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Tote zählen im Gazastreifen

Ist es möglich, deren Anzahl überhaupt zu erheben?

Bislang war die einzige Quelle die Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums im Gazastreifen. Israel denunziert sie als «Terrorpropaganda», und tatsächlich sind solche Zahlen bezweifelbar.

Zudem ist es äusserst schwierig, im weitgehend zerstörten Gazastreifen, in dem es zudem No-Go-Zonen gibt und der Zugang ausländischen Journalisten versperrt ist, entsprechende Erhebungen zu machen.

Nun hat eine Gruppe von Wissenschaftler versucht, unabhängig Daten zu erheben und ihre Ergebnisse auf «medRxiv, the Reprint server for Health Sciences» veröffentlicht. Die Studienergebnisse wurden von «Nature» übernommen. Die seit 1869 erscheinende Zeitschrift ist bekannt für ihre hohe wissenschaftliche Integrität.

Diese vorsichtige Einleitung ist nötig, weil die Ergebnisse der Studie schockierend sind und selbstverständlich sofort geframt und bezweifelt werden.

Sie kommt zum Ergebnis, dass die tatsächliche Zahl der Toten, zudem nur erhoben zwischen Oktober 2023 bis Anfang Januar 2025, bedeutend höher liegt als die Zahlen der Hamas. Laut der Erhebung starben in diesem Zeitraum beinahe 84’000 Menschen im Gazastreifen.

Mehr als die Hälfte der Getöteten seien Frauen im Alter von 18 bis 64, Kinder oder Menschen über 64.

Wer hinter der wissenschaftlichen Untersuchung steht, kann jeder selbst nachlesen und sich sein Urteil bilden.

Auf jeden Fall sind diese Zahlen um 60 Prozent höher als die vom Gesundheitsministerium angegebenen, während Israel keinerlei Zahlen veröffentlicht.

Selbst Zynikern verschlägt es langsam die Sprache, und nur noch ganz Verpeilte werfen Kritikern der Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und Verstössen gegen Völker- und Kriegsrecht der israelischen Regierung vor, sie würden haltlosen Unsinn verzapfen.

So wie ein feige sich hinter Pseudonym versteckender Amok auf «Inside Paradeplatz», als Reaktion auf einen Artikel des ZACKBUM-Redaktors René Zeyer:

«Antisemiten können aber nicht anders, als immer wieder auf ihre rassistische, judenfeindliche Gesinnung zurückzufallen. Zeyer – ein williger Unterstützer von Hamas, Hisbollah, Iran, Nordkorea, Russland & China!»

Immerhin hatte Tamedia den Mut, einen entsprechenden Artikel der «Süddeutschen Zeitung» zu übernehmen. Wohlweisslich ohne Kommentarfunktion.

Quelle: «Tages-Anzeiger».

Sollten diese Zahlen stimmen, widerlegen sie die Behauptung der israelischen Armee, sie bemühe sich möglichst um eine Schonung der Zivilbevölkerung.

Obwohl die Studie bereits vor einer Woche erschienen ist, hat in den deutschsprachigen Medien bislang einzig die SZ (kopiert von Tamedia) diese Ergebnisse aufgenommen.

Medienkritisch geht es hier nicht um eine Diskussion der wissenschaftlichen Grundlage und der Plausibilität dieser Zahlen.

Sondern es geht darum, dass eine Debatte über den Gazakrieg im Sinne eines Meinungsaustauschs, basierend auf möglichen Erkenntnissen, kaum oder nicht möglich ist.

Verteidiger der israelischen Regierungspolitik verweisen auf die Greueltaten der Hamas, auf deren Massaker am 7. Oktober 2023. Da sie diktatorisch die Regierungsgewalt im Gazastreifen ausübt, sei die gesamte Bevölkerung mitschuldig daran – und letztlich selber schuld, wenn sie nun auch massakriert wird. Ein Zahlenvergleich sei obszön und nicht statthaft.

Noch erschreckender als diese Zahlen ist die meist fakten- und erkenntnisfreie öffentliche Debatte. Hilft alles andere nicht, schlägt die Antisemitismuskeule zu und wird an den Holocaust erinnert. Der deutsche Bundeskanzler Merz darf ungeniert davon sprechen, dass Israel hier die «Drecksarbeit» verrichte. In welchen Sprachduktus er sich damit begibt, fällt offenbar weder ihm noch breiten Teilen der Medien auf.

Wer auf der Einhaltung internationaler Regeln besteht, wird mit dem Argument niedergemacht, dass die gegen fundamentalistische Wahnsinnige und die Ayatollen im Iran nicht gelten würden. Wer Opfer eines Terrorangriffs und von den Mullahs in Teheran mit der Vernichtung bedroht wird, darf sich darum foutieren.

Dass sich damit die israelische Regierung und ihre Armee genauso zum Paria machen wie die von religiösen Wahnsinnigen regierten Staaten um das Land herum, genauso wie die Terrororganisationen Hamas und Hetzbollah, wird ignoriert.

Eine zivilisierte Gesellschaft kann sich nicht barbarisch gegen Barbaren wehren. Auch putative Notwehr hat ihre Grenzen. Sonst gilt einfach die Macht des Stärkeren, die alles Recht bricht.

Die Grundlagen zivilisierten Zusammenseins sind spätestens seit Kant bekannt. Wer sich aus Unkenntnis oder wissentlich selbst darüber hinwegsetzt, unterscheidet sich nicht mehr vom Barbaren und verliert jegliche Legitimation für sein Handeln.

 

Neuer Lichtblick beim Tagi

Auslandchef Christof Münger verurteilt die Kriegsverbrechen der israelischen Regierung.

Seine Aufgabe ist es normalerweise, Gelaber der Redaktion der «Süddeutschen Zeitung» per copy/paste seinen Lesern zahlungspflichtig zu servieren. Mit schlechteren Titeln und Leads versehen.

Oder tatenlos zuzusehen, wie sein Redaktor Enver Robelli mit kosovarischem Hintergrund Gift über alles spritzt, was mit dem Wort Serbien verbunden ist. Oder den Besuch der kosovarischen Präsidentin in der Schweiz mit Lob überschüttet.

Dass sie Chefin eines selbst von einigen EU-Mitgliedern nicht anerkannten Mafiastaats ist, der nur auf Betreiben der damaligen Schweizer Aussenministerin zur Welt kam, obwohl das ein eklatanter Verstoss gegen die Serbien zugesicherte territoriale Integrität war (aber Serbien ist halt nicht die Ukraine), was soll’s.

Nun aber ermannt sich Münger, die Kriegsverbrechen der israelischen Regierung zu kritisieren. Die ist – animiert vom US-Präsidenten Donald Trump, der Gaza gerne in eine neue Riviera verwandeln und möglichst viele Trump Towers bauen möchte – finster entschlossen, die Palästinenser von dort zu vertreiben – ins Nirgendwo, wie Trump. Auf zunehmenden internationalen Druck hin wurde eine obskure Organisation damit beauftragt, die wenigen Hilfslieferungen an die hungernde Bevölkerung zu managen. Deren Präsident ist sofort zurückgetreten, die Verteilung endete in einem Chaos mit Toten. Die Ausgabestellen liegen grösstenteils im Südwesten des Gazastreifens, nach der Devise: wenn ihr die Bombardements überlebt und etwas zu fressen wollt, dann macht euch doch dorthin auf den Weg. Eine «Schimäre» humanitären Handelns, wie Christof Münger konstatiert.

Das unterscheidet seinen Kommentar auch wohltuend vom haltlosen Leitartikel seiner Chefin.

Dagegen hält Münger in seiner «Meinung»:

«Das Vorgehen des israelischen Premiers im Gazastreifen lässt sich nicht mehr rechtfertigen. Den Preis dafür zahlen die Palästinenser – langfristig aber auch Netanyahus eigene Landsleute.»

Wobei diese Landsleute nach Meinungsumfragen mit dieser Vernichtungspolitik einverstanden sind. Und der isrealische Ministerpräsident im Windschatten dieses Verbrechens neue illegale Siedlungen im Westjordanland beschlossen hat.

Dass die Hamas eine Bande von fundamentalen Wahnsinnigen ist, die mit ihrem Massaker in Israel und den Geiselnahmen dafür den Vorwand geliefert hat, ist unbestritten. Wie es passieren konnte, dass der sonst so effektive israelische Geheimdienst und die Armee die mehr als ein Jahr andauernden Vorbereitungshandlungen übersehen haben könnten; Anlass für mehr als Verschwörungstheorien.

Aber immerhin, man muss auch loben können:

«Die israelischen Streitkräfte agieren dabei derart brutal, dass sie sich dem Vorwurf aussetzen, Kriegsverbrechen zu begehen. Für Israel ist das ein moralisches Desaster. … Dabei wäre es allein ein Gebot der Menschlichkeit, dass sich Israel zurückhält, da die Lage im Gazastreifen verheerend und das Leid evident ist.»

Münger weist auf eine Selbstverständlichkeit hin: Israel ist eine Demokratie und orientiert sich an Werten, die in der Erklärung der Menschenrechte verankert sind. «Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit», heisst es in Artikel 3 der UNO-Proklamation von 1948. Das gilt auch für Palästinenserinnen und Palästinenser

Und er benennt das einzige Motiv von Netanyahu: «Weshalb geht Israel so brutal vor? Die naheliegende Erklärung ist, dass sich Netanyahu nicht um die Sicherheit seines Landes, sondern um sein politisches Überleben kümmert. Der Regierungschef steht wegen mehrerer Korruptionsvorwürfe vor Gericht. Sein Amt ermöglicht es ihm, den Prozess in die Länge zu ziehen und einer möglichen Gefängnisstrafe zu entgehen.»

Er fordert den Schweizer Bundesrat auf, dem Beispiel von engen Verbündeten Israels wie Frankreich, England und anderen, zu folgen, und er schlussfolgert richtig: «Abbringen von seinem Krieg im Gazastreifen können ihn aber nur jene Bürgerinnen und Bürger Israels, die nicht mit dem Makel leben möchten, den ihnen ihr Premier auferlegt.»

Das ist mutig, denn der Gegenwind aller Israel-Verteidiger, die nicht zwischen Juden, Israel und seiner Regierung unterscheiden, sondern alle berechtigte Kritik an deren menschrechtswidrigem und verbrecherischem Handeln mit «Antisemitismus» niedermachen wollen, ist ihm gewiss.

Viel mehr haben sie nicht mehr zu bieten. Ausser: die Palästinenser im Gazastreifen seien selber daran schuld, dass die gesamte Infrastruktur in eine Ruinenlandschaft verwandelt wird, als Kollateralschaden Tausende von unschuldigen Zivilisten getötet werden, die Bevölkerung ausgehungert werden soll. Schliesslich hätten sie die Hamas mal «gewählt» und sollten sich gefälligst gegen ihre Überreste auflehnen. Tun sie das nicht, ereilt sie halt ihr wohlverdientes Schicksal.

Wie menschenverachtend ein solches Vorgehen der israelischen Regierung ist, ist evident.

Dass es sich bei der Hamas um fundamentalistische Irre handelt, ist unbestreitbar. Aber wer das zweifellos Böse bekämpft, darf nicht selbst mit seinen Mitteln unbezweifelbar böse werden. Damit verliert er seine Legitimation.

Die meisten Befürworter der kriminellen Regierungspolitik, die den Windschatten der Ereignisse im Gazastreifen dafür benützt, weitere illegale Siedlungen im Westjordanland zu beschliessen, können nur mit einer Gleichsetzung zwischen Regierung, Israel und den Juden argumentieren, um die Waffe «Antisemitismus» zu missbrauchen.

Und bevor die Nazikeule geschwungen wird: natürlich war der Krieg gegen den Hitler-Faschismus gerechtfertigt. Dass die Terror-Bombardements von Dresden und Hamburg Kriegsverbrechen waren, muss trotzdem festgehalten werden.

Denn der Zweck, selbst gegen das Böse, heiligt nicht alle Mittel. Wenn das Gute gesiegt hat, dabei aber grenzenlos böse geworden ist, was ist dann gewonnen? Wer den Mörder zum Tode verurteilt, ist auch ein Mörder. Selbst im Krieg, so pervers das einige anmuten mag, gibt es Regeln. Wer sich nicht daran hält, wie die Hamas, wie die israelische Regierung, begibt sich ausserhalb des zivilisierten Konsens in einer Welt, die schon zur Genüge darauf pfeift.

Die Welt ist nicht schwarzweiss, sondern bunt, chaotisch, widersprüchlich. Das menschliche Bedürfnis, zwecks Orientierung einfachen Narrativen zu glauben, sollte den Einzelnen nicht davon entheben, sich aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Informationen ein eigenes Bild zu machen. Ob die damit gewonnene Erkenntnis irgendeinen Nutzen hat, ist unerheblich.

Aber Erkentnnisgewinn ist ein Wert für sich, nur in ihm kann Fortschritt keimen. Dazu hat Münger einen Beitrag geleistet. Das ehrt ihn.

 

Die wahren Antisemiten

Sie heissen David Klein und Konsorten.

Der wegen Verstoss gegen die Antirassismus-Strafnorm einschlägig bekannte David Klein hat mal wieder eine Lanze gebrochen. Auf «Inside Paradeplatz» veröffentlichte er, was sicherlich anderswo abgelehnt wurde: «Wenn Schlagzeilen zu Schüssen werden».

Ein Amok erschoss in Washington zwei Israelis und skandierte danach «Free Palestine». Eine abscheuliche und sinnlose Tat. Aber noch widerwärtiger ist, was Klein daraus schlussfolgert: «Der Verdächtige? Er ist der Mörder.» Damit begibt er sich zunächst ausserhalb jeder Rechtsstaatlichkeit. So offensichtlich auch für den Mob diese Tat und seine Schuld sein mag: unsere letzte Bastion gegen Barbarei und Willkür verlangt, ihn als mutmasslichen Täter zu bezeichnen, der unschuldig ist, bis rechtsgültig seine Schuld erwiesen wurde.

Wer das ignoriert, ist ein Verächter der Rechtsstaats, der sich damit ausserhalb jedes vernünftigen Diskurses begibt. Aber Klein kennt wieder einmal kein Halten: «Die Saat dieses eliminatorischen Judenhasses wurde in den Redaktionsstuben genährt.» Eine Pauschalverurteilung jeder kritischen Berichterstattung über die Kriegsverbrechen, die Israels Armee im Gazastreifen begeht.

Indem die letzten Reste der Infrastruktur zerstört, zivile Opfer billigend in Kauf genommen werden, ist unter dem Deckmantel der Zerstörung der Hamas das erklärte Kriegsziel: die Bewohner des Gazastreifens sollen einfach verschwinden, sofern sie nicht zuvor verreckt sind. Wohin? Zunächst in angebliche Schutzzonen, die dann anschliessend gnadenlos bombardiert werden. Und dann? Irgendwohin, am besten ins Nirgends.

Wer zu kritisieren wagt, dass hier zurecht von einem Genozid gesprochen werden muss, begibt sich für wahre Antisemiten wie Klein in die Todeszone des Vorwurfs: diese Kritik ist antisemitisch. Es braucht nicht viel Dialektik, um umgekehrt zu konstatieren: solche verpeilte Irwische wie Klein befördern Antisemitismus, wie es die schlimmsten Feinde der verbrecherischen israelischen Regierung nicht könnten.

Klein verrichtet ungehemmt deren Geschäft:

«Das aktuellste Beispiel der Verbreitung einer modernen Ritualmordlegende gegen die Juden ist die BBC-Groteske der 14’000 Babys, die „innerhalb von 48 Stunden in Gaza zu sterben drohen“.
Die Berichtigung dieser monumentalen Falschmeldung, welche die Anti-Israel-Sturmtruppen bei SRF dankbar aufgesogen und ungeprüft verbreitet hatten, ist schwerer zu finden, wie die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen.«

Sturmtruppen? Klein adaptiert bewusst den Begriff «Sturmabteilung» (SA) der Nazis und verwendet ihn zur Denunziation der Berichterstattung des Gebührensenders SRF. Dessen Darstellung des Vernichtungskriegs im Gazastreifen mag nicht über jeden Zweifel erhaben sein. Aber eine solche Verleumdung hat sie nicht verdient.

Neben vielen anderen kritischen Stimmen wagt es inzwischen sogar der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz, trotz der lastenden Schuld des Holocaust, klare Worte zu sprechen: «Die Zivilbevölkerung derart in Mitleidenschaft zu nehmen, wie das in den letzten Tagen immer mehr der Fall gewesen ist, lässt sich nicht mehr mit einem Kampf gegen den Terrorismus der Hamas begründen.» Und: «Das, was die israelische Armee jetzt im Gazastreifen macht: Ich verstehe offen gestanden nicht mehr, mit welchem Ziel.»

Er schliesst sich damit der Kritik an, die auch israelische Verbündete wie England, Frankreich oder Italien äussern. Von der UNO («Die gesamte Bevölkerung Gazas ist von einer Hungersnot bedroht. Familien müssen hungern, und ihnen wird das Nötigste vorenthalten – und das alles vor den Augen der Weltöffentlichkeit») ganz zu schweigen. Sicherlich alles Antisemiten.

Dagegen verortet Klein die Vorbereitung des geistigen Nährbodens, der zu den Schüssen in Washington geführt haben soll, eindeutig in den Medien: «Wer Israel – stellvertretend für alle Juden – über Monate und Jahre hinweg mit einseitiger, unverhältnismässiger und faktenwidriger Kritik an den Pranger stellt, muss sich nicht wundern, wenn sich diese hetzerische Praktik irgendwann in Kugeln entlädt.»

Zunächst: Israel steht nicht stellvertretend für alle Juden. Die Kritik richtet sich weder gegen die Juden, noch gegen Israel. Sondern einzig und allein gegen die kriminelle Politik der Regierung, angeführt von einem per internationalem Haftbefehl gesuchten Ministerpräsidenten, der sich an sein Amt klammert, um dem Knast wegen Korruptionsanklagen zu entgehen.

Und keinesfalls ist jede Kritik an «Israel» einseitig, unverhältnismässig oder gar faktenwidrig. Noch viel weniger löste sie das Verbrechen in Washington aus.

Aber auch das ist sicherlich wieder antisemitisch.

Zum Schluss seines eigenen antisemitischen Rundumschlags kennt Klein keine Grenzen mehr:

«Der Mörder von Washington hatte seinen Finger am Abzug – aber das geistige Magazin wurde über Monate und Jahre geladen. Mit Schlagzeilen. Mit Meinungsstücken.
Mit der selbstgerechten Doppelmoral einer Medienmeute, die den Überblick längst verloren hat, aber weiter so tut, als hätte sie den moralischen Kompass gepachtet.
Es ist Zeit, dass sich die Redaktionen auf ihrem Feldzug gegen Juden und Israel fragen: „Was richten wir mit unserer Sprache an?“ Worte töten nicht – aber sie nähren tödliche Gedanken.»

Dabei hat alleine Klein den moralischen Kompass verschluckt. Und bedient sich ungehemmt des Vokabulars der Nazis («Medienmeute»). Hier werden Menschen zur tierischen Meute, zu Jagdhunden degradiert.

In seinem Furor wird es ihm keine Sekunde lang bewusst, dass er mit seinen haltlosen Behauptungen nicht nur bei dafür empfänglichen Lesern Antisemitismus befördert. Was ihn im Zirkelschluss zur Ansicht verleitet: alle, die meine absurden Ausführungen kritisieren, sind Antisemiten.

Was ihn davon enthebt, sich über die Folgen seines verantwortungslosen Geschreibsels im Klaren zu werden. Einer der Unterschiede, der eine vorbehaltlose Kritik an den verbrecherischen Amoks der Hamas erlaubt, ist der, dass das fundamentalistische Wahnsinnige sind, die sich durch ihr Handeln ausserhalb der zivilisierten Gemeinschaft begeben.

Wer aber in einer solchen lebt, missbraucht wie er die Meinungsfreiheit dazu, sich auf ihr Niveau herabzubegeben. Auch für die Hamas gilt keine Unschuldsvermutung, gibt es keinen rechtsstaatlichen Prozess, der erst die Schuld eines bis dahin Unschuldigen beweist. Auch für die Hamas ist keine Kritik an ihren Entscheidungen erlaubt. Bei ihr ist das absurde Argument, dass das Widerworte gegen den Willen Allahs seien. Bei Klein sind das Widerworte, die mit der Antisemitismus-Keule niedergemacht werden müssen, weil nur er im Besitz der einzigen Wahrheit ist.

«Worte töten nicht – aber sie nähren tödliche Gedanken», schliesst er seinen Amoklauf ab. Auch seine Worte töten nicht, aber sie nähren antisemitische Vorurteile mit verantwortungslosen Tiraden.

 

Die Judenfrage

ZACKBUM begibt sich mutig auf dünnes Eis.

Ist Kritik an Israel, einem jüdischen Staat, erlaubt? Oder ist das gleich Kritik an «den Juden» und damit antisemitisch?

«Der jüdische Schriftsteller Thomas Meyer findet die Parteinahme von Nemo «dumm» und erklärt, warum wir Schweizer ein sehr spezifisches Antisemitismus-Problem haben.»

So leitet die «SonntagsZeitung» das Interview mit Meyer ein. Ginge es nach dem Schriftsteller, stünde bereits das Adjektiv «jüdisch» unter strengem Antisemitismusverdacht. Allein darin zeigt sich die Absurdität seiner Position.

Er wertet, urteilt, qualifiziert und denunziert. All das mit der Massgabe: «Ich finde jegliche Parteinahme dumm.» Also sind seine Parteinahmen auch dumm. Oder ist das bereits antisemitisch?

Dabei widerspricht er sich gleich selbst.

Auf die Frage, ob denn in keinem Konflikt eine Parteinahme erlaubt sei, antwortet er: «Natürlich nicht. Beim Ukraine-Krieg oder den Nazigräueln ist der Fall klar. Der Israel-Palästina-Konflikt aber ist so alt und komplex, dass man sich als vernünftiger und intelligenter Mensch keine Parteinahme leisten sollte.»

Ist im Ukrainekrieg der Fall wirklich «klar»? Ist dessen Geschichte nicht auch alt und komplex? Und worin bestünde dann diese «Klarheit»? Urteilen also nur unvernünftige und blöde Menschen über den Palästina-Konflikt? So wie er es weiter unten auch tut.

Man dürfte also weder die Verbrechen der fundamentalistischen Wahnsinnigen von der Hamas, noch die Kriegsverbrechen der israelischen Regierung verurteilen? Es wäre nicht erlaubt, darauf hinzuweisen, dass der Ministerpräsident Netanyahu, der sich an sein Amt klammert, um dem Knast wegen Korruptionsanklagen zu entgehen, auf einer Fahndungsliste steht und eigentlich in jedem Land, das er besucht und das die Hoheit des Internationalen Strafgerichtshof anerkennt, verhaftet werden müsste?

So wie Putin, so wie die führenden Verbrecher der Hamas?

Noch mehr Unausgegorenes: «Parteinahme wertet bloss. Sie sagt: Dieses Leid ist schlimmer als das andere. Das halte ich für zynisch.» Man sollte also angesichts der völligen Zerstörung der Infrastruktur im Gazastreifen, der verbrecherischen Blockade jeglicher Hilfslieferungen an die leidenden Hunderttausenden von unschuldigen Zivilisten nicht parteilich werten dürfen, weil man dann bereits Antisemit sei? Und das Leiden der israelischen Geiseln sowie den terroristischen Angriff der Hamas damit als weniger schlimm taxierte?

Dass Meyer diese naheliegenden Fragen nicht gestellt wurden, zeugt von der Beisshemmung des Interviewers Christian Brüngger. Der ist «ist Redaktor, er kam 2001 zum Tages-Anzeiger. Er schreibt für das Ressort Reportagen & Storytelling. Davor arbeitete er viele Jahre fürs Sport-Team. Er studierte Geschichte und Filmwissenschaften in Zürich.» Also ein rundum qualifizierter, gut vorbereiteter Journalist, der hier seine Schleimspur hinterlässt.

Genauso hanebüchen ist Meyers Unterstellung aller Schweizer unter einen Generalverdacht. Die Schweiz habe seit den Pogromen im 14 Jahrhundert keine «Extreme» erlebt: «Viele Schweizerinnen und Schweizer glauben deshalb, das Land sei frei von diesem Problem. Das verleitet zu sagen: «Ich bin kein Antisemit, weil ich ja Schweizer bin. Und ausserdem ein guter Mensch.» Das führt dazu, dass man sein antisemitisches Gedankengut nicht als solches erkennt.»

Schön, dass Meyer, im Besitz eines geeichten Messgeräts für Antisemitismus, «vielen Schweizern» in die Fresse hauen kann, dass sie eben doch Antisemiten seien, es bloss nicht merkten. Denn auch wenn sie es nicht wissen, er weiss es:

«Alle Menschen, die mir antisemitische Dinge ins Gesicht sagten, waren überzeugt, keine Antisemiten zu sein. Vielmehr war in ihren Augen ich das Problem, weil ich angeblich überall Antisemitismus wittere.»

Wer also Meyer vorwirft, wie so viele andere, die die Antisemitismuskeule missbrauchen, selbst mit dieser Arroganz Antisemitismus zu befördern, ist in seinen Augen ein Antisemit. Dabei ist Kritik an den Untaten der israelischen Regierung keinesfalls per Definition antisemitisch. Sondern nötig und berechtigt. Es steht Meyer nicht an, hier den Schiedsrichter zu spielen, was zu sagen erlaubt ist und was nicht.

Seiner Logik folgend, dürfen nur Juden wie er Israel kritisieren: «Ich selber finde es, gerade als Jude, absolut unerträglich, in was für einen blindwütigen Verbrecherstaat sich Israel verwandelt hat.» Aber würde ZACKBUM als Nichtjude dasselbe sagen, stünde es bereits unter Antisemitismusverdacht, hätte Partei genommen, was Meyer ja eigentlich verurteilt, ausser, er tut es selbst.

Dass er die Parteinahme von Nemo und anderen Kunstschaffenden als «dumm» abqualifiziert, ist sein gutes Recht. Ist es dann auch möglich, seine Absonderungen als «dumm» zu bezeichnen? So als Nichtjude einem Juden gegenüber?

Folgte man seiner Aberwitzlogik, dürfte das allerhöchstens ein Jude tun. Das ist die gleiche woke Verpeiltheit, die fordert, dass nur Schwarze etwas über Angelegenheiten von Schwarzen sagen dürfen. Nur ein schwuler Schauspieler einen Schwulen spielen darf. Nur eine Frau über den Feminismus öffentlich nachdenken darf.

Meyer fordert einen «safe room» für alles, was mit dem Palästinakonflikt zu tun hat. In dem nur Juden Partei ergreifen dürfen, obwohl das eigentlich dumm sei.

Ein freier Diskurs, seit der Aufklärung unser probates Mittel zu Erkenntnisgewinn zu kommen, soll hier wieder in mittelalterliche Kerker der unberührbaren Themen gesperrt werden. Was die katholische Kirche damit angerichtet hat, ist bekannt.

Jeder Versuch einer Wiederholung ist strikt zurückzuweisen. Die Kirche masste sich an, als Verkünder des Wort Gottes über eine unumstössliche und nicht bezweifelbare Wahrheit zu verfügen. Wenn vergleichsweise kleine Lichter wie Meyer das auch für sich beanspruchen, machen sie sich nur lächerlich. Ein solches Urteil als antisemitisch zu denunzieren, was ja Meyers einziges, ärmliches Argument wäre, lässt die Frage aufkommen, ob dumm steigerbar ist.

Vermutlich ja.

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Der Artikel erschien zuerst auf «Inside Paradeplatz». 

Faustrecht für Juden?

Katastrophen-Sacha zeigt wieder mal, wieso der Umgang mit solchen Exponenten so schwierig ist.

Sacha Wigdorovitz macht seinem Spitznamen alle Ehre. Er fordert in der «Weltwoche»: «Wir brauchen Bürgerwehren». Die seien in Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und Schweden nötig, «aber auch in der Schweiz müssen wir eine solche jüdische Miliz bilden». Er beruft sich dabei tatsächlich auf das Recht zur Selbstverteidigung bei einem unmittelbar drohenden Angriff.

Der Mann, der schon in einigen Affären eine klägliche Rolle spielte, führt alles vor, was den Umgang mit Juden so schwierig macht. Verbale Randalierer wie er meinen, es sei ihnen alles erlaubt. Israelische Kriegsverbrechen im Gazastreifen, in Syrien und im Libanon? Na und, Selbstverteidigung; wer das kritisiert, ist – natürlich – Antisemit. Schliesslich geht es auch ausserhalb Israels um den «Kampf für unser aller jüdisches Existenzrecht».

Der Begriff Antizionismus sei sowieso nur das moderne Wort für Antisemitismus, behauptet Wigdorowitz frei jeder Kenntnis. Und fordert Faustrecht für Juden in der Schweiz. Hier sei die Redefreiheit gefährdet, weil ein paar Schreihälse jüdische Redner zu stören versuchen. Seine Schlussfolgerung: «Und nachdem die Behörden dagegen nicht einschreiten, müssen und dürfen wir es selber tun.»

Wohlweislich wird der rabiate Lautsprecher nicht konkreter, was genau denn diese Bürgerwehren tun dürften. Eine Bürgermiliz wäre eine nicht ständige Streitkraft als Ergänzung von Kampftruppen. Beide Banden sind selbstverständlich bewaffnet.

Was Wigdorovitz hier tut, ist nicht weniger als der Aufruf, das Recht selbst in die Hand zu nehmen, bewaffnete Haufen zu bilden und damit gegen alles vorzugehen, was in seinen Augen antizionistisch, Pardon, antisemitisch ist. Und selbstverständlich ist jede Kritik daran per Definition antisemitisch.

Nochmal im Klartext seine Forderung:

«Deshalb müssen auch wir eine Bürgerwehr bilden, welche über die nötigen Mittel und Fähigkeiten verfügt, um unsere Existenz gewaltsam zu verteidigen, wo sich dies als notwendig erweist.»

Mit anderen Worten fordert der Polterer, dass unsere Gesellschaft tolerieren soll, dass bewaffnete jüdische Schutzstaffeln durch die Strassen Zürichs und anderer Städte streifen.

Der Aberwitz dieser Forderung ist nicht nur, in welche historische Gesellschaft sich Wigdorovitz damit begibt. Sondern die Tatsache, dass er damit Rechtsfreiheit für Juden fordert.

Selbstverständlich sind antisemitische Ausschreitungen oder nur schon Pöbeleien widerwärtig, zu verurteilen, zu unterdrücken und zu sanktionieren. Darauf aber mit einem Rückfall in zivilisatorisch in Kerneuropa längst überwundene Zeiten zu antworten, wo sich eine Ethnie anmasst, gesetzesfrei Faustrecht anwenden zu dürfen, erweist der Sache der Juden einen Bärendienst.

«Analyse», bis es wehtut

Einordnen, analysieren, kontextualisieren. Drei Wörter zum Davonlaufen.

Was früher «ich mein› ja bloss, habe aber auch keine Ahnung» hiess, heisst heute grosskotzig «Analyse». Tamedia benennt sogar Kommentarstücke aus der «Süddeutschen Zeitung» so um.

Aber manchmal ist das Medienhaus der Qualitätsblätter auch selbst zu solcher Tollerei fähig. Da gibt es zum Beispiel eine «Analyse zu Bella Hadid und Adidas», nachdem eine einschlägig voreingenommene SZ-Redaktorin dem Model bereits Antisemitismus unterstellen durfte.

Wieso muss dann Martin Fischer, seines Zeichens «Redaktor und Content Manager im Ressort Leben», nachjapsen? Dafür gibt es nur eine griffige Erklärung: Sommerloch.

Intellektuell auf Flughöhe Bordsteinkante hebt Fischer mit seiner «Analyse» an, es gebe nur eine mögliche Erklärung: «Adidas hat bei der Planung der jüngsten Kampagne schlicht nicht auf dem Schirm, dass die Verpflichtung von Model Bella Hadid problematisch ist.»

Wie denn das? Adidas habe «das US-amerikanische, dezidiert israelkritische Model gebucht». Um einen Turnschuh zu bewerben, der im Retrolook an die Olympischen Spiele von 1972 in München erinnern soll. Da hat sich Fischer dann richtig schlau gemacht: «Dort kam es, so viel Geschichtsbewusstsein muss sein, zu einem Anschlag einer propalästinensischen Terrorgruppe, 17 Menschen starben.»

Vielleicht ist es allerdings der Aufmerksamkeit von Fischer entgangen, dass Hadid 1996 in Washington geboren wurde. Also 24 Jahre und knapp 7000 km von diesen Ereignissen entfernt.

Es ist hingegen richtig, dass Hadid, mit palästinensischen Wurzeln, Kritik an der Militärinvasion Israels im Gazastreifen übt. Oder wie das Analytiker Fischer formuliert: «Denn dass Hadid sich für einen freien Staat Palästina ausspricht, ist unübersehbar.»

Sie nahm doch tatsächlich beispielsweise an einem Protestmarsch in New York teil und erzählt ungefragt aus ihrer Familiengeschichte: Ihre Familie «wurde 1948 aus ihren Häusern in Palästina vertrieben und  zu Flüchtlingen in Syrien, dann im Libanon, dann in Tunesien». Aber damit nicht genug: «Ich stehe an der Seite meiner palästinensischen Brüder und Schwestern. Ich werde euch beschützen und unterstützen, so gut ich kann

Wohl noch schlimmer:

«Ich liebe euch. Ich fühle mit euch. Und ich weine um euch. Ich wünschte, ich könnte euch euren Schmerz nehmen. Den Schmerz eines Vaters, der seine Frau und seine Kinder nicht mehr umarmen kann.»

Das tropft geradezu vor Antisemitismus. Versuchen wir, den Analytiker zu verstehen. In München fand 1972 ein palästinensischer Terroranschlag statt. Adidas hat in einer Retroreihe einen Turnschuh lanciert, der an diese Olympischen Spiele, sicher nicht an den Anschlag, erinnern soll. Dafür hat die Firma eines der bekanntesten und einflussreichsten Models der Welt engagiert. Das bislang nicht als Unterstützerin dieses Terroranschlags, als Befürworterin von fundamentalistischen Massakern oder durch das Äussern antisemitischer Sprüche aufgefallen ist.

Daraufhin erhob sich dennoch vor allem in israelischen Kreisen ein Riesengeschrei, das eine Verbindung zwischen dieser Werbung, dem Model und dem Münchner Massaker herstellen wollte. Wobei Hadid sofort die Keule «Antisemitin» übergebraten wurde. Wie eigentlich jedem, der zwar nicht antisemitisch ist, aber die aktuelle Regierungspolitik Israels kritisiert, sich kritisch über die Kriegsverbrechen im Gazastreifen äussert.

Aktuell haben die Beteiligten einen Überfall militanter israelischer Siedler überlebt, obwohl sich diese Bilder nicht für eine Werbekampagne eignen, als Vermummte auch die Begleiter von Palästinensern attackieren und verletzen, die eigentlich die Einheimischen dabei beschützen wollten, zu ihren Anpflanzungen zu gelangen. Ein paar hundert Palästinenser im Westjordanland hatten nicht so viel Glück und starben bei solchen Angriffen.

Dazu fällt dem Analytiker ein: «Dass ein Schuh, der an die Olympischen Spiele von 1972 erinnern soll, auch mit dem Terrorangriff verknüpft werden würde, hat Adidas übersehen.» Aber noch schlimmer: «Der französische Fussballer Jules Koundé ist ebenfalls Teil der Werbeaktion. Koundé hat sich auch schon pro-Palästina positioniert.»

Will uns der Analytiker damit sagen, dass sich jedes Model, jeder Sportler, der sich «pro-Palästina positioniert», als Werbeträger disqualifiziert? Nur für diesen Adidas-Schuh oder ganz allgemein? Und wie ist es dann mit Sportlern oder Models, die zwar das barbarische Massaker der Hamas kritisieren, aber das barbarische Wüten Israels im Gazastreifen und die ständigen Verbrechen illegaler israelischer Siedler in der Westbank befürworten?

Nun hat Hadid offenbar einen laufenden Vertrag mit Adidas und klagt folgerichtig auf Erfüllung, plus Rufschädigung. Die hat zwar nicht Adidas begangen, aber die Firma ist vor diesem Shitstorm eingeknickt und hat das Model gecancelt.

Was schliesst der Analytiker Fischer messerscharf daraus?

«Auf Instagram entschuldigt sich die Firma bei Bella Hadid und den weiteren prominenten Gesichtern, die bei der Kampagne eingespannt sind. Das zeigt: die Angelegenheit ist grösser geworden, als den Verantwortlichen lieb sein kann. Auf die reine Provokation, auf den kalkulierten Shitstorm kann es Adidas kaum angelegt haben.»

Was will uns das Analysegenie denn damit sagen? Unverständliches Gemurmel, wobei das Motiv zu sein scheint: Fischer will sich weder auf die Seite derjenigen schlagen, die hier «Antisemitin» krähen, noch will er Habib in Schutz nehmen, und erst recht nicht will er Adidas verteidigen.

Das ist mal eine windelweiche Schaumgummi-Analyse, zu der jeder verantwortungsbewusste Tagesleiter hätte sagen müssen: ein wunderbares Stück, eine Zierde jedes Papierkorbs. Denn das wollen wir dem Leser wirklich ersparen.

Gehirnamputiert

Der Intellektuelle ist ein merkwürdiges Wesen.

Einerseits haben wir ihm die Aufklärung und den Versuch zu verdanken, aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit den Ausgang zu finden.

Der Intellektuelle gibt sich eigentlich nie mit der Wirklichkeit zufrieden, wie sie ist. Sondern er will sie verändern. Mit Ideen, die bekanntlich zur revolutionären Kraft werden, wenn sie die Massen ergreifen. Und ergriffen sind ganze Massen von Studenten weltweit. Vor allem in den USA, aber auch in der Schweiz. Sie zeigen ihre Solidarität mit Palästina, setzen Zeichen, rufen auf, demonstrieren und besetzen, fordern und fühlen sich überhaupt ganz aufrührerisch.

Natürlich sind sie, wie eigentlich jeder Intellektuelle – je kleiner sein Besteck, als Hirn vom Himmel regnete, desto fanatischer – zutiefst davon überzeugt, Recht zu haben. Auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Dem Fortschritt zu dienen. Dem Rückschritt entgegenzuwirken. Verbrechen zu denunzieren, Gerechtigkeit zu fordern. Und wer nicht für sie, ist nicht nur gegen sie, sondern gegen alles Gute auf der Welt, deren Last sie klaglos auf ihren schwachen Schultern tragen.

Denn geborgtes Leiden, Mitempfinden mit anderen, das ist die einfachste Form von Betroffenheit. Nun gibt es Intellektuelle, die gegen die Entscheidung anquengeln, auch gegen mutmassliche israelische Kriegsverbrecher Haftbefehle zu erlassen.

Intellektuelle können sich eben alles zurechtquatschen. Dagegen zu sein bedeutet, rundweg in Abrede zu stellen, dass die israelische Armee und ihre Oberbefehlshaber dazu in der Lage wären, Kriegsverbrechen zu begehen. Das ist der Traum vom Ritter in der schimmernden Rüstung, der nur edel und gut ist, während er dem unbezweifelbar Bösen den Garaus macht. So kindisch können Intellektuelle sein.

Damit stelle man Hamas und die israelische Regierung auf eine Ebene, wird behauptet. Bescheuert. Wenn ein hungerleidendes Prekariatsmitglied im Warenhaus klaut, daneben die kleptomanische Dame der höheren Gesellschaft, dann kann man doch auch nicht sagen, mit einer Anzeige wegen Diebstahl stelle man die auf die gleiche Stufe, also sei das im Fall der Dame zu unterlassen.

Allerdings erreicht der Intellektuelle gelegentlich Höhe- oder Tiefstpunkte, die nicht nur an seiner Intelligenz, sondern überhaupt an seiner Geistesverfassung zweifeln lassen. So soll einer, falls das kein Fake ist, doch tatsächlich an einer Studentendemonstration an der US-Uni von Alberta dieses Plakat hochgereckt haben, das hier den Titel ziert: «Queers 4 Palestine». Also entweder Schwule oder Nicht-Heterosexuelle für Palästina.

Nun ist es unbestreitbar so, dass Palästina heutzutage in erster Linie als Symbolbegriff für den Gazastreifen verwendet wird. Es ist ebenfalls so, dass dort die radikalfundamentalistische Hamas von der Mehrheit der Bevölkerung gewählt wurde. Nun ist es auch so, dass nach deren strikter Auslegung des Korans und deren Verständnis der Scharia homosexueller Geschlechtsverkehr Unzucht (Zina) sei. Darauf steht mindestens Auspeitschen, eher die Todesstrafe.

Beides wird angewendet. Überhaupt sind Abweichungen von einer angeblichen Norm, auch so Kleinigkeiten wie Frauenrechte, in radikal-religiösen Kreisen nicht nur verpönt, sondern ein Verstoss gegen den geoffenbarten Willen Allahs.

Also ist so ein Schild herumzutragen etwa so intelligent wie «Juden für Hitler». Oder «Metzger für Veganismus». Oder «Dicke für Kannibalismus», «Zwerge für Hochregale».

Es ist schlichtweg unbeschreiblich bescheuert. Es ist ein Missbrauch unserer Meinungsfreiheit. Mit einem solchen Schild würde der Idiot im Gazastreifen keine fünf Meter weit kommen, und nicht etwa wegen israelischem Bombenterror.

Auf der anderen Seite: wie auch viele Kommentatoren, Meinungsträger, Redaktoren bei Massenmedien und auch bei Randgruppenorganen täglich beweisen: Dummheit ist nicht strafbar. Zumindest, wenn sie in Form von Meinungsäusserungen daherkommt, die nicht «Alles für Deutschland» lauten. Das ist nicht nur ein dummer Spruch, sondern auch noch ein in Deutschland strafbarer.

Queers for Palestine, das ist zwar sträflich dumm, aber erlaubt. Genauso wie das Palästinensertuch in der falschen Farbe zu tragen. Oder keine Ahnung vom brutalen Inhalt des Korans zu haben. Oder nicht zu wissen, wie diese sanftmütige Religion mit Kritikern oder gar Karikaturisten umgeht.

Eigentlich müsste es auch für den dümmsten Intellellen sonnenklar sein: wer sich in welcher Form auch immer und aus welchen Gründen auch immer mit der Hamas gemein macht, bei dem herrscht tiefe Sonnenfinsternis im Hirn. Das gilt natürlich ähnlich für unkritische Lobhudeler Israels, die jeden Kritiker mit dem Missbrauch des Begriffs «Antisemitismus» niedermachen wollen. Womit sie ihm nicht allzu selten Vorschub leisten.

Aber eben, Intellektuelle sind eigentlich zu allem fähig. Obwohl der Begriff Intellekt bedeutet, etwas geistig zu erfassen. Aber das ist halt nicht so einfach.

 

Anti-Antisemitismus

Wer will gerne in ein Wespennest greifen?

Es gibt Antisemitismus-Kreischen. So wie es Schwinger der Nazikeule gibt. Oder routinierte Werfer von Ausdrücken wie Sexismus, exkludierend, diskriminierend, rassistisch, rechtsnational, linksradikal, populistisch. Und dann gibt es Sensibelchen, die sich so furchtbar schnell ganz unwohl mit irgend etwas fühlen. Wegen solchen Idioten wurden schon Konzerte abgebrochen. Und Träger von Rastalocken als postkolonialistische Aneigner fremden Kulturguts beschimpft. Vom Wort Mohrenkopf ganz zu schweigen.

All diese Kategorisierungen dienen häufig dazu, dass im Geiste einfache Menschen sich an untauglichen Hilfsbegriffen durch die komplizierte Realität hangeln können. Und sie damit zu verstehen meinen, obwohl sie in Wirklichkeit hinter solchen Verstellungen überhaupt nichts kapieren.

Andererseits braucht der Mensch Generalisierungen, er kann nicht ein paar Milliarden Mitmenschen als lauter Individuen begreifen. Also gibt es den Russen, den Deutschen, den Schweizer. Auch den Juden?

Da betreten wir ein Minenfeld, bei dem jeder Schritt zu einer Explosion führen kann, vor allem seit dem Hamas-Massaker und der israelischen Reaktion im Gazastreifen. Das ist noch schön unantastbar formuliert. Aber schon die Kritik, dass Israel im Gazastreifen Kriegsverbrechen begeht, die Tötung von über 30’000 Palästinensern mindestens so eine Schweinerei ist wie der feige Überfall der Hamas, führt in Teufels Küche. Beziehungsweise wird sofort mit dem Slogan «antisemitisch» gebrandmarkt.

Das kann dem besten Juden passieren. An der Berlinale sagte ein israelischer Filmemacher bei der Preisverleihung für seinen Dokumentarfilm über die (völkerrechtswidrige) israelische Siedlungspolitik: «Diese Situation der Apartheid zwischen uns – diese Ungleichheit – muss ein Ende haben.» Da nützte ihm seine Zugehörigkeit zum Judentum nichts mehr, «Antisemitismus» schallte ihm entgegen. Tapfer gab er zurück, dass das ein schrecklicher Missbrauch dieses Begriffs sei.

Der jüdische Regisseur Jonathan Glazer wurde für seinen beklemmenden Film über Auschwitz bei den Oscars ausgezeichnet. Er erklärte, dass sein Film zeigen wolle, wohin Entmenschlichung führe. Er wolle nicht darauf aufmerksam machen, was damals getan wurde, die Botschaft sei «schaut, was wir heute tun». Ihn ereilte, was fast noch schlimmer als der Antisemitismus-Vorwurf ist: er habe den Holocaust damit relativiert, verharmlost.

Schon dem deutschen Schriftsteller Martin Walser schlug eine gewaltige Kritik entgegen, als er bei der Entgegennahme des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels  von der «Moralkeule Auschwitz» sprach. In welchem Zusammenhang er den Begriff herleitete, was er genau damit meinte, egal. Der Shitstorm war gewaltig.

Aktuell wird von jüdischen Kreisen versucht, jede Kritik an Israel als antisemitisch zu denunzieren. Hier in der Schweiz gibt es einen Spezialisten dafür, der sensibler als ein Seismograph schlichtweg alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, als antisemitisch beschimpft.

All diese Besitzer eines vermeintlichen Totschlagarguments sind sich nicht bewusst, dass sie damit diese Waffe stumpf machen, missbrauchen, zweckentfremden. Jede Kritik an Israel unter den Generalverdacht des Antisemitismus zu stellen, jeden Kritiker der Kriegsführung im Gazastreifen als Antisemiten zu denunzieren, das erreicht das Gegenteil des Gewünschten.

Ganz abgesehen davon, dass eine israelkritische Position oder gar eine Ablehnung der Politik Israels antisemitisch motiviert sein kann, aber nicht muss. Antisemitismus bedeutet Judenhass oder Judenfeindlichkeit. Die Aussage «im Gazastreifen begeht Israel Kriegsverbrechen und schadet sich und seiner Sache mehr als der Hamas» ist diskussionswürdig, aber sicherlich nicht antisemitisch.

Diese Aussage als antisemitisch zu denunzieren, das hingegen kann man dialektisch als Ausdruck von Antisemitismus bezeichnen, weil es ihm mit dieser dümmlichen Verkürzung Vorschub leistet.

Viele Kommentatoren trauen sich deshalb schon mal gar nicht, dieses Minenfeld zu betreten. Was der Debatte und der Erkenntnis wie jedes Verbot schadet.

Auf der anderen Seite gibt es tatsächlich seit Jahrtausenden tiefverwurzelte Klischees über Juden, der «wandernde ewige Jude», der geldgierige Jude (obwohl sich das die Christen selbst einhandelten, mit dem idiotischen kirchlichen Zinsverbot), die Pogrome, die Ghettos, und schliesslich der industriell betriebene Massenmord der Hitler-Deutschen, bei dem sie – was sie nicht entschuldigt – in vielen Staaten, nicht zuletzt in der Ukraine, willige Helfer fanden.

Wer aber überzeugt ist, dass Israel im Gazastreifen Kriegsverbrechen begeht, damit keineswegs die Hamas-Massaker verniedlichen will, wer den israelischen Ministerpräsidenten als Grossversager sieht, der sich an die Macht klammert, weil er nur so einer Gefängnisstrafe wegen Korruption entgeht, der soll das auch sagen dürfen. Wer davon überzeugt ist, dass Israel mit dieser Politik seine Existenz mehr in Frage stellt als dass das die Hamas jemals könnte, muss diese Position vertreten dürfen.

Wer solche Äusserungen als antisemitisch brandmarkt, betreibt selber das verächtliche Geschäft des Antisemitismus. So vertrackt ist das nun mal.

Und pro-palästinensische Manifestationen, bei denen das Existenzrecht Israels bestritten wird oder gar die Hamas-Massaker bejubelt, das sind nicht in erster Linie antisemitische Ausschreitungen. Das sind schlichtweg dümmliche, menschenverachtende, Abscheu auslösende Verirrungen meist linker Menschen, die völlig den moralischen Kompass verloren haben. Sie finden ihr Gegenpart in Manifestanten, die jedem Palästinenser unterstellen, er sei ein religiös motivierter Wahnsinniger, der am liebsten alle Israelis umbringen möchte.

Mögen nun die Spiele der Kommentatoren beginnen.

Alain Finkielkraut nervt

Auch die NZZ ist geschichtsvergessen.

Man kann den französischen Intellektuellen Finkielkraut interviewen. Man könnte sich kritisch mit seinen Behauptungen auseinandersetzen. Man sollte dann aber auch seine kurvenreiche Vergangenheit erwähnen, oberhalb des kurzen Schlenkers «Sie selbst waren einmal Maoist», auf den Finkielkraut salopp antworten darf: «ein paar Wochen», um dann das Thema zu wechseln.

Man hätte in seiner Biographie – oder zumindest in Form einer Frage – nicht auslassen dürfen, dass sich der Nationalist Finkielkraut auch schon so äusserte: «die einzige Partei, die die Franzosen mit ihrer verunsicherten Identität ernst» nehme, sei der «Front National», schwurbelte er 2013. Einwanderung führe zu einem Niedergang Frankreichs, seiner Kultur, ja seine «Identität» sei gefährdet.

Aber wie seinem Kollegen bei Tamedia geht es Benedict Neff von der NZZ mehr darum, einen Gleichgesinnten abzufragen, als sich seines Handwerks als kritischer Journalist zu besinnen. So rutscht Neff bereits auf einer Schleimspur ins Interview:

«Sie haben die woke Ideologie an den amerikanischen Universitäten schon früh kritisiert. Gelegentlich hielt ich Ihre Warnungen für übertrieben. Nach dem 7. Oktober und den Pro-Hamas-Demonstrationen an verschiedenen Unis dachte ich: Er hatte recht. Was ging Ihnen durch den Kopf? – Ich war schockiert. Ich war fassungslos. Ich war überwältigt. Sagen wir, um den französischen Autor Jean Racine zu paraphrasieren: Mein Unglück übertraf meine Hoffnung.»

Sozusagen als negative Ergänzung zu Lüscher stellt Finkielkraut dann die steile These auf: «Nach dem Massaker vom 7. Oktober scheint es, als sei der Antisemitismus das höchste Stadium des Wokeismus. Der Wokeismus reduziert die Komplexität menschlicher Konstellationen gnadenlos auf die Konfrontation von Herrschern und Beherrschten, Unterdrückern und Unterdrückten.»

So wie Lüscher den Antisemitismus vor allem rechts verortet, lebt er für Finkielkraut links: «Die Partei von Jean-Luc Mélenchon, La France insoumise, ist sehr explizit zu einer antisemitischen Bewegung geworden.» Da könnte ein Interviewer vielleicht nachfragen, woran konkret der Philosoph das festmache. Aber nachhaken war gestern, heute ist labern lassen.

So darf Finkielkraut ungebremst einen wahren Rachefeldzug starten: «Die humanitären Organisationen, die heute gegen Israel hetzen, verlieren kein Wort, um das Verhalten der Hamas anzuprangern.» Und: «Selbst der 7. Oktober wird wie der Eintrag in einer Buchhaltung behandelt. Es gab 1200 Tote und einige tausend Verletzte, während die israelischen Bombardements und Angriffe in Gaza viele, vielleicht 19 000 Tote gefordert haben. Viele Menschen verstehen nicht mehr, was Krieg ist. Sie wollen von der tödlichen Taktik der Hamas nichts mehr hören.»

Spätestens hier hätte Neff vielleicht auf die Berichterstattung im eigenen Blatt eingehen können:

Und haben während der illegalen und völkerrechtswidrigen Besiedelung der Westbank bis heute Hunderte von Palästinensern umgebracht, meistens ohne dafür zur Verantwortung gezogen worden zu sein. Auch das ist kein Eintrag in einer Buchhaltung. Aber ein Hinweis darauf, dass der Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis vielleicht etwas komplexer ist, als ihn Finkielkraut als terrible simplificateur darzustellen beliebt. Und was die extra hingereiste «NZZ-Reporterin» Andrea Spalinger zu erwähnen vergisst. Front National, woke ist Antisemitismus und der Feind im Inneren unserer Gesellschaft. Israelische Kriegsverbrechen? Wer davon spricht, verstehe nicht, was Krieg sei, behauptet der Philosoph.

Papierdünne Thesen, geeignet für ein kritisches Gespräch, in dem der wendige Debattierer Gelegenheit hätte, seine rhetorischen Fähigkeiten und intellektuellen Saltos in der Manege vorzuführen. Aber weil er nur abgefragt wird, kommen sein Antworten merkwürdig flach, matt, unanimiert daher. Dabei hat er im Gegensatz zu Lüscher durchaus intellektuelle Potenz, ist gestählt an der lebhaften Kultur der Auseinandersetzung in Frankreich, wo ihm allerdings schon lange Michel Houellebecq vor der Sonne steht, der noch radikaler und skandalträchtiger kantige Thesen vertritt.

Aber vielleicht fühlte sich Neff einem Interview mit dem nicht gewachsen und zog es vor, etwas gelahrter mit dem Mitglied der altehrwürdigen Académie française zu parlieren …

Jonas Lüscher langweilt

Jonas who? Na, der «bedeutende Intellektuelle», einer «der bedeutendsten Schweizer Intellektuellen».

Wer allerdings noch nie etwas von ihm gehört hat, muss sich nicht schämen deswegen. Man kann seine verquasten Romane lesen – oder es auch seinlassen. ZACKBUM ist für seinlassen.

Das hindert allerdings den «Kulturredaktor» Andreas Tobler von Tamedia nicht daran, mit dem Intellektuellen ein Interview zu führen, das den Leser auf  17’500 A kräftig langweilt.

Schon der Einstieg vertreibt den kundigen Konsumenten: «Die Linke steht gemäss Lukas Bärfuss vor einem Scherbenhaufen, weil viele zum Terror der Hamas schweigen. Autor Jonas Lüscher tritt dem differenziert entgegen – und plädiert für den Klassenkampf.»

Echt jetzt? Der andere bedeutende Intellektuelle und Autor Bärfuss sagt etwas ohne Hand und Fuss, und dagegen plädiert der differenzierte Lüscher für Klassenkampf? Nun, wirres Zeugs erzählen, das eint die beiden. Tobler spielt hierbei, wie bei Tamedia inzwischen üblich, man denke an das Gauck-Liebediener-Interview, den Stichwortgeber und liegt sich ideologisch mit Lüscher in den Armen. Was immer eine tolle Voraussetzung für ein spannendes Interview ist, in dem der eine ungestört von kritischen Nachfragen alles palavern darf, was ihm so in den Sinn kommt.

Dass Interview mal eine eigene Kunstform war, ein herausforderndes Gefäss im Journalismus, dieses Wissen ist offenbar bei Tamedia (oder zumindest bei Tobler) völlig verlorengegangen.

Heutzutage kommt ein Interview so daher:

«Das ist alles grauenhaft.
Ja, das ist unbegreiflich. Aber der linke Antisemitismus ist kein neues Problem. Es ist vielmehr so, dass es eben nie eine einheitliche Linke gab
Ein gemurmeltes Selbstgespräch, wo man zwischen Frage und Antwort nicht unterscheiden kann. Und die Antwort enthält lediglich Banalitäten, die früher bei der Verdichtung eines Interviews gestrichen worden wären.
Aber wenn schon die Frage banal ist, was kann man dann von der Antwort erwarten; vor allem, wenn sie von einem Flachdenker wie Lüscher kommt:
«Und das ist heute noch so?
Ja, auch heute ist die Bandbreite linken Denkens und linker Ideologien, gerade in der Nahostfrage, sehr breit.»
Hier erhebt sich wieder einmal gebieterisch die Frage, ob nicht vielmehr Tamedia dem Leser Schmerzensgeld zahlen müsste, als von ihm für einen solchen Schrott auch noch Geld zu verlangen.
Einordnung, Analyse, Denkstoff, Anregendes? Im Gegenteil, man arbeitet gemeinsam an Richtigstellungen. Nachdem Tobler einiges zum linken Antisemitismus abgefragt hat, der vor allem an Bildungsstätten sein Unwesen treibt, darf Lüscher endlich das erlösende Fehlurteil abgeben: «Antisemitismus ist, das zeigen die Zahlen sehr deutlich, massgeblich ein rechtes Problem
Dann macht Lüscher eine Denksalto, bei dem jeder Interviewer, verdiente er diesen Namen, ungläubig nachfragen würde: « …. die Art und Weise, wie die gegenwärtige Lage zur Stimmungsmache gegen Muslime und zur Durchsetzung noch härterer Asylregeln von rechts benutzt wird, widert mich an». Stimmungsmache gegen Muslime, die unter perverser Ausnützung der Meinungsfreiheit in Gesellschaften, die nicht von ihnen beherrscht werden, mit Pro-Hamas- und Pro-IS-Slogans grölend durch die Strassen ziehen? Ohne dass es von massgeblichen islamischen Organisationen lautstarken Protest dagegen gäbe? Wie kann man in einem Interview nur unwidersprochen einen solchen Humbug behaupten? Nun, dann, wenn der Interviewer jede kritische Distanz vermissen lässt.
Auch ein solches Geschwurbel dürfte eigentlich nicht ohne Widerworte durchgelassen werden: «Wenn auf die Frage, ob der Aufruf zum Völkermord an den Juden gegen die Universitätsregeln verstosse, die mittlerweile zurückgetretene Penn-State-Präsidentin antwortet, das sei eine kontextbezogene Entscheidung, wundere ich mich natürlich.» Wunder mich? Das ist alles? Das wundert den Leser nicht, das widert ihn an.
Dann noch das grosse Finale. Was tun, «was müsste die Linke Ihrer Meinung nach tun?» Da ballt Lüscher die Faust und skandiert: « …. es herrscht Klassenkampf. Es kämpft ihn gegenwärtig allerdings, und zwar mit allen Waffen und aller Gewalt, nur eine Seite: die der Vermögenden. Wir sollten diesen Kampf aufnehmen.»
ZACKBUM empfiehlt, vor diesem Kampf den Kampf um ein journalistischen Grundbedingungen genügendes Interview aufzunehmen. Kritisches Hinterfragen statt Abknutschen, Qualitätskontrolle, Verzicht auf Leserquälen, da gäbe es so viel zu kämpfen …