Tag der Vereinigung

Deutschland feiert seine Wiedervereinigung.

ZACKBUM-Autor René Zeyer feiert das Ergebnis der Vereinigung einer Samen- mit einer Eizelle; das Resultat erblickte rund 9 Monate später am 3. Oktober das Licht der Welt.

Komische Koinzidenz, dass am Tag seiner Geburt der Staat, in dem er geboren wurde, starb.

Aber so wird und vergeht alles.

Grosse Feier, kleine Feier.

Und nicht vorschnell aufatmen. Nur durchatmen.

Am 7. Oktober ist die Schonzeit schon vorbei …

Die Ermordung von Nasrallah ist ein Kriegsverbrechen

Wenn das Gute böse wird und das Böse böse bleibt.

Wer das trotz aller klammheimlichen Freude über das Ende eines fundamentalistischen Terroristen bestreitet, hat Mass und Anstand verloren.

Ich halte dafür, dass ein unbescholtener Bewohner Beiruts genauso das Recht auf Leben hat wie ein ebenso unbescholtener Mieter in einem Wohnblock in Zürich Schwamendingen.

Das gilt auch dann, wenn sich in unmittelbarer Nähe ein Terrorist einquartiert hat. Wer den Tod von unschuldigen Zivilisten als nebensächlichen Kollateralschaden bei einem Kriegsverbrechen verniedlicht oder ignoriert, hat nicht nur seinen moralischen Kompass verloren.

Wer schönfärberisch von «Tötung», «Liquidierung» oder schlichtweg vom «Tod» des Anführers der Hisbollah spricht oder schreibt, stellt damit die Prinzipien einer regelbasierten Ordnung des Zusammenlebens infrage.

Solche Relativierer übersehen, dass Moral und Regeln Prinzipien sind, deren Verletzung schweren Schaden anrichtet. Deren Relativierung den Weg in die Hölle öffnet. Die Unterscheidung zwischen Normalfall und erlaubter Ausnahme relativiert etwas Unrelativierbares.

Was bei «normalen» Verbrechen gilt, soll das bei besonders abscheulichen nicht mehr gelten? Ein Mörder wird für seine Tat mit Gefängnis bestraft. Sollte aber der abscheuliche Mörder von Rupperswil nicht strenger bestraft, gefoltert, getötet werden? Wie steht es mit einem Kinderschänder, der seine Opfer tötet? Hat der es verdient, weiterzuleben?

In solchen Fällen kocht die Volksseele schnell über, und besonnene Zeitgenossen mahnen und erinnern daran, dass ein regelbasiertes Zusammenleben, das Faustrecht und Willkür verhindert, die letzte Brandmauer gegen Barbarei und das Recht des Stärkeren darstellt.

Wer verspürte keine klammheimliche Freude, als Bin Laden ermordet wurde? Wer, so er nicht fundamentalistischer Wahnsinniger ist, verspürt Trauer bei der Nachricht, dass Hassan Nasrallah in seinem Bunker in die Luft gesprengt wurde?

Dennoch handelt es sich ohne Zweifel um ein Kriegsverbrechen. Zum unscharfen Katalog von Handlungen, die als Kriegsverbrechen stigmatisiert sind, gehören vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung oder das vorsätzliche Führen eines Angriffs in der Kenntnis, dass dieser auch Verluste an Menschenleben, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte verursachen wird.

Seit die Menschheit die zivilisatorische Reife erreicht hat, über die Begriffe Gut und Böse nachdenken zu können, stellt sich die Frage, wie böse das Gute werden darf, um sich gegen das Böse zu wehren. Gilt da «Auge um Auge, Zahn um Zahn»? Ab wann und wo verschwimmt die Grenze zwischen dem Guten, das böse wird, um Böses zu liquidieren, und dem Bösen? Ist es legitimierbar, dass der Friedensnobelpreisträger Barak Obama zum Kriegsverbrecher wurde, indem er wöchentlich eine «Kill List» abzeichnete, die die Ermordung von angeblichen Terroristen weltweit sanktionierte, inklusive Kollateralschäden wie die Liquidierung einer Hochzeitsgesellschaft in Afghanistan?

Ist es nicht so, dass Figuren wie Nixon, Bush, Kissinger oder Obama nur deswegen nicht vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag landeten, weil die USA dessen Autorität nicht anerkennen? Gilt die Haager Landkriegsordnung, die Genfer Konvention und ihre Zusatzprotokolle? Oder nur von Fall zu Fall? Oder gilt Radio Eriwan: Im Prinzip ja, aber?

War Nasrallah nicht ein Terrorfürst, ein Massenmörder, der sich selbst an keinerlei Regeln hielt? Und sind dann die Bewohner von Beirut halt nicht auch ein wenig selber daran schuld, dort zu wohnen? Ist ihr Tod zwar bedauerlich, aber durch das grössere und edlere Ziel, das Ausschalten eines Terroristen, gerechtfertigt? Darf man da nicht auch ohne Kriegserklärung und unter Bruch aller internationalen Regeln zuschlagen?

Wird man niedergekräht, wenn man darauf hinweist, dass solche Angriffe Staatsterrorismus darstellen, blinden terroristischen Hass gegen Israel schüren, der dann wieder neuerlich unter Bruch aller internationalen Regelwerke bekämpft werden muss?

Es gibt keine wissenschaftlich oder erkenntnistheoretisch basierten Definitionen von Moral, Regeln und Konsequenzen von Regelverletzungen. Ab wann und wie gilt «du sollst nicht töten» nicht mehr? Ist ein Menschenleben in bestimmten Weltgegenden weniger wert als anderswo? Schon in Beirut viel weniger als in Zürich Schwamendingen? Und im Sudan oder Myanmar überhaupt nichts mehr?

Die entscheidende Frage ist: ist die Ermordung eines Massenmörders gerechtfertigt, rechtfertigbar, sinnvoll, wird dadurch die Erde ein besserer Ort? Dürfen dafür zivile Opfer als bedauerliche, aber unvermeidliche Nebensächlichkeiten hingenommen werden? Wer das mit einem uneingeschränkten Ja beantwortet, hat Mass, Anstand und moralischen Kompass verloren, möchte das menschliche Zusammenleben in finstere Zeiten zurückführen.

Fatal auch das Schweigen zur überdeutlichen Parallelität zwischen zwei angeblich «begrenzten» militärischen Spezialoperationen. Natürlich gingen der völkerrechtswidrigen russischen Invasion der Ukraine Terrorbombardements von russischstämmiger Bevölkerung durch die ukrainische Regierung voraus. Natürlich gingen der israelischen Invasion im Libanon Raketenangriffe der Militärmacht der Hetzbollah voraus.

Hier dröhnende Verurteilung, Sanktionen, Militär- und Wirtschaftshilfe. Dort peinlich berührtes Schweigen und gelindes Stirnrunzeln. Diese Doppelmoral und Heuchelei sorgt dafür, dass rund 190 Staaten der Welt die Sanktionspolitik der EU, der USA und weniger Verbündeter gegen Russland nicht mitttragen.

Wer die Ermordung des Terroristen Nasrallah als die Erledigung eines Stücks Scheisse bejubelt, zeigt erschreckende Ähnlichkeiten mit dessen Denken. Wer die Absetzung eines Dokumentarfilms am Zürcher Zensur Festival bejubelt, weil damit russischer Propaganda keine Plattform gegeben werde, ohne ihn überhaupt gesehen zu haben, ist ein Opfer primitivster Propaganda. Wer die dabei ausgeübten Druckversuche durch die ukrainische Regierung und anonyme Kläffer mit Todesdrohungen nicht scharf verurteilt, ist ein scheinheiliger Duckmäuser, ein peinlicher Versager bei der Verteidigung unseres Meinungspluralismus.

So werden nicht westliche Werte verteidigt. Weder in der Ukraine, noch im Libanon. Sondern sie werden in Grund und Boden bombardiert.

Betrachtung einer Ruine

Rauchzeichen aus der Trümmerlandschaft Tamedia.

Es mag sein, dass es eine wirtschaftliche Notwendigkeit dafür gibt, Dutzende von Mitarbeitern zu entlassen. So ist das im Kapitalismus. Wenn ein Angebot nicht mehr auf genügend Nachfrage trifft, wenn sich aus technologischen oder anderen Gründen die Einkommensquellen verändern, dann muss das Businessmodell angepasst werden.

Das ist der Lauf der Dinge.

Das ist bei Tamedia anders. Hier ist den Newsmedien willkürlich ihre Haupteinnahmequelle weggenommen worden, während ihnen gleichzeitig absurde Renditeziele vorgegeben wurden. Hier hat ein unbegabter, aber unkaputtbarer Boss wie weiland die Swissair Schrottairlines Zeitungen ohne Sinn und Verstand zusammengekauft. Der Investition von einer runden Milliarde steht ein lächerlicher Ertrag gegenüber.

Der Versuch, lokal verankerte Zeitungen in Bern, Basel und Zürich aus einem Eintopf zu bedienen, ist kläglich gescheitert. Versprechen wie das, die «Berner Zeitung» und den «Bund» niemals nicht zu fusionieren, wurden kaltlächelnd gebrochen.

Hier durfte Simon Bärtschi sein Gesellenstück abliefern, wie man so etwas kaltblütig durchzieht.

Wenn aufgrund solcher krachender Fehlentscheidungen und einer selten blöden Personalpolitik schmerzliches Rausschmeissen angesagt ist, wird das Können der Führungsfiguren auf die Probe gestellt. Schönwetterkapitäne haben’s leicht. Aber wenn Leichtmatrosen und Schwachmate in einer Krise am Steuer sind, dann sinkt die Stimmung in der Mannschaft auf den Nullpunkt.

Pietro Supino lässt sich am besten nicht blicken. Jessica Peppel-Schulz hat angeblich ein Jahr lang nachgedacht – selten ist etwas so Lächerliches und Verpeiltes und Unverständliches als neue Strategie präsentiert worden. Den Zuschauern wurde es schwindlig vor Kopfschütteln. Der als Terminator vorgesehene Simon Bärtschi zeigte sich inkompetent, uninformiert, reihte Flop an Flop. Die Redaktion des «Züri Tipp» erfuhr zeitgleich mit Öffentlichkeit und so nebenbei, dass sie über die Klinge springen muss. Nur so als Beispiel. Unglaublich.

Mit seiner «Weichenstellung für Qualitätsjournalismus» schuf Bärtschi einen Lachschlager, der ihn für Positionen ausserhalb von Tamedia untauglich macht. Denn wer möchte so einen in leitender Stelle beschäftigen.

Die vier Nasen in der Chefredaktion fallen durch Unauffälligkeit oder ärgerliche Kapriolen auf. Die Oberchefredaktorin, ihre beiden Beisitzer, die «Digital Storytelling»-Nulpe Kerstin Hasse, neben aller Verunsicherung durch die angekündigte Massenentlassung muss die Mannschaft auch noch solche Leitfiguren aushalten.

Wer für rund 120 Indianer rund 50 Häuptlinge beschäftigt (wenn man alles bis hinunter zum stellvertretenden Irgendwas als Kopfschmuckträger zählt), macht sowieso etwas falsch. Hier könnten ganze Hierarchiestufen, ganze Abteilungen eingespart werden. Das wird aber nicht geschehen.

Alleine die Existenz eines Chefredaktors ohne Redaktion ist ein Witz, ein Hohn für Arthur Rutishauser, der gerade die SoZ wieder flottmachte und als Dank aufs Abstellgleis geschoben wurde. Nicht zuletzt, weil seine Leistung die anderen Pfeifen noch schlechter aussehen liess.

Es trennt sich die Spreu vom Weizen. Wer kann, verlässt das sinkende Schiff. Wer nicht kann, tritt von leitenden Positionen zurück, weil er die Exekution weiterer Entlassungen nicht mehr erträgt. Oder er opfert sich selbst wie der ehrenhafte Nik Walter.

Wer nicht kann, weil zu alt, zu spezialisiert, zu unbeweglich, macht sich schwer Sorgen um seine Zukunft. Es muss ein widerlicher Anblick sein, wie die mit der Lizenz zum Töten, die oberen Entscheidungsträger mit zusammengeklemmten Arschbacken durch die Redaktion huschen, damit ihnen nicht ständig jemand hinten reinkriecht.

Dann gibt es noch die unvermeidlichen Karrieristen, denen Mehrbegabte in der Sonne standen, die jetzt aber ihre grosse Chance wittern, das Leiterchen hochzuklettern, weil rückgratlose Opportunisten und Schönschwätzer des Elends gefragt sind.

Oder in einem Satz: Fäulnis ist der unter Sauerstoffmangel ablaufende Prozess der Zersetzung von Stoffen durch Mikroorganismen. Tamedia in der Kurzfassung.

Auch lokal der Champion

Wenn die NZZ in der Lokalberichterstattung ihren Muskel anspannt, sieht auch hier die Konkurrenz alt aus.

Fünf namentlich genannte Autoren, plus die «NZZ-Redaktion». Ziemliches Aufgebot, um die vergangene Rad-WM in Zürich zu würdigen.

Was dem Weltblatt mit Lokalteil gelungen ist. Sie nimmt ihr Fazit vorweg: «Die Rad-Weltmeisterschaften in Zürich standen unter einem schlechten Stern.»

Wie das? «Die Bevölkerung und das Gewerbe wurden zu wenig in die Planung eingebunden, die Vorfreude hielt sich in Grenzen. Als die WM dann da waren, drehte das Wetter und liess viele der Wettbewerbe im Nebel und Regen versinken. Und das zweite Wochenende, der eigentliche Höhepunkt des Anlasses, wurde von Muriel Furrers Unfalltod überschattet.»

Schlechte Informationspolitik für Geschäfte, Anwohner, Auto- und Velofahrer. Zu exzessive Nutzung der Innenstadt. Neben einigen fröhlichen Momente und Volksfeststimmung kann die NZZ nicht viel Positives an diesem Ereignis finden. Sie erinnert auch zu recht an die Vergangenheit:

«Im Gegensatz zu den üppig subventionierten Rad-WM war das Elektroautorennen aber komplett privat organisiert und finanziert. Rot-grüne Politiker taten alles, um den Anlass zu behindern. Es blieb denn auch bei der einmaligen Austragung – obwohl sich die Belastung für die Stadt auf ein Wochenende und ein Quartier beschränkte.»

Vor allem verdarben auch zu viele Organisatoren den Brei:

«Allein in der Stadt Zürich waren mindestens zwölf Verwaltungseinheiten beteiligt. Stadtrat Daniel Leupi listete sie kürzlich im «Tagblatt» auf: DAV, PSS, Stapo, TAZ, ERZ, VBZ, EWZ, SRZ, GSZ, SPA, WVZ, SAM. Dazu kamen diverse kantonale Stellen und solche aus den betroffenen Gemeinden. Ein Kürzel mischte besonders eifrig mit: die UCI, die Union Cycliste Internationale.»

Aber die NZZ, gerecht, ausgleichend und versöhnlich, meint auch: «Natürlich war nicht alles schlecht, vor allem mit der richtigen Einstellung. Nicht nur viele Gewerbebetriebe, die ganze Stadt wurde in die Zwangsferien oder zumindest in die Pause geschickt

Auch ein Ausblick kann bei der Einschätzung helfen: «die Riesen-WM mit mehr als 50 Rennen waren dadurch überladen. Kompaktere Titelkämpfe mit weniger Einschränkungen wären bei der breiten Masse besser angekommen. An den nächsten Rad-WM 2025 in der rwandischen Hauptstadt Kigali stehen wieder nur 13 Rennen auf dem Programm.»

Was allerdings (noch) fehlt: hat die WM die erwarteten 850’000 Besucher in die Stadt gebracht? Und wie sieht es finanziell aus? diese beiden nicht unwichtigen Fragen harren noch der Antwort. Aber immerhin, ein wohltuend differenzierter Artikel im Vergleich zu den anfänglichen Jubelschreien und Vorschusslorbeeren im Tagi, die dann mit quietschenden Reifen in scharfe Kritik an den Organisatoren und an allem umgewandelt wurden, als eine junge Fahrerin bei einem Unfall verstarb und es bislang noch nicht klar ist, ob dabei ein Versagen der Organisatoren, ein Mitverschulden eine Rolle spielt.

 

Capote wäre 100 Jahre alt

Und was bleibt vom Miterfinder des «New Journalism»?

Zunächst einmal ein grosses Missverständnis. Immer, wenn ein Journalist irgend ein Ereignis genauer recherchieren will, kommen unweigerlich Vergleiche mit Truman Capotes (30. September 1924 – 25. August 1984) «Kaltblütig» auf.

Schon mit «Die Grasharfe» katapultierte sich der geniale Nachspürer menschlicher Schwächen 1951 in den Olymp der amerikanischen Literatur. Es folgte «Frühstück bei Tiffanys», und auf der Suche nach neuen Grenzen, Abgründen und der Erforschung menschlicher Niedertracht begab er sich anschliessend in die Kleinstadt Holcomb in Kansas. Dort hatte ein Gangsterbrüderpaar eine Farmerfamilie ermordet; die Beute betrug 40 Dollar. Er recherchierte fanatisch und verbissen fast 6 Jahre an dieser Story, baute in der Zeit ein Vertrauensverhältnis mit den Mördern im Gefängnis auf, deren Zutrauen er schamlos in seinem Tatsachenroman «Kaltblütig» ausnützte.

Obwohl Capote Teile seines Werks bereits geschrieben hatte und öffentlich vortrug, log er die beiden Insassen in der Todeszelle schamlos an, um ihr Vertrauen nicht zu verlieren. Kurz vor seiner Hinrichtung schilderte einer der beiden Mörder Capote die Geschehnisse, der daraufhin den Kontakt zu ihm abbrach, da er alles nötige Material nun hatte. Erst zu dessen Hinrichtung fand er sich wieder ein; das Ereignis stürzte Capote in tiefe Depressionen

Im Film «Capote» von 2005 verkörpert Philip Seymour Hoffman den Schriftsteller kongenial mit all seinen Manierismen, Schwächen, seiner Homosexualität und seiner gnadenlosen Fähigkeit, ihm anvertraute intime Geständnisse öffentlich auszuweiden.

«Kaltblütig» wird zum Megaerfolg und katapultiert Capote in die erste Liga von US-amerikanischen Schriftstellern. Dabei ist das Werk grässlich misslungen; langfädig, ausufernd, verliert sich bis ins Unendliche in unwesentliche Details. Aber wahrscheinlich ist es so wie beim «Fänger im Roggen»: Werke, die jeder zu kennen meint, aber nicht gelesen hat, bekommen eine unheimliche Aura.

1966 wurde «Kaltblütig» veröffentlicht, aber der damit verbundene Ruhm tat Capote nicht gut. Bis zu seinem Tod, befördert durch Alkohol- und Drogenmissbrauch, sollte der geniale Essayist, der aber kein guter Dokumentarschriftsteller war, kein einziges Romanwerk mehr veröffentlichen. Wie Salinger kündigte er immer wieder sein Opus Magnum «Answered Prayers», erhörte Gebete, an, ohne es geschrieben zu haben.

1975 veröffentlichte Capote immerhin ein erstes Kapitel im «Esquire»-Magazin. Hier plauderte er ungeniert alle Geheimnisse aus, die ihm vor allem weibliche Mitglieder der  High Society anvertraut hatten. Über 25 Jahre, seit seiner fabulösen Megaparty «The Black and White Ball» im Plaza-Hotel, hatte er als gern gesehener Paradiesvogel und Exzentriker Zugang zu den berühmtesten Persönlichkeiten der USA. Seine Indiskretionen führten zum Selbsmord der Millionärswitwe Ann Woodward. Unzählige Freundschaften zerbrachen, Capone wurde ausgestossen und geächtet.

Ein letzter Erzählband «Musik für Chamäleons» erschien 1980. Schon zuvor und danach irrlichtete er durch Kliniken und Sanatorien, erlitt mehrere Nervenzusammenbrüche und kam sogar ins Gefängnis. Auf seine Art verkörperte er den poète maudit, ähnlich wie Charles Baudelaire, ohne allerdings dessen überragende poetische Kraft zu haben.

Nicht wirklich verdient hat Capote, dass die durch einen Skandal bekannt gewordene Anushka Roshani sich nochmals auf die Suche nach Spuren Capotes machte. Paul Jandl richtet das mit gültigen Worten in seiner Würdigung Capotes in der NZZ hin: «Wenn die Autorin mit Zeitgenossen des Autors spricht, könnte das interessant sein, würde sich nicht permanent Roshanis teenagerhafte Aufgekratztheit ins Geschehen mischen.»

Eine trübe Leichenfledderei. Aber Jandl fasst das Leben und Oeuvre Capotes in einer Weise zusammen, vor der man sich nur verneigen kann: «Truman Capote war der Einschleichdieb der New Yorker Gesellschaft. Mit seinem Charme hat er ihr die Herzen geraubt und mit seiner Liebe zur Wahrheit beinahe den Verstand.»

Denn in seinen besten Momenten, die allerdings rar waren, wuchs Capote zu einem Marcel Proust der High Society der USA hinauf. Selbst kaltblütig, brutal und stilsicher Worte wie Rasierklingen benützend, mit kalten Augen und klarem Blick sezierte er die aufgeblasene Wichtigkeit der reichen Paradiesvögel um ihn herum, fand elegante Formulierungen auf der Höhe eines Scott F. Fitzgerald.

Und doch war Capote jemand, der mit etwas Erfolg gehabt hatte, was er gar nicht gut beherrschte. er war so zerrissen und mit sich selbst gequält, dass sein Blick in die Abgründe anderer Menschen immer nur ein Echo aus der eigenen Dunkelheit war. Auf kaum einen anderen Schriftsteller trifft das Wort von Nietzsche so zu wie auf ihn:

«Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund  blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.«

Kris Kristofferson †

In der Stratosphäre der Musik wird es leerer.

Dass ein Enkel schwedischer Einwanderer die uramerikanische Countrymusik prägte, ist nur im Land der unbegrenzten (musikalischen) Möglichkeiten denkbar.

Kris Kristofferson (1936 – 2024)  stand vielleicht im Schatten der Überhelden Johnny Cash und Bob Dylan, aber mit Waylon Jennings, Willie Nelson und Cash feierte er Erfolge als «The Highwaymen».

Er war bedingungsloser Linker, unterstützte die sandinistische Revolution in Nicaragua und bereicherte seine Konzerte mit klaren politischen Botschaften in seinen Songs («Sandinista», «Don’t let the Bastards get you down»).

Er war Poet, Schauspieler, Sänger und Songwriter. Er hatte eine grossartige Rolle im gigantischen Film «Heaven’s Gate», der allerdings gigantisch flopte. Er hatte eine bedauerliche Rolle im Action-Kracher «Blade». Er war mit der Sängerin Rita Coolidge verheiratet, bis die Ehe an seinen Alkoholproblemen scheiterte. Seit 1983 war er mit Lisa Meyers verheiratet und lebte abseits von jeglichem Trubel auf der Insel Maui.

Er war wie ein flackerndes Licht am Firmament der Country-Musik; Tourneen wechselten mit Bühnenabstinenz ab. 2006 meldete er sich mit This Old Road zurück, es folgte noch Closer to the Bone und schliesslich zu seinem 80. Geburtstag The Cedar Creek Sessions.

Wäre er nicht ein solches Multitalent gewesen, wäre er vielleicht als One-Hit-Wonder in die Geschichte eingegangen. Denn trotz all seinen anderen Songs ragt natürlich einer heraus, mit dem nicht einmal er selbst, sondern Janis Joplin weltberühmt wurde: «Me and Bobby McGee».

Der Song hat eine verwickelte Entstehungsgeschichte. Kristofferson schrieb ihn zusammen mit Fred Foster, zunächst wurde er von Roger Miller aufgenommen. Kristofferson spielte ihn dann 1970 selber ein.

Aber seinen weltweiten Siegeszug trat er in der Version von Janis Joplin an, die den Text auf sich selbst anpasste. Er erschien im Januar 1971 und eroberte erste Plätze in den Pop-Charts. Joplin war bereits am 4. Oktober 1970 gestorben und erlebte diesen Triumph nicht mehr.

«Me and Bobby McGee» ist eine Ballade, die perfekt ein damals aktuelles Zeitgefühl widerspiegelt, ihm Wort und Ton verleiht. Sie handelt von zwei Hippies, die durch die USA driften und verdichtet dieses Lebensgefühl zu Zeilen, die selbst von Dylan oder Cash nicht übertroffen wurden. Schon der Anfang ist ein Monument eines Lebensgefühls:

«Busted flat in Baton Rouge, waitin› for a trainWhen I’s feelin› near as faded as my jeansBobby thumbed a diesel down, just before it rainedAnd rode us all the way into New Orleans»

Schwierig, das in aller Lakonik auf Deutsch zu übersetzen:

Abgebrannt in Baton Rouge, wir warteten auf ’nen Zug
Ich fühlte mich fast so ausgewaschen wie meine Jeans.
Bobby hielt ’nen Laster an, gerade bevor es anfing zu regnen.
Er brachte uns den ganzen Weg bis nach New Orleans.

Um schliesslich eine beeindruckende Lebensweisheit in einfache Worte zu fassen:

«Freedom is just another word for nothin› left to loseNothin›, don’t mean nothin› hon› if it ain’t free, no-noAnd feelin› good was easy, Lord, when he sang the bluesYou know feelin› good was good enough for meGood enough for me and my Bobby McGee»

Freiheit ist nur ein anderes Wort für nix zu verlieren haben
Doch nichts bedeutet nichts, Süsser, wenn es nicht umsonst ist.

Selten ist ein Verlust so mit leichter Hand hingetuscht worden, wobei hinter jedem Wort unendliche Trauer hervorlugt, dass Freiheit eben wirklich bedeutet, nichts zu verlieren zu haben, nicht mal eine Liebesbeziehung:

«One day up near Salinas, Lord, I let him slip awayHe’s lookin› for that home, and I hope he finds itBut, I’d trade all of my tomorrows, for one single yesterdayTo be holdin› Bobby’s body next to mine

Da war ein genialer Funke entstanden; die poetische und musikalische Kraft von Kristofferson, der selbst kein sehr begnadeter Sänger war, und die einmalige, schwärzeste weisse Blues-Stimme aller Zeiten einer Janis Joplin, die jeden ihrer Songs so sang, kreischte, stöhnte, als ginge es um ihr Leben. Das sie so intensiv lebte, dass sie allzu früh starb.

In seinen letzten Lebensjahren war Kristofferson von Krankheiten geplagt, die er aber stoisch ertrug. Nun spielt er irgendwo seine akustische Gitarre, bläst in seine Mundharmonika und bleibt ein guter Mensch, der so frei ist, wie man nur sein kann. Und hoffentlich jammt er mit Johnny Cash, während beide auf Willie Nelson warten.

 

Realsatire: das dürfen Sie sehen …

Die NZZaS versucht sich in gnadenloser Veräppelung.

Immerhin, man muss es der NZZ lassen; sie hat zwei Mal die Fehlentscheidung des Zurich Zensur Festivals kritisiert, nach unverschämten Druck der ukrainischen Regierung und anonymen Pro-Ukraine-Stänkerern einen Dokumentarfilm über russische Soldaten an der Front aus dem Programm zu nehmen und die Autorin wieder auszuladen.

Ein veritabler Skandal – den die Mainstreammedien schlichtweg ignorieren. Weil er nicht ins Narrativ passt. Denn das Framing ist klar: Russland ist ein Zensurstaat, in dem abweichende oder gar oppositionelle Meinungen drakonisch verfolgt werden. Wird dort ein Dokumentarfilm gedreht, kann es sich nur um ein vom Kreml bezahltes Machwerk einer Sprechpuppe handeln, die absichtlich oder aus Dummheit eine geschönte Version der Wirklichkeit zum Besten gibt.

Dass der Film von Kanada finanziert und von namhaften Produzenten begleitet wurde, was soll’s.

Schliesslich verteidigen wir in der Ukraine unsere westlichen Werte gegen die slawischen Bolschewiken; Pardon, gegen den Iwan, der bekanntlich als Soldat  ausschliesslich ein «Kriegsverbrecher, Krimineller und Vergewaltiger» ist, wie das die ukrainische Regierung bekanntgibt.

Dass sie gleichzeitig die Zensur dieses Dokumentarfilms in Zürich fordert – und erreicht, ist ein Skandal. Passt aber nicht ins Framing von der Ukraine als Bestandteil des Wertewestens. Dass pro-ukrainische anonyme Pöbler die Gastfreundschaft der Schweiz so belohnen, dass sie sogar Todesdrohungen gegen Familienmitglieder von Mitarbeitern des Film Festivals ausstossen – und gegen dessen Leitung – auch das ein Skandal, der mit Schweigen beantwortet wird.

Dass nun aber die NZZaS launige Filmtipps unter dem Titel «Das müssen sie gesehen haben» gibt, das schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht. Besser wäre die Formulierung gewesen: «Das dürfen sie sehen».

Der «Blick» berichtet immerhin, dass es hinter den Kulissen des Festivals hoch zu und her gehe. Nein, nicht wegen dieser feigen Zensur. 16-Stunden-Schichten, Konflikte wegen Handyrechnungen und Streit mit der Personalabteilung, über 20 Mitarbeiter hätten dem Festival in den letzten zwei Jahren den Rücken gekehrt, weiss der «Blick».

Und plaudert aus dem Nähkästchen: «Was manchen ZFF-Mitarbeitenden besonders sauer aufstösst: Ein Mitarbeiter, der für ein schwieriges internes Klima verantwortlich gemacht wurde, verliess das Unternehmen und wurde trotz Warnungen aus dem Team später wieder eingestellt.»

Richtig ist auch, dass es an der Spitze des Festivals einen veritablen Frauenverschleiss gab; neben dem unerschütterlichen Christian Jungen gaben sich vier Co-Leiterinnen die Klinke in die Hand. Allerdings darf sich im SoBli Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider mit Popcorn im Kinosessel ablichten lassen und Plattheiten von sich geben: «Man spielt nicht immer seine Wunschrolle». Ein Wort zu dem unverschämten Druckversuch der ukrainischen Regierung? Pustekuchen.

Und im Magazin der NZZaS, immer für abgehangene, olle Kamellen gut, darf Richard Gere über sein Lieblingsthema quatschen: der Dalai Lama (für Gere «seine Heiligkeit»)  und der Buddhismus und das Universum. Kostprobe: «Das Universum allein zählt, und es urteilt nicht.»

Offensichtlich befleissigen sich auch (fast) alle Schweizer Medien dieser universellen Weisheit. Nicht urteilen, einfach im Hier und Jetzt schweben. Die Gesinnungsblase störende Ereignisse einfach ausblenden. Es der kleinen «Weltwoche» überlassen, das Normalste der Welt zu tun: der anderen Seite Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Alles Puzzlestücke, Mosaiksteine für ein grösseres Bild: die Begräbnisveranstaltungen zum Untergang der Mainstream-Medien. Selbstverschuldet, denn wer so mit leichter Hand sein wichtigstes Asset verspielt, hat’s nicht besser verdient.

Wenn Glaubwürdigkeit und Vertrauen schwinden, biegt man auf den Weg zum Friedhof ein.

 

Immer wieder Sonntag

ZACKBUM war gespannt: wie sieht die erste SoZ ohne eigene Redaktion aus?

Aber eigentlich war die Antwort vorhersehbar: so unanimiert, wie man das in einer solchen Situation erwarten darf.

Der Velo-Unfall von Zürich, Prügel für die inklusive Schule, eine Meinungsumfrage zu AKW. Schnarch. «Die Sex-Skandale von P. Diddy und Al Fayed», eigentlich etwas für den Boulevard. Max Frisch und die Zimtschnecke, hier mieft Aufgewärmtes vor sich hin.

Und Banalitäten als Titel: «Der Tod des Hizbollah-Führers verändert die Kriegssituation». Dabei hätte der arglose SoZ-Leser gedacht, dass das Kriegsverbrechen überhaupt keine Auswirkung haben wird.

Allerdings: was gedruckt wird, ist von mässiger Relevanz. Relevant ist vielmehr, was nicht gedruckt wird. Ein Satz zum Versuch, eine Sonntagszeitung mit einem Chefredaktor, aber ohne eigene Redaktion zu machen? Nix.

Am gröbsten stört aber das finstere Schweigen zu einem Skandal, der sich in Velodistanz der Nicht-mehr-Redaktion der SoZ abspielt. Das Zurich Film Festival, neuerdings bekannt als Zensur Film Festival (ZFF), knickt vor Drohungen und Druck der Ukraine ein und nimmt einen Dokumentarfilm über russische Soldaten an der Front aus dem Programm. Auch wenn die «Weltwoche» schneller war, mindestens ein Interview mit der Autorin oder den renommierten Produzenten des Dokumentarfilms hätte es schon sein sollen.

Aber stattdessen? Wohlfeile Prügel für die Velo-WM in Zürich, zu deren Lobsängern Tamedia bislang gehörte. Ein Loblied auf Albert Rösti, medizinisches Personal aus Osteuropa will lieber in der Schweiz besser verdienen, ein Interview mit einer Tierschützerin im «Fokus», Fehlbehandlungen von Asylsuchenden, «Männer als Monster», ein verzweifeltes Eigeninserat:

Fall Benko, «den Kantonalbanken droht ein Abschreiber in Millionenhöhe», gähn. «Leben & Kultur» macht mit Kammerdienerbemerkungen des Verlegers Siegfried Unseld über seine Autoren (und was diese Primadonnen voneinander hielten) auf. Schnarch.

Dann drei Hämmer: «Zimtschnecken ganz neu gedacht». Sicher der Start einer Serie, als nächstes Gipfeli, Cremeschnitten und Nussgipfel. Dazu die weltbewegende Frage: «Kann man Kühe klimafreundlich machen?» Indem man ihnen das Furzen abgewöhnt?

Schliesslich die Autoseite für den Otto Normalverbraucher:

Ach, und dann noch eine Zugfahrt für den typischen SoZ-Leser:

Wunderbar für Ulrike Hark, dass sie acht Tage in der Suite President verbringen durfte. Aufrecht der Abbinder: «Diese Reise wurde unterstützt von der spanischen Eisenbahngesellschaft Renfe». Noch ehrlich wäre gewesen: Die Publireportage wurde von Renfe bezahlt. Denn sie wäre wohl etwas ausserhalb des Sparbudgets des Schrumpfqualitätsorgans SoZ gelegen. Sieben Nächte in dem Luxuszug kosten schlappe 14’500 Franken für den Alleinreisenden. Wer es sich als Pärchen gönnt, drückt vergleichsweise günstige 16’800 Franken ab. Natürlich inkl. Verpflegung und Ausflüge, exklusive Anreise.

Man dürfte von der aufgelösten SoZ-Redaktion nicht harsche Worte zur Unfähigkeit der Führungscrew von Tamedia erwarten. Noch viel weniger könnte man von der publizistischen Leiter Simon Bärtschi eine Stellungnahme «In eigener Sache» oder so erwarten. Obwohl es der Abonnent der SoZ vielleicht verdient hätte, darüber aufgeklärt zu werden, dass er zukünftig mit dem Einheitsbrei der Einheitsschrumpfredaktion abgefüttert wird.

Vielleicht wäre es auch angebracht gewesen, dafür eine Preissenkung in Aussicht zu stellen. Aber doch nicht bei Tamedia.

Vielleicht hätte auch der Chefredaktor ohne Chef und Redaktion ein launiges Wort darüber verlieren können, dass man ihm die Räder abmontiert hat, nachdem er die SoZ eigentlich hübsch unter Dampf setzte. Man kann und sollte sich auch die Frustration der verbliebenen SoZ-Ressortleiter und Häuptlinge vorstellen. Nach langer Wegstrecke endlich auf der Karriereleiter eine Stufe nach oben geklettert – und zwack, wird die Leiter weggetreten.

Aber passiver Widerstand, Dienst nach Vorschrift, mangelnde Motivation, Lethargie, das tropft dieser SoZ aus jeder Seite. Richtig Spass macht eigentlich nur noch Reiseredaktor; einer der letzten Jobs, bei dem man aus dem Glashaus kommt und sich den Wind der Wirklichkeit um die Nase wehen lassen kann. Sogar in einem Luxuszug, wobei Poirot ausschliesslich den Orient Express frequentierte. Aber Bücherlesen war noch nie so die starke Seite von Reiseredaktoren.

Was bleibt, ist natürlich die Frage: braucht es die SoZ noch? CH Media hat am Sonntag bereits den Schwanz eingezogen. Die NZZaS kann auch nicht so weitermachen wie in letzter Zeit. Der SoBli? Dümpelt, mit gelegentlichen Glanzleistungen, irrelevant vor sich hin. Vielleicht ist die gloriose Zeit der Sonntagszeitungen einfach vorbei.

Bleibt nur die bange Frage: Was macht dann Rutishauser?

Hoch die Flaschen

Colm Kelleher, UBS-Boss, macht die Bankenaufsicht FINMA zur Schnecke.

Der Ire ist ein mutiger Mann. Denn schliesslich könnte ihm die FINMA die Gewähr entziehen, die Lizenz zum Banking. Täte sie das, wäre er seine Stelle los. Aber das tut sie natürlich nicht, denn die Bankenaufsicht ist wohl die erbärmlichste staatliche Behörde, die die Schweiz hat. Unfähig, devot, zahnlos, gelähmt, ein Master of Desaster.

Dass die FINMA als Aufsichtsorgan über den Schweizer Finanzplatz versagt, ist längst erstellt. Dass sie ein Reihenversager ist, auch. Aber dass der mächtigste Banker der Schweiz in einem Interview im «SonntagsBlick» so über die herzieht, das hat historischen Wert.

Kelleher nimmt – auf Englisch – kein Blatt vor den Mund, was für einen Spitzenbanker erfrischend originell ist. Das war schon bei einem off-the-record-Treffen im kleinen Kreis so, wo er Sachen sagte, die man liebend gerne zitiert hätte.

Aber nun sagt er’s auch offiziell. Zunächst sieht er den Ankauf der Credit Suisse zum Schnäppchenpreis ganz anders: «Im Grunde genommen wickeln wir die CS für die Schweizer Regierung ab.»

Worauf er sich da eingelassen hat, das beschreibt der Boss mit offenen Worten: «In Teilen der Investmentbank der Credit Suisse gab es Cowboys, die nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht waren. Wir sahen, dass einige der Geschäfte, die sie tätigten, für die Bank keinen Sinn ergaben.»

Aber das war noch nichts gegen das völlige Versagen der CS-Führung, die Kelleher schonungslos geisselt:

«Am 12. Juni 2023, als UBS erstmals die volle Kontrolle über die CS hatte, habe ich mir die Briefe der Finma an den CS-Verwaltungsrat angesehen. Ich war – diplomatisch gesagt – sehr erstaunt. … Die Tatsache, dass die Credit Suisse diese Briefe erhielt und nichts oder zu wenig unternommen hat, ist unfassbar.»

Und die FINMA tat nichts dagegen – ausser Briefe schreiben.

Und wann fing das Elend der CS an? «Seit 2015 war es für mich offensichtlich, dass die Credit Suisse als eigenständiges Unternehmen nicht mehr überlebensfähig sein wird. Ihre Zukunft lag damals in meinen Augen in der Fusion mit einer anderen Bank. Ab Oktober 2022 bestand ihre Zukunft aus meiner Sicht nur noch in einer Notrettung. Ich verstehe also nicht, warum man acht Jahre gewartet hat, wenn ab 2015 die Warnzeichen da waren

Er sagt’s noch klarer: «Ich kam im März 2022 zu UBS. Wir waren wirklich besorgt, dass etwas passieren könnte. Wenn also wir uns Sorgen gemacht haben, warum dann nicht auch andere

Schon nach einer persönlichen Begegnung sagte ZACKBUM-Autor René Zeyer zu Kelleher, dass er sich nun viel beruhigter fühle. Das war nicht nur ironisch gemeint. Natürlich outet sich Kelleher auch in diesem Interview als strikter Gegner von starken Kapitalerhöhungen, was für einen Banker normal ist. Echtes Eigenkapital liegt bloss rum und kriegt keine Junge, eine Horrorvorstellung für jeden Finanzmenschen.

Aber seine Kritik an den haltlosen Zuständen innerhalb der CS, die offensichtlich die ganze Amtszeit des Oberversagerrats Urs Rohner andauerten, ist von entlarvender Brutalität. Und sogar mit der Bankenaufsicht, die eigentlich Herrin über ihn ist, legt sich Kelleher mit offenen Worten an.

Natürlich besteht er darauf, dass die Fehlentscheidungen im VR und in der GL der CS gefällt wurden, wo hochbezahlte Nieten gebannt auf ihren Bonus starrten – und eine Fehlentscheidung nach der anderen trafen.

Sie frisierten die Bücher dermassen, dass die US-Aufsichtsbehörden die Verschiebung eines Quartalsberichts erzwangen. Sie kassierten Milliarden-Boni für Milliardenverluste. Unter ihrer Verantwortung wurde das korrupte Entwicklungsland Mozambique in den Staatsbankrott getrieben. Die CS wusch Drogengeld der bulgarischen Mafia. Einem vorbestraften Finanzjongleur warfen sie Milliarden hinterher, ebenso einem flott schwätzenden Errichter eines Schneeballsystems namens Greensill. Dabei ruinierte die CS noch ihren Ruf bei vermögenden Anlegern, denen sie dieses windige Konstrukt schmackhaft machte.

Wenn laut Kelleher seit 2015 alle Alarmzeichen sichtbar waren, wieso taten dann Bankenaufsicht und Politik nichts? Wenn er sich schwere Sorgen machte und als erste Amtshandlung bei der UBS eine Arbeitsgruppe ins Leben rief, die sich mit dem möglichen Grounding der CS befasste, wieso tat das sonst niemand? Wieso tat das die FINMA nicht?

Worauf in den Interview gar nicht eingegangen wird: nach dieser Kette von Versagen setzte die FINMA noch ein letztes Glanzlicht, indem sie auf Geheiss des Bundesrats 17 Milliarden Dollar Wandelanleihen, sogenannte Tier 1 Bonds, auf null abschrieb. Damit lädierte die FINMA den Ruf des Finanzplatzes Schweiz zusätzlich und löste eine Prozesslawine aus, unter der der Schweizer Steuerzahler dereinst begraben wird.

Die Flaschen bei der CS sind wenigstens aussortiert und können ihre unverdienten Millionen geniessen. Aber bei der Bankenaufsicht FINMA sind immer noch die gleichen Personen an der Spitze. Es wäre fahrlässig, sie dort zu belassen.

Zwergenaufstand

Was fällt den Kälbern von Tamedia als Protest gegen ihre Metzger ein?

Mit einer lachhaften Begründung wurde bei Tamedia zuerst die Einsparung von 90, dann von rund 55 Stellen verkündet. Warum gerade so viele, was Arthur Rutishauser als Chefredaktor ohne Redaktion so tut, wie damit die Qualität gesteigert werden soll – von Pietro Supino, Jessica Peppel-(Plapper)-Schulz (oder ihrem Avatar), von Simon Bärtschi oder von Raphaela Birrer gab es dazu keine Auskünfte. Birrer schweigt überhaupt seither verkniffen; so sieht die Führungsqualität einer Chefredaktorin aus.

Nun haben diese Versager in der Chefetage sich immerhin ein ziemliches fieses Stück ausgedacht. Sie verkünden zwar das grosse Rausschmeissen, lassen aber die Indianer im Maschinenraum im Unklaren, wie viele genau und vor allem wen es trifft.

Das sorgt ungemein für Stimmung in der Reaktion; wenn ZACKBUM die Frage stellen würde, ob sich Schwulstschwätzer Bärtschi noch ohne Bodyguards im Glashaus bewegen kann, kriegten wir sicher wieder ein Schreiben des Hausanwalts, dass das als Aufforderung zur Gewalt verstanden werden könnte. Also schreiben wir es nicht.

Nun könnte man meinen, dass die meinungsstarken und tapferen und unbeugsamen Mannen und Frauen (und auch Flinta) bei Tamedia nach erster Schockstarre massive Proteste auf den Weg gebracht haben.

Nun ja, in der Romandie gab es einen Bonsai-Streik von geschätzten 4 Minuten. An der Türe des Glashauses in Zürich wurden handgekritzelte Protestkartons aufgestellt (sowohl inhaltlich wie von Layout her erbärmlich). Und sonst? Alle Rotationsmaschinen stehen still, wenn Dein starker Arm es will?

Ach was. Bei Tamedia wird das Rückgrat an der Garderobe abgegeben; keiner will den Unmut der Leitung auf sich lenken, niemand wagt zu fragen, was die Chefredaktion, was Birrer, was Kerstin Hasse (ausser Gaga-Podcasts) eigentlich so treiben.

Aber nun hat einer «watson» eine grossartig-subversive Form des Protests durchgestochen. Offenbar fanden das alle anderen Medien zu gaga, um darüber zu berichten.

Es handle sich um einen «Hosentelefon-Aufstand». Besser gesagt um einen Höseler-Aufstand. «Die Redaktionen in der Deutschschweiz nehmen den massiven Stellenabbau nicht kampflos hin», weiss Klaus Zaugg von  «watson». Wahnsinn, welche Kampfmassnahmen sind denn in Vorbereitung? Werden Barrikaden gebaut, Sandsäcke aufeinander gestapelt? Wird die Türe zur Chefetage zugeklebt? Wenigstens gesprayt? Flattern anonyme Flugblätter durch die Gänge? Werden Puppen verbrannt?

Ach was. Das hier wird gemacht: «Die modernen Telefone, die wir in der Hand- oder eben der Hosentasche versorgen können, eignen sich auch vorzüglich für qualitativ gute Videoaufnahmen. Also sind nun die Chronistinnen und Chronisten in diesen Tagen unterwegs, um bei Prominenten aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Sport Video-Protestbotschaften aufzunehmen. In Videos von 15 bis 20 Sekunden sagen Prominente, wie sehr sie den Abbau des Print-Qualitätsjournalismus bedauern.»

Die mutigen Betroffenen wollen Promis für sich sprechen lassen, so nach der Devise: sorry, ich selbst bin zu feig dafür, also sag› mal was Kritisches, aber nur ganz kurz. Und sprich mich ja nicht mit meinem Namen an.

Und was soll dann mit dieser rabiaten, wilden, die Chefetage ins Zittern bringenden, flammenden Protestaktion geschehen? «Die gesammelten Statements – geplant sind zwischen 30 und 50 «Hosentelefon-Protestbotschaften» – sollen zusammengeschnitten in einem Dokument der Chefetage übergeben werden.»

Wie sagt doch einer aus dem «Kreis der betroffenen Tagi-Medienschaffenden» so mutig wie anonym wie bescheuert: «Es geht darum, dass wir ein Zeichen setzen

Ein Zeichen setzen? Slapstick, reiner Slapstick.

Ausserdem könnte es noch bei der Übergabe des «Hosentelefon»-Zwergenaufstands ein Problem geben. Daran könnte es noch scheitern: wer übergibt dieses Dokument des Widerstands? Wer traut sich? Trägt der Überbringer vielleicht eine Tüte über dem Kopf? Einen Ganzkörperpräservativ, damit er nicht erkannt werden kann? Spricht er in einen Sprachverzerrer? Oder nein, ZACKBUM hat  – wie immer – die Lösung. Da kann es nur einen geben. Ignaz Staub. Unbedingt. Der kann das. Der traut sich. Der hat nix mehr zu verlieren.

ZACKBUM gibt dieser Aktion auf der Bärtschiskala der Peinlichkeit flotte 9 Punkte.

Ist das alles erbärmlich, Oder sagten wir das schon?