Reiche Reichweite

Die wahren Reichweitenkönige sind nicht die üblichen Verdächtigen.

«Schweiz am Wochenende»? Nicht schlecht, über eine Million. «20 Minuten» auf Deutsch? Etwas weniger, 864’000. Das sind die beiden Stars bezüglich Reichweite (immer alles im Print), die jeder kennt.

Die richtigen Kings sitzen aber ganz wo anders. Der Platzhirsch hat eine Reichweite von 2,57 Millionen. Sein kleiner Bruder 2,29 Millionen. Die kleinere Schwester immer noch 1,30 Millionen. Gemeint ist die «Coopzeitung», das «Migros-Magazin» und «Betty Bossi». Wer also wirklich viele Leser erreichen will, muss hier publizieren, nicht etwa in den Tageszeitungen.

Geht da noch was drüber? Aber locker. LinkedIn hat 4,1 Millionen aktive Nutzer, Instagram 4 Millionen und Facebook 3,5 Millionen. Dann gäbe es noch WhatsApp und YouTube und so. Oder Telegram. Ach, und TV verzeichnet 4,2 Millionen tägliche Nutzer, Radio 4 Millionen, digitale News (90 Prozent aller Konsumenten nutzen digitale News, nur 20 Prozent zahlen dafür) ebenfalls 4 Millionen. Selbst der gute, alte Teletext hat eine tägliche Einschaltquote von 0,8 Millionen.

Interessant ist auch, dass der «Ktipp» inzwischen den «Beobachter» weit abgehängt hat. 759’000 für den Tipp, lediglich 583’000 für den Klassiker.

Wiederum etwas anders sieht das alles aus, wenn man – was natürlich die einzig wahre Währung ist – die Reichweite im Print und Online zusammenzählt. Da schwingt dann «20 Minuten» obenauf mit 1,54 Millionen. Gefolgt von «Blick» (975’000) und «Tages-Anzeiger», im Vergleich eher schlappe 432’000.

Natürlich wäre es interessant, diese Zahlen für alle bedeutenden Titel zu kennen. Wäre, denn es gibt sie nicht. Mittelalter, aber Schweizer Realität.

Die vom WEMF zweimal jährlich erhobenen Zahlen verlieren jedes Jahr weiter an Aussage. Sie berücksichtigen Social Media nicht, inzwischen für die Mehrheit aller Jugendlichen Informationsquelle Nummer eins. Sie berücksichtigen – mit wenigen Ausnahmen – nicht die Total Audiance, also alle Leser im Print und Online. Und sie sagt kein Wort zu der Verwendung von KI in den Medien.

Aufgrund solch unvollständigen Daten sollen nun also Werbeplaner den Einsatz der Mittel berechnen, Medienhäuser sich Zukunftsstrategien überlegen. Die Umsätze von Online-Werbung haben sich zwischen 2017 (1,61 Milliarden) bis 2023 (2,93 Milliarden) fast verdoppelt; die Printwerbung schrumpft und schrumpft; im Jahr 2021 betrug sie noch 556 Millionen Franken.

Insgesamt wurden 2022 rund 4,3 Milliarden Franken in Werbung investiert. Warum das so wichtig ist? Weil die Anzahl zahlender Leser – trotz Bezahlschranke im Internet – schrumpft und schrumpft. Genau wie die Werbung in den Printmedien. Während die Newsbeschaffung im Internet nur von 20 Prozent aller Nutzer auch bezahlt wird.

Ist es also eine gute Idee, Printtitel aufzukaufen? Ein Füllhorn voller Heads und Officers auszuschütten? Eine Sparrunde nach der anderen durchzugeben, nachdem man die hauseigenen Tageszeitungen ihrer wichtigsten Einnahmequelle, den Stellen- und Verkaufsplattformen, beraubt hat? Ist es richtig, auf eine Trinität von Print, elektronischen und digitalen Medien zu setzen? Oder sollte man weiterhin Content is King sagen?

Unübersichtliche Zahlenbasis, unfähige Teppichetagen, wildes Geruder und Gerate. Genau so muss es sein, wenn eine ganze Branche den Bach runtergeht und nach Staatshilfe kräht.

2 Kommentare
  1. René Küng
    René Küng sagte:

    Könnte es auch heissen:
    wenn eine ganze Gesellschaft den Bach runtergeht und nach Staatshilfe kräht?

    Und dann kam das digitale Grundeinkommen von KK$, lobbeschallt von StaatsRG, was braucht es da noch Medien? Die bereinigte und rein gehaltene PR über zackbumsfreies Internet tröpfelt dann ferngesteuert in die Ohrstöpsel der neuen Welt.

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