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Zum Beispiel Mansour

Oder wie man knapp einer öffentlichen Hinrichtung entgeht.

Das Geschäftsprinzip aller asozialen Plattformen und auch vieler Internetblogs ist die Haftungsfreiheit und Verantwortungslosigkeit. Normalerweise haften Medien nicht nur für ihre eigenen Aussagen, sondern auch für die von Kommentarschreibern oder freien Mitarbeitern.

Das ist bei Facebook, Twitter und Co. anders. Die haben sich durch geschicktes Lobbying eine Ausnahmeregelung im Rechtsstaat USA erkämpft, die sie als blosse Transporteure von der Haftung für Inhalte freistellt. Dafür verwendeten sie so absurde Argumente wie das, dass es gar nicht möglich sei, die Unzahl von täglichen Posts alle auf allfällig strafbare Aussagen zu überprüfen.

Ähnlich schwierig ist es, gegen Blogs vorzugehen, wenn die als Adresse eine ferne Jurisdiktion angeben. Wie zum Beispiel «Hyphen», ein englischsprachiges «News- und Kultur-Magazin, das Storys über Asien Amerika» erzähle, mit Sitz irgendwo in Kalifornien.

NZZ-Redaktor Oliver Maksan erzählt die Geschichte nach, wie beinahe ein Rufmord am deutsch-israelischen Autor und Wissenschaftler Ahmad Mansour gelang. Er hat sich mit seinen Postionen gegen islamischen Fundamentalismus, Islamismus und islamischen Antisemitismus viele Feinde gemacht.

Im vorher im deutschen Sprachraum weitgehend unbekannten Blog «Hyphen» erschien im Juni 2023 eine umfangreiche publizistische Hinrichtung Mansours durch den britischen Autor James Jackson, der in Deutschland lebt. Auf Twitter fasste Jackson seine Anklagen zusammen: «Ein Grossteil seiner Hintergrundgeschichte ist übertrieben oder erfunden. Er war nie ein Muslimbruder, der Imam war kein Imam, er hat nicht Psychologie an der Universität Tel Aviv studiert». Dafür habe Jackson monatelang recherchiert, mit Familie und Weggefährten gesprochen sowie Mansours Heimatort besucht, fasst Maksan zusammen.

Das wäre ein Reissack gewesen, der in China umfällt. Wenn nicht ein FAZ-Redakteur diesen Tweet aufgenommen hätte und Mansour inquisitorisch aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen.

«Ein Sturm der Entrüstung entlud sich über Mansour. Mansour, der seit 2004 in Deutschland lebt, hat sich schliesslich viele Feinde gemacht. Universitäre Integrationsexperten rümpfen die Nase über den omnipräsenten Praktiker. Für Vertreter des politischen Islams und ihnen im Namen der Antidiskriminierung beispringende Unterstützer von links ist Mansour seit Jahren ohnehin ein rotes Tuch. Ein Araber, der gegen islamisch motivierten Antisemitismus und die Delegitimierung Israels kämpft, hat zudem die antizionistische BDS-Bewegung gegen sich», resümiert Maksen.

Mansour beginnt, sich zu verteidigen, räumt klitzekleine Ungenauigkeiten ein, verschickt schliesslich ein 21-seitiges Dossier an Medien und Kunden seiner Beratungsfirma, in dem er detailliert eine ganze Latte von Falschbehauptungen Jacksons richtigstellt. Das überzeugt dann die «Süddeutsche Zeitung». Nicht zuletzt, um der Konkurrenz FAZ eine reinzuwürgen, tischt sie die Vorwürfe Jacksons ab und stellt sie sich auf die Seite Mansours. Damit neigt sich Waage der öffentlichen Meinung nun auf dessen Position. Schwein gehabt, wenn man das in diesem Zusammenhang sagen darf.

Allerdings: «Hyphen» hat den entsprechenden Artikel immer noch nicht gelöscht oder richtiggestellt, trotz anwaltlicher Aufforderung. Denn da das Stück auch in Deutschland abrufbar ist, hat Mansour hier einen Rechtsstand. Aber: «Das Onlinemagazin hat das Entfernen des Artikels an eine Bedingung geknüpft: Mansour dürfte nicht mehr auf den Vorfall aufmerksam machen. Damit wären zwar die monierten Behauptungen aus der Welt. Mansour aber hätte einem Maulkorb in eigener Sache zugestimmt», schreibt die NZZ. Auf Anfrage sage «Hyphen» nur, man sei in Verhandlungen mit Vertretern Mansours.

Die NZZ schliesst:

«Epilog: Mansour selber ist bestürzt, wie bereitwillig den Behauptungen über ihn geglaubt worden ist. Er sitzt in einem italienischen Restaurant in Berlin-Charlottenburg und schaut auf die grösste Krise seines bisherigen Berufslebens zurück. «Das hätte auch böse enden können», sagt er dann.»

«Hyphen» ist übrigens der englische Ausdruck für Viertelgeviertstrich oder Kurzstrich, der als Binde- oder Trennstrich verwendet wird. Irgendwie zutreffend.

Ach, natürlich nimmt auch die Nonsens-Plattform «watson» das Thema auf. Im gewohnten Qualitätsniveau:

Das «vermeintliche Foto seines Diploms» – gemeint ist wohl «das Foto seines vermeintlichen Diploms», aber Deutsch und «watson», ein ständiger Auffahrunfall – ist von der Humboldt-Universität Berlin als echt bestätigt worden. Aber eben, recherchieren war gestern, behaupten ist heute.

Hat der Mann Mansour ein Glück, dass er nochmal knapp davonkam. Aber leider reiner Zufall, es hätte wirklich auch bös enden können.

Keine Unschuldsvermutung

Sexismus, Rassismus, Antisemitismus. Heikle Themen, auch für Medien.

Die verbale sexuelle Belästigung oder Diskriminierung, wie sie 78 Tamedia-Mitarbeiterinnen beweisfrei behaupteten. Abschätzige Bemerkungen oder Verweigerung von Dienstleistungen wegen Hautfarbe oder Herkunft. Und schliesslich Antisemitismus, also Judenfeindlichkeit.

Findet das statt, gehört es zum widerlichsten und verächtlichsten menschlichen Verhalten, das vorstellbar ist. Gesteigert nur dadurch, wenn zu diesen Themen falsche Beschuldigungen erhoben werden.

Im Fall der erregten Tamedia-Frauen ist bis heute, mehr als ein Jahr nach den Anschuldigungen, nicht bekannt, ob auch nur eine einzige erhärtet werden konnte, da alle geschilderten Beispiele anonymisiert sind.

Noch mehr als in der Schweiz – aus naheliegenden, historischen Gründen – ist das Thema Antisemitismus in Deutschland höchst heikel. Unbestreitbar gibt es bis heute Unbelehrbare, die sich antisemitisch äussern. Das muss mit aller Schärfe des Gesetzes verfolgt und bestraft werden.

Komplexer wird es, wenn es sich um eine Kritik an der Politik Israels handelt. Das muss erlaubt sein, wird aber schnell und gerne mit dem Etikett Antisemitismus versehen, um die Kritik zu disqualifizieren.

Noch schlimmer sind falsche Anschuldigungen …

Am widerlichsten ist es aber, wenn sich jemand als Opfer von Antisemitismus ausgibt, obwohl es – gelinde gesagt – massive Zweifel daran gibt. Konkret geht es um den Fall Gil Ofarim. Der Künstler fristet sein Leben als mässig erfolgreicher Musiker und profitiert davon, dass er der Sohn des israelischen Sängers Abi Ofarim ist, der in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts in Deutschland Erfolge feierte.

Gil Ofarim: Antisemitismus-Opfer?

Die Welt hörte nicht viel von Gil Ofarim, bis der im Oktober 2021 auf Instagram ein Video veröffentlichte, in dem er behauptete, er sei vom Rezeptionisten eines Hotels in Leipzig antisemitisch diskriminiert worden. Konkret habe der ihn aufgefordert, seinen Davidstern, den er offen an einer Kette getragen habe, «einzupacken», wenn er einchecken wolle.

Daraus entwickelte sich sofort ein Proteststurm. Demonstrationen vor dem Hotel, der Mitarbeiter wurde vorläufig freigestellt und mit Beschimpfungen oder gar Morddrohungen eingedeckt. Minister des Bundeslandes Sachsen entschuldigten sich für diese «antisemitische Demütigung», der damalige deutsche Aussenminister zeigte sich «fassungslos».

Die Medien galoppierten los

Auch die Medien überschlugen sich mit Betroffenheit, Anklagen und reuevollen Bekenntnissen, wie schlimm der Antisemitismus in Deutschland wüte. Von der «Süddeutschen Zeitung» abwärts («Grand Hotel Abgrund») und aufwärts war man entsetzt, schämte sich, zog beliebige historische Parallelen, natürlich ins Dritte Reich, aber auch in die weitere antisemtische Vergangenheit, in der Hotels damit warben, dass weder Hunde noch Juden zugelassen seien.

Dass das Hotel sich nicht sofort von dem Mitarbeiter trennte, sondern ihn lediglich bis zur Abklärung der Vorwürfe freistellte, wurde ebenfalls heftig kritisiert. Beim Vorwurf Antisemitismus – wie bei Sexismus oder Rassismus – gilt die Unschuldsvermutung nichts. Da gilt: schuldig durch Anschuldigung; jegliche Verteidigung oder Gegenwehr macht’s nur noch schlimmer.

Aber schnell entstanden Zweifel an dieser Anschuldigung des Musikers. Es konnten keine Zeugen gefunden werden, obwohl durch den Ausfall des Buchungssystems an diesem Abend eine ganze Gästeschar vor der Rezeption darauf wartete, endlich das Zimmer beziehen zu können.

Es verdichtete sich sogar der Verdacht, dass der C-Promi aus Frust über die lange Wartezeit und das Ausbleiben einer Sonderbehandlung diesen Vorwurf erhoben haben könnte. Nach sorgfältiger Prüfung der Sachlage, sogar mit einem Nachspielen der Szene, erhob nun die Staatsanwaltschaft Leipzig Anklage – gegen Ofarim. Es geht um falsche Verdächtigung und Verleumdung. Die Untersuchung gegen den Hotelangestellten wurde eingestellt.

Nun eine Anklageerhebung

Denn auch die Auswertung der Videoaufnahmen der Überwachungsanlage des Hotels konnte keine Indizien liefern, dass sich der Vorfall so zugetragen hätte, wie der Musiker behauptete. Vor allem war nirgends seine Halskette mit dem Davidstern zu sehen, die er bei seinem Anklagevideo vor dem Hotel deutlich sichtbar trug.

Natürlich gilt auch für ihn die Unschuldsvermutung. Sollte sich aber herausstellen, dass er tatsächlich bei diesem sensiblen Thema fälschlich einen unschuldigen Hotelangestellten beschuldigt haben sollte, ist das mindestens so schlimm wie die übelste antisemitische Beschimpfung.

Käme es zu einer Verurteilung, hätte sich Ofarim als Musiker, als Mensch disqualifiziert – und dem Antisemitismus Vorschub geleistet.

 

 

Todeszone Kritik

Alles darf kritisiert werden. Eines nur auf eigene Gefahr.

Sexismus, Machotum, ausgrenzende Sprache? Gnadenlose Kritik prasselt darauf ein. Trump? Wird ständig als Trampolin für Verbalerotiker der Kritik missbraucht. Der eigene Bauchnabel? Scharf beäugt, die ihn bedrückenden Umstände werden scharf kritisiert.

Rechte Hetzer, Linksfaschisten, Umweltsünder, Klimaleugner? Keine Chance, schärfster Kritik zu entgehen. Rassisten, SVPler, Verschwörungstheoretiker. Corona-Schwurbler. Alle kriegen ihr Fett ab, werden in der Fritteuse der guten Denkungsart braungebrutzelt.

Amnesty International (AI) veröffentlicht einen Bericht mit dem Titel

«Israels Apartheid gegen die Palästinenser. Ein grausames System der Beherrschung und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.»

Keiner kann ernsthaft behaupten, ihn bereits gelesen zu haben. Kein einziges darin aufgeführtes Beispiel wird zitiert oder gar widerlegt.  Es sei ein «rund 200-seitiger Report», übernimmt Tamedia den Bericht des Korrespondenten der «Süddeutschen».

Es sind 280 Seiten, weiss jeder, der ihn heruntergeladen hat. Israels Aussenminister weiss, dass die «einst hochangesehene Organisation» heute anstatt Fakten zu suchen Lügen zitiere, «die von terroristischen Organisationen verbreitet werden». Schlimmer noch:

«Das sind genau die Zutaten, aus denen der moderne Antisemitismus besteht

Auch das Schweizer «Tachles» zitiert ausführlich kritische Stimmen zum Report: «Auch die ADL (Anti Defamation League, Organisation mit Sitz in New York City, die gegen Diskriminierung und Diffamierung von Juden eintritt. Anm. ZACKBUM) verurteilte den Bericht nachdrücklich als «Dämonisierung Israels». Amnesty suche damit die Existenz Israels als jüdischem Staat zu untergraben. Zu Zeiten eines zunehmenden Judenhasses sei die extreme Sprache des Berichts verantwortungslos und werde wahrscheinlich Antisemitismus entfachen.»

Immerhin endet der Bericht von «Tachles» so: «Allerdings provoziert diese Kritik auch Kontra. So stellte der Publizist und Journalismus-Professor Peter Beinart die Frage, aufgrund welcher Beweis die ADL zu dem Schluss käme, dass Israel keine Apartheid praktiziert: «Wie viel Zeit hat die ADL auf Interviews mit Palästinensern oder die Beobachtung israelischer Militärgerichte verbracht? Wie weit hat die Organisation die israelische Landpolitik untersucht?»»

Wer will sich der Fünffaltigkeit der ewig gleichen Vorwürfe aussetzen?

  • Wer Israels Regierungspolitik kritisiert, bestreite in Wirklichkeit das Existenzrecht Israels, sei anti-jüdisch und antisemitisch
  • Wer Israel kritisiert, verschliesse die Augen vor den Verbrechen der Palästinenser
  • Wer Israel kritisiert, benütze ein Freiheitsrecht, das weder in den palästinensisch beherrschten Gebieten, noch in der ganzen arabischen Welt existiere
  • Wer Israels Verbrechen kritisiere, verschliesse die Augen vor palästinensischem Terrorismus und mache sich zum Helfershelfer von Staaten wie dem Iran, die das Existenzrecht Israels bestreiten
  • Wer Israel kritisiert, relativiere damit das historische Unrecht und den Holocaust

Frage: Wird eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Argumenten von AI stattfinden, deren Renommee immerhin durch einen Friedensnobelpreis gestärkt wird und die mit Falschbeschuldigungen ihren Ruf verspielen würde?

Frage: traut sich jemand, sich dem Risiko auszusetzen, nicht als Kritiker der Regierungspolitik Israels wahrgenommen zu werden, sondern als Antisemit denunziert?

Antwort: ist nur was für ganz Mutige.

 

 

 

Somm-Untergang

Man darf (fast) alle Überzeugungen haben. Man darf (fast) alles sagen oder schreiben.

Markus Somm ist ein vehementer Advokat in Sachen Israel. Das ist völlig okay und erlaubt. Dass er dabei Wortblasen blubbert, ist auch erlaubt: «Israel hat jedes Recht, sich zu verteidigen». Genau. So wie die Palästinenser, wie jedes zur Schlachtbank geschleppte Schwein, wie eigentlich jeder und alles. Oder sollte es irgend ein Lebewesen oder eine Entität geben, die nur beschränkte Rechte hat, sich zu verteidigen?

Somm beklagt «westliche Doppelmoral» gegenüber Israel. «Demonstranten, Politiker und Medien verurteilen dessen Handlungen, wie sie es bei keinem anderen Land tun.» Kann man so sehen, muss man nicht, ist auch falsch.

Man kann auch noch ein paar Schritte weitergehen, obwohl Somm schon längst über einem Abgrund von fehlendem Realitätskontakt schwebt: «Wir alle geben uns so viel Mühe, die Juden zu resozialisieren. Dass es umgekehrt war, dass die blasierten Bewährungshelfer im Westen zweitausend Jahre lang die Juden geplagt, verfolgt und dann vernichtet haben: Man käme nicht darauf, wenn man hört und liest, wie sie über Israels angebliche Untaten urteilen.»

Langsam erreicht Somm Betriebstemperatur

Hat nicht mehr wirklich etwas mit den aktuellen kriegerischen Handlungen zu tun, aber wenn es einem Autor beliebt, soll er doch. Dann legt er aber noch einen drauf:

«Es ist ein Schwefelgeruch, der in der Luft liegt, wenn wir uns über Israel erregen.»

Schwefel? Teufel, Beelzebub? Echt jetzt?

Damit verlässt Somm endgültig den Bereich einer rational verständlichen Argumentation. Aber auch das ist nur die Einleitung zu einer Vollklatsche:

«Ich spreche das Wort nicht aus. Nur ein Hinweis: Wenn Sie heute einen Antisemiten überführen möchten, dann geschieht es selten, dass er so dumm ist wie ein Neonazi und entsprechend brüllt – den neuen Antisemiten entlarven Sie, wenn Sie mit ihm über Israel reden. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt.»

Wie entlarvt sich denn dann der «Antisemit»? Auch dazu spricht Somm kein Wort aus, aber die Botschaft ist klar. Der Gesprächspartner zum Thema Israel wird in dem Moment zum Antisemiten, in dem er ein kritisches Wort zu Israels umfassendes Recht wagt, sich zu verteidigen. Und zwar so, wie es Israel aktuell tut.

So apodiktisch fordern nicht einmal Fundamentalisten Glaube und Gehorsam ein. Ein solches Absurd-Kriterium wäre nicht einmal dem schärfsten Verteidiger der Unfehlbarkeit von Hitler, Stalin, Mao, Pinochet oder Donald Trump eingefallen.

Apropos, wenn man schon die Kontrolle verliert, dann richtig, sagt sich Somm offenbar. So argumentierte er im wöchentlichen Krawall-Talk mit Roger Schawinski, dass die Hamas sich nur deshalb zu diesen Taten hinreissen liess, weil US-Präsident Biden den Klammergriff um den Iran lockere, den Trump angesetzt habe. Das gebe den Iranern Luft, um ihre feindselige Politik gegen Israel zu verstärken. Indem die Ayatollen ihre Hundemeute namens Hamas von der Leine liessen.

Ist zwar völlig belegfrei, aber zumindest lustig. Die Verwendung der Antisemitismus-Keule durch Somm ist’s aber überhaupt nicht. Diese Gleichsetzung jeder Form von Kritik an irgend was, die ist zutiefst gegenaufklärerisch, Ausdruck einer eigenen Gesinnungsblase, in die man zwar selber furzen darf, wo man aber keinerlei Kritik akzeptieren möchte. Weil das den Kuschelfaktor unter Gleichgesinnten stören könnte.

Danach überhitzt Somm und kriegt die Kontrollstäbe nicht runter

Hier ersetzt Somm Denkvermögen durch Starrheit, will die Grenzen des Spielfelds definieren. Und jeder, der sie seiner Meinung nach überschreitet, ist dann Antisemit. Wir hoffen für Somm, dass er sich über Herkunft, Geschichte und Verwendung des Begriffs schlau gemacht hat. Ab wann, mit Verlaub ist man denn Judenhasser?

Reicht eine Kritik an der Korruptheit des israelischen Premierministers? Wie steht es mit der Erwähnung, dass Israel mehrfach gegen das Völkerrecht verstösst, zum Beispiel, indem es in besetzten Gebieten die eigene Bevölkerung ansiedelt? Sich an diverse Uno-Resolutionen nicht hält? Kriegsverbrechen verübt? Im Besitz von Atomwaffen ist, ohne das offiziell einzuräumen?

Wann ist was keine berechtigte (oder auch unberechtigte) Kritik mehr, sondern Ausdruck von Antisemitismus? Merkt Somm nicht, dass nicht nur einige (aber keinesfalls alle) Israel-Kritiker besondere Massstäbe bei diesem Land ansetzen, sondern er selbst auch? Wird er intellektuell wirklich so kurzatmig bei Israel, dass er vergisst, dass das grossinquisitorische Allüren von ihm sind?

Rede nur über Israel, Somm legt dann sein geeichtes Antisemitismus-Messgerät an, das verkündet die unbestreitbare Wahrheit. Das ist nun bedenklich. Bar jeder Vernunft. Eine Geisteshaltung, die Somm doch immer wieder (und völlig zu recht) all diesen in ihren Denkrastern einbetonierten Linksmenschen vorwirft, die keine Argumente hören wollen, sondern nur nach dahinterstehenden Haltungen, Gesinnungen suchen.

Das selber machen, was man anderen vorwirft

Nun macht er genau das Gleiche. Kritik an Israel? Inhaltliche Auseinandersetzung damit? Ach was, da schnuppert er Schwefelgeruch, erkennt daran sofort den Antisemiten. Wer ist dann keiner? Na, nur der, der keinerlei Kritik übt, der kritiklos applaudiert oder zumindest nicht widerspricht, dass Israel jedes Recht habe, sich zu verteidigen.

Ob diese radikale Verbissenheit etwas damit zu tun hat, dass der Online-«Nebelspalter» bislang weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit Themen durchwurstelt, mit hoher Wiederholungsrate, Vorhersehbarkeit und Gleichförmigkeit, die niemanden dazu motivieren, dafür auch noch Geld auszugeben?

Zudem gleicht die Mitarbeiterschar immer mehr einer Muppetshow, in die sich einfach alte Weggenossen von Somm einreihen. Nicht unbedingt die Besten, kommt noch erschwerend hinzu. Brachial-Polemiker wie David Klein («Merkels Amtskollege Hitler») werden offenbar nicht als rufschädigend für den «Nebelspalter» wahrgenommen, weil Klein Somm in der Radikalität der Israel-Verteidigung in nichts nachsteht.

Was das alles allerdings mit dem Anspruch zu tun hat, einen liberalen, neugierigen, Widersprüche aushaltenden, geradezu fordernden Journalismus ohne Denkverbote zu betreiben? «Wir suchen nach der Wahrheit», heisst es vollmundig in der Selbstdarstellung des neuen «Nebelspalter». Wie das mit solchen Scheuklappen, mit solchen Gesinnungsverleumdungen als Ersatz für argumentative Auseinandersetzung zusammenpasst?

Da dampft es doch gewaltig und nebulös nach zweierlei Massstäben, Doppelzüngigkeit, Heuchelei. Alles Eigenschaften, die in einem journalistischen Anspruch, der «liberal, dass es kracht» sein will, nichts zu suchen haben.

Schade eigentlich; damit verabschiedet sich der «Nebelspalter» von jedem Anspruch, eine liberale Alternative zu «Weltwoche» oder «Republik» zu sein. Denn der Fisch stinkt vom Kopf, wenn man das sagen darf, ohne gleich als Antisemit niedergemacht zu werden.