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Kriegsverbrechen

Nichts ist relativ. Nichts sollte vergessen gehen.

Die Verurteilung des Überfalls auf die Ukraine als völkerrechtswidrig und vertragsbrüchig ist eine (richtige) Sache. Die Verurteilung von dort begangenen Kriegsverbrechen eine andere, ebenfalls richtige. Die Frage nach der Verantwortlichkeit für die angerichteten Schäden ebenfalls. Dafür ist die russische Regierung und der russische Staat verantwortlich.

Aber auch jeder im Ausland lebende reiche Russe?

Spiegeln wir diese Absurdität an einem anderen Kriegsverbrechen. Im Vietnamkrieg setzten die USA unter anderem das chemische Entlaubungsmittel Agent Orange ein. In über 6000 Einsätzen wurden über 45 Millionen Liter der hochgiftigen Chemikalie über den Dschungeln von Vietnam und Laos von 1962 bis 1971 versprüht. Der enthaltene Wirkstoff TCDD gilt als das giftigste aller Dioxine. In Europa bekannt seit dem Chemieunfall von Seveso in Italien.

Schätzungsweise zwei bis vier Millionen Menschen sind von den Spätfolgen betroffen, mindestens 100.000 Kinder wurden mit Behinderungen geboren.

Neben den schweren Fehlbildungen gelten mehr als 20 Krankheiten als direkte Folge von Agent Orange, darunter Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, Wirbelsäulenspalten, Immunschwächen, Nervenleiden, Diabetes und Parkinson. Auch Krebs wie Leukämie, Prostatakrebs und andere gelten als Spätfolgen.

Hersteller und Anwender und Folgen sind bekannt

Hergestellt wurde Agent Orange von den US-Buden Dow Chemical und Monsanto, die heute zum Bayer-Konzern gehört. Da auch US-Soldaten mit dem Gift besprüht wurden, wurden in einem Vergleich ab 1984 knapp 200 Millionen Dollar als Entschädigungen an rund 52’000 US-Veteranen oder ihre Hinterbliebenen ausbezahlt.

Die vietnamesischen Opfer erhielten dagegen bis heute nichts. Eine entsprechende Sammelklage in den USA wurde 2005 abgewiesen. Der Einsatz von Agent Orange sei «keine chemische Kriegsführung» und deshalb kein Verstoss gegen internationales Recht gewesen.

Nein, das rechtfertigt keine Kriegsverbrechen Russlands in der Ukraine. Aber die Forderung nach Kriegsverbrechertribunalen in der Ukraine im Vergleich zu US-Verbrechen im Vietnamkrieg, die bis heute ungesühnt bleiben, illustrieren Heuchelei, Doppelmoral, Einseitigkeit und Geschichtsvergessenheit.

 

Heuchelei und Doppelmoral

Medien können nur ein Thema aufs Mal verarbeiten.

Treffer für Ukraine im Medienarchiv SMD in den letzten sieben Tagen: über 10’000. Für Jemen: 82.

Wieso der Vergleich? Weil in beiden Ländern Vergleichbares geschieht. Seit 2015 führt im Jemen Saudi-Arabien einen schmutzigen Krieg. Unterstützt und ausgerüstet von den USA, Grossbritannien und Frankreich.

Es ist ein klassischer Stellvertreterkrieg um eine strategisch wichtige Region. Denn der arme Jemen hat zwar keine nennenswerten Ölvorkommen, aber das Land liegt an der Meerenge zum Roten Meer, eine der Hauptschifffahrtsstrassen des Ölhandels.

Saudi-Arabien, angetrieben vom Westen, kämpft hier gegen den schiitischen Iran, der seinen Einflussbereich an die Grenzen des Königreichs ausdehnen möchte. Schreckensbilanz nach 8 Jahren: die UNO bezeichnet den Konflikt als die grösste humanitäre Katastrophe dieses Jahrhunderts. Mehr als 300’000 Tote, 20 der 30 Millionen Einwohner sind nicht in der Lage, sich ohne Hilfslieferungen ausreichend zu ernähren.

Da Saudi-Arabien trotz massiver Militärhilfe des Westens und täglichen Kosten von über 200 Millionen US$ nicht in der Lage ist, die Oberhand zu gewinnen, verwandelt sich das Land immer mehr in eine Trümmerlandschaft, wo Bombardements und Verheerungen zum Alltag gehören.

Die Kriegsursachen sind recht ähnlich wie beim Ukrainekonflikt. Eine lokale Grossmacht möchte die Ausdehnung einer anderen verhindern; beide Seiten scheuen eine direkte Konfrontation, also bietet sich der Jemen als Schlachtfeld an.

In der Tradition von Kriegen gegen den Iran

Solche Kriege gegen den Iran mit seiner Herrschaft von Ajatollahs haben Tradition. So unterstützten die USA lange Zeit den irakischen Diktator Saddam Hussein, der jahrelang Krieg gegen den Iran führte, mit einem fürchterlichen Blutzoll auf beiden Seiten. Erst später fiel Hussein in Ungnade, als er meinte, die Erlaubnis für die Eroberung von Kuweit von den USA bekommen zu haben. Sein Schicksal besiegelte aber seine Ankündigung, den Ölhandel von US$ auf Euro umstellen zu wollen.

Für solche Manöver ist das saudische Herrscherhaus zu clever. Diese fundamentalistischen Wahhabiten herrschen bis heute mit mittelalterlichen Methoden als unglaublich korrupte Clique. Menschenrechte, Gleichberechtigung von Frauen, demokratische Reformen: nichts, höchstens ein wenig Kosmetik, wenn Proteste zu laut werden. Selbst die Ermordung und Zerstückelung eines Oppositionellen in einer saudischen Botschaft sorgte zwar für verbale Empörung, aber nicht viel mehr.

Alleine wegen des jahrelangen, schmutzigen Kriegs im Jemen müssten eigentlich saudische Besitztümer in Europa, auch in der Schweiz, schon lange beschlagnahmt worden sein. Alle Schmarotzer, die nahe am Königshaus in Saus und Braus leben, müssten ein Einreiseverbot bekommen haben, neben der ukrainischen und der Pace-Fahne müsste auch die Flagge des Jemen vor jeder anständigen WG im Wind flattern.

Saudis in ihrer typischen Tracht müssten genauso gesellschaftlich verachtet und geschnitten werden wie Oligarchen. Ihr mittelalterliches Verhältnis zu Frauen müsste thematisiert und kritisiert werden. Und vor allem müssten sie mit Demonstrationen und Protesten dazu aufgefordert werden, endlich den grausamen Stellvertreterkrieg im Jemen zu beenden und Reparationen für angerichteten Zerstörungen zu bezahlen.

Müsste, würde, sollte. Warum geschieht das nicht? Gibt es weniger protestwürdige Stellvertreterkriege? Ist der Jemen einfach zu weit weg, und tote Araber bekümmern uns weniger als tote Ukrainer?

Wir Europäer, wir Heuchler

Nein, der wahre Grund dafür, dass die Ukraine übermächtig in der medialen Aufmerksamkeit herrscht, während der Jemen kaum jemals erwähnt wird, liegt in der einfachen Tatsache, dass Westeuropa auf der Seite der Ukraine gegen Russland steht. Und durch den möglichen Boykott von russischen Rohstofflieferungen noch mehr in die Abhängigkeit von Saudi-Arabien gerät. Wobei die Ölfördermöglichkeiten beispielsweise in Libyen auch durch Mitverschulden der Europäer bürgerkriegsbedingt eingeschränkt sind.

Da kennt auch der grüne deutsche Vizekanzler nichts und reist nach Katar, um sich dort in die lange Schlange der Bittsteller einzureihen, die mehr Erdgas wünschen. Katar ist mindestens so mittelalterlich wie Saudi-Arabien und von dessen militärischer Unterstützung abhängig. Auch bei den wenigen Protesten in diesem Halbinselstaat sind die Saudis gerne behilflich, das niederzuschlagen.

Mit grossem Erstaunen stellt Europa fest, dass nur in wenigen Gegenden der Welt unser bedingungsloses Eintreten für das Invasionsopfer Ukraine mit ungeteiltem Beifall begrüsst wird. Denn zu heuchlerisch, opportunistisch, einäugig und doppelmoralinsauer wird das empfunden.

Völlig zu Recht. Im Jemen Seite an Seite mit einem Aggressor stehen und den für Multimilliarden mit Waffen ausrüsten. In der Ukraine Seite an Seite mit dem Aggressionsopfer stehen und das für Multimilliarden mit Waffen ausrüsten. Verlogener geht es ja nicht.

Faktencheck Sanktionen

Nun ist die Schweiz auch dabei. Wobei eigentlich genau?

Nehmen wir die offizielle Ankündigung der deutschen Bundesregierung als Basis für einen Faktencheck.

Es handle sich um «Sanktionen von bisher unbekanntem Ausmass». Die habe Deutschland zusammen mit den Regierungschefs der EU und der G7 beschlossen. Also nun wird’s ernst, brutal, bekommt der Kreml-Boss endlich richtig Feuer unter den Hintern, um es weniger diplomatisch auszudrücken.

Und sehr gut, auch die Schweiz verstecke sich nicht länger hinter ihrer Neutralität, sondern schliesse sich dem «freien Westen» an, wie das Tamedia im Rückfall in beste Kalte-Kriegs-Terminologie formuliert.

Das hört sich alles sehr energisch an. Allerdings hat «energisch» etwas mit Energie zu tun. Doch wir lesen zuerst das Kleingedruckte. Worin bestehen nun diese unbekanntes Ausmass-Sanktionen?

Tatä: «Russische Banken werden vom internationalen Zahlungsdienstleistungssystem SWIFT ausgeschlossen.» Nimm das, Putin. Wir reichen noch den Nebensatz nach: «die bereits von der internationalen Gemeinschaft sanktioniert sind». Also ja nicht alle. Vor allem nicht die, über die der Zahlungsverkehr für Erdgas- und Ölhandel läuft.

Die Handlungsmöglichkeiten der russischen Zentralbank werden beschnitten, «mit internationalen Finanzgeschäften den Kurs des Rubel zu stützen». Das tut nun tatsächlich etwas weh, wobei der Handel mit Rohstoffen traditionell in Dollar abgewickelt wird, daher auch der Begriff Petrodollar.

Dann soll es reichen Russen ans Portemonnaie gehen, bzw. ihnen soll verwehrt werden, «sich und ihren Familienangehörigen einen so genannten goldenen Pass und damit eine europäische Staatsbürgerschaft zu verschaffen».

Soll werden, wohlgemerkt. Alle die, die sich schon längst einen solchen Pass besorgt haben (florierendes Geschäft für Malta, Zypern und andere finanzschwache EU-Staaten), sind davon nicht betroffen.

Einfrieren von Vermögenswerten «von sanktionierten Individuen, ihren Familien und Firmen». Wohlan, Viktor Vekselberg ist das schon vor einer guten Weile passiert. Es ist nicht bekannt, dass er seither Sozialhilfe beantragen musste.

Der EU-Luftraum wird für russische Flugzeuge gesperrt. Wum, dafür der russische für europäische. Wum. Der russische Luftraum ist grösser. Ätsch.

Gibt’s noch mehr harte Sanktionen? Bitte sehr:

  • Energiesektor: Es werden insbesondere Exportverbote verhängt, die es Russland unmöglich machen, seine Ölraffinerien zu modernisieren.
  • Transportsektor: Der Verkauf von Flugzeugen und Ausrüstung an russische Fluggesellschaften wird verboten.
  • Industriesektor: Der Zugang Russlands zu wichtigen Technologien wie Halbleitern oder modernster Software wird beschränkt.
  • Visavergabe: Diplomaten und verwandte Gruppen sowie Geschäftsleute verlieren ihren privilegierten Zugang zur Europäischen Union.

Fehlt da etwas? Ach, nur eine Kleinigkeit. Deutschland kauft weiterhin russisches Öl und Gas. Die EU kauft weiterhin. Polen kauft weiterhin. Die USA kaufen weiterhin. Ja, auch die Schweiz kauft weiterhin. Gerade jetzt zum Beispiel. Obwohl echte Sanktionen dagegen Russland ziemlich schnell an den Rand des Zusammenbruchs treiben würden.

Denn über die Hälfte aller russischen Exporte bestehen daraus. Diese Rohstoffe stehen zudem für rund 30 Prozent des russischen BIP. Russland lebt und atmet damit. Natürlich stünde China bereit, einen Teil der Produktion abzunehmen. Aber bei diesen gewaltigen Mengen kann man nicht einfach einen Schalter umlegen, und dann fliessen Öl und Gas nach Asien statt nach Europa.

Sanktionen «unbekannten Ausmasses» würden hier ansetzen. Was Russland eher schnell in die Knie zwingen würde, aber auch dramatische Auswirkungen auf die Wirtschaft der EU (und damit auch der Schweiz) hätte. Also lieber heucheln, Pace-Fahnen schwingen und «Sanktionen sofort» fordern. Faktenfrei, kenntnisfrei.

Oder haben wir diese Informationen in den Mainstream-Medien überlesen?

 

 

 

 

Die grosse Medienlüge

Wieso geht ein Befürworter des Medienpakets mit 75 Prozent Gegenstimmen unter?

Es ist keine schlechte Art, die Temperatur der Stimmbürger zu messen. Seit einiger Zeit veranstaltet der «Blick» Streitgespräche. Ein Exponent ist dafür, einer dagegen. Moderierter Schlagabtausch, dann Abstimmung unter den Lesern. Der Gewinner bekommt ein Gratisinserat für seine Sache im «Blick».

Normalerweise ist der Ausgang eher knapp, schon ein 60 zu 40 ist Anlass zu Geraune. Nun ging aber im Disput zwischen Matthias Aebischer (NR SP, für das Medienpakets) und Peter Weigelt (alt NR FDP, dagegen) der Befürworter dramatisch unter. 75 Prozent stimmten gegen die Subventionsmilliarde.

Dabei tut auch der «Blick» alles, seinen Lesern ein Ja schmackhaft zu machen. Der Ringier-Verlag in der Person von Marc Walder tut hingegen alles dagegen. Auf seinen Spuren wandelt Pietro Supino, der aus Verzweiflung in seinen Tamedia-Blättern das Wort ergreift und länger nicht mehr loslässt. Als weiteren Beitrag zur strikten Trennung von Verlag und Redaktion.

Aber das eigentliche Problem der Befürworter ist nicht die völlig verunglückte Tell-Werbekampagne. Es sind auch nicht Unterstützer wie Hansi Voigt oder Jolanda Spiess-Hegglin, die schon alleine für 10 Prozent mehr Neinstimmen sorgen.

Es sind auch nicht Linke und Grüne, die plötzlich ihre Liebe zu den Portemonnaies der reichen Medienclans entdeckt haben. Und es sind auch nicht die «Verleger» der «Republik», die in aller kritischen Unabhängigkeit zu 90 Prozent für Staatskohle sind.

Das Problem ist die offenkundige Verlogenheit

Es ist die offenkundige Verlogenheit der Befürworter, die dem Publikum sauer aufstösst. Grossverlage, die satte Gewinne machen, Sonderdividenden ausschütten und alleine durch das Zusammenlegen ihrer Handelsplattformen um Milliarden reicher werden: wie sollen die glaubhaft machen, dass sie dringend Steuergelder brauchen, um nicht der Suppenküche anheim zu fallen?

Wer seinem Stammblatt den Stellen-, Immobilien- und Autoanzeiger wegnimmt, ins Internet verschiebt und sich weiterhin damit krumm verdient, vom Stammblatt aber fordert, dass es gefälligst selbst die Gewinnvorgabe erfüllen solle, Quersubventionen gebe es nicht, ist dermassen unglaubwürdig, dass er eigentlich ständig gegen Türen und Scheiben stossen müsste, weil seine Nase so lang geworden ist.

Wenn ein Unternehmen sein ursprüngliches Stammgeschäft von allen Profitbringern entkleidet, es anschliessend skelettiert, ins Koma spart, dünne Einheitssuppe in kleinen Schälchen serviert, dafür aber unverschämte Preise verlangt, wer soll da einsehen, dass ein solches Geschäftsmodell unbedingt eine Milliarde Steuergelder zusätzlich braucht?

Normal ist seit vielen Jahren, dass man mehr für weniger bekommt. Mehr Computer, mehr Handy, mehr Produkt, mehr Leistung. Für weniger Geld. Im Medienbereich ist’s umgekehrt.

Unglaubwürdiges Gejammer

Man kann dem Volk, den Stimmbürgern schon mal ein X für ein U vormachen. Man kann unermüdlich Vierte Gewalt, Kontrollfunktion, gar Rettung der Demokratie orgeln. Man kann mit trauriger Miene von bald bevorstehenden roten Zahlen jammern.

Wenn man dann in das von Weinreben umgebene Schloss zurückkehrt, den Aston Martin besteigt, auf der Privatyacht durch die Karibik schippert, dann wirkt das etwas unglaubwürdig.

Man kann von Meinungspluralismus schwärmen, die Bedeutung des Lokalen loben, die Meinungsvielfalt hochleben lassen. Und die Unabhängigkeit der Redaktion beschwören. Wenn man dann Jubelchöre das hohe Lied der staatshörigen Unterstützung singen lässt, die Redaktoren völlig unabhängig sich für ein Ja die Finger wundschreiben, wenn es nur Meinungseinfalt, Monothemen, offenkundig von Weisungen abhängige Redaktionen gibt, das Lokale zuerst krank-, dann totgespart wird, steht man nackter da als der Kaiser in seinen neuen Kleidern.

Es wird gejammert, dass es einen Paradigmenwechsel gebe, neue Technologien, das Internet, digital, interaktiv, neu. Da brauche man Hilfe bei der Transition, beim Wechsel, wer habe denn schon vorhersehen können, dass zwei Internetgiganten beim Online-Marketing 90 Prozent des Werbekuchens abräumen. Da brauche man Hilfe, das könne man alleine nicht stemmen.

Sagen die multimillionenschweren Verlegerclans. Statt ihre Kunstsammlungen zu verkaufen oder ihre überquellenden Schatullen zu öffnen. Statt es so wie René Schuhmacher zu machen. Der hat 30 Jahre lang den grössten Teil seiner Gewinne reinvestiert, betreibt Magazine mit hohem Nutz- und Gebrauchswert. Verzichtet daher auf seinen Anteil an Staatsmillionen und ist gegen das Medienpaket.

Für dumm verkaufen wollen

Diese Haltung stünde den Coninx-Supino, Ringier-Walder, Wanner-Wanner und Lebrument-Lebrument auch gut an. Dann könnte man vielleicht sogar über punktuelle Hilfen reden. Aber nur, wenn mit den explodierenden Gewinnen keine Sonderdividenden ausgerichtet werden, gell Tamdia?

Denn noch schlimmer als verlogene Heuchelei ist nur eins.

Selber so dumm sein, dass man meint, der Stimmbürger würde sich so leicht für dumm verkaufen lassen.

 

 

 

Und er schreibt doch

Pascal Hollenstein ist im Jahr 2022 angekommen. Auch das noch.

Vielleicht als Reaktion auf unsere besorgte Frage, ob er sich für 2022 vorgenommen habe, sein voluminöses Gehalt bei CH Media schweigend zu verzehren, hat sich die Leiter nach unten zu Wort gemeldet.

Zum Thema – Überraschung – «neues Mediengesetz». Dazu ist Hollenstein Köstliches eingefallen: «Demokratie ist kostbar – und darf uns etwas kosten». Pluralis majestatis nennt das der Lateiner. «Uns» ist hier der Steuerzahler; dass auch Hollenstein zwar zahlen würde, gleichzeitig aber kassieren, das wäre dann wohl zu komplex für die Darstellung.

Schon, aber auch Hollenstein?

Besonders am Herzen liegt Hollenstein das Regionale. Da geht er zunächst in die Weiten der USA, wo zeitungslose Regionen «news deserts» hiessen, Nachrichtenwüsten. Das löse dann so etwas aus:

«Der versuchte Sturm des Kapitols hat gezeigt, wohin das führen kann.»

Ein etwas kühner Zusammenhang. Aber die USA sind bekanntlich weit und weit weg. Zurück in die Schweiz: «Wie sollen Bürgerinnen und Bürger an der Urne entscheiden, wenn sie über ihren Kanton oder ihre Gemeinde nur noch Bruckstückhaftes erfahren? Oder gar absichtlich mit Fake News in die Irre geleitet werden?»

«Bruckstückhaftes»? Es ist halt so: holprige Gedanken äussern sich häufig in holpriger Sprache. Hollenstein kann auch Entwarnung geben: «Noch ist es nicht soweit. Zumindest in der Deutschschweiz gibt es noch in jedem Kanton eine oder gar mehrere Tageszeitungen

Genau; in der Ostschweiz gibt es zum Beispiel das «Tagblatt». Und das «Tagblatt», und die Kopfblätter des Tagblatts. Die alle die in Aarau angerührte Einheitssauce aus dem Hause CH Media servieren. Ganz lokal, versteht sich.

Weil die das so toll machen, hat die Alternative «Die Ostschweiz»* das «Tagblatt» online bereits abgetrocknet. Nur: CH Media würde satt an der Zusatzmilliarde abkassieren, sollte das Medienpaket am 13. Februar angenommen werden. «Die Ostschweiz» bekäme keinen Rappen.

Dennoch fragt Hollenstein rhetorisch: «Wie viel ist uns die unabhängige Versorgung mit Information im ganzen Land wert?» Dann macht er noch ein Junktim der speziellen Art: «Was sind wir bereit, für unsere direkte Demokratie zu bezahlen

Echt jetzt? Die Medienmilliarde diene der unabhängigen Infoversorgung? Sie müsse so gesehen werden, dass es eine Zahlung für die direkte Demokratie sei? Das sagt der Gleiche, der schon mal Printtitel als Milchkühe abqualifizierte, die noch gemolken werden müssten, bevor man sie zur Schlachtbank führe.

Das sagt der zweitoberste Vertreter eines Verlags, der wohl Bahnbrechendes dabei geleistet hat, die Regionalberichterstattung auszuhungern, wegzusparen, zu marginalisieren, einen Exodus von Lokaljournalisten zu provozieren.

Man kann versuchen, den schwindenden zahlenden Lesern jeden Bären aufzubinden, auf den man lustig ist. Aber den Konsumenten dafür zahlen zu lassen, dass er verscheissert wird, das kann als Geschäftsmodell auf Dauer nicht gutgehen.

In Wirklichkeit ist’s ganz einfach. Es gibt ein Bedürfnis nach Qualitätsberichterstattung, gerade im Lokalen. Wer das erfüllt, also die Nachfrage mit einem adäquaten Angebot deckt, hat Erfolg und besteht auch ohne Staatshilfe. Wer das nicht tut, ist zum Untergang verurteilt. Auch mit Staatshilfe.

Begleitet er seinen Untergang noch mit Heuchelei, beschleunigt er ihn nur.

*Packungsbeilage: René Zeyer publiziert regelmässig bei «Die Ostschweiz».

 

 

 

 

Heuchler Knellwolf

SVP böse, blöd und gefährlich. Megafon der Reitschule nicht der Rede wert. Aschgrau.

Thomas Knellwolf war Co-Leiter des Recherchedesks von Tamedia und ist seit 1. Juli Mitglied der Bundeshausredaktion des Konzerns. Er habe nach 8 Jahren mal was Neues gesucht, liess er verlauten. Anstand und moralische Massstäbe gehören offenbar nicht dazu.

Mit seinem ersten Stück in seiner neuen Rolle haute Knellwolf zusammen mit einem weiteren Redaktor einen SVP-Provinzpolitiker in die Pfanne. Der hatte in seiner kleinen Chat-Gruppe stolz von einem Gespräch mit seinem SVP-Regierungsrat des Kantons St. Gallen berichtet. Man sei übereingekommen, sich gegen die Forderung des BAG nach obligatorischen Corona-Tests in Schulen zu wehren; «Feuer frei!», schrieb der Politiker nassforsch.

Das brachte ihm ein grosses Stück hinterfotziger Demagogie ein: vergangenen Samstag wurde diese Bemerkung von Tamedia zur Titelgeschichte hochgejazzt und im Blatt drin auf einer Seite nach allen Regeln der schwarzen Kunst hingerichtet. Hauptvorwurf: solche Aufforderungen könnten von Amoks als Handlungsanleitung missverstanden werden, also aus virtueller Hate Speech könne schnell reale Gewalt werden, wer im übertragenen Sinn «Feuer frei!» fordert, könnte dafür verantworlich sein, dass jemand tatsächlich auf einen Mitarbeiter des BAG schiesst.

Der medienungewohnte Politiker wurde vorgeführt; dass er zuerst eine Stellungnahme abgab, die dann wieder zurückzog, hämisch vermerkt. Natürlich auch, dass der mediengewandte SVP-Regierungsrat keinen Anlass sah, sich von diesem Gespräch zu «distanzieren», obwohl er von Tamedia dazu aufgefordert wurde.

Warum nicht nochmal draufhauen, wo’s so schön ist

Richtig Spass machte es natürlich, in einem Kommentar eine Breitseite nachzulegen:

«Der St. Galler Bildungsdirektor Stefan Kölliker will sich nicht von einer «Schiess»-Aufforderung auf das BAG in seinem Namen distanzieren. Das ist gefährlich.»

Höhepunkt des Nachtretens ist ein vergiftetes Lob mit angeschnallter Giftspritze: «Alles wirkt etwas bieder. Aber ist Stefan Kölliker auch ein Brandstifter? Darauf lässt eine Aufforderung seines Kreisparteipräsidenten von vergangener Woche schliessen, die viel Aufsehen erregte.»

Zunächst: Der Tagi erregte so viel Aufmerksamkeit, wie er nur konnte. Sonst niemand. Aber: «Das Beängstigende an der «Schiess»-Aufforderung aus St. Gallen ist, dass sie von einem Kantonsparlamentarier kommt. Und im Namen eines Regierungsrats erfolgt.» Schlussfolgerung:

«Das ist gefährlich, denn jemand könnte die Aufforderung wörtlich nehmen.»

Nein, Herr Knellwolf, gefährlich ist etwas ganz anderes. Wie es der dumme Zufall wollte, veröffentlichte das «megafon» aus der Berner Reitschule einen Tweet, in dem sich diese Amoks über die Tamedia-Redaktorin Michèle Binswanger fürchterlich aufregten. Zur Illustration mechten sie ihren abgeschlagenen Kopf in eine Darstellung der Guillotine während des Terrors der Französischen Revolution, wo die Häupter der Geköpften dem johlenden Volk triumphierend entgegengestreckt wurden.

Neben Applaus oder wohlwollender Erwähnung – unter anderem von Jolanda Spiess-Hegglin, der grossen Vorkämpferin gegen Hass im Internet – löschte das «megafon» diese geschmacklose Entgleisung mit dem Ausdruck des Bedauerns, hielt aber an seiner Kritik fest. Immerhin. Es wäre ja nun auf der Hand gelegen, dass tapfere Kämpfer gegen Hate Speech und gefährliche Gewaltandrohungen im Internet sich vielleicht deutlich von dieser missverständlichen Aufforderung, Binswanger zu enthaupten, distanziert hätten.

Lustig? Kunst? Ironie? Nicht der Rede wert.

Als das nicht geschah, bot ZACKBUM den beiden Autoren des «Feuer frei!»-Anklagestücks und auch dem Oberchefredaktor Arthur Rutishauser Gelegenheit, sich zu erklären. Warum auf die SVP eingeprügelt werde, aber der Kopf-ab-Aufruf gegen eine eigene Mitarbeiterin einfach ignoriert. Und was Rutishauser im Rahmen seiner Fürsorgepflicht zum Schutz von Binswanger zu unternehmen gedenke.

Ein Satz der Erklärung oder Rechtfertigung? Ach, was, niemals

Reaktion: keine Reaktion. Keine Antwort. Nicht mal eine Antwort, die dann zurückgezogen wurde. Dazu war sogar der SVP-Politiker in der Lage, die sonst so eloquenten Redaktoren von Tamedia nicht; sie schwiegen verbissen. Feige. Im Bewusstsein ihrer unsäglichen Heuchelei. Schwiegen sie tatsächlich?

Aber nein, Knellwolf fand noch die Zeit, mit diesem Kommentar nachzulegen und das Feuer auf den SVP-Regierungsrat zu verstärken. Wenn etwas wirklich gefährlich, beängstigend und mehr als fragwürdig ist, dann dieses Verhalten von Tamedia-Journis. Nach einer solchen offenkundigen Heuchelei, Doppelmoral, Einäugigkeit, Unfähigkeit, wenigstens überall die gleiche Position zu beziehen: wie wollen die erwarten, dass man irgend eine Äusserung von ihnen noch ernst nimmt?

Knellwolf schreibt vielleicht einen Artikel über die herrschende Doppelmoral in Bern, unter Politikern? Über deren opportunistische Parteilichkeit? Das kann doch nur mehr als Realsatire mit hohem Lächerlichkeitsfaktor wahrgenommen werden. Man kann Knellwolf eigentlich nur einen wohlmeinenden Karrieretipp geben: Gastspiel in Bern beenden, als Komödiant zum «Nebelspalter» wechseln. Ein weiterer Vorteil davon wäre: seine zukünftigen Publikationen fänden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

 

War auch mal so ein Versuch, Erfolg zu haben …

Knellwolf knattert weiter gegen die SVP, Rutishauser rafft sich immerhin zu einem Kommentar auf

Aber immerhin, nach längerer Bedenkzeit rückte Arthur Rutishauser noch kurz vor dem Fussballmatch einen «Kommentar zum Angriff auf eine Tamedia-Journalistin» ins Netz. Denn am Dienstagabend fällt ihm endlich auf: «Am Sonntag ist es gegenüber einer der profiliertesten Journalistinnen unserer Redaktion zu einer schweren Grenzüberschreitung gekommen.» Immerhin:

«Darum reichen wir trotz der Entschuldigung Strafanzeige gegen «Megafon» ein. Dass sich Jolanda Spiess-Hegglin, ehemalige Politikerin, Journalistin und selbst ernannte Kämpferin gegen Hass im Netz, nicht zu schade war, den Tweet auch noch zu liken, ist beschämend.»

Mein Mathematiklehrer am Gymnasium pflegte in solchen Fällen Schiller zu zitieren: spät kommt ihr, doch ihr kommt. Worauf sich verspätete Schüler mit rotem Kopf an ihren Platz begaben. Knellwolf kommt nicht zu spät, sondern schwänzt schlichtweg. Während Rutishauser, dafür muss man ihm gratulieren, zum Schluss seines Kommentars donnert:

«Besorgniserregend ist, dass mittlerweile ein Teil der politischen Linken so intolerant geworden ist, dass sie auf jeglichen Anstand verzichtet und Volksverhetzung betreibt.»

Vielleicht fällt ihm noch rechtzeitig auf, dass seine Redaktionen davon auch nicht ganz frei sind.

Verschwörungstheoretiker gegen Binswanger

Michèle Binswanger von Tamedia hat sich im Dunstkreis von Jolanda Spiess-Hegglin unbeliebt gemacht. Da fliegt dann der Dreck tief.

Die juristische Auseinandersetzung darüber, ob es in der Schweiz wirklich möglich ist, ein erst geplantes Buch, dessen Inhalt nicht bekannt ist, präventiv verbieten zu lassen, ist noch nicht beendet. Ein ordentliches Gericht muss entscheiden, ob eine solche Massnahme Bestand haben kann.

Die beinhaltet, dass in einem Recherchewerk verschiedene, für die Zuger Affäre zentral wichtige Aspekte nicht geschildert werden dürfen. Aber solange das noch durch die Mühlen der Justiz getrieben wird, möchte man gerne jede Gelegenheit benützen, Binswanger eine reinzubrennen.

Verschärft wird das Bedürfnis noch dadurch, dass Binswanger als prominente Tamedia-Autorin das Protestschreiben der erregten Tamedia-Frauen nicht mitunterzeichnet hat, die sich über Sexismus, Diskriminierung und ein unerträgliches Arbeitsklima beschweren.

Jüngster Anlass: Binswanger hat eine Story über eine Flugbegleiterin veröffentlicht, deren Nase dauerhaft geschädigt ist. «Heute habe ich Panik vor jedem Test», wird sie zitiert, denn ihre Nasenscheidewand ist durch ständige Corona-Tests lädiert.

Ein unter Flugbegleitern bekanntes Problem. Während der normale Reisende in Corona-Zeiten eher selten fliegt und daher nicht ständig einen Tupfer in den Nasenrachenraum geschoben bekommt, ist das für die Crew natürlich anders.

Ein geradezu exemplarisch recherchierter und geschriebener Artikel

Binswanger baut die Story so auf, wie man es Anfängern als Beispiel vorführen könnte. Einstieg mit dem auslösenden Vorfall, dann Vorstellung der Betroffenen, die mit vollem Namen bereit ist, Zeugnis zu geben.

Dann zitiert Binswanger Aussagen von Fachleuten und eine Warnung der österreichischen Ärztekammer vor falschen «oder nicht idealen Abnahmetechniken». Auch einen Schweizer HNO-Facharzt, der ebenfalls Fälle aus seiner Praxis kennt und die Flugbegleiterin zu seinen Patienten zählt.

Hassobjekt: Michèle Binswanger.

Schliesslich kommt wieder die Betroffene zu Wort, die über die gesundheitlichen und psychischen Folgen dieser Erkrankung berichtet. Antriebslosigkeit, Müdigkeit, das Ausüben von Sportarten, die sie vorher liebte, ist nicht mehr möglich. Am schlimmsten: sie kann, mit Attest bestätigt, keine Maske mehr tragen. Das führt zu ständigen Anpöbeleien in der Öffentlichkeit, die laut eigenen Aussagen früher extrovertierte Frau geht kaum noch nach draussen.

Selbst einen Zwischenfall, als die Betroffene eine Freundin am Bahnhof abholte und sie von einem aggressiven Herrn angerempelt wurde, der sie anherrschte, sie solle sich sofort die Maske aufsetzen, liess sich Binswanger von Zeugen bestätigen.

Soweit also ein sauber recherchierter, nach allen Regeln der Kunst aufgebauter Artikel, an dessen Inhalt keinerlei Kritik möglich ist. Das finden natürlich Binswanger-Basher ziemlich blöd. Deshalb haben sie etwas gegraben und gewühlt und sind fündig geworden. Bei einem Beitrag auf den Social Media, den diese Flugbegleiterin letztes Jahr absetzte und in dem sie behauptet, auf Flügen dabei gewesen zu sein, bei denen unter Drogen gesetzte Kleinkinder oder Babys verschleppt worden seien.

Ein Post und seine Folgen

Das ist nun etwas speziell, keine Frage. Der Finder dieser Meldung hält sich noch leicht zurück und schlägt vor, die Flugbegleiterin solle sich in diesem Fall an die Kantonspolizei Zürich wenden. Aber wozu gibt es die alte Boulevardgurgel Hansi Voigt, der nach einem Erweckungserlebnis sich als tapferer Unterstützer von Spiess-Hegglin und allen Anliegen diskriminierter Frauen neu erfunden hat. Wenn er spricht, muss es aus seinem Mund stauben, so viel Kreide hat der gefressen.

Der zieht dann gleich gröber vom Leder:

«Quelle, die laut Tagi von maskenfanatischen Deutschen belästigt wird, hat Kinder in Kartons gefunden. Protipp: cancelt solche Kulturartikel.»

Laientipp: Es ist nie eine gute Nachricht, von Voigt unterstützt zu werden. Die «Quelle» die sogar einen Namen hat, wurde nachweislich von einem maskenfanatischen Deutschen belästigt.

Denn im Gegensatz zu Voigt checkt Binswanger so Sachen, bevor sie unbelegten Unsinn verzapft. Falsch ist hingegen, dass die «Quelle» Kinder in Kartons gefunden habe. Zusammenfassung: Voigt keift mit zwei Behauptungen los, beide falsch. Peinlich, aber da ist der Millionenverröster schamfrei. Unser Tipp: cancelt bajour, oder wenigstens Voigt.

Nachdem also genügend Verschwörungstheorie versprüht wurde, kommen dadurch benebelte weitere Twitterer aus ihren Löchern. Für @Megafon Reitschule Bern ist die Flugbegleiterin bereits «QAnon-Anhängerin». Das ist ein Beispiel dafür, was Twitter immer mehr in eine Jauchegrube verwandelt. Anonymes, unbewiesenes, dummes Gequatsche, das durch noch dümmeres getoppt wird.

Haben all diese Geiferer und Eiferer vielleicht mal nachgefragt?

Ob wohl einer dieser Rechercheriesen, die Binswanger handwerkliche Fehler unterstellen, sich die Mühe gemacht hat, mit Sara Macy direkt Kontakt aufzunehmen? Vielleicht könnte sie ja etwas zum Thema beitragen. Aber wieso denn, es zeichnet Verschwörungsidioten ja gerade aus, dass sie keine Gefahr laufen möchten, durch die Realität in ihrem Wahn widerlegt zu werden.

ZACKBUM hat das getan, was all diese Kläffer unterliessen. Die Betroffene gebeten, Stellung zu nehmen. Dass sie Anhängerin von QAnon sein soll, dementiert sie energisch. Und zu ihrem Tweet sagt sie:

«Ich habe eine Ausbildung, was Human Trafficking (mit Ausbildner, welche alle selber trafficked wurden) anbelangt, und habe schon in der ganze Welt mit eigenen Augen gesehen, wie Kinder prostituiert werden und mit Organisationen gearbeitet, welche die Kinder befreien und danach für sie sorgen. Die Kinder haben mir persönlich ihre Storys erzählt, was sie alles durchmachen mussten. Nichts Lustiges und definitiv nicht etwas, um damit einen Trend auf Twitter zu machen!»

Dem könnte man nachgehen, das könnte man zum Ausgangspunkt einer Story machen. Das so etwas existiert, ist unbestreitbar. Ich selbst habe schon Reportagen darüber gemacht, in Zentralamerika. Aber diese Flachpfeifen von Voigt abwärts haben schon längst vergessen, was Journalismus ist. Wenn sie es überhaupt jemals wussten.

Immerhin haben sie es geschafft, eine kranke Frau noch mehr einzuschüchtern. Sich dabei über etwas vom Widerlichsten, was es gibt – Kinderhandel – lustig zu machen. Bravo, das ist mal wieder echter Humanismus, Solidarität und Menschlichkeit, die diese Fanatiker nachleben wollen – und deren Fehlen sie anderen so lautstark vorwerfen. Unappetitliche, unfähige Heuchler, die sie sind.

H wie Hollenstein, H wie Heuchler

Die publizistische Leiter nach unten bei CH Media sieht den Splitter, aber den Balken nicht.

Natürlich ist es für Journalisten immer ein Genuss, auf hohem moralischen Ross sitzend, der Boulevard-Konkurrenz eine reinzuwürgen. Damit beschäftigt sich Pascal Hollenstein, wenn es über Jolanda Spiess-Hegglin gerade mal nichts zu berichten gibt. Denn sonst ist er dort eher ausgelastet, als Sprachrohr.

Nun geht es aber um etwas anderes. ««Blick» verletzte Intimsphäre von Kindern», entrüstet sich Hollenstein. Endlich mal Gelegenheit, journalistische Aufklärungsarbeit zu leisten. Über «die wichtigsten Regeln im Journalismus». Trommelwirbel: «Bei Berichten über Straftaten ist auf die Opfer besonders Rücksicht zu nehmen.» Steigerung: «besonders bei Sexualdelikten». Nochmalige Steigerung: «Und in noch höherem Mass, wenn es um Kinder geht.»

Lehrer Lämpel steht nun auf den Zehenspitzen, den Warnfinger hoch in der Luft. Dann lässt er ihn, samt Stock, auf den «Blick» niedersausen. Der habe in einem Fall von sexuellem Missbrauch von Kindern durch einen Pfarrer so berichtet, so recherchiert, dass dadurch die armen Kinder identifizierbar wurden; «es kam in der Schule zu Hänseleien und Mobbing».

Dennoch sei der «Blick» störrisch gewesen und habe eine Persönlichkeitsverletzung abgestritten. Bis dann endlich das Obergericht in Aarau «die Argumente des Ringier-Anwalts Punkt für Punkt zerpflückt». Schliesslich habe «Ringier Genugtuung für die Kinder» gespart. Also alles in allem: widerlich, aber typisch.

Aber nur dann, wenn man so ziemlich alles ausspart, was nicht zu dieser These passt. Vielleicht sollte Hollenstein mal nachschlagen, was auch zu den «wichtigsten Regeln» im Journalismus gehört. Nämlich, die Realität nicht so hinzuschnitzen, wie sie einem in den Kram passt.

Was nicht passt, wird passend gemacht. Regel à la Hollenstein

Fangen wir mal mit der Heuchelei an. Das Boulevard-Organ habe also rücksichtlos die Intimsphäre von Kindern verletzt. Wie das? Durch identifizierende Berichterstattung. Und was hatte das für Folgen? Die Kinder seien in der Schule gehänselt und gemobbt worden.

Nur Hollenstein weiss, wie das bei einer damals ungefähr 3-Jährigen möglich gewesen sein soll. Wenn die Schulpflicht im Aargau nicht schon so früh beginnt, ist das schlichtweg Unsinn. Dann behauptet Hollenstein, Ringier habe Genugtuung gespart. Insgesamt für vier Kinder wurde Genugtuung gefordert und in erster Instanz gewährt, darunter auch für diese Dreijährige. Also insgesamt 80’000 Franken, für ein Leiden, das jedenfalls bei ihr aus Altersgründen gar nicht vorhanden gewesen sein kann.

Dass dieser Betrag auf 40’000 Franken reduziert wurde, ist eine völlig richtige Entscheidung des Obergerichts. Nun ist Hollenstein zwar als furchtloser Kritiker solcher Boulevard-Methoden unterwegs. Aber er ist eigentlich von Beruf das publizistische Gewissen von CH Media, dafür steht er im Impressum sogar oberhalb des Oberchefredaktors Patrik Müller.

Also kann man doch sicherlich davon ausgehen, dass in seinem Medienhaus alles getan wurde, um eine identifizierende Berichterstattung zu vermeiden. Oder nicht?

So sieht eine nicht-identifizierende Berichterstattung à la Hollenstein aus

«Der 68-jährige Beschuldigte war in verschiedenen reformierten Kirchgemeinden als Pfarrer tätig gewesen, zuletzt mehrere Jahre in der Gemeinde D. im Bezirk F. Bis ins Jahr 2001 waltete er dort als Pfarrer für die reformierte Kirche. Laut Recherchen von Tele M1 soll der Beschuldigte Mitte der 80er- und 90er-Jahre auch in der Gemeinde R. als Pfarrer tätig gewesen sein. Der Beschuldigte soll mehrere Kinder und Jugendliche über Jahre sexuell missbraucht haben, darunter auch seine eigenen Enkelkinder.»

Ist das ein Zitat aus dem Boulevard-«Blick»? Aber nein, das ist ein Zitat aus den Organen, für die Hollenstein doch angeblich publizistische Verantwortung trägt. Offensichtlich ist es für ihn ausgeschlossen, dass man mit diesen Angaben den Pfarrer und seine Opfer identifizieren könnte.

Und dieser Text steht immer noch im Internet, während «Blick» die entsprechenden Artikel weisungsgemäss weiter anonymisiert hatte. Im Original aus dem Hause Hollenstein sind sämtliche Ortsangaben übrigens voll ausgeschrieben; wir haben sie, ohne den Anspruch zu erheben, ein publizistischer Leiter zu sein, durch Buchstaben ersetzt.

Für ihn ist es ein Musterbeispiel, wie man sich an die «wichtigste Regel» hält, die Rücksichtnahme bei Sexualdelikten, in die Kinder verwickelt sind. Aber wahrscheinlich meint Hollenstein auch, dass er als Vorbild bezüglich Moral, Anstand und Einhaltung von Regeln im Journalismus taugt.

Auch ein negatives Vorbild kann nützlich sein

Dabei hat er allerdings nur dialektisch gesehen recht: Er ist ein Vorbild für das meiste, was man im Journalismus ja nicht machen sollte. Angefangen bei abgründiger Heuchelei. Über Thesenjournalismus, dem sich die Wirklichkeit unterzuordnen hat. Bei dem alles weggelassen wird, was nicht dazu passt. Bis hin zu Versagen im eigenen Beritt, aber vom hohen Ross mit dem moralisch erhobenen Zeigefinger wackeln.

Unser Mitgefühl gilt den Journalisten, die bei CH Media arbeiten und es nicht wagen dürfen, dieses abschreckende Beispiel zu kritisieren. Das zudem mehrfacher Wiederholungstäter ist.