiter zu versauen. Im Gastgewerbe zum Beispiel werden dringend Kräfte gesucht …

Vincenz: eine Stimme der Vernunft

Strafrechtsprofessor Marcel Niggli kritisiert das Urteil scharf.

Ordinarius für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Uni Freiburg: Niggli ist ein Schwergewicht, sozusagen die Instanz bei allen Fragen rund ums Strafrecht. Dabei hält er mit seiner Meinung nie hinter dem Berg – im Gegensatz zu vielen Kollegen, die sich lieber nicht in den Nahkampf mit den Mühlen der Justiz begeben.

Niggli rechnet in einem Interview im «Tages-Anzeiger» (hinter Bezahlschranke) mit dem erstinstanzlichen Urteil gegen den gefallenen Banker-Star Pierin Vincenz ab. Und lässt keinen guten Faden daran. Schon zuvor hatte er die 368 Seiten umfassende Anklage als «dünn» abqualifiziert. Aus der Tatsache, dass die beiden Hauptangeklagten länger in Untersuchungshaft sassen, folgerte er, «dass das Gericht keinen Freispruch fällen würde. Denn sonst müsste der Staat Ersatz leisten». So kam es dann auch.

Aber Niggli geht noch weiter und zerpflückt die Begründung des Gerichts für sein drakonisches Urteil (45 Monate für Vincenz, 48 für seinen Kompagnon). Dazu nimmt er ein handliches Beispiel:

«Wenn Sie mir 100 Franken schulden, und Sie geben mir die nicht, dann klage ich. Dann bin ich noch nicht geschädigt im strafrechtlichen Sinn. Die Vorstellung, dass jemand, der seine Verpflichtungen nicht erfüllt, per se schon eine Vermögensschädigung bewirkt, ist falsch. Denn dafür ist das Zivilrecht zuständig.»

Also das Problem, dass Vincenz und Beat Stocker ihren Arbeitgebern gegenüber eine Herausgabepflicht von Gewinnen haben, könne man nicht als strafrechtliches Problem sehen. Sondern als zivil- oder arbeitsrechtliches.

Das Gericht begibt sich auf einen gefährlichen Weg

Betrug und Arglist kann Niggli alleine durch die Verwendung eines Konstrukts nicht erkennen: «Das würde ja heissen, dass, immer wenn ich eine Beteiligungsgesellschaft nutze, ich schon im betrügerischen Bereich unterwegs bin.»

Auch die Rolle der Medien sieht der Professor sehr kritisch: «Ohne die Berichterstattung wäre möglicherweise das Urteil viel neutraler ausgefallen.» Im Fall des Spesenbetrugs hätte Niggli eine Strafe von einem Jahr bedingt für angemessen gehalten.

Über den Einzelfall hinaus sieht er aber ein grundsätzliches Problem:

«Wenn man sagt, dass Vertragsverletzungen automatisch strafbar sind, dann begeben wir uns auf einen sehr gefährlichen Weg.»

Es tut gut, eine Stimme der juristischen Vernunft zu hören. Denn gerade in diesem Fall wurden in der Öffentlichkeit (und durch die Öffentlichkeit) Begrifflichkeiten vermischt, die nichts miteinander zu tun haben sollten.

Moral und Strafrecht sind zwei verschiedene Dinge

Die Entrüstung über das moralisch fragwürdige Verhalten von Vincenz versperrte den Blick auf die strafrechtliche Würdigung. Wenn jemand Spesen in Striplokalen oder für Reisen seinem Arbeitgeber in Rechnung stellt, mag das anrüchig sein. Ob es aber strafrechtlich relevant ist, steht auf einem ganz anderen Blatt. Hier kommt noch ein weiterer Punkt hinzu, auf den Banken-Professor Kunz aufmerksam machte: diese Spesen wurden allesamt vom Vorgesetzten des Bankers, vom damaligen VR-Präsidenten, abgesegnet.

Wenn sie dennoch im Nachhinein als betrügerisch gewertet werden, muss eigentlich jeder, der Spesen verursacht, zusammenzucken. Denn selbst die Tatsache, dass sie akzeptiert wurden, schützt ihn nicht davor, allenfalls im Nachhinein strafrechtlich belangt zu werden.

Der ganze Themenkomplex Rotlichtspesen – und die unablässige Veröffentlichung saftiger Details unter Bruch des Amts- und Geschäftsgeheimnisses – kann nur so interpretiert werden, dass damit Ruf und Reputation des Angeklagten irreversibel geschädigt werden sollten.

Damit wurde das andere Thema, arglistiger Betrug durch verschleierte Beteiligungen ohne Gewinnherausgabe, sozusagen vorbereitet. Jemand, der einen solchen Lebenswandel hat, ist doch sicher auch im Geschäftsleben nicht sauber. Um dann noch ungetreue Geschäftsbesorgung auf ein anderes Niveau zu heben, nämlich als Betrug zu werten, setzt Arglist voraus. Die Beweisführung dafür ist tatsächlich mehr als «dünn» und beruht auf der Strapazierung eines Bundesgerichtsurteils im Fall von nicht herausgegebenen Retrozessionen.

Dass das Gericht hier der Argumentation des Staatsanwalts vollumfänglich folgte, macht es wahrscheinlich, dass das Obergericht korrigierend eingreifen wird.

Der Schaden ist angerichtet, unabhängig vom Ende der Justizodyssee

An der Tatsache, dass die gesellschaftliche Stellung der Angeklagten unwiderruflich zerstört ist, ihre finanziellen Verhältnisse zerrüttet, nicht zuletzt durch die schon Jahre andauernde Beschlagnahmung ihrer Vermögenswerte, stellt einen nicht wiedergutzumachenden Schaden dar.

Es geht hier keinesfalls um eine Verteidigung des Verhaltens von Vincenz. Aber es muss zwischen der strafrechtlichen und der moralischen Beurteilung strikt unterschieden werden. Hat doch Dreck am Stecken und konnte den Kanal nicht voll genug kriegen, das ist Volkes Stimme, aber keine rechtlich relevante Position.

Relevant ist hingegen, dass theoretisch bis zu einem rechtsgültigen Urteil für Vincenz und seinen Kompagnon die Unschuldsvermutung zu gelten hätte. Das ist in diesem Fall purer Hohn.

 

 

 

 

Lustige Zeiten bei der NZZ

Wenn die NZZ dem Schwesterblatt NZZaS eine reinwürgt.

Früher war es legendär, wie sich «SonntagsBlick» und «Blick» gegenseitig gehasst haben. Weiterzug einer Story, gemeinsame Kampfbündnisse? I wo, wenn man sich gegenseitig ignorieren oder in den Unterleib treten konnte: sehr gerne.

Das hat sich im Rahmen der Sparmassnahmen und der Skelettierung der beiden Blätter erledigt. Aber im Hause NZZ gibt’s noch Potenzial.

Die NZZaS wartete mit dem Primeur auf, dass sie einen der beiden Hauptbeschuldigten in der Affäre Vincenz kurz vor Prozessbeginn zu einem längeren Interview überreden konnte. Nachdem Beat Stocker eisern die ganzen, quälenden Jahre der Untersuchung geschwiegen hatte.

Immerhin, was man auch vom Inhalt seiner Aussagen halten mag. Da könnte man ja von der NZZ etwas Applaus erwarten.

Könnte man, gibt’s aber nicht. Im Gegenteil. Am Dienstag nach dem Interview meldet sich Lorenz Honegger in der NZZ zu Wort. Die zweite Generation Honegger zieht blank:

Das war wohl nix, daher ist sein vernichtendes Urteil natürlich gepaart mit der unausgesprochenen Frage, wieso sich die NZZaS dafür hergegeben habe.

Nun baut Honegger seine Anklage auf die Aussagen von «zwei führenden Schweizer Litigation-PR-Experten». Darunter versteht man die Benützung der Öffentlichkeit zwecks möglicher Beeinflussung von Richtern.

Der eine Experte ist «Patrick Krauskopf, Professor für Wirtschaftsrecht an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.» Das Problem: der ist völlig unbeleckt von Kenntnissen über das Strafrecht und auch sonst in der Branche niemandem als Litigation-PR-Experte bekannt.

Aber praktisch, dass er das interview kritisch sieht: «Ich würde den Angeklagten die Botschaft nicht selbst überbringen lassen.» Und: ««Qui s’excuse, s’accuse», sagt Krauskopf.»

Der zweite «führende Experte» heisst «Laurent Ashenden, Gründer und Geschäftsführer der PR-Agentur Voxia». Der ist ebenfalls noch nie öffentlich in dieser Funktion aufgefallen, was wohl auch den eher dürftigen Trackrecord auf seiner Webseite erklärt. Aber auch Ashenden darf zuschlagen:

«Seine Message ist: Ich bin unschuldig. Aber er schafft es nicht, zu überzeugen.»

Krauskopf darf dann noch das letzte Wort behalten: «Man wird sich fragen, ob es geschickt war, am zweiten Neujahrstag mit einem solchen Interview herauszukommen.»

Anlass, Honegger ein paar Fragen zu stellen:

  1. Halten Sie es für seriös, mit diesen beiden No-Names Kritik am Interview im Schwesterblatt zu üben?

  2. Aufgrund welcher Kriterien haben Sie die beiden ausgewählt?

  3. Sucht man nach den Begriffen «Litigation, Experte, Schweiz» kommt eine ganze Reihe von solchen Angeboten seriöser Kanzleien. Wieso haben Sie keine der so auffindbaren gewählt?

Trotz grosszügig bemessener Antwortfrist verfiel Honegger aber in finsteres Schweigen, was angesichts des sonstigen Niveaus der NZZ doch überrascht.

Da bleibt Platz für Interpretationen. Wie wär’s damit: die grösste Veränderung in den letzten Monaten war der Antritt des neuen NZZaS-Chefredaktors Jonas Projer. Der versucht, dem Sonntagsblatt etwas mehr Drive zu geben und vor allem die Interaktion mit der Leserschaft zu verstärken.

Projer hat dabei die Hypothek, dass er als TV-Mann abgestempelt ist und zudem von «Blick»-TV kommt. Da schüttelt es jeden alten NZZler durch, der das eigene «Format» als Benchmark für seriöse TV-Mache sieht.

Zudem ist es nicht ganz klar, wie eigentlich die Hierarchie zwischen God Almighty Eric Gujer und Projer aussieht. Bei seinen beiden Vorgängern war klar, wer Herr ist und wer Knecht. Durch die weitgehende Zusammenlegung von NZZ und NZZaS schrumpft ja auch das Königreich des NZZaS-Chefs.

Da ein unbedeutender Redaktor wie Honegger so ein Stück sicherlich nicht ohne Einverständnis aller oberen Chargen veröffentlichen konnte, stellt sich die lustige Frage, ob das ein öffentlicher Warnschuss von der Kommandobrücke des Dampfers NZZ vor den Bug des Beiboots NZZaS war.

Gujer könnte sich die naheliegende Frage stellen, wozu es eigentlich noch einen eigenständigen zweiten Chef im Hause braucht …

 

 

 

 

 

 

 

 

Doppel-Verwertung

Wie man aus einem Interview eine Fortsetzung saugt.

Das nennt man Arbeitsteilung. In der NZZaS erscheint ein ausführliches Interview mit dem in der Causa Vincenz Mitangeklagten Beat Stocker.

Ein kleiner Donnerschlag, denn obwohl so ziemlich alle Details, vor allem unappetitliche, in der jahrelangen Strafuntersuchung an die Öffentlichkeit durchgestochen wurden, haben die beiden Hauptbeschuldigten eisern geschwiegen.

Pierin Vincenz bis heute, abgesehen von einer kurzen Meldung, nachdem er aus der U-Haft entlassen wurde. Er sei unschuldig und werde das auch beweisen. Stocker hingegen, von der «Bilanz» auch schon als «Schattenmann» auf den Titel geklatscht, meldete sich nun kurz vor Prozessbeginn ausführlich zu Wort.

Er wolle sich erklären, er sei unschuldig, das wollte er offensichtlich rüberbringen. Natürlich nicht im SoBli und auch nicht in der Tamedia Muppet Show.

Nun zieht die NZZ nach und lässt zwei Litigation-Spezialisten die Absichten von Stocker in die Pfanne hauen:

«Justiz auf Amerikanisch hat im Fall Vincenz wenig Erfolgschancen», lautet das Verdikt.

«Ich würde den Angeklagten die Botschaft nicht selbst überbringen lassen», kritisiert einer der Fachleute: «Qui s’excuse, s’accuse». Der zweite sekundiert: «Seine Message ist: Ich bin unschuldig. Aber er schafft es nicht, zu überzeugen.»

Schliesslich sei dann das Strafmass und die Beurteilung der Reputation Stockers der Massstab, um den Erfolg – oder Misserfolg – dieser Strategie zu bewerten:

«Man wird sich fragen, ob es geschickt war, am zweiten Neujahrstag mit einem solchen Interview herauszukommen.»

Das war allerdings für Stocker – und das Schwesterblatt NZZaS – keine Frage.

Lustige Zeiten im Journalismus. Mehr oder minder offene Kollegenschelte greift immer mehr um sich.

 

 

Eine Sendung, drei Darstellungen

Es war der gleiche «Club», den Tamedia und «watson» und nau.ch gesehen haben. Nur durch drei verschiedene Brillen.

Corona ist schwierig. Die mediale Behandlung ist in weiten Strecken ein Trauerspiel, ein Rückfall in voraufklärerische Zeiten, als autoritäre Rechthaberei wichtiger war als Erkenntnisgewinn durch Debatte.

Da könnte es ein Lichblick sein, wenn das nicht gerade durch Staatsferne auffallende SRF eine «Club»-Sendung dem Thema «Corona und die Kritiker» widmet. 75 Minuten diskutierten unter der Leitung von Sandro Brotz, selber schon mit kontroversen Aussagen aufgefallen, und Barbara Lüthi eine muntere Runde.

Reto Brennwald (Journalist), Michael Bubendorf (Freunde der Verfassung), Prisca Würgler (Maskenverweigerin), Manuel Battegay (Infektiologe) und Pierre Alain Schnegg (Regierungsrat BE/SVP), da war eigentlich repräsentativ ein hübscher Querschnitt vertreten.

Die Frage beherrschte die Sendung, ob ein Dialog überhaupt noch möglich sei zwischen Befürwortern und Kritikern der Pandemie-Politik der Schweiz. Dazu wollte der «Club» einen Beitrag leisten.

Der «Tages-Anzeiger» leider nicht. Linus Schöpfer weiss, welche Meinung er zu tragen hat. «Club» wird zum Gugus-Spreader-Event», dieser Titel hat immerhin einen Vorteil. Man müsste den Kommentar gar nicht lesen. Aber für die Leser von ZACKBUM tun wir (fast) alles. Auch wenn Schöpfer offensichtlich gegen jede Form von Intelligenz eine natürliche Immunität aufweist – oder dagegen geimpft wurde.

Wie viele Leser verstehen diesen Gaga-Titel?

«Fakten spielten in diesem Club keine Rolle», behauptet er forsch, denn er muss ja dem flotten Titel hinterherhecheln. Er selbst hält sich vorbildlich an diese Behauptung. Ausser, dass der «einzige Wissenschaftler in der Runde» sich – vergeblich – um ein «Mindestmass an Aufklärung» bemüht habe, was ihm aber vor allem von Bubendorf kaputt gemacht wurde, was passierte denn sonst noch in den 75 Minuten?

Welchen «Club» hat Schöpfer wohl gesehen?

«Brotz und Lüthi liessen Nonsense unwidersprochen passieren.» Wobei richtige Verschwörungstheorien doch nicht herumgeboten wurden, wie Schöpfer aufatmend feststellt:

«Niemand sagte Sachen wie «Alain Berset ist ein ferngesteuertes Krokodil».»

Nun ist zum Beispiel Reto Brennwald, als altgedienter SRF-Mann und «Arena»-Dompteur, bislang nicht damit aufgefallen, dass er Gugus versprühen würde. Was sagte er denn in dieser Diskussionsrunde? Differenziert-reflektierte Dinge sagte er, daher kommt er bei Schöpfer natürlich nicht vor.

Jede schöpferische Umdeutung der Realität ist erlaubt. Wenn es sich um ein Kunstwerk handelt. Handelt es sich um eine TV-Kritik, oder einfach eine «Meinung» dazu, sollte die zumindest tiefergelegten Massstäben genügen. «Ging leider schief», verurteilt Schöpfer diesen durchaus akzeptablen Versuch eines Dialogs. Denn der einzige, der dazu offensichtlich nicht in der Lage ist, heisst Schöpfer. Unglaublich, dass niemand bei Tamedia sich traut, so einem Gugus-Schreiber den Stecker zu ziehen. Ist doch ein Mann, da könnte man endlich durchgreifen, bevor der Tagi ins Dumpfbackig-Blöde abschmiert.

Es tut weh, das sagen zu müssen: im Vergleich dazu bemüht sich «watson» immerhin um eine gewisse Ausgeglichenheit.

Drei oder 3, das ist hier die Frage.

Allerdings konzentriert er sich auf «3 Punkte», was dann nur erlaubt, Bubendorf («Maskenloser», bäh) zusammen mit «SVP-Schnegg» (neutral, da er «viel erlebt hatte») und Battegay (bravo, «hartnäckiger Kliniker») aufzuführen. Wieso aber «watson» einleitend zum Fazit kommt:

«Eine lebhafte Diskussion, die Mitleid erweckt»?

Zur Entschlüsselung bräuchte es wohl einen Sherlock Holmes. Inhaltlich macht sich zwar auch «watson» keine Mühe und breitet die No-News aus, dass zwar sowieso niemand Masken trug, die zwei Corona-Kritiker aber auch sowieso keine getragen hätten.

Das ist ungefähr so gugus wie zu sagen: es gibt hier keine Sicherheitsgurte. Aber ich hätte sie auch nicht getragen.

nau.ch geht als strahlender Sieger durchs Ziel

Nau.ch wird oft als Fast-Food-Newsschleuder verspottet, als noch mehr gratis als «20 Minuten». Allerdings: die TV-Kritik von nau.ch gewinnt hier mit Abstand den ersten Preis. Die verschiedenen Positionen kommen zu Wort, es wird an Häme oder Vorverurteilung gespart, der Leser könnte sich ein eigenes Bild von der Sendung machen. Hätte er sie verpasst oder wäre an ihrem Inhalt interessiert.

Jeder ZACKBUM-Leser kann den «Club» nachschauen, so er will. Er kann’s auch lassen, sollte dann aber unserer professionellen Neutralität vertrauen. Die Sendung war ein Lichtblick, indem weitgehend auf das Werfen von Schlammkugeln aus der eigenen Gesinnungsblase verzichtet wurde.

Auch die Moderatoren, aus Sicherheitsgründen gleich im Doppelpack aufmarschiert, zeigten sich für einmal wohlwollend zurückhaltend und erzählten sogar Anekdoten aus ihrem eigenen Umgang mit Corona. Gab’s grossen Erkenntnisgewinn, wurde jemand überzeugt? Natürlich nicht, das passiert nie in solchen Talkshows. Aber man hat weitgehend friedlich und mit überschaubarem rhetorischen Geschäume miteinander gesprochen. Grossartig. Nun muss nur noch Tamedia einen Gang runterschalten, dann könnte vielleicht eine Debatte beginnen.

Mann spricht, Frau schaut: Wo bleibt der Aufschrei?

 

 

 

Es darf gelacht werden: Feuer frei!

Knellwolf, übernehmen Sie! Es gibt noch mehr Gefahr, die von dieser Aufforderung zur Gewalt ausgeht.

Alles ist relativ. Ein SVP-Politiker, der sich nicht unbedingt nationaler Bekanntheit erfreut, verwendete in einer rund 100 Nasen umfassenden Chatgruppe den Spruch «Feuer frei!», um zur Gegenwehr gegen eine Forderung des Bundesamts für Gesundheit aufzurufen.

Das zwirbelte das Blatt der sensiblen Gewaltfreiheit zur Coverstory hoch und warnte in insgesamt drei Artikel davor, dass das brandgefährlich sei. Solche virtuellen Aufrufe könnten schnell real missverstanden werden, und dann könnte auf das BAG geschossen werden. Mit echten Kugeln.

Aber Thomas Knellwolf als ehemaliger Recherchier-Journalist hat natürlich nur an der Oberfläche gekratzt. Da wäre zum Beispiel die deutsche Band «Rammstein» mit ihrem Song «Feuer frei!». Schockierend: der wurde alleine auf YouTube bislang rund 140 Millionen (!) Male aufgerufen. Fast 600’000 Fans gaben ihm ein Daumen hoch.

Bitte nicht nachmachen: Videoclip von «Rammstein».

Wenn man sich vergegenwärtigt, was für ein Gewaltpotenzial hier wie Magma unter der Oberfläche brodelt: Knellwolf, es besteht dringlicher Handlungsbedarf. Das ist Faktor 1,4 Millionen mal mehr Gefährdungspotenzial als beim Aufruf zur Gewalt der SVP!

Hemmungslose Feuerorgie auf der Bühne. Ist das noch Kunst?

Es ist ja nicht nur der Schiessbefehl im Titel des Songs, auch das Lied selber enthält genügend Munition, um einem Knellwolf die Schweissperlen der Angst auf die Stirne zu treiben:

Wann fallen die ersten Schüsse, bei diesen Songzeilen?

Es ist bedauerlich, dass man einem so ausgewiesenen Recherchier-Journalisten weitere Fundstücke nachtragen muss:

Ein gut getarnter Aufruf zur Gewalt. Anleitung für Pyromanen.

Zumindest die Webseite im Aufbau könnte noch durch ein beherztes Eingreifen von Tamedia verhindert werden; dass selbst die NZZ, ja gar der Limmattaler mit dem Feuer spielt, ist so bedauerlich wie traurig; es wirft ein Schlaglicht auf den Sittenzerfall in unserer Gesellschaft, der nicht erst gestern begonnen hat.

Vielleicht könnte Tamedia – mit oder ohne Knellwolf – sein Recherche-Desk endlich mal für etwas Konstruktives einsetzen. Statt sinn- und zwecklos gestohlene Geschäftsunterlagen durchzuflöhen und absurd übertriebene Behauptungen aufzustellen, auf welche Abgründe man da wieder gestossen sei, wäre es doch verdienstvoll, der Gewalt im Internet den Kampf anzusagen.

«Feuer frei!» gegen «Feuer frei!», sozusagen. Die Folgen wären so unabsehbar wie segensreich. Endlich würde ein alter Traum wahr, Tamedia würde ein bisschen Frieden in die Welt bringen:

Damit ihr Traum endlich wahr wird …

Denn das bewegende Lied von Nicole ist bislang nur 6,5 Millionen mal aufgerufen und magere 32’000 mal gelikt worden. Das muss besser werden, damit die Welt eine bessere wird.

Alle können noch dazulernen

Aber nicht nur Knellwolf, auch sein oberer Vorgesetzter kann noch dazulernen, wie mehr Friede und weniger Feuer in die Welt kommt. Denn Arthur Rutishauser hat nach zweitägigem, vertieftem Nachdenken herausgefunden, dass eine kindische Karikatur, in der der Kopf seiner Mitarbeiterin Michèle Binswanger in eine Illustration der Hinrichtungen während der Französischen Revolution hineingemecht wurde, eine «Grenzüberschreitung» darstelle. Sogar eine «schwere».

Rutishauser gelangt in seinem mit langer Lunte entstandenen Kommentar zur Schlussfolgerung:

«Besorgniserregend ist, dass mittlerweile ein Teil der politischen Linken so intolerant geworden ist, dass sie auf jeglichen Anstand verzichtet und Volksverhetzung betreibt.»

Bittere und anklagende Worte des Oberchefredaktors von Tamedia. Nur: fällt ihm dieses Phänomen nicht in seinen eigenen Redaktionen auch auf? Existiert da dieser Teil der politischen Linken nicht? Und wenn wir schon dabei sind: kennt man dieses Phänomen bei der politischen Rechten nicht? Zumindest bei einem Teil davon?

Oder nochmal anders: Sind Grenzüberschreitungen in Richtung brunzdumm nicht noch besorgniserregender? Ein paar Knallköpfe aus dem Umfeld der Berner Reitschule werden mit einer Strafanzeige überzogen. Tamedia fällt wie das Jüngste Gericht über einen unbesonnenen Spruch eines SVP-Politikers her, weil der in der SVP ist.

Tiefergelegtes Niveau der Debatte

Allgemeines Wehgeschrei: die da sind ganz böse. Nein, selber böse. Nein, du böse. Nein, du mehr böse. Du Hetzer. Ha, du grosser Hetzer. Ich kein Hetzer, du aber. Ohne die Verwendung des Wortes Hetzer werden so Konflikte im Sandkasten ausgetragen, inklusive Zerstörung von Sandkuchen, Fuchteln mit Schäufelchen oder gar dem Ziehen an Haaren, Kratzen und Beissen, bis die Eltern eingreifen.

Kampfplatz, nach einer aktuellen Debatte …

Auf diesem ärmlichen Niveau ist ein Teil der politischen Debatte angekommen. Begleitet von Dialogverweigerung, Unfähigkeit, mit Kritik oder Gegenargumenten umzugehen. Mit Ballern aus dem Glashaus, aber feigem Wegducken, wenn zurückgeschossen wird. Rechthaberei und Belehrung ist hohl und lachhaft, wenn sie sich nicht der Debatte stellt. Wäffeln ist einfach, argumentieren anspruchsvoll.

Um nicht nur Männerriten und Pseudo-Martialisches wie von Rammstein zu denunzieren: auch die erregten Tamedia-Frauen haben nach ihrem Protestbrief bislang jede Gelegenheit ausgelassen, sich einer Debatte zu stellen. Auch so verzichtet man auf jeden Anstand.

Schiessscharte auf, rausballern, Schiessscharte zu und die Reaktion aussitzen. Das soll dann Erkenntnisgewinn durch Meinungsaustausch und Debatte sein?