Lexikon des Dummmenschen II

Diesmal: das Deppen-Partizip Präsens.

Was fällt hier auf?

Hier ist etwas falsch. Eigentlich gibt es zwei Fehler, wobei der zweite nur für Anhänger der woken, genderkorrekten Sprache zählt. Hä?

Ganz einfach. Allgemein gesprochen, ist «Bewohnende» falsch. Das eigentlich selten gebrauchte Partizip Präsens bezieht sich auf Deutsch auf Handlungen, die in diesem Moment stattfinden. Solange es in diesem Sinn verwendet wird, passiert nichts Schlimmes. Es gibt zum Beispiel die sitzende Arbeitsweise oder das lesende Kind. Wird es substantiviert, wird’s schlimmer. Reisende, das mag noch angehen, wenn man sagen will, dass diese Personen unterwegs sind.

Aber echt schlimm wird es, wenn das Partizip Präsens für etwas missbraucht wird, wofür es nicht geschaffen wurde. Schlichtweg dafür, das generische Maskulinum zu vermeiden. Obwohl das dafür vorgesehen ist, eine geschlechtsneutrale Verwendung von Substantiven oder Pronomen zwecks Vereinfachung zu ermöglichen. Also ganz einfach «jeder, der Deutsch kann». Und nicht jeder und jede, der/die Deutsch kann/können, oder ähnlicher Unsinn.

Die kreuzfalsche Idee, dass die Verwendung eines männlichen Genus die weibliche Hälfte der Menschheit diskriminiere oder gar «unsichtbar» mache, kommt schlichtweg aus einem dummen Missverständnis. Denn irgend einem Idioten (Mann oder Frau, ist unbekannt) fiel es ein, der Einfachheit halber den grammatischen Fachausdruck Genus (Art, Gattung) mit Geschlecht zu übersetzen. Weil das simpler ist. Mann, Frau, Kind, der, die, das. Versteht jeder. Und jede. Aber eine grammatische Gattung hat nicht unbedingt mit einem menschlichen Geschlecht zu tun. Sonst wären ja bei Personen Männer nicht mitgemeint. Während hingegen bei Menschen auch Frauen vorkommen, die Menschin ist grammatischer Unfug.

Der bestimmte Artikel im Plural ist sowieso immer «die». Dennoch entstand die unselige Mode, der Student oder die Studenten nicht einfach als Bezeichnung für alle, gleich welchen Geschlechts (und eigentlich gibt es inzwischen über 160 verschiedene Gender), stehen zu lassen. Als erste Missgeburt entstand der Student/die Studentin, die Studenten, die Studentinnen.

Holprig, unsinnig, sperrig. Da kam dann jemand (wieder unbekannt, welchen Geshlechts) auf die Idee, zur Vermeidung solcher Ungetüme einfach Studierende einzuführen. Im Singular ist damit das Geschlechtsproblem noch nicht ganz gelöst, aber im Plural. Studierende können Männchen oder Weibchen sein. Nur: abends beim Bier oder nachts beim Schlafen sind sie nicht mehr Studierende. Auch nicht Bierende oder Schlafende.

Das gilt auch für «Wohnende» in Genossenschaftswohnungen. Die wohnen dort, bewohnen aber nur, wenn sie auch in der Wohnung sind. Sonst sind sie keine Wohnenden, sondern Fahrende, Essende, Arbeitende, und was des Unfugs mehr ist.

Bewohnende wird hier zwecks Vermeidung von Bewohner verwendet. Denn die gendergestählte Fraktion im Tagi könnte sonst bemeckern, dass es wenn schon Bewohner und Bewohnerinnen heissen müsste. Muss es nicht, aber eben, Genderwahnsinn ist ansteckend.

Richtig lustig wird’s aber, weil im Titel das Wort «Genossenschafter» vorkommt. Pfuibäh. Wo bleiben da die Weiber? Der Genossenschafter, die Genossenschafter, mit generischem Maskulin kein Problem. Aber für Genderwahnsinnige eigentlich ein Riesenproblem. Also müsste es Genossenschafterinnen und Genossenschafter heissen. Verdammt lang für einen Titel. Wie wäre es dann mit GenossenschafterInnen? Auch grauenhaft, aber so wären immerhin die Frauen inkludiert. Nur: und die anderen? Die Diversen? Hybriden? Non-Binären? Die werden weiterhin grausam diskriminiert.

Wie könnte man das nun hier lösen? Vorschlag zur Güte: Genossenschaftende. Wäre vor «Wohnende» eigentlich auf der Hand gelegen. Wer hat das vergeigt? ZACKBUM (auch die ZACKBUMin, alle ZACKBUM* und ZACK*BUM*) fordert Konsequenzen und Sanktionen.

Wagt da einer einzuwenden, dass das der überwiegenden Mehrheit aller Leser schwer am Allerwertesten (männlich), Hinterteil (sächlich) oder an der Pobacke (weiblich) vorbeigeht? Pardon, aller Lesenden? Dass es störend, unsinnig, ungrammatisch, abschreckend und schlichtweg falsch ist?

Wagt da einer einzuwenden, dass wenn die Inkludierung von Frauen in die Sprache ganz entscheidend im Kampf gegen deren Diskriminierung sei, die Türkinnen die emanzipiertesten Frauen der Welt sein müssten? Weil es dort gar kein Genus gibt. Oder die Engländerinnen, denn es gibt zwar she/he, aber die Deklination spielt sich genderneutral ab.

Oder sagen wir so: wer den Deppen-Präsens oder andere Vergewaltigungen der deutschen Sprache verwendet, zeigt damit sprachliche und intellektuelle Unfähigkeit auf bedenklich niedrigem Niveau. Wer sie gar einfordert, verlangt, dass alle ihm Ausgelieferte (nein, nicht Ausliefernde) Sprachverbrechen begehen.

Glücklicherweise wird dieser Unfug bereits in diversen Medien und Ämtern verboten. Ein Schritt in die richtige Richtung, und die ist weiblich.

 

Der Grosse «Blick»-Flop

Wie sich eine C-Prominenz in die Schlagzeilen bringt.

Der «Blick» ist das Blatt mit hohem Nutzwert:

«Blick» ist das Blatt, in dem Schlagzeilen von gestern und vorgestern auch heute und morgen Bestand haben:

Diese Wahnsinns-News steht seit dem 5. Januar (immerhin 2024) zuoberst im Ressort Wirtschaft.

Der «Blick« ist auch das Organ, mit dem sich verglühte Promi-Sternchen wieder ins Gerede bringen können:

Himmels willen, ein «besorgniserregendes Video» von «Moderatorin» Christa Rigozzi. «Grosse Sorge um Christa Rigozzi und ihre Familie», barmen Fynn Müller (bei dem Nachnamen braucht’s den Vornamen) und Papierwerferin Flavia Schlittler.

Die Cervelat-Prominente brauche Zeit zum Verarbeiten, später, viel später werde sie mal sagen, was Schreckliches passiert sei, aber jetzt müsse sie die Familie und sich selbst schützen. «Blick» fragte besorgt nach, keine Antwort.

Was mag da nur passiert sein? Mann ging fremd? Kind wurde entführt? Tödliche Diagnose einer unheilbaren Krankheit? Stalker? Gewalt in der Ehe wie bei «Duschen mit Doris» Leuthard? Die Schweiz rätselt und sorgt sich. Na ja, ein kleiner Prozentsatz der Schweiz.

Immerhin brachte es Rigozzi so auf 30 Treffer in der Mediendatenbank in den letzten Tagen. Das war ihr letzthin nicht mehr so häufig vergönnt.

Während sie noch in der Schock- und Erholungsphase verharrt und alle um sich herum schützt, kommt schon des Rätsels Lösung:

Nun gehen gleich drei «Blick»-Cracks ans Gerät, darunter aber kein einziger Head, Chief oder Chef, nicht mal ein Blattmacher oder Ressortleiter. Daher müssen Myrte Müller (wohl nicht verwandt mit Fynn Müller), Flavia Schlittler und Michel Imhof ganz alleine aufklären: «Jetzt zeigen Blick-Recherchen: Das «Schlimme» war ein Einbruch.»

Man merkt deutlich, wie verzweifelt versucht wird, eine Null-News aufzupumpen: «Als Rigozzis in den Ferien waren, räumten Einbrecher ihr Haus aus», lärmt noch die Schlagzeile. Dieser Löwe schnurrt dann im Text auf Kätzchengrösse: «Unbekannte waren gewaltsam ins Haus eingedrungen und hatten einige Wertsachen mitgenommen.»

Jö, aber «Blick» hat gnadenlos weiterrecherchiert und erzählt den Lesern weltexklusiv, was die Polizei denn so meint: «Wir geben zu diesem Fall keine weiteren Informationen.» Gut, dass wir das nun wissen.

Aber dieser Schock war nicht der erste für die schlagzeilengeile «Moderatorin»: «Zwei Monate zuvor hatten zwei junge Marokkaner versucht, das Auto des Models zu knacken.» Versuchter Autoeinbruch, damit kann man ohne psychologische Betreuung nur schwer fertigwerden, das ist klar.

ZACKBUM wünscht Familie Rigozzi, dass sie sich von diesen schlimmen Schicksalsschlägen möglichst rasch und mit fachkundiger Unterstützung erholt. ZACKBUM wünscht noch mehr, dass Rigozzi wieder genügend mediale Aufmerksamkeit bekommt. Bevor wieder etwas «Schlimmes» passiert.

Verfassungsfeind Kissling

Darf jetzt bei Tamedia jeder alles?

Der Gastkommentator Hans Kissling «ist Volkswirtschaftler und ehemaliger Chef des Statistischen Amtes des Kantons Zürich», klärt der Tagi den Leser auf. Das heisst, er lag als Staatsangestellter dem Steuerzahler auf der Tasche. Vielleicht dürfte man von Beamten eine gewisse Verfassungs- und Gesetzestreue erwarten.

Aber nicht von Kissling. Der behauptet, es gäbe eine «unheilige Allianz», die «verhindert, dass die Schweiz der Ukraine die benötigten Waffen liefert». Und er fordert ultimativ: «Das muss sich 2024 ändern

Nun gibt es in der Schweiz auf der einen Seite die Meinungsfreiheit, genauer: «Jede Person hat das Recht, ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu äussern und zu verbreiten.» Davon macht Kissling ungehemmt Gebrauch. Das darf er, denn jeder hat das Recht, sich öffentlich zum Deppen zu machen.

Aber das ist nur die Einleitung zu seinem happigen Vorwurf. Denn die USA und die EU lieferten «dringend benötigte Waffen im Umfang von Dutzenden von Milliarden Franken». Womit es allerdings zurzeit ziemlich harzt, was der Statistiker unterschlägt. Dann versteht Kissling die Präambel der Bundesverfassung falsch, dort stehe, dass es darum gehe, «Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt zu stärken». Allerdings lässt Kissling die Einleitung dazu weg: «im Bestreben, den Bund zu erneuern, um Freiheit und Demokratie …» Was für ein Verfassungsfreund.

Aber nun geht’s erst richtig los. Hier praktiziere die Schweiz «keine Solidarität». Wozu genau missbraucht Kissling diesen Begriff? Die Schweiz sei unsolidarisch, weil sie keine Waffen liefere und das «mit dem Kriegsmaterialgesetz» begründe, «welches vorschreibt, dass keine Rüstungsgüter an kriegsführende Länder geliefert werden dürfen». Ganz falsch, donnert Verfassungsexperte Kissling, «dabei führt die Ukraine keinen Krieg gegen Russland, sondern verteidigt sich gegen einen Aggressor».

Vielleicht sollte Kissling mal das Schweizer Kriegsmaterialgesetz studieren, bevor er solchen Unfug verzapft. Vielleicht sollte Demokrat Kissling zur Kenntnis nehmen, dass das Schweizer Parlament ausdrücklich Sonderregeln für die Ukraine, also eine Lockerung, abgelehnt hat.

Wir empfehlen ihm insbesondere die Lektüre von Art. 22a sowie der Bestimmungen, die eine Wiederausfuhr verbieten, weil sonst Exportrestriktionen kinderleicht ausgehebelt werden könnten. Entscheidend ist schlichtweg das Hindernis, dass Kriegsmaterialexporte nicht bewilligt werden, wenn «das Bestimmungsland in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist». Was bei der Ukraine einwandfrei der Fall ist, wie jeder versteht, der lesen kann.

Nun führt Kissling das Beispiel von Waffenlieferungen an Saudiarabien an, «welches in den Jemen-Konflikt verwickelt ist». Das ist tatsächlich fragwürdig, aber Kissling als gesetzestreuer Ex-Staatsdiener sollte vielleicht wissen, dass man einen Gesetzesverstoss nicht mit einem anderen legitimieren kann. So nach der Devise: es gibt doch noch mehr Ladendiebe, also darf ich auch klauen.

Aber damit ist Verfassungsfeind Kissling noch nicht am Ende: «Geradezu grotesk ist der Umstand, dass die Schweiz europäischen Staaten die Lieferung von in der Schweiz gekauften Waffen in die Ukraine verbietet. Die meisten europäischen Staaten zeigen wenig Verständnis für die unfaire Schweizer Haltung.»

Für ihn ist also die Einhaltung geltender Schweizer Gesetze «grotesk». Das sei eine «unfaire Haltung», die zudem bei europäischen Staaten auf «wenig Verständnis» stosse. Die Einhaltung Schweizer Gesetze ist also zudem «unfair». Deutschland hat fast identische Rüstungsexportgesetze wie die Schweiz, pfeift aber im Fall der Ukraine darauf. Und an Saudiarabien werden wohl weiterhin Starfighter geliefert. Ist das vielleicht «fair» und nicht grotesk?

In was für einem Rechtstaat möchte Kissling lieber leben? In einem, der sich wie die Schweiz an seine Gesetze hält – oder in einem, der sich wie Deutschland darum futiert? Wer ist seiner Meinung nach daran schuld, dass sich «bisher weder der Bundesrat noch das Parlament in Richtung Unterstützung der defensiven Wehrbereitschaft der Ukraine bewegen»? «Eine unheilige Allianz», setzt sich Kissling noch einen Heiligenschein auf: «Das linksgrüne Lager will die Rüstungsindustrie so klein wie möglich halten oder sogar abschaffen, die Rechtskonservativen haben die Neutralität zum Staatszweck der Schweiz verklärt

Sieht Kissling wenigstens kleine Hoffnungszeichen? Nicht bei der SVP: «Da herrscht zu viel offene und heimliche Bewunderung für das despotische Regime in Russland.» Eine solche Denunziation müsste eigentlich mit ein, zwei Belegen untermauert werden. Aber doch nicht von einem Statistiker. Der setzt seine Hoffnung auf das «linksgrüne Lager», das mit Helfershelfern «den Weg frei macht für die Lieferung von lebensrettenden Flugabwehrsystemen».

«Weg frei machen»? Wie sollte das gehen? Das ginge nur durch eine entsprechende Gesetzesänderung, die das Parlament bereits abgelehnt hat. Oder es ginge mit Willkür und Bruch geltender Gesetze. Diese insinuierte Forderung traut sich Verfassungsfeind Kissling nicht offen auszusprechen.

PS: Diese Replik wurde leicht entschärft bei der liberalen Plattform «Tages-Anzeiger» eingereicht, die als Quasi-Monopolmedium um ihre Verantwortung weiss, verschiedene Meinungen zu Wort kommen zu lassen. Der zuständige Redaktor Fabian Renz wollte eine enteierte und gekürzte Version. Er bekam und veröffentlichte sie, was erstaunt und  für ihn spricht.

Slapstick, Fortsetzung

Immerhin ist dieser Artikel neu. Das kann man beim «Blick» nur bedingt sagen.

Früher, ja früher war der «Blick» bei Politikern nicht nur in Bern gefürchtet. Das Hausgespenst von Ringier hatte eine eigene Suite im «Bellevue Palace» neben dem Bundeshaus und soufflierte den ansonsten fabelhaften Adolf Ogi ins Elend, als der die EWR-Abstimmung mit dem Spruch vergeigte, dass das ja nur das Trainingslager für den EU-Beitritt sei.

Tempi passati, wie der Lateiner (also nicht der Chief of oder Head of beim «Blick») sagt:

Diese Strafaufgabe für den Leser hängt seit dem 2. Januar im Ressort «Politik» als Aufmacher zuoberst. Ob es da noch einen einzigen «Blick+»-Leser gibt, der die Chance nicht ergriff, den Text zu lesen? Und was sagen die 99 Prozent der übrigen «Blick»-Konsumenten, die leider draussen bleiben müssen?

Das hier wäre nun eine schöne Leser-Blatt-Bindung:

Aber leider, leider, wie die meisten guten Ideen stammt die nicht vom «Blick», sondern kommt nur so als Eigenleistung daher: «Dies ist ein bezahlter Beitrag, präsentiert von den Jungfraubahnen».

Eine Meldung im höheren Nonsens-Bereich ist diese hier:

Leider fiel den Textern kein weiteres Synonym für Ende ein, also wiederholen sie doch einfach «Schluss». Und eigentlich müsste man «aus» kleinschreiben, aber eben. Diese Auflistung ist ungefähr so sinnvoll wie die Hitparade «diese Nachrichten werden Sie nie mehr sehen», «diese Produkte sind aus», «diese Welle wird kein zweites Mal auf den Strand rollen».

Für die wenigen «Blick»-Leser, die prinzipiell keinen Wetterbericht hören, im alten Boulevardstil die «Kältepeitsche». Und nein, rechts ist kein Foto, wie das dann aussehen wird. Das ist Werbung.

Apropos, das ist nur Werbung.

Das hier ist auch Werbung, allerdings in eigener Sache. Das löst natürlich einen rasenden «muss haben»-Reflex aus, denn wer möchte schon nicht wissen, «was die grösste Genugtuung für Mama Odermatt wegen Marco» sei. Sollen wir’s verraten? Nein, das tut man nicht. Schliesslich enthüllt «Blick» diesen «exklusiven Artikel» für lau; einen ganzen Monat gibt es alles von «Blick+» für «CHF 0.-».

Zugreifen, Leute, heute noch günstiger, nächstens gibt es zwei Testmonate, und der Kunde bekommt noch zwei Franken zurück.

Aber wie auch immer: ZACKBUM ist zutiefst dankbar für diese Unterhaltung in trüben Zeiten. Wir wünschen «Blick», «Blick+», «Sonntagsblick», «blick.ch» mitsamt seiner Schar von Heads, Chiefs und Chefs ein langes Leben. Wissen aber: wenn wünschen helfen würde …

Was macht eigentlich …

… die «Schweiz am Wochenende»?

Denn sie verkörpert die Zukunft des Printjournalismus. Nach der Zusammenlegung der Redaktionen (begleitet von den üblichen Sparmassnahmen, vulgo Rausschmeissen), kommt als nächster Schritt die Aufgabe der Printversion am Sonntag. Und/oder die Aufgabe einer Extra-Sonntagsausgabe. Teuer, Distribution ein Alptraum, die Wochenqualität ist sowieso schon durch Tagesqualität ersetzt.

Da geht der Wannerclan mutig voran. Nicht nur beim Rausschmeissen. Schon seit geraumer Zeit gibt es die ehemalige Sonntagszeitung als «Schweiz am Wochenende». Und das fängt bekanntlich am Samstag an und lässt sich daher kostengünstig schon am Freitag herstellen. Als nächstes wird die Montags-Printausgabe dran glauben, denn die muss kostenträchtig am Sonntag hergestellt und gedruckt werden.

Aber konkret, wie sieht denn die Ausgabe vom vergangenen Samstag so aus? Aus dem Cover lässt sich, im Gegensatz zur SoZ, noch wenig schliessen. «300 Jahre Immanuel Kant», das legt das Bildungsniveau schön hoch. «Die Schauspielerin ist in aller Munde», das legt das Sprachniveau schön tief. Dann die Fake News des noch jungen Jahres: «Eine Mehrheit will zukünftig auf das eigene Auto verzichten». In Umfragen vielleicht, im der Realität niemals. Und dass 2024 weltweit anscheinend zwei Milliarden Stimmbürger an die Urnen gerufen werden, hübsch. Aber ist das nicht immer mal wieder so?

Immerhin, mit einem solchen Zusammenschrieb lassen sich fast zwei Seiten füllen, allerdings nur, wenn man ein Riesenfoto von Donald Trump zu Hilfe nimmt. Dann kommt Ausgewogen-Belangloses, bis sich Francesco Benini an Frank A. Meyer abarbeitet. Als wolle er auf ZACKBUMs Spuren wandeln, haut er Ringiers ewigem Machthaber ohne Verantwortlichkeit kräftig eine rein: «Er schmeichelt sich ein bei den Mächtigen», schlimmer noch: «Seine Methoden sind heute in Verruf geraten», so gratuliert ihm Benini zum 80.

Genüsslich reibt er Meyer seine Nähe zu den Mächtigen, seine Rolle als Einflüsterer im Bundesrat, seinen Riesenflop beim damaligen Schweizer Botschafter in Berlin rein. Seinen Aufstieg im Verlag erklärt er so, dass Meyer zwar von Bruder Christoph Ringier in den Verlag geholt worden sei, sich dann aber auf die Seite von Michael geschlagen habe und sein Votum bei Mutter Ringier den Ausschlag gegeben habe: Christoph verliess bekanntlich das Unternehmen, Michael wurde zum Alleinherrscher.

Das «Dîner républicain» in Locarno, Frank-Walter Steinmeier als Preisträger, der sich mit dem deutschen Bundesverdienstkreuz revanchierte, das Engagement von Gerhard Schröder als Berater, dass sich Meyer zum 80. von seiner eigenen Frau interviewen lässt, die in Auftrag gegebene Biographie von Lohnschreiber René Lüchinger (auf diesem Gebiet immer im Nahkampf mit Karl Lüönd), die zur Schlusspointe taugt, Benini lässt eigentlich nichts aus, um Meyer runterzumachen.

Nun polarisiert der Mann ungemein. Aber eine Würdigung zum 80. müsste auch beinhalten, wie er es eigentlich geschafft hat, sich so viele Jahre, manchmal in der Geschäftsleitung, manchmal ausserhalb, als zweitmächtigster Mann ohne Verantwortungsbereich in einem Milliarden-Medienkonzern zu halten. Und nicht alles, was er geschrieben hat, ist schlecht oder flach. Er arbeitet sich im Weinberg der Sprache ab, sucht nach dem passenden Wort, der treffenden Formulierung. Hat in seinen besten Zeiten eine didaktische Schreibe entwickelt, mit der er die Leser auf seinen Gedankengängen mitnimmt.

Bei all seinen Flops und Eitelkeiten war er immer ein Journalist mit Herzblut, der für Qualitätsjournalismus (so wie er ihn versteht) eintritt. So etwas gibt es weder bei CH Media noch bei Tamedia. Vielleicht sollte man da zu gewissen Gelegenheiten die Häme herunterfahren und versuchen, ein literarisch anspruchsvolles Porträt zu schreiben. Aber versuchen kann man nur, was man kann.

Dann die Mutprobe; Aufmacher und Schwerpunkt im Bund «Wochenende» ist Immanuel Kant. Angekündigt als der «Maestro des Denkens». Grosses Thema, würde intellektuelle Grosstaten verlangen. Aber Raffael Schuppisser lässt’s bei Kleingeld bewenden. Er interviewt einfach einen Zeitgeist-Philosophen und stellt ihm Primarschülerfragen: «Wo ist Kant nach wie vor verblüffend aktuell», bitte den kategorischen Imperativ erklären (was der Philosoph dann nicht tut), was würde Kant zu Wokeness sagen, die Definition von Aufklärung, sozusagen die «Kleine Nachtmusik» der Philosophie, die Hamas sei «eine Rotte des Bösen», an der durchgeistigten Durchdringung der Aktualität scheitert dann der Philosoph.

Mit der Feier von Jubiläen hat es CH Media ganz allgemein nicht so. Der Beitrag zu «50 Jahre Kassensturz» kommt über eine reine Aufzählung vergangener Taten und Köpfe nicht hinaus.

Das «Lexikon für den gepflegten Smalltalk» ist hingegen ein nettes Zeitgeiststück, das den Leser unterhält.

Fazit? In vielem unaufgeregter als Tamedia. Allerdings scheitert CH Media an Würdigungen, und wenn man sich Kant vornimmt, dann sollte der Redaktor schon eine vertieftere Ahnung von diesem Philosophen haben, damit er im Interview den selbsternannten Nachfolger etwas besser in die Zange nehmen kann, wenn der sich in Flachheiten verliert.

Mehrfachverwertung

Herfried Münkler geistreichelt auf allen NZZ-Kanälen.

Man kann es Multitasking nennen. Oder Multichannel. Oder auch eine Überdosis. Der emeritierte Professor Münkler ist ein produktiver Mann. Sein historisches Werk «Der grosse Krieg» über den Ersten Weltkrieg, sein Buch über den Dreissigjährigen Krieg, über die Zukunft der Demokratie oder neuestens über «Die Welt in Aufruhr» sind intelligente, feuilletonistisch lesbar geschriebene Abhandlungen, die man gelesen haben sollte. Auch wenn ihm Christopher Clark mit «Die Schlafwandler» bezüglich Erster Weltkrieg etwas in der Sonne steht.

Aber gut, jetzt erschallt Münklers Stimme bei der NZZ auf allen Kanälen. Chefredaktor Eric Gujer hat ihn zum gepflegten Dialog in seine «Standpunkte» eingeladen, gleichzeitig ist ein grosses Essay von Münkler im Print erschienen: «Kann man von einem Menschen heute noch verlangen, dass er für sein Heimatland in den Krieg zieht?» Eine ganze Seite Feuilleton zur These, dass «die Opferbereitschaft» entscheide, «wer am Schluss die Oberhand» habe im Ukrainekrieg.

Da greift der Historiker zuerst in die Historie zurück: «Es gab Zeiten, da zogen die jungen Männer fraglos in den Krieg.» So fraglos war das dann allerdings auch nicht, in den Blut- und Knochenmühlen des Ersten Weltkriegs. Auch die «Levée en masse» während der Französischen Revolution war mehr eine revolutionäre Tat, das gesamte Volk zum Widerstand gegen die Reaktionäre aufzurufen, die die erste grosse Revolution des Bürgertums gegen den Adel niedermachen wollten – als Ausdruck allgemeiner Opferbereitschaft.

In der Ukraine stelle sich nun die Frage «nach Opferbereitschaft und Heroisierungspotenzialen beider Seiten». Das sei entscheidend, behauptet Münkler. «Material und Durchhaltewillen», das seien die beiden entscheidenden Faktoren, die den Ausgang des Kriegs, bzw. die Flexibilität bei den unvermeidlichen Friedensverhandlungen, bestimmen würden. «Durchhaltewillen, Mobilisierung junger Männer für den Einsatz an der Front», klirrt Münkler recht martialisch vor sich hin. Das erkläre «die überzogenen Erfolgsaussichten der ukrainischen Führung hinsichtlich des Verlaufs der Offensive im Sommer und Herbst 2023». Hier wird der Historiker etwas dunkel in seiner Deutung.

Wohl deshalb dann der Aufschwung in den theoretischen Überbau, wo sich vieles sehr beeindruckend anhört: «Dass postheroische Gesellschaften sich wieder heroisieren können, zeigt das Beispiel der Ukraine im Verlauf der letzten zwei Jahre.» Postheroische Gesellschaften, wow. Darüber hat Münkler schon 2007 im «Merkur» sinniert, es geht nichts über ein gut aufgeräumtes Archiv zwecks Recycling. Das mit dem Heroismus ist so eine Sache, die der Dialektiker  Bertolt Brecht wohl am besten im Galilei auf den Punkt gebracht hat:

«Unglücklich das Land, das keine Helden hat … Nein.
Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.»

Schliesslich widmet sich Münkler noch dem Schicksal der «Trittbrettfahrer», also all der Ukrainer, die es vorgezogen haben, den Ausgang des Krieges aus sicherer Entfernung abzuwarten, statt sich heroisch in den Kampf zu werfen.

Aufgewärmte Begrifflichkeit, neu gemixt. Dann am Schluss noch schnell auf die grosse Quirltaste drücken:

«Damit ist die Verbindung von Freiheit und Vaterland, die in der Levée en masse zentral war, aufgelöst und mit der liberalen Demokratie vereinbar. Es geht wesentlich um die Freiheit. Es ist, wenn man so will, eine «Wette mit der Geschichte», die seitens der liberalen Demokratie eingegangen wird: dass die ihr eigenen Freiheitsversprechen attraktiver sind als die bedingungslose Risikovermeidung in Konstellationen einer existenziellen Bedrohung.»

Das versteht man auch im dritten Anlauf nicht? Genau das soll es auch bewirken: ein ehrfürchtiges Staunen mit heruntergeklapptem Unterkiefer. Allerdings nur für Leser, die auch an des Kaisers neue Kleider geglaubt hätten. Denn eigentlich ist das nichts anderes als gelenkiges Herumturnen in nicht genauer definierten Begrifflichkeiten. Freiheit, Vaterland, liberale Demokratie, Risikovermeidung, Bedrohung. Einmal gut mixen, und heraus kommt eine «Wette mit der Geschichte». Nur: die Geschichte wettet nicht. Es wettet auch niemand mit der Geschichte. Hört sich irgendwie gut an, ist aber reines Gedöns vom Professor.

 

Hätte, könnte, würde

Eine Meldung plus Denkstoff.

So titelt das Qualitätsorgan «Tages-Anzeiger»:

Der Medienminister behaupte, dass die Haushalte mehr Geld für Journalismus ausgäben – und begründet so, dass auch er eine Senkung der Zwangsgebühren für vertretbar hält. Aber Statistiken des Bundes zeigten das Gegenteil. So Titel und Lead des Artikels von Iwan Städler. Der arme Mann hat Karriere andersrum gemacht. Früher mal Mitglied der Chefredaktion und Redaktionsleiter «Tages-Anzeiger», ist er nun einfacher «Inlandredaktor». Der Kalauer sei erlaubt: mit Glied ist man halt nicht mehr Mitglied beim Tagi.

Zunächst: Tamedia ist bei solchen Fragen nicht ganz unbefangen. Zum einen meckert der Konzern kräftig gegen den Internetauftritt von SRF, das sei unfaire Konkurrenz. Zum anderen hängt auch Tamedia am Subventionstropf, gefüllt mit Steuergeldern. Zum Dritten hat auch Tamedia die Ablehnung der zusätzlichen Subventionsmilliarde für reiche Verlegerclans noch nicht verdaut. Und zum Vierten sucht man nach neuen Vorwänden, um mit den ewig gleichen Schlagwörtern («Vierte Gewalt, Kontrolle, Demokratie, staatstragend») noch mehr Kohle rauszuleiern.

Denn die Unfähigkeit des obersten Managements, Newsproduktion gewinnbringend zu verkaufen, wird nur durch die Geldgier des Coninxclans übertroffen.

In dieser Gemengelage ist es immer gut, den SVP-Medienminister anzugreifen. Denn der ist von der SVP, was schon mal gegen ihn spricht. Dann ist er beliebt, was nochmal gegen ihn spricht. Und dann war er Mitinitiant der Initiative, die die Zwangsgebühren auf 200 Franken deckeln will. Vertritt nun aber als Bundesrat tapfer einen Kompromissvorschlag. Aber wenn bei der SRG gespart werden könnte, dann ginge das doch auch bei der Subventionierung privater Medienkonzerne, so die Befürchtung von Tamedia.

Also auf ihn. «Sind die Medienausgaben der Schweizer Haushalte tatsächlich gestiegen? Entsprechende Zahlen sucht man in den Vernehmlassungsunterlagen vergeblich.» Nicht nur das, eine Statistik des Bundes besage, dass «die Medienausgaben von 2012 bis 2020 gesunken» seien, « – von 309 auf 264 Franken pro Haushalt und Monat».

Ha. Oder doch nicht? Röstis Departement führt eine repräsentative Umfrage ins Feld, laut der die Nutzung von Angeboten von Netflix und Co. deutlich gestiegen sei. Nun ja, räumt der Tagi ein, mag so stimmen, aber: «Topaktuell sind die Zahlen freilich nicht. Die neusten Daten beziehen sich aufs Jahr 2020.» Lustig, bei den vom Tagi ins Feld geführten Zahlen, die ebenfalls 2020 enden, stört das Städler aber nicht.

Damit legt er sich mit quietschenden Reifen in die Kurve, wobei man nicht sicher sein kann, ob er den Schluss ernst oder ironisch meint: «Es ist also nicht ausgeschlossen, dass seither die Ausgaben für Medien plötzlich wieder gestiegen sind. So würde die Aussage von Röstis Leuten doch noch zutreffen.»

Ja was denn nun? Alle arbeiten mit nicht «topaktuellen» Zahlen. Ob die Medienausgaben der Haushalte gestiegen sind oder gesunken, Genaues weiss man nicht. Kann man so oder so sehen. Kommt darauf an. Deine Statistik, meine Statistik. Einfache Arithmetik: 1 minus 1 ergibt 0. Ein Artikel als Nullnummer, Platzverschwendung, Leserverarschung. Ohne zählbaren Erkenntnisgewinn. Überflüssig wie ein zweiter Kropf.

75 Stellen weg

Ringier fehlte noch beim grossen Rausschmeissen.

CH Media brutal, Tamedia massiv, NZZ dezent, so ging das Jahr 2023 mit Massakern im Journalismus zu Ende. Denn jemand muss ja für die Fehlentscheide und die Unfähigkeit der Teppichetage in den grossen Medienhäusern bezahlen. Und das sind sicher nicht diejenigen, die über den Teppich laufen.

Als letzter im Reigen hat nun auch Ringier den Rausschmiss verkündet. 75 Stellen sollen «abgebaut» werden. Das sei natürlich unvermeidlich und folgerichtig, nachdem Ringier Medien Schweiz die Ringier Axel Springer Schweiz AG geschluckt hatte. Denn während sich Springer von möglichst vielen Titeln trennt, die schwergewichtig im Print funktionieren und daher nicht wirklich resilient und zukunftsfähig sind, kauft Ringier solche Blätter auf.

Dazu erklärt CEO Ladina Heimgartner das Einmaleins des Geschäftslebens: «Will man als Verlagshaus langfristig erfolgreich bleiben, muss man die Kostenseite im Griff haben.» Diese Binse ist aber nur die Hälfte der Wahrheit. Vor allem sollte man die Einkommens- und Gewinnseite im Griff haben. Aber genau da liegt das Problem im Zeitungs- und Zeitschriftenbereich von Ringier.

Oder im Management-Schönsprech formuliert, das Ziel sei es, «dank mehr als 20 etablierten Titeln, einem breiten Themenspektrum, grosser Reichweite und konzentrierter Expertise in allen Bereichen das innovativste und führende Medienhaus der Schweiz zu werden». Ein weiter Weg, kann man nur sagen.

Mit weniger Mitarbeitern mehr leisten, super Plan. Oder wieder im Schönsprech: «Mit der geplanten neuen Organisationsstruktur schaffen wir für Ringier Medien Schweiz eine gesunde und nachhaltige wirtschaftliche Basis.» Was ja eigentlich bedeutet, dass Ringier aktuell weder das führende, noch das innovativste Medienhaus der Schweiz ist, zudem über eine ungesunde und nicht nachhaltige wirtschaftliche Basis verfügt.

Das alles lässt sich aber ganz einfach lösen und verbessern. Man baut 75 Stellen ab, schmeisst ein paar Dutzend Mitarbeiter raus – und schon flutscht es. Ach nein, man kümmere sich auch um den «Aufbau einer modernen Organisation». Wenn der Kopfsalat der «Blick»-Gruppe mit kabarettreifen Beschreibungen der Tätigkeiten von Heads, Chiefs und Chefs dafür die Blaupause sein soll, dann gute Nacht.

Wir dokumentieren nochmals zur allgemeinen Erheiterung das Häuptlingswesen:

Das sind schon mal 26 Nasen und eine Vakanz. Darunter hätten wir dann noch 21 «Ressortleiter», die «Geschäftsleitung» nicht zu vergessen, die dann nochmals aus 9 Nasen besteht, wobei es aber zu Überschneidungen mit «Leitung und Leitungsteam» kommt. So haben wir uns eine moderne Organisation immer vorgestellt. Jede Menge Häuptlinge, kaum Indianer.

Gratis drauf gibt’s noch eine Portion Krokodilstränen: «Ich bedaure es sehr, dass wir dieses Ziel nicht ohne Stellenabbau erreichen können. Doch erachten wir es als besser, einmal einen klaren Schnitt zu tätigen, danach dann aber Ruhe einkehren zu lassen», behauptet Heimgartner.

Wobei, mal Hand aufs Herz: gäbe es bei dieser Häuptlingsversammlung, zudem einkommensmässig alle Schwergewichte, nicht alleine schon dramatisches Sparpotenzial? 10 Nasen weg, und Ringier hätte bereits locker zwei Millionen gespart, ohne dass es jemandem auffiele.

Ob und wann allerdings Ruhe einkehrt, und ob es sich für verschiedene Organe dann nicht mal um Grabesruhe handeln wird, das verrät sie nicht. Aber im Laufe des Jahres 2024 werden wir das sicher erfahren. In aller Ruhe.

Alain Finkielkraut nervt

Auch die NZZ ist geschichtsvergessen.

Man kann den französischen Intellektuellen Finkielkraut interviewen. Man könnte sich kritisch mit seinen Behauptungen auseinandersetzen. Man sollte dann aber auch seine kurvenreiche Vergangenheit erwähnen, oberhalb des kurzen Schlenkers «Sie selbst waren einmal Maoist», auf den Finkielkraut salopp antworten darf: «ein paar Wochen», um dann das Thema zu wechseln.

Man hätte in seiner Biographie – oder zumindest in Form einer Frage – nicht auslassen dürfen, dass sich der Nationalist Finkielkraut auch schon so äusserte: «die einzige Partei, die die Franzosen mit ihrer verunsicherten Identität ernst» nehme, sei der «Front National», schwurbelte er 2013. Einwanderung führe zu einem Niedergang Frankreichs, seiner Kultur, ja seine «Identität» sei gefährdet.

Aber wie seinem Kollegen bei Tamedia geht es Benedict Neff von der NZZ mehr darum, einen Gleichgesinnten abzufragen, als sich seines Handwerks als kritischer Journalist zu besinnen. So rutscht Neff bereits auf einer Schleimspur ins Interview:

«Sie haben die woke Ideologie an den amerikanischen Universitäten schon früh kritisiert. Gelegentlich hielt ich Ihre Warnungen für übertrieben. Nach dem 7. Oktober und den Pro-Hamas-Demonstrationen an verschiedenen Unis dachte ich: Er hatte recht. Was ging Ihnen durch den Kopf? – Ich war schockiert. Ich war fassungslos. Ich war überwältigt. Sagen wir, um den französischen Autor Jean Racine zu paraphrasieren: Mein Unglück übertraf meine Hoffnung.»

Sozusagen als negative Ergänzung zu Lüscher stellt Finkielkraut dann die steile These auf: «Nach dem Massaker vom 7. Oktober scheint es, als sei der Antisemitismus das höchste Stadium des Wokeismus. Der Wokeismus reduziert die Komplexität menschlicher Konstellationen gnadenlos auf die Konfrontation von Herrschern und Beherrschten, Unterdrückern und Unterdrückten.»

So wie Lüscher den Antisemitismus vor allem rechts verortet, lebt er für Finkielkraut links: «Die Partei von Jean-Luc Mélenchon, La France insoumise, ist sehr explizit zu einer antisemitischen Bewegung geworden.» Da könnte ein Interviewer vielleicht nachfragen, woran konkret der Philosoph das festmache. Aber nachhaken war gestern, heute ist labern lassen.

So darf Finkielkraut ungebremst einen wahren Rachefeldzug starten: «Die humanitären Organisationen, die heute gegen Israel hetzen, verlieren kein Wort, um das Verhalten der Hamas anzuprangern.» Und: «Selbst der 7. Oktober wird wie der Eintrag in einer Buchhaltung behandelt. Es gab 1200 Tote und einige tausend Verletzte, während die israelischen Bombardements und Angriffe in Gaza viele, vielleicht 19 000 Tote gefordert haben. Viele Menschen verstehen nicht mehr, was Krieg ist. Sie wollen von der tödlichen Taktik der Hamas nichts mehr hören.»

Spätestens hier hätte Neff vielleicht auf die Berichterstattung im eigenen Blatt eingehen können:

Und haben während der illegalen und völkerrechtswidrigen Besiedelung der Westbank bis heute Hunderte von Palästinensern umgebracht, meistens ohne dafür zur Verantwortung gezogen worden zu sein. Auch das ist kein Eintrag in einer Buchhaltung. Aber ein Hinweis darauf, dass der Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis vielleicht etwas komplexer ist, als ihn Finkielkraut als terrible simplificateur darzustellen beliebt. Und was die extra hingereiste «NZZ-Reporterin» Andrea Spalinger zu erwähnen vergisst. Front National, woke ist Antisemitismus und der Feind im Inneren unserer Gesellschaft. Israelische Kriegsverbrechen? Wer davon spricht, verstehe nicht, was Krieg sei, behauptet der Philosoph.

Papierdünne Thesen, geeignet für ein kritisches Gespräch, in dem der wendige Debattierer Gelegenheit hätte, seine rhetorischen Fähigkeiten und intellektuellen Saltos in der Manege vorzuführen. Aber weil er nur abgefragt wird, kommen sein Antworten merkwürdig flach, matt, unanimiert daher. Dabei hat er im Gegensatz zu Lüscher durchaus intellektuelle Potenz, ist gestählt an der lebhaften Kultur der Auseinandersetzung in Frankreich, wo ihm allerdings schon lange Michel Houellebecq vor der Sonne steht, der noch radikaler und skandalträchtiger kantige Thesen vertritt.

Aber vielleicht fühlte sich Neff einem Interview mit dem nicht gewachsen und zog es vor, etwas gelahrter mit dem Mitglied der altehrwürdigen Académie française zu parlieren …

Wumms: Jan Diesteldorf

Dummschwätzer breiten sich in Tamedia weiter aus.

Jan Diesteldorf ist ein weiterer unerwünschter Ausländer beim Tagi. Brüssel-Korrespondet, dann im Frankfurter Büro der «Süddeutschen Zeitung». Das qualifiziert ihn zu einem «Essay» in der SZ: «Wer zögert, verliert». Im Tagi wird das zur «Analyse» hochgezwirbelt: «Drei Wege, um Putin in die Knie zu zwingen». Dem schlottern sie jetzt schon …

Denn Diesteldorf haut zunächst allen Befürwortern von Sanktionen eins in die Fresse, denn er weiss als Einziger, wie man den Kremlherrscher fertigmacht: «Sanktionen konnten Russlands Kriegswirtschaft nicht ausbremsen, im Gegenteil. Jetzt muss Europa alles tun, um den Kreml da zu treffen, wo es schmerzt: beim Geld.» Ein typischer Schwurbler, den erkennt man an der Blubber-Formulierung «jetzt muss Europa alles tun». Wer ist Europa, warum muss es jetzt, weil Diesteldorf den Befehl gibt? Immerhin, nach einem solchen Flachsinn ist der mündige Leser gewarnt und stellt die weitere Lektüre ein.

Ausser, ZACKBUM muss seiner Berichterstatterpflicht nachgehen, was schon eine Bürde ist, die wir aber mit Fassung tragen. Zunächst, gelernt ist gelernt, der szenische Einstieg: «… die Raketen fliegen, sie treffen Kiew, sie treffen Charkiw, ihre Wucht tötet Menschen, lässt Häuser brennen und einstürzen, sie unterbrechen die Versorgung mit Strom und Gas».

Was haben wir? Einen «zuversichtlichen Lügner» auf der einen Seite, schlimmer noch: «Putins Siegesgewissheit ist kein hohles Geschwätz. Sie ist gut begründet.» Auf der anderen Seite schwindende Ambitionen der EU, ihm die Stirn zu bieten, dazu noch das Quertreiben des «Populisten und Russlandfreunds Orban». Das Panoptikum des Schreckens wäre nicht vollständig, fehlte dies, nämlich «dass sich mit Donald Trump wieder jemand warmläuft, der mit Putin nicht nur die Siegesgewissheit gemein hat». Was sonst noch? Die Frisur? Den Wunsch, Kriege zu führen? Was für ein hohles Geschwätz.

Hohl, aber mit Pathos vorgetragen: «Dabei hat sich an der moralischen Verpflichtung für Europa und den Westen und jeden einzelnen Bürger, der in jener Freiheit lebt, die die Ukrainer stellvertretend verteidigen, nichts geändert.» Genau, wir Freiheitsliebenden wollen sie bis zum letzten Ukrainer verteidigen, unerschrocken und mit der Waffe in der Hand. Beziehungsweise auf der Tastatur im wohlgeheizten Büro.

Dann überrascht Diesteldorf mit aus den Überschwemmungen in Deutschland gezogenen Erkenntnissen: «Ein Damm ist eben nur dicht, wenn man ihn zu Ende baut.» Unfertige Dämme sind untauglich, das sollte man den Niedersachsen endlich mal sagen.

Aber was nützt dieses Beispiel im Kampf gegen Putin? Was hat Diesteldorf zu bieten? «Ölpreisdeckel verschärfen, komplettes Gasembargo, Sekundärsanktionen». Gähn. Irgendwie fällt es ihm selber auf, dass seine drei Wege, «Putin in die Knie zu zwingen», höchstens funktionierten, wenn Putin beim Schlapplachen umfällt. Daher winselt der Autor zum Schluss: «Wohl wahr, das alles hat kaum Aussicht auf Erfolg.»

Schlimm, ist das denn alles? Fast: «kurz bevor sich der Krieg zum zweiten Mal jährt, sollte man es den Ukrainern gleichtun und die Hoffnung nicht aufgeben.» Genau, die Hoffnung stirbt zuletzt. Auch darauf, dass bei Tamedia endlich mal wieder so etwas wie eine Qualitätskontrolle Einzug hält. Bevor der Leser auf die Knie fällt und um Gnade und Verschonung von solch gebackener Luft winselt.