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Ringier! THE Place to be!

Journalismus in der Krise? Ach was. Zumindest Ringier ist ein «Great Place to Work®». Gibt’s denn Doppelgänger?

Endlich konnte Corporate Communication richtig in die Harfe greifen: Die Ringier AG sei «für ihre Arbeitsplatzkultur als Great Place to Work® ausgezeichnet. Mit diesem Resultat gehört die Ringier AG zu den besten Arbeitgeberinnen der Schweiz.»

Let’s dance, let’s work together, we can do it! Stimmungsbild von Ringier.

Alle sind glücklich. Der Mitbesitzer der Zertifizierungsbude: «Insgesamt sehen wir Ringier auf dem Niveau der besten Arbeitgeberinnen in der Schweiz! Damit hat Ringier eine beeindruckende Entwicklung bei der Zufriedenheit seiner Mitarbeitenden in den letzten Jahren vollzogen. Die Bewertungen des Vertrauens untereinander und der erlebten Fairness liegen weit über dem Durchschnitt vergleichbarer Schweizer Unternehmen.» Tatä.

CEO Marc Walder ist auch glücklich: «Die Zufriedenheit und Akzeptanz unserer Mitarbeitenden ist für uns von zentraler Bedeutung. Wir haben hart gearbeitet, viel unternommen und angepasst, um diese zu steigern.» Tatö.

Natürlich ist auch der «Chief People Officer» glücklich: «Unsere Unternehmenskultur ist stark von einem persönlichen Miteinander geprägt – und das möchten wir aufrechterhalten.» Tatä, tatö.

Die Mitarbeiter sind sowieso glücklich.

«Zufriedenheit 87 Prozent, Trust-Index 76 Prozent.»

Das ergab die «anonyme Befragung» in erster Linie unter den Angestellten von Ringier Schweiz. Da soll noch einer sagen, Journalisten würden leiden. Die haben offenbar gelernt, einfach lautstark zu klagen. Dabei geht’s doch super. Spitze. Denn ab 65 Prozent beim «Trust-Index» gibt’s schon die «Zertifizierung Great Place to Work®».

Da müssen an Dufourstrasse wieder mal die Champagnerkorken geknallt haben; der Verkehr musste umgeleitet werden, weil zu viele glückliche, aber beschwipste Mitarbeiter auf der Strasse torkelten und tanzten.

Das hat sicherlich alle davon abgehalten, die Sache mal näher anzuschauen. Ein Zertifikat ist ja immer so gut wie sein Herausgeber. Das ist hier, Überraschung, die Firma «Great Place to Work». Auf ihrer Webseite wirft sie mit dem üblichen Geblubber um sich. «Ihre Arbeitskultur ist unsere Mission». Wunderbar. Als Medienschaffender wendet man sich für weitere Auskünfte natürlich an die Medienstelle.

Aber kein Great Place für Medienanfragen.

Zunächst wundert man sich, wieso die letzte PM von Anfang April stammt – 2019. Die Erklärung bekommt man sofort: der angegebene Medienkontakt «arbeitet nicht mehr für» die Bude, «Ihre Mail wird nicht weitergeleitet». Ob Ben Seiler den «Great Place to Work» doch nicht so great fand? Man weiss es nicht, aber immerhin wird eine Ersatzperson angeboten. Die arbeitet tatsächlich noch und antwortet sehr abstrakt auf konkrete Fragen.

Konkrete Fragen, sehr flauschige Antworten

Zum Beispiel:

«Es gibt wahrlich immer viel zu pflegen auf den Webseiten und wir werden den Kontakt für zukünftige Medienanfragen gerne aktualisieren.» Ach, nach 2,5 Jahren?

Frage: Ringier liege «weit über dem Durchschnitt vergleichbarer Schweizer Unternehmen», welchen?

«Wir nutzen bei Great Place to Work® eine über Jahrzehnte entwickelte Methodik, um die Arbeitsplatzkultur und das Vertrauen in einer Organisation zu erfassen.» Gut zu wissen, war aber nicht die Frage. Ah, aber vielleicht so: Die Rückmeldung der Mitarbeiter liege «weit über einem repräsentativen Benchmark für die Schweiz (Per Markforschung erhoben, repräsentativ für die Bevölkerung über verschiedene Branchen)». Mark- und Beinforschung?

Aha; aber ein Medienunternehmen sollte wohl mit anderen Medienunternehmen «vergleichbar» sein, die fehlen aber in den Listen von der Great-Firma. Na und, da die Firma «pro Jahr mehrere Millionen Arbeitnehmende» befrage, weiss sie: «eine gute Arbeitsplatzkultur ist demnach keine Frage der Branche. Und die Voraussetzungen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit in einem Medienhaus sind nicht grundsätzlich verschieden als in anderen Organisationen mit vergleichbarer Grösse.» Allerdings:

«In der Schweiz haben wir bisher tatsächlich kein anderes Medienhaus zerfitifiziert.» Ohä, wohl auch nicht zertifiziert.

Aber macht ja nix, nächste Frage: Ringier hat die «Certification only»-Untersuchung in Auftrag gegeben. Laut Eigenbeschreibung eignet sie sich «für Organisationen, die hauptsächlich an der schnellen Auszeichnung zum Great Place to Work® interessiert sind, nur wenige und oberflächliche Einblicke in ihre Arbeitsplatzkultur möchten». Wollte Ringier also nur wenige und oberflächliche Einblicke sowie eine schnelle Auszeichnung?

Aber nein, nein, natürlich nicht. «Der Erhalt einer Zertifizierung macht jedoch im Umkehrschluss keine Aussage dazu, in welchem Umfang wir mit einer Organisation zusammenarbeiten. Ringier möchte mit der Mitarbeitendenbefragung und Analyse einen umfangreichen Einblick und Ergebnisse für Teams und Einheiten erhalten um mit diesen Erkenntnissen weiterzuarbeiten – die Zertifizierung als Great Place to Work ist ein «Sahnehäubchen».»

Alles unklar? Wunderbar. Aber was genau untersucht wurde und was das gekostet hat? Da solle man sich doch an Ringier wenden.

Ringier antwortet noch flauschiger

Nur: leider verzichtet das Unternehmen auf die Beantwortung von 9 konkreten Fragen. Dafür gibt’s eine Kurzzusammenfassung der Jubel-PM, als ob man nur solche blöden Fragen stellen könnte, wenn man die nicht kapiert habe.

Auf jeden Fall sei das eine Super-Sache gewesen: «Das Group Executive Board hat gemeinsam mit HR unternehmensübergreifend Handlungsfelder definiert, die gemeinsam mit interessierten Mitarbeitenden in der nächsten Zeit schwerpunktmässig bearbeitet werden. Zudem setzt sich jeder einzelne Bereich mit seinem individuellen Befragungsergebnis auseinander.»

Wollten wir zwar alles nicht wissen, dafür schon, was denn bezahlt wurde, wie tiefschürfend denn die Befragung war, und dass die Medienseite der Zertifizierungs-Bude in einem jämmerlichen Zustand ist, das bewegt das Medienhaus Ringier auch zu keiner Bemerkung.

Ohne weder oberflächliche noch tiefschürfende Untersuchungen angestellt zu haben, muss ZACKBUM allerdings sagen:

  • «Great Place to Work»: Zertifikat zweifelhaft.
  • Ringier: Zertifikat fragwürdig.
  • ZACKBUM: nicht zerfitifiziert, aber great

Wenn das viel besser als der Benchmark in der Schweiz sein soll, obwohl man nicht weiss, wie der bei «vergleichbaren» Buden erstellt wird, muss es ja grauenhaft zu und hergehen. Ausserhalb von der Insel der Glücklichen, die bei Ringier arbeiten dürfen. Wenn wir das nächste Mal beim Pressehaus vorbeifahren, werden wir darauf achten, wie laut die Jubelchöre sind.

Fakten, Fakten, Fakten

Der heilige Gral aller ernstzunehmenden Berichterstattung. Nur: was sind Fakten? Oben ein faktentreuer Nachbau der Arche Noah.

Ältere Leser erinnern sich: «Fakten, Fakten, Fakten». Das war der Schlachtruf, mit dem der erste Chefredaktor des deutschen «Focus» gegen den damals alleinherrschenden «Spiegel» antrat.

Er wollte damit insinuieren, dass der «Spiegel», obwohl er sich «Nachrichtenmagazin» nennt, die Welt durch eine ideologische Brille sieht, sich als Besserungsanstalt versteht, als Organ von Rechthabern, mit erhobenem Zeigefinger und der leichten Säuernis von Menschen, die es eigentlich besser wissen, nur hört niemand wirklich auf sie.

 

Immerhin war «Focus» der erste gelungene Versuch, den «Spiegel» zu konkurrenzieren, und das Magazin existiert bis heute. Aber das Erfolgsgeheimnis war keine Faktentreue, sondern die Vorwegnahme moderner Lesegewohnheiten. Kurzstoffe, üppige Grafik, servicelastig, und «immer an den Leser denken», das war der zweite, weniger häufig zitierte Teil des Schlachtrufs von Helmut Markwort.

Alle denken an die Leser. Das ist das Problem

Damit war er allerdings nicht alleine. Der «Spiegel», eigentlich alle Newsmedien, denken an ihre Leser. Deshalb wollen sie deren Haltung nicht zu sehr mit unangenehmen Fakten erschüttern, das mag der Konsument nicht. Der Sündenfall Relotius beim «Spiegel» war nicht nur Ergebnis eines offenbar pathologischen Lügners. Er wurde auch durch die Absicht möglich, antizipierend dem Leser das zu liefern, was er gerne lesen möchte.

Verschärft beobachtet man dieses Phänomen bei der aktuellen Impfdebatte. Dafür, dagegen, alle Argumente sind eigentlich ausgetauscht. Jetzt geht es nur noch um Haltungen und Polemik. Könnte auch aus dem Lager der Impfkritiker stammen, aber hier ein Beispiel aus dem Lager der Impfbefürworter, vom Oberchefredaktor von Tamedia, in einem Kommentar:

«Nun kaufen wir mit unserem vielen Geld für ein paar egozentrische Impfskeptiker den Stoff, der anderswo Leben retten würde.»

Ein guter Beleg dafür, wie schwierig es mit den Fakten ist. Denn deren unumstössliche Kraft hört schnell einmal auf. Die Erde ist nicht flach, das darf man heute als Fakt bezeichnen, ohne auf dem Scheiterhaufen zu landen. Das Universum ist älter als nur ein paar tausend Jahre, obwohl das Kreationisten aller sich auf biblische Überlieferungen beziehenden Religionen genau so sehen und als Fakt wissenschaftlich untermauern wollen.

Was sind nun Fakten? Die NZZ gibt aus aktuellem Anlass die journalistisch korrekte Definition:

«Sachverhalte, die mit Tatsachen belegt werden können.»

Für Exegeten: und was sind Tatsachen? Fakten oder Sachverhalte. Kicher. Um aus diesem Kreislauf herauszukommen: Tatsachen sind sinnlich wahrnehmbare Vorgänge oder Zustände, die sich mit wissenschaftlich anerkannten Methoden darstellen, überprüfen und experimentell wiederholen lassen.

Fakten sind noch nichts

Die NZZ geht allerdings noch einen wichtigen Schritt weiter:

«Fakten erklären nichts. Genauso wie Daten noch keine Informationen sind. Fakten müssen erklärt, vertieft, eingeordnet und interpretiert werden, damit man sie verstehen kann.»

Genau hier beginnt das Problem der modernen Informationsüberschwemmung. Erklären, vertiefen, einordnen und interpretieren, das ist die eigentlich wichtige Leistung des Journalismus. Neben den entsprechenden professionellen Fähigkeiten braucht es allerdings noch ein entscheidendes Ingredienz: Vertrauen und Glaubwürdigkeit.

Denn der Konsument, der Leser kann nicht jedes erwähnte Faktum selbst nachkontrollieren, geschweige denn, die daraus gezogenen Schlussfolgerungen nachvollziehen und den Weg dahin abschreiten. Entweder vertraut er der Informationsquelle, dann ist’s gut. Oder er zweifelt, dann wird’s schwierig.

Die NZZ kommt nicht aus dem luftleeren Raum zu diesen Überlegungen. Die neue Chefredaktorin von Associated Press hat der NYT ein Interview gegeben. AP ist die grösste Nachrichtenagentur der Welt; angesichts schrumpfender Bordmittel und Eigenleistungen wird ihre Bedeutung monatlich grösser. Da ist es schon wichtig zu wissen, worauf sich diese Julie Pace verpflichtet sieht. Auf Fakten, sagt sie. Das ist gut. Also Dinge, über die man nicht reden oder diskutieren müsse, weil sie feststehen.

Zum Beispiel? Ob die Impfstoffe gegen Covid-19 sicher seien, ob es einen Klimawandel gebe oder ob es bei den US-Wahlen im vergangenen Jahr zu grösseren Betrügereien gekommen sei. Also ja, ja, und nein, laut Pace.

Fakten sind Fakten, können aber falsch sein

Und schon wird’s brandgefährlich. Denn Fakten können auch falsch sein, bzw. widerlegt werden. Mangels technischer Möglichkeiten meinte man lange Zeit, dass ein Atom unteilbar sei, daher auch der Name (altgriechisch «unteilbar»). Der Name blieb, das Faktum nicht.

Natürlich kann nicht jedes Mal in der Berichterstattung alles haarklein hergeleitet und belegt werden. Das würde die Newstexte unlesbar machen. Ungeniessbar werden aber selbst Kommentare, wenn sie Fakten – der Ankauf von «klassischen Impfstoffen» – mit despektierlicher Kritik – «für ein paar egozentrische Impfskeptiker» – und faktenfreier Behauptung – «Stoff, der anderswo Leben retten würde» – vermischt.

Umso unversöhnlicher – und auch faktenfreier – die Debatte um die Pandemie-Massnahmen wird, desto wichtiger wäre es, sich auf altbewährte Prinzipien des Erkenntnisgewinns zu besinnen.

Nur im offenen, tabulosen Schlagabtausch in der Öffentlichkeit ist Erkenntnisfortschritt möglich. Falsche Meinungen können, müssen falsifiziert und mit oder ohne Polemik zurückgewiesen werden. Aber ohne, dass die Meinungsträger persönlich angegangen, ihnen böse oder gute Absichten – je nachdem – unterstellt werden.

Das wäre der Idealfall. Leider entfernen wir uns von diesem Ideal beinahe täglich. Ein erkennbarer Grund dafür: Meinung ist wohlfeil, gratis und schnell gebildet. Fakten zu eruieren, aufzubereiten und darzubieten, das ist aufwendig und anstrengend.

Wäre aber dringend nötig.

9/11: ach, schnarch, gähn

20. Jahrestag des gröbsten Terroranschlags der Neuzeit. Gähn, sagt die Medienmeute.

Schlappe knapp 400 Treffer ergibt die Suche der Verwendung des Worts «Terroranschlag» in den letzten sieben Tagen in der Mediendatenbank am 10. September.

«Seen it all, been there, nothing new» sagt man gelangweilt auf Englisch. Ach ja, die Twin Tower, die Flugzeuge, jeder weiss, wo er war, als er diese Bilder das erste Mal sah. Das erste Mal sogar live sah, wie die eilig vor dem ersten brennenden Turm platzierten Reporter zusammenzuckten, als das zweite Flugzeug einschlug.

Dann noch das Pentagon und die Vereitelung eines dritten Anschlags durch todesmutige und heldenhafte Passagiere in der dritten entführten Maschine. All das ist bis zum Überdruss bekannt, und man will eigentlich nicht nochmal die quälenden Telefonate von Menschen hören, die oberhalb der Einschlagstellen wussten, dass sie sterben werden.

Man will auch nicht mehr das Bild des «falling man» sehen, ein Zufallstreffer eines Fotografen, eigentlich für Modeaufnahmen bestellt, der einen Menschen fotografierte, der mit Würde und Haltung kopfvoran am Gebäude entlang in den Tod flog.

Die Welterklärer fehlen schon

Man ist vor allem müde, die sich immer bildenden Verschwörungstheorien zu hören, über die Beteiligung von Regierungsstellen, der CIA, der jüdischen Weltverschwörung. Aber, muss man zugeben, da fehlt ein Peter Scholl-Latour schon. Für Nachgeborene: das war ein weitgereister Welterklärer. Man musste nicht einer Meinung mit ihm sein, aber Ahnung hatte er schon, Mut auch, dazu sprach er druckreif.

Peter Scholl-Latour (links) und Arnold Hottinger: zwei Koryphäen.

So wie Arnold Hottinger über die arabische Welt, bis ins hohe Alter hinein. Aber heutzutage? Kurzatmiges Japsen beherrscht die Debatte. Die Taliban sind doch nicht so schlimm wie 1996. Sie sind so schlimm. Im «Tal der Helden» leisten mutige Afghanen bewaffneten Widerstand bis zum Äussersten. Der Widerstand ist kläglich zusammengebrochen. Es gibt keine Freiheitsrechte mehr. Es finden Demonstrationen statt, die Taliban schauen zu.

Ein kleiner Lichtblick im Tunnel der Dunkelheit

Es herrscht Unschärfe in der Nahbetrachtung, es herrscht Unkenntnis und Schwachstrom-Analytik in der geopolitischen Einordnung. Immerhin, einer, von dem man das nicht unbedingt erwartet hätte, argumentiert differenziert:

«Ihr Gegenschlag führte die USA nach Afghanistan und in den Irak, aber auch in die Folterkeller der CIA auf dem Balkan und in Bagram. Ist der Sieg der Taliban nur der Schlusspunkt einer von Anfang an verfehlten Politik? Lässt sich, nach Abu Ghraib und Guantánamo, der «Global War on Terror» überhaupt moralisch rechtfertigen?

Die Fragen kann nur ohne Zögern beantworten, wer die Amerikaner ohnehin für Imperialisten hält oder alle Muslime für blutrünstige Fundamentalisten. Alle anderen finden sich in einem Labyrinth wieder. Macht und Menschenrechte, das Recht auf Selbstverteidigung und das Recht des Stärkeren bilden ein schwer entwirrbares Knäuel.»

In seinem «anderen Blick» arbeitet sich Eric Gujer in der NZZ erstaunlich differenziert und nachdenklich an der Frage ab, ob nach 20 Jahren Kampf gegen fundamentalistischen Terror die Zwischenbilanz positiv oder negativ ausfällt. Er kommt zur Schlussfolgerung: «Entscheidend aber ist etwas anderes: dass der Westen einen Weg gefunden hat, den Abwehrkampf im Innern wie im Äussern mit vernünftigem Aufwand zu führen, ohne die zivilisatorischen Grundprinzipien aufzugeben. Der Westen hat seinen Limes errichtet. In diesem Sinn hat er gewonnen.»

Auch darüber kann man geteilter Meinung sein. Aber in der Wüste der Holzschnittanalysen überforderter journalistischer Allzweckwaffen ist das eine Oase der geistigen Labsal. Tamedia hingegen, nichts gegen die Erinnerung an damalige Helden, bemüht das Porträt eines Polizisten und eines Feuerwehrmanns, die damals im Einsatz waren.

«Das lässt sich nicht in Worte fassen», lautet das Titelzitat. Wieso lässt man es dann nicht? Die «Schweizer Illustrierte» interviewt den unter Aufmerksamkeitsdefizit leidenden Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger.

Der Pluralismus in den Schweizer Tageszeitungen …

Wie flache Kieselsteine fallen Dutzenden von Kommentatoren die Worte «Krieg gegen den Terror», «gescheitert», «bittere Ironie der Machtergreifung der Taliban» aus dem Mund, der vermurkste «US-Prozess gegen die Drahtzieher und Urheber von 9/11». Dazu die «Zeitzeugen», gar die «Kinder von 9/11», die Würdigungen, Warnungen, Mahnungen. Ziemlich schräg: «Diese Kunstwerke würde es ohne 9/11 nicht geben». «Zeit für den Schlussstrich» unter die Bewältigung von 9/11, Pakistan als «der eigentliche Feind», der Bataclan-Prozess in Frankreich.

Wo sind die Zusammenhänge und Einordnungen?

Es fehlt eigentlich nur, dass jemand Zusammenhänge zwischen der Pandemie und dem islamistischen Terror, den Taliban, dem Islamischen Staat oder Al Kaida herstellt. Falls es die reduzierte Mannschaftsstärke noch hergibt, sind in den überlebenden Zentralredaktionen kleine Piketts im Einsatz, falls es am 11. September einen neuerlichen terroristischen Grossangriff geben sollte. Eher unwahrscheinlich, denn seither haben die glücklicherweise auch hier versagenden religiösen Wahnsinnigen nur mehr  kleinere Anschläge hingekriegt. Deshalb würde das Schweizer Farbfernsehen sicherlich nicht das geordnete Tagesprogramm unterbrechen.

Mit Lastwagen und Messern, nicht mehr mit Flugzeugen, um es auf den Punkt zu bringen.

Schreibtischstrategen vor dem Sandkasten

So ordnen mehr oder minder überforderte Schreibtischstrategen diese 20 Jahre ein. Nur noch wenigen gelingt es, die Auswirkungen des «Kriegs gegen den Terror» auf die gesamte arabische oder islamische Welt einzuordnen. Kaum einem gelingt es, ein Wort über die Zukunft der Atommacht Pakistan zu sagen, viel bedeutender in Afghanistan als die Taliban-Führer. Kaum einem gelingt es, die Rolle Chinas, die wirklich wichtige Macht hier, zu analysieren.

Der Chor der Afghanistan-Kenner, eigentlich alle mit einem ganz grossen Fernrohr bewaffnet, die Wiederholung der Keywords, das Abholen von Klicks, der menschliche Faktor als Ersatz für Hirnschmalz in der Analyse, der erkennbare Unwillen, sich neben Corona auch noch mit einem zweiten Thema auseinandersetzen zu müssen: ein Trauerspiel der Medien, wieder mal. Der deutschsprachigen, wohlgemerkt.

Afghanistan: Medien im Vollschleier

Der Verkauf einer Zeitung ähnelt immer mehr der Wegelagerei.

Kleine Meldungen können zumindest verzweifelt erheitern. So lud die US Army 640 Afghanen in ein einziges Flugzeug, um sie aus Kabul zu evakuieren. Das nennt man Effizienz. Deutschland, früher mal für Effizienz bekannt, hat auch eine Maschine zum Einsatz gebracht. Allerdings: bloss sieben Afghanen schafften es an Bord.

Immerhin: Das schafft die US Air Force.

Für solche Meldungen ist Tamedia zu haben:

Der «Tages-Anzeiger» erfreut seine Leser (sogar ohne Bezahlschranke) zudem mit einer Analyse zu einem Thema, das viele umtreibt: Wieso ist die afghanische Armee dermassen schnell zu Staub zerfallen?

Wie kann man es erklären, dass Multimilliarden in angeblich 300’000 Soldaten investiert wurden, Ausrüstung, Beratung, High-Tech-Waffen, unterstützt von allem, was moderne Drohnen-Kriegsführung zu bieten hat. Inklusive Fernbombardierungen von Zusammenballungen von Taliban-Kämpfern. Leider wurde ab und an eine Hochzeitsgesellschaft damit verwechselt. Im dümmsten Fall auch die anschliessende Trauerfeier nochmal bombardiert.

Die Analyse im «Tages-Anzeiger»: Qualität halt, die kostet.

Aber wie auch immer, wie kann das erklärt werden? Joachim Käppner hat ein paar Antworten, die Tamedia am Dienstag um haargenau 10.11 Uhr ihren Lesern serviert. Qualitätsmedien halt, das macht den Unterschied, das liest man nur hier, da steckt Eigenleistung dahinter.

Eigenleistung kann auch geliehen werden

Eigenleistung? Um 9.12 Uhr hatte die «Süddeutsche Zeitung» ihren Lesern bereits den gleichen Artikel kredenzt. Mit dem gleichen Titel, gleichen Inhalt, gleichen Autor. Offenbar brauchte die Qualitäts-Auslandredaktion von Tamedia eine Stunde, um das ß durch ss zu ersetzen, und falls irgendwo von «parken» die Rede war, musste das natürlich zu «parkieren» eingeschweizert werden. Ach, und ein anderes (schlechteres) Foto verwendet Tamedia auch.

Das Original; man beachte den gewaltigen Unterschied im Titel.

Wie das? Nun, Dr. Käppner ist «Leitender Redakteur, Innenpolitik» bei der SZ. Pardon, also Redaktor. Das befähigt ihn offensichtlich zu einer Ferndiagnose der Ursachen des widerstands- und beispiellosen Zusammenbruchs der afghanischen Armee (ANSF): «Die ANSF dagegen sind die Armee eines Staates, der nicht funktionierte, und so konnte sie das auch nicht tun.»

Die gleiche tiefschürfende Erkenntnis legte die SZ übrigens ihren Abonnenten bereits am frühen Morgen mit der Printausgabe in den Briefkasten. Denen würde die Wiederholung des Artikels um 10.11 Uhr in den Qualitätsmedien von Tamedia also nur ein müdes Gähnen entlocken.

Was der Artikel mangels Tiefe der Analyse allerdings überall und jederzeit schafft. Nebenbei drischt der Autor, das ist bei SZ obligatorisch, im Nachgang auf den Ex-Präsidenten Trump ein, dem das Schicksal Afghanistans herzlich egal gewesen sei. Was sein Versagen auch hier deutlich zeigt und in völligem Kontrast zu Onkel Biden steht; dem neuen US-Präsidenten liegt das Schicksal Afghanistans offensichtlich ausgesprochen am Herzen.

Ist nichts wert, kostet aber

Wohlgemerkt verlangt Tamedia für diesen aufgewärmten Dünnpfiff satte 581 Franken im Jahr, will man auch noch die SoZ in Print und digital, lässt man 751 Franken liegen. Will man’s digital als E-Paper, muss man immerhin 319 Franken abdrücken. Oder man wählt das schnuckelige Abo «Weekend». Für schlappe 399 Franken ist dann am Samstag und am Sonntag Papier im Briefkasten, das E-Paper während der Woche und alle Abo-Inhalte digital inklusive.

Bei einem solchen Angebot muss man doch zugreifen, liebe ZACKBUM-Leser. Wer’s schon hat, bereut es keine Sekunde, wer’s nicht hat, dem entgehen wichtige Informationen und Zusammenhänge. Nein, das ist nicht unser Ernst.

Die Bestseller aus dem Hause Tamedia.

Sonnen im Lichtblick

Hier sei immer alles so negativ und kritisch. Kritisieren immer wieder Leser. Bitte, wir können auch anders.

Das letzte Mal, als wir positiv waren (trotz Corona!), interessierte das eigentlich niemanden. Aber wir geben ja nicht so schnell auf.

Auch auf die Gefahr hin, parteiisch zu erscheinen: Nach dem heutigen Leidensweg durch die Medien mit ihrer Kakophonie über die Lockerungsbeschlüsse, bei der eigentlich niemand den Puck gesehen hat, braucht es Erholung, Labsal, ein Licht der Hoffnung, dass es auch anders geht.

Da hilft nur eins: die NZZ. Sicher, da ist auch nicht mehr alles Gold, was blättert – zum Beispiel fehlen die Beiträge eines Kuba-Korrespondenten –, aber dennoch. Es geht doch (noch).

Der Balken der Vernunft.

Es ist in der gestrigen Ausgabe, und nur darauf beziehen wir uns, ein bunter Strauss an Anregungen, Einordnungen, bedenkenswerten und kaum bedenklichen Artikeln. Was will Putin mit seinem Säbelrasseln an der ukrainischen Grenze? «Die Unentschlossenheit des Westens entlarven». Besser kann man das nicht auf den Punkt bringen.

Leichtes Schwächeln bei Corona

Der Kommentar zu den Lockerungsbeschlüssen vermisst einen «Fahrplan» des Bundesrats. Nachdem bislang alle mittelfristigen Ankündigungen im Gestrüpp endeten. Nun, es kann nicht alles gelingen, selbst in der NZZ.

Wie steht es nun genau mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson? Wie und warum wagt das deutsche Saarland den Ausstieg aus dem Lockdown? Immer gut, wenn man eigene Korrespondenten vor Ort hat. Die auch noch wissen, worüber sie schreiben. Und nicht als Kindersoldaten bei der Inauguration des US-Präsidenten schon am äussersten Sicherheitscordon steckenbleiben.

«Das Huhn töten, um den Affen zu erschrecken», endlich mal ein China-Artikel, bei dem der Autor chinesische Sprichwörter kennt. Denn genau das passiere Jack Ma, dem leicht in Ungnade gefallenen Besitzer von Alibaba. Zuerst das Verbot des Börsenganges, jetzt eine Busse von 2,8 Milliarden US-Dollar, weitere Massnahmen sind geplant. Da werden sogar einige Hühner geschlachtet, damit Ma wieder weiss, wo der Hammer hängt.

Auch der Nachruf auf den «Betrüger Ihres Vertrauens», den grössten Anlageschwindler aller Zeiten Bernie Madoff, zeugt von Sachkenntnis. Gut auch, dass sich die NZZ in ihrem ausgebauten Berliner Büro einen Wirtschafskorrespondenten leistet. So muss René Höltschi nicht anderswo abschreiben, wenn er über die Fortsetzung des Wirecard-Skandals berichtet.

Wirecard-Skandal aus erster Hand berichtet

Die neuste Wendung ist, dass es offensichtlich genügend Belege für eine Zusammenarbeit des deutschen Nachrichtendiensts BND mit Wirecard gibt, speziell mit dem immer noch flüchtigen Vorstand Jan Marsalek. Höltschi kann aus dem ihm vorliegenden Untersuchungsbericht zitieren, der diese Verbindungen durchforstet. Das nennt man den Bock zum Gärtner machen, kommentiert ein Beteiligter, der BND wollte internationale Geldwäscherei bekämpfen und spannte dafür ausgerechnet mit dem wegen Millionenbetrugs gesuchten Marsalek zusammen, der seinerseits Datensätze von Geschäftspartnern einforderte – angeblich, um sie dem BND zu übergeben. Aber der erhielt niemals solche Daten.

Das wäre sozusagen das Standbein, aber die NZZ hat auch noch ein Spielbein. Und nimmt in einer Breite Ereignisse wahr, die sie meilenweit vom copy/paste, Ein-Informationsfitzel,-ein-Artikel-Journalismus, abhebt. Sahra Wagenknecht von der deutschen «Linke» hat ein Buch geschrieben. Die Autorin und der Inhalt müsste eigentlich jedem stramm-liberalen NZZ-Redaktor den Angstschweiss auf die zornig gerötete Stirne treiben. Weit gefehlt, sie wird zu diesem Buch befragt. Ist schliesslich interessant.

Der abtretende Feuilleton-Chef René Scheu hat sich mit dem Virologen Hendrik Streeck unterhalten. Ein seltener Vertreter seiner Zunft, der die Welt nicht nur durchs Mikroskop betrachtet. Dietrich Schotte setzt sich intelligent mit dem Begriff «Gewalt» auseinander. Eine dieser Worthohlkörper, die mit vermeintlich beliebigem Inhalt abgefüllt werden können. Das ändert Schotte mit einem Buch, das rezensiert die NZZ.

100 Jahre «Schweizer Monat» – hier wird’s gewürdigt

Sie zieht – als einziges Schweizer Medium – Bilanz nach 100 Jahren «Schweizer Monat». Die Zeitschrift mit der wohl beeindruckendsten Liste von Mitarbeitern über die Zeiten hinweg. Und auch heute ist der Monat, trotz beengten finanziellen Verhältnissen, immer wieder für einen Denkanstoss oder zwei gut. Allerdings nur für die happy few, die auch vor mehrseitigen Texten nicht zurückschrecken, wenn sie interessant sind. Ansonsten wird der Monat im Schwarzweiss-Raster des Mainstreams als Unterstützer der dunklen Seite der Macht denunziert – und ignoriert.

Schliesslich noch mein Liebling unter den Artikeln: «Wie Epidemien enden». Ja, über den Ausbruch, die Ursachen, die Bekämpfung gibt es Legionen von Untersuchungen. Aber ein Blick auf das Ende, wie findet es statt, wie wird es bewirkt, all das wurde bislang stiefmütterlich behandelt. Die NZZ ändert auch das. Bloss nicht nachlassen!