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Desaster Meinungsseite

«Tages-Anzeiger» beim Tieftauchen.

Mehr Grauen auf einer Seite geht kaum. Zunächst der Leitartikel, geschrieben von Alexandra Föderl-Schmid:

Die stellvertretende Chefredaktorin der «Süddeutschen Zeitung» watscht gerne Regierungschefs ab. Nach einem etwas misslungenen Empfang für den Palästinenserführer Abbas war der deutsche Bundeskanzler Scholz dran: «Er verabschiedete Abbas sogar noch mit Handschlag – eine Geste, die völlig deplatziert war und für die er allein verantwortlich ist.» Dazu «inhaltlich zu wenig eingearbeitet», «Vertrauen erschüttert», «Beziehungen zwischen Deutschland und Israel in schwieriger Phase», «Gefahr, dass dem Eklat im Kanzleramt ein weiterer folgt». Interessierte den Schweizer Leser ungemein.

Nun nimmt sie sich Benjamin Netanyahu zur Brust. «Eskalation, … Eigennutz, … eigennützige Motive …». Das mag ja alles so sein, nur: wieso schreibt eine Österreicherin, die bei der SZ arbeitet, einen Leitartikel über Israel im Tagi? Der Konzern hat doch theoretisch noch eine Auslandredaktion. Oder ist Münger gerade mal wieder in den Ferien?

Dann meldet sich eine der neuen Kolumnisten zu Wort; das erkennt man an der schummerigen Farbgebung, die von Kim inspiriert zu sein scheint. Diesmal überschätzt die GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy vielleicht ein Mü ihre Bedeutung. Denn sie schreibt an «Lieber Emmanuel Macron». Sie schliesst staatstragend: «Und ich wünsche auch Ihnen, Monsieur le Président, dass Sie eine generationengerechte Altersvorsorge umsetzen können. Und es Ihnen vergönnt ist, die Bevölkerung wieder zu einen.» Zwei Schlusssätze, zweimal «und», na ja.

Bertschy sinniere «in ihrer Kolumne über politische Geistesblitze». Also war das einer, dem französischen Präsidenten ein paar Ratschläge zu geben, wie er seine Rentenreform besser über die Bühne bringe? Da müssen wir Bertschy allerdings möglichst sanft eine bittere Wahrheit näherbringen: ZACKBUM hat sich bis zum Schluss der ellenlange Kolumne durchgekämpft. Monsieur le Président wird nicht mal den Anfang lesen.

Damit ist die Meinungsseite schon fast voll, aber leider noch nicht ganz. Am rechten Rand hat’s noch etwas Platz für Mario Stäuble, der zur Abwechslung nicht über vegetarisches Geschnetzeltes in der «Kronenhalle» dilettiert:

Wahrscheinlich hat er sich gesagt: Wenn selbst Isabelle Jacobi darf, dann ist alles erlaubt. Dann darf doch auch der frisch degradierte Leiter Inland was zu einem Thema sagen, zu dem nun wirklich alle alles gesagt haben. Nur nicht so schlecht: «Nach dem Zusammenbruch der Credit Suisse (CS) stauen sich die Fragen.» Hoffentlich halten die Staumauern das aus.

Welche Fragen wären denn im Stau? «Wie konnte es so weit kommen?» Das ist doch schon längst, auch im eigenen Blatt, mehrfach und kompetent beantwortet worden, nicht zuletzt von Arthur Rutishauser. Aber Stäuble steht da etwas auf dem Schlauch und hält das für einen Stau. «Haben die betroffenen Behörden die Gefahr verkannt?» Auch diese Frage ist längst beantwortet, das ist nur bei ihm im Stau steckengeblieben.

Mit dem nächsten Satz betritt Stäuble nicht gerade erkenntnisreiches Neuland: «Eigentlich ist heute schon klar: Der CS-Crash muss sorgfältig aufgearbeitet werden.» Das ist nun bereits seit 10 Tagen klar, aber wenn es Stäuble erst heute klargeworden ist …

Nun soll eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) aufklären. Das befürwortet Stäuble aus ganzem Herzen: «Es ist darum völlig richtig, dass nun das Parlament die Führung übernimmt.» Vielleicht muss Stäuble in seine neue Funktion noch etwas hineinwachsen; Inland ist nicht ganz das Gleiche wie die Zürcher Lokalberichterstattung.

Eine PUK ist keinesfalls das Parlament, sondern eine nach Parteiproporz zusammengesetzte Kommission. Aber noch fataler: zur langen Reihe abgelehnter Anträge auf die Einsetzung einer PUK gehört der Antrag des gleichen Büros des Nationalrats, eine PUK zur Aufklärung der Problematik UBS/Finanzkrise einzuberufen, aus dem Jahre 2010.

Wenn man die Aufklärung der «Mirage-Affäre» im Jahre 1964 mitzählt, gab es bislang ganze 4 solcher Untersuchungskommissionen. Dem stehen 23 abgelehnte Anträge gegenüber. Vielleicht sollte da ein Inlandchef noch etwas Hausaufgaben machen. Oder lieber über kulinarische Genüsse schreiben; beim vegetarischen Geschnetzelten drückte doch etwas der Erbsengeschmack durch, da geht noch was Besseres auf diesem Gebiet. So bietet die «Kronenhalle» auch ein «vegetarisches Tatar» an. Hm, schmatz.

Wumms: Anna Wanner

Durch den Bauchnabel gesehen.

Es hat schon Vorteile, die Tochter des Chefs zu sein. Axel Wüstmann war weder das eine, noch das andere. Deshalb ist er weg, während Anna Wanner von niemandem gehindert werden kann, ihren Senf zu allem zu geben.

Immerhin macht sie es leserfreundlich unnötig, ihren Kommentar lesen zu müssen; schon der Titel stellt alles klar: «Vorentscheidung beim SP-Ticket: Eva Herzog ist die Richtige».

Während ihre Konkurrentin Elisabeth Baume-Schneider den grossen Vorteil habe, «nicht nur kompetent, sondern auch witzig» zu sein, habe sie natürlich keine Chance, dekretiert Wanner.

Wenn ein Mann, zum Beispiel Wüstmann, eine Frau so beschrieben hätte, da wäre die Feminismus-Fraktion ganz schön ins Hypern gekommen, was denn das für ein Kriterium sei, ob man das bei Männern auch, und überhaupt. Aber was kümmert das die Tochter vom Chäf.

Denn eben, Herzog sei die Richtige, weiss die Politik-Analystin. Während sich der Leser fragt, wen ausserhalb des Hauses Wanner diese Meinung interessiert. Vielleicht nicht einmal auf dem Schloss beim Tafeln im Rittersaal …

Fotoromanza mit Frank A.

Worüber er spricht? Egal.

Frank A. Meyer ist genial. Ideal. Einmalig. Unnachahmlich. Am besten ohne Ton zu ertragen. Dafür im Bild.

Weniger Beliebigkeit!

Mehr Relevanz!

Und Engagement!

Ich habe gesprochen.

Man beachte ausserdem: die Bücher (alle gelesen). Den Lehnsessel (selber ersessen). Die hochtoupierten Haare (neu). Das Pochettli (zusammen mit dem Hemd in einer Farbe, die die Natur nicht vorgesehen hat). Und schliesslich die sorgfältig über dem Embonpoint drapierte Krawatte.

Ach, worüber hat er gesprochen? Völlig egal.

Versuch der Einordnung

Auch hier wird’s kriegerisch, wenn es um die Ukraine geht.

Es ist wie bei einer Wahl oder Abstimmung. Bei allem Für und Wider muss man sich für einen Kandidaten entscheiden. Oder für ein Ja oder Nein. Abgesehen von Stimmenthaltung, aber das würde im Publizistischen einfach Schweigen bedeuten. Nun hat aber wohl (fast) jeder eine Meinung zum Ukrainekrieg.

Auch hier sind letztlich binäre Entscheidungen gefragt. Für welche Seite will man Partei ergreifen, mit welchen Argumenten. Unabhängig davon, ob man auf der Seite Russlands oder der Ukraine steht: bei 99 Prozent, ach was, 99,99 Prozent der hier Streitenden ist das völlig egal, spielt keine Rolle, hat keinen Einfluss auf die Geschehnisse. Verlängert oder verkürzt den Krieg um keine Sekunde. Ändert null an seinem Verlauf.

Dennoch ist es geboten und nötig, sich Gedanken darüber zu machen. Schon alleine deswegen, weil der Ukrainekrieg auch Auswirkungen auf uns hat. Auf unser Leben, unser Budget, unsere Zukunft. Oder gar auf unser Ende.

Wir können die Ereignisse nicht beeinflussen. Aber wir können das Niveau und die Qualität der Argumente und Meinungen messen und beurteilen. Sowie versuchen, unter Anwendung von gesundem Menschenverstand und Logik aus intellektuellem Spass Analysen, Einschätzungen und Meinungen zum Besten zu geben. Wobei jede solche Äusserung einen unbestreitbaren Vorteil hat: niemand ist gezwungen, sie sich anzuhören oder zu lesen.

Alles freiwillig – und hier gratis. Das berechtigt den Betreiber der Plattform und den grossartigen Content Provider, für Zucht und Ordnung in den Kommentarspalten zu sorgen. Nebenbei gesagt.

Vor der binären Entscheidung – dafür oder dagegen, ja oder nein – steht eine möglichst hochklassige Erwägung. Solche gibt es. Aber sie sind begraben unter einem wahren Schuttberg von flachbrüstigen Krakeelern, Bedienern von Narrativen, Wiederholern von Banalitäten, Schreibtätern, die ungeniert nach mehr Gemetzel, Massakern und Zerstörungen in der Ukraine gieren. Mutigen Kriegsgurgeln, die ein direktes Eingreifen der NATO fordern und somit einen Dritten Weltkrieg in Kauf nehmen.

Bei ihnen ist es segensreich, dass auch ihre Meinungen und Forderungen ungehört verhallen.

Dann gibt es ganze Heerscharen, die ihre Aufgabe nicht in erster Linie darin sehen, eigene Gedanken zur Debatte beizusteuern, sondern in ihren Augen falsche Meinungen zu denunzieren. Dahinter vermuten sie meist unmenschliche, dumme, menschenverachtende, manipulierte Haltungen. Nassforsch fordern sie, dass solche Ansichten, gerne auch als Verschwörungstheorien denunziert, von der öffentlichen Debatte auszuschliessen seien.

Gleichzeitig kritisieren sie die in Russland herrschende Meinungszensur aufs schärfste. Übersehen, dass die auch in der Ukraine herrscht – und dass ein Verbot einer TV-Station wie Russia Today den gleichen Geist des obrigkeitshörigen Zensors atmet, der das Volk ja nur vor schädlichen Einflüssen beschützen möchte.

Wenn sich also ZACKBUM gelegentlich zu eigenen Meinungsäusserungen hinreissen lässt, so sind sie immer von zwei Faktoren begleitet. Der erste und wichtigste: wir zweifeln in erster Linie an allem. Natürlich auch an uns. Niemals wollen wir die einzige, richtige, wahre Wahrheit verkünden. Wir sind auch lernfähig, ein zweites Alleinstellungsmerkmal. So ist der Kommentar von Andreas Rüesch «Wer auf den Knien um Putins Gas bettelt, ruft zur Kapitulation gegenüber Russlands Grossmachtpolitik auf», ein auf einsamer Flughöhe geschriebenes Denkstück. Schade, dass es hinter der Bezahlschranke der NZZ steht, schade, dass eine Spur Parteipolitik den Leser leicht verstimmt.

Aber der Inhalt, die Stringenz der logischen Argumente, das ist herausragend. Zunächst zerpflückt Rüesch die Argumente der Unternehmerin und SVP-Nationalrätin Martullo-Blocher, die sich für Verhandlungen mit Putin starkmacht. Ein Deal sei vor allem im Interesse Europas, argumentiert die Politikerin. Rüesch hält dagegen:

«Zunächst ist festzuhalten, dass Putin kein Dummkopf ist. Dass man ihn dazu bewegen könnte, wenigstens die Energieversorgung bis nächsten Frühling zu garantieren, wie dies die Nationalrätin fordert, mag man sich in helvetischer Schlaumeierei erhoffen. Aber Putin weiss selbstverständlich, dass seine Energiewaffe jetzt am schärfsten ist, solange Europa noch Anpassungsprobleme hat. Schon 2023 ist sie wesentlich stumpfer. Wer jetzt eine Vereinbarung mit ihm sucht, zahlt entsprechend einen viel höheren Preis am Verhandlungstisch.

Zudem ist es keineswegs so, dass mit Moskau niemand Gespräche über eine Friedenslösung geführt hat. Das Problem ist vielmehr, dass Russlands Forderungen unerfüllbar hoch sind. Die Ukraine bietet an, ihr Nato-Beitritts-Gesuch zurückzuziehen und ihre politische Neutralität zu erklären. Doch der Kreml ist darauf nicht eingestiegen und setzt auf eine militärische Lösung, um sich einen möglichst grossen Teil des Landes einzuverleiben.

Denn wer das Grundprinzip einmal akzeptiert hat, dass Grenzen gewaltsam verschoben werden dürfen, muss mit einer Wiederholung jederzeit rechnen. Putins Wort oder Unterschrift ist nicht zu trauen. Er hat eine zweistellige Zahl von völkerrechtlichen Abkommen gebrochen, von der Uno-Charta und der Europäischen Sicherheitscharta über die Nato-Russland-Grundakte bis hin zu diversen Verträgen, in denen er die territoriale Integrität der Ukraine hoch und heilig anerkannt hatte. Eine Hinterzimmer-Vereinbarung mit dem Kreml würde Europa zu langfristiger Unsicherheit verdammen – und damit auch zu massiv höheren, volkswirtschaftlich belastenden Militärausgaben.»

Das ist nur ein – längerer – Ausschnitt aus dem Argumentarium von Rüesch. Er macht damit vor allem bewusst: Die Auswirkungen des Ukrainekriegs gehen uns alle an. Es ist kein lokal begrenzter Konflikt, wo ein Hegemon seinen Hinterhof aufräumen möchte. Es geht auch nicht um das Hinaufstilisieren eines korrupten, von Oligarchen beherrschten Pleitestaats Ukraine zum grossen Heldenballett. Es geht nicht um die Dämonisierung eines wahlweise kranken, verrückten, verbrecherischen, dummen, gescheiterten Kreml-Herrschers, der demnächst von seinem Posten entfernt werden wird.

Das ist dummes Geplapper, daran halten wir fest. Der Krieg wird mit Verhandlungen enden, das ist sonnenklar. Oder mit dem Einsatz von Atombomben, und dann ist alles egal. Aber wann diese Verhandlungen beginnen, und aus welcher Position heraus, das ist durchaus entscheidend. Der Westen, auch die Schweiz, hat dabei ein Problem. Bislang wurden alle Sanktionen und Waffenlieferungen so gesteuert, dass sie einerseits der Bevölkerung in Europa nicht zu sehr schaden. Die Benzinpreise sind zwar gestiegen, aber dank dem Wegfall der Corona-Sanktionen war die Reiselust im Sommer seit Jahren nicht so gross wie heuer.

Alleine die Unfähigkeit der Flugindustrie, also Airlines und Flughäfen, sorgt hier für Wermutstropfen im Glücksferiengefühl. Aber richtig weh würde Russland nur ein möglichst rascher Stopp aller Gas- und Ölimporte tun. Denn eine «Umleitung» nach Asien, konkreter nach China, das dauert laut russischen Angaben rund drei Jahre, bis die dafür nötige Infrastruktur steht. Das ist also das Zeitfenster, das der Westen hat. Anschliessend schliesst es sich …

Das wiederum hätte keine tödlichen, aber dramatische Auswirkungen auf die europäische Volkswirtschaft. Doch wer von den Ukrainern Helden- und Todesmut fordert und sie dafür mit Waffen beliefert, sollte so ein Opfer nicht scheuen.

Auch das ist natürlich nur eine Meinung, die mit Denkfehlern behaftet sein kann. Aber es scheint uns nur konsequent: wer aus der Ukraine eine Auseinandersetzung zwischen West und Ost, Freiheit und Demokratie gegen Unterdrückung und Autokratie macht, wer also oberhalb des Schiesskriegs einen Systemkrieg sieht, der sollte konsequenterweise die Umstellung auf Kriegswirtschaft fordern. In Europa und in der Schweiz.

Alles andere wäre nicht zu Ende gedacht, wäre das wohlfeile Fordern, dass sich die Ukrainer doch bitte für die Sache des freien Westens totschiessen lassen sollen. Während wir dann mal bereit wären, uns finanziell am Aufräumen des Schlamassels zu beteiligen. So denken all die, die wir hier weiterhin als dümmliche Kriegsgurgeln beschimpfen werden.

Wobei der Betreiber der Plattform sich das Privileg herausnimmt, zwar immer konkret und argumentativ, aber doch auch mit Schärfe zu kommentieren. Wer in den Kommentarspalten abstrakt formuliert, aber ohne Argumente auf den Mann spielt, wird zukünftig konsequent gekübelt.

Wir Rechthaber

Geben wir’s doch zu: es gibt nur eine richtige Meinung.

Wir leben in polarisierenden Zeiten. Zudem geht es immer ums grosse Ganze oder ums ganze Grosse. Die Pandemie war eine erste grosse Glaubensfrage. Nicht dafür oder dagegen. Aber: Leugner, Versteher, Gegner, Unterstützer?

Es gab und gibt die Fraktion der Staatsgläubigen. Die Unterstützer aller Massnahmen, die von Behörden angeordnet werden. Weil die doch wohl wissen, was für uns alle das Beste ist. Hierbei gibt es die Unterfraktion der fanatischen Gläubigen. Und die Fraktion der sich ständig in Todesgefahr Wähnenden.

Die Fraktion der Corona-Kreischen, die bis heute unermüdlich Marc Brupbacher anführt. Die Fraktion, die sich nicht vor Lächerlichkeit fürchtet. So wie der ehemalige Leiter des Wissensbunds bei Tamedia, der sich durch Kaffeetrinker und Speisenverzehrer im ÖV tödlich bedroht sah.

Und es gibt die Skeptiker, die bis zu Verschwörungstheoretikern reichen, denen die ganze Pandemiebekämpfung als Tarnung des Versuchs erscheint, uns alle einer totalen Kontrolle zu unterwerfen. Uns gezielt mit staatlichen Anordnungen umzubringen.

All diesen Ausformungen der Reaktion auf eine Pandemie ist eines gemeinsam: alle haben so furchtbar Recht. Bedingungslos. Ohne den geringsten Zweifel. Argumentative Auseinandersetzungen finden kaum mehr statt. Stattdessen wird aus dem Schützengraben geballert. Die Gedankengänge sind nicht dafür gemacht, andere zu überzeugen. Sie dienen nur der Selbstüberzeugung, der Selbstbestätigung, der Selbstversicherung. Ob dafür Zahlen herangezogen oder bezweifelt werden: sie sind nur Dekoration einer glasklaren Aussage: ich habe Recht. Unbezweifelbar. Vollständig. Unbeirrbar.

Erschwerend kommt hinzu, dass abweichende Meinungen nicht einfach der Ausdruck davon sind, dass halt alle anderen, die nicht ganz genau meiner Meinung sind, Tropenköpfe sind. Sondern abweichende Meinungen sind gefährlich. Sie gefährden mich. Wer die Pandemie nicht genau so bekämpfen will, wie ich es für richtig halte, ist ein potenzieller Mörder. Verantwortungslos. Fahrlässig. Im schlimmsten Fall gefährdet er den einzigen Menschen, auf den es wirklich ankommt: mich.

Aber all diese autistischen Streitereien waren nur das Vorspiel zum neuen, grossen Streit. Stehen wir vor einem Atomkrieg oder ist es richtig, der Ukraine so viel schwere Waffen zu liefern, wie es die Transportwege hergeben? Sollen die Gelder reicher Russen nicht nur beschlagnahmt, sondern gleich umgenutzt und für den Wiederaufbau der Ukraine verwendet werden? Macht es Sinn, sich in die Motive von Präsident Putin hineinzudenken oder reicht es, ihn als Kriegsverbrecher und gefährlichen Irren zu bezeichnen?

Was auch immer die Meinung des geschätzten Lesers sein mag: er hat damit natürlich völlig Recht. Und der Autor hat Glück, wenn er mit seiner Ansicht der Meinung des Lesers entspricht. Pech hat er hingegen, wenn das nicht der Fall ist. Auch da wird in den Kommentaren selten der Versuch unternommen, argumentativ Gegensteuer zu geben. Viel besser scheint doch eine kräftige Beschimpfung und als tödlichste Waffe die Ankündigung, solchen Unsinn zukünftig nicht mehr lesen zu wollen.

Zu ganz seltenen und kostbaren Sternstunden der Menschheit werden die Momente, wo mal einer zugibt: ich habe doch keine Ahnung. Ich weiss es schlichtweg nicht. Wer einmal davon gekostet hat, stellt verblüfft fest, dass es vielen anderen auch so geht. Nur traut sich keiner, das auch öffentlich zuzugeben.

Das gilt leider und insbesondere für Journalisten. Die haben geradezu zwanghaft eine feste Meinung und eine dahinterstehende Gewissheit zu eigentlich allem. Sie lassen sich auch nur ungern von des Gedanken Blässe ankränkeln. Wenn sie sich berufen fühlen, der Welt mal wieder den Marsch zu blasen, den Regierenden zu sagen, was sie zu tun und zu lassen hätten, daneben noch pandemische Fragen beantworten, militärstrategische Hinweise geben, gültige Worte zur einzig richtigen Ausgestaltung der Neutralität sagen, dann haben sie immer eine klare, wichtige und einzig richtige Meinung.

Die sie mehr oder minder eloquent, mehr oder minder intelligent, mit mehr oder weniger Niveau dem Leser um die Ohren schlagen.

Ohne sich dabei bewusst zu sein, dass sie immer häufiger wie der Kaiser in seinen neuen Kleidern verbal vortanzen. Dem staunenden Publikum ihre Blösse zeigen, aber meinen, in edelsten Meinungsstoff gehüllt zu sein, mit feinen silbernen und güldenen Linien reiner Genialität durchwoben.

Sie verkennen völlig, dass sie im besten Fall ein Unterhaltungsprogramm abliefern. Der Erkenntnisgewinn nahe null bleibt. Aber der Meinungsfaktor auf volle Dröhnung eingestellt ist.

Ich weiss es nicht, ich bekenne mich zu Wissenslücken, Widersprüchlichkeiten und tastendem Suchen? Niemals, das wäre ja Schwäche. Das wäre ja dumm. Das wäre ja differenziert. Das wäre ja ein Steinbruch, aus dem sich der Leser vielleicht eigene Stücke zurechthauen könnte.

Ist das so? Natürlich ist das so, denn das ist meine Meinung und feste Überzeugung. Deshalb ist das so, ist meine Beschreibung unbezweifelbar richtig und jeder, der dem nicht mit vollem Herzen und aus voller Kehle zustimmt, dem ist ja nicht zu helfen.

Alles fliesst. Nur die Meinung nicht.

Der Hang zum Selbstbetrug

So ist der Mensch. Im Zweifelsfall sich selbst genug.

Es ist menschlich, sich selbst als Massstab aller Dinge zu nehmen. Unangenehm auffällig wird das, wenn der Mensch Plattformen und Sprachrohre hat, um den Mitmenschen darauf aufmerksam zu machen.

Im angelsächsischen Journalismus ist es bis heute sehr verpönt, dass ein Autor auf seine eigene Befindlichkeit hinweist. Nachrichtenjournalismus heisst, berichten, was ist. Oder zumindest den Versuch unternehmen. Allerhöchstens ein kleiner, szenischer Einstieg, dann möglichst nackte Tatsachen.

Plus die üblichen Regeln von Anstand und Respekt. Deshalb käme es im englischen Journalismus niemand in den Sinn, die Autorisierung von Quotes zu verlangen. Oder zu gewähren. Es gilt «gesagt ist gesagt», und Ehrensache, dass der Journalist den Inhalt Wort für Wort oder in einer korrekten Zusammenfassung wiedergibt. Täte er das nicht, gäbe es einen Riesenaufstand. Kommt aber praktisch nie vor.

Wenn man einem englischen Journalisten zu erklären versucht, welcher Kampf auf Deutsch um die Sternchenvergewaltigung der Sprache wogt, welche ellenlangen Manuals ausgegeben werden, dass selbst der Duden sich nicht entblödet, entsprechende Ratgeber zu veröffentlichen, dann spürt man deutlich Unglauben und Befremdung.

Wenn man noch hinzufügt, dass sogar angebliche Qualitätsmedien wie Tamedia Seiten darauf verschwenden, sich selbst und dem Leser zu erklären, wie denn nun korrekt, inkludiernd, geschlechtsneutral die Sprache malträtiert werden muss, dann schüttelt es den Kollegen, der nicht fassen kann, dass sich erwachsene Menschen mit einem solchen Pipifax beschäftigen. Wobei nicht mal die Satiresendung «Spitting Image» auf eine solche Idee gekommen wäre, und die kamen auf so ziemlich alle Ideen.

Immerhin ist’s in den Hintergrund verschwunden

Aber, eigentlich die allereinzige positive Auswirkung des Überfalls auf die Ukraine, dieser Spuk ist weitgehend im Hintergrund verschwunden. Nur noch letzte Einzelkämpfer brabbeln etwas von «weiblichem Frieden», obwohl das Substantiv doch maskulin ist. Oder interviewen «Genderforscher», die Unsinniges über weibliche versus männliche Kriegsführung murmeln. Ohne dass sich eine der beiden Beteiligten bewusst wird, wie lächerlich das ist.

Aber viel direkter und noch unangenehmer merkt man diese Selbstüberhöhung, wenn der Journalist zum Kommentar greift. Das ist im modernen Elendsjournalismus, der jegliche Haltung, Qualität oder Recherchefähigkeit verloren hat, die Kompensation Nummer eins.

Keiner zu klein, Meinungsträger zu sein.

Der Chefredaktor höchstselbst, sei es auch nur eines Weltorgans wie das St. Galler «Tagblatt» oder der «Bote der Urschweiz», greift zum Griffel und geigt dem russischen Präsidenten mal seine Meinung. Was für ein Verbrecher der sei, was für ein Wahnsinniger, Diktator, Massenmörder, Zündler, riskiert einen Dritten Weltkrieg. Auch das wird geschrieben ohne das geringste Bewusstsein, dass solche Rempeleien völlig sinn- und wirkungslos sind.

Oder stellt sich der Kommentator wirklich im Ernst vor, dass dem Herrscher im Kreml die tägliche Presseschau vorgelegt wird, er beim jüngsten Kommentar der Auslandchefs von Tamedia hängen bleibt, erbleicht, anfängt zu zittern, zu einem der zahlreichen Telefone auf seinem Schreibtisch greift und sagt: «Genossen, ich gebe hiermit den Befehl zum sofortigen Rückzug. Und bitte alles reparieren, was wir kaputt gemacht haben»?

Keiner entkommt den Ratschlägen der Schreibtäter

Ein Spürchen, aber auch nur ein Spurenelement chancenreicher sind die überreichlichen Ratschläge, die der Schweizer Regierung gegeben werden.

Sie sollte, müsste, hätte, zögerte, hat endlich, muss noch viel mehr, darf nicht zögern, macht sich unglaubwürdig, muss ein Zeichen setzen, kann nicht abseits stehen, wird von der Welt beobachtet (und vom Redaktor), wäre gut beraten, muss nun unverzüglich.

Auch hier betrachtet der Schreiber sein Werk (und seinen Bauchnabel), findet Wohlgefallen und Behagen daran und begibt sich im sicheren Gefühl zum Feierabendbier, dass er es mal allen wieder richtig gezeigt habe und die Welt nun doch ein bisschen besser geworden sei.

Grossmäulig heisst das Gefäss immer noch «Leitartikel»; als ob dort etwas geleitet würde, etwas zum Geleit mitgegeben wird. In Wirklichkeit sind es Leidartikel, die beim Lesen ein selten intensives Gefühl des Fremdschämens auslösen. Denn ist es nicht peinlich und peinvoll, wie erwachsene Menschen, eigentlich zurechnungsfähig, sich selbst in aller Öffentlichkeit zum Deppen machen?

 

Fakten, Fakten, Fakten

Der heilige Gral aller ernstzunehmenden Berichterstattung. Nur: was sind Fakten? Oben ein faktentreuer Nachbau der Arche Noah.

Ältere Leser erinnern sich: «Fakten, Fakten, Fakten». Das war der Schlachtruf, mit dem der erste Chefredaktor des deutschen «Focus» gegen den damals alleinherrschenden «Spiegel» antrat.

Er wollte damit insinuieren, dass der «Spiegel», obwohl er sich «Nachrichtenmagazin» nennt, die Welt durch eine ideologische Brille sieht, sich als Besserungsanstalt versteht, als Organ von Rechthabern, mit erhobenem Zeigefinger und der leichten Säuernis von Menschen, die es eigentlich besser wissen, nur hört niemand wirklich auf sie.

 

Immerhin war «Focus» der erste gelungene Versuch, den «Spiegel» zu konkurrenzieren, und das Magazin existiert bis heute. Aber das Erfolgsgeheimnis war keine Faktentreue, sondern die Vorwegnahme moderner Lesegewohnheiten. Kurzstoffe, üppige Grafik, servicelastig, und «immer an den Leser denken», das war der zweite, weniger häufig zitierte Teil des Schlachtrufs von Helmut Markwort.

Alle denken an die Leser. Das ist das Problem

Damit war er allerdings nicht alleine. Der «Spiegel», eigentlich alle Newsmedien, denken an ihre Leser. Deshalb wollen sie deren Haltung nicht zu sehr mit unangenehmen Fakten erschüttern, das mag der Konsument nicht. Der Sündenfall Relotius beim «Spiegel» war nicht nur Ergebnis eines offenbar pathologischen Lügners. Er wurde auch durch die Absicht möglich, antizipierend dem Leser das zu liefern, was er gerne lesen möchte.

Verschärft beobachtet man dieses Phänomen bei der aktuellen Impfdebatte. Dafür, dagegen, alle Argumente sind eigentlich ausgetauscht. Jetzt geht es nur noch um Haltungen und Polemik. Könnte auch aus dem Lager der Impfkritiker stammen, aber hier ein Beispiel aus dem Lager der Impfbefürworter, vom Oberchefredaktor von Tamedia, in einem Kommentar:

«Nun kaufen wir mit unserem vielen Geld für ein paar egozentrische Impfskeptiker den Stoff, der anderswo Leben retten würde.»

Ein guter Beleg dafür, wie schwierig es mit den Fakten ist. Denn deren unumstössliche Kraft hört schnell einmal auf. Die Erde ist nicht flach, das darf man heute als Fakt bezeichnen, ohne auf dem Scheiterhaufen zu landen. Das Universum ist älter als nur ein paar tausend Jahre, obwohl das Kreationisten aller sich auf biblische Überlieferungen beziehenden Religionen genau so sehen und als Fakt wissenschaftlich untermauern wollen.

Was sind nun Fakten? Die NZZ gibt aus aktuellem Anlass die journalistisch korrekte Definition:

«Sachverhalte, die mit Tatsachen belegt werden können.»

Für Exegeten: und was sind Tatsachen? Fakten oder Sachverhalte. Kicher. Um aus diesem Kreislauf herauszukommen: Tatsachen sind sinnlich wahrnehmbare Vorgänge oder Zustände, die sich mit wissenschaftlich anerkannten Methoden darstellen, überprüfen und experimentell wiederholen lassen.

Fakten sind noch nichts

Die NZZ geht allerdings noch einen wichtigen Schritt weiter:

«Fakten erklären nichts. Genauso wie Daten noch keine Informationen sind. Fakten müssen erklärt, vertieft, eingeordnet und interpretiert werden, damit man sie verstehen kann.»

Genau hier beginnt das Problem der modernen Informationsüberschwemmung. Erklären, vertiefen, einordnen und interpretieren, das ist die eigentlich wichtige Leistung des Journalismus. Neben den entsprechenden professionellen Fähigkeiten braucht es allerdings noch ein entscheidendes Ingredienz: Vertrauen und Glaubwürdigkeit.

Denn der Konsument, der Leser kann nicht jedes erwähnte Faktum selbst nachkontrollieren, geschweige denn, die daraus gezogenen Schlussfolgerungen nachvollziehen und den Weg dahin abschreiten. Entweder vertraut er der Informationsquelle, dann ist’s gut. Oder er zweifelt, dann wird’s schwierig.

Die NZZ kommt nicht aus dem luftleeren Raum zu diesen Überlegungen. Die neue Chefredaktorin von Associated Press hat der NYT ein Interview gegeben. AP ist die grösste Nachrichtenagentur der Welt; angesichts schrumpfender Bordmittel und Eigenleistungen wird ihre Bedeutung monatlich grösser. Da ist es schon wichtig zu wissen, worauf sich diese Julie Pace verpflichtet sieht. Auf Fakten, sagt sie. Das ist gut. Also Dinge, über die man nicht reden oder diskutieren müsse, weil sie feststehen.

Zum Beispiel? Ob die Impfstoffe gegen Covid-19 sicher seien, ob es einen Klimawandel gebe oder ob es bei den US-Wahlen im vergangenen Jahr zu grösseren Betrügereien gekommen sei. Also ja, ja, und nein, laut Pace.

Fakten sind Fakten, können aber falsch sein

Und schon wird’s brandgefährlich. Denn Fakten können auch falsch sein, bzw. widerlegt werden. Mangels technischer Möglichkeiten meinte man lange Zeit, dass ein Atom unteilbar sei, daher auch der Name (altgriechisch «unteilbar»). Der Name blieb, das Faktum nicht.

Natürlich kann nicht jedes Mal in der Berichterstattung alles haarklein hergeleitet und belegt werden. Das würde die Newstexte unlesbar machen. Ungeniessbar werden aber selbst Kommentare, wenn sie Fakten – der Ankauf von «klassischen Impfstoffen» – mit despektierlicher Kritik – «für ein paar egozentrische Impfskeptiker» – und faktenfreier Behauptung – «Stoff, der anderswo Leben retten würde» – vermischt.

Umso unversöhnlicher – und auch faktenfreier – die Debatte um die Pandemie-Massnahmen wird, desto wichtiger wäre es, sich auf altbewährte Prinzipien des Erkenntnisgewinns zu besinnen.

Nur im offenen, tabulosen Schlagabtausch in der Öffentlichkeit ist Erkenntnisfortschritt möglich. Falsche Meinungen können, müssen falsifiziert und mit oder ohne Polemik zurückgewiesen werden. Aber ohne, dass die Meinungsträger persönlich angegangen, ihnen böse oder gute Absichten – je nachdem – unterstellt werden.

Das wäre der Idealfall. Leider entfernen wir uns von diesem Ideal beinahe täglich. Ein erkennbarer Grund dafür: Meinung ist wohlfeil, gratis und schnell gebildet. Fakten zu eruieren, aufzubereiten und darzubieten, das ist aufwendig und anstrengend.

Wäre aber dringend nötig.

Die Meinung ist frei

Und sie darf auch frei geäussert werden. Eine Zensur findet nicht statt, heisst es markig in der Bundesverfassung. Über Bezahlung steht da nichts.

Nehmen wir einen heutzutage völlig normalen Vorgang. Ein gewisser Michael Hermann führt eine Kolumne im «Tages-Anzeiger», somit im ganzen Tamedia-Kopfblattimperium. Damit kann er ungefähr die Hälfte aller Deutschschweizer Tageszeitungsleser beschallen.

Seine Meinung ist frei und klar: «Die Kritik an der Impfstoffstrategie von Bundesrat und BAG ist billig». In seiner Kolumne kritisiert Hermann alle, die es im Nachhinein besser wissen wollen, die mit dem Vorteil der Perspektive von heute ungerecht damalige Entscheidungen kritisieren: «Ohne Fehlertoleranz jedoch werden wir an Krisen wie diesen nicht wachsen.»

Unbezahlte Meinung hinter Bezahlschranke.

Das ist sicher ein wahrer Satz. Vielleicht hätte es dem unschuldigen Leser des Qualitätsjournalismus aus dem Hause Tamedia geholfen, wenn auch bei Kommentatoren gewisse Interessensbindungen offengelegt würden. Das schränkt ja die Meinungsfreiheit keinesfalls ein, hilft aber dem Empfänger bei der Einordnung der Meinung.

Michael Hermann, der Nachfolger des Mannes mit der Fliege, ist nämlich in erster Linie Geschäftsführer der «Forschungsstelle Sotomo». Die widmet sich den Themen «Meinungsforschung, Politikstudien und -evaluation» und anderen Untersuchungen.

Ohne billige Kritik geht’s wieder bergauf.

Auch das ist nichts Ehrenrühriges, denn auch Hermann muss ja schauen, dass der Schornstein raucht. Mit seinen politischen Spinnenprofilen und politischen Landkarten gehört der Politikwissenschaftler zum festen Personal der «Fachleute», die in Funk, Fernsehen und auch im Print gerne herbeigezogen werden.

Vor allem von privaten Medienhäusern, bei denen die «Expertenmeinung» häufig den Höhepunkt der Recherche darstellt, die sonst per copy/paste, skype und Google durchgeführt wird.

Was dem einen sein Uhl, ist dem anderen seine Nachtigall

Stellen wir eine hypothetische Frage. Was würde Tamedia wohl dazu sagen, wenn in der «Weltwoche» eine Verteidigungsschrift zum Risk Management der CS erschiene? Und sich herausstellen würde, dass der Autor zu den Lieferanten oder Mandatsträgern der CS gehörte? Ohne dass das dem Leser offengelegt würde? Genau, ein Riesengebrüll würde Tamedia erheben, vom Ende der journalistischen Sitten, gekauften Meinungen, von Leserbeschiss wäre die Rede.

Von Doppelspiel, Unredlichkeit und was einem sonst noch so an Beleidigungen einfällt. Womit Tamedia allerdings völlig recht hätte. Es ist im Fall Hermann allerdings so, dass auch die Credit Suisse zu seinen Auftraggebern gehört. Macht ja nix, darüber schreibt er nicht.

Zu seinen regelmässigen Auftraggebern gehören auch Ämter, die SRG, die Bundesverwaltung und – das BAG. Hermann nimmt hier also eine Behörde in Schutz, auf deren Honorarliste er oder seine Firma steht. Hermann äussert sich hier also positiv zu den Leistungen von Behörden und des Bundesrats, wobei staatliche oder halbstaatliche Institutionen den Grossteil seiner ausgewiesenen Brötchengeber ausmachen.

Immerhin zeigt er auf seiner Webseite Transparenz und führt stolz eine ganze Liste von aktuellen und vergangenen Projekten auf; jeweils mit Thema und Auftraggeber. Das diese Dienstleistungen, inklusive Meinungsumfragen, weder gratis erbracht werden, noch sehr billig sind, versteht sich von selbst.

Auszug aus der Kundenliste.

Wir wollen Hermann auch keinesfalls unterstellen, dass er eine Mietmeinung sei, so wie der Bankenprofessor Peter V. Kunz, bei dem man ein «Gutachten» bestellen kann, das nötige Kleingeld vorausgesetzt.

Wir wollen aber diese mangelnde Transparenz im Hause Tamedia mit angeblich eisernen Regeln und Transparenz, der Basis für das Vertrauen, das der Leser seinen Produkten entgegenbringen soll, scharf kritisieren.

Hermann nimmt Stellung, Tamedia nicht

Hermann nimmt die Möglichkeit wahr, Stellung zu beziehen: «Ich finde Ihre Fragen bezüglich meiner Aufträge durchaus legitim.» Psychologisch geschickter Einstieg;

«wenn der Massstab wäre, alle Akteure in meiner Kolumne zu deklarieren, bei denen ich  schon Aufträge hatte, müsste ich dies bei praktisch jeder tun».

Hier lässt er etwas nach, denn: warum nicht? Aber schon kommt er wieder hinten hoch: «Gerade die Tatsache, dass wir ein so breites Kundenfeld haben, führt zugleich dazu, dass wir gegenüber keinem Kunden in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen.»

Zudem sei das Hauptgeschäft Meinungsumfragen, keine strategische Beratung, zu der er sich in seiner Kolumne äussere. Immerhin, netter Versuch.

Tamedia hingegen ignorierte eine gleichlautende Anfrage; Arthur Rutishauser beauftragte nicht einmal die Medienstelle, per copy/paste zu schreiben: Diese Vorwürfe sind falsch.

Wieso überrascht das nicht?

 

 

 

 

https://sotomo.ch/site/projekte/