Schepperndes Megafon
Strafuntersuchung gegen das Reithallen-Organ eingestellt. Typisch Tagi.
Das anonyme Kollektiv von «Megafon» kann triumphieren. Das «Verfahren wegen öffentlicher Aufforderung zu Verbrechen oder zu Gewalttätigkeit wird eingestellt». Teilt die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern mit.
Nach einem Interview der in diesen Kreisen missliebigen Journalistin Michèle Binswanger hatten die anonymen Heckenschützen eine «Karikatur» veröffentlicht, in der sie in die Darstellung der Enthauptung des Königs während der Französischen Revolution den Kopf von Binswanger hineingemecht hatten.
Zuerst verteidigten sie diese Geschmacklosigkeit noch, dann zog man den Schwanz ein, löschte und entschuldigte sich gewunden dafür.
Als Ausdruck seiner Führsorgepflicht reichte Tamedia dennoch Strafanzeige gegen «Megafon» ein. Allerdings sind die juristischen Fähigkeiten des Konzerns nicht besser entwickelt als seine journalistischen.
Immerhin übersprang er die Klippe der Nichtanhandnahme; die Staatsanwaltschaft bequemte sich zu ein paar Untersuchungshandlungen. In Berner Gemächlichkeit; die Anzeige ging im Juli letzten Jahres ein.
Beim Hausputz im Januar entstand dann offensichtlich der Gedanke, dieses Verfahren abzuschliessen und dem Anwalt der Megafönler eine Entschädigung von Fr. 2711.- auszurichten.
Entsprechend laut erschallt das Triumphgeheul:
Dabei wird nur übersehen, dass diese Darstellung bloss keinen Straftatbestand erfüllt. Geschmacklos, unanständig, primitiv und abscheulich bleibt sie dennoch.
So sieht Transparenz à la «Megafon» aus …
Leider veröffentlicht Megafon die Begründung der Staatsanwaltschaft nicht. Auf diesem Deckblatt ist nur der Entscheid einsehbar. Die Staatsanwaltschaft kann dieses Verfahren einstellen, wenn sie glaubt, dass hier keine „Öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit“ vorliegt. Gemäss Art. 81 der Strafprozessordnung ist eine Einstellung aber immer schriftlich zu begründen.
Als mögliche Gründe dazu sind aufgeführt:
1. Es ist kein Straftatbestand erfüllt.
2. Es ist kein Tatverdacht erhärtet , der eine Anklage rechtfertigt ( z.B. bei Publikationen, die man unter dem schwammigen Begriff „SATIRE“ einordnen könnte).
Aber wo liegen die rechtlichen Grenzen der Satire? „Nach der anerkannten Rahmendefinition enthält der Begriff der Satire drei konstitutive Merkmale: das aggressive, das soziale und das ästhetische Merkmal. Satire ist somit zweckgebunden. Sie darf nicht primär einen individuellen, persönlichen Angriff zum Ziel haben. Genau das würde ich hier in Frage stellen, auch wenn eine Karikatur an sich zulässig ist“. (Quelle: Mischa Senn, Prof. Dr. iur., Leiter Zentrum für Kulturrecht der Zürcher Hochschule der Künste).
Satire darf fast alles bekämpfen. Hierzu zählt auch die geschmacklose und schonungslose Offenlegung des Schrecklichen im Kontext. Die Grenze ist die Menschenwürde der angegriffenen Person. Diese muss gewahrt bleiben. Nur war das hier mit dem geköpften Portrait der Journalistin Michèle Binswanger noch innerhalb der rechtlichen Schranken? Ist es wirklich nur einfach geschmacklos, primitiv und abscheulich? Eine Begründung der Staatsanwaltschaft müsste dazu Angaben liefern. Und natürlich: Rechtskräftig ist der Entscheid erst, wenn innerhalb von 10 Tagen keine Beschwerde erfolgt.
Mittlerweile hat «Megafon» die Karikatur zwar wieder vom Netz genommen und eine Art Entschuldigung nachgeliefert: „Das Bild weckt Assoziationen zu Angriffen auf Journalist*innen und machte eine Frau zur Zielscheibe. Das kann und darf kein Nebeneffekt satirischer Arbeit sein.“
Ist dies wirklich legal?
Auf dem Portal «Megafon» ist niemand verantwortlich für den Inhalt. Schreiben auf ihrem Portal folgendes:
«Das megafon ist aber auch ein Experimentierraum: Ein Spielplatz für Menschen, die Lust haben, zu schreiben und Texte zu publizieren, die Einblicke in redaktionelle Abläufe erhalten möchten, die gerne layouten und illustrieren – und das basisdemokratisch organisiert und ehrenamtlich.
Das megafon sind wir: Ein Kollektiv aus 18 Menschen, mal mehr, mal weniger.»