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Schnitt- oder Bruchstelle

Versinkt nach der Vierten auch die Dritte Gewalt im Elend?

Die Idee war und ist bestechend. Ungeteilte Macht führt zu Willkür und immer ins Elend. Das lehrt Geschichte und Gegenwart.

Also teilt man die staatliche Gewaltausübung in drei Teile. Die einen regieren, die Exekutive. Die anderen bestimmen, wie regiert wird. Die Legislative. Die Dritten kontrollieren, ob in der Gesellschaft und im Staat alle Gesetze eingehalten werden und entscheiden in Streitfällen, sanktionieren, wer sich strafbar gemacht hat. Die Judikative.

Dann kam noch ein kleiner Usurpator hinzu, an den Montesquieu 1748 noch nicht gedacht hatte: die veröffentlichte Meinung, die Medien, die sich dann stolz als Vierte Gewalt bezeichneten.

Man kann im deutschen Sprachraum dabei zuschauen, wie sie selbstverschuldet ins Elend absinken. Vertrauen, Relevanz, Einordnung, Erklärung, Analyse, geldwerte Leistung: Kleingeld liefern, grosse Scheine fordern. Das kann nicht mehr lange gutgehen.

Neuerdings begleitet sie die dritte Gewalt auf diesem Weg. Es gibt eine Schnittstelle zwischen Justiz und Machtausübung, zwischen Gerichten und Demokratie.

Gerade ist der gescheiterte Ex-CS-CEO in der Elfenbeinküste von der Justiz des Landes von der Wählerliste gestrichen worden. Das bedeutet, dass Tidjane Thiam als aussichtsreichster Kandidat nicht bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober antreten kann. Nun ist die Elfenbeinküste ein unbedeutender Staat in Afrika.

Zuvor ist Marine Le Pen von der französischen Justiz das aktive und passive Wahlrecht entzogen worden. Zusammen mit einer Gefängnisstrafe für die Zweckentfremdung von staatlichen Geldern. Sie war die aussichtsreichste Kandidatin für die nächsten Präsidentschaftswahlen in Frankreich.

Wird hier eine Schnittstelle zur Bruchstelle?

Der US-Präsident Donald Trump lässt es immer wieder auf eine Machtprobe selbst mit dem Obersten Gerichtshof der USA ankommen. Er foutiert sich um dessen Entscheidungen und handelt nach der Devise: und, was wollt ihr denn machen? Justizbeamte ins Weisse Haus schicken, um mich festzunehmen?

Unrechtsstaaten wie Russland oder China sind auch dadurch gekennzeichnet, dass eine unabhängige Justiz, die den Bürger vor seinem Staat mit dessen Gewaltmonopol schützt, nicht existiert. Deshalb herrschen dort Willkür, Barabarei und Rechtsunsicherheit.

In zivilisierteren Staaten wie der Schweiz ist es schon stossend genug, dass verantwortungslose Medien Personen öffentlich ans Kreuz nageln. Der Geschäftsmann Jean-Claude Bastos ist ein tragisches Beispiel dafür. Er wurde durch die Auswertung gestohlener Geschäftsunterlagen von einer ausser Rand und Band geratenen Sonntagszeitung diverser Vergehen beschuldigt.

Der reine Vermutung- und Denunziationsjournalismus ruinierte Bastos (und kostete viele seiner Angestellten ihren Job). Die Justiz ermittelte in vielen Fällen und Ländern, auch in der Schweiz. Am Schluss wurden sämtliche Verfahren eingestellt, fast immer wegen erwiesener Unschuld. Der verantwortliche, aber verantwortungslose Redaktor wusch seine Hände in Unschuld. Er könne doch nichts dafür, wenn die Justiz aufgrund seiner Artikel ermittle.

Dann gab es den Fall Vincenz, der eigentlich bis heute so unschuldig ist wie jeder unbescholtene Bürger, bei dem aber die Unschuldsvermutung zu einem schlechten Witz wurde.

Dann gab (und gibt) es die #metoo-Welle, die den Schauspieler Kevin Spacey die Karriere kostete und in den Ruin trieb, den Sänger von Rammstein vorverurteilte und viele andere unschuldige Opfer forderte. Von 72 erregten Tamedia-Frauen ganz zu schweigen, die eine ganze Latte von anonymen Vorwürfen öffentlich erhoben. Von denen kein einziger erhärtet werden konnte. Keine einzige der Denunziantinnen wurde gemassregelt.

Das sind Verluderungen. Wenn aber die Justiz in demokratische Entscheidungsprozesse eingreift, wie das nicht nur in der Elfenbeinküste oder in Frankreich der Fall ist, dann wankt die Gewaltenteilung. Auch in Deutschland gibt es Bestrebungen, die laut Umfragen inzwischen wählerstärkste Partei zu verbieten. Es wird befürchtet, dass sich anders die «Brandmauer» gegen die AfD nicht mehr aufrecht erhalten lässt.

In Schaffhausen wurde ein Ständerat aus seinem Posten entfernt, weil nach einem längeren Instanzenzug das oberste Schweizer Gericht befand, dass er nicht alle Voraussetzungen für seine Wahl erfüllt hatte. Dennoch wurden alle Abstimmungen, an denen er somit nicht legitimiert teilgenommen hatte, für weiterhin gültig erklärt.

Ein Gericht muss ein Urteil fällen. Bei aller Berücksichtigung von Umständen ist das eine binäre Entscheidung. Es gibt keine salomonischen Urteile. Nach der grossartigen Anekdote, dass Salomon die eine Partei anhört und ihr Recht gibt. Dann die andere und ihr auch Recht gibt. Worauf ein empörter Zuschauer sagt, dass doch nicht beide recht haben könnten. Worauf Salomon in seiner unendlichen Weisheit sagt: da hast du auch Recht.

Auch die Justiz beginnt an etwas zu leiden, was den Medien schon längst widerfuhr: an Vertrauensverlust. Niemand sollte über dem Gesetz stehen, nicht einmal der US-Präsident. Aber dürfen die Interpreten des Gesetzes so weit gehen, entscheidend in demokratische Ausmarchungen einzugreifen?

Thiam, Le Pen, Trump, wo führt das hin, wo soll das enden? Höchstwahrscheinlich in einem Scherbengericht.

Tagi klagt mal wieder an

Zwei Schnüffel-Detektive gegen Travis.

«Sascha Britsko arbeitet als Reporterin bei «Das Magazin» und im Ressort Zürich Politik & Wirtschaft des «Tages-Anzeiger». Oliver Zihlmann ist Co-Leiter des Recherchedesks von Tamedia

Daher meinen die beiden wohl, es sei alles erlaubt. Normalerweise beschäftigt sich die gebürtige Ukrainerin ganz objektiv mit Russland. Normalerweise beschäftigt sich Zihlmann mit dem Ausschlachten von Hehlerware. Jetzt aber haben sie sich ins Geschlechtsleben eines sogenannten «Influencers» verbissen.

Ihre Spezialität dabei: die Vorverurteilung. Auf welches Niveau ist ein Journalismus gesunken, der im Titel eine solche Frage stellt: «Sex mit 15-Jähriger: Warum wurde das Verfahren gegen Travis eingestellt?» Wer das liest, glaubt sicher nicht dem Feigenblatt-Satz: «Für ihn gilt die Unschuldsvermutung

Für die beiden Journalisten auch nicht. Nach diesem Titel fahren sie maliziös mit der Hinrichtung fort: «Mehrere der Frauen haben Anzeige erstattet, am 24. März steht der Influencer «Travis the Creator» wegen Verdachts auf mehrfache Vergewaltigung vor Gericht

Aber eben, es gelte die Unschuldsvermutung, die gleichzeitig mit Füssen getreten wird. Es scheint vieles darauf hinzudeuten, dass dieser Travis kein Mensch ist, den man gerne zu seinem Bekanntenkreis zählen möchte. Aber darum geht es hier nicht. Hier geht es um die Vorwürfe Vergewaltigung und Sex mit Minderjährigen.

Zunächst wird ausgedehnt erklärt, was die gesetzliche Lage ist. Dann wird auf einen Fall eingegangen, der sich 2019 ereignet haben soll. Er habe eine damals 15-Jährige in einer Bar kennengelernt, in der man 20 Jahre alt sein muss, um reinzukommen. Es floss Alkohol, anschliessend ging sie mit Kollegen in Travis Wohnung, um zu chillen. Dort sei es zu Geschlechtsverkehr gekommen, während dessen sie Travis gesagt habe, wie alt sie sei. Erst drei Jahre später zeigte sie ihn wegen Vergewaltigung an.

Soweit die sicherlich unappetitliche Geschichte. Nun beantwortet aber das Recherchegenie-Duo die im Titel anklagend gestellte Frage im Artikel selbst. Bzw. man bedient sich des Sachverstands einer Professorin für Strafrecht und Kriminologie:

«Eine Aussage, dass es eine sexuelle Handlung mit einer 15-Jährigen gab, reicht nicht für eine Anklage.»

Es brauche den Nachweis, dass der Beschuldigte das Alter des Kindes gekannt habe. «Wenn die Ermittlungen keinerlei Nachweis ermöglichen, dass der Beschuldigte das Alter hätte erkennen können, dann lässt sich eine Einstellung rechtfertigen, auch wenn der Geschlechtsverkehr unbestritten ist. Insbesondere wenn das Opfer keine Aussagen macht und mit dem Fall nichts mehr zu tun haben will.»

Aber von solchen Ausführungen lässt man sich bei Tamedia doch keine Null-Story kaputtmachen. Und wieso erhielt der Unhold dann noch 300 Franken aus Staatskasse, sozusagen als Belohnung für seine üble Tat? Auch das hat einen banalen Grund: Es gab einen Kopierfehler, durch den diese Zahlung in die Verfügung der Staatsanwaltschaft rutschte. Und amtlich ist amtlich.

Es gibt also juristisch nachvollziehbare Erklärungen für die Einstellung des Verfahrens und die Auszahlung von 300 Franken an diesen Travis.

Wenn es noch so etwas wie anständigen Journalismus bei Tamedia gäbe, müsste ein Verantwortlicher sagen: das ist eine aufgepumpte Nullstory mit einem idiotischen Titel und Lead, die spülen wir wohl besser, bevor wir uns damit öffentlich lächerlich machen. Aber doch nicht beim Tagi. Da werden aus heisser Luft 6743 A gebastelt, um die Kampagne fortführen zu können.

Dabei sollten andere Fälle, bei denen der Tagi schon gewaltig auf die Schnauze gefallen ist (Stichwort Sänger von «Rammstein») zur Vorsicht mahnen. Damals forderte Amok Andreas Tobler sogar, dass die Konzerte der Band in der Schweiz abgesagt werden müssten, obwohl selbstverständlich die Unschuldsvermutung gelte. Als es sich dann um erwiesene Unschuld handelte, schwieg Tobler feige. Seinem Beispiel werden Britsko und Zihlmann in diesem Fall sicher  folgen.

Fangschuss nach Blattschuss

Armer Mann, armer Stefan Gelbhaar.

Das langjährige Mitglied des deutschen Bundestags, der bis anhin unbescholtene Grüne Stefan Gelbhaar, wurde mittels einer Intrige aus seinem sicheren Listenplatz zwei gekübelt. Ihm wurden mittels erfundener eidesstattlicher Erklärung sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen.

Diese Schweinerei wurde dem deutschen Gebührensender RBB zugespielt, der sie ohne Überprüfung veröffentlichte. Ziel erreicht, Blattschuss. In einer Kampfabstimmung wurde Gelbhaar von der Wahlliste gestrichen und stattdessen eine Frau auf Platz zwei nominiert.

Allgemeine und geheuchelte Betroffenheit in der Grünen Partei. Bekommt er nun seinen Platz wieder zurück, entschuldigt man sich wenigstens bei ihm?

I wo.

Die Bundessprecherin der Grünen Jugend legt noch ein Scheit auf den Scheiterhaufen drauf, der schon fast auszugehen drohte: «Wo Macht existiert, wird Macht missbraucht», verallgemeinert Jette Nietzard. Das passiere natürlich auch in der grünen Partei. Meint sie damit etwa die Wendehälse (bitte nicht einklagen) Baerbock oder Habeck?

I wo.

«Was es aber bedeutet, in einer feministischen Partei zu sein, ist, dass Betroffenen geglaubt wird.» Aha. Selbst wenn es die gar nicht gibt? Selbst wenn die Erfinderin dieser Intrige bereits enttarnt ist, fluchtartig ihre Positionen und die Partei verlassen hat? Offensichtlich gilt das auch hier.

Aber da wäre doch noch so was wie die Unschuldsvermutung? Papperlapapp, die gelte vielleicht vor Gericht. «Aber wir sind eine Organisation, und wir sind kein Gericht», schlaumeiert Nietzard weiter. Schliesslich gebe es hier eine hohe Dunkelziffer, oft werde den Opfern nicht geglaubt. Damit meint sie aber nicht Gelbhaar, der von Anfang an seine Unschuld beteuerte und nun Strafanzeige gestellt hat.

Was ihm nicht viel nützt, denn Ruf, politische Karriere und damit in Deutschland die Existenzgrundlage liegen in Trümmern.

Für Nietzard reicht das aber noch nicht. So etwas wäre vielleicht nicht einmal einem geübten Grossinquisitor eingefallen:

«Stefan Gelbhaar ist nicht der einzige Mann, der in der Partei – oder in jeder anderen Partei – Fehler begangen hat. Wie gross diese sind, weiss ich nicht.»

Ehrlich gesagt weiss Nietzard einen Dreck. Es ist nicht klar, ob Gelbhaar einen Fehler begangen hat – und wenn die Unschuldsvermutung auch in Organisationen eine Rolle spielen würde, ist er weiterhin so unschuldig wie Nietzard. Und eine Pauschalverurteilung im Sinne von Männer sind Schweine, das weiss man doch, ist nun für die Vorsitzende der Jugendorganisation einer Noch-Regierungspartei beschämend.

Hätte bei dieser Partei von Karrieristen und Opportunisten noch jemand ein Rückgrat oder Ehre im Leib, müssten zwei Dinge passieren. Gelbhaar bekommt seine Wahlchance zurück und Nietzard muss sofort zurücktreten.

Es wird aber niemand so mutig sein, mit ZACKBUM dagegen zu wetten, dass das niemals nicht passieren wird.

 

«Für den Inhaftierten gilt die Unschuldsvermutung»

Neues aus der Medienkloake.

Natürlich ist ein Verdacht auf sexuelle Handlungen mit Minderjährigen eine schlimme Sache. Sollte er sich bewahrheiten, kann der Verdächtigte nicht nur mit einer Gefängnisstrafe rechnen. Seine bürgerliche Existenz ist vernichtet, sein Ruf unwiederbringlich beschädigt.

Er verliert Stelle, Ansehen, Karriere, Zukunftsaussichten. Freunde wenden sich von ihm ab, vielleicht auch seine eigene Familie, sein persönliches Umfeld. Er ist stigmatisiert, lebenslänglich. Denn es gibt wohl kaum ein Verbrechen, das in unserer Gesellschaft so Abscheu auslöst wie der sexuelle Missbrauch von Kindern. Nun ja, wenn es katholische Kirchenmänner sind, dann darf die Kirche selber nach dem Rechten schauen. Indem sie so kräftig wie möglich wegschaut Aber das wäre ein anderes Thema.

«Die Oberstaatsanwaltschaft bestätigt am Sonntagabend laut Tele M1, dass gegen X.Y. deswegen ein Strafverfahren läuft.»

Es ist natürlich fast ein Witz, dass hier der Name des Beschuldigten nicht genannt wird. Nicht nur im «Blick» wird weiter kolportiert: «Dem Wirtschaftsinformatiker, der bei der Swisscom arbeitet und rund zwei Jahre für die SVP im Grossen Rat sass, drohen bis zu fünf Jahre Gefängnis, sollten sich die Tatvorwürfe erhärten.»

Damit sich der Volkszorn auch am richtigen Ort entladen kann, wird nicht nur Name, Foto, Beruf und Parteizugehörigkeit publiziert, sondern auch noch gleich der Wohnort.

In den meisten Berichten, wird noch hinzugefügt. «Für den inhaftierten Politiker, der Mitglied der Justizkommission war, gilt die Unschuldsvermutung.»

Sollte sich die Vermutung zur Gewissheit steigern – er ist unschuldig –, wäre das Resultat für den Betroffenen haargenau das gleiche wie wenn er rechtskräftig verurteilt worden wäre. Er verliert Stelle, Ansehen, Karriere, Zukunftsaussichten. Freunde wenden sich von ihm ab, vielleicht auch seine eigene Familie, sein persönliches Umfeld. Er ist stigmatisiert, lebenslänglich.

Weder die Oberstaatsanwaltschaft, noch die Medien und noch viel weniger die Konsumenten der Medien wissen, ob an der Beschuldigung was dran ist oder nicht. Sicherlich gibt es einen Anfangsverdacht, sonst würden die Strafverfolgungsbehörden nicht Untersuchungshaft verhängen.

Nun ist es aber eigentlich im Zuge einer zunehmenden Zivilisiertheit der Gesellschaft gelungen, sowohl den Schandpfahl wie auch das Gottesurteil oder die Verurteilung durch Volkes Stimme durch ein geordnetes Strafverfahren zu ersetzen.

Eigentlich.

Ein geordnetes Strafverfahren bedeutet, man kann es nicht oft genug wiederholen, dass der Beschuldigte, auch der Angeklagte, selbst der Verurteilte solange als unschuldig zu gelten hat, bis das Gegenteil rechtsgültig festgestellt wurde. Selbst dann, wie man nicht zuletzt aus dem Land der Todesstrafe weiss, gibt es noch die Möglichkeit des Justizirrtums. Also dass ein zum Tode Verurteilter, leider auch posthum, aufgrund neuer Erkenntnisse sich als unschuldig erweist.

Erschwerend kommt hinzu, dass es Delikte und Straftaten verschiedener Verächtlichkeit gibt. Ein Diebstahl ist nicht das gleiche wie ein Raubüberfall. Auch Gewaltverbrechen haben unterschiedliche Eskalationsstufen. Selbst bei Sexualstraftaten gibt es Unterschiede in der gesellschaftlichen Stigmatisierung des Täters. Sexueller Missbrauch von Kindern steht auf der obersten Stufe aller verachtenswerten Straftaten. Überführte Täter haben es auch in Gefängnissen nicht leicht und müssen oftmals einem besonderen Haftregime unterworfen werden, damit sie nicht der Rache anderer Insassen zum Opfer fallen.

Vermutungen wie «da wird doch sicher etwas dran sein», Volkes Wut («Sauhund, kurzen Prozess machen»), die Chance, dass die Unschuldsvermutung mehr als eine hohle Phrase ist, liegt bei null.

«watson», nau.ch, CH Media, Tamedia, «Blick», «20 Minuten», mit der Ausnahme der NZZ haben alle grossen Medienhäuser mit Namensnennung und auch mit Foto über den Fall berichtet.

Es ist möglich, dass der Beschuldigte die ihm zur Last gelegten Straftaten begangen hat. Nur: zum jetzigen Zeitpunkt wissen wir das nicht. Nur: die Unschuldsvermutung, die schon in so vielen Fällen des Vorwurfs von sexuellem Missbrauch nicht mehr existierte, ist hiermit und endgültig zur hohlen Phrase geworden, zur bitteren Lachnummer. Zur Blase auf dem Mediensumpf, der immer mehr zur Kloake wird.

Resozialisierung mal anders

Normalerweise ist heute der Vorwurf «sexuelle Belästigung» tödlich.

Wie steht es aber mit Sex mit Kindern? 2003 wurde ein Urteil rechtskräftig, mit dem ein Journalist wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit Kindern schuldig gesprochen wurde. Dafür kassierte er eine bedingte Gefängnisstrafe von 14 Monaten.

Danach war es natürlich mit seiner Karriere in der Schweiz vorbei, er wechselte nach Deutschland. Um einige Jahre später als Redaktor in der Schweiz wieder aufzuerstehen.

Selbstverständlich ist das ein löbliches Beispiel von gelungener Resozialisierung. Genau das ist auch der Sinn unserer Rechtsprechung; eine Strafe soll nicht einfach Bestrafung sein, sondern einen Gestrauchelten wenn möglich wieder auf den rechten Weg zurückführen.

Daher soll das hier keinesfalls eine nachträgliche Nachverurteilung sein. Nur: der Unterschied zu den meisten aktuellen «#metoo»-Fällen liegt auf der Hand. Während es in diesen Fällen identifizierbare Opfer gab, eine ordentliche Gerichtsverhandlung, die mit einem rechtskräftigen Urteil endete, tagt neuerdings der Volksgerichtshof, beziehungsweise die Versammlung von Scharfrichtern in den asozialen Medien und den Hetzpostillen der angeblichen korrekten Lebensart. Die lautstark über solche angeblichen Sexmonster herziehen – bis sich deren Unschuld herausstellt. Oder zumindest sich die oft längst verjährten, anonymen Beschuldigungen als substanzlos, nicht belegbar, gar erfunden erweisen.

Ein besonders abschreckendes Beispiel ist der grossartige Schauspieler Kevin Spacey. Viele Jahre zurückliegender Übergriffe beschuldigt, wie immer baute sich eine Meute von Mitläufern auf, die für Geld oder Ruhm oder beides behaupteten, auch Opfer von Spacey zu sein. Die Meute japste, er verlor alles. Ansehen, Einkommen, Karriere. Dann wurde er auf ganzer Linie freigesprochen. Selbst daran wurde noch herumgemäkelt – und seither herrscht Ruhe. Entschuldigung, Einsehen, Selbstreflexion? Null.

So ging es beim Fall des ehemaligen «Magazin»-Chefredaktors. Beim Fall des ehemaligen Oberchefredaktors der «Blick»-Gruppe, dem nicht mal explizit sexuelle Übergriffe, sondern schwammig eine «Bevorzugung» einer gewissen Gruppe von Redaktoren vorgeworfen wurde.

Und nun der jüngste Fall eines Journalisten, der ausgerechnet vom ach so korrekten Zwangsgebührenfunk SRF ans Kreuz genagelt wurde. Aufgrund von anonymen, nicht zeitlich verorteten Beschuldigungen, bei denen keinerlei Anzeigen erstattet wurden. Dennoch beschreibt SRF die Tätigkeit des Journalisten so entlarvend, dass sie auch gleich seinen Namen hätten hinschreiben können. Statt den Tanz aufzuführen, dass man weder die mutmassliche Opfer, noch den «es gilt die Unschuldsvermutung» mutmasslichen Täter namentlich aufführen wolle.

Bei allem Verständnis für Schamgefühl oder gar Angst: wer zur Vernichtung einer Karriere, einer gesellschaftlichen Existenz ansetzt, sollte vielleicht doch die Courage haben, dazu mit Namen hinzustehen. Selbst Trittbrettfahrerinnen, selbst die rachsüchtige, gefeuerte «Magazin»-Redaktorin bringen diesen Mut auf. Er ist insbesondere unabdingbar, wenn es sich um Vorwürfe handelt, die längst verjährt sind und daher nicht mehr ins Recht gefasst werden können, selbst wenn sie sich als wahr herausstellen.

Denn das wäre der Sinn der so missbrauchten Unschuldsvermutung. Sie setzt nämlich schon einmal voraus, dass es Untersuchungshandlungen einer Strafbehörde gibt. Ohne die dürfte es nichtmal diese Vermutung geben. Dann ist der Mensch nämlich schlichtweg unschuldig wie jeder andere auch, der nicht rechtskräftig verurteilt wurde. Und selbst dann, nach einer Verurteilung, wird die Resozialisierung höher gewichtet als eine anhaltende Stigmatisierung als Straftäter. Wie im Fall des eingangs genannten Redaktors.

So sollte es sein. So ist es nicht. Sexuelle Übergriffe jeglicher Art sind eine Schweinerei. Finden sie am Arbeitsplatz und unter Ausnützung einer Hierarchie statt, sind sie eine doppelte Schweinerei. Wird – fast immer von Frauen – ein sexueller Übergriff behauptet, aus welchen Motiven auch immer, der oftmals schon längst verjährt wäre und der sich oftmals nicht erhärten lässt, ist das ebenfalls eine doppelte Schweinerei. Jedes einzelne Mal ein Hohn für alle wirklichen Opfer. Jedes Mal ein ungesühntes Verbrechen, weil es die Vernichtung einer Karriere, einer sozialen Existenz bedeutet.

Darüber sollten all die Japser nachdenken, die sofort herbeieilen, um mit erhobenem Zeigefinger und moralisch geschwellter Brust über einen neuerliche, widerlichen Sexismus-Skandal zu berichten, wobei natürlich die Unschuldsvermutung gelte, logo.

Wumms: Regula Stämpfli

Die «Politikwissenschaftlerin» verkörpert den unteren Rand jeder Debatte. Teil eins der Sonntags-Serie.

Woran merkt man, wenn die Behandlung eines Themas am Tiefpunkt angekommen ist? Genau: Regula Stämpfli greift ein. Wenn Sie sich im Organ der gehobenen Meinungsbildung äussert, bleibt kein Auge trocken:

Niemals wurde die unheimliche Macht, die ein einzelner Mann hat, so schonungslos denunziert. Aber so, wie es in der Natur den absoluten Nullpunkt gibt (minus 273 Grad), gibt es auf intellektuellem Gebiet den Massstab «below Stämpfli». Darunter ist das Nichts, die Leere, die völlige Gedankenfreiheit, geistige Todesstarre.

Wer so einen Schwachsinn twittert (oder xt), der hat sich von jeder ernsthaften Auseinandersetzung endgültig verabschiedet. Aber sie kann noch einen drauflegen:

Denunziantin Stämpfli scheut auch nicht davor zurück, den Namen des «es gilt die Unschuldsvermutung» Beschuldigten mehr oder minder verklausuliert oder gleich offen herauszutrompeten. Das ist an Widerwärtigkeit kaum zu überbieten.

Zu ihren weiteren sympathischen Eigenschaften gehört, dass sie offensichtlich Anhängerin von Verschwörungstheorien ist. Der angeblich Übergriffige werde «protegiert», es gebe da einen «Filz, extrem mächtig». Und wenn’s richtig ernst wird, schweben dann sicherlich schwarze Helikopter ein und tragen tapfere Filzgegnerinnen von dannen.

Stämpfli, die dafür kaum noch Plattformen findet, hat sich schon lange einen Ruf als Brachial-Polemikerin erworben, ZACKBUM musste das schon amüsiert zur Kenntnis nehmen. Aber hier übertrifft sie sich selbst, und das ist gar nicht so einfach.

Stämpfli kann aber noch einen drauflegen, was schon übermenschlich ist. Denn sie behauptet doch: «Dieser Mann hat mich bedroht, meine Karriere zu zerstören versucht und die Frau bei der Wochenzeitung, damals Chefin, heute hohes Tier beim Publikumsrat, hat ihn gedeckt.»

Da können wir nur sagen: um vorsichtiges Anhalten wird gebeten. Wer sehr erfolgreich daran arbeitet, die sowieso schwindsüchtige «Karriere» von Stämpfli zu zerstören, ist sie selbst. Und ihre hinterfotzige Methode, keinen Namen zu nennen, die bekannte Redaktorin aber dennoch klar zu identifizieren, ist schlichtweg widerwärtig. Von den haltlosen Behauptungen ganz zu schweigen … Stämpfli selbst hat in einem ihrer Rundumschläge mal auf «diesen Mann» eingedroschen; Umgekehrtes ist nicht bekannt.

Noch schlimmer als sexuell Übergriffige, noch schlimmer als anonyme Denunzianten Jahre im Nachhinein, noch schlimmer als sich moralisch überlegen fühlende Journalisten, weil gerade in ihrem eigenen Schweinestall nichts zum Himmel stinkt, schlimmer als all das ist eine Trittbrettfahrerin wie Stämpfli, die sich doch nicht entblödet, sich selbst als angebliches Opfer von «diesem Mann» zu gerieren. Das ist nun schwer zu überbieten, aber vielleicht probiert’s noch einer. Die Latte liegt allerdings himmelhoch.

Kevin Spacey: unschuldig

Dennoch hat der Schauspieler «alles verloren».

Der zweifache Oscar-Preisträger hatte in «House of Cards» die Rolle seines Lebens gefunden. Frank Underwood katapultierte die Darstellung eines skrupellosen, aber gefühlvollen und genialischen Politikers in eine neue Dimension, die alles hinter sich liess, was in diesem reichen Genre vorher existierte.

2017 endete das alles abrupt, als im Rahmen der aufkommenden #metoo-Bewegung Vorwürfe über sexuelle Übergriffe gegen den homosexuellen Spacey bekannt wurden. Netflix beendete sofort die Zusammenarbeit, Spacey wurde sogar aus einem bereits fertig abgedrehten Film herausgeschnitten. «Alles Geld der Welt» wurde von Ridley Scott mit Christopher Plummer an Stelle von Spacey nachgedreht, ein grosser schmutziger Fleck auf der Weste dieses ansonsten genialen Regisseurs.

Die ersten Vorwürfe lagen 30 Jahre zurück; schnell meldeten sich weitere angebliche Opfer. Nicht nur in den USA, auch in England wurden Vorwürfe erhoben, da Spacey einige Jahre künstlerischer Direktor des «Old Vic» Theaters in London gewesen war.

In den darauffolgenden Jahren bekam Spacey keine Gelegenheit mehr, sein überragendes schauspielerisches Talent unter Beweis zu stellen. Er wurde zum Posterboy der #metoo-Bewegung, neben dem verurteilten Sexualstraftäter Harvey Weinstein wurde er als zweites, noch nicht verurteiltes Monster durch den Dreck gezogen. Wie bei solchen Anschuldigungen bis heute üblich, wurde auf die Unschuldsvermutung gespuckt.

2020 reichte ein angebliches Opfer Strafanzeige ein, wegen eines Vorfalls, der sich 1986 ereignet haben sollte. Sie wurde mangels Beweisen abgeschmettert. Dann fordere es in einem Zivilprozess 40 Millionen Dollar Schmerzensgeld. Abgeschmettert. Sämtliche weitere Klagen oder Anschuldigungen in den USA waren substanzlos.

Daraufhin konzentrierte sich die Meute der Vorverurteiler auf den Prozess in England. Hier habe der Schauspieler sicherlich nicht den gleichen Einfluss wie in den USA, hier werde endlich die Gerechtigkeit siegen, ein weiteres übergriffiges Monster werde seine gerechte Strafe erhalten.

Freispruch auf ganzer Linie.

Aber die ungerechte Strafe hat Spacey schon längst bekommen. Sieben Jahre Schauspielerleben gestohlen. Vom Olymp des angesehenen Hollywood-Stars in die Hölle des Sexualtäters. Horrende Kosten, kaum Einnahmen. Alle Prozesse gewonnen, alles verloren.

All diese pathetischen Weiber und ihre schleimigen Helfershelfer in den Gazetten, die sich das Maul zerreissen, aber nie vergessen, scheinheilig «es gilt die Unschuldsvermutung» dazuzuschmieren, all die kommen wieder mal straflos davon.

Schon wieder einen Unschuldigen erledigt, durch den Schlamm gezogen, erniedrigt, vorverurteilt. Mal eine Einsicht, eine geknirscht Entschuldigung, eine Selbstreflexion, dass es im öffentlichen Diskurs doch nicht so weitergehen darf? Wo jeder Mann gekeult werden kann, wenn es irgend jemandem einfällt, von einer Kussattacke von vor unzähligen Jahren zu schwadronieren, mit der frau aber erst heute an die Öffentlichkeit gehen könne, weil so traumatisiert. Aber leider ist alles verjährt, und oh Schreck, die sorgfältige Untersuchung des Vorfalls erweist: nichts dran, nicht belegbar, alles Unsinn, alles eine miese Masche, um in die Schlagzeilen zu kommen.

Dagegen ist nach wie vor kein Kraut gewachsen. Aber immerhin mehren sich die Stimmen, die ein Ende von diesen Hetzjagden fordern. Und vor allem, dass willige Helfershelfer in den Medien endlich in die Schranken gewiesen, abgemahnt und dann entlassen werden.

Wir könnten hier gerne Namen nennen, aber die Prozesskasse ist leider gerade leer.

Canonica streckt die Waffen

Moderner Schmierenjournalismus siegt.

Die Methode ist bis zum Erbrechen bekannt. Eine Frau greift tief in die Vergangenheit und stellt eine Reihe von unbewiesenen, unbelegten, rufschädigenden Behauptungen über – wenn überhaupt – längst verjährte angebliche Übergriffe auf.

Sie sei verbal sexuell belästigt, erniedrigt, beleidigt, gemobbt worden. Diese angeblich unerträglichen Zustände habe sie zwar viele Jahre ausgehalten, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber nun reiche es; so wie die Opfer von Weinstein ihre Stimme fanden, habe sie nun auch den Mut gefunden, an die Öffentlichkeit zu gehen.

Dann findet die Frau ein «#metoo»-besoffenes Organ, das diese Anschuldigungen abdruckt und damit eine öffentliche Hinrichtung des wahren Opfers, nämlich des Angeschuldigten, veranstaltet. Dass diese Behauptungen mehrfach untersucht und ins Reich der Fantasie verwiesen wurden, dass ausser dümmlichen Hakenkreuz-Kritzeleien als Kritik an germanischen Ausdrücken nichts belegbar ist, dass angebliche Augen- und Ohrenzeugen feige schweigen oder in den Untersuchungen die Behauptungen nicht bestätigt haben, was soll’s.

Dass sich diverse Behauptungen einfach widerlegen lassen – so hat eine angebliche beleidigende Äusserung des Chefredaktors an einer Weihnachtsfeier gar nicht stattfinden können, weil die Weihnachtsfeier nicht stattfand –, was soll’s.

Dass sich herausstellt, dass die Denunziantin sich – vergeblich – auf die Stelle ihres Vorgesetzten beworben hatte, obwohl der keinerlei Absichten hatte, sie zu verlassen, was soll’s. Dass es sich offensichtlich um die Rache einer beruflich verschmähten Frau handelt, die nicht gemobbt wurde, sondern ihren Chef wegmobben wollte, was soll’s. Das schaffte sie zwar, Tamedia trennte sich von ihm. Aber statt Triumph – endlich selber Chef werden – kam die Tragödie, auch sie wurde gefeuert.

Was bleibt? Der Ruf des Mannes ist unrettbar ruiniert, auf Jahre hinweg, wohl lebenslänglich findet er keinen Job mehr im Journalismus. Das gilt natürlich auch für die Denunziantin. Zurück bleiben – unter Mithilfe des einschlägig bekannten «Spiegel» – zwei beschädigte Menschen.

Dass die übrige Medienmeute wie meist mithetzte, losraste, belegfrei mit angeblichen weiteren «Zeugen» operierte, die natürlich anonym bleiben mussten und höchstwahrscheinlich erfunden sind, was soll’s. Dass sich neben dem «Spiegel» auch die «Zeit» von der Denunziantin via eine einschlägig bekannte, schlechte Journalistin für den Rachefeldzug einspannen liess, was soll’s.

Der Betroffene versuchte, mit einer Klage zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Auch Tamedia setzt sich juristisch zur Wehr, der Big Boss ist etwas angefasst, dass er in die Nähe von Harvey Weinstein, einem verurteilten Sexualstraftäter, gerückt wurde. Das Schicksal seines ehemaligen Chefredaktors ist ihm hingegen, pfeif auf die Fürsorgepflicht, schlichtweg egal.

Der lässt nun via Anwalt ausrichten, dass er seine Klage gegen den «Spiegel» zurückzieht. Die Belastung sei «sowohl finanziell wie psychisch» zu gross geworden. Das vermeldet «Inside Paradeplatz», der Finanzblog, der auch im Medienbereich die Konkurrenz abtrocknet. So kann das Schmierenblatt aus Hamburg triumphieren. Auch ein weiterer übler Denunziant, der immerhin den Journalismus verlassen hat, kann aufatmen.

Hat jemand gesiegt? Alle haben verloren.

Zunächst die Anklägerin; zu offensichtlich ist ihr Motiv, so unglaubwürdig ihre Erzählung, zu erfunden, konstruiert, zumindest nicht belegbar sind fast alle ihrer Vorwürfe.

Dann der Beschuldigte. Er konnte sich zwar erklären und fand einen Journalisten, dessen Reflexe noch funktionieren und der sich nicht von Narrativen leiten liess, sondern das tat, was ein Journalist tun muss: recherchieren, konfrontieren, analysieren. Aber er – und seine Familie – sind beschädigt, Opfer einer Kampagne geworden, öffentlich hingerichtet, gevierteilt und geteert und gefedert.

Dann das einmalige Nachrichtenmagazin aus Hamburg, das sich in letzter Zeit nicht entblödet, eine angebliche Enthüllungsgeschichte nach der anderen im besten #metoo-Framing zu veröffentlichen. Storys, die unter Augstein, unter Aust niemals erschienen wären. Aber die Würstchen, die sich seither in der Chefredaktion die Klinke in die Hand geben, haben jeden Massstab, jedes Niveau, jede Klasse verloren.

Schliesslich die übrigen Medien, hier zuvorderst CH Media und die «Zeit», die mit unbewiesenen Behauptungen, üblen Vermutungen, anonymen und erfundenen Zeugen («es war alles noch viel schlimmer») sich an der Hetze beteiligten und sogar einen Nasenstüber einfingen. CH Media musste einen Schmierenartikel löschen und sich öffentlich entschuldigen.

Entschuldigt sich jemand beim Betroffenen? Wird wenigstens dieser Fall zum Anlass genommen, über Vorverurteilungen, über den Verlust aller journalistischen Massstäbe, über das Kolportieren unbewiesener Behauptungen, über die Rolle angeblicher anonymer Zeugen nachzudenken?

Niemals. Schlamm drüber, die nächsten Säue sind schon längst durchs Dorf getrieben, Til Schweiger, Rammstein, ein Koch, der Sänger einer Brachialband, keiner ist heutzutage vor dieser Meute sicher.

Welch ein beschämender Anblick. Die Medien verwandeln sich in eine Horde von kläffenden, japsenden, geifernden Kötern, die einem Popanz nachrennen, jagen, zur Strecke bringen, sich verbeissen. Um dann plötzlich von der Beute abzulassen, um einer neuen Schimäre nachzujagen. Auf ein Neues. Auf ein Neues, bis Ruf, Ansehen, Renommee, Image genauso ramponiert, ruiniert sind wie die der Opfer dieser Hetzjagden.

Lang lebe die Unschuldsvermutung. Was für ein schaler Witz.

Tobler, gecancelt

Die Verwilderung und Verluderung beim Tagi nimmt kein Ende.

Das musste sein: Andreas Tobler fordert, dass die beiden Konzerte von Rammstein in der Schweiz abgesagt werden. Gecancelt. Wider jede Logik und jeden Verstand behauptet er:

«Nein, eine Absage der Rammstein-Konzerte in Bern hätte nichts mit Cancel-Culture zu tun. Aber nun braucht es eine Pause, um die schwersten Vorwürfe noch vertieft abklären zu können.»

4558 Buchstaben übelste Schmiere ergiesst sich in die Spalten des ehemaligen Qualitätsorgans «Tages-Anzeiger». Somit auch in die «Berner Zeitung» und den «Bund». Das Blatt hat völlig die Orientierung verloren, man muss von einem gravierenden Kontrollverlust sprechen.

Aus diesem Satz tropft die pure Heuchelei: «Selbstverständlich gilt für Till Lindemann die Unschuldsvermutung, solange kein Verfahren eingeleitet und er nicht rechtskräftig verurteilt ist.» Wenn das so wäre, dürfte der folgende Satz nicht publiziert werden: «Dennoch sollten die beiden Rammstein-Konzerte in der kommenden Woche in Bern nicht stattfinden

Der Mann gilt als unschuldig, aber dennoch soll ihm die Ausübung seines Berufs untersagt werden. Dennoch sollen Zehntausende von  Konzertbesuchern bevormundet werden. Dennoch soll der Konzertveranstalter in den Ruin getrieben werden. Was für eine Irrwitz-Logik, bar jeder Vernunft. Für Tobler gilt die Schundvermutung, definitiv.

Wie verbohrt muss man sein, um keinen schreienden Widerspruch zu sehen, wenn Tobler behauptet, es sei keine Cancel-Kultur, das Canceln eines Konzerts zu fordern?

Sensibler als eine Schneeflocke macht sich Tobler schwere Sorgen um die Konzertbesucher: «Kann diese Kunst – die gar keine Kunst mehr ist, wenn sie allenfalls reale Handlungen von Lindemann beschreibt – noch irritationsfrei konsumiert werden?» Kann dieser Text, der keine Kunst ist, gelesen werden, ohne dass einem der Kaffee hochkommt?

Was der Denunziant und Irrwisch Tobler übersieht: die Teilnahme am Konzert ist freiwillig. So wie das Visionieren eines Splatter- oder Zombie-Movies, bei dem das Blut nur so aus der Leinwand oder vom Bildschirm tropft. Wer damit Mühe hat, wer das widerlich findet: ist erlaubt, soll halt nicht hinschauen.

Wer meint aber Tobler, wer er sei, dass er Zehntausenden von erwachsenen Menschen den Besuch eines bewilligten Konzerts einer Band verbieten will, die gerade – wieso traut sich hier Tobler nicht, nach einem Verbot zu rufen? – in München das Olympiastadium füllt, wo insgesamt 250’000 Zuschauer erwartet werden.

Hat Tobler – Unschuldsvermutung – nicht mitbekommen, dass die Band alle Vorwürfe zurückweist und ihre Anwälte damit beauftragt hat, alle Anschuldigungen mit rechtlichen Massnahmen zu beantworten?

«Wir brauchen diese Pause auch für eine Debatte über Machtstrukturen im Rockstarbetrieb.» Für welches Wir spricht hier Tobler? Wer will das debattieren? Was masst sich dieser Genderpapst eigentlich an? Dieser Konzernjournalist, der in unappetitlicher Schmiere missliebige Konkurrenten wie den Chefredaktor der NZZaS niedermacht? Tobler wusste schon vor dessen Amtsantritt, dass Projer «dem Qualitätsanspruch der «NZZamSonntag» widerspricht». Immerhin widerspricht Tobler nicht demjenigen des Tagi, der hat nämlich keinen.

Es soll ja scheint’s beim «Magazin» schweren Machtmissbrauch gegeben haben. Behauptet zumindest eine ehemalige Redakteurin, die sogar mit ihrem Namen dazu steht. Hat man hier eigentlich von Tobler die Forderung nach einstweiliger Einstellung des «Magazin» gehört? Bis diese Vorwürfe seriös abgeklärt sind? Bis es eine Debatte über Machtstrukturen im Medienbetrieb gibt? Schliesslich arbeitet er für einen Konzern, der mit einem Protestbrief von 78 erregten Frauen berühmt und berüchtigt wurde. Ist dieser Mann vielleicht lächerlich.

Vor dem Kunstwerk Rammstein will Tobler das Publikum gegen dessen Willen schützen; trotz Unschuldsvermutung hat er schwerste Bedenken. Als ein deutscher Brachial-Provokateur für sein Schmierenstück am Zürcher Theater am Neumarkt Werbung machte, hatte Tobler hingegen viel Verständnis. «Tötet Roger Köppel! Köppel Roger tötet!», hatte Philipp Ruch getönt, der dann einen Saubannerzug in Richtung der Wohnung Klöppels anführte, der sich mitsamt seiner Familie in ein Hotel geflüchtet hatte.

Das war eine bodenlose Geschmacklosigkeit, nicht nur, weil Köppel zuvor das Ziel eines fundamentalistischen Wahnsinnigen geworden war, der ihn umbringen wollte, weil Köppel mutig islamkritische Karikaturen publiziert hatte.

Dieser «Aufruf zum Mord» könne als eine Reaktion auf Köppels Auftritt in der Talkshow «Menschen bei Maischberger» im deutschen Fernsehen «verstanden werden», wo er sich «in gewohnt pointierter Manier» geäussert habe, erklärte damals Tobler. Verstanden werden? Zudem stehe diese «Künstleraktion» in der Tradition von Christoph Schlingensief.

Hier wird die Freiheit der Kunst in Anspruch genommen. Satire darf alles, Künstler neigen halt zu Zuspitzungen, wollen Denkanstösse geben. Schliesslich handle es sich nur um einen «Theatermord», schrieb der «Tages-Anzeiger» im Vorspann zum Artikel. Da kann der Kunstkenner feinsinnig zwischen Mordaufrufen von religiösen Wahnsinnigen und künstlerisch wertvollen Mordaufrufen von anderen Amoks unterscheiden. Während wir alle entrüstet über Hass- und Hetzkommentare in den asozialen Netzwerken und im Internet allgemein sind, veröffentlichte dieses Blatt eine wohlwollende Rezension eines hetzerischen Mordaufrufs.

Niemals wäre es Tobler damals in den Sinn gekommen, die Aufführung des Stücks am Neumarkt verbieten zu wollen. «Tötet Köppel Roger!», da vermisste man das donnernde «Das darf nicht sein», das Tobler nun Rammstein entgegenschmettert.

Der Mann ist dermassen unappetitlich, dass ZACKBUM auch die Berichterstattung über ihn einstellt. Schon nach diesen Zeilen müssen wir uns die Hände waschen und den Mund ausspülen. Denn eine Beschäftigung mit diesem heuchlerischen Denunzianten verursacht Übelkeit.

Die Nicht-Antwort

Die Medienstelle der NZZ hat geruht zu antworten.

Das hätte sie vielleicht besser nicht getan. Denn natürlich steigt die Erwartungshaltung, wenn sie mehr als zwei Tage braucht, um auf ein paar konkrete Fragen zu antworten.

Die da lauteten:

Der Titel über dem Artikel von Ueli Bernays lautete ursprünglich:
«Till Lindemann und Rammstein: Aus dem Künstler ist ein Täter geworden».
Der wurde nachträglich geändert in:
«Till Lindemann und Rammstein: Was ist Tat, was ist Fiktion?».
Dazu habe ich folgende Fragen:
1. Wie ist es möglich, dass der erste Titel mit einer ungeheuerlichen Unterstellung durch alle Kontrollinstanzen der NZZ rutschte?
2. Unbelegte Vorverurteilung, Missachtung der Unschuldsvermutung, Übernahme von Behauptungen anderer Medien ohne die geringste Eigenrecherche; ist das das Niveau, dass die NZZ einhalten möchte?
3. Normalerweise werden solche nachträglichen Eingriffe (deren gab es auch im Lauftext) transparent kenntlich gemacht, weil der spätere Leser die Veränderung nicht bemerkt. Wieso macht das die NZZ nicht?
4. Hat dieser Vorfall für den verursachenden Redaktor arbeitsrechtliche Konsequenzen? Schliesslich ist er Wiederholungstäter (Stichwort Roger Waters).
5. Im Text von Ueli Bernays heisst es:
«Ob es sich dabei um einvernehmlichen Sex gehandelt hat, ist kaum zu eruieren. Jedenfalls gab es kaum ein klares Ja.»
Das ist nun ein wörtliches Zitat aus dem entsprechenden Artikel der «Süddeutschen Zeitung», das aber nicht als Zitat gekennzeichnet ist. Handelt es sich hier nicht auch um einen journalistischen Faux-pas, der öffentlich korrigiert werden müsste?
Trommelwirbel, Tusch und Fanfare, die Antwort des Weltblatts:
«Vielen Dank für Ihr Interesse an unserer Berichterstattung und Ihre Anfrage, die wir gerne beantworten.
Das Vorgehen entspricht selbstverständlich den üblichen redaktionellen Prozessen
Schön, dass wir nun wissen:
– einen nicht mal Angeschuldigten unter krasser Missachtung der Unschuldsvermutung als «Täter» zu bezeichnen
– diesen ungeheuerlichen Titel nachträglich zu ändern, ohne das dem Leser gegenüber transparent zu machen
– wortwörtlich aus einer anderen Zeitung zitieren, ohne das als Zitat kenntlich zu machen, was man gemeinhin Plagiat nennt,
das alles entspricht inzwischen bei der NZZ «den üblichen redaktionellen Prozessen». Da kann man nur hoffen, dass sie durch unübliche ersetzt werden. Zum Beispiel durch Prozesse, die die primitivsten journalistischen Regeln berücksichtigen.
Aber ZACKBUM wird nicht mehr nachfragen, solche Nicht-Antworten entsprechen nicht unseren Vorstellungen von redaktionellen Prozessen.