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Der Nachruf als Nabelschau

Der Literaturnobelpreisträger Mario Vargas LLosa ist gestorben.

Der Schriftsteller war auch politischer Aktivist, und das nicht immer glücklich. Aber er hat eine Kathedrale von Werk hinterlassen und tiefe Spuren in der lateinamerikanischen, ja in der Weltliteratur.

Von «Die Stadt und die Hunde» über «Das grüne Haus» (von einigen als wichtigster lateinamerikanischer Roman des 20. Jahrhunderts gelobt) oder «Das Fest des Ziegenbocks», immer fand er einen eigenen Weg neben Grössen wie Alejo Carpentier, Gabriel García Márquez, Julio Cortázar, Jorge Borges und so vielen anderen, die ab den 60er-Jahren auch im deutschen Sprachraum reüssierten.

Weil sie eine ganz neue Intensität, magischen Realismus, dazu die perfekte Beherrschung des Handwerks mitbrachten. Dabei Themen aus diesem geschundenen Kontinent bearbeiteten, neben denen viele europäische oder deutsche Werke blutleer wirkten.

Hugo Loetscher hatte ein grosses Verdienst dabei, vielen (auch mir) diese lateinamerikanische Literatur näherzubringen, eine echte Horizonterweiterung.

Nun ist Llosa mit 89 Jahren gestorben, und in seinen letzten Lebensjahren hat er nichts mehr publiziert, was an das Niveau seiner früheren Romane heranreichte. Aber als unermüdlicher Essayist und wortgewaltiger Kommentator politischer Ereignisse war er immer ein unterhaltsamer, kritischer, kantiger Geist.

Ein solches Monument von Hochliteratur zu würdigen, einen so vielschichtigen Menschen in all seinen labyrinthischen Irrwegen und in all seinen luziden Erkenntnissen, das ist nicht einfach.

Ganz einfach macht es sich mal wieder Tamedia. Deren ehemaliger Lateinamerika-Korrespondent Sandro Benini greift tief in sein Archiv und erinnert sich an zwei Interviews, die er 2004 und 2020 mit Llosa führte. Nicht ohne aus der Kammerdienerperspektive den grossbürgerlichgen Aufritt Llosas zu beschreiben, sein luxuriöses Ambiente mit livriertem Butler.

Da sich Llosa nicht mehr wehren kann, drischt Benini ungeniert auf ihn ein:

«Während des (zweiten, R.Z.) Interviews benutzte Vargas Llosa oft wortwörtlich identische Formulierungen und sogar ganze Sätze wie 16 Jahre zuvor. (Ich hatte Teile des damaligen Gesprächs als Vorbereitung nochmals abgehört). Offensichtlich griff er beim Reden auf – freundlich formuliert – sehr konsolidierte Versatzstücke zurück.
Vor allem aber war er auch argumentativ in den 1990er-Jahren stehen geblieben: Dieselbe ungeteilte Begeisterung für die Globalisierung, derselbe Fortschrittsoptimismus, derselbe Glaube, dass die freie Marktwirtschaft unweigerlich auch zu gesellschaftlicher Liberalisierung und politischer Demokratisierung führen müsse

Um als Schlusspointe zum tödlichen Streich anzusetzen:

«Mario Vargas Llosa war ein distinguierter Mann und ein grosser Schriftsteller. Aber ein drittes Mal hätte ich ihn nicht interviewen wollen.»

Wahrscheinlich hätte ein drittes Interview auch niemand mehr lesen wollen.

Nun ist es den Bauchnabelbetrachtern des modernen Elendsjournalismus unbenommen, auch den Tod eines grossen Schriftstellers an ihren eigenen, mediokren Erlebnissen mit ihm zu spiegeln. Offensichtlich war Llosa durch die Fragen nicht sonderlich animiert, sondern spulte sein Tonband für «muss halt PR für mein Werk machen, auch wenn’s weh tut und langweilt» runter.

Hätte Benini nicht den grössten Teil seiner 6000 A Nachruf auf die Beschreibung von Nebensächlichkeiten verwendet (was die Anekdote, dass Márquez 10’000 Dollar für eine Stunde Interview wollte, hier zu suchen hat?), hätte man vielleicht etwas mehr über die Ansichten von Llosa erfahren.

Aber schon im Titelzitat schimmert die Egoshooter-Perspektive des Autors durch. Dass Llosa mit «zornigem Lachen» Unsinn gerufen habe, hält Benini für berichtenswert. Ob der Schriftsteller vielleicht auch noch das eine oder andere Argument hatte, um diesen Ausruf zu untermauern – das liegt bereits ausserhalb der Egoblase von Benini.

Gut, dass Llosa dieses Stück Schmierenjournalismus nicht mehr erleben musste.

Wie blöd kann es noch werden?

Die ehemalige Snowboarderin Ursina Haller unternimmt einen Rekordversuch.

Nur gelähmte oder gleichgültige Kontrollinstanzen können erklären, wie so ein Abschnitt überall durchrutscht und im ehemals angesehenen «Magazin» gedruckt wird:

«Obwohl das alles weit weg von mir passiert, merke sogar ich: Seit Kamala Harris amerikanische Präsidentschaftskandidatin ist, geht es mir irgendwie besser. Sie hat mir – zumindest für einen Moment – die Zukunftsangst genommen. Dabei weiss ich gar nicht viel über sie.»

Hier ist so ziemlich alles drin, was modernen Schmierenjournalismus ausmacht. Haller geht es gar nicht in erster Linie um den US-Wahlkampf oder um Harris. Sondern um ihren eigenen Bauchnabel, um sich selbst, um ihre Gefühlswelt. Die sie ungeniert dem Leser aufdrängt, obwohl der sich gar nicht dafür interessiert.

Putzig dann das Eingeständnis des Normalzustands eines Tamedia-Journalisten: sie weiss gar nicht viel über das Subjekt, worüber sie schreibt. Das macht aber nix, weil es sowieso mehr um die eigene Befindlichkeit geht, und da kennt sich Haller natürlich aus.

Also fährt sie fort in der Selbstbespiegelung, nur mühsam verkleidet als angebliches Porträt der Präsidentschaftskandidatin: «Wer dieses Material durchforstet, merkt schnell: Kamala Harris’ Geschichte ist vielschichtig. Jede Charakterisierung ihrer Person ist subjektiv, lückenhaft und oft aus zweiter Hand. Auch diese hier.»

Subjektiv und lückenhaft breitet Haller eine uralte Liebesgeschichte von Harris aus: «Der heute neunzigjährige Brown erzählt in einem Interview: «Es war wundervoll, diese Art von Beziehung mit einer Person zu haben, die sich für die Welt der Politik interessierte und die mit ihrer natürlichen Schönheit und ihrem ansteckenden Lachen die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zog.»» Meine Güte. Frauen machen wirklich so Karriere?

Dann wird es ganz krude: «Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Kamala Harris in der IQ-Lotterie einen Hauptgewinn gezogen hat. Ihr Vater, Donald Harris, war die erste schwarze Person, die eine Wirtschaftsprofessur auf Lebzeiten an der Eliteuniversität Stanford erhielt.» Und ihre Mutter war auch furchtbar schlau. IQ-Lotterie? Intelligenz ist vererblich? What a bullshit, wie der Ami sagt.

Immer wieder kreist Haller um ihr Lieblingsobjekt, um den Zentralstern ihrer Schreibe – um sich selbst: «In meinem Umfeld in den USA sah man Harris unmittelbar nach der Wahl als eine Art Co-Präsidentin, die Joe Biden über kurz oder lang ablösen würde.» So konnte sich ihr Umfeld täuschen.

Aber Umfeld ist das eine, Haller selbst ist das andere, Wichtige. Sie endet mit dem Lied «Freedom» von Beyoncé. Allerdings hat Haller wohl eine merkwürdige Version davon gehört. Denn sie beschreibt die Soul-Stimme so: «Zu kriegerischen Trommeln brüllt Beyoncé: «I’ma keep running ’cause a winner don’t quit on themselves» – ich renne weiter, eine Siegerin gibt nicht auf.» Kriegerische Trommeln? Brüllen? Und dann erst noch schlecht übersetzt …

Aber es geht Haller, richtig geraten, nicht um die Wahlkampfhymne selbst, auch nicht um Beyoncé. Sondern um sich selbst:

«Immer wenn ich dieses Lied höre, bekomme ich Gänsehaut. Ich habe Gänsehaut, weil Kamala Harris auf mich wie jemand wirkt, der die Mühen und Sehnsüchte aller Amerikaner:innen zu verstehen versucht. … Aber vielleicht ist es gerade das, was mich – und andere – an Kamala Harris berührt: Sie zeigt sich als Mensch.»

Quälend lange fast 33’000 A beschäftigt sich Haller mit sich selbst. Einen Mindfuck nennen das die Amis, wenn sich jemand selbst blockiert. Denn Haller will eigentlich über ihre Wunschkandidatin für die Präsidentschaft schreiben. Sie will sie an Begleitern, Familie, Partnern spiegeln. Sie will eigentlich schönschreiben, wieso Harris erst in letzter Verzweiflung von den Demokraten zur Präsidentschaftskandidatin gemacht wurde. Sie erwähnt dabei den wichtigsten Grund nicht: bei jedem anderen Ersatzkandidaten, und es gab einige bessere, hätten die Demokraten die üppigen Wahlspenden für das Ticket Biden/Harris zurückgeben müssen.

Haller lässt schon mal alles aus, was ihr nicht ins persönliche Harris-Bild passt. Aber noch schlimmer: sie lässt eigentlich auch sonst alles aus, was nicht in ihr persönliches Haller-Bild passt. Haller schreibt über Haller, als Vorwand dazu nimmt sie Harris.

Das ist abgründig, um es juristisch unangreifbar auszudrücken. Solch extremer Subjektivismus war im Gonzo-Stil im Schwang. Aber ein paar Irre wie Hunter S. Thompson machten da aus sich selbst ganz schöne Storys. Bei Haller gähnt nur die Langeweile, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten.

Journalisten neigen immer dazu, sich selbst – also den Boten – für mindestens so wichtig wie die Botschaft zu halten. Vor allem schlechte Journalisten halten sich sogar für noch wichtiger und haben gar keine Botschaft. Ausser einer: ich über mich, durch mich, mit mir, in mir, ausser mir. Oder einfach: ich. Und sonst gar nichts.

Ob das auch ein Beispiel für die Qualität ist, die sich Simon Bärtschi, aber lassen wir das, das wird langsam zu gemein.

Qualitätsjournalismus? My ass

Kurt W. Zimmermann knöpft sich den Qualitätsanspruch von Tamedia vor.

Eine Massenentlassung, die mehr als 100 Journalisten bei Tamedia die Stelle kosten wird. Gleichzeitig blamierte sich die publizistische Leiter nach unten Simon Bärtschi mit einem Kommentar in «eigener Sache» unsterblich.

Oder wie Zimmi in der «Weltwoche» schreibt:
«Die aberwitzigste Begründung für die Sparübung kam vom obersten publizistischen Leiter des Verlags. Die Massenentlassung, schrieb er, sei ein Glücksfall. Es sei eine «Weichenstellung für den unabhängigen Qualitätsjournalismus».
Qualitätsjournalismus durch Massenentlassung? Weichenstellung? Die Branche brüllte vor Lachen, von der nahen NZZ bis zu den ferneren Le Monde in Paris und der Frankfurter Allgemeinen.»
Seither gibt es endlich einen Masstab zur Messung von Peinlichkeit im Journalismus. Es ist die Bärtschi-Skala. Mit dieser Lachnummer legte er die Benchmark vor: 10 Bärtschis. Sie wird selten übertroffen, häufig unterboten.
Diese lachhafte Behauptung, die wohl nicht einmal karrierefördernd war, nimmt Zimmi zum Anlass, selbst Kriterien aufzustellen, nach denen sich «Qualitätsjournalismus» messen lässt. Nein, Massenentlassungen gehören nicht dazu. Dafür aber vier Dinge, die eben eine NZZ, eine Le Monde, eine FAZ oder eine NYT zu Qualitätsmedien machen.

Wie bei Bärtschi kann man das ganz einfach messen, es sind nur vier Kriterien:

– Auslandberichterstattung
– Feuilleton
–Wirtschaftsberichterstattung
– offene Meinungsbildung

Nun könnte man noch diskutieren, wenn ein Blatt nicht alle vier Kriterien erfüllt. Bei Tamedia hingegen ist es ganz einfach: hier wird Qualität nur behauptet, nicht geliefert. Das Medienhaus fällt bei allen vier Kriterien durch.

Statt eigener Auslandberichterstattung mit eigenen Korrespondenten übernimmt es flächendeckend die Berichterstattung der «Süddeutschen Zeitung», die mit sehr linker, teutonischer Sicht die Welt betrachtet und mit typisch deutscher Rechthaberei bewertet und benotet. Nicht nur hier, nebenbei, der halbe Tagi ist voll von Artikeln aus der SZ, wenn sie nicht von der DPA, SDA oder AFP stammen.

So etwas wie ein Feuilleton oder eine Kulturberichterstattung gibt es nicht mehr. Es gibt zwar noch ein Team «Kultur», das diesem Namen aber Schande macht. Man kann ja nicht im Ernst behaupten, dass Andreas Tobler oder Nora Zukker etwas mit Kultur zu tun hätten.

Tamedia hat sich gerade rumpelig von seinem Wirtschafts-Chef getrennt; niemand weiss, warum. Was früher mal eigenständig war, ist inzwischen ein Mischmasch von «Politik & Wirtschaft». Der einzig ernst zu nehmende Wirtschaftsjournalist Arthur Rutishauser kann das im Alleingang auch nicht rausreissen.

Debattenkultur ist das letzte Kriterium. Alle grossen Qualitätszeitungen pflegen den Gastkommentar, die andere Meinung, den Widerspruch. Bei Tamedia kommentieren meistens die eigenen Schreiber. Am liebsten auch noch sich selbst und ihren Bauchnabel. Will aber zum Beispiel René Zeyer einen Gastkommentar als Erwiderung zu einer unerträglichen Kriegstreiberei schreiben, dann wird ihm mitgeteilt, er habe «Schreibverbot». Ausgesprochen von zwei unsicheren Weibern der Chefredaktion, die sich durch ihn «diffamiert» fühlen.

Auf die Frage, ob sie dafür vielleicht ein, zwei Beispiele nennen könnten, verstummt die Chefredaktion. Das ist mal echte Debattenkultur.

Es ist schon lachhaft, ein grosses Rausschmeissen als Weichenstellung für Qualitätsjournalismus verkaufen zu wollen. Schlimmer noch, selbst der dümmste Leser merkt, dass er hier verarscht wird, auf den Arm genommen, über den Löffel balbiert.

Aber auch unabhängig davon ist Tamedia schon lange nicht mehr ein Qualitätsorgan. Der Tagi ist in weiten Teilen eine (oft schlechte) Kopie von «20 Minuten». Mit zwei Unterschieden: der Tagi ist nicht gratis, und er ist vollgesosst mit Meinungen und Kommentaren der Redaktoren, die meistens keinen Menschen interessieren.

Kein Qualitätsorgan käme auf die Idee, die Autoren eines angeblichen Scoops sich selber produzieren zu lassen, mit stolzgeschwellter Brust über ihre übermenschliche Leistung zu schwadronieren. Das dürfen auch die Autoren einer Podcast-Serie über eine Sprinterin, die vor langer Zeit gestorben ist und keinen Menschen mehr interessiert.

Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung, heisst es. Den will Tamedia offenbar nicht tun. Ein erstes Zeichen wäre es, wenn sich das Medienhaus von seinem publizistischen Leiter trennen würde. Denn mit einer solchen Lachnummer kann es nicht besser werden.

Paula Scheidt spricht nicht mit jedem

Die neue Chefredaktorin des NZZ am Sonntag Magazin hat einen ganz schwachen Start.

Die erste Ausgabe nach der Sommerpause unter neuer Leitung war ein Totalflop. Der Tiefpunkt war ein rezykliertes Interview, das tags zuvor bereits in der NZZ erschienen war.

Peinlich wie der ganze Rest der Ausgabe. Nun legt Scheidt mit einem Typo-Titel nach, der an Unleserlichkeit schwer zu überbieten ist:

In ihrem zweiten Editorial betreibt sie das, was schlechte Journalisten am liebsten machen: Bauchnabelschau – im wahrsten Sinne des Wortes. «Ich erinner mich, wie ich im Frühjahr 2020 hochmotiviert ins Büro zurückkehrte …» Geburt von Zwillingen, Lockdown, Elternwerden, «die neue Wackeligkeit der Welt». Der Leser ist indigniert, dass er solche Einblicke serviert bekommt. Aber das ist nur die Einleitung zur Gruppentherapie, die Scheidt im Blatt auslebt: «Das Expertinnengespräch hatte für mich dann neben vielen erhellenden Momenten auch etwas Beruhigendes. Wie eine Therapiestunde …»

Die breitet sie dann über 31’487 A im Eigentherapieblatt aus. Drei Psychotherapeutinnen dürfen sich über die Befindlichkeit der Schweizer aussossen. Die richtige Lektüre an einem verregneten Sonntag, wo einem ein Spaziergang dagegen direkt erholsam vorkommt.

Selbst ein wunderbar ziseliertes Porträt des Ex-Bundesrats Ueli Maurer durch die Altmeisterin Margrit Sprecher vermag das umgebende Elend nicht zu lindern.

Den Vogel, und das ist nicht so leicht, schiesst mal wieder «Bellevue» ab. Diesen Titel muss man sich erst mal trauen:

«Meisterwerke vereint», nun ja. An der Wand hat’s wohl einige, die beiden Fussel-Mops vorne sollen angeblich Schuhe sein. Für die sich Salvatore Ferragamo in Grund und Boden schämen sollte.

ZACKBUM liefert exklusiv die Bezugsquelle, muss nur noch eingefärbt werden:

Noch einen drauf legt das hier:

Blöd bloss: diese Gaga-Popcorn-Kette gibt’s bei Acne Studios gar nicht …

Antworten von der Chefredaktorin übrigens auch nicht. Obwohl sie an die mitteleuropäische Regel des Anstands erinnert wurde, dass man auf eine journalistische Anfrage zu reagieren habe, schweigt sie verkniffen, obwohl die Fragen doch durchaus eine Antwort verdienten:

Ist das der neue Stil des Magazins unter Ihrer Leitung, dass Interviews, die tags zuvor in der NZZ erschienen sind, hier rezykliert werden?
Sie beginnen Ihr erstes Editorial mit der Behauptung, es hätte viel Anrufe, gar Briefe und E-Mails gegeben, weil das Magazin vermisst worden sei.
Sie können sicherlich quantifizieren, wie viele Meldungen das insgesamt waren. Und auch ein paar anonymisierte Beispiele von Briefen oder Mails vorweisen, zum Beleg.
Da drängt sich doch der Verdacht auf, dass es gar nicht so viele Vermisstmeldungen gegeben hat. Möglicherweise, schluck, keine einzige.
Also einen gröberen Fehlstart in überschaubarem Raum hat bislang noch kaum jemand hingelegt. «Wir wollen unseren Leserinnen und Lesern am Sonntag frische, oft unterhaltsame Perspektiven bieten und einen anderen Blick auf eine sich rasant verändernde Welt ermöglichen», lobhudelte NZZaS-Chefredaktor Beat Balzli noch. Dann legte er eine herausragende Fehlanalyse hin: «Paula und die Kollegen stehen für herausragenden Journalismus.»
Schnell stellte sich heraus: Paula (Scheidt), von der «Annabelle» eingewechselt, steht für Gähn- und Rezyklierjournalismus, duckt sich bei Fragen weg und betrachtet am liebsten den eigenen Bauchnabel. Was sie dann mit dem gequälten Leser teilt. Der eigentlich nur noch eines vermisst: die Einstellung dieser Fehlkonstruktion, dieser Karikatur eines Magazins.

Tagi ausser Rand und Band

Wenn eine klare Führung fehlt …

Die Leitung des «Tages-Anzeiger» besteht genderkorrekt aus zwei Quotenfrauen und zwei Quotenmännchen. Das ist vom Aspekt der korrekten Gesinnung her wunderbar.

Professionell betrachtet ist es aber fatal.

Eine Serie darüber, dass sich eine (in Zahlen 1) Frau durch angebliche Spanner in Fernglasentfernung belästigt fühlte, wobei Nachforschungen ergaben, dass solche Beschwerden alle Schaltjahre einmal erhoben werden? Das allein ist schon ziemlich gaga.

Aber dann gibt es ja auch noch das Thema Busen, dem sich ein Mitglied (Pardon, eine Mitgliedin) der Chefredaktion lebhaft annimmt. Nicht zuletzt hier spricht Kerstin Hasse (Männer, nicht glotzen!) über Brüste. Nackte Wahrheiten über nackte Brüste. Über politische, nackte Brüste:

Dieses Thema nimmt sie sich gerne zur Brust: «Ich bin also keine Verfechterin des Oben-ohne-Trends. Und ich mag – auch als Feministin – nicht mehr darüber diskutieren, ob Frauen einen BH tragen sollen oder nicht.» Hallöchen, ich bin dann Feministin, im Fall. Daher auch für die Offenlegung meines Lohns. Oder auch nicht.

Allerdings, wie bebildert man denn im Tagi ein solch heikles Thema? Will man da etwa eine nackte Brust zeigen, was ja naheläge? Oder vielleicht zwei vierbeinige Möpse? Aber nein, das wäre pfuibäh, so macht man das:

Wer hier das Politikum sieht, muss ein Spanner sein.

Eingeleitet wird dieser Podcast mit einem Spruch, der nun aus der Mottenkiste des Sexisten stammt: «Zieht eine Frau oben blank, muss sie vielfach mit Blicken, Sprüchen und Bewertungen rechnen.» Zieht blank? Ein Lieblingswort von «Bild», «Blick», RTL und Co.

Nur die «Ruhr Nachrichten» legten noch einen drauf:

Aber vom Skurrilen zurück zum Peinlichen, also zum Tagi.

Da publizieren doch die beiden Recherchiergenies Thomas Mathis und David Sarasin ein Stück und verstecken es hinter der Abo-Schranke:

Sie schreiben kühn: «Nun zeigt sich: Die Firma Cinerent Arena AG, die hinter dem Projekt steht, steckt in finanziellen Schwierigkeiten.» Zeigt sich? Ja, das zeigte sich ein paar Stunden zuvor auf dem Finanzblog «Inside Paradeplatz»:

Dort kann man all das, was im Tagi steht, auch lesen. Und erst noch gratis. Früher war es im anständigen Journalismus noch so, dass man knirschend schrieb: «Wie der Finanzblog IP zuerst vermeldete.» Heute ist’s «es zeigt sich».

Mit schnaufendem Pathos eine völlig banale, triviale und altbekannte Tatsache erzählen, das gehört auch zu einer Redaktion ausser Rand und Band:

Korrelation und Kausalität, über diesen Unterschied sind schon ach so viele Schwachstromjournalisten gestolpert.

Eine Peinlichkeit veredeln gehört auch zum tollen Treiben:

Das ist nun echt dumm gelaufen. Laut einer Umfrage von Tamedia sagen 33 Prozent ja oder eher ja zur BVG-Reform. Und 59 Prozent nein oder eher nein. Bei der SRG-Umfrage sieht’s etwas anders aus: 49 Prozent ja oder eher ja, 39 Prozent nein oder eher nein. Hoppla. Da braucht es dann einiges an Rhabarber, Rhabarber, Rhabarber, um diese klitzekleine Differenz wegzuerklären.

Völlig unparteiisch setzen Tiefflieger im Tagi die Berichterstattung und Kommentierung der US-Präsidentschaftswahlen fort. Philipp Loser schafft es damit zu einem kurzen Gastauftritt bei ZACKBUM: «Was die Linken von Tim Walz lernen können». Kicher. Und die nicht gerade erfolgsverwöhnte Mitbetreiberin eines Finanzblogs für Frauen, bei dem Frauen ärmer werden können, behauptet: «Es ist Zeit für eine Präsidentin wie sie». Man kann nur hoffen,  dass Kamala Harris mehr von Geld und Finanzen versteht als Nadine Jürgensen.

Dann noch etwas Zahlenhokuspokus:

Das sei nicht nur furchtbar, sondern widerspreche auch Zahlen der UNO und von Unicef, die 2022 lediglich 2,2 Milliarden Menschen ohne sichere Trinkwasserversorgung sahen. Also sind es in Wirklichkeit 4 Milliarden? Werden da wieder dramatische Probleme schöngezählt? Ein Skandal?

Ach was, selbst die Autorin der neuen Studie räumt ein: «Hinzu kommt, dass für die Hälfte der Weltbevölkerung keine Daten zur Qualität des Wassers vorhanden sind.» Tja, ohne Daten ist gut raten, nicht wahr.

Ach, und die «aufwühlende Geschichte von Flo-Jo», ein Podcast in gefühlt 37 Folgen, wühlt ungefähr so auf wie die Koch-Videos von Elif Oskan. Die brutzelt aus lauter Verzweiflung schon ein paniertes Schnitzel und zeigt dem wegklickenden Leser, wie man banale Zutaten für einen Sommersalat in Würfelchen schneidet. Ein einziger müder Kommentator mochte sich bislang dafür begeistern.

Also in der Abteilung Selbstverwirklichung kann die Restmannschaft des Tagi sich wahrlich nicht beschweren. Sie frönt ungehemmt dem Prinzip: Ich schreibe, worüber ich will, am liebsten über mich selbst und meine Befindlichkeit. Das hat den Leser gefälligst zu interessieren, und wenn nicht, ist er selber schuld.

So rammt man wirklich ein einstmals stolzes Flaggschiff des Journalismus schneller in den Grund, als damals die Titanic sank. Nur wird hier der Captain nicht an Bord bleiben.

Schall und Rauch

Neues aus der Bauchnabelbetrachtungs-Zone.

Im Exil in Paris treffen sich zwei deutsche Autoren, die vor dem Hitler-Faschismus geflohen sind. Sagt der eine: «Ich habe da so einen dummen Pickel auf der Nase.» Sagt der andere: «Mach doch ein Drama draus.»

Neuerdings hat Rafaela Roth einen Pickel auf der Nase. Und sie macht die Titelgeschichte des «NZZamSonntag Magazins» draus.

Natürlich muss ein Journalist einen gewissen Mitteilungsdrang haben. Natürlich steigert sich der, desto unwichtiger die Meinung eines Journalisten wird.

Aber neben der Meinung zu allem und vor allem zu Themen, von denen der Journalist keine Ahnung hat, gibt es ein Gebiet, bei dem er sich wenigstens ein wenig auskennt: ihn selbst. Davon könnte er stundenlang erzählen, und es ist ihm auch herzlich egal, ob den Leser diese Bauchnabelschau interessiert.

Nun hat Roth (so viel wir wissen) keinen Pickel auf der Nase, deshalb schreibt sie auch nicht darüber. Aber sie hat aufgehört zu rauchen. Das scheint ein schmerzlicher Prozess gewesen zu sein, die Entwöhnungspflaster verursachten «juckende, rote Beulen».

Natürlich ist sich Roth bewusst, dass das noch nicht seitenfüllend ist, schliesslich muss sie dann schon so rund 14’000 Zeichen absondern, das ist keine Kurzstrecke.

Also langweilt sie den Leser mit den üblichen Einschüben «Ich klappte meinen Rechner auf», lässt den Leser an ihren Erkenntnissen teilhaben «wenn man im Netz nach der Wirkung von Nikotin sucht, landet man meistens bei der Wirkung von Tabak», und auch an ihrem eigenen Suchtverhalten «ich war eine überschwängliche Raucherin, ich zelebrierte es, propagierte es, ich sah gut aus dabei, fand ich».

So weit, so gähn. Dann Auftritt Suchtberaterin, diskreter Hinweis auf die «Rauchstopplinie»; seit Zeitungen frei von Tabakinseraten sind, darf man da auch ungehemmt draufschlagen, die Tabakindustrie könne man «gut und gerne als die verlogenste aller Industrien bezeichnen».

Und schliesslich, wer’s noch erlebt, der versöhnliche Schluss: «Techno bringt mich in den Schreibflow. Ich jogge jetzt. Manchmal, wenn ich einige Tage nicht rauskann, werde ich unruhig, fast nervös.»

Vielleicht gibt es Leser, die dankbar für diese tiefen Einblicke ins Leben einer Journalistin sind. «Ich habe so gerne geraucht», was für eine Hammerstory.

So nebenbei: René Zeyer hat über 40 Jahre lang zwei bis drei Päckchen geraucht. Und dann von einem Tag auf den anderen aufgehört. Einfach so. Aber keine Angst, ZACKBUM macht nun keine Bauchnabelbetrachtungs-Story draus. Wir versuchen, hier ein Niveau zu halten, das wir nur ungern verlassen möchten.

Aber auf eine Story aus dem Hause Roth wären wir echt gespannt: «Ich habe so gerne geschrieben».

Wohin treiben wir?

Im Meer der Dummheit auf dem Rücken schwimmen.

Vorverurteilung ist der neue Volkssport der serbelnden Massenmedien. Das gehört zur Erregungsbewirtschaftung, mit der sinkende Lesereinnahmen kompensiert werden sollen. Was da der «Spiegel» in vorderster Linie anstellt, müsste eigentlich Augstein aus dem Grab und Aust die Wände hoch treiben.

Groupies beschweren sich darüber, dass ihr Kontakt mit dem angehimmelten Popstar nicht aus einem schlaffen Händedruck besteht? Sie ziehen sich gerne wie verlangt an, kreischen in der ersten Reihe um die Wette, kommen ans Ziel ihrer Träume. Um dann eine Portion vergänglichen Ruhm abzuholen, indem sie belegfrei angebliche Übergriffe behaupten. Sofort finden sich Trittbrettfahrerinnen, Bloggerinnen und andere öffentlichkeitsgeile Weiber, die auf der Welle mitsurfen wollen. Und Massenmedien wie das einstmals angesehene Nachrichtenmagazin «Spiegel» machen eine Coverstory draus. Ein berühmter und begabter Schauspieler wird mit uralten Anschuldigungen fertiggemacht, willig kolportiert von den Medien. Wird er auf ganzer Linie freigesprochen, gibt’s nicht mal eine leise Entschuldigung. How low can you go?

Fürsorgepflicht für öffentlich hingerichtete Mitarbeiter? Ein Fremdwort für Tamedia. Transparenz bei der Personalpolitik? Ein Fremdwort für Ringier. Beförderung nach Qualifikation und Kompetenz, statt nach Nachnamen? Zwei Fremdwörter für das Wanner-Imperium. Eine nachvollziehbare Begründung für das Feuern eines Chefredaktors liefern? Nicht bei der NZZ.

Früher konnte man sich noch darüber beklagen, dass Mittelmass an die Macht kam. Heutzutage sind es Würstchen, die als erstes den Senf rationieren. Eine Literaturchefin, die von Literatur nur wenig Ahnung hat. Kolumnisten, die die Sprache und den Leser quälen. Figuren in leitenden Positionen, die einzig durch den Besitz eines bestimmten Geschlechtsorgans in diese Position kamen. Pimmelträger, die frustriert aufgeben und sich anderswo umschauen, nur nicht im Journalismus.

Das staatliche Farbfernsehen, Pardon, die zwangsgebührenfinanzierte, staatsunabhängige SRG, die entschieden mehr Sesselfurzer als journalistisch Tätige beschäftigt und von einer Frau ohne Vision, aber mit gut ausgebautem Machtinstinkt geführt wird.

Leitartikelschreiber(innen), die den Leser leiden lassen, ausser er gehöre zur Gesinnungsblase und hat weitgehend die Gehirnfunktionen eingestellt. Geschichtsbetrachtungen, die es schrecklich und schmerzlich an historischen Kenntnissen mangeln lassen. Philosophische Weltbetrachtungen, bei denen es von Ockham (1288 – 1347) aufwärts allen Philosophen den Magen umdreht, angesichts solch geistigen Wüstengebieten.

Sandkastengeneräle, Kriegsgurgeln, Militäranalysten, deren Analysen so falsch sind, dass nicht mal das Gegenteil stimmen würde. Prognostiker, die lieber das Wetter von gestern als das von morgen vorhersagen sollten. Interviewer ohne die geringste Sachkenntnis, denen ein Multiversager wie Mark Pieth oder eine durchgeknallte Kreischfeministinnen wie Emilia Roig jeden Mumpitz ernsthaft und unwidersprochen verzapfen können.

Alles Russische wird verteufelt, Kunst und Kultur wird geächtet, das Unwort Putin-Versteher wird jedem angeklebt, der nicht im hysterischen Gejapse der Verdammnis mitkreischt.

Kaum getarnte Publireportagen, bezahlte Inhalte, schamvoll klein als solche ausgezeichnet oder als «Zusammenarbeit» camoufliert, womit sich der Journalismus endgültig als Nuttenboulevard outet. Wirtschaftsjournalisten, die auf Zuruf nicht mal anzugeben wüssten, wo in einer Bilanz das Eigenkapital verbucht wird und was genau der Unterschied zwischen Aktiven und Passiven ist. «Datenjournalisten», die unlauter aus Daten Resultate heraussaugen, die in ihr Weltbild passen.

Genderkreischen, Klimawarner, Heuchler, die Verhaltensänderungen fordern, ausser bei sich selbst. Unbelehrbare Fehlanalysten, grosse Kenner der US-Politik, der Türkei, von eigentlich allem, bloss: meistens liegen sie krachend daneben. Nur: nach kurzem Schweigen oder einem zerknirschten Eingeständnis kommt die nächste «Analyse», vorgetragen mit dem strahlenden Selbstbewusstsein, mit der strahlenden Dummheit eines Wiener Walzers.

Rechthaber, die der Welt leidend vorgreinen, wie sie zu sein hätte, aber leider, leider, niemand hört auf sie. Oberlehrer mit ewig gezücktem Zeigefinger, prustend vor moralgeschwängertem Geschwurbel. Sie haben Antworten auf alle Fragen, nur ist sie nicht 42. Kindersoldaten, denen der Zweite Weltkrieg noch dunkel ein Begriff ist, aber ja nicht fragen, wann der war.

Ach so viele machen zudem bei der Verhöhnung der wahren Opfer des Nationalsozialismus mit. Sie bezeichnen alles und jeden, der einen Millimeter rechts von ihnen steht, als Nazi. Mindestens als Proto-Nazi, weniger Wagemutige werfen mit «faschistoid» um sich, schnell ist man mit der «Erinnerung an dunkle Zeiten» zur Hand, obwohl sich keiner mehr daran selbst erinnern kann.

Abhold sind diese verunsicherten Rechthaber jeglicher ernsthafter Debatte: ein Gegenargument könnte fatale Auswirkungen haben, die Konfrontation mit einem intellektuell überlegenen oder gebildeten Geist könnte der psychischen Gesundheit abträglich sein. Denn niemals würden diese Karikaturen von Journalisten zugeben, dass sie eigentlich kleine Lichter sind. Übrig geblieben aus einer Negativauslese. Denn wer zu teuer ist, zu kantig, zu aufmüpfig, wer es gar wagt, eine eigene Meinung zu haben, muss bei der nächsten Sparrunde als Erster über die Klinge springen.

Was diese Mietschreiber der deutschen Sprache antun, müsste strafrechtlich abgeurteilt werden. Nicht nur, dass sie sie mit Gender-Sternchen, absurden angeblich inkludierenden Formen vergewaltigen. Selbst ohne diesen Mumpitz zeigen ach so viele, dass sie nicht mal die Grundregeln beherrschen. Von eleganten Formulierungen, einem überzeugenden Aufbau, Leserführung, Komprimierung ganz zu schweigen. Da werden «Reportagen» geschrieben, die aus ein paar Gesprächsfetzen bestehen, da werden «Analysen» gemacht, die überhaupt kein Ganzes in seine Bestandteile zerlegen, sondern Gehacktes, Geschnetzeltes, Gedankensplitter feilbieten.

Der Journalismus ist so auf den Hund gekommen, dass sogar seit einiger Zeit keine neuen «Leaks» oder «Papers» veröffentlicht werden. Das sind zwei Euphemismen für das Ausschlachten von Hehlerware. Von gestohlenen Geschäftsunterlagen, bei denen die Ausschlachter keine Ahnung haben, aus welchen Motiven sie gestohlen und gratis verschleudert werden.

Das hält sie aber nicht davon ab, Staatsanwalt, Richter und Henker in einer Person zu spielen; nach Belieben ausgewählte Personen an den medialen Pranger zu stellen. Dass darunter auch Tote, Unschuldige, durch diese Enthüllungen in Lebensgefahr geratene Menschen sind, dass hier Existenzen vernichtet werden wie die eines schweizerisch-angolanischen Geschäftsmanns, was soll’s. Dass einem verstorbenen Playboy völlig zu Unrecht üble Vorwürfe gemacht werden, die sich in Luft auflösen: na und? Man suhlt sich ein Weilchen in der künstlichen Sonne der angeblichen Enthüllung und Aufklärung. Hinterlässt ein Trümmerfeld und zieht weiter.

Viele Journalisten haben so wenig zu tun, dass sie zu den fleissigsten Fütterern der asozialen Plattformen gehören. Twitter ist ihr Lieblingskanal, ältere Semester verwenden Facebook, jüngere Instagram oder TikTok. Dort weisen sie gackernd wie Hühner über ein gelegtes Ei auf ihre eigenen Artikel hin und beschimpfen alle anderen, die nicht ihrer Meinung sind.

Kompetenz im umgekehrt proportionalen Verhältnis zum Selbstbewusstsein. Einbildung als Ersatz für Bildung. Schweigen als Reaktion auf Kritik. Gross im Austeilen, ganz, ganz klein im Einstecken. Der eigene Bauchnabel als Weltersatz. Das eigene Empfinden als Empathie-Ersatz. Geklautes Leiden, geheuchelte Betroffenheit, moralische Unfehlbarkeit wie früher beim Papst, ein unstillbares Bedürfnis, der Welt die eigene Meinung aufzudrängen, als ob die auch nur schon die eigenen Leser interessieren würde.

Das ist das jammervolle Bild, das der Journalismus heute abgibt. Er wird unbeeindruckt von solchen Beschimpfungen in die Grube fahren. ZACKBUM begleitet ihn dabei als Ein-Mann-Orchester.

 

 

Wumms: Anna Wanner

Durch den Bauchnabel gesehen.

Es hat schon Vorteile, die Tochter des Chefs zu sein. Axel Wüstmann war weder das eine, noch das andere. Deshalb ist er weg, während Anna Wanner von niemandem gehindert werden kann, ihren Senf zu allem zu geben.

Immerhin macht sie es leserfreundlich unnötig, ihren Kommentar lesen zu müssen; schon der Titel stellt alles klar: «Vorentscheidung beim SP-Ticket: Eva Herzog ist die Richtige».

Während ihre Konkurrentin Elisabeth Baume-Schneider den grossen Vorteil habe, «nicht nur kompetent, sondern auch witzig» zu sein, habe sie natürlich keine Chance, dekretiert Wanner.

Wenn ein Mann, zum Beispiel Wüstmann, eine Frau so beschrieben hätte, da wäre die Feminismus-Fraktion ganz schön ins Hypern gekommen, was denn das für ein Kriterium sei, ob man das bei Männern auch, und überhaupt. Aber was kümmert das die Tochter vom Chäf.

Denn eben, Herzog sei die Richtige, weiss die Politik-Analystin. Während sich der Leser fragt, wen ausserhalb des Hauses Wanner diese Meinung interessiert. Vielleicht nicht einmal auf dem Schloss beim Tafeln im Rittersaal …

Der Bauchnabel-Journalismus

Die Welt und das Ich: Icherstattung.

Heute Morgen bin ich mal wieder vor dem Läuten des Weckers aufgewacht. Die Verdauung funktionierte zufriedenstellend, die Bartstoppeln waren etwas länger als sonst, da ich mich am Sonntag nicht rasiert habe. Ob ich Corona-positiv bin, weiss ich nicht, weil ich mich nicht getestet habe. Obwohl ich kürzlich bei Freunden zum Lunch war, bei denen der Gatte Omikron hat. Aber das beunruhigt mich nicht sonderlich.

Hallo, noch jemand da und nicht weggeschnarcht? Danke. Das war ein Ausflug in die Niederungen des modernen Spar- und Bauchnabeljournalismus. Corona-Kreische Marc Brupbacher twittert Intimes über seinen letzten Familienausflug ins Elsass, ist aber nicht in der Lage, eine journalistische Anfrage zu beantworten.

Nicht nur Nicole Althaus füllt regelmässig Gefässe mit der Betrachtung des eigenen Bauchnabels (und der Gebärmutter) ab. Überhaupt wächst einem weltpolitischen Ereignis nur dann berichtenswerte Bedeutung zu, wenn es am Empfinden des Journalisten gespiegelt werden kann. Der ist dann «beunruhigt», er «befürchtet», «warnt», «fordert».

Ein Journi fällt im Fitness vom Laufband? Tritt auf der Strasse in Hundekot? Hat sich den Magen verdorben? Eine Story, ein «Erlebnisbericht». Immer mehr Journalisten meinen: was mich selbst beschäftigt, ist doch auch für die Leser rasend interessant. Meine Meinung zur Wahl Lulas in Brasilien ist doch viel wichtiger als das Ereignis selbst. Meine Gefühle gegenüber Putin sind doch von weltgeschichtlicher Bedeutung. Meine Entscheidung, ob ich mich so oft boostern lasse, bis ich durchlöchert wie ein Stecknadelkissen bin, ist nicht nur berichtenswert, sondern sollte als Vorbild für alle dienen.

So degeneriert Berichterstattung immer mehr zur Icherstattung. Mangelnde Fähigkeit zur Beschreibung, Einordnung und Analyse wird durch ungehemmtes Ego ersetzt. Statt Berichte über das, was in Nah und Fern so passiert, heisst das Thema «ich und die Welt, die Welt durch mich». Als hätten die Journis sich der philosophischen Denkrichtung verschrieben, die davon ausgeht, dass die Welt nur durch das Individuum existiert, der Raum, den es gerade verlassen hat, keine Existenzberechtigung mehr hat und verschwindet.

Dazu sind sie zu ungebildet. Aber das Prinzip wenden sie mit schlafwandlerischer Sicherheit an. Geradezu teuflische Ergebnisse hat diese Ichperspektive in der «Weltwoche». Wen sie hochlobt oder hochhält, verliert garantiert. Das war bei Donald Trump so. Das ist bei Liz Truss oder bei Jair Bolsonaro so. Sie ernennt den neuen britischen Premier Rishi Sunak zum «Supertalent», nachdem doch noch vor Kurzem Truss «die richtige Frau am richtigen Ort» war. Nun muss man sich um die politische Zukunft von Sunak echt Sorgen machen. Und Roger Köppel himself erklärt Heinz Tännler zu seinem «Bundesratsfavoriten». Der Arme, damit hat er – Fluch der WeWo – keine Chance mehr.

Wahlprogramme, vergangene Erfolge oder Misserfolge, Persönlichkeitsstruktur, Umfeld, Analyse der Situation? Pustekuchen, es geht um «ich und Putin», «ich und die Bundesratswahlen», «ich und Corona».

Es ist ausserdem ein sehr narzisstisches Ich, also schnell eingeschnappt, beleidigt, wenn es feststellen muss, dass nicht alle in der Welt seiner Meinung sind. Was sehr bedauerlich ist, denn sonst wäre die Welt ein viel besserer Ort. Da das Ich ja Lösungen für eigentlich alles zur Hand hat, vom Kater nach dem zuvielten Glas bis zum Weltfrieden: nur das Ich fragen.

Wer das nicht tut, wird entweder zum Leugner oder zum Versteher. Immerhin nicht zum verstehenden Leugner oder zum leugnenden Versteher. Aber zum Klima- oder Corona-Leugner, bzw. zum Putin- oder China-Versteher. Beides ist schlecht und falsch. Das muss auch nicht weiter begründet werden; verwendet das narzisstische Ich diese beiden Bannbegriffe, dann hat der Betroffene eigentlich nur noch die Möglichkeit, sich zu schämen und zu verstummen.

Im angelsächsischen Journalismus, immer noch die Benchmark, die für alles Deutsche in unerreichbare Ferne abschwirrt, ist es eine Selbstverständlichkeit bis heute, dass in der Berichterstattung über ein Ereignis ein Wort garantiert nicht vorkommt: I. Im Kommentar ist’s erlaubt, bei der Nachricht selbstverständlich nicht.

Sicherlich ist es schwieriger geworden, angesichts des krachenden Versagens der Verlagsmanager und der ungebrochenen Geldgier der Besitzerclans der Schweizer Medienkonzerne, anständigen, qualitativ hochstehenden und geldwerten Journalismus zu betreiben.

Wer aber statt Mehrwert und ausgewogene Orientierung bietenden Informationsjournalismus saure Milch, verschwitzte Socken, Mundgeruch, flackernde Blicke und Notizen rund um den Bauchnabel sowie Maulaffen und vorgefasste Meinungen feilhält, muss sich wirklich nicht wundern, dass sich immer mehr zahlende Leser mit Grausen abwenden.

Was all diesen Egobolzen fehlt, könnte man in ihrem Jargon so bezeichnen: sie sind keine Leserversteher.

Ich, ich, ich

Unseren täglichen Rassismus gib uns heute.

Der Lieblingssong vieler Journalisten muss «I and I» von Bob Dylan sein. Allerdings sind die meisten nicht gebildet genug, um den zu kennen. Auf jeden Fall nimmt die Betrachtung des Bauchnabels einen immer wichtigeren Bestandteil der täglichen Arbeitsimitation ein.

Dabei werden täglich neue Rekordversuche aufgestellt. Während der Journalist gemeinhin seinen eigenen Bauchnabel betrachtet und über dessen Befindlichkeit, Zustand, Grösse, Farbe und Veränderung seit gestern Auskunft gibt, stellt Sandro Benini im «Tages-Anzeiger» eine neue Perspektive in den Raum.

Ein Journalist betrachtet einen anderen Journalisten beim Betrachten dessen Bauchnabels. Konkret geht das so, dass Benini über eine Kollegin von «Finanz und Wirtschaft» schreibt – «die wie diese Zeitung zu Tamedia gehört». Diese Journalistin hatte getwittert: «Welcome to my Alltagsrassismus». Dieses merkwürdige Kauderwelsch entging nicht dem geschulten Augen Beninis, der sofort eine Story witterte, die man der Weltöffentlichkeit nicht vorenthalten kann.

Also bastelte er einen «Kopf des Tages» daraus, mit dem anklagenden Titel: «Sie hört pro Woche einen rassistischen Spruch». Denn sie sieht nicht wie ein reinrassiger Schweizer aus, wobei noch zu klären wäre, wie der aussähe. Seine Kollegin ist hingegen «Tochter einer Amerikanerin mit koreanischen Wurzeln und eines Schweizers jüdischen Ursprungs».

Wir ersparen es Benini, diesen Satz einem Spezialisten für Diversity, Gendern und der Beurteilung von Inklusionen sowie Exklusionen und rassistischen Untertönen zur Beurteilung vorzulegen. Wir schliessen aber gerne Wetten ab, dass der (oder die oder es) einige Ansätze für Kritik sähe. Alleine «koreanische Wurzeln, jüdischer Ursprung», also wirklich.

Wie auch immer, ihr Aussehen provoziert offenbar Dumpfbacken dazu, anzügliche Bemerkungen zu machen. Behauptet sie. Wie sie sich wohl jede attraktive Frau (und auch viele nicht attraktive) immer wieder anhören muss. Nur haben die in ihrem Fall bedauerlicherweise gelegentlich auch rassistische Konnotationen. Behauptet sie.

Das ist ein sicherlich ärgerliches Begleitbrummen im Leben. Aber wirklich berichtenswert in allen Kopfblättern des Tagi? Muss nun wirklich jeder (und jede) jegliche Form von Diskriminierung, Alltagsrassismus, alle dummen Sprüche, zu denen leider minderbemittelte Mitbürger in der Lage sind, in den Schrumpfzeitungen ausbreiten, die eigentlich wichtigere Themen zu behandeln hätten?

Ist solcher Pipifax wirklich einen Artikel wert? Als René Zeyer im Appenzell lebte, schmiss ein Bekannter meines Nachbarn jeden Sonntagmorgen den Rasenmäher an und mähte nicht nur dessen Magerwiese nieder, sondern auch meine. Als ich mir das verbat und darum bat, auch beim Nachbarn den Lärm wenigstens nicht um 8 Uhr morgens zu veranstalten, bekam ich die Antwort: «Bei uns in der Schweiz macht man das so

Wenn ich genauer darüber nachdenke, bin ich also auch ein Rassismusopfer. Ganz zu schweigen davon, was ich mir in der Schule anhören musste, als ich der schweizerdeutschen Krachlaute noch nicht mächtig war. Allerdings: sollte es mir in den Sinn kommen, jemals einen Tweet mit dem Titel «Welcome to my Alltagsrassismus» abzusetzen, wäre ich sofort bereit, mich psychologisch beraten und behandeln zu lassen.

Es ist eine zunehmende gesellschaftliche Erkrankung, ansteckender als Covid, Vogelgrippe und Schweinepest, dass sich jeder (und jede) als Opfer von irgendwas inszenieren muss. Fällt einem dazu trotz grössten Bemühungen nichts ein, kann man wenigstens stellvertretend leiden. Für die Schwarzen. Die Transen. Die Queeren. Die Frauen. Die Kinder. Die Ausländer. Die Inländer. Die Hybriden, Schwulen, Asexuellen, die People of Color, die Nachfahren von Sklaven, die Nachfahren von Sklavenhaltern, die Rastaträger, die sich kulturell aneignenden Rastaträger.

Die Moslems, Juden, Adventisten, Katholiken, Reformierten, Scientologen. Überhaupt für jede Minderheit. Für SVP-Wähler, Covid-Leugner, Verschwörungstheoretiker, Befürworter der Behauptung, dass Donald Trump der Sieg bei den Präsidentschaftswahlen geklaut wurde. Mohrenkopf-Esser, Trinker von koffeinfreiem Kaffee, Träger von Brioni-Anzügen. Denn auch all die sind Minderheiten; diskriminiert, verlacht, von Ausschliessung bedroht.

Keiner zu klein, diskriminiert zu sein. Jeder ist ein Opfer von allem und allen. Wer multiple Diskriminierungen vorweisen kann, ist dem einfach Diskriminierten deutlich überlegen. Väter sind Täter, Frauen sind benachteiligt und unterdrückt. Durch Sprache, in der Medizin, am Arbeitsplatz, durchs Kinderkriegen. Die blosse Zugehörigkeit zu irgendwas legitimiert das Leiden unter Diskriminierung. Das blosse Zusehen, sogar die Einbildung eines Leidens anderer reicht schon.

Eine Frau ist diskriminiert und Opfer. Eine dunkelhäutige Frau ist mehrfach diskriminiert und Mehrfachopfer. Eine lesbische, dunkelhäutige Frau mit Migrationshintergrund und Endometriose ist multipel diskriminiert und Fünffachopfer.

Dass angeblich von fürchterlicher Diskriminierung Betroffene, in deren Namen kräftig gelitten wird, sich häufig wundern, was offensichtlich wohlstandsverwahrloste Menschen sich einbilden, um etwas Farbe ins langweilige Leben zu kriegen, hält hierzulande niemanden davon ab, auch stellvertretend zu leiden. Wie Patti Basler. Wie diese Redaktorin der FuW. Wie so viele, wie viel zu viele.

Was noch fehlt: das Leiden an der Diskriminierung durch sich selbst. Zum Beispiel, ein Schwarzer, Pardon, eine Person of color, sagt zu sich selbst: als Schwarzfahrer bist du immer der Neger. Damit hat er sich selbst diskriminiert, exkludiert und das Ganze erst noch mit einem rassistischen Unterton und unter Verwendung eines Pfui-Worts. Und jetzt? Muss er sich vor sich selbst fürchten? Einen Sensibilisierungskurs besuchen? Hundert mal in sein Smartphone tippen: ich darf nie mehr Neger sagen? Patti Basler, stellen Sie sich das vor und helfen Sie!

Es ist so ein Elend in der Schweiz, dass es jedes Bürgerkriegsopfer der Dritten Welt, jede Mutter mit einem verhungernden Kind auf dem Arm in Afrika mit tiefem Schmerz und Mitgefühl erfüllen muss.