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Schall und Rauch

Neues aus der Bauchnabelbetrachtungs-Zone.

Im Exil in Paris treffen sich zwei deutsche Autoren, die vor dem Hitler-Faschismus geflohen sind. Sagt der eine: «Ich habe da so einen dummen Pickel auf der Nase.» Sagt der andere: «Mach doch ein Drama draus.»

Neuerdings hat Rafaela Roth einen Pickel auf der Nase. Und sie macht die Titelgeschichte des «NZZamSonntag Magazins» draus.

Natürlich muss ein Journalist einen gewissen Mitteilungsdrang haben. Natürlich steigert sich der, desto unwichtiger die Meinung eines Journalisten wird.

Aber neben der Meinung zu allem und vor allem zu Themen, von denen der Journalist keine Ahnung hat, gibt es ein Gebiet, bei dem er sich wenigstens ein wenig auskennt: ihn selbst. Davon könnte er stundenlang erzählen, und es ist ihm auch herzlich egal, ob den Leser diese Bauchnabelschau interessiert.

Nun hat Roth (so viel wir wissen) keinen Pickel auf der Nase, deshalb schreibt sie auch nicht darüber. Aber sie hat aufgehört zu rauchen. Das scheint ein schmerzlicher Prozess gewesen zu sein, die Entwöhnungspflaster verursachten «juckende, rote Beulen».

Natürlich ist sich Roth bewusst, dass das noch nicht seitenfüllend ist, schliesslich muss sie dann schon so rund 14’000 Zeichen absondern, das ist keine Kurzstrecke.

Also langweilt sie den Leser mit den üblichen Einschüben «Ich klappte meinen Rechner auf», lässt den Leser an ihren Erkenntnissen teilhaben «wenn man im Netz nach der Wirkung von Nikotin sucht, landet man meistens bei der Wirkung von Tabak», und auch an ihrem eigenen Suchtverhalten «ich war eine überschwängliche Raucherin, ich zelebrierte es, propagierte es, ich sah gut aus dabei, fand ich».

So weit, so gähn. Dann Auftritt Suchtberaterin, diskreter Hinweis auf die «Rauchstopplinie»; seit Zeitungen frei von Tabakinseraten sind, darf man da auch ungehemmt draufschlagen, die Tabakindustrie könne man «gut und gerne als die verlogenste aller Industrien bezeichnen».

Und schliesslich, wer’s noch erlebt, der versöhnliche Schluss: «Techno bringt mich in den Schreibflow. Ich jogge jetzt. Manchmal, wenn ich einige Tage nicht rauskann, werde ich unruhig, fast nervös.»

Vielleicht gibt es Leser, die dankbar für diese tiefen Einblicke ins Leben einer Journalistin sind. «Ich habe so gerne geraucht», was für eine Hammerstory.

So nebenbei: René Zeyer hat über 40 Jahre lang zwei bis drei Päckchen geraucht. Und dann von einem Tag auf den anderen aufgehört. Einfach so. Aber keine Angst, ZACKBUM macht nun keine Bauchnabelbetrachtungs-Story draus. Wir versuchen, hier ein Niveau zu halten, das wir nur ungern verlassen möchten.

Aber auf eine Story aus dem Hause Roth wären wir echt gespannt: «Ich habe so gerne geschrieben».

Wohin treiben wir?

Im Meer der Dummheit auf dem Rücken schwimmen.

Vorverurteilung ist der neue Volkssport der serbelnden Massenmedien. Das gehört zur Erregungsbewirtschaftung, mit der sinkende Lesereinnahmen kompensiert werden sollen. Was da der «Spiegel» in vorderster Linie anstellt, müsste eigentlich Augstein aus dem Grab und Aust die Wände hoch treiben.

Groupies beschweren sich darüber, dass ihr Kontakt mit dem angehimmelten Popstar nicht aus einem schlaffen Händedruck besteht? Sie ziehen sich gerne wie verlangt an, kreischen in der ersten Reihe um die Wette, kommen ans Ziel ihrer Träume. Um dann eine Portion vergänglichen Ruhm abzuholen, indem sie belegfrei angebliche Übergriffe behaupten. Sofort finden sich Trittbrettfahrerinnen, Bloggerinnen und andere öffentlichkeitsgeile Weiber, die auf der Welle mitsurfen wollen. Und Massenmedien wie das einstmals angesehene Nachrichtenmagazin «Spiegel» machen eine Coverstory draus. Ein berühmter und begabter Schauspieler wird mit uralten Anschuldigungen fertiggemacht, willig kolportiert von den Medien. Wird er auf ganzer Linie freigesprochen, gibt’s nicht mal eine leise Entschuldigung. How low can you go?

Fürsorgepflicht für öffentlich hingerichtete Mitarbeiter? Ein Fremdwort für Tamedia. Transparenz bei der Personalpolitik? Ein Fremdwort für Ringier. Beförderung nach Qualifikation und Kompetenz, statt nach Nachnamen? Zwei Fremdwörter für das Wanner-Imperium. Eine nachvollziehbare Begründung für das Feuern eines Chefredaktors liefern? Nicht bei der NZZ.

Früher konnte man sich noch darüber beklagen, dass Mittelmass an die Macht kam. Heutzutage sind es Würstchen, die als erstes den Senf rationieren. Eine Literaturchefin, die von Literatur nur wenig Ahnung hat. Kolumnisten, die die Sprache und den Leser quälen. Figuren in leitenden Positionen, die einzig durch den Besitz eines bestimmten Geschlechtsorgans in diese Position kamen. Pimmelträger, die frustriert aufgeben und sich anderswo umschauen, nur nicht im Journalismus.

Das staatliche Farbfernsehen, Pardon, die zwangsgebührenfinanzierte, staatsunabhängige SRG, die entschieden mehr Sesselfurzer als journalistisch Tätige beschäftigt und von einer Frau ohne Vision, aber mit gut ausgebautem Machtinstinkt geführt wird.

Leitartikelschreiber(innen), die den Leser leiden lassen, ausser er gehöre zur Gesinnungsblase und hat weitgehend die Gehirnfunktionen eingestellt. Geschichtsbetrachtungen, die es schrecklich und schmerzlich an historischen Kenntnissen mangeln lassen. Philosophische Weltbetrachtungen, bei denen es von Ockham (1288 – 1347) aufwärts allen Philosophen den Magen umdreht, angesichts solch geistigen Wüstengebieten.

Sandkastengeneräle, Kriegsgurgeln, Militäranalysten, deren Analysen so falsch sind, dass nicht mal das Gegenteil stimmen würde. Prognostiker, die lieber das Wetter von gestern als das von morgen vorhersagen sollten. Interviewer ohne die geringste Sachkenntnis, denen ein Multiversager wie Mark Pieth oder eine durchgeknallte Kreischfeministinnen wie Emilia Roig jeden Mumpitz ernsthaft und unwidersprochen verzapfen können.

Alles Russische wird verteufelt, Kunst und Kultur wird geächtet, das Unwort Putin-Versteher wird jedem angeklebt, der nicht im hysterischen Gejapse der Verdammnis mitkreischt.

Kaum getarnte Publireportagen, bezahlte Inhalte, schamvoll klein als solche ausgezeichnet oder als «Zusammenarbeit» camoufliert, womit sich der Journalismus endgültig als Nuttenboulevard outet. Wirtschaftsjournalisten, die auf Zuruf nicht mal anzugeben wüssten, wo in einer Bilanz das Eigenkapital verbucht wird und was genau der Unterschied zwischen Aktiven und Passiven ist. «Datenjournalisten», die unlauter aus Daten Resultate heraussaugen, die in ihr Weltbild passen.

Genderkreischen, Klimawarner, Heuchler, die Verhaltensänderungen fordern, ausser bei sich selbst. Unbelehrbare Fehlanalysten, grosse Kenner der US-Politik, der Türkei, von eigentlich allem, bloss: meistens liegen sie krachend daneben. Nur: nach kurzem Schweigen oder einem zerknirschten Eingeständnis kommt die nächste «Analyse», vorgetragen mit dem strahlenden Selbstbewusstsein, mit der strahlenden Dummheit eines Wiener Walzers.

Rechthaber, die der Welt leidend vorgreinen, wie sie zu sein hätte, aber leider, leider, niemand hört auf sie. Oberlehrer mit ewig gezücktem Zeigefinger, prustend vor moralgeschwängertem Geschwurbel. Sie haben Antworten auf alle Fragen, nur ist sie nicht 42. Kindersoldaten, denen der Zweite Weltkrieg noch dunkel ein Begriff ist, aber ja nicht fragen, wann der war.

Ach so viele machen zudem bei der Verhöhnung der wahren Opfer des Nationalsozialismus mit. Sie bezeichnen alles und jeden, der einen Millimeter rechts von ihnen steht, als Nazi. Mindestens als Proto-Nazi, weniger Wagemutige werfen mit «faschistoid» um sich, schnell ist man mit der «Erinnerung an dunkle Zeiten» zur Hand, obwohl sich keiner mehr daran selbst erinnern kann.

Abhold sind diese verunsicherten Rechthaber jeglicher ernsthafter Debatte: ein Gegenargument könnte fatale Auswirkungen haben, die Konfrontation mit einem intellektuell überlegenen oder gebildeten Geist könnte der psychischen Gesundheit abträglich sein. Denn niemals würden diese Karikaturen von Journalisten zugeben, dass sie eigentlich kleine Lichter sind. Übrig geblieben aus einer Negativauslese. Denn wer zu teuer ist, zu kantig, zu aufmüpfig, wer es gar wagt, eine eigene Meinung zu haben, muss bei der nächsten Sparrunde als Erster über die Klinge springen.

Was diese Mietschreiber der deutschen Sprache antun, müsste strafrechtlich abgeurteilt werden. Nicht nur, dass sie sie mit Gender-Sternchen, absurden angeblich inkludierenden Formen vergewaltigen. Selbst ohne diesen Mumpitz zeigen ach so viele, dass sie nicht mal die Grundregeln beherrschen. Von eleganten Formulierungen, einem überzeugenden Aufbau, Leserführung, Komprimierung ganz zu schweigen. Da werden «Reportagen» geschrieben, die aus ein paar Gesprächsfetzen bestehen, da werden «Analysen» gemacht, die überhaupt kein Ganzes in seine Bestandteile zerlegen, sondern Gehacktes, Geschnetzeltes, Gedankensplitter feilbieten.

Der Journalismus ist so auf den Hund gekommen, dass sogar seit einiger Zeit keine neuen «Leaks» oder «Papers» veröffentlicht werden. Das sind zwei Euphemismen für das Ausschlachten von Hehlerware. Von gestohlenen Geschäftsunterlagen, bei denen die Ausschlachter keine Ahnung haben, aus welchen Motiven sie gestohlen und gratis verschleudert werden.

Das hält sie aber nicht davon ab, Staatsanwalt, Richter und Henker in einer Person zu spielen; nach Belieben ausgewählte Personen an den medialen Pranger zu stellen. Dass darunter auch Tote, Unschuldige, durch diese Enthüllungen in Lebensgefahr geratene Menschen sind, dass hier Existenzen vernichtet werden wie die eines schweizerisch-angolanischen Geschäftsmanns, was soll’s. Dass einem verstorbenen Playboy völlig zu Unrecht üble Vorwürfe gemacht werden, die sich in Luft auflösen: na und? Man suhlt sich ein Weilchen in der künstlichen Sonne der angeblichen Enthüllung und Aufklärung. Hinterlässt ein Trümmerfeld und zieht weiter.

Viele Journalisten haben so wenig zu tun, dass sie zu den fleissigsten Fütterern der asozialen Plattformen gehören. Twitter ist ihr Lieblingskanal, ältere Semester verwenden Facebook, jüngere Instagram oder TikTok. Dort weisen sie gackernd wie Hühner über ein gelegtes Ei auf ihre eigenen Artikel hin und beschimpfen alle anderen, die nicht ihrer Meinung sind.

Kompetenz im umgekehrt proportionalen Verhältnis zum Selbstbewusstsein. Einbildung als Ersatz für Bildung. Schweigen als Reaktion auf Kritik. Gross im Austeilen, ganz, ganz klein im Einstecken. Der eigene Bauchnabel als Weltersatz. Das eigene Empfinden als Empathie-Ersatz. Geklautes Leiden, geheuchelte Betroffenheit, moralische Unfehlbarkeit wie früher beim Papst, ein unstillbares Bedürfnis, der Welt die eigene Meinung aufzudrängen, als ob die auch nur schon die eigenen Leser interessieren würde.

Das ist das jammervolle Bild, das der Journalismus heute abgibt. Er wird unbeeindruckt von solchen Beschimpfungen in die Grube fahren. ZACKBUM begleitet ihn dabei als Ein-Mann-Orchester.

 

 

Wumms: Anna Wanner

Durch den Bauchnabel gesehen.

Es hat schon Vorteile, die Tochter des Chefs zu sein. Axel Wüstmann war weder das eine, noch das andere. Deshalb ist er weg, während Anna Wanner von niemandem gehindert werden kann, ihren Senf zu allem zu geben.

Immerhin macht sie es leserfreundlich unnötig, ihren Kommentar lesen zu müssen; schon der Titel stellt alles klar: «Vorentscheidung beim SP-Ticket: Eva Herzog ist die Richtige».

Während ihre Konkurrentin Elisabeth Baume-Schneider den grossen Vorteil habe, «nicht nur kompetent, sondern auch witzig» zu sein, habe sie natürlich keine Chance, dekretiert Wanner.

Wenn ein Mann, zum Beispiel Wüstmann, eine Frau so beschrieben hätte, da wäre die Feminismus-Fraktion ganz schön ins Hypern gekommen, was denn das für ein Kriterium sei, ob man das bei Männern auch, und überhaupt. Aber was kümmert das die Tochter vom Chäf.

Denn eben, Herzog sei die Richtige, weiss die Politik-Analystin. Während sich der Leser fragt, wen ausserhalb des Hauses Wanner diese Meinung interessiert. Vielleicht nicht einmal auf dem Schloss beim Tafeln im Rittersaal …

Der Bauchnabel-Journalismus

Die Welt und das Ich: Icherstattung.

Heute Morgen bin ich mal wieder vor dem Läuten des Weckers aufgewacht. Die Verdauung funktionierte zufriedenstellend, die Bartstoppeln waren etwas länger als sonst, da ich mich am Sonntag nicht rasiert habe. Ob ich Corona-positiv bin, weiss ich nicht, weil ich mich nicht getestet habe. Obwohl ich kürzlich bei Freunden zum Lunch war, bei denen der Gatte Omikron hat. Aber das beunruhigt mich nicht sonderlich.

Hallo, noch jemand da und nicht weggeschnarcht? Danke. Das war ein Ausflug in die Niederungen des modernen Spar- und Bauchnabeljournalismus. Corona-Kreische Marc Brupbacher twittert Intimes über seinen letzten Familienausflug ins Elsass, ist aber nicht in der Lage, eine journalistische Anfrage zu beantworten.

Nicht nur Nicole Althaus füllt regelmässig Gefässe mit der Betrachtung des eigenen Bauchnabels (und der Gebärmutter) ab. Überhaupt wächst einem weltpolitischen Ereignis nur dann berichtenswerte Bedeutung zu, wenn es am Empfinden des Journalisten gespiegelt werden kann. Der ist dann «beunruhigt», er «befürchtet», «warnt», «fordert».

Ein Journi fällt im Fitness vom Laufband? Tritt auf der Strasse in Hundekot? Hat sich den Magen verdorben? Eine Story, ein «Erlebnisbericht». Immer mehr Journalisten meinen: was mich selbst beschäftigt, ist doch auch für die Leser rasend interessant. Meine Meinung zur Wahl Lulas in Brasilien ist doch viel wichtiger als das Ereignis selbst. Meine Gefühle gegenüber Putin sind doch von weltgeschichtlicher Bedeutung. Meine Entscheidung, ob ich mich so oft boostern lasse, bis ich durchlöchert wie ein Stecknadelkissen bin, ist nicht nur berichtenswert, sondern sollte als Vorbild für alle dienen.

So degeneriert Berichterstattung immer mehr zur Icherstattung. Mangelnde Fähigkeit zur Beschreibung, Einordnung und Analyse wird durch ungehemmtes Ego ersetzt. Statt Berichte über das, was in Nah und Fern so passiert, heisst das Thema «ich und die Welt, die Welt durch mich». Als hätten die Journis sich der philosophischen Denkrichtung verschrieben, die davon ausgeht, dass die Welt nur durch das Individuum existiert, der Raum, den es gerade verlassen hat, keine Existenzberechtigung mehr hat und verschwindet.

Dazu sind sie zu ungebildet. Aber das Prinzip wenden sie mit schlafwandlerischer Sicherheit an. Geradezu teuflische Ergebnisse hat diese Ichperspektive in der «Weltwoche». Wen sie hochlobt oder hochhält, verliert garantiert. Das war bei Donald Trump so. Das ist bei Liz Truss oder bei Jair Bolsonaro so. Sie ernennt den neuen britischen Premier Rishi Sunak zum «Supertalent», nachdem doch noch vor Kurzem Truss «die richtige Frau am richtigen Ort» war. Nun muss man sich um die politische Zukunft von Sunak echt Sorgen machen. Und Roger Köppel himself erklärt Heinz Tännler zu seinem «Bundesratsfavoriten». Der Arme, damit hat er – Fluch der WeWo – keine Chance mehr.

Wahlprogramme, vergangene Erfolge oder Misserfolge, Persönlichkeitsstruktur, Umfeld, Analyse der Situation? Pustekuchen, es geht um «ich und Putin», «ich und die Bundesratswahlen», «ich und Corona».

Es ist ausserdem ein sehr narzisstisches Ich, also schnell eingeschnappt, beleidigt, wenn es feststellen muss, dass nicht alle in der Welt seiner Meinung sind. Was sehr bedauerlich ist, denn sonst wäre die Welt ein viel besserer Ort. Da das Ich ja Lösungen für eigentlich alles zur Hand hat, vom Kater nach dem zuvielten Glas bis zum Weltfrieden: nur das Ich fragen.

Wer das nicht tut, wird entweder zum Leugner oder zum Versteher. Immerhin nicht zum verstehenden Leugner oder zum leugnenden Versteher. Aber zum Klima- oder Corona-Leugner, bzw. zum Putin- oder China-Versteher. Beides ist schlecht und falsch. Das muss auch nicht weiter begründet werden; verwendet das narzisstische Ich diese beiden Bannbegriffe, dann hat der Betroffene eigentlich nur noch die Möglichkeit, sich zu schämen und zu verstummen.

Im angelsächsischen Journalismus, immer noch die Benchmark, die für alles Deutsche in unerreichbare Ferne abschwirrt, ist es eine Selbstverständlichkeit bis heute, dass in der Berichterstattung über ein Ereignis ein Wort garantiert nicht vorkommt: I. Im Kommentar ist’s erlaubt, bei der Nachricht selbstverständlich nicht.

Sicherlich ist es schwieriger geworden, angesichts des krachenden Versagens der Verlagsmanager und der ungebrochenen Geldgier der Besitzerclans der Schweizer Medienkonzerne, anständigen, qualitativ hochstehenden und geldwerten Journalismus zu betreiben.

Wer aber statt Mehrwert und ausgewogene Orientierung bietenden Informationsjournalismus saure Milch, verschwitzte Socken, Mundgeruch, flackernde Blicke und Notizen rund um den Bauchnabel sowie Maulaffen und vorgefasste Meinungen feilhält, muss sich wirklich nicht wundern, dass sich immer mehr zahlende Leser mit Grausen abwenden.

Was all diesen Egobolzen fehlt, könnte man in ihrem Jargon so bezeichnen: sie sind keine Leserversteher.

Ich, ich, ich

Unseren täglichen Rassismus gib uns heute.

Der Lieblingssong vieler Journalisten muss «I and I» von Bob Dylan sein. Allerdings sind die meisten nicht gebildet genug, um den zu kennen. Auf jeden Fall nimmt die Betrachtung des Bauchnabels einen immer wichtigeren Bestandteil der täglichen Arbeitsimitation ein.

Dabei werden täglich neue Rekordversuche aufgestellt. Während der Journalist gemeinhin seinen eigenen Bauchnabel betrachtet und über dessen Befindlichkeit, Zustand, Grösse, Farbe und Veränderung seit gestern Auskunft gibt, stellt Sandro Benini im «Tages-Anzeiger» eine neue Perspektive in den Raum.

Ein Journalist betrachtet einen anderen Journalisten beim Betrachten dessen Bauchnabels. Konkret geht das so, dass Benini über eine Kollegin von «Finanz und Wirtschaft» schreibt – «die wie diese Zeitung zu Tamedia gehört». Diese Journalistin hatte getwittert: «Welcome to my Alltagsrassismus». Dieses merkwürdige Kauderwelsch entging nicht dem geschulten Augen Beninis, der sofort eine Story witterte, die man der Weltöffentlichkeit nicht vorenthalten kann.

Also bastelte er einen «Kopf des Tages» daraus, mit dem anklagenden Titel: «Sie hört pro Woche einen rassistischen Spruch». Denn sie sieht nicht wie ein reinrassiger Schweizer aus, wobei noch zu klären wäre, wie der aussähe. Seine Kollegin ist hingegen «Tochter einer Amerikanerin mit koreanischen Wurzeln und eines Schweizers jüdischen Ursprungs».

Wir ersparen es Benini, diesen Satz einem Spezialisten für Diversity, Gendern und der Beurteilung von Inklusionen sowie Exklusionen und rassistischen Untertönen zur Beurteilung vorzulegen. Wir schliessen aber gerne Wetten ab, dass der (oder die oder es) einige Ansätze für Kritik sähe. Alleine «koreanische Wurzeln, jüdischer Ursprung», also wirklich.

Wie auch immer, ihr Aussehen provoziert offenbar Dumpfbacken dazu, anzügliche Bemerkungen zu machen. Behauptet sie. Wie sie sich wohl jede attraktive Frau (und auch viele nicht attraktive) immer wieder anhören muss. Nur haben die in ihrem Fall bedauerlicherweise gelegentlich auch rassistische Konnotationen. Behauptet sie.

Das ist ein sicherlich ärgerliches Begleitbrummen im Leben. Aber wirklich berichtenswert in allen Kopfblättern des Tagi? Muss nun wirklich jeder (und jede) jegliche Form von Diskriminierung, Alltagsrassismus, alle dummen Sprüche, zu denen leider minderbemittelte Mitbürger in der Lage sind, in den Schrumpfzeitungen ausbreiten, die eigentlich wichtigere Themen zu behandeln hätten?

Ist solcher Pipifax wirklich einen Artikel wert? Als René Zeyer im Appenzell lebte, schmiss ein Bekannter meines Nachbarn jeden Sonntagmorgen den Rasenmäher an und mähte nicht nur dessen Magerwiese nieder, sondern auch meine. Als ich mir das verbat und darum bat, auch beim Nachbarn den Lärm wenigstens nicht um 8 Uhr morgens zu veranstalten, bekam ich die Antwort: «Bei uns in der Schweiz macht man das so

Wenn ich genauer darüber nachdenke, bin ich also auch ein Rassismusopfer. Ganz zu schweigen davon, was ich mir in der Schule anhören musste, als ich der schweizerdeutschen Krachlaute noch nicht mächtig war. Allerdings: sollte es mir in den Sinn kommen, jemals einen Tweet mit dem Titel «Welcome to my Alltagsrassismus» abzusetzen, wäre ich sofort bereit, mich psychologisch beraten und behandeln zu lassen.

Es ist eine zunehmende gesellschaftliche Erkrankung, ansteckender als Covid, Vogelgrippe und Schweinepest, dass sich jeder (und jede) als Opfer von irgendwas inszenieren muss. Fällt einem dazu trotz grössten Bemühungen nichts ein, kann man wenigstens stellvertretend leiden. Für die Schwarzen. Die Transen. Die Queeren. Die Frauen. Die Kinder. Die Ausländer. Die Inländer. Die Hybriden, Schwulen, Asexuellen, die People of Color, die Nachfahren von Sklaven, die Nachfahren von Sklavenhaltern, die Rastaträger, die sich kulturell aneignenden Rastaträger.

Die Moslems, Juden, Adventisten, Katholiken, Reformierten, Scientologen. Überhaupt für jede Minderheit. Für SVP-Wähler, Covid-Leugner, Verschwörungstheoretiker, Befürworter der Behauptung, dass Donald Trump der Sieg bei den Präsidentschaftswahlen geklaut wurde. Mohrenkopf-Esser, Trinker von koffeinfreiem Kaffee, Träger von Brioni-Anzügen. Denn auch all die sind Minderheiten; diskriminiert, verlacht, von Ausschliessung bedroht.

Keiner zu klein, diskriminiert zu sein. Jeder ist ein Opfer von allem und allen. Wer multiple Diskriminierungen vorweisen kann, ist dem einfach Diskriminierten deutlich überlegen. Väter sind Täter, Frauen sind benachteiligt und unterdrückt. Durch Sprache, in der Medizin, am Arbeitsplatz, durchs Kinderkriegen. Die blosse Zugehörigkeit zu irgendwas legitimiert das Leiden unter Diskriminierung. Das blosse Zusehen, sogar die Einbildung eines Leidens anderer reicht schon.

Eine Frau ist diskriminiert und Opfer. Eine dunkelhäutige Frau ist mehrfach diskriminiert und Mehrfachopfer. Eine lesbische, dunkelhäutige Frau mit Migrationshintergrund und Endometriose ist multipel diskriminiert und Fünffachopfer.

Dass angeblich von fürchterlicher Diskriminierung Betroffene, in deren Namen kräftig gelitten wird, sich häufig wundern, was offensichtlich wohlstandsverwahrloste Menschen sich einbilden, um etwas Farbe ins langweilige Leben zu kriegen, hält hierzulande niemanden davon ab, auch stellvertretend zu leiden. Wie Patti Basler. Wie diese Redaktorin der FuW. Wie so viele, wie viel zu viele.

Was noch fehlt: das Leiden an der Diskriminierung durch sich selbst. Zum Beispiel, ein Schwarzer, Pardon, eine Person of color, sagt zu sich selbst: als Schwarzfahrer bist du immer der Neger. Damit hat er sich selbst diskriminiert, exkludiert und das Ganze erst noch mit einem rassistischen Unterton und unter Verwendung eines Pfui-Worts. Und jetzt? Muss er sich vor sich selbst fürchten? Einen Sensibilisierungskurs besuchen? Hundert mal in sein Smartphone tippen: ich darf nie mehr Neger sagen? Patti Basler, stellen Sie sich das vor und helfen Sie!

Es ist so ein Elend in der Schweiz, dass es jedes Bürgerkriegsopfer der Dritten Welt, jede Mutter mit einem verhungernden Kind auf dem Arm in Afrika mit tiefem Schmerz und Mitgefühl erfüllen muss.

Die Läuse im Pelz

Wieso der Bauchnabel das wichtigste Körperteil des Journalisten ist.

In der Legende «Vor dem Gesetz» gibt es die Szene, dass der dort Wartende in seiner Verzweiflung sogar die Flöhe im Pelz des Türhüters um Hilfe bittet. Franz Kafka wollte das als groteske Übertreibung verstanden wissen.

Er kannte 1915 die modernen Journalisten nicht. Die haben sich grösstenteils von ihrer eigentlichen Aufgabe verabschiedet. Die bestünde darin, möglichst kenntnisreich, analytisch und wirklichkeitsgetreu über wichtige Ereignisse zu berichten, deren Kenntnis einem interessierten Publikum wichtig ist. Stattdessen kümmern sie sich um Flöhe. Um die eigenen und um fremde, weil diese Grössenordnung ihren intellektuellen Fähigkeiten entspricht.

Nach oder neben diesen Berichten kann der Journalist, aber nur, wenn er kann, in Form eines Kommentars seine persönliche Sichtweise darlegen. Das hätte aber zur Voraussetzung, dass hier intelligente, niveauvolle, lesenswerte Ansichten geäussert werden, die den Leser bereichern, zum Nachdenken anregen, die mit einem Wort bedenkenswert sind.

Richtig, das hört sich heutzutage wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht an. Denn den Kontakt zur Wirklichkeit haben die meisten Journalisten, eingepfercht in ihre Verrichtungsboxen im Newsroom, längst verloren. Hingehen, anschauen, aufschreiben, das war vielleicht noch zu Zeiten von Kisch das übliche Vorgehen. Heute ist es ersetzt durch Google, Agenturmeldungen, copy/paste aus fremdsprachigen Organen und dem willfährigen Gehorsam gegenüber den Stallordern des jeweiligen Konzerns, bei dem der Journalist (noch) angestellt ist.

Während über geschrumpfte Platzverhältnisse und gegroundete Redaktionen gejammert wird, könnte man meinen, dass nun der dünnere Umfang mit dickerem Inhalt kompensiert wird. Konzis, komprimiert, schlank auf den Punkt.

So, nun verlassen wir die Märchenstunde und wenden uns der Realität zu. In Wirklichkeit herrscht im Journalismus der Bauchnabel. Der Bauchnabel des Journalisten ist sein wichtigstes Körperteil, er steht im Zentrum seines Interesses, seines Schaffens. Das Gehirn, die Sinnesorgane, selbst der Geschlechtstrieb ist nicht so wichtig wie der Bauchnabel. Der Bauchnabel symbolisiert die Egozentrik, das Besinnen nicht mehr aufs Eigentliche, sondern aufs Eigene, das den modernen Elendsjournalismus auszeichnet.

Der Journalist schreibt über das, was er noch einigermassen kennt – im Idealfall. Über sich selbst. Über seine Befindlichkeiten, über seine Umgebung, sein Erleben, seine Probleme. Er interviewt oder beschreibt dabei alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Den Partner, die Kinder, die Eltern, die Verwandten. Die eigene Jugend, die Probleme mit dem Altern, in der Beziehung, beim Einkaufen, die Suche nach einem Parkplatz, das Verpassen eines Fliegers, die Hitze, Kälte, die Natur, die Stadt, der See, kein Thema zu beliebig, um nicht abgehandelt zu werden.

Besonderer Beliebtheit erfreuen sich auch Haustiere jeder Art. Die haben zudem den gleichen Vorteil wie das fernere Ausland: es ist keine Gegendarstellung zu befürchten. So müssen also Hunde, Katzen, Wellensittiche, Meerschweinchen, auch exotischeres Getier wie Schlangen, Papageien, Ameisen, dazu noch Hausschweine, Kaninchen, gar Kühe oder Schafe dafür herhalten, beobachtet und dem Leser serviert zu werden.

Andere müssen dafür in Selbsthilfegruppen, Therapien oder Urschrei-Kurse gehen. Journalisten können sich ungeniert öffentlich ausagieren. Hemmungslos, schamlos, von der überragenden Bedeutung des eigenen Bauchnabels zutiefst überzeugt. Ist er nicht schön, ist er nicht speziell, ist er nicht originell, kann man ihn nicht von oben, unten, seitwärts oder sogar von innen betrachten?

In Wirklichkeit sieht das zunehmend angewiderte Publikum dabei zu, wie ein ehemals anständiger und geschätzter Berufsstand auf peinliche Weise öffentlich Selbstmord begeht.

Übergrosser Bauchnabel

Was ist das wichtigste Körperteil eines Journalisten?

Konsumenten von Medien könnten meinen, dass es sich dabei um den Kopf handle. Vielleicht sehen das männliche Journalisten zum Teil anders, aber das wichtigste Körperteil eines Medienschaffenden ist eindeutig sein Bauchnabel.

Denn diesen betrachtet er nicht nur ausgiebig. Tastet ihn regelmässig ab. Fühlt, spürt, wie es dahinter zu und her geht. Rumpelt der Magen? Verrichtet das Gedärm seinen Dienst? Wandert die Nahrung peristaltisch dem Ausgang entgegen? Wie steht es mit den übrigen inneren Organen? Hält die Leber noch die Alkoholzufuhr aus oder spannt sie schon den Regenschirm auf? Ist die Gallenblase ohne Steine? Schmerzen etwa die Nieren? Was machen denn eigentlich Bauchspeicheldrüse und Blinddarm?

Der Journalist kümmert sich auch um abstraktere Belastungen im Umfeld seines Bauchnabels. Halten seine Innereien die nötige Portion Opportunismus aus, den Widerspruch zwischen persönlichen Überzeugungen und dem, was der Medienschaffende in Erfüllung der Generallinie seines Organs als seine feste Meinung zu verkaufen hat? Bleibt das Gedärm ruhig, wenn er wieder mal einen Auftrag fasst, ein übles Stück Konzernjournalismus zu verfassen? Entwickeln sich gar Blähungen, wenn er wieder mal Stücke in seinem Medium lesen oder hören muss, die intellektuell unterirdischen Flachsinn beinhalten?

Kommt er ohne Schluckauf davon, wenn eine neue Runde «gendern für Anfänger und Zurückgeschrittene» ausgerufen wird? Fügt er sich in sein Schicksal, wenn die Untervertretung von weiblichen Führungskräften durch Quotenfrauen kompensiert wird, was dem männlichen Mitarbeiter klarmacht, dass seine unermüdlichen Anstrengungen, durch herausragende Leistung die Karriereleiter zu erklimmen, vergeblich waren?

Noch wichtiger: woran leidet der Journalist gerade? An der Welt insgesamt, am Krieg in der Ukraine, an Trennungsschmerz, an Kopfweh? Wie steht es überhaupt um seine Befindlichkeit? Ist er einsam, muss er Weltenlenker zurechtweisen, fernen und nahen Ländern oder Regierungen Bescheid stossen, was sie eigentlich zu tun hätten? Befürchtet er einen neuen Corona-Ausbruch, viele Tote, gar den Weltuntergang? Müsste man Putin nicht endlich mal stoppen? Bremsen? Wegputschen? Und wieso, verdammt noch eins, folgt eigentlich niemand seinen Ratschlägen?

Das sind alles Gedankengänge, die dem Journalisten beim Betrachten seines Bauchnabels durch den Kopf gehen. Damit könnte die Welt ja noch leben. Aber leider, leider hat er die Möglichkeit, all diese Gärungen und Verarbeitungen seines Metabolismus der Umwelt mitzuteilen. Genauer den armen Konsumenten seines Organs, die sogar noch Geld dafür zahlen müssen, um akkurat über die Befindlichkeit des Lohnschreibers informiert zu werden.

Das ist eine einsame Spitzenleistung an öffentlicher Nabelschau. Das gibt es in keinem anderen Beruf. Ein Kellner käme nicht im Traum auf die Idee, ein Bier mit der Bemerkung zu servieren, dass er heute in recht melancholischer Stimmung sei. Einer Verkäuferin käme nicht über die Lippen, während sie die Ware abkassiert, den Kunden darüber zu informieren, dass sie an der Verantwortungslosigkeit der Ungeimpften schwer leide.

Selbst Taxifahrer oder Coiffeure geben normalerweise erst dann ihre Ansichten und Einsichten kund, wenn der Kunde offenbar nach einem Dialog verlangt. Auch Staatsbeamte halten sich zurück. Niemals käme der Steuerkommissär auf die Idee, die Steuerrechnung mit ein paar Bemerkungen über seinen Seelenzustand zu ergänzen.

Denn eigentlich ist es bei Dienstleistungen ganz einfach. In welchem körperlichen oder geistigen oder seelischen Zustand sie erbracht werden, ist dem zahlenden Konsumenten ziemlich egal. Normalerweise wäre er befremdet, wenn der Metzger das Kalbskotelett mit der Bemerkung über den Tresen reichen würde, dass die Massentierhaltung seiner Meinung nach sofort zu unterbinden sei. Und wieso der Kunde nicht besser zum Biofleisch greife, statt verantwortungslos und kaltherzig tierisches Leiden zu verspeisen.

Aber der Medienschaffende ist immer gerne bereit, nicht nur seine persönliche Stimmungslage mit dem Konsumenten zu teilen, sondern dem auch noch ungefragt Ratschläge, geradezu Befehle zu erteilen. Putin verstehen, das sei ganz schlecht. Sich nicht nochmals boostern lassen, das sei verantwortungslos. Ein warmes Vollbad sei ein Schlag ins Gesicht gegen alle Energiesparmassnahmen. Kohlekraftwerke seien doch keine so schlechte Sache, die Raumtemperatur müsse im kommenden Winter deutlich gesenkt werden.

Mit all diesen Dingen belästigen Medienschaffende ihre Konsumenten. Kein Wunder, dass für die eigentliche Dienstleistung, das professionelle Berichten über Ereignisse aus der ganzen Welt, immer mehr in den Hintergrund tritt. Kein Wunder, dass sich immer mehr Konsumenten fragen, wieso sie für diese Selbsterforschung, diese Egotripps, diese arrogante Rechthaberei, diese ungefragten Ratschläge, Zurechtweisungen, Einordnungen oder Narrative auch noch etwas bezahlen sollten.

 

Der Hang zum Selbstbetrug

So ist der Mensch. Im Zweifelsfall sich selbst genug.

Es ist menschlich, sich selbst als Massstab aller Dinge zu nehmen. Unangenehm auffällig wird das, wenn der Mensch Plattformen und Sprachrohre hat, um den Mitmenschen darauf aufmerksam zu machen.

Im angelsächsischen Journalismus ist es bis heute sehr verpönt, dass ein Autor auf seine eigene Befindlichkeit hinweist. Nachrichtenjournalismus heisst, berichten, was ist. Oder zumindest den Versuch unternehmen. Allerhöchstens ein kleiner, szenischer Einstieg, dann möglichst nackte Tatsachen.

Plus die üblichen Regeln von Anstand und Respekt. Deshalb käme es im englischen Journalismus niemand in den Sinn, die Autorisierung von Quotes zu verlangen. Oder zu gewähren. Es gilt «gesagt ist gesagt», und Ehrensache, dass der Journalist den Inhalt Wort für Wort oder in einer korrekten Zusammenfassung wiedergibt. Täte er das nicht, gäbe es einen Riesenaufstand. Kommt aber praktisch nie vor.

Wenn man einem englischen Journalisten zu erklären versucht, welcher Kampf auf Deutsch um die Sternchenvergewaltigung der Sprache wogt, welche ellenlangen Manuals ausgegeben werden, dass selbst der Duden sich nicht entblödet, entsprechende Ratgeber zu veröffentlichen, dann spürt man deutlich Unglauben und Befremdung.

Wenn man noch hinzufügt, dass sogar angebliche Qualitätsmedien wie Tamedia Seiten darauf verschwenden, sich selbst und dem Leser zu erklären, wie denn nun korrekt, inkludiernd, geschlechtsneutral die Sprache malträtiert werden muss, dann schüttelt es den Kollegen, der nicht fassen kann, dass sich erwachsene Menschen mit einem solchen Pipifax beschäftigen. Wobei nicht mal die Satiresendung «Spitting Image» auf eine solche Idee gekommen wäre, und die kamen auf so ziemlich alle Ideen.

Immerhin ist’s in den Hintergrund verschwunden

Aber, eigentlich die allereinzige positive Auswirkung des Überfalls auf die Ukraine, dieser Spuk ist weitgehend im Hintergrund verschwunden. Nur noch letzte Einzelkämpfer brabbeln etwas von «weiblichem Frieden», obwohl das Substantiv doch maskulin ist. Oder interviewen «Genderforscher», die Unsinniges über weibliche versus männliche Kriegsführung murmeln. Ohne dass sich eine der beiden Beteiligten bewusst wird, wie lächerlich das ist.

Aber viel direkter und noch unangenehmer merkt man diese Selbstüberhöhung, wenn der Journalist zum Kommentar greift. Das ist im modernen Elendsjournalismus, der jegliche Haltung, Qualität oder Recherchefähigkeit verloren hat, die Kompensation Nummer eins.

Keiner zu klein, Meinungsträger zu sein.

Der Chefredaktor höchstselbst, sei es auch nur eines Weltorgans wie das St. Galler «Tagblatt» oder der «Bote der Urschweiz», greift zum Griffel und geigt dem russischen Präsidenten mal seine Meinung. Was für ein Verbrecher der sei, was für ein Wahnsinniger, Diktator, Massenmörder, Zündler, riskiert einen Dritten Weltkrieg. Auch das wird geschrieben ohne das geringste Bewusstsein, dass solche Rempeleien völlig sinn- und wirkungslos sind.

Oder stellt sich der Kommentator wirklich im Ernst vor, dass dem Herrscher im Kreml die tägliche Presseschau vorgelegt wird, er beim jüngsten Kommentar der Auslandchefs von Tamedia hängen bleibt, erbleicht, anfängt zu zittern, zu einem der zahlreichen Telefone auf seinem Schreibtisch greift und sagt: «Genossen, ich gebe hiermit den Befehl zum sofortigen Rückzug. Und bitte alles reparieren, was wir kaputt gemacht haben»?

Keiner entkommt den Ratschlägen der Schreibtäter

Ein Spürchen, aber auch nur ein Spurenelement chancenreicher sind die überreichlichen Ratschläge, die der Schweizer Regierung gegeben werden.

Sie sollte, müsste, hätte, zögerte, hat endlich, muss noch viel mehr, darf nicht zögern, macht sich unglaubwürdig, muss ein Zeichen setzen, kann nicht abseits stehen, wird von der Welt beobachtet (und vom Redaktor), wäre gut beraten, muss nun unverzüglich.

Auch hier betrachtet der Schreiber sein Werk (und seinen Bauchnabel), findet Wohlgefallen und Behagen daran und begibt sich im sicheren Gefühl zum Feierabendbier, dass er es mal allen wieder richtig gezeigt habe und die Welt nun doch ein bisschen besser geworden sei.

Grossmäulig heisst das Gefäss immer noch «Leitartikel»; als ob dort etwas geleitet würde, etwas zum Geleit mitgegeben wird. In Wirklichkeit sind es Leidartikel, die beim Lesen ein selten intensives Gefühl des Fremdschämens auslösen. Denn ist es nicht peinlich und peinvoll, wie erwachsene Menschen, eigentlich zurechnungsfähig, sich selbst in aller Öffentlichkeit zum Deppen machen?

 

Wichtigtuer ohne Wichtigkeit

Interessiert die Botschaft oder der Botschafter? Tamedia ist unentschieden.

Früher hiess es: «the medium is the message». Form und Methode, die zur Kommunikation verwendet werden, haben einen bedeutenden Einfluss auf den Inhalt der Botschaft.

Im Rahmen des Elendssparjournalismus gibt es ein neues Phänomen zu beobachten. Man könnte es «the messenger is the message» nennen. Das äussert sich in verschiedenen Formen.

Zunächst einmal ist der eigene Bauchnabel des Schreibers ins Zentrum gerückt. Die eigene Befindlichkeit, Unwohlsein, Leiden, persönliches Erleben; der Leser wird zwangsweise in Beziehungsprobleme, Erziehungsknatsch, Essgewohnheiten, Hobbys und Vorlieben des Autors einbezogen.

Der geht durch eine Strasse, sieht einen Mohrenkopf an einer Hauswand – und ist betroffen. Er (kann auch eine Sie sein) verteidigt das Recht auf Burkatragen. Quält den Leser (kann auch eine Leserin sein) mit pseudofeministischen Sprachvergewaltigungen, verhunzt ganze Wörter mit Gendersternchen, Binnen-I und ähnlichen Folterwerkzeugen.

Der Autor (kann auch eine Autorin sein) fühlt sich diskriminiert, ausgeschlossen, eingeschlossen, leidet an seinem Arbeitsplatz unter männlicher Diskriminierung (eher selten unter weiblicher), kommt nicht zu seinem Recht als Mutter, Single, Lesbe, Dicker oder was auch immer.

Ablassventil für Frustrationen

Das ist offenbar das Ventil, um Frust über zunehmende Bedeutungslosigkeit abzudampfen. Inflationär gibt es daher auch Kommentare und Meinungen. Als ob es die Welt interessieren würde (oder den Leser), was ein Pseudo-Chefredaktor eines Kopfblatts eines Medienkonzerns zur Ukraine, Putin oder Biden meint. Als ob es jemanden interessieren würde, welche militärischen Sandkastenspiele veranstaltet werden.

Nun hat Tamedia seit einiger Zeit ein neues Wellnessprogramm für Journalisten aufgelegt. Unter jedem gezeichneten Artikel (also wenn nicht einfach SDA-Meldungen per copy/paste reinrutschen) wird der Leser – wenn er überhaupt so weit gekommen ist – mit ausführlichen Informationen über den Autor beglückt.

Eine unrepräsentative Sammlung:

Wollen wir wirklich wissen, dass eine Autorin vor vielen Jahren den Greulich-Kulturpreis gewann? Eine andere in Konstanz, Oxford und Freiburg i.Br. studierte? Jemand YB-Fan ist? Oder gar aufschreibt, was er hört und sieht, was natürlich für einen Journalisten schon bemerkenswert ist?

Woher diese neue Unsitte wohl kommt? Richtig, der abgehärtete Tamedia-Leser hat so seine Vermutung. Wenn schon jede Menge Inhalt von der «Süddeutschen» übernommen wird …

Original ist besser als Kopie

Allerdings gilt auch hier, dass das Original meistens eine Spur besser ist. Denn bei der SZ steht das nicht so aufdringlich am Schluss des Artikels. Sondern der Autorenname ist jeweils mit einem Link versehen, mit dem man auf eine Autorenseite kommt. Dort gibt es dann für Fans weitere biographische Angaben. Das hat Tamedia auch kopiert, aber zunächst wird der Leser mit ersten, launigen Hinweisen auf Vorlieben, Ausbildung, Themenbereiche und anderes belästigt.

ZACKBUM findet, dass das noch ausbaufähig ist. Irgend etwas stimmt noch nicht, wenn der Artikel länger als dieser Hinweis ist. Das scheint uns eine ganz falsche Gewichtung zu sein. Wir wären da für halbe, halbe. Mindestens. Zudem müssen wir an der Positionierung der Hinweise scharfe Kritik üben. Ganz am Schluss? Ganz falsches Signal. Das muss an den Anfang.

Schliesslich ist der Bote doch viel wichtiger als die Botschaft. Vor allem dann, wenn die Botschaft aus gebackener Luft besteht. Da ist man dann schon froh, dass wenigstens ein Mensch und kein Textroboter am Werk war. Wobei: wo ist genau der Unterschied?

Wie Journis die Welt sehen

Was passiert, wenn sich die Perspektive auf eine Verrichtungsbox reduziert?

Dann werden Prioritäten gesetzt. Glasklar und eindeutig. Hier die drei wichtigsten Fokussierungen der Weltsichtbrille eines modernen Journalisten.

So viel Platz gibt’s heute nicht mehr …

  1. Der eigene Bauchnabel

Zuletzt war’s in der Romantik so, dass Innerlichkeit, Empfindsamkeit, Ichbezogenheit diese Bedeutung hatte. Obwohl kulturell desinteressiert und meistens erschreckend ungebildet, haben viele Journalisten das wieder für sich entdeckt.

Sie betrachten mit höchster Aufmerksamkeit den eigenen Bauchnabel. Wie geht es ihm, fühlt er sich wohl, was stört, was erregt Unwillen? Stimmen die Gesamtumstände, herrscht akzeptable Stimmung auf der Redaktion? Fallen böse oder verletzende Worte, lobt der Vorgesetzte nicht genügend? Gibt es etwas, was als Diskriminierung, Ausgrenzung, als Sexismus gar, als demotivierend denunziert und beklagt werden kann?

Gibt es Anlass, einen der vielen Persönlichkeitssplitter, aus denen der moderne Journalist besteht, als leidend zu beklagen? Der Journalist als Mann. Oder als Frau. Als Dunkelhäutiger. Als Glatzköpfiger. Als Dicker, Dünner, Kleiner, Schlacksiger, Stotternder, von Kopfweh Geplagter, von Beziehungsproblemen Geschlauchter, als Angehöriger einer Minderheit oder Mehrheit. Als Schweizer oder Ausländer. Als Basler in Zürich oder umgekehrt. Als Umweltschützer, Velofahrer oder Benutzer eines SUV. Da vergehen ganze Tage, bis sichergestellt ist, dass jeder dieser Eigenschaftensplitter soweit unbeschädigt herumgetragen werden kann.

Objekt der Betrachtung und Begierde.

  1. Das geliehene Leiden

Es ist ja leider so, dass Redaktor in der Schweiz nach wie vor nicht als besonders gefährliche, gefährdete, speziell bedauernswerte Berufsausübung gesehen wird. Es wird eher selten auf Journalisten geschossen, tätliche Übergriffe sind auch nicht an der Tagesordnung. Natürlich steigt die Gefahr, dass das Skelett, das einmal eine Redaktion war, sich noch von einem weiteren Mitarbeiterknochen trennen muss. Aber Kellnern im Gastgewerbe geht es auch nicht besser.

Im Gegensatz zu anderen Berufen hat aber der Journalist die Plattform, ein Megaphon, um sein Leiden der Welt mitteilen zu können. Nur: woran denn? Da hilft nichts, er muss sich Leiden leihen. Das Leiden der Uiguren. Der Schwarzen in den USA. Der indigenen Bevölkerung in Bolivien. Dieses Leiden muss nicht kontemporär sein. Man kann auch geschichtlich leiden. An der Kolonialgeschichte. Dem Sklavenhandel. Der Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg. An der falschen Verwendung des Wortes Auschwitz.

Ja zum Leiden, sagt sich der Journalist.

Man kann selbst an Wörtern leiden. Negerkuss, Mohr, Gast (für Unsensible: weil es die Gästin ausschliesst), Flüchtling, Asylant, die Sprache ist voll von Aua-Wörtern, die sich wie Pfeile in die empfindliche Seele des Journalisten bohren.

  1. Andere Journalisten

Man könnte meinen, dass Herrscher, Politiker, selbst Stars und Sternchen für Journalisten wichtig wären. Weit gefehlt. Das ist ärgerliches Material für Berichterstattung. Wirklich wichtig sind andere Journalisten. Was sagen die? Was machen die? Vor allem: was machen die falsch? Ein aktuelles Beispiel. Da gewinnt doch die Fussball-Nati gegen Frankreich. Freude herrscht. Aber nicht überall: «Zum Glück bleibt Petkovic selbst beim unflätigen Herrn Salzgeber höflich». So schimpft Tamedia wie ein Rohrspatz über den TV-Kollegen, der sei «empathielos», sein Interview nach dem Sieg sei «nahe an einer Beleidigung». Furchtbar. Glücklicherweise verfüge Petkovic über eine «bewundernswerte Selbstbeherrschung». Was man von Menschen, deren Nachname auf ic endet, ja nicht unbedingt erwarten kann. Das schreibt der Tamedia-Schimpfer natürlich nicht, wäre aber Anlass für neues Leiden eines diskriminierungssensiblen journalistischen Lesers.

Journis kümmern sich um Journis.

Der Laie und Medienkonsument mag sich nun fragen: aber wäre es nicht Aufgabe des Journalisten, dafür wird er doch nicht zuletzt von Steuergeldern bezahlt, Berichte aus Nah und Fern zu liefern? Ereignisse rapportieren, einordnen, analysieren, mit Fachwissen zu glänzen?

Nun, lieber Laie, sagen wir so: Der Müllmann weiss auch, dass der Müllsack seine Berufsausübung erst ermöglicht, denn ohne Müll kein Müllmann. Aber deswegen muss er ja kein freundschaftliches Verhältnis mit Müll pflegen. So ungefähr sieht es auch bei Journalisten und ihrem Verhältnis zu News aus. Leider nötig, aber was schon fertig über Ticker reinkommt, von Agenturen geliefert wird, woanders abgeschrieben werden kann, das ist viel besser als die eigene Anstrengung. Wo bliebe da auch die Zeit für die drei Prioritäten im Leben des Redaktors?

Noch Fragen? Ach, ob sich der Journalist bewusst sei, dass er eine Dienstleistung erbringt, etwas liefern müsste, was möglichst viele Konsumenten dazu motiviert, dafür auch zu bezahlen? Mit Geld oder Attention? Weil eine Dienstleistung ohne Publikum, ohne Nachfrage keinen Sinn macht? Weil das Gericht nicht dem Koch, sondern dem Gast schmecken sollte? Jetzt, lieber Medienkonsument, lieber Leser, jetzt musst du, wenn wir diese mitfühlende Anrede verwenden dürfen, jetzt musst du ganz stark sein.

Denn die bittere Wahrheit ist: das ist dem Redaktor absolut und völlig und total scheissegal.