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Die SoZ macht sich

Wer hätte gedacht, dass die SoZ die NZZaS abtrocknet?

Journalismus ist halt ein People’s Business. Der Mann (oder die Frau) am Steuerrad entscheidet. Da hat sich in jüngster Zeit einiges zum Schlechteren verändert.

Längere Zeit waren Christian DorerBlick»-Familie), Arthur Rutishauser (Tamedia) und Patrik Müller (CH Media) die Platzhirsche im Tageszeitungsgeschäft. Auf einem anderen Planeten schwebt Eric Gujer (Chefredaktor, Geschäftsleiter und God Almighty der NZZ).

Dann wurden Dorer und Rutishauser übel gemobbt. Nach einer angeblichen «Untersuchung», deren Ergebnisse niemals bekannt gegeben wurden und angeblichen Gesprächen über eine Weiterbeschäftigung, war Dorer weg. Und ist seither Leiter der Migros-Kommunikation. Rutishauser wurde nach einem Protestbrief von 78 erregten Tagi-Frauen, die niemals belegte, vage Anschuldigungen erhoben, die alle männlichen Mitarbeiter unter Generalverdacht stellten, zum SoZ-Chefredaktor zurückgestuft. Nur Müller konnte sich halten und gewann sogar den Nahkampf mit der publizistischen Leiter nach unten Pascal Hollenstein. Der desavouierte sich als Sprachrohr für Jolanda Spiess-Hegglin und wurde von einem Tag auf den anderen entsorgt.

Sozusagen als Kollateralschaden musste auch Jonas Projer sein Pult bei der NZZaS räumen; nachdem seine Nachfolgerin auf der Zielgeraden absagte, wurde Beat Balzli, eigentlich vorgesehen als Booster für die Deutschland-Offensive, notfallmässig sein Nachfolger bei der NZZaS. Und Gieri Cavelti legt Wert auf die Feststellung, dass er sein Pult als Chef des SoBli freiwillig geräumt habe.

Was nachkam, nun, auch auf die Gefahr hin, der Misogynie bezichtigt zu werden: ein Frauenbonus wird in leitenden Positionen schnell zum Malus …

All diese Hintergründe muss man kennen, wenn man aktuell konstatiert: Der SoBli unter Reza Rafi hat weitgehend seine Bedeutung als ernstzunehmende Stimme am Sonntag verloren. Die NZZaS dümpelt mit Belanglosigkeiten vor sich hin, seine noch nicht vollständig in die NZZ integrierte Restmannschaft frönt ihren Pläsierchen, der Chefredaktor blamiert sich mit Editorials, die deutsche Unwichtigkeiten enthalten.

Und die SoZ läuft unter Rutishauser zu alten Formen auf. Höchstens Lukas Hässig mit seinem «Inside Paradeplatz» übertrumpft sie im CS-UBS-Bashing, dank Rutishausers Quellen und Beziehungen – und seiner ungebrochenen Schreibkraft.

Aber auch das Geschäft des Breitbandangebots beherrscht er. Während die NZZaS mit einer verunglückten Konservenbüchse aufmacht, setzt die SoZ auf einen Promi, der seinen runden Geburtstag feiert:

Auch wenn die SoZ gelegentlich unter einem verunglückten Layout leidet, das zu jedem Seitenaufmacher ein Riesenfoto verlangt, was dann oftmals an Banalität nicht zu überbieten ist, hat man hier ein nettes Porträt des Schneemenschen Reinhold Messner ausgegraben. Dazu ein kleiner Aufreger, eigentlich zwei. «Klimagesetz ist unsinnig und unsozial», da werden im Kreis 8 vegane Müeslis auf die SoZ gespuckt. Und «Schweizer Pistolen schützen Putin»; schlimmer wäre nur, wenn er auch noch eine Schweizer Uhr trüge. Hoppla, er trägt gelegentlich eine Schweizer Uhr, der böse Schlingel.

Auch der Immer-noch-Redaktor Peter Burkhardt bastelt aus Versatzstücken eine nette Rempelei-Story gegen den reichsten Schweizer zusammen. Denn Klaus-Michael Kühne hat wie viele Erben ein bewunderndes Verhältnis zu seinem Vater, der allerdings während dem Braunen Reich in üble Geschäfte verwickelt war, was der Sohn nicht wahrhaben will. Beziehungsweise den Deckel auf allen entsprechenden Dokumenten und Untersuchungen draufhält.

Dann noch ein «Heimkind», das «an den Behörden verzweifelte», Neues von der «Fettwegspritze»,  und als Auflockerung Tim und Struppi. Alleine der inhaltliche und visuelle vergleich mit der NZZaS lässt wenig Fragen offen:

Im Editorial regt sich Rutishauser wohlfeil auf: «Dass Russland mit Schweizer Waffen Krieg führt, ist eine Schande». Ist zwar etwas aufgepumpt – auch Rutishauser lässt sich gelegentlich von der Pumpstation Tagi anstecken –, aber erregt den Leser, was ja der Sinn der Sache ist.

Dann ein Schulthema, nicht weltbewegend, aber immer für Aufreger gut. Diesmal nicht wieder ein Verriss der letzten, gescheiterten Schulreform, sondern die Frage, wie die Schulen gegen die Handy- und Smartwatch-Plage vorgehen sollten.

Schliesslich der aufgepumpte Aufreger:

Issja furchtbar; hoffentlich haben die Waffen dann nicht Ladehemmung, was bei Schweizer Sturmgewehren leider vorkommt.

Dann beginnt eine nicht ganz brandneue, aber doch den Leser nicht wirklich amüsierende Werbekampagne mitten im redaktionellen Umfeld:

Geht auch so:

Ob sich der hier sicher genannt sein wollende Online-Händler damit einen grossen Gefallen tut?

Der alte, erfahrene USA-Kenner Martin Suter, der vielen «wir hassen Trump und lieben Harris»-Flachdenkern kräftig auf den Zeiger geht, weil er sich im Gegensatz zu den meisten anderen bemüht, so genau wie möglich die Wirklichkeit abzubilden, weist dann wieder auf die alte Erkenntnis von Bill Clintonit’s the economy, stupid») hin:

Dann kommen wir zu einem absoluten Stehaufmännchen. Marcel Salathé. War der nicht mal der grosse Corona-Guru der Schweiz? Überpräsent auf allen Kanälen? DER Fachmann? Und dann weg? Denn ohne Corona kein Salathé. Während aber viele seiner Kollegen (und Kolleginnen, man erinnert sich an Isabella Eckerle «Die Schweiz braucht einen Lockdown»?) in der Dunkelheit der Laborforschung verschwunden sind, hat sich Salathé neu erfunden. Schluss mit Epidemiologe, her mit dem «Co-Leiter des neuen KI-Zentrums der ETH Lausanne». Eine Wiedergeburt erster Klasse. Und um grosse Worte war er noch nie verlegen:

Und er weiss, zur Message gehört auch das entsprechende Foto:

Wie von Rodin gemeisselt. Gekonnt ist gekonnt, ein Profi halt, ein Meister der Selbstinszenierung. Aber eben gut.

Bei so viel Interessantem kann man wohlgemut eine Seite Ewiggestriges überblättern. Oder wer will schon lesen, welche Gedanken sich Bettina Weber über das verblühte Supermodell Christy Turlington macht, das letztes Jahr (!) verkündete, sie wolle keine plastische Chirurgie, was Weber spät, aber immerhin auffällt. Jacqueline Badran erinnert sich an ihre erste Anti-AKW-Demo – und daran, dass sie seither nichts dazugelernt hat. Und Markus Somm beschäftigt sich auch noch mit einem verglühten Polit-Pin-up-Girl, das nun wirklich allen zum Hals raushängt.

Aber selbst der «Sport», von ZACKBUM konsequent überblättert (überklettert, machte das Korrekturprogramm draus, endlich eins mit Humor), macht mit einem interessanten Interview mit Yeti Reinhold Messner auf, der schon mehrfach gezeigt hat, dass er nicht nur in seinen Händen Muskeln hat, sondern auch genügend Hirnzellen sein eigen nennt. Und wunderbar: das Interview ist mit Bordmitteln von Christian Brüngger erstellt.

Dann liefert Rutishauser, nach der Kühne-Sause, seinen Aufreger der Woche ab:

Selbst Jorgos Brouzos, der gerne gepflegte Langeweile versprüht, scheint seine Beförderung zum Wirtschafts-Chef gutgetan zu haben.Er erzählt eine hübsche Skandalgeschichte aus dem Unterholz der internationalen Wirtschaftswelt nach. Beteiligt ist das Imperium von Inder Gautam Adani (100 Milliarden Vermögen), die Behauptung des US-Leerverkäufers Hindenburg, dass Adani mit verdeckten Aufkäufen die Aktienkurse seiner Firmen hochmanipuliere und ein Urteil der Genfer Justiz, das 310 Millionen Dollar auf Schweizer Konti gesperrt hat, die darin verwickelt sein könnten. François Pilet veröffentlichte das zuerst auf seinem munteren Blog «Gotham City». Der wurde dann mit DoS-Angriff (Dental of Service, ein Server wird mit so vielen Anfragen bombardiert, dass er schlapp macht) fast in die Knie gezwungen.

Hübsche Crime-Story.

Dann geht’s man kann ein Niveau halt nicht durchhalten, bergab:

In der Schweiz soll es ungefähr 40’000 Transmenschen geben. Das sind 0,44 Prozent der Bevölkerung. Randgruppe trifft es nicht mal ganz. Also ist der Artikel für 99,5 Prozent aller SoZ-Leser zum Überblättern. Dann noch die Autobiographie von Frank Zappa. Nein, der ist schon ein Weilchen tot und kann sich nicht dagegen wehren, dass seine Tochter von seinem Ruhm zehrt und ihre Autobiographie schreibt.

Aufreger, Aufreger, Schauspielerin Gillian Anderson, die auch schon gloriosere Zeiten hatte, hat ein Buch über geheime Sex-Fantasien geschrieben. Von Frauen. Boach, geil.

«Hackbraten», eine Seite über Hackbraten. Weniger geil. Es gibt ein Einzelstück des Porsche 917. Überhaupt nicht geil. «Tintin flog natürlich Swissair», mässig lustig. Der Autor eines neuen Reiseführers über «Bikepacking» darf Gratis-Werbung machen. Auch nicht lustig.

Aber: Zwischen dieser SoZ und der NZZaS liegen Welten. Peinlich für die NZZ.

 

NZZaS wackelt vor sich hin

Wer immer wieder Redesigns macht, ist auch inhaltlich unsicher.

Zurzeit haben wir am Sonntag ein interessantes Phänomen. Die «SonntagsZeitung» gewinnt vor allem dank Arthur Rutishauser an Kraft und stellt die Leistungen des täglichen Tagi in den Schatten. Zudem kritisiert sie indirekt auch Provokationskampagnen wie das Gewese um den angeblichen «Bschiss» beim Unterschriftensammeln für Initiativen.

Im Hause NZZ ist es um gekehrt. Die tägliche NZZ zeigt wenig Schwächen und viele Höhepunkte, God Almighty Eric Gujer zeigt mit stilsicherer Hand, wo’s langgeht. Dafür eiert aber die NZZaS vor sich hin.

Ist so ein Cover-Anriss wirklich auf Niveau?

Und sind solche Layout-Sperenzchen wirklich auf Niveau?

Gut, aber der Inhalt? Nun ja, während Gujer mit spitzer Feder die AfD-Phobie in Deutschland aufspiesst, mäandert Beat Balzli in seinem Editorial um den Begriff Misstrauen herum, rührt Corona, Putin, Trump, Volkswagen, AfD und auch eine «mutmasslich dubiose Unterschriftenbeschaffung» zusammen. Mutmasslich dubios? Das ist Brei.

Und was ist die Lösung? Was kann man gegen Misstrauen tun? «Nulltoleranz muss jetzt die Losung lauten. Das CS-Syndrom darf nicht zur Routine werden.» Solche wohlfeilen Ratschläge mieften schon früher, als sie noch massenhaft angeboten wurden. Aber heute? Wer wird die «Losung» von Balzli aufnehmen? Niemand.

Daneben darf sich auf fast zwei Seiten mal wieder Andreas Mink aus New York austoben. Inhalt? Nun, ungefähr so gehaltvoll wie die riesige Karikatur auf der Doppelseite:

Soll das lustig sein? Illustrativ? Eine Aussage haben (ausser, dass Trump fett und Harris muskulös sein soll)?

Dann wird’s auch verbal aschgrau, die NZZaS versucht ein grauenhaftes Wortspiel im Titel:

Cäsar, Iden des März, Friedrich Merz, CDU-Chef, kapiert? Nein, kapiert keiner. Was die sprichwörtliche Wendung für drohendes Unheil, abgeleitet von der Ermordung Cäsars an einem 15., also einem Idus, dem mittleren Tag des Monats, mit der Zukunft des CDU-Chefs zu tun haben soll? Droht dem etwa auch tödliche Gefahr? Das funktioniert nach der Devise: Wortspiel, komm heraus, du bist umzingelt.

Aus «Foreign Affairs» übernommen dürfen sich zwei Fachkräfte in der Grauzone der Tätigkeit des russischen Geheimdienstes bewegen. Wer nach «Hinter dem Brandanschlag auf ein Warschauer Einkaufszentrum sollen russische Agenten stecken» und «Dahinterstecken soll der russische Geheimdienst» weiterliest, ist selber schuld.

Und wer das hier im Foto lesen kann, hat sehr scharfe Augen:

Wenn der AD zur Leserverarsche neigt und niemand stoppt ihn, dann ist irgend etwas nicht gut.

Aber immerhin, am doppelseitigen Interview mit Serge Gaillard über die von ihm vorgestellten Sparpläne stört nur, dass es ohne sinnloses Symbolbild auch auf einer Seite Platz gehabt hätte.

Wir zeigen die aussagekräftige linke Seite:

Ohne ein paar unscharfe Pflänzchen vor unscharfer Hausmauer wäre das Interview unvollständig. Aber immerhin, der Interviewte ist voll scharf im Bild:

Dann wird’s gähnend langweilig, wie meist, wenn Nicole Althaus am Gerät ist. Immerhin, sie kümmert sich diesmal ausnahmsweise nicht um die Probleme von Frauen im mittleren Alter:

Meine Güte, man nehme einen Allerweltsbegriff, interviewe irgend einen Harvard Professor, et voilà. Der Begriff ist dabei austauschbar. Konstrukt, Selbstbewusstsein, Empathie, Nähe, Tod, man kann wie bei Scrabble in den Sack greifen und was rausfummeln.

Wirtschaft? Nun ja, Flamm Mordrelle versucht tapfer, im Dschungel der Gebühren für Vermögensverwaltung etwas Durchblick zu verschaffen. Da das aber absichtlich als Dschungel angelegt ist, gelingt das nicht wirklich. Und um mal wieder zum ewig gleichen Schluss zu kommen, dass ETFs die billigste und gleichzeitig beste Form der Geldanlage ist, dafür braucht es nicht eine ganze Seite.

Und nochmals, liebe NZZaS, wer sich solche Icons aufschwatzen lässt, sollte zum Augenarzt:

Erfrischend frech ist allerdings diesmal der Kulturaufmacher. Gleich fünf Frechdachse empfehlen einigen ranzig gewordenen Kulturschaffenden: «Lasst es gut sein», denn sie hätten «ihre Schaffenskraft verloren». Da kann man weitgehend einverstanden sein. Hazel Brugger, Martin Suter, Samir, Kim de l’Horizon, Stress, Volltreffer. Mario Botta, Michael Steiner, Daniel Hope, Stefanie Heinzmann, etwas fies, aber begründbar. Aber Globi, das ist gemein und ungerecht. Ob da «Lotta-Leben» oder gar «Gregs Tagebuch» wirklich eine Alternative sein soll?

Dann noch eine rührende Geschichte über Roland Baldenweg. Who? Na, der «Pfuri». Hä? Der Teil des Trios Pfuri, Gorps & Kniri. Toller Name, oder? Zugegeben, die kennen nur noch Leser, die entweder so alt aussehen wie Keith Richards – oder so alt sind. Pfuri ist auch nicht jünger geworden, mit seinen 77, aber der Schnurrbart steht immer noch, und der Schalk sitzt immer noch in den Augen. Und die Mundharmonika spielt immer noch den Blues. Wunderbar.

 

 

 

So ein Frechdachs

Eric Gujer schreibt das Unaussprechliche.

Der NZZ-Chefredaktor hat Mut. Andere reden von Brandmauern, ein CH-Media-Korrespondent erklärt sich umständlich, wieso er die AfD als «rechtsradikal» bezeichne, auch wenn das seinen Lesern nicht passt.

Da man Björn Höcke laut Gerichtsurteil als Faschisten beschimpfen darf, «plagt die Deutschen wieder ein Albtraum: Der Faschismus steht vor der Tür. In Thüringen liegt Björn Höcke fast zehn Prozentpunkte vor der zweitplatzierten CDU».

Der öffentlich-rechtliche Staatsfunk in der BRD kriegt sich fast nicht mehr ein: «Die ZDF-Chefredaktorin Bettina Schausten verglich den Wahlsieg Höckes mit Hitlers Überfall auf Polen.» Auf diesen groben Klotz setzt Gujer einen groben Keil: «Der mit einer Zwangsabgabe finanzierte und daher zur Ausgewogenheit verpflichtete Sender begibt sich auf das Niveau von Fake News und Geschichtsfälschung

Dann lässt er etwas Geschichtskenntnisse über den Leser regnen, wieso Vergleiche mit der Weimarer Republik so abseitig sind wie Versuche, aus Höcke einen Wiedergänger Hitlers zu machen. Der Mann ist ein Brandstifter und zeuselt gerne mit angebräunten Begrifflichkeiten, aber ein Faschist im Sinne Hitlers ist er sicher nicht.

Daher konstatiert Gujer kühl: «Ministerpräsident Höcke, na und? Eine Demokratie, die es nicht aushält, wenn auch einmal zweifelhafte Gesellen die Regierung bilden, ist keine.»

Dann analysiert Gujer mit echtem Weitblick weiter, wo andere in Gewäffel und Warnrufen verharren. Denn das Problem in Deutschland wie in den USA ist: wenn mehr als 30 Prozent – oder wie in den USA fast 50 Prozent – den «falschen» Kandidaten wählen, wie wird der Mainstream-Journalismus damit fertig? Er knödelt einige Sätze über das Recht auf freie Wahl, um dann aber mehr oder minder gewunden durchblicken zu lassen, dass Staatsbürger, die Höcke oder Trump wählen, damit eigentlich ihr Wahlrecht verwirkt haben. Zu blöd, zu einfältig, falsch gewählt, rauswinken, wegstellen, im Staatskundeunterricht nachsitzen.

«Die Vorstellung, ein Höcke könne wie Hitler die Republik zu Fall bringen, ist so absurd, dass man an der Zurechnungsfähigkeit der kommentierenden Klasse zweifelt. Wenn die kollektive Hysterie wütet, muss man sich verweigern. Auch das ist Zivilcourage. Nichts wäre entlarvender als eine von Sahra Wagenknecht geduldete Minderheitsregierung der AfD in Thüringen. Den Phrasen würde die Luft herausgelassen. Schnell erwiese sich Höckes Widerstandsgestus als Popanz. Oder fürchtet man, dass er ganz passabel und vor allem: populär regieren könnte? Dann wäre nicht der Populist das Problem, sondern die etablierten Parteien und ihre Unfähigkeit, den Zeitgeist in attraktive Politik zu verwandeln.»

Geradezu putzig wird es, wenn Gujer dem marxistischen Historiker Eric Hobsbawm die Referenz erweist, der bekanntlich das 20. Jahrhundert das «Zeitalter der Extreme» nannte. Um Hobsbawm gleich anschliessend indirekt eine überzubraten, indem Gujer sich einen Ausrutscher leistet: «Lenin wie Hitler gelang ihre Revolution nicht nur wegen ihrer Ruchlosigkeit, sondern auch weil ihre Botschaften die Massen überzeugten.»

Der ewig untaugliche Vergleich, der durch seine Wiederholung weder besser, noch richtiger wird.

Aber dann wird es wieder glasklar bei Gujer: «Die Populisten von heute wollen die herrschende Ordnung nicht stürzen, weil sie diese brauchen. Nur so können sie gegen das «System» und die «Systemparteien» polemisieren. Viktor Orbans Protest geht gerade so weit, dass er Brüssel zwar ärgert, aber die ungarischen Pfründen nicht gefährdet. Dem Gulasch-Illiberalismus fehlt die kriminelle Energie, die es für eine Revolution braucht. Er hat ein parasitäres Verhältnis zur EU, kein revolutionäres

Schlussfolgerung: Das 21. Jahrhundert beherbergt (noch) keine Extreme, sondern: «Heute dominiert rationaler Opportunismus, wie ihn Giorgia Meloni und Marine Le Pen vertreten.»

Gujer empfiehlt, dass die AfD mit dem BSW eine Koalition bilden sollte, in der sich beide entzaubern könnten. Aber dafür sei Sahra Wagenknecht halt zu schlau, diagnostiziert er.

Dann fällt er mit voller Wucht über die CDU her: «Stattdessen führt man in Thüringen ein erbärmliches Schauspiel auf. Die CDU ist so versessen auf die Macht, dass sie alles zusammenkratzen wird, um eine Regierung zu bilden. Zwar haben sich die Christlichdemokraten geschworen, nie mit den Erben der kommunistischen Diktatur gemeinsame Sache zu machen. Doch ist das einerlei, seit der Parteichef Friedrich Merz Wagenknecht zur möglichen Koalitionspartnerin in den Ländern geadelt hat. Ausgerechnet Wagenknecht.»

Der Todesstoss, elegant gesetzt: «Ein Unvereinbarkeitsbeschluss in Bezug auf die Linkspartei, aber ein Bündnisangebot an das BSW: Die CDU verläuft sich im Unterholz der ostdeutschen Politik. … Warum die CDU mit der Altstalinistin Wagenknecht zusammengehen kann, aber gegenüber der AfD eine Brandmauer errichtet, ist schwer verständlich.»

Man kann nun politisch nicht das Heu auf der gleichen Bühne wie Gujer haben. Aber es ist unbestreitbar, dass gegenüber seinen Kommentaren und anderen Blicken die Kommentare und Analysen der übrigen Journaille in der Schweiz verzwergen, peinlich provinziell, intellektuell mit kleinem Besteck angerichtet wirken. Von sprachlicher Brillanz ganz zu schweigen. Von der Spitze von Tamedia abwärts und aufwärts wirkt deren Geholper so, wie schon Franz Kafka den Schweizer Dialekt nannte: ein mit Blei ausgegossenes Deutsch.

 

Porno-NZZaS

Errötend bringt ZACKBUM einen Ausschnitt des Covers zur Kenntnis.

Beat Balzli weiss nicht, wohin er mit der NZZaS will. Das ist bedenklich. Er lässt aber auf dem Cover Dinge zu, die sicherlich die Mehrheit der NZZaS-Leser irritieren, abschrecken, abstossen.

Denn ineinander verschlungene, nackte und  weibliche Körper, schwarze und weisse, die Andeutung zweier Gesichter, brutal beschnitten, was soll das? Dazu der Lockstoff-Titel «Verstehen Sie Sex noch?» Und der herbeigezerrte Anlass, dass es seit einer Woche ein neues Sexualstrafrecht in der Schweiz gilt.

Der Text dazu, von der einschlägig bekannten Nicole Althaus, die gerne mehr oder minder wackelige Texte über Sexualität absondert, dazu das männliche Feigenblatt Thomas Isler, mangels inhaltlichem Gewicht gleich nochmal mit einer merkwürdig illustrierten ganzen Zeitungsseite eingeschenkt, was soll das?

Indem man die Hände merkwürdig verschränkt?

«Wie geht heute Sex?» Ist das eine Frage, die man sich stellen muss? Die man beantwortet haben möchte? Und selbst wenn, auf den folgenden knapp 24’000 A bekommt man auch nur unablässig Fragen, sehr wenig Antworten.

Immerhin kommen die Autoren zu einer trivialen Erkenntnis: «Nun wird kaum jemand sein Liebesleben verändert haben, weil vor einer Woche das neue Gesetz in Kraft getreten ist.» Und zitieren aus einer alten und umstrittenen Umfrage von Amnesty International aus dem Jahre 2019, wo 22 Prozent aller befragten Frauen (Männer zählen da bekanntlich nicht) angaben, «ungewollt sexuelle Handlungen erlebt» zu haben.

Dazu wurden rund 4500 Frauen in der Schweiz befragt, davon über 4000 online, «beworben über die Kanäle von Amnesty International». Bekanntlich ist anonymen (und nicht erst nachträglich anonymisierten) Umfragen mit grosser Skepsis zu begegnen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Begriff «ungewollte sexuelle Handlungen» oder seine Abgrenzung zu «sexuelle Belästigung» nicht definiert wird. Also schlichtweg eine Nonsens-Umfrage.

Ansonsten können die Autoren nur fragen, fragen, fragen.

«Was also läuft in den Schlafzimmern im Land falsch? … Was ist Sex? … Welche Bedeutung hat Sex in unserer Gesellschaft, und welche Bedürfnisse befriedigt er? … Doch wie lernt der Mensch, das, was er will, von dem zu unterscheiden, was er nur meint, wollen zu sollen?» Ad nauseam, wie man in gehobenen Kreisen sagt.

Dazu kommen dann Expertinnen und Spezialistinnen und Buchautorinnen zu Wort. Und wenn ein Journalist heutzutage eine Reise tut, und sei’s auch nur ins Zürcher Oberland, dann muss er dieses welterschütternde Ereignis gleich in den Text einbauen:

«Am Kiosk beim Zürcher Klusplatz lockt der «Blick» mit Kim Kardashian im knappen Leoparden-Bikini auf der Front, kurz bevor die Stadt ins Land übergeht, ist das Rüebli auf dem Werbeplakat für die Eigenmarke «Miini Region» von Coop zu einem erigierten Penis übermalt worden. Und auch wo die Häuser seltener werden, entdeckt man vor und nach jeder Haltestelle irgendein Graffito an einer Hauswand, welches das F-Wort enthält.»

Was das mit der Frage, wie heute Sex gehe, zu tun hat? Wieso wurden nicht die Wetterbedingungen oder der Preis des Taxis thematisiert?

Dazu noch eine Prise Sauglattismus (die BDSM-Szene sei vorbildlich, weil hier eben vorher ausführlich geredet wird), und zum Abschluss kommt noch tatsächlich der «vorvorgestrige «Playboy»-Gründer Hugh Hefner» zu Wort und wird gelobt, denn der habe gesagt: «Sex findet zwischen den Ohren statt, nicht zwischen den Beinen.»

Damit Isler auch noch etwas zu schreiben kriegte, darf er dann noch die «Geschichte des Sexualstrafrechts» ab 1532 aufrollen. Das erspart natürlich das Googeln ungemein.

Was für eine neuerlich dysfunktionale Ausgabe. Beat Balzli verliert sich im Editorial in Erinnerungen an «Das grosse Fressen» (ein Film von 1973). Daneben werden die «letzten Tage von Joe» heruntergezählt. Man ist nun schon per du mit dem US-Präsidenten, und alle diese Countdowns erinnern fatal an das Herunterbeten der letzten Monate, Wochen, Tage, Stunden, Minuten, Sekunden der Herrschaft Fidel Castros. Der dann friedlich mit 90 Jahren im Bett starb, nachdem er freiwillig die Macht altershalber abgegeben hatte.

Dann ein interessantes Stück über das korrupte Bildungssystem Indiens und ein Versuch, mit Snobismus die krachende Niederlage der Torys in England zu erklären. Dann ein riesig und kühn illustriertes Porträt von Präsident Macron, der unbeeindruckt wie weiland angeblich Nero dem Brand von Paris-Rom zuschaut. Diese Idee muss man erst mal an den Haaren herbeiziehen. Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich.

Dysfunktion dann auch die «Wirtschaft». Oder ist ein Artikel darüber, dass Schweizer Firmen die Namensschilder überdenken, weil Mitarbeiter gestalkt werden könnten, wirklich einen Aufmacher wert? Dabei wäre die Recherche darüber, dass Banken mit riskanten Hypothekenvergaben gewaltige Risiken in ihre Bücher nehmen, durchaus interessanter.

Und sonst? Was sonst? Auf Seite 52 ist mit den Leserbriefen Schluss, das ist sonst.

Nicht nur, dass Balzli schmerzlich vermissen lässt zu enthüllen, was es denn nun mit der Digitaloffensive auf sich hat, was eigentlich schon die Aufgabe seines Vorgängers gewesen wäre. Mit einer unablässig sich nach unten, ins Belanglose, Schlüpfrige, Niveaulose steigernden Covergestaltung setzt er sich auch der Frage aus, wie lange Eric Gujer dem noch zuschauen wird.

Geeiertes aus der NZZ

Ein Kommentar als Slalom mit Beinbruch und Eiertütschen.

Der grosse Samstagskommentar war mal ein Ding bei der NZZ. Heutzutage nimmt sich meistens God Almighty Eric Gujer dieser edlen Aufgabe an. Leider nicht immer.

Diesmal ist Gerald Hosp am Gerät. Eigentlich ein alter Hase im Wirtschaftsressort der alten Tante, aber vielleicht doch etwas sprunghaft, so als Österreicher (hops, schon sitzen wir in der Diskriminierungsfalle).

Der nimmt sich diesmal des leidigen Themas Wirtschaftssanktionen gegen Russland an.

Schon im Lead beginnt er allerdings mit einem Slalom: «Gemessen an ihren ursprünglichen Zielen sind die westlichen Einschränkungen gescheitert. Trotz allem braucht es Sanktionen als langfristige Strategie, um den Kreml einzudämmen.» Aha, weil sie gescheitert sind, braucht es sie weiterhin. Superlogik, wäre Orwells Wahrheitsministerium nicht eingefallen.

Bitteres Fazit von Hosp: «Die russische Wirtschaft fiel aber nicht in sich zusammen, vielmehr wächst sie seit dem Jahr 2022 stärker als diejenigen Deutschlands, Frankreichs oder Grossbritanniens – laut den russischen Daten.»

Hm, also vielleicht aufhören? Hosp stapelt nun unverdrossen ein Argument nach dem anderen aufeinander, dass die Sanktionen sinnlos seien. Dann aber der grosse Umschwung, mitten im Geeier:

«Keine Wirtschaftssanktionen sind aber auch keine Lösung, vor allem wenn es um die Eindämmung eines Aggressors wie Moskau geht.»

Gewalt ist auch keine Lösung, aber wieso nicht mal draufhauen, so etwa die Logik. Wenn die Sanktionen nicht wirken, dann müssen sie halt «verbessert werden». Nur wie?

Tja, schwierig, könnte Hosp nun schreiben, aber stattdessen eiert er: «Die Erdöl- und Erdgaseinnahmen sind weiterhin die Hauptarterie Russlands zur Finanzierung des Krieges. Diese sollte dauerhaft abgeklemmt werden. Gleichzeitig sollte man darauf achten, dass die Energiepreise nicht in die Höhe getrieben werden.»

Hat ja bisher toll geklappt, die Energiepreise sind in die Höhe geschnellt, Russland verkauft seine Rohstoffe einfach woanders. Aber Hosp hat noch mehr grossartige Ideen:

«Überspitzt gesagt, ist jede nach Russland verkaufte Louis-Vuitton-Tasche, jeder exportierte Loro-Piana-Wintermantel oder jedes teure Novartis-Medikament ein kleiner Beitrag zur Entmilitarisierung der Wirtschaft

Russen, kauft LV-Taschen, dann ist Putin bald mal pleite. Wir wischen uns die Lachtränen ab und sind bereit für den letzten Brüller, der aber ganz schön das Zwerchfell strapaziert:

«Kapitalflucht sollte bestärkt werden, statt diese zu erschweren. Das kann so weit gehen, dass man Personen oder Unternehmen aus Russland einen «sicheren Hafen» im Westen anbietet

Aha. Also einerseits werden reiche Russen im Westen sanktioniert, ihre Vermögenswerte arretiert oder gleich weggenommen, ohne Rücksicht auf Unschuldsvermutung, Eigentumsgarantie oder Rechtsstaat. Das gilt auch für Gelder der russischen Zentralbank.

Und mit diesen Beispielen vor Augen soll reichen Russen in Russland der Westen als «sicherer Hafen» schmackhaft gemacht werden.

Also entweder glaubt Hosp, der Iwan sei halt vollbescheuert – oder das ist ein vollbescheuerter Vorschlag.

Darauf wird man im Kreml einen Wodka oder zwei heben, und selbst der weitgehend humorlose Putin wird schallend lachen, wenn man ihm das vorliest. Bravo, NZZ.

Was ist bloss mit der NZZaS los?

Erfindet sie sich nicht neu, dann könnte sie untergehen.

Die NZZaS hat, ungewöhnlich für beharrliche und gemächliche alte Tante an der Falkenstrasse, einige Chefredaktorenwechsel hinter sich. Der erste Nachfolger von Felix E. Müller wurde als zu leicht befunden. Der zweite wurde von der Redaktion weggemobbt. Nun ist der dritte am Gerät, der eigentlich gar nicht dafür, sondern für einen Einsatz in Deutschland vorgesehen war.

Beat Balzlis Editorials merkt man an, dass er noch sehr in Deutschland verwurzelt ist, dass er ein Wirtschaftsjournalist ist und dass er niemandem auf die Füsse treten will. Seiner Redaktion, offenbar gewitzigt von den Erfahrungen seines Vorgängers, lässt er weitgehend Freiraum. Den sie dann auch – zum Leidwesen des Lesers – fleissig ausnützt. Egotrips, Geschmäcklerisches von Spesenkönig Peer Teuwsen, das Feuilleton tobt sich ungehemmt aus, das Magazin müsste eigentlich sofort eingestellt werden, bevor es noch mehr zur Lachnummer verkommt.

Von der erwarteten Online-Offensive ist nichts zu merken, intelligenter und unterhaltsamer Denkstoff auf Niveau, schön wär’s. Es ist die Frage, wie lange God almighty Eric Gujer hier noch zuschaut, bis er die Fusion mit der NZZ vollendet und den Chefredaktor der NZZaS zum Grüssaugust zurückstuft. Das wäre dann nicht mehr Balzli, der sich endlich der Aufgabe widmen könnte, für die er für teures Geld eingekauft wurde. WEr’s dann würde, schwer zu sagen. Nur eines ist klar: es wird eine Frau sein, wetten?

Aber zurück in die Gegenwart. Ein Editorial über das Klima-Urteil von Strassburg und die Reaktion der Ständeräte? Echt jetzt? Die Schlafpille zum Einstieg. Dann ein Stück Betrachten der Betrachter beim Betrachten. Die Betrachter betrachten Amal Clooney, an der sich Kritiker des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) abarbeiten, die wegen den Haftbefehlen gegen den israelischen Ministerpräsidenten und seinen Verteidigungsminister in Wallungen geraten. Sie behandeln sie dabei sexistisch wie ein Pin-up-Girl.

Clooney gehört nämlich einem hochkarätigen Expertenteam an, mit Juristen der allerersten Liga, die den Erlass von Haftbefehlen für alle für rechtens beurteilt haben. Ende der Durchsage. Oder höchstens noch das, was Clooney hinzufügt: «Kein Konflikt darf ausserhalb des Rechts sein, kein Täter über dem Gesetz.» Einfacher kann man es selbst für Blödköpfe und unreflektierte Israel-Groupies nicht sagen.

Aber immerhin, auch die NZZaS arbeitet zwar mit dem Glamour-Faktor, indem sie ein Foto verwendet, auf dem Amal in Designerrobe an der Seite vom nicht minder attraktiven George posiert. Aber sie würdigt deren Eintreten als Menschenrechtsanwältin; ein Gebiet, auf dem sie sich grosse Meriten erworben hat.

Selbstverständlich verübte und verübt die Hamas Kriegsverbrechen. Deren kann sie auch angeklagt werden, weil sie den ICC anerkennt. Israels Regierungspersonal kann nur angeklagt werden, weil es dort wütet; der Staat anerkennt (wie die USA, wie Russland, wie Syrien) den Gerichtshof nicht.

Also, das Foto ist der NZZaS unwürdig, der Text nicht.

Die nächste Seite ist mehr Bauchnabelschau, denn sie handelt vom Niedergang der deutschen FDP. Als klarer Warnhinweis an die Schweizer Freisinnigen: aufgepasst, so könnte es euch auch gehen. Überhaupt, die NZZaS beschreibt mit Lust Abgänge: «Da stand der britische Premierminister Rishi Sunak am Mittwoch vor dem Regierungssitz in Downing Street sprichwörtlich im Regen. Das englische Wetter, das die Himmelsschleusen immer zum richtigen Zeitpunkt öffnet, durchnässte seinen massgeschneiderten Anzug. Je  länger die Rede dauerte, desto mehr klebte das Jackett an seinem Körper.»

Dann wird’s allerdings etwa zeitgeistig dünn, angefangen beim Titel: «Fremde im eigenen Bad». Hä? Gemeint ist, dass angesichts der Mietzinse nicht nur Studenten (Pardon «Studierende», wieso dann aber nicht Berufstätigende?) in WGs ziehen. Der Klassiker wird albgenudelt, Einzelfall, dann Aufschwung ins Allgemeine, dann der Fachmann, dann wieder Einzelfälle. Gähn.

Peer Teuwsen weiss genau, der bislang nicht gross als TV-Experte auffiel, was die neue SRG-Direktorin zu tun hat. Typischer Besserwisser-Journalismus.

Dann sozusagen das Herzstück dieser Ausgabe, eine Abrechnung mit der Migros. Ein echtes Sahnestück, gut recherchiert, munter geschrieben: «Doch das grosse M ist derzeit eher ein auf den Kopf gestelltes W: Es wankt, es wackelt, es wurstelt vor sich hin.» Ein Lob für Moritz Kaufmann und Janique Weder. Sie hätten allerdings eine bessere Illustratorin verdient; das Gekleckse schreckt den Leser eher ab, als dass es ihn animiert. Was schade wäre. Was da blaue Männchen mit zu Dreiecken verformten Pinseln wollen oder sollen, ein Graus:

Dass man das auch mit Texten kann, beweist dann Teuwsen, Rostock. Dorthin ist er geeilt, um ein paar Sätze mit der deutschen Erfolgsautorin Caroline Wahl zu wechseln. Die sei grossartig, besonders, was ihre Dialogführung betrifft, behauptet Teuwsen. Dann gibt er ein Beispiel dafür (ZACKBUM versichert eidesstattlich: das haben wir nicht erfunden):

«Tilda: Ida. Ich schüttle den Kopf. Ida: Nein, Tilda. Tilda: Ida. Ich weiss einfach nicht mehr, was ich machen soll. Wie ich dir helfen kann. Ich: Gar nicht. Ich brauche keine Hilfe. Tilda: Ich mache mir Sorgen. Ida: Musst du nicht. Ida: Ich habe es doch bis jetzt ganz gut allein geschafft. Habe ich das gerade wirklich gesagt?, frage ich mich, sehe in Tildas Augen, dass ich das gerade wirklich gesagt habe, und wir brechen tränend in Lachen aus. Ich korrigiere: Ich habe bis jetzt überlebt.»

Den Text von Teuwsen muss man auch überleben … Da kann man sich nur damit trösten, im Kino den Kracher «Furiosa: A Mad Max Saga» anzuschauen.

 

Schlichtweg bravo

Dass wir so eine Schlagzeile auf der Front der NZZ noch erleben dürfen …

Wie sich die Zeiten doch ändern. Im Kalten Krieg schrieben in der NZZ die kältesten Krieger gegen die rote Gefahr an. Gegen Fünfte Kolonnen in der Schweiz, gegen alles, was nach Kommunismus roch. Unermüdlich warnten die NZZ-Redakteure, sahen hinter jeder roten Rose eine Verschwörung, die den Bestand der Schweiz bedrohte.

Und jetzt das.

Die NZZ überlässt den angestammten Platz von Eric Gujer dem Wirtschaftsredaktor Gerald Hosp, der verdienstvollerweise ein paar Dinge zurechtrückt.

Zunächst liefert er den heute obligatorischen Obolus ab, wenn man einen Shitstorm dauererregter Gutmenschen vermeiden möchte:

«Der russische Angriffskrieg in der Ukraine ist eine Tragödie. Er bringt menschliches Leid in enormem Ausmass und gewaltige Zerstörungen mit sich. Die wirtschaftliche Grundlage der Ukraine wird ausgehöhlt.
Russland ist der Aggressor, das steht fest. Der russische Staat solle auch für die Schäden zahlen, wird zu Recht gefordert

In diesem Sinne hat der US-Kongress ein Gesetz verabschiedet, das «den Präsidenten dazu ermächtigt, russisches Staatsvermögen in den USA beschlagnahmen zu lassen.»

Wunderbar, endlich, da jubiliert Volkes Stimme. Recht geschieht’s dem Putin-Regime, genau, reich, Russe, das reicht schliesslich auch für Beschlagnahme von Vermögenswerten. Super, dass das in den USA nun auch endlich auf russisches Staatsvermögen angewendet wird. Da müssen dann die europäischen Marionetten, Pardon, die EU-Länder schleunigst nachziehen, und wo bleibt die Schweiz?

Aber was schreibt Hosp denn da?

«Wenn die Gelder direkt eingestrichen würden, würde dies die in den Entwicklungs- und Schwellenländern weitverbreitete Ansicht verstärken, dass sich der Westen nur um das Völkerrecht schert, wenn es ihm gerade passt. Der Vorwurf der Heuchelei und des Diebstahls wäre schnell bei der Hand, zumal die USA und die EU-Staaten nicht direkt mit Russland im Krieg sind. Eine Enteignung der russischen Gelder ist deshalb ein Fehler. Was wäre der Unterschied zum Vorgehen Russlands, ukrainische Weizenfelder zu plündern

Aber was denn, hat nicht auch der Europarat beschlossen, dass einem «Kompensationsmechanismus» konfiszierte Gelder russischer Privatpersonen, Unternehmen und des russischen Staates zur Verwertung übertragen werden sollen?

Auch da setzt Hosp ein Fragezeichen: «Gleichzeitig gilt es laut Europarat, «die Prinzipien des Völkerrechts aufrechtzuerhalten und die privaten Eigentumsrechte zu respektieren». Das ist der springende Punkt. Es ist mehr als nur zweifelhaft, dass dies erfüllt werden kann.»

Dann weist er auf etwas hin, was im Furor schnell vergessen geht:

«Laut dem Völkerrecht gilt prinzipiell Immunitätsschutz: Staaten können nicht einfach auf das Vermögen eines anderen Landes zurückgreifen, was Verlässlichkeit auf internationaler Ebene bringt.»

Und dann zieht er nochmals die feine rote Linie, wo rechtlich noch knapp Haltbares in Illegales umschlägt: «Der Westen reagierte auf die russische Invasion mit einer Blockade von Notenbankgeldern, was zwar auch ungewöhnlich war, aber diesen Vorgaben entspricht. Eine Konfiskation und Weiterverwendung würde aber bedeuten, dass die Massnahme nicht mehr umkehrbar ist, das Geld wäre weg.»

Was bedeutet nun die Entscheidung der USA? «Dadurch wird die Einsicht genährt, dass auf internationaler Bühne das Recht des Stärkeren noch mehr zunimmt als ohnehin schon.
Nun gibt es aber das Problem, dass nur rund zwei Prozent der weltweit gesperrten russischen Staatsgelder in den USA liegen. Rund 200 Milliarden liegen in der EU, «genauer gesagt: bei der zentralen Verwahrungsstelle Euroclear in Belgien».

Und hierzulande?

«Für die Schweiz sind aber aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit und des Eigentumsschutzes weder Konfiskationen wie in den USA noch die Verwertung der Erträge wie in der EU ein gangbarer und wünschenswerter Weg. »

Und dann weist die NZZ noch auf einen Präzedenzfall aus dem Jahr 2021 hin: «Die USA konfiszierten nach dem chaotischen Rückzug aus Afghanistan die Währungsreserven der Zentralbank des Landes, was wenig Beachtung fand.»

Man muss diesen Kommentar so ausführlich zitieren, weil er so erfrischend ist wie eine Oase in der Wüste der alle Prinzipien eines Rechtsstaats vergessenden Krakeeler, die Konfiszieren der beschlagnahmten Gelder und ihre Verwertung für die Ukraine fordern. Ohne zu merken, dass sie damit etwas Fatales tun.

Ein Rechtsstaat kann sich mit allem Recht gegen unrechte Handlungen zur Wehr setzen. Dazu ist er legitimiert. Verwendet er aber selbst rechtsstaatlich fragwürdige Methoden – nach der Devise «der gute Zweck heiligt auch böse Mittel » – dann begibt er sich auf eine ganz schiefe Bahn, an deren Ende er sich selbst mehr schadet als demjenigen, der Unrecht tut.

Zu dieser einfachen Erkenntnis sind immer weniger Kommentatoren in der Lage.

God Almighty Gujer zürnt

Das ist mal eine saftige Polemik an unerwarteter Stelle.

Die Teilnehmer an der Generalversammlung der AG für die Neue Zürcher Zeitung müssen mit den Ohren geschlackert haben. Denn NZZ-Chefredaktor Eric Gujer hielt eine Brandrede, die vom Titel bis zum Ende auf Krawall gebürstet ist.

Sie ist nicht nur inhaltlich, sondern auch formal grossartig; dagegen verzwergen die wenigen anderen Polemiker, die die Schweiz kennt. Sie «verleugnet die Realität», betitelt Gujer sein Werk in der gedruckten Fassung. Schon der Lead ist eine kleine Bombe:

«Die Welt steht in Flammen. Die Schweiz aber macht nur widerwillig Aussenpolitik. Bundesrat und Parlament sind unfähig, Antworten auf die aktuellen Fragen zu formulieren. Das wird sich rächen.»

Zack.

Ob die Schweiz, neben Käse und Geld, auch Aussenpolitik könne, fragt Gujer. Und zitiert den damaligen Aussenminister Felber, der auf die Frage, was der Bundesrat zum Fall der Berliner Mauer meine, antworten liess: «Es ist unmöglich, dass Bundesrat Felber zu allen politischen Ereignissen gegenüber Journalisten Stellung nehmen kann. Schliesslich geschieht fast jeden Tag etwas Wichtiges.»

Bum.

Dann greift der gebildete Gujer weit in die Geschichte zurück und erwähnt den ersten Schweizer Botschafter in Berlin. Um maliziös zu beschreiben:

«Kaum in Berlin angekommen, erkrankte Heer an der Allergie gegen fremde Fötzel. Nach drei Wochen depeschierte er in die Heimat, er habe «im vollen und wahren Sinne Heimweh und sehne sich aus diesem Lärm einer mir fremden Welt in die Stille meines lieben Glarnerlandes zurück». Eilig gab der Bundesrat dem Gesuch statt. Ich glaube, seither wurde in Bern nie mehr etwas so schnell entschieden.»

Ob man mit dem Inhalt einverstanden ist oder nicht, man wird bestens und auf einem Niveau unterhalten, das zumindest in der Deutschschweiz sonst keiner hat.

Als der Bundesrat zum ersten Mal mit einer Auslandreise an den Begräbnisfeierlichkeiten für den US-Präsidenten Kennedy teilnehmen wollte, motzte die Bundesverwaltung mit einer Aktennotiz: «Der Schweizer hat einen Horror vor allzu beweglichen Leuten und vor politischem Geschwätz. Bleiben wir also unserer seriösen und diskreten Politik treu, und diese eignet sich nicht für spektakuläre Besuchsreisen

Trockener Kommentar Gujers: ««Horror vor politischem Geschwätz» – ach, wenn sich Bundesbern nur an diese Worte erinnern würde, wenn es uns mit immer neuen Verordnungen und Gesetzen beglückt.»

So im Vorbeilaufen watscht er auch noch den ehemaligen Bundesrat Berset ab:

«Inzwischen besuchen die Bundesräte eifrig das Ausland. Manche dieser Reisen sind spektakulär, etwa wenn sich ein Bundesrat in ein Sportflugzeug setzt und Frankreich mal eben einen Besuch abstattet. Wenn er dann auch noch in gesperrten Luftraum eindringt, dann können wir voller Stolz sagen: Solch spektakuläre Reisediplomatie sollen andere Staaten der Schweiz erst einmal nachmachen!»

Aber neben Köstlichem kann er natürlich auch Ernstes. Denn die Verteidigungsministerin kriegt ganz anders ihr Fett ab: «Schläue ziert jeden Politiker, Verantwortungslosigkeit hingegen nicht.»

Dann führt er wieder vor, dass Bildung durchaus nicht schaden muss:

«Schriebe Gottfried Keller heute «Romeo und Julia auf dem Dorfe», so wären die Väter der beiden Liebenden immer noch verfeindet. Der eine würde im Zorn «Bilaterale III» hervorstossen, der andere «Rahmenabkommen 2.0». Die Schweiz ist manchmal ein grosses Seldwyla. Das bilaterale Rahmenabkommen 3.0 – ich hoffe, mit dieser Formel allen Positionen im Saal gerecht zu werden – erfordert Souveränitätsverzicht.»

Aber damit läuft er sich erst warm, hier hat er Betriebstemperatur erreicht:

«Das Wichtigste aber, was man über Schweizer Aussenpolitik wissen muss, hat der grosse britische Liberale und Gelehrte Isaiah Berlin schon vor langer Zeit erkannt. Er teilte alle Menschen in Igel und Füchse ein: «Der Fuchs weiss viele Dinge, aber der Igel weiss eine grosse Sache.» Der Igel hat eine Idealvorstellung, der er alles andere unterordnet. Der Fuchs kennt hingegen alle Schliche. Er findet sich in der Unübersichtlichkeit der Welt besser zurecht. Dafür bleibt der Igel eher sich und seinen Prinzipien treu. Die Schweiz ist ein Igel.»

Angewendet auf das Verhältnis zur EU: «Der Igel sagt, ich brauche das perfekte EU-Abkommen, weil ich nicht weiss, auf welche verrückten Ideen Brüssel noch kommt. Der Fuchs sagt, ich brauche nicht das eine perfekte Abkommen, sondern möglichst viele halbwegs gute. Die Zukunft ist offen, daher will ich verschiedene Optionen. Auf ihre Weise haben beide recht. Sie haben nur eine sehr unterschiedliche Sicht auf die Welt.»

Wohin kann das führen? «Linke Propaganda gegen Ausbeutung und rechte Propaganda gegen Brüssel, der Protektionismus der Bauern und der Protektionismus der Gewerkschaften potenzieren einander. Am Schluss weiss sich die Mehrheit einig in ihrer Allergie gegen fremde Fötzel

Wie geht’s weiter? Auch das fasst Gujer in elegante Worte: «Wir nähern uns dem Punkt, wo es wirklich weh tut. Doch Politiker und Bürger halten sich die Augen zu. Wir wollen nicht nur neutral sein, sondern auch ein bisschen wichtig. Zu diesem Zweck schuf Gott die Guten Dienste. Er wusste, seine Schweizer haben zwei Leidenschaften: den Tunnelbau in den Bergen und das Vermitteln in der Welt.»

Damit nähert er sich dem furiosen Finale seiner Wutrede:

«Moderne Neutralität ist kein Hexenwerk. Vier einfache Regeln genügen: 1. Die Schweiz geht keine Bündnisverpflichtungen ein. 2. Sie beteiligt sich nicht direkt an Kriegen. 3. Über Waffenlieferungen und andere tagespolitische Fragen entscheidet die Regierung gemäss Staatsräson. 4. Die Schweiz bekennt sich zur westlichen Gemeinschaft und leistet einen aktiven Beitrag, dass Putin und Konsorten die Welt nicht nach ihrem autoritären Willen umgestalten können.

Im Bundesrat aber sitzen sieben Igel. Ihnen graut es vor der Unübersichtlichkeit der Welt. Zugleich sind die sieben Igel schlau. Sie wissen, dass ihr Volk weder Füchse noch allzu bewegliche Leute schätzt. So bleibt in der Aussenpolitik alles, wie es ist. Der Stillstand hat unbestritten den Reiz der Bequemlichkeit. Man muss nur ignorieren, was täglich an Wichtigem geschieht in der Welt.»

Sicher, diese Würdigung besteht im Wesentlichen aus langen Zitaten. Aber wieso soll man kommentieren oder umformulieren, was einer für ein Mal grandios gesagt hat?

Liefert der NZZ-Chef noch mehr von diesem Stoff, wird ZACKBUM noch zum Gujer-Groupie. Aber keine Angst, wir werden niemals Übergriffigkeiten behaupten oder beklagen.

 

Gemeinsam ins Elend, Teil II

Endlich: Tagi und NZZ Seit´ an Seit´.

Der Qualitätskonzern Tamedia dilettiert im Nahen Osten. Da will die NZZ nicht abseits stehen. Der immer wieder mit klugen Kommentaren aufgefallene Chefredaktor und God Almighty Eric Gujer schielt nun aber in seinem aktuellen «anderen Blick» ganz gewaltig:

Mit diesem «Newsletter» wendet sich Gujer speziell an seine «Leserinnen und Leser in Deutschland». Hier in seiner Eigenschaft als Transatlantiker, Militärstratege und unverzichtbarer Ratgeber von Regierungen. Seine verbalen Marschflugkörper schiesst Gujer insbesondere gegen die deutsche Regierung ab.

Zunächst lässt er Insiderkenntnisse über den Taurus auf den Leser niederregnen: «Der Marschflugkörper weist eine hohe Reichweite und Präzision auf und zerstört gehärtete Ziele wie Bunker zuverlässig. Das hebt ihn von französischen und britischen Cruise-Missiles ab.»

Aber solche einzelnen Waffen seien natürlich nicht kriegsentscheidend, weiss der verhinderte Oberkommandierende: «Viel wichtiger ist es, das gesamte Kriegsgeschehen im Blick zu behalten. Die Ukrainer werden nur Erfolg haben, wenn viele Faktoren zusammenwirken. Notwendig sind etwa frische Einheiten, genügend Artilleriemunition oder eine funktionierende Logistik.»

Ist das immer blöd, dass weder die kriegsführende Ukraine noch ihre Unterstützer solch banale Tatsachen zur Kenntnis nehmen, obwohl sie ihnen von Gujer auf dem Silbertablett (wobei Vorsicht, Feind liest mit) serviert werden.

Deutschland könnte und müsste «endlich» die Munitionsproduktion hochfahren und «in der Zwischenzeit» Artilleriemunition auf dem Weltmarkt aufkaufen. Himmels willen, Scholz, Pretorius, wieso tut ihr das nicht?

Stattdessen muss Gujer nun schneidend streng werden:

«So steht der Kanzler einmal mehr als Hasenfuss da und seine Koalition als ein Käfig voller Narren.»

Da macht Gujer gleich ein bislang unbekanntes, neues Kriegsgebiet aus: «Das Regierungsbündnis ist inzwischen sein eigenes Schlachtfeld. Der Kreml lacht sich ins Fäustchen.»

Warum? Na, deshalb Ihr Dummerchen: «Deutschland macht sich zum nützlichen Idioten Putins.» Das hat vor und nach Hitler Deutschland bislang noch niemand vorgeworfen.

Nun nimmt sich Gujer den deutschen Kanzler zur Brust. Der möchte «sich als Friedenskanzler präsentieren». Immerhin: «Auf den ersten Blick ist der Plan nicht dumm.» Schröder, Irakkrieg, doch, doch. Aber das sei natürlich nicht vergleichbar, schulmeistert dann der NZZ-Chefstratege den eben doch dummen deutschen Kanzler Scholz. denn hier weht wieder einmal der Mantel der Geschichte: «Diesmal jedoch kommt es auf Deutschland an. Es steht im Zentrum einer epochalen geopolitischen Auseinandersetzung.»

Also doch: Germans to the front? Auf jeden Fall bräuchte s wohl mal wieder Schröders Politik der ruhigen Hand. Stattdessen: «Scholz wirkt zunehmend als Getriebener, eingeklemmt zwischen dem blauäugigen Pazifismus der SPD-Fraktion und den Kritikern seiner Politik bei Grünen und FDP. Er laviert und macht es niemandem recht.» In erster Linie Gujer nicht, und das sollte Scholz nun wirklich zu denken geben.

Vor allem, weil es Defätisten noch und nöcher gibt in Deutschland: «Moskau registriert die Unentschlossenheit des Kanzleramtes und den wachsenden Chor derjenigen, die den Krieg um jeden Preis beenden oder «einfrieren» wollen und Kiew damit zur Kapitulation drängen.» Wer vorschlägt, das Gemetzel, das Leiden und die Zerstörungen zu beenden, dränge Kiew zur Kapitulation?

Aber dann gibt es ja noch wie im bewährten Feindbild des Kalten Kriegs die Fünfte Kolonne, sogar die Fünften Kolonnen: «Nicht nur die AfD, auch das Bündnis Sahra Wagenknecht besorgt das Geschäft des Kremls.» das ist nun doppelt unverschämt.

Also, Putin lacht sich in Fäustchen, die deutsche Regierung ist ein Narrenkäfig, angeführt von einem Hasenfuss, Deutschland ist sich mit Frankreich uneins, schlimm und schlimmer. Immerhin, eine dem Geschimpfe beigefügte Tabelle macht mehr klar als der ganze Wortschwall voller Cruise Missiles, Blendgranaten und Flammenwerfer. Deutschland hat der Ukraine seit Kriegsbeginn Militärhilfen in der Höhe von 17,7 Milliarden Euro zugesagt. Dann gehen wir ganz nach unten, hinter Estland, Litauen oder Italien kommt dann Frankreich mit seinem kriegerisch schattenboxenden Präsidenten: 0,6 Milliarden Euro Militärhilfe.

Sonst noch Fragen, könnte man eigentlich sagen. Wir hoffen, dass es bei diesem einmaligen Ausrutscher von Gujer bleibt. Denn wenn sich die NZZ allgemein auf das Niveau von Tamedia hinunterliesse, dann würde es aber aschgrau.

NZZ gegen Blocher

Christina Neuhaus eröffnet die Kampfhandlungen.

Der Mann ist so alt, von dem gibt es eigentlich nur Schwarzweissfotos:

Vom Stumpen über die schlechtsitzende Krawatte zu den gefältelten Hosen und dann erst noch Treicheln. Was für ein Symbolbild eines Ewiggestrigen. Dazu passt auch der Titel, seine Lieblingsvokabel paraphrasierend: «Christoph Blochers letzter Auftrag». Der letzte, das Ende, ein Nachmopser.

Nun ist Neuhaus nicht eine kurzatmige Kläfferin aus dem Hause Tamedia, also holt sie am Anfang gleich weit in die Geschichte aus. «1965, das Todesjahr von Winston Churchill, während sich Blocher damals mit den Gedenkfeierlichkeiten zu 450 Jahre Niederlage von Marignano beschäftigt».

Wer jemanden in den Senkel stellen will, beginnt mit einem Lob: «Christoph Blocher, der grosse Geschichtenerzähler, weiss: Der Kitt, der die Bruchstellen der viersprachigen, multikulturellen, halb städtisch, halb ländlich geprägten Schweiz zusammenhält, besteht zu einem wesentlichen Teil aus Legenden.»

Nun aber zur Gegenwart, also zur letzten Albisgüetli-Rede. Hier «gibt der Patron noch einmal alles. Am Inhalt des Vertragswerks habe sich nichts geändert. Statt eingerahmt solle die Schweiz jetzt halt eingepackt werden, denn an die Stelle eines Knechtungsvertrags träten jetzt sieben. Die EU erlasse Schweizer Gesetze, über die der Europäische Gerichtshof dann endgültig entscheide. Fazit: «Das Schweizervolk und die Schweizer Souveränität sollen ausgeschaltet werden.»»

Dagegen sei die Gegnerschaft noch recht unsortiert, kritisiert Neuhaus: «Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse begnügt sich mit dem Mantra des «ungehinderten Zugangs zum europäischen Binnenmarkt», die FDP setzt sich «für eine Fortsetzung des bilateralen Weges» ein, und die Grünen halten das Verhandlungsmandat für eine «ökologische Chance». Wortwolken über Blochers Mythen-Bergen.»»

Nun erteilt Neuhaus, auch so eine unselige Tradition der Journaille, Anweisungen: «Der Bundesrat ist deshalb gut beraten, bei den Verhandlungen mit der EU-Kommission zusätzliche Forderungen zu stellen.» Das Unwort «gut beraten» ist aus deutschen Landen in die Schweiz geschwappt, wo jeder krakeelige Kommentator eines Provinzblatts Befehle in Form von «wäre gut beraten» ausgibt.

Nun fehlt nur noch der Schlusspunkt bei der Philippika von Neuhaus. Nachdem sie allen Saures gegeben hat, schaut sie mutig in die Zukunft, also in die Vergangenheit Blochers: «Nicht alle seine Geschichten sind Mythen; die Geschichte wird bei ihm zum Mythos. Deshalb sind seine Erzählungen so mächtig. Doch Geschichte ändert sich. Ein halbes Jahrtausend nach Marignano wird es für die Schweiz Zeit für eine neue Erzählung. Aber sie muss mindestens so gut sein wie Blochers alte Geschichten

Neuhaus zwischen Mythos, Mythen, Geschichte und Geschichtsmythen. Verloren im Mythenmythos.

Tja, das waren noch Zeiten, als ein donnernder «ordnungspolitischer Zwischenruf» der NZZ Bern erzittern liess und zumindest die FDP-Bundesräte wussten, was sie zu tun hatten. Aber daraus ist ein  leises Fiepen geworden, ein «gut beraten», eine hilflose Aufforderung, eine neue Erzählung zu finden. Aber wer soll die denn dichten? Lukas Bärfuss vielleicht? Oder doch Adolf Muschg? Oder aber, das wäre eine Herausforderung, Eric Gujer? Fordert Neuhaus ihren eigenen Chef auf? Dunkel bleiben da die Worte der NZZ.