Kurze Labsal

Man darf ja mal verschnaufen.

Die aktuelle Ausgabe der NZZ bietet dazu Gelegenheit. Die Lektüre ist schmerzlich. Weil sie daran erinnert, was Journalismus einmal war und was er (gelegentlich) auch heute noch kann. Dazu bietet die NZZ vom 12. Januar online das Anschauungsmaterial.

Die Warnung vor einem «geistigen Bürgerkrieg» von Eric Gujer. Interessante Überlegungen von Katharina Fontana, ob ein allfälliges neues Rahmenabkommen dereinst vom Bundesrat dem Volk und den Ständen zur Abstimmung vorgelegt werden wird. Eine Analyse zu den Wirtschaftsplänen des neuen argentinischen Präsidenten Javier Milei, die ohne Kettensäge und Anarchokapitalist auskommt.

Natürlich gibt es auch kleine Flecken auf der weissen Weste, so ein Interview mit dem völlig unparteiischen Politikwissenschaftler Ron Hassner, der unwidersprochen solchen Unfug sagen kann: «Die politischen Führungsfiguren wie Biden verstehen, dass die Forderung nach einer Waffenruhe lächerlich ist und hauptsächlich das Überleben der Hamas sichert.» Das ist schlichtweg eine Fehlinterpretation, aber hier wird’s ganz schummerig: «Doch spätestens seit dem 7. Oktober sollte jeder, der glaubte, die Hamas sei eine politische Bewegung oder eine Gruppe von Freiheitskämpfern, begriffen haben, dass es sich um eine Gruppe Wahnsinniger handelt. Unter ihnen befinden sich Soziopathen und sexuell Perverse. Das sind keine Leute, mit denen man verhandeln kann.» Diese Entmenschlichung des Gegners, seine Reduktion auf Soziopathen und sexuell Perverse, seine Verurteilung als schlichtweg Wahnsinnige trägt nichts dazu bei, den Konflikt zu verstehen und ist eigentlich eines Wissenschaftlers unwürdig.

Aber ein launiger Kommentar «Das Zwingli-Zwängli-Zürich war schon immer ein Hort der Eiferer und Prediger. Das neue rot-grüne Bünzlitum wird nun aber zum Problem», tröstet wieder ungemein. Eine Recherche über die «zweifelhafte Rolle von Terre des Hommes im Geschäft mit Adoptionen», ein Essay «über den Kult um das ewige Leben» und den Körper als Kathedrale, die Fortsetzung der «Alkohol ist Gift»-Debatte, in wunderschöner Nähe zu «Der Nachtfalter in der Bundeshauptstadt: Drei Gläser sind kein Glas zu viel. Es mag ein trockener Januar sein, aber unser geflügelter Bar-Tester macht sich nichts draus: Er fliegt von Theke zu Theke, diesmal in Bern», das ist wahrer Liberalismus.

Und, und, und. Vielleicht strahlt die NZZ auch nur deswegen so hell, weil die grossen Mitbewerber wie abgebrannte Kerzen flackern. Wobei dort, also bei CH Media, Tamedia und Ringier, die Probleme nicht in erster Linie durch Sparmassnahmen und grosses Rausschmeissen verursacht werden. auch nicht nur durch einen falsch verstandenen Frauenwahn, sozusagen eine umgekehrte Geschlechterdiskriminierung, die nicht mehr nach Fähigkeiten befördert, sondern nach Geschlechtsteil.

Denn es wäre auch möglich, mit weniger Kräften und weniger Kohle interessante Blätter zu machen, online zu bereichern und zu überraschen. Dabei ist nicht das Geschlecht entscheidend, sondern die Fähigkeit. Man kann aus der Beobachtung eines Wartesaals ein funkelndes Stück Unterhaltung machen. Natürlich kann das kaum einer so wie Joseph Roth. Natürlich ist es nicht vielen gegeben, auf der Flughöhe eines Kurt Tucholsky oder Karl Kraus zu schreiben. Aber versuchen könnte man es doch. Aber eben, wenn man nicht kann …

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