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Lustige Zeiten bei der NZZ

Wenn die NZZ dem Schwesterblatt NZZaS eine reinwürgt.

Früher war es legendär, wie sich «SonntagsBlick» und «Blick» gegenseitig gehasst haben. Weiterzug einer Story, gemeinsame Kampfbündnisse? I wo, wenn man sich gegenseitig ignorieren oder in den Unterleib treten konnte: sehr gerne.

Das hat sich im Rahmen der Sparmassnahmen und der Skelettierung der beiden Blätter erledigt. Aber im Hause NZZ gibt’s noch Potenzial.

Die NZZaS wartete mit dem Primeur auf, dass sie einen der beiden Hauptbeschuldigten in der Affäre Vincenz kurz vor Prozessbeginn zu einem längeren Interview überreden konnte. Nachdem Beat Stocker eisern die ganzen, quälenden Jahre der Untersuchung geschwiegen hatte.

Immerhin, was man auch vom Inhalt seiner Aussagen halten mag. Da könnte man ja von der NZZ etwas Applaus erwarten.

Könnte man, gibt’s aber nicht. Im Gegenteil. Am Dienstag nach dem Interview meldet sich Lorenz Honegger in der NZZ zu Wort. Die zweite Generation Honegger zieht blank:

Das war wohl nix, daher ist sein vernichtendes Urteil natürlich gepaart mit der unausgesprochenen Frage, wieso sich die NZZaS dafür hergegeben habe.

Nun baut Honegger seine Anklage auf die Aussagen von «zwei führenden Schweizer Litigation-PR-Experten». Darunter versteht man die Benützung der Öffentlichkeit zwecks möglicher Beeinflussung von Richtern.

Der eine Experte ist «Patrick Krauskopf, Professor für Wirtschaftsrecht an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.» Das Problem: der ist völlig unbeleckt von Kenntnissen über das Strafrecht und auch sonst in der Branche niemandem als Litigation-PR-Experte bekannt.

Aber praktisch, dass er das interview kritisch sieht: «Ich würde den Angeklagten die Botschaft nicht selbst überbringen lassen.» Und: ««Qui s’excuse, s’accuse», sagt Krauskopf.»

Der zweite «führende Experte» heisst «Laurent Ashenden, Gründer und Geschäftsführer der PR-Agentur Voxia». Der ist ebenfalls noch nie öffentlich in dieser Funktion aufgefallen, was wohl auch den eher dürftigen Trackrecord auf seiner Webseite erklärt. Aber auch Ashenden darf zuschlagen:

«Seine Message ist: Ich bin unschuldig. Aber er schafft es nicht, zu überzeugen.»

Krauskopf darf dann noch das letzte Wort behalten: «Man wird sich fragen, ob es geschickt war, am zweiten Neujahrstag mit einem solchen Interview herauszukommen.»

Anlass, Honegger ein paar Fragen zu stellen:

  1. Halten Sie es für seriös, mit diesen beiden No-Names Kritik am Interview im Schwesterblatt zu üben?

  2. Aufgrund welcher Kriterien haben Sie die beiden ausgewählt?

  3. Sucht man nach den Begriffen «Litigation, Experte, Schweiz» kommt eine ganze Reihe von solchen Angeboten seriöser Kanzleien. Wieso haben Sie keine der so auffindbaren gewählt?

Trotz grosszügig bemessener Antwortfrist verfiel Honegger aber in finsteres Schweigen, was angesichts des sonstigen Niveaus der NZZ doch überrascht.

Da bleibt Platz für Interpretationen. Wie wär’s damit: die grösste Veränderung in den letzten Monaten war der Antritt des neuen NZZaS-Chefredaktors Jonas Projer. Der versucht, dem Sonntagsblatt etwas mehr Drive zu geben und vor allem die Interaktion mit der Leserschaft zu verstärken.

Projer hat dabei die Hypothek, dass er als TV-Mann abgestempelt ist und zudem von «Blick»-TV kommt. Da schüttelt es jeden alten NZZler durch, der das eigene «Format» als Benchmark für seriöse TV-Mache sieht.

Zudem ist es nicht ganz klar, wie eigentlich die Hierarchie zwischen God Almighty Eric Gujer und Projer aussieht. Bei seinen beiden Vorgängern war klar, wer Herr ist und wer Knecht. Durch die weitgehende Zusammenlegung von NZZ und NZZaS schrumpft ja auch das Königreich des NZZaS-Chefs.

Da ein unbedeutender Redaktor wie Honegger so ein Stück sicherlich nicht ohne Einverständnis aller oberen Chargen veröffentlichen konnte, stellt sich die lustige Frage, ob das ein öffentlicher Warnschuss von der Kommandobrücke des Dampfers NZZ vor den Bug des Beiboots NZZaS war.

Gujer könnte sich die naheliegende Frage stellen, wozu es eigentlich noch einen eigenständigen zweiten Chef im Hause braucht …

 

 

 

 

 

 

 

 

Doppel-Verwertung

Wie man aus einem Interview eine Fortsetzung saugt.

Das nennt man Arbeitsteilung. In der NZZaS erscheint ein ausführliches Interview mit dem in der Causa Vincenz Mitangeklagten Beat Stocker.

Ein kleiner Donnerschlag, denn obwohl so ziemlich alle Details, vor allem unappetitliche, in der jahrelangen Strafuntersuchung an die Öffentlichkeit durchgestochen wurden, haben die beiden Hauptbeschuldigten eisern geschwiegen.

Pierin Vincenz bis heute, abgesehen von einer kurzen Meldung, nachdem er aus der U-Haft entlassen wurde. Er sei unschuldig und werde das auch beweisen. Stocker hingegen, von der «Bilanz» auch schon als «Schattenmann» auf den Titel geklatscht, meldete sich nun kurz vor Prozessbeginn ausführlich zu Wort.

Er wolle sich erklären, er sei unschuldig, das wollte er offensichtlich rüberbringen. Natürlich nicht im SoBli und auch nicht in der Tamedia Muppet Show.

Nun zieht die NZZ nach und lässt zwei Litigation-Spezialisten die Absichten von Stocker in die Pfanne hauen:

«Justiz auf Amerikanisch hat im Fall Vincenz wenig Erfolgschancen», lautet das Verdikt.

«Ich würde den Angeklagten die Botschaft nicht selbst überbringen lassen», kritisiert einer der Fachleute: «Qui s’excuse, s’accuse». Der zweite sekundiert: «Seine Message ist: Ich bin unschuldig. Aber er schafft es nicht, zu überzeugen.»

Schliesslich sei dann das Strafmass und die Beurteilung der Reputation Stockers der Massstab, um den Erfolg – oder Misserfolg – dieser Strategie zu bewerten:

«Man wird sich fragen, ob es geschickt war, am zweiten Neujahrstag mit einem solchen Interview herauszukommen.»

Das war allerdings für Stocker – und das Schwesterblatt NZZaS – keine Frage.

Lustige Zeiten im Journalismus. Mehr oder minder offene Kollegenschelte greift immer mehr um sich.

 

 

Eine Sendung, drei Darstellungen

Es war der gleiche «Club», den Tamedia und «watson» und nau.ch gesehen haben. Nur durch drei verschiedene Brillen.

Corona ist schwierig. Die mediale Behandlung ist in weiten Strecken ein Trauerspiel, ein Rückfall in voraufklärerische Zeiten, als autoritäre Rechthaberei wichtiger war als Erkenntnisgewinn durch Debatte.

Da könnte es ein Lichblick sein, wenn das nicht gerade durch Staatsferne auffallende SRF eine «Club»-Sendung dem Thema «Corona und die Kritiker» widmet. 75 Minuten diskutierten unter der Leitung von Sandro Brotz, selber schon mit kontroversen Aussagen aufgefallen, und Barbara Lüthi eine muntere Runde.

Reto Brennwald (Journalist), Michael Bubendorf (Freunde der Verfassung), Prisca Würgler (Maskenverweigerin), Manuel Battegay (Infektiologe) und Pierre Alain Schnegg (Regierungsrat BE/SVP), da war eigentlich repräsentativ ein hübscher Querschnitt vertreten.

Die Frage beherrschte die Sendung, ob ein Dialog überhaupt noch möglich sei zwischen Befürwortern und Kritikern der Pandemie-Politik der Schweiz. Dazu wollte der «Club» einen Beitrag leisten.

Der «Tages-Anzeiger» leider nicht. Linus Schöpfer weiss, welche Meinung er zu tragen hat. «Club» wird zum Gugus-Spreader-Event», dieser Titel hat immerhin einen Vorteil. Man müsste den Kommentar gar nicht lesen. Aber für die Leser von ZACKBUM tun wir (fast) alles. Auch wenn Schöpfer offensichtlich gegen jede Form von Intelligenz eine natürliche Immunität aufweist – oder dagegen geimpft wurde.

Wie viele Leser verstehen diesen Gaga-Titel?

«Fakten spielten in diesem Club keine Rolle», behauptet er forsch, denn er muss ja dem flotten Titel hinterherhecheln. Er selbst hält sich vorbildlich an diese Behauptung. Ausser, dass der «einzige Wissenschaftler in der Runde» sich – vergeblich – um ein «Mindestmass an Aufklärung» bemüht habe, was ihm aber vor allem von Bubendorf kaputt gemacht wurde, was passierte denn sonst noch in den 75 Minuten?

Welchen «Club» hat Schöpfer wohl gesehen?

«Brotz und Lüthi liessen Nonsense unwidersprochen passieren.» Wobei richtige Verschwörungstheorien doch nicht herumgeboten wurden, wie Schöpfer aufatmend feststellt:

«Niemand sagte Sachen wie «Alain Berset ist ein ferngesteuertes Krokodil».»

Nun ist zum Beispiel Reto Brennwald, als altgedienter SRF-Mann und «Arena»-Dompteur, bislang nicht damit aufgefallen, dass er Gugus versprühen würde. Was sagte er denn in dieser Diskussionsrunde? Differenziert-reflektierte Dinge sagte er, daher kommt er bei Schöpfer natürlich nicht vor.

Jede schöpferische Umdeutung der Realität ist erlaubt. Wenn es sich um ein Kunstwerk handelt. Handelt es sich um eine TV-Kritik, oder einfach eine «Meinung» dazu, sollte die zumindest tiefergelegten Massstäben genügen. «Ging leider schief», verurteilt Schöpfer diesen durchaus akzeptablen Versuch eines Dialogs. Denn der einzige, der dazu offensichtlich nicht in der Lage ist, heisst Schöpfer. Unglaublich, dass niemand bei Tamedia sich traut, so einem Gugus-Schreiber den Stecker zu ziehen. Ist doch ein Mann, da könnte man endlich durchgreifen, bevor der Tagi ins Dumpfbackig-Blöde abschmiert.

Es tut weh, das sagen zu müssen: im Vergleich dazu bemüht sich «watson» immerhin um eine gewisse Ausgeglichenheit.

Drei oder 3, das ist hier die Frage.

Allerdings konzentriert er sich auf «3 Punkte», was dann nur erlaubt, Bubendorf («Maskenloser», bäh) zusammen mit «SVP-Schnegg» (neutral, da er «viel erlebt hatte») und Battegay (bravo, «hartnäckiger Kliniker») aufzuführen. Wieso aber «watson» einleitend zum Fazit kommt:

«Eine lebhafte Diskussion, die Mitleid erweckt»?

Zur Entschlüsselung bräuchte es wohl einen Sherlock Holmes. Inhaltlich macht sich zwar auch «watson» keine Mühe und breitet die No-News aus, dass zwar sowieso niemand Masken trug, die zwei Corona-Kritiker aber auch sowieso keine getragen hätten.

Das ist ungefähr so gugus wie zu sagen: es gibt hier keine Sicherheitsgurte. Aber ich hätte sie auch nicht getragen.

nau.ch geht als strahlender Sieger durchs Ziel

Nau.ch wird oft als Fast-Food-Newsschleuder verspottet, als noch mehr gratis als «20 Minuten». Allerdings: die TV-Kritik von nau.ch gewinnt hier mit Abstand den ersten Preis. Die verschiedenen Positionen kommen zu Wort, es wird an Häme oder Vorverurteilung gespart, der Leser könnte sich ein eigenes Bild von der Sendung machen. Hätte er sie verpasst oder wäre an ihrem Inhalt interessiert.

Jeder ZACKBUM-Leser kann den «Club» nachschauen, so er will. Er kann’s auch lassen, sollte dann aber unserer professionellen Neutralität vertrauen. Die Sendung war ein Lichtblick, indem weitgehend auf das Werfen von Schlammkugeln aus der eigenen Gesinnungsblase verzichtet wurde.

Auch die Moderatoren, aus Sicherheitsgründen gleich im Doppelpack aufmarschiert, zeigten sich für einmal wohlwollend zurückhaltend und erzählten sogar Anekdoten aus ihrem eigenen Umgang mit Corona. Gab’s grossen Erkenntnisgewinn, wurde jemand überzeugt? Natürlich nicht, das passiert nie in solchen Talkshows. Aber man hat weitgehend friedlich und mit überschaubarem rhetorischen Geschäume miteinander gesprochen. Grossartig. Nun muss nur noch Tamedia einen Gang runterschalten, dann könnte vielleicht eine Debatte beginnen.

Mann spricht, Frau schaut: Wo bleibt der Aufschrei?

 

 

 

Es darf gelacht werden: Feuer frei!

Knellwolf, übernehmen Sie! Es gibt noch mehr Gefahr, die von dieser Aufforderung zur Gewalt ausgeht.

Alles ist relativ. Ein SVP-Politiker, der sich nicht unbedingt nationaler Bekanntheit erfreut, verwendete in einer rund 100 Nasen umfassenden Chatgruppe den Spruch «Feuer frei!», um zur Gegenwehr gegen eine Forderung des Bundesamts für Gesundheit aufzurufen.

Das zwirbelte das Blatt der sensiblen Gewaltfreiheit zur Coverstory hoch und warnte in insgesamt drei Artikel davor, dass das brandgefährlich sei. Solche virtuellen Aufrufe könnten schnell real missverstanden werden, und dann könnte auf das BAG geschossen werden. Mit echten Kugeln.

Aber Thomas Knellwolf als ehemaliger Recherchier-Journalist hat natürlich nur an der Oberfläche gekratzt. Da wäre zum Beispiel die deutsche Band «Rammstein» mit ihrem Song «Feuer frei!». Schockierend: der wurde alleine auf YouTube bislang rund 140 Millionen (!) Male aufgerufen. Fast 600’000 Fans gaben ihm ein Daumen hoch.

Bitte nicht nachmachen: Videoclip von «Rammstein».

Wenn man sich vergegenwärtigt, was für ein Gewaltpotenzial hier wie Magma unter der Oberfläche brodelt: Knellwolf, es besteht dringlicher Handlungsbedarf. Das ist Faktor 1,4 Millionen mal mehr Gefährdungspotenzial als beim Aufruf zur Gewalt der SVP!

Hemmungslose Feuerorgie auf der Bühne. Ist das noch Kunst?

Es ist ja nicht nur der Schiessbefehl im Titel des Songs, auch das Lied selber enthält genügend Munition, um einem Knellwolf die Schweissperlen der Angst auf die Stirne zu treiben:

Wann fallen die ersten Schüsse, bei diesen Songzeilen?

Es ist bedauerlich, dass man einem so ausgewiesenen Recherchier-Journalisten weitere Fundstücke nachtragen muss:

Ein gut getarnter Aufruf zur Gewalt. Anleitung für Pyromanen.

Zumindest die Webseite im Aufbau könnte noch durch ein beherztes Eingreifen von Tamedia verhindert werden; dass selbst die NZZ, ja gar der Limmattaler mit dem Feuer spielt, ist so bedauerlich wie traurig; es wirft ein Schlaglicht auf den Sittenzerfall in unserer Gesellschaft, der nicht erst gestern begonnen hat.

Vielleicht könnte Tamedia – mit oder ohne Knellwolf – sein Recherche-Desk endlich mal für etwas Konstruktives einsetzen. Statt sinn- und zwecklos gestohlene Geschäftsunterlagen durchzuflöhen und absurd übertriebene Behauptungen aufzustellen, auf welche Abgründe man da wieder gestossen sei, wäre es doch verdienstvoll, der Gewalt im Internet den Kampf anzusagen.

«Feuer frei!» gegen «Feuer frei!», sozusagen. Die Folgen wären so unabsehbar wie segensreich. Endlich würde ein alter Traum wahr, Tamedia würde ein bisschen Frieden in die Welt bringen:

Damit ihr Traum endlich wahr wird …

Denn das bewegende Lied von Nicole ist bislang nur 6,5 Millionen mal aufgerufen und magere 32’000 mal gelikt worden. Das muss besser werden, damit die Welt eine bessere wird.

Alle können noch dazulernen

Aber nicht nur Knellwolf, auch sein oberer Vorgesetzter kann noch dazulernen, wie mehr Friede und weniger Feuer in die Welt kommt. Denn Arthur Rutishauser hat nach zweitägigem, vertieftem Nachdenken herausgefunden, dass eine kindische Karikatur, in der der Kopf seiner Mitarbeiterin Michèle Binswanger in eine Illustration der Hinrichtungen während der Französischen Revolution hineingemecht wurde, eine «Grenzüberschreitung» darstelle. Sogar eine «schwere».

Rutishauser gelangt in seinem mit langer Lunte entstandenen Kommentar zur Schlussfolgerung:

«Besorgniserregend ist, dass mittlerweile ein Teil der politischen Linken so intolerant geworden ist, dass sie auf jeglichen Anstand verzichtet und Volksverhetzung betreibt.»

Bittere und anklagende Worte des Oberchefredaktors von Tamedia. Nur: fällt ihm dieses Phänomen nicht in seinen eigenen Redaktionen auch auf? Existiert da dieser Teil der politischen Linken nicht? Und wenn wir schon dabei sind: kennt man dieses Phänomen bei der politischen Rechten nicht? Zumindest bei einem Teil davon?

Oder nochmal anders: Sind Grenzüberschreitungen in Richtung brunzdumm nicht noch besorgniserregender? Ein paar Knallköpfe aus dem Umfeld der Berner Reitschule werden mit einer Strafanzeige überzogen. Tamedia fällt wie das Jüngste Gericht über einen unbesonnenen Spruch eines SVP-Politikers her, weil der in der SVP ist.

Tiefergelegtes Niveau der Debatte

Allgemeines Wehgeschrei: die da sind ganz böse. Nein, selber böse. Nein, du böse. Nein, du mehr böse. Du Hetzer. Ha, du grosser Hetzer. Ich kein Hetzer, du aber. Ohne die Verwendung des Wortes Hetzer werden so Konflikte im Sandkasten ausgetragen, inklusive Zerstörung von Sandkuchen, Fuchteln mit Schäufelchen oder gar dem Ziehen an Haaren, Kratzen und Beissen, bis die Eltern eingreifen.

Kampfplatz, nach einer aktuellen Debatte …

Auf diesem ärmlichen Niveau ist ein Teil der politischen Debatte angekommen. Begleitet von Dialogverweigerung, Unfähigkeit, mit Kritik oder Gegenargumenten umzugehen. Mit Ballern aus dem Glashaus, aber feigem Wegducken, wenn zurückgeschossen wird. Rechthaberei und Belehrung ist hohl und lachhaft, wenn sie sich nicht der Debatte stellt. Wäffeln ist einfach, argumentieren anspruchsvoll.

Um nicht nur Männerriten und Pseudo-Martialisches wie von Rammstein zu denunzieren: auch die erregten Tamedia-Frauen haben nach ihrem Protestbrief bislang jede Gelegenheit ausgelassen, sich einer Debatte zu stellen. Auch so verzichtet man auf jeden Anstand.

Schiessscharte auf, rausballern, Schiessscharte zu und die Reaktion aussitzen. Das soll dann Erkenntnisgewinn durch Meinungsaustausch und Debatte sein?

 

Untaugliche Verknüpfungen (Teil II)

Neben der Vereinzelung durch Selbstidentifikation mittels multiplen Ausgrenzungen, die völlig unfähig zu übergreifender Solidarität machen, gibt es auch das pure Gegenteil.

Nämlich die Verwendung von völlig sachfremden Kriterien zur Kritik von Beurteilungen.

(Hier geht’s zum Teil I)

Konkret, es gibt ja aktuell auf sieben Seiten aufgelistet solcher Vorwürfe im Hause Tamedia. Zum Beispiel. Der (hier ist, wie man unschwer erkennt, ausschliesslich das Geschlecht das Kriterium) männliche Vorgesetzte sagt zur weiblichen Untergebenen: «Sie sind gar nicht belastbar

Nun könnte man diesen Vorwurf normal hinterfragen. Stimmt das, woran kann man das messen, bezieht sich das auf einen konkreten Vorfall, ist das eine schützend gemeinte Beobachtung, ist das Ausdruck verschiedener Perspektiven, was Belastbarkeit bedeutet? Oder beinhaltet das ein Vorurteil gegen Frauen?

Das wäre normal, zweckrational, logisch. Unlogisch, eine reine Behauptung ist hingegen: das sagt ein Mann in diskriminierender, sexistischer Absicht zu einer Frau. Als Patriarch, als Macho, als Alphamännchen, das die Frau immer noch als unterlegenes, schwaches, ungenügendes Wesen in einer Männerwelt ansieht.

Zwei weitere Beispiele als Steigerung

Verschärft äussert sich das in zwei weiteren exemplarischen Vorwürfen. Der zur Beurteilung befähigte und verpflichtete Mann sagt zur Autorin: «Dieser Text ist schlecht. Ungenügend, Nicht verwendbar. Ich erkläre dir kurz, warum.» Diese Erklärung könnte sich der Mann eigentlich auch sparen. Denn er sieht sich – mit dieser Methode – sofort mit dem Vorwurf konfrontiert, dass er sich so abschätzig äussere, weil es eben eine Autorin sei.

Ein weiteres, noch absurderes Beispiel. Bei einem Text, der ausschliesslich von der Perspektive junger Frauen handelte, sagte der ältere Vorgesetzte: «Es ist falsch, was du schreibst.» Darin ist enthalten, dass der ältere, männliche Vorgesetzte alleine durch diese beiden Eigenschaften gar nicht in der Lage ist, hier mitzureden.

Das ist so absurd, wie wenn man sagen würde:

Nur ein Analphabet ist legitimiert, über die Probleme von Analphabeten zu schreiben.

Ein letztes Beispiel, das nicht nur eine unerkannte Höhe der Absurdität erklimmt, sondern höchstwahrscheinlich von der deswegen auch bei den Unterschriften an erster Stelle aufgeführten Autorin des Protestschreibens stammt:

«Als jemand das Thema Gendersternchen vorschlug, hiess es erst, es sei schon genug «Klamauk» zum Thema gemacht worden. Das richtete sich nicht per se gegen eine Frau, aber gegen die Art des gendergerechten, integrierenden Schreibens.»

Hier wird sogar versucht, den nur mit dem Nonsense-Argument «Klamauk» vorgeführten, sicherlich männlichen Opponenten abstrakt zurechtzuweisen, dass er sich damit vielleicht nicht direkt «gegen eine Frau» wende, aber gegen ein «gendergerechtes, integrierendes Schreiben». Was impliziert, dass ein anderes Schreiben, nämlich ohne Gendersternchen, per Definiton genderungerecht und desintegrierend sei. Per Definition? Per reine Rechthaberei, gegen jede Rechtschreiberegel.

Es gibt keine guten oder schlechten Texte mehr

Damit ist der höchste Grad des Schwachsinns erreicht. Es gibt nicht mehr gute, publizierbare, formal und inhaltlich richtige, leserfreundlich aufgebaute Schriftstücke. Wofür es zwar keine objektiven Kriterien gibt, aber in mehreren hundert Jahren Journalismus durchaus entwickelte und anerkannte Massstäbe.

Sondern es gibt nur Texte, die keinesfalls von dazu berufenen Qualitätskontrolleuren beurteilt werden dürfen. Vor allem und eigentlich ausschliesslich, wenn sie einen solchen Text kritisieren, äussert sich darin Sexismus, männliche Arroganz, Unverständnis gegenüber der Autorin. Also ist die Kritik nicht sachlich oder gar sachgerecht, sondern diskriminierend, nicht auf das Werk, sondern auf das Geschlecht der Verfasserin abzielend.

Wenn ein solcher Unsinn in einem angesehenen und nicht gerade kleinen Verlagshaus unwidersprochen trompetet wird, und der Führungsetage bislang nichts Besseres einfällt, als schuldbeladen das Haupt zu neigen «haben mit grosser Betroffenheit gelesen, nicht akzeptabel», dann regiert wirklich das Matriachat in einer Form, die sich alle Vorkämpferinnen für Gleichberechtigung der Geschlechter nicht mal in ihren Alpträumen vorstellen konnten.

Denn «ich bin Mann, Herr im Haus und mir kann keiner» wird einfach ersetzt durch «ich bin Frau, unangreifbar und nicht kritisierbar, mir kann keiner» ersetzt. Das ist genauso absurd, nur entschieden weniger lustig als der alte Macho-Spruch: Warum ist die Frau dem Mann seit Jahrtausenden untergeordnet? Es hat sich soweit bewährt.

Quo vadis, Tamedia?

So ist das im Journalismus. In Ruhe die Welt ordnen, und dann klirrt’s im Glashaus.

Es ist nicht gerade alltäglich, dass sich der Zürcher Kantonsrat auf eine fraktionsübergreifende Mitteilung verständigt. SVP/EDU, SP, FDP, GLP, Grüne als gemeinsamer Absender? Aber hallo. Nur die fromme CVP-Mitte und die ebenso fromme EVP zierten sich.

Was ist der Anlass dafür, dass SVP und Grüne, FDP und SP gemeinsam zum Griffel greifen? Der Titel der Mitteilung lässt es schon erahnen: «Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen».

Zu diesem fraktionsübergreifenden Kalauer sah man sich angesichts der Berichterstattung aus dem Hause Tamedia veranlasst. Über Frauendiskriminierung im Kantonsrat? Nein, nicht ganz. Sondern über die Querelen am Unispital Zürich, im Speziellen um die Herzklinik.

Irritierend einseitige Berichterstattung?

Da hat auch der «Tages-Anzeiger» «mit der Veröffentlichung von Missständen unbestrittenermassen wichtige Aufklärungsarbeit geleistet», loben die Fraktionen. Um gleich im Anschluss ein sich akzentuierendes Problem von Tamedia anzusprechen: «Mehr und mehr aber hat die personalisierte, zunehmend einseitige Berichterstattung irritiert.»

Den Ergebnissen des Untersuchungsberichts der «Aufsichtskommission für Bildung und Gesundheit» sei deutlich weniger Platz «als der Verteidigung eigener Thesen» eingeräumt worden. Zudem habe sich der Tagi nicht hinterfragt, ob er sich nicht von einem Whistleblower habe instrumentalisieren lassen. Oder ob er seine Sorgfaltspflicht gegen alle Protagonisten und Institutionen «wahrgenommen hat».

Man rafft sich dann sogar zum kleinen Scherz auf: «Dieser Fall zeigt leider, dass sich Journalistinnen und Journalisten auch sitzend verrennen können.»

Natürlich findet es niemand gut, öffentlich in die Pfanne gehauen zu werden. Aber wenn sich fast alle Parteien im Kantonsrat darauf verständigen, Tamedia dringlich nahezulegen: «Lesen Sie die Erklärung des Schweizer Presserats zu den Pflichten von Journalistinnen und Journalisten und nehmen Sie diese ernst!», dann klirrt es nicht nur im Glashaus Tamedia, sondern wegen des Holzgebälks ist auch noch Feuer im Dach.

Die Liste der Probleme wird länger und länger

Man muss inzwischen von einer Krise sprechen. Schmerzliche Reduktion des Angebots, Krankschrumpfung der Redaktion. Einheitssauce, die sich aus Zürich über alle Kopfblätter von Basel bis Bern und anderswo ergiesst. Aushungern der Lokalredaktionen, die gebrochenen Versprechen in Bern, der dividendengetriebene Kurs des Managements, das durch unzählige Profitcenter den Gewinn optimiert.

Eine zunehmende Tendenz, nicht nur in diesem Fall, parteilich in eigener Sache zu werden, sich auf einzelne Personen einzuschiessen. Erinnert sei an den Fall Jean-Claude Bastos. Der Geschäftsmann wurde aufgrund von gestohlenen Geschäftsunterlagen an den Pranger gestellt und ruiniert. Anschliessend stellte sich heraus, dass kein einziger der vielen Vorwürfe vor Gericht Bestand hatte.

Schliesslich ist es den kommentierenden Journalisten deutlich anzumerken, dass Existenzängste, der Bedeutungsverlust der Printmedien, der eigene Bedeutungsverlust zunehmend zu arroganter Rechthaberei führen. Der zurechtweisende, fordernde, Zensuren verteilende, besserwisserische Kommentar wird immer häufiger als Zufluchtsort missbraucht, als Möglichkeit, sich Pseudobedeutung zu verschaffen.

Anfüttern lassen statt eigene Recherche

Eigene Recherche wird – mangels Ressourcen – immer häufiger durch die Verwendung von angefüttertem Material ersetzt. Ein Whistleblower im Fall Unispital, interessierte Kreise im Fall Vincenz, die Teilnahme am Ausschlachten von Hehlerware, euphemistisch als Leaks oder Papers bezeichnet. Dramatische Fehleinschätzungen wie bei den vorletzten Präsidentschaftswahlen in den USA, Konzernjournalismus, fehlende Selbstkritik, zunehmender Gesinnungsjournalismus, abnehmende Funktion als Plattform für freie Meinungsbildung. Schliesslich die kritikfreie und wirtschaftlich getriebene Übernahme von immer mehr Artikeln aus der «Süddeutschen Zeitung», faktisch die gesamte Auslandberichterstattung wird aus München angeliefert.

Die Liste wird immer länger. Dazu noch der Protest von 78 Mitarbeiterinnen über frauenfeindliche Arbeitsbedingungen. Nun auch noch fast der gesamte Kantonsrat, der in seltener Einmütigkeit dem «Tages-Anzeiger» die Kappe wäscht, wie man es so noch nie gesehen hat.

Zeit für energische Massnahmen

Werdstrasse, ihr habt ein Problem. Nicht zuletzt Eure Selbstgerechtigkeit fällt Euch jetzt auf die Füsse. Ihr habt so viele Probleme gleichzeitig, unterfüttert mit einem garstigen wirtschaftlichen Umfeld, dass es mit beruhigenden Geräuschen und den üblichen Ankündigungen der Besserung, der Veränderung, der Neuorientierung nicht getan ist. Denn auch hier stinkt der Fisch vom Kopf. Wer sich all diese Kritik anhören muss, wer zudem als Co-Chefredaktoren von der eigenen Belegschaft so angerempelt wird, nachdem sie schon ins zweite Glied zurückgestossen wurden, die müssen gehen. Zweifellos.

Aber zuerst beschwichtigen

So sieht das Hissen der weissen Flagge mit Buchstaben aus.

Nach einer Denkpause haben Priska Amstutz und Arthur Rutishauser beschlossen, sich «in eigener Sache» zu Wort zu melden. Von allen denkbaren Varianten haben sie sich für das gesenkte Haupt und den blinden Glauben an den Wahrheitsgehalt der Behauptungen im Protestschreiben entschieden: «Wir haben diese Schilderungen mit grosser Betroffenheit gelesen. Zahlreiche erwähnte Beispiele sind nicht akzeptabel. Jegliche Art von Belästigung und Diskriminierung wollen wir nicht tolerieren.»

Es ist berührend und beelendend zugleich, wie hier die Leitungsebene von Tamedia einknickt und sich Asche aufs Haupt streut. Dabei ist bislang keine einzige dieser anonymen Schilderungen verifiziert worden. Dabei gibt es genügend Gegenmeinungen und bedeutende Mitarbeiterinnen, die sich dem hier entstandenen Gruppendruck nicht gebeugt haben. Dazu bald mehr.