Schlagwortarchiv für: Tamedia

Alles eine Frage der Effizienz

Heute wird es voll betriebswirtschaftlich. Eine Analyse des Stellenabbaus bei den Medienhäusern.

Von Kurt W. Zimmermann*

Die Frage war nur noch: Sagen wir es unseren Mitarbeitern vor Weihnachten, oder warten wir aus Pietät etwas zu?

TX Group, die frühere Tamedia, und CH Media sagten es ohne Umschweife: 85 und 150 Stellen werden hier abgebaut. Ringier wartete bis nach Neujahr, um den Abbau von 75 Stellen zu kommunizieren.

310 Stellen weniger in den drei grössten Verlagen der Schweiz. Es ist, in der Kombination, die bisher grösste Sparübung der Branche. Bei Stellenabbau ist das entscheidende Kriterium, wie sich der Umsatz pro Mitarbeiter entwickelt hat. Zu diesem Kriterium der Effizienz kommt man in drei Schritten.

Betrachten wir im ersten Schritt, wie sich die Mitarbeiterzahl (MA) bei den führenden Verlagen Ringier Schweiz, TX Group, CH Media und NZZ-Gruppe seit 2017 entwickelt hat, wobei wir bei CH Media jeweils die Zahlen von 2018 heranziehen, weil die Firma erst dann gegründet wurde. Zum Abgleich stellen wir die öffentliche SRG daneben.

Mitarbeiterzahl (MA)

2017 2022 +/–

Ringier CH 3006 2358 – 22 %

TX Group 3261 3380 + 4 %

CH Media 2000 1800 – 10 %

NZZ-Medien 800 821 + 3 %

SRG 4975 5518 + 11 %

Interessant ist der Fall Ringier Schweiz, also ohne die Aktivitäten in Osteuropa. Ringier hat hier in kurzer Zeit 650 Stellen abgebaut. CEO Marc Walder hat einen vorzüglichen Job gemacht und dies geschafft, ohne dass die Schnitte in Öffentlichkeit und Medien ein Thema geworden wären.

Auch bei CH Media fiel die Mitarbeiterzahl. Die Firma entstand aus der Fusion der AZ Medien mit den Regionalmedien der NZZ und beseitigte Doppelspurigkeiten.

Die TX Group und ihr Chef Pietro Supino andererseits, die als Sparteufel gelten, haben an Mitarbeitern zugelegt, unter anderem durch den Kauf der Basler Zeitung.

Und natürlich ist der Personalbestand bei der SRG seit 2017 explodiert, wenig erstaunlich, wenn die Kosten vom Steuerzahler gedeckt werden.

Betrachten wir im zweiten Schritt nun, wie sich die Umsätze der Medienunternehmen entwickelt haben.

Ertrag (in Mio. Fr.)

2017 2022 +/–

Ringier CH 798 643 – 19 %

TX Group 974 925 – 5 %

CH Media 448 430 – 4 %

NZZ-Medien 213 247 + 16 %

SRG 1595 1549 – 3 %

Fast alle Medienunternehmen verzeichnen sinkende Erträge, am meisten bei Ringier. Es ist überall die Folge des gesunkenen Werbevolumens. Ausnahme ist die NZZ . Sie setzt auf das Geschäftsmodell Publizistik und dadurch auf Einnahmen aus dem Lesermarkt. Das macht sie weniger abhängig vom Anzeigengeschäft.

Im dritten Schritt ergibt sich nun der Umsatz pro Mitarbeiter. Es ist die Kennzahl für die Effizienz eines Unternehmens.

Umsatz pro MA (in Fr.) 2017 2022 +/-

Ringier CH 265 000 273 000 + 8000

TX Group 304 000 274 000 – 30 000

CH Media 224 000 239 000 + 15 000

NZZ-Medien 266 000 301 000 + 45 000

SRG 320 000 280 000 – 40 000

Auffallend ist zuerst einmal, wie ineffizient die TX Group geworden ist. Ein Sparprogramm von Tages-Anzeiger bis 20 Minuten ist darum unausweichlich.

Unproduktiv ist im Vergleich besonders die CH Media. Sie ist es auch darum, weil sie über zwanzig Radio- und TV-Sender betreibt, wo die Margen schlecht sind. Generell sind die Kosten zu hoch, darum ist es folgerichtig, dass CEO Michael Wanner einen harten Personalabbau durchzieht.

Deutlich besser präsentiert sich die NZZ-Gruppe unter ihrem CEO Felix Graf. Auch hier wird zwar immer mal die eine oder andere Stelle eingespart, aber man kann das dank einer imposanten Effizienzsteigerung ziemlich locker nehmen.

Als Schlusspointe bleibt die SRG. Ihr Umsatz pro Mitarbeiter ist im freien Fall, weil immer mehr Angestellte das immergleiche Angebot produzieren. Es ist ein Absturz an Effizienz. Aber das scheint SRG-Chef Gilles Marchand egal zu sein.

Effizienz im freien Fall: Immer mehr Angestellte produzieren bei der SRG das immergleiche Angebot.

*Die Kolumne erschien zuerst in der «Weltwoche» Nr. 3/24. Mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Tagi kann nix

Wie obrigkeitshörig soll’s denn sein?

Der Berner Regierungspräsident und Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP) rechnete unter dem Vermerk «Verpflegung» oder «Znüni» ein Bio-Mehrkornbrötli für 95 Rappen ab, eine Banane für 20 Rappen oder ein «Laugenbrezeli mit Butter» für 3.20 Franken. Auch einen Adventskranz über 183 Franken zu «Repräsentationszwecken» verbuchte Müller über die Spesen.

Das ist zwar kein Skandal, aber jämmerlich, knausrig und zeigt einen kleinkarierten Geiz, der an den staatsmännischen Fähigkeiten von Müller zweifeln lässt.

Nun könnte man die Enthüllung vom «Kassensturz» noch etwas vertiefen oder ausweiten. Genügend (noch) beschäftigte Journalisten gäbe es doch.

Stattdessen entblödet sich Tamedia nicht, eine SDA-Tickermeldung ins Blatt zu heben, in der sich der Regierungsrat unwidersprochen mit absurden Behauptungen zur Wehr setzen darf: «Er selber habe nie solche Kleinspesen verrechnet. Aber es gebe diese Spesenbelege – und «wie sie genau in die Spesenbuchhaltung kamen, weiss man nicht». Er übernehme dafür selbstverständlich die Verantwortung – «es war mein Fehler, weil es in meinem Bereich stattfand.»»

Tja, wie kamen denn nun die Pipifaxspesenbelege in die Buchhaltung? Müller behauptet, er selbst habe «nie einen einzigen Spesenzettel für Kleinstspesen abgeliefert». Also hat sie ihm ein übereifriger Mitarbeiter aus dem Portemonnaie gezogen und hinter seinem Rücken abgeliefert? Und als Müller dieser Pipifax erstattet wurde, hat er sich nicht gefragt, was das soll?

Aber nicht nur Müller, auch seine Partei kennt nix. So berichtet SDA und Tamedia übernimmt: «An der Mitgliederversammlung der Stadtpartei gab es zu der Angelegenheit nur eine Wortmeldung: Eine Freisinnige bezeichnete die Medienberichte als «bodenlose Frechheit von Presse, Journalisten und ‹Kassensturz›». Die Frage sei, was man gegen die Leute unternehme, die solches verbreiteten.»

Müller soll staatsmännisch geantwortet haben, dass man das «am Mittwoch in der Regierung» anschaue.

War es bis hierhin nur eine Schmonzette über einen peinlich-geizigen Pünktlischiisser, der ohne jedes Schamgefühl selbst Rappenbeträge vergütet bekommt, wird es hier zu einem Politskandal. Die Rüpelei der Freisinnigen, die aufgeblasene Antwort Müllers, die sei von den FDP-Mitgliedern «mit spontanem Applaus» quittiert worden.

20 Rappen für ein Banane als Spesen einreichen und zurückbekommen. Das ist peinlich.

Behaupten, man könne sich das nicht erklären und habe selber sicher nicht so einen Beleg eingereicht, das könnte für einen Rücktritt reichen, wenn es sich als Unwahrheit herausstellt. Aber dass Parteidelegierte dann nicht ihrem Exponenten die Kappe waschen, sondern die Enthüllung bedenklichen Verhaltens als «bodenlose Frechheit» beschimpfen, das ist mehr als bedenklich. Was meinen diese abgehobenen FDPler eigentlich?

Wohlgemerkt bekommen Müller und seine Miträte zusätzlich zu ihrem üppigen Gehalt noch eine Spesenpauschale von 8000 Franken im Jahr. Müller als Präsident nochmals 6000 Franken obendrauf. Aber selbst die 2000 Franken den Feier-Apero dafür rechnete er separat ab. Dazu kommen Dutzende solcher Kleckerbeträge der Regierungsräte und Tausende von Franken Bewirtungskosten, die eigentlich in diesen Pauschalen abgedeckt sein sollten, aber dennoch separat eingereicht wurden. Was die Frage erhebt, wie und wofür sie denn die 8000, bzw. 14’000 Franken eigentlich ausgeben.

Wird man bei etwas so Peinlichem erwischt und steht mit offenem Hosenschlitz im Scheinwerferlicht, dann sollte man den Anstand haben, rot anzulaufen, sich zu schämen und um Verzeihung zu bitten. Stattdessen schaue man sich an, was man gegen eine solche Berichterstattung unternehmen könne? Und Tamedia bringt diesen Unfug kommentarlos, anstatt tiefer zu bohren?

Sackschwach, peinlich. Für alle Beteiligten.

Da waren’s nur noch zwei …

Herber Rückschlag für alle Trump-Hasser. Dritte Strophe Pfeifen im Wald.

Die sich abzeichnende Wahl zwischen Joe Biden und Donald Trump ist wie zwischen Pest und Cholera. Ein seniler Greis gegen einen Amok-Greis. Da können sich Spin Doctors und Schönschreiber, Warner vor dem einen oder dem anderen, Fans und Anhänger noch so Mühe geben: es ist ein Graus. Womit wir wohl 90 Prozent der ZACKBUM-Leser gegen uns aufgebracht hätten.

Das Schlimmste in diesem Mainstream, der zwar gelegentlich Kritisches über Biden sagt, aber bei der Erwähnung von Trump regelmässig in unkontrollierte Schübe und Zuckungen gerät, ist das verzweifelte Pfeifen im Wald.

Die Vorwahlen bei den Republikanern haben begonnen, Trump hat einen Erdrutschsieg eingefahren. Mehr als die Hälfte aller Delegiertenstimmen bekommen, seine beiden Mitbewerber deklassiert, die zusammen nicht mal ansatzweise auf seine Prozentzahl kamen.

Natürlich, das ist der erste Caucus von vielen, ein kleiner Bundesstaat, dann war noch Schnee und Eis. Aber wenn man Trump etwas lassen muss, dann seine Fähigkeit, eine richtig tolle US-Show abzuziehen. Und zu wissen, dass sein Stern so hell strahlt, dass er nicht mal an TV-Debatten mit seinen Konkurrenten teilnimmt – weil nur die davon profitieren könnten, etwas von seinem Ruhm abzukriegen.

Nun ist es aber noch dramatischer, als alle Unken vorhersagten. Die nun ungeniert ihre früheren Prognosen in die Tonne treten. So titelt srf.ch angewidert: «Die Bruchlandung des vermeintlichen Überfliegers der Republikaner». Neutraler formuliert für einmal sogar «watson»: «Ron DeSantis steigt aus dem Rennen um US-Präsidentschaft aus».

Dabei hatte ihn Grossanalyst Constantin Seibt von der «Republik» schon zur Zukunft des Faschismus hochgeschrieben, was mit einer selten demagogischen Illustration eines Teufels in Menschengestalt untermalt wurde. Und nun das.

So hetzt das Gutmenschenblatt «Republik».

Wie geht denn damit der Grossanalyst Peter Burghardt um, der sich in Iowa Arsch und Finger abfror und die Leser der «Süddeutschen Zeitung» und Tamedia mit seinem Geschwurbel belästigte? Als hätte er ihn (und die einzig verbliebene Kandidatin) nicht kurz zuvor noch als Hoffnungsschimmer gelobt, behauptet er nun: «Jetzt ist also auch die Tournee des Ron DeSantis vorbei, wen mag das noch wundern.». Na, einen Burghardt zum Beispiel, aber das möchte er nicht zugeben.

Fantasierte Burghardt noch vor Kurzem, dass Nikki Haley noch lange nicht verloren, vielleicht sogar noch eine Chance habe, Präsidentschaftskandidatin zu werden, ist es nun plötzlich für ihn klar: «es müssten wirklich außergewöhnliche Umstände eintreten, wenn Trump beim Parteikongress im Juli in Wisconsin nicht mit Pauken und Trompeten zum offiziellen Bewerber der Republikaner ernannt würde.»

Aber die Hoffnung stirbt auch bei Burghardt zuletzt: «Nun ist nur noch Nikki Haley als halbwegs ernsthafte Widersacherin Trumps im Rennen.» Halbwegs ernsthaft, das ist natürlich bitter.

Allerdings: eigentlich müsste diese Festlegung Burghardts eingefleischte Trump-Fans beunruhigen. Denn bislang ist der Mann immer falsch gelegen mit seinen Prognosen …

Der Wurmfänger

Leider ist es in der Schweiz einsam um Erik Gujer.

Natürlich, schon wieder. Aber ZACKBUM kann auch nichts dafür, dass die anderen Chefredaktoren grosser Massenmedien nichts oder nur Unwichtiges oder gar Unsinniges zu sagen haben. Schlichtweg Belangloses.

Der Chefredaktor und Geschäftsführer der NZZ, God Almighty, solange er auch wirtschaftlich mit seiner Expansion nach Deutschland Erfolg hat, nimmt sich jede Woche die Mühe, mit scharfem Blick Deutschland zu sezieren.

Die Ergebnisse seiner Autopsien sind lesens- und bedenkenswert. Daher müssen sie gelobt werden, weil sie unter Artenschutz im Schweizer Journalismus stehen.

«Früher herrschte Neid auf die teutonischen Streber mit ihren Exporterfolgen und gesunden Staatsfinanzen. Heute geht die Furcht um, das Land ziehe seine engsten Partner nach unten

Rezession im Jahr 2023, eine dysfunktionale Regierungskoalition mit einem führungsschwachen Chef, der schlimmer als weiland Helmut Kohl die Probleme auszusitzen versucht. Aber ohne dessen Fortune.

Dazu schreiender Wahnsinn im Sozialstaat. Das sogenannte «Bürgergeld», der Euphemismus für die frühere Sozialhilfe, wurde in lediglich zwei Jahren um 25 Prozent angehoben. Völlig irre, denn während Deutschland gleichzeitig Arbeitskräfte fehlen, sinkt so der Anreiz, einer bezahlten Arbeit nachzugehen, für Niedrigverdiener gegen null.

Der Staat als mit Abstand wichtigster Player in der Wirtschaft – er kontrolliert mehr als 50 Prozent des BIP und ist monströs wachsender Arbeitgeber – versagt bei seinen Kernaufgaben. Infrastruktur, Energieversorgung, Bildungssystem, schlanke Rahmenbedingungen für Unternehmertum schaffen – alles liegt im Argen.

Wie immer bei staatlichen Leistungen ist deren Verringerung ein Ding der Unmöglichkeit. Jede Anspruchsgruppe pocht auf ihre errungenen Privilegien, Stichwort Bauernprotest. Gnadenloses Urteil von Gujer: «Deutschland ist derzeit eine Ansammlung von griesgrämigen Sauertöpfen.»

Die Wirtschaft ist natürlich die Basis für politische Fehlentwicklungen: «Nur in der Bundesrepublik misslingt, was sonst in Europa halbwegs funktioniert: die Inklusion rechter Protestparteien in das politische System. Die AfD wird mit deutscher Gründlichkeit ausgegrenzt

Schlimmer noch, auf die Frustration der Stimmbüregr über das jämmerliche Schalten und Walten der Regierung und der Altparteien, reagiert der Staat und seine Machthaber mit Rundumschlägen gegen angeblich «rechtstextrem unterwanderten Bauern», von einer Bewegung, natürlich die AfD, die den Staat delegitimieren will, dabei besorgt er das selbst: «Wäre es nicht so trist, könnte man darüber lachen: Ausgerechnet die Regierung, die allenthalben vor Verschwörungstheorien warnt, verbreitet selbst Schauermärchen.»

So wird ein konspiratives Treffen von ein paar verpeilten Rechtsexttremen zu einer Art neuem Reichsparteitag aufgepumpt, wo der Umsturz geplant, zumindest angedacht werde. Wo die SPD sogar unter die 5-Prozent-Hürde zu fallen droht, denkt sie laut über ein Verbot der AfD nach. Deren Gottseibeiuns Björn Höcke soll das aktive und passive Wahlrecht entzogen werden. Als ob das das richtige Vorgehen gegen einen nationalistisch angebräunten Zeusler und Brandstifter wäre.

Eigentlich müsste alleine er schon die AfD unwählbar machen. Dass sie in Umfragen vor allem im Osten von Triumph zu Triumph eilt, ist nicht ihr Verdienst, sondern die Folge des unfähigen Regierungshandelns. Oder wie das Gujer formuliert: «Zu den Aufgaben einer Regierung gehört es, in anstrengenden Zeiten Lösungen aufzuzeigen und Zuversicht zu verbreiten. Hierbei versagen der maulfaule Kanzler und seine zerstrittenen Partner.» 

Man kann über diese Einschätzungen geteilter oder konträrer Meinung sein. Vielleicht ist Gujer sogar nicht der intellektuelle Überflieger in der Schweiz. Wäre es nicht so trist, könnte man darüber lachen. Zur Überfigur wird Gujer, weil seine Konkurrenz dermassen schwach abstinkt. Schreibt bei Tamedia, CH Media oder gar dem «Blick» einer ein Editorial oder einen Leitartikel, dann fliegt der so tief, dass er an jeder Bordsteinkante zerschellt. Sein Inhalt ist so flach, dass sich sogar Hühner vor Lachen am Boden wälzen. Der intellektuelle Gehalt ist nicht mal unter einem Elektronenmikroskop sichtbar.

Da wirkt Gujer natürlich riesenhaft, obwohl er vielleicht nur ein Scheinriese ist.

Journalismus schafft sich ab

Das kann kein Geschäftsmodell mehr sein.

Journalisten opinieren, räsonieren, analysieren, schätzen ein, meinen, fordern, wissen es besser. Das ist zwar manchmal mühsam, aber erlaubt.

Journalisten spielen sich als als Genderpäpstinnen wie Andreas Tobler, als Konzernbüttel wie Philipp Loser, als Kriegsgurgeln wie Georg Häsler, als Panikkreischen wie Marc Brupbacher oder als Stimme der Gutmenschen wie Reza Rafi auf. Das ist manchmal unerträglich, aber Ausschuss wird überall produziert.

Journalisten kreieren Narrative und Framings. Sie bestehen darauf, dass Donald Trumps Konkurrenten durchaus noch intakte Chancen hätten, genügend Delegiertenstimmen zu sammeln, um Kandidat der Republikaner in den Präsidentschaftswahlen zu werden. Damit wiederholen sie ihre Fehler bei den vorletzten Wahlen: am Schluss erklären zu müssen, wieso sie krachend danebenlagen. Journalisten sind nicht sehr lernfähig. Das ist extrem dumm. Dummheit existiert überall und ist bekanntlich lernbar.

Aber es gibt einen heiligen Gral im Journalismus, an dem man sich nur dann vergreift, wenn man sich abschaffen will. Es handelt sich um ein Einverständnis zwischen Journalist und Leser, das nicht mutwillig oder fahrlässig missbraucht werden darf.

Die einstmals auflagemässig grösste Zeitung der Welt hat dieses Prinzip sogar zu ihrem Titel gemacht. «Prawda», Wahrheit. Sie hatte versprochen, ihren Lesern nur die Wahrheit zu erzählen. Lenin und Trotzki kamen unabhängig voneinander auf die Idee, eine solche Zeitung zu publizieren. Ihr Herausgeber war der spätere langjährige Aussenminister der Sowjetunion Molotow. Er agierte im Hintergrund, offiziell gab es rund 40 Herausgeber, die von der zaristischen Zensur regelmässig verhaftet und zu drei Monaten Gefängnis verurteilt wurden. Sie waren sogenannte Sitzredakteure, dazu bereit, für anderen Strafen abzusitzen, die sie sich mit dem Verbreiten der Wahrheit einhandelten.

In ihren besten Zeiten hatte sie eine Auflage von über 10 Millionen Exemplaren. Allerdings verbreitete sie immer weniger die Wahrheit, immer mehr Lügen. Damit entkernte sie sich.

Nun kann man zu Recht fragen, was denn eigentlich die Wahrheit ist und wer zwischen Lüge und Wahrheit unterscheiden darf und die Autorität dafür hat. Niemand und jeder. Niemand ist im Besitz einer objektiven, einzig wahrhaftigen Wahrheit. Jeder glaubt an seine Wahrheiten, viele wollen wissen, dass sie die Wahrheit kennen.

Also ist alles relativ, alles erlaubt? Nein, eben nicht.

Denn es gibt eine unausgesprochene Vereinbarung zwischen Berichterstatter und Konsument. Der Konsument bezahlt normalerweise dafür (sei es entweder mit Geld oder seiner Aufmerksamkeit oder seinen Daten), dass er sich darauf verlassen kann, dass ihm in Berichten über Gegenden oder Ereignisse, die er nicht kennt, kein Bären aufgebunden wird.

Wird diese Geschäftsgrundlage aufgehoben, ist der Journalismus am Ende. Sein Tod tritt nicht sofort, aber auf Raten ein. Deshalb beschäftigten viele Redaktionen früher Mitarbeiter, die sich der sogenannten Dokumentation widmeten. Also alle Fakten und Tatsachenbehauptungen checkten, die in einem Artikel vorkamen. Sie taten das zum Schutz des Redaktors vor Irrtümern und zum Schutz des Konsumenten vor Falschinformationen.

Sie sind als eine der ersten Abteilungen den Sparmassnahmen zum Opfer gefallen. In der Schweiz existieren sie nicht mehr. Gelegentlich werden mit grossem Brimborium Journalisten beauftragt, einen sogenannten Faktencheck durchzuführen. Das ist aber nicht mehr das gleiche.

Im deutschen Sprachraum leistet sich der «Spiegel» noch die grösste Dokumentarabteilung. Darauf ist er besonders stolz und wird nicht müde, die vielen Stationen aufzuzählen, die ein Manuskript durchlaufen muss, bis es publiziert wird. Der Grossfälscher Class Relotius sprengte diese Reputation in die Luft. Ihm gelang es jahrelang unentdeckt, frei erfundene Reportagen zu publizieren, bei denen sogar nachprüfbare Angaben wie Distanzen oder örtliche Beschaffenheiten erschwindelt waren, um dem Spin der Story zu dienen. Nicht einmal das fiel den Faktencheckern des «Spiegel» auf.

Sie waren, mitsamt allen anderen Kontrollinstanzen, voreingenommen. Sie hatten das Interesse verloren, zu schreiben, was ist. Sie wollten beschreiben, wie es sein sollte. Wie es ihrer Meinung nach zu sein hatte. Sie machten den alten erkenntnistheoretischen Zirkelschluss: wenn ich mit einer vorgefassten Meinung an die Wirklichkeit herangehe, finde ich in der Wirklichkeit das, was ich zuvor hineingetragen habe. Oder noch schlimmer: wenn ich es nicht finde, erfinde ich es.

Das ist keine lässliche Sünde, sondern eine Todsünde. Dafür gibt es leider im Schweizer Journalismus immer mehr kleine und grosse Beispiele. Eine Aufzählung wäre endlos, aber es sind zwei Tendenzen zu erkennen. Am häufigsten betroffen davon ist Tamedia. Dort hat eine wahrhaftige Verluderung der Sitten stattgefunden.

Die Leser belehren und mit absurdem Genderwahn quälen zu wollen, das ist verkaufsschädigend, aber noch nicht tödlich. Den Lesern keine Reportagen, sondern die Wiedergabe vorgefasster Meinungen zu servieren, das ist dumm, aber noch nicht tödlich.

Sich immer wieder dabei ertappen zu lassen, dass die vorgefassten Meinungen so stark sind, dass die Wirklichkeit, wenn sie nicht passt, passend gemacht wird, das ist tödlich. Wenn ein Präsident eine Meinung vertritt, die dem Berichterstatter nicht passt, dann ist es dennoch seine Pflicht, sie dem Leser wiederzugeben. Denn dafür bezahlt er, weil er selbst weder am WEF anwesend ist, noch Zeit oder Lust hat, die ganze Rede im Wortlaut anzuhören.

Wenn aber schon im ersten und auch im letzten Satz des Berichts die Wirklichkeit, höflich ausgedrückt, umgebogen wird, dann fühlt sich der Leser zu recht verarscht, wenn er das entdeckt. Und glücklicherweise gibt es in der Schweiz noch so etwas wie eine Pressefreiheit, wo solche Verbiegungen aufgedeckt und denunziert werden können. Das unterscheidet die Schweiz von Russland und der Ukraine.

Berichterstattung, wenn sie etwas wert ist, sollte dazu dienen, dem Käufer und Konsumenten dabei zu helfen, die grosse, weite Welt und auch seine nähere Umgebung besser zu verstehen. Oder zu begreifen, dass vieles, was sich abspielt, komplex, widersprüchlich, unübersichtlich, nicht fassbar ist. Die beiden aktuellen Beispiele dafür sind der Ukrainekrieg oder der Krieg im Gazastreifen. Noch nie verfügten wir über dermassen viele Informationsquellen, noch nie waren wir so ungenügend informiert.

Daraus entstehen Verschwörungstheorien, das sei Absicht, Manipulation, Bevormundung, von finsteren Mächten orchestriert, um die öffentliche Meinung in ihrem Sinn zu beeinflussen. Aber die Wahrheit ist hier viel banaler. Natürlich gibt es Heerscharen von Spin Doctors, die sich diesen Versuchen widmen. Natürlich wird Selenskyj – im Gegensatz zu Putin – hochkarätig und sorgfältig beraten, wie er öffentlich aufzutreten hat. Vom gedrechselten Inhalt seiner Reden bis zu seiner Kleidung, seinem Gesichtsausdruck.

Aber das wäre durchschaubar, wenn man sich die Mühe machte. Wenn sich der 100. Todestag eines Welterschütterers wie Lenin jährt, um das zweite aktuelle Beispiel zu nehmen, dann wäre eine Würdigung, eine Auseinandersetzung auf Niveau mit seinen Taten geboten, vor allem in einem Intelligenz-Blatt wie der NZZ. Wenn stattdessen übelwollend die Krankheitsgeschichte seiner letzten Jahre ausgebreitet wird, ist das zwar kein Verstoss gegen das Wahrheitsgebot, aber so jämmerlich, dass der Leser sich auch fragt, wieso er dafür einen Haufen Geld zahlt.

Fazit: Journalismus, der die Übereinkunft mit seinen Konsumenten einseitig aufkündigt, schafft sich damit ab. Das ist nicht den Umständen geschuldet. Sondern selbstverschuldet. In der Schweiz steht Tamedia am nächsten vor diesem Abgrund, gefolgt vom «Blick».

Trumps allerschärfste Waffe …

… sind Journalisten vom Schlag eines Stefan Kornelius.

Der ist nicht irgendwer, sondern Leiter des «Polit-Ressorts der Süddeutschen Zeitung». Er hat den krachledernen Bayernstil perfektioniert, was die Eingeborenen dort derblecken nennen.Das kommt im Bierzelt nach der dritten Mass sehr gut an, aber in angeblichen Qualitätsorganen? Der Verbal-Amok, wie ihn ZACKBUM schon bezeichnen musste, hat eine Lieblingsvokabel, wenn es gegen seine Lieblingsgegner geht: Lügner. Zuletzt arbeitete sich Kornelius an Lawrow ab: «Der russische Außenminister setzt Standards für alle aktiven Populisten und Demagogen, zu deren wichtigster Befähigung es gehört, Tatsachen in Lügen und Lügen in Tatsachen zu verwandeln. Lawrow ist so etwas wie die Verbalausgabe eines Spiegels: Was er von sich gibt, ist nur spiegelverkehrt korrekt

Wunderlich gedrechselte Wortkaskade, aber der Inhalt, Belege? Da wird’s dann dünn: dem Aussenminister sei zum Beispiel entgangen, dass es sich bei Selenskyj «in Kiew um eine demokratisch gewählte Regierung handelt». Wer einen durch einen Oligarchen gekauften Wahlsieg in einem hochkorrupten Land ohne grosse demokratische Tradition oder Strukturen demagogisch so hochjubelt, kann eigentlich nicht ernst genommen werden.

Aber versuchen wir’s doch, denn Kornelius reiht sich vorhersehbar bei den Alarm-Kreischen ein, die vor Donald Trump warnen müssen und wollen. In der SZ heisst sein Erguss «Er ist entfesselt». Damit meint er Trump, aber der Titel passt perfekt auf ihn selbst. Tamedia hat dann daraus gemacht: «Trump nutzt seine schärfste Waffe: die Lüge».

Das Ausmass der Erregung des Schreibers kann man einfach darin messen, welche Fotografie von Trump verwendet wird. Hier das Bildzitat aus dem Tagi:

Trump beim Derblecken.

Kornelius bibbert bereits heute so vor diesem Gottseibeiuns, dass er gleich um himmlische Hilfe bittet: «Offenbar kann nur noch ein Himmelszeichen diesen Mann zumindest als Präsidentschaftskandidaten der Republikaner verhindern.» Oder ein Menetekel an der Wand oder vielleicht ein Blitzschlag.

Denn es wird nicht, es ist schon grauenhaft: «Die Entfesselung des Kandidaten Trump ist ein nahezu totalitäres Schauspiel.» Versteht man nicht? Nun, wenn die Erregung die Feder führt, dann geraten Worte und Gedanken ins Schlingern.

Was ist denn passiert? In einem der vielen Prozesse gegen ihn hat Trump die Plattform genutzt und das getan, was jeder Angeklagte tut: er nennt die Vorwürfe «Betrug an mir», er werde von der Staatsanwältin gehasst, der Richter habe eine eigene «Agenda». Das sind nun ruppige Behauptungen, aber direkt lügen kann man Trump damit nicht unterstellen.

Denn in Wirklichkeit sind die Medien schon längst eine Symbiose mit Trump eingegangen. Seine Unterstützer und seine Gegner tun genau das Gleiche. Sie bieten ihm Multiplikationsplattformen, weil Trump immer für eine Show gut ist. Er darf einfach nicht zu lange ins Labern geraten, sonst wird es ein Desaster wie sein Gespräch mit Tucker Carlson, in dem er am Rande des Deliriums fabulierte und sich verhaspelte. Aber auch das bescherte dem Moderator Traumeinschaltquoten.

Hier aber hat Trump einfach ein paar seiner üblichen Sottisen zum Besten gegeben, weder neu, noch originell noch weltbewegend. Ausser für Kornelius, der deswegen gleich alle journalistischen Grundsätze über Bord wirft, selbst den Anschein von Objektivität fahren lässt. Nicht nur, dass er hier belegfrei (obwohl es genügend Anlass gäbe, Trump der Lüge zu überführen, aber dafür müsste man als Leiter Politkabarett doch tatsächlich etwas recherchieren) den voraussichtlichen Präsidentschaftskandidaten der Republikaner als Lügner beschimpft.

Nicht nur, dass Koryphäe Kornelius keinen Versuch unternimmt, sich und seinen Lesern zu erklären, wieso rund die Hälfte der US-Stimmbürger für diesen Lügner sind. Das wäre allerdings mit etwas intellektuellem Aufwand verbunden, mit der Fähigkeit zur Analyse, zur Einordnung. Aber das ist Kornelius doch wesensfremd geworden. Wahrscheinlich denkt er, dass halt die Hälfte der Amis bescheuert ist, zu blöd, um richtig abzustimmen, eine Schande für die Demokratie. Aber das traut er sich dann doch nicht zu schreiben.

Dafür das starke Stück hier: «Wie schon vor vier Jahren werden die demokratischen USA alle Kraft aufbringen müssen, um Trump zu stoppen.» Kornelius bietet in diesem titanischen Abwehrkampf seine bescheidenen Dienste an. Nur: genau solche Amokläufer wie er sind die besten Helfershelfer Trumps. Sie bemühen sich erfolgreich, ihn mit ihrem Geschimpfe noch zu unterbieten, sein unterirdisches Niveau von schräg unten anzukläffen. Das löst ausserhalb der Gesinnungsblase um Kornelius herum bei vielen Lesern den Reflex aus: also wenn der Mann so masslos angerempelt wird, aufs Übelste beschimpft und verleumdet, dann muss doch was an ihm dran sein. Ungelogen.

Kurze Labsal

Man darf ja mal verschnaufen.

Die aktuelle Ausgabe der NZZ bietet dazu Gelegenheit. Die Lektüre ist schmerzlich. Weil sie daran erinnert, was Journalismus einmal war und was er (gelegentlich) auch heute noch kann. Dazu bietet die NZZ vom 12. Januar online das Anschauungsmaterial.

Die Warnung vor einem «geistigen Bürgerkrieg» von Eric Gujer. Interessante Überlegungen von Katharina Fontana, ob ein allfälliges neues Rahmenabkommen dereinst vom Bundesrat dem Volk und den Ständen zur Abstimmung vorgelegt werden wird. Eine Analyse zu den Wirtschaftsplänen des neuen argentinischen Präsidenten Javier Milei, die ohne Kettensäge und Anarchokapitalist auskommt.

Natürlich gibt es auch kleine Flecken auf der weissen Weste, so ein Interview mit dem völlig unparteiischen Politikwissenschaftler Ron Hassner, der unwidersprochen solchen Unfug sagen kann: «Die politischen Führungsfiguren wie Biden verstehen, dass die Forderung nach einer Waffenruhe lächerlich ist und hauptsächlich das Überleben der Hamas sichert.» Das ist schlichtweg eine Fehlinterpretation, aber hier wird’s ganz schummerig: «Doch spätestens seit dem 7. Oktober sollte jeder, der glaubte, die Hamas sei eine politische Bewegung oder eine Gruppe von Freiheitskämpfern, begriffen haben, dass es sich um eine Gruppe Wahnsinniger handelt. Unter ihnen befinden sich Soziopathen und sexuell Perverse. Das sind keine Leute, mit denen man verhandeln kann.» Diese Entmenschlichung des Gegners, seine Reduktion auf Soziopathen und sexuell Perverse, seine Verurteilung als schlichtweg Wahnsinnige trägt nichts dazu bei, den Konflikt zu verstehen und ist eigentlich eines Wissenschaftlers unwürdig.

Aber ein launiger Kommentar «Das Zwingli-Zwängli-Zürich war schon immer ein Hort der Eiferer und Prediger. Das neue rot-grüne Bünzlitum wird nun aber zum Problem», tröstet wieder ungemein. Eine Recherche über die «zweifelhafte Rolle von Terre des Hommes im Geschäft mit Adoptionen», ein Essay «über den Kult um das ewige Leben» und den Körper als Kathedrale, die Fortsetzung der «Alkohol ist Gift»-Debatte, in wunderschöner Nähe zu «Der Nachtfalter in der Bundeshauptstadt: Drei Gläser sind kein Glas zu viel. Es mag ein trockener Januar sein, aber unser geflügelter Bar-Tester macht sich nichts draus: Er fliegt von Theke zu Theke, diesmal in Bern», das ist wahrer Liberalismus.

Und, und, und. Vielleicht strahlt die NZZ auch nur deswegen so hell, weil die grossen Mitbewerber wie abgebrannte Kerzen flackern. Wobei dort, also bei CH Media, Tamedia und Ringier, die Probleme nicht in erster Linie durch Sparmassnahmen und grosses Rausschmeissen verursacht werden. auch nicht nur durch einen falsch verstandenen Frauenwahn, sozusagen eine umgekehrte Geschlechterdiskriminierung, die nicht mehr nach Fähigkeiten befördert, sondern nach Geschlechtsteil.

Denn es wäre auch möglich, mit weniger Kräften und weniger Kohle interessante Blätter zu machen, online zu bereichern und zu überraschen. Dabei ist nicht das Geschlecht entscheidend, sondern die Fähigkeit. Man kann aus der Beobachtung eines Wartesaals ein funkelndes Stück Unterhaltung machen. Natürlich kann das kaum einer so wie Joseph Roth. Natürlich ist es nicht vielen gegeben, auf der Flughöhe eines Kurt Tucholsky oder Karl Kraus zu schreiben. Aber versuchen könnte man es doch. Aber eben, wenn man nicht kann …

Verfassungsfeind Kissling

Darf jetzt bei Tamedia jeder alles?

Der Gastkommentator Hans Kissling «ist Volkswirtschaftler und ehemaliger Chef des Statistischen Amtes des Kantons Zürich», klärt der Tagi den Leser auf. Das heisst, er lag als Staatsangestellter dem Steuerzahler auf der Tasche. Vielleicht dürfte man von Beamten eine gewisse Verfassungs- und Gesetzestreue erwarten.

Aber nicht von Kissling. Der behauptet, es gäbe eine «unheilige Allianz», die «verhindert, dass die Schweiz der Ukraine die benötigten Waffen liefert». Und er fordert ultimativ: «Das muss sich 2024 ändern

Nun gibt es in der Schweiz auf der einen Seite die Meinungsfreiheit, genauer: «Jede Person hat das Recht, ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu äussern und zu verbreiten.» Davon macht Kissling ungehemmt Gebrauch. Das darf er, denn jeder hat das Recht, sich öffentlich zum Deppen zu machen.

Aber das ist nur die Einleitung zu seinem happigen Vorwurf. Denn die USA und die EU lieferten «dringend benötigte Waffen im Umfang von Dutzenden von Milliarden Franken». Womit es allerdings zurzeit ziemlich harzt, was der Statistiker unterschlägt. Dann versteht Kissling die Präambel der Bundesverfassung falsch, dort stehe, dass es darum gehe, «Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt zu stärken». Allerdings lässt Kissling die Einleitung dazu weg: «im Bestreben, den Bund zu erneuern, um Freiheit und Demokratie …» Was für ein Verfassungsfreund.

Aber nun geht’s erst richtig los. Hier praktiziere die Schweiz «keine Solidarität». Wozu genau missbraucht Kissling diesen Begriff? Die Schweiz sei unsolidarisch, weil sie keine Waffen liefere und das «mit dem Kriegsmaterialgesetz» begründe, «welches vorschreibt, dass keine Rüstungsgüter an kriegsführende Länder geliefert werden dürfen». Ganz falsch, donnert Verfassungsexperte Kissling, «dabei führt die Ukraine keinen Krieg gegen Russland, sondern verteidigt sich gegen einen Aggressor».

Vielleicht sollte Kissling mal das Schweizer Kriegsmaterialgesetz studieren, bevor er solchen Unfug verzapft. Vielleicht sollte Demokrat Kissling zur Kenntnis nehmen, dass das Schweizer Parlament ausdrücklich Sonderregeln für die Ukraine, also eine Lockerung, abgelehnt hat.

Wir empfehlen ihm insbesondere die Lektüre von Art. 22a sowie der Bestimmungen, die eine Wiederausfuhr verbieten, weil sonst Exportrestriktionen kinderleicht ausgehebelt werden könnten. Entscheidend ist schlichtweg das Hindernis, dass Kriegsmaterialexporte nicht bewilligt werden, wenn «das Bestimmungsland in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist». Was bei der Ukraine einwandfrei der Fall ist, wie jeder versteht, der lesen kann.

Nun führt Kissling das Beispiel von Waffenlieferungen an Saudiarabien an, «welches in den Jemen-Konflikt verwickelt ist». Das ist tatsächlich fragwürdig, aber Kissling als gesetzestreuer Ex-Staatsdiener sollte vielleicht wissen, dass man einen Gesetzesverstoss nicht mit einem anderen legitimieren kann. So nach der Devise: es gibt doch noch mehr Ladendiebe, also darf ich auch klauen.

Aber damit ist Verfassungsfeind Kissling noch nicht am Ende: «Geradezu grotesk ist der Umstand, dass die Schweiz europäischen Staaten die Lieferung von in der Schweiz gekauften Waffen in die Ukraine verbietet. Die meisten europäischen Staaten zeigen wenig Verständnis für die unfaire Schweizer Haltung.»

Für ihn ist also die Einhaltung geltender Schweizer Gesetze «grotesk». Das sei eine «unfaire Haltung», die zudem bei europäischen Staaten auf «wenig Verständnis» stosse. Die Einhaltung Schweizer Gesetze ist also zudem «unfair». Deutschland hat fast identische Rüstungsexportgesetze wie die Schweiz, pfeift aber im Fall der Ukraine darauf. Und an Saudiarabien werden wohl weiterhin Starfighter geliefert. Ist das vielleicht «fair» und nicht grotesk?

In was für einem Rechtstaat möchte Kissling lieber leben? In einem, der sich wie die Schweiz an seine Gesetze hält – oder in einem, der sich wie Deutschland darum futiert? Wer ist seiner Meinung nach daran schuld, dass sich «bisher weder der Bundesrat noch das Parlament in Richtung Unterstützung der defensiven Wehrbereitschaft der Ukraine bewegen»? «Eine unheilige Allianz», setzt sich Kissling noch einen Heiligenschein auf: «Das linksgrüne Lager will die Rüstungsindustrie so klein wie möglich halten oder sogar abschaffen, die Rechtskonservativen haben die Neutralität zum Staatszweck der Schweiz verklärt

Sieht Kissling wenigstens kleine Hoffnungszeichen? Nicht bei der SVP: «Da herrscht zu viel offene und heimliche Bewunderung für das despotische Regime in Russland.» Eine solche Denunziation müsste eigentlich mit ein, zwei Belegen untermauert werden. Aber doch nicht von einem Statistiker. Der setzt seine Hoffnung auf das «linksgrüne Lager», das mit Helfershelfern «den Weg frei macht für die Lieferung von lebensrettenden Flugabwehrsystemen».

«Weg frei machen»? Wie sollte das gehen? Das ginge nur durch eine entsprechende Gesetzesänderung, die das Parlament bereits abgelehnt hat. Oder es ginge mit Willkür und Bruch geltender Gesetze. Diese insinuierte Forderung traut sich Verfassungsfeind Kissling nicht offen auszusprechen.

PS: Diese Replik wurde leicht entschärft bei der liberalen Plattform «Tages-Anzeiger» eingereicht, die als Quasi-Monopolmedium um ihre Verantwortung weiss, verschiedene Meinungen zu Wort kommen zu lassen. Der zuständige Redaktor Fabian Renz wollte eine enteierte und gekürzte Version. Er bekam und veröffentlichte sie, was erstaunt und  für ihn spricht.

Wumms: Jan Diesteldorf

Dummschwätzer breiten sich in Tamedia weiter aus.

Jan Diesteldorf ist ein weiterer unerwünschter Ausländer beim Tagi. Brüssel-Korrespondet, dann im Frankfurter Büro der «Süddeutschen Zeitung». Das qualifiziert ihn zu einem «Essay» in der SZ: «Wer zögert, verliert». Im Tagi wird das zur «Analyse» hochgezwirbelt: «Drei Wege, um Putin in die Knie zu zwingen». Dem schlottern sie jetzt schon …

Denn Diesteldorf haut zunächst allen Befürwortern von Sanktionen eins in die Fresse, denn er weiss als Einziger, wie man den Kremlherrscher fertigmacht: «Sanktionen konnten Russlands Kriegswirtschaft nicht ausbremsen, im Gegenteil. Jetzt muss Europa alles tun, um den Kreml da zu treffen, wo es schmerzt: beim Geld.» Ein typischer Schwurbler, den erkennt man an der Blubber-Formulierung «jetzt muss Europa alles tun». Wer ist Europa, warum muss es jetzt, weil Diesteldorf den Befehl gibt? Immerhin, nach einem solchen Flachsinn ist der mündige Leser gewarnt und stellt die weitere Lektüre ein.

Ausser, ZACKBUM muss seiner Berichterstatterpflicht nachgehen, was schon eine Bürde ist, die wir aber mit Fassung tragen. Zunächst, gelernt ist gelernt, der szenische Einstieg: «… die Raketen fliegen, sie treffen Kiew, sie treffen Charkiw, ihre Wucht tötet Menschen, lässt Häuser brennen und einstürzen, sie unterbrechen die Versorgung mit Strom und Gas».

Was haben wir? Einen «zuversichtlichen Lügner» auf der einen Seite, schlimmer noch: «Putins Siegesgewissheit ist kein hohles Geschwätz. Sie ist gut begründet.» Auf der anderen Seite schwindende Ambitionen der EU, ihm die Stirn zu bieten, dazu noch das Quertreiben des «Populisten und Russlandfreunds Orban». Das Panoptikum des Schreckens wäre nicht vollständig, fehlte dies, nämlich «dass sich mit Donald Trump wieder jemand warmläuft, der mit Putin nicht nur die Siegesgewissheit gemein hat». Was sonst noch? Die Frisur? Den Wunsch, Kriege zu führen? Was für ein hohles Geschwätz.

Hohl, aber mit Pathos vorgetragen: «Dabei hat sich an der moralischen Verpflichtung für Europa und den Westen und jeden einzelnen Bürger, der in jener Freiheit lebt, die die Ukrainer stellvertretend verteidigen, nichts geändert.» Genau, wir Freiheitsliebenden wollen sie bis zum letzten Ukrainer verteidigen, unerschrocken und mit der Waffe in der Hand. Beziehungsweise auf der Tastatur im wohlgeheizten Büro.

Dann überrascht Diesteldorf mit aus den Überschwemmungen in Deutschland gezogenen Erkenntnissen: «Ein Damm ist eben nur dicht, wenn man ihn zu Ende baut.» Unfertige Dämme sind untauglich, das sollte man den Niedersachsen endlich mal sagen.

Aber was nützt dieses Beispiel im Kampf gegen Putin? Was hat Diesteldorf zu bieten? «Ölpreisdeckel verschärfen, komplettes Gasembargo, Sekundärsanktionen». Gähn. Irgendwie fällt es ihm selber auf, dass seine drei Wege, «Putin in die Knie zu zwingen», höchstens funktionierten, wenn Putin beim Schlapplachen umfällt. Daher winselt der Autor zum Schluss: «Wohl wahr, das alles hat kaum Aussicht auf Erfolg.»

Schlimm, ist das denn alles? Fast: «kurz bevor sich der Krieg zum zweiten Mal jährt, sollte man es den Ukrainern gleichtun und die Hoffnung nicht aufgeben.» Genau, die Hoffnung stirbt zuletzt. Auch darauf, dass bei Tamedia endlich mal wieder so etwas wie eine Qualitätskontrolle Einzug hält. Bevor der Leser auf die Knie fällt und um Gnade und Verschonung von solch gebackener Luft winselt.

Die Umschreiber

Zwischen Fakt und Fiktion. Selbstentleiber auf den Redaktionen.

Nehmen wir an, es passe nicht ins korrekte Weltbild, dass es schneit. Während vor den Fenstern dicke Flocken vom Himmel fallen, holt der Umschreiber in seiner Verrichtungsbox tief Luft, setzt sich die schalldämpfenden Kopfhörer auf und legt los.

Die Bezeichnung Schneefall für das Symptom des Klimawandels hält einer näheren Betrachtung nicht statt. Oberflächlich betrachtet sieht es danach aus, aber wie wissenschaftliche Untersuchungen erwiesen haben, sind die einzelnen Schneeflocken deutlich kleiner als früher, ihre kristalline Struktur ist durch Umweltverschmutzung zerstört. Das Gleiche gilt übrigens für die gedankenlose Verwendung von «es regnet».  Die Anzahl Regentropfen hat deutlich ab-, ihr Giftgehalt zugenommen. Genauer müsste man von saurem, toxischem Tröpfeln sprechen.

Es käme doch keiner der wahrhaftigen Wiedergabe der Realität verschriebenen Journalisten auf die Idee, einen solchen Stuss zu sabbern? Aber sicher doch.

Eine hochwissenschaftliche Studie zweier angesehener Professorinnen über die Karrierewünsche von Studentinnen wird mit untauglichen Argumenten niedergemacht. Die Wahlchancen von Donald Trump. Die angebliche Existenz eines Netzwerks von rechtspopulistischen und verschwörungstheoretischen Infokriegern. «SonntagsZeitung» und «Tages-Anzeiger» mit rechtspopulistischer Agenda. Die faschistoide, wenn nicht offen faschistische AfD. Die wünschens- und lebenswerte 10-Millionen-Schweiz. Alles Männer- (seltener Frauen-)Fantasien wie von einem anderen Planeten.

Die Abfolge an Beispielen reisst nicht ab und vermehrt sich täglich ins Absurde: in den meisten Massenmedien, ganz extrem aber bei Tamedia und im Randgruppenorgan «Republik», findet ein bemühtes Umschreiben der Wirklichkeit statt. Was nicht passt, wird passend gemacht. Framing, Narrative, festgelegte und unerschütterliche Weltbilder haben Neugier auf die Realität, auf die Fähigkeit, Widersprüchlichkeiten auszuhalten und darzustellen, besiegt.

Selbst krachende Niederlagen in der Vergangenheit vermögen nicht, Wiederholungen von blühendem Wunschdenken zu verhindern. Längst vergessen, dass das Schweizer Farbfernsehen noch tief in die Wahlnacht hinein es nicht wahrhaben wollte, dass die USA nicht zum ersten Mal eine Frau zur Präsidentin gewählt hatten. Auch nachher kamen die «Analysen» nicht über das Niveau hinaus, dass die Amis halt massenhaft ungebildete Schwachköpfe seien, die trotz strengen Ermahnungen falsch gewählt hätten.

Ein ewiger Topos bei diesen Umschreibern ist auch das Verhältnis der Schweiz zur EU. Auch wenn sich angesichts völlig klarer Meinungsumfragen kaum einer mehr traut, offen für den Beitritt zu diesem dysfunktionalen Gebilde mit einer absaufenden Währung zu fordern, wird in Dauerschleife das Abseitsstehen der Schweiz, die Rosinenpickerei, die dramatischen Auswirkungen auf Forschung und Wirtschaft bedauert und bejammert. Es sei vermessen, einen «Sonderweg» zu wählen, sich nicht dreinzuschicken. Nur «Populisten» von der SVP verträten diese irrige Meinung. Damit schreiben diese Besserwisser an der Mehrheit ihrer eigenen Leser vorbei.

Einen Erziehungsauftrag sehen viele, meist männliche Kampfschreiber auch auf dem Gebiet der korrekten Schreibe und Denke. Jedes Sprachverbrechen, jede Verunstaltung ist ihnen recht, wenn sie angeblich inkludierend, nicht rassistisch, nicht frauenfeindlich sei. Dass der überwältigenden Mehrheit der Leser das Gendersternchen und andere Verhunzungen nicht nur schwer am Allerwertesten vorbeigehen, sondern von ihr als nervig und störend empfunden werden – was soll’s, da sieht die Chefredaktorin von Tamedia nur verschärften Erziehungsbedarf.

Interessant zu beobachten ist, dass sich CH Media weitgehend bedeckt und normal verhält, was das Umschreiben der Wirklichkeit betrifft. Der «Blick» ist gegenüber seinem früheren Lieblingsfeind, der SVP und ihrem Herrgöttli aus Herrliberg, oder ihrem «Führer», wie ihn das Hausgespenst zu titulieren beliebte, handzahm geworden. Aber auf dem Weg dorthin hat sich das Boulevardblatt, das keins mehr sein darf, selbst entkernt, entleibt, seiner Existenzberechtigung beraubt.

Einigermassen vernünftig verhält sich lediglich die NZZ, die sich gelegentlich intellektuell und sprachlich hochstehend über all diese Genderverirrungen der Kollegen lustig macht.

Wenn es nur der Kampf um den Mohrenkopf wäre, könnte man das als realitätsfernen Spleen einiger Journalisten abtun, die sich an der Sprache abarbeiten, weil ihnen die Realitätsbeschreibung zu anstrengend ist. Aber leider metastasiert dieses Phänomen in alle Winkel und Räume der Welt. Erschwerend kommt noch hinzu, dass immer mehr Journalisten fachfremd, ungebildet und ohne Hintergrundwissen sind. Ein peinliches Trauerspiel, wie die gesamte Schweizer Wirtschaftsjournaille eins ums andere Mal von angelsächsischen Medien bei der CS-Katastrophe abgetrocknet wurde.

Multikulti, Ausländerkriminalität, Aufarbeitung des Regierungshandelns während Covid, die Suche nach der Wirklichkeit im Ukrainekrieg, eine realitätsnahe Darstellung Chinas und anderer gegendarstellungsfreier Räume, Interviews, in denen dem Gesprächspartner nicht einfach Stichwörter zur freien und beliebigen Beantwortung hingeworfen werden – da herrscht zunehmend «flat lining». So nennt der Arzt den Hirntod, wenn auf dem Monitor nur noch flache Linien statt Ausschläge zu sehen sind.

Es ist eine Mär, dass mit weniger Mitteln halt nur noch Mittelmässiges, Mittelloses hergestellt werden könnte. Ein Blick aus dem Fenster genügte, um zu faszinierenden Storys zu kommen. Denn nie war die Wirklichkeit bunter, scheckiger, widersprüchlicher, interessanter, faszinierender, verwirrender als heute. Aber das muss man aushalten können.

Schlimmer noch: um das zu beschreiben, braucht es gewisse intellektuelle Voraussetzungen und sprachliche Fähigkeiten. Aber in ihrem tiefsten Inneren wissen viele dieser Rechthaber, Umschreiber, Umerzieher, dieser Worthülsenwerfer («dringend geboten, müsste sofort, energische Massnahmen, Fehler korrigieren»): damit decken sie nur das eigene Unvermögen zu, die tiefe Verunsicherung, die mangelhafte Beherrschung der deutschen Sprache zwecks Annäherung an die Wirklichkeit.

Aber es ist wie bei des Kaisers neuen Kleidern: immer mehr Leser sehen, dass diese selbsternannten Meinungskönige pompös daherschreiten, mit strengem Blick Zensuren verteilen, Handlungsanweisungen geben, der Welt sagen, wie sie zu sein hätte – aber in Wirklichkeit nackt sind. Lächerlich nackt. Und was ist schon ein lächerlicher Kaiser? Das Gleiche wie ein lächerlicher Journalist: überflüssig und machtlos.