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Wumms: Katharina Fontana

Frau, kompetent, stabile Schreiberin: auch das gibt’s.

«Ältere und Kinder haben unnötig gelitten, Milliarden wurden verpulvert, und die Behörden reagierten oft manipulativ.» Das ist Klartext in der Retrospektive über die Corona-Politik der Schweiz. Natürlich muss niemand mit der Ansicht der NZZ-Inlandredaktorin Fontana einverstanden sein.

Aber ihre Kompetenz, Analysefähigkeit und schnörkellose Sprache legen ein Niveau vor, von dem Tamedia, Pardon, «Tages-Anzeiger», na ja, also das ungeliebte Medienkind des Coninx-Clans, nur träumen kann. Wenn man alleine diesen Kommentar und was an Wissen dahintersteckt mit dem kurzatmigen Gebabbel einer Raphaela Birrer, einer Kerstin Hasse vergleicht, dann kann man nur tiefes Mitleid mit den wenigen verbliebenen kompetenten Journalisten bei Tamedia empfinden, Pardon, aber was soll’s, wir nennen das Ding weiterhin so, wieso soll man auch die x-te Umbenennung mitmachen, nächstens heisst’s vielleicht wieder Tamedia. Oder Txlein, oder Tagitagi.

Alleine das ist schon ein Symptom für Orientierungslosigkeit: wer sein Produkt alle Naselang umbenennt, weiss doch gar nicht, was er damit anfangen will.

Die NZZ heisst immerhin seit 1821 so, und es sieht nicht danach aus, als ob sie daran bald etwas ändern wollte. Wieso auch, hat sich soweit bewährt. Während Tamedia von der x-ten Umpositionierung schwafelt, macht die NZZ einfach das, wofür Konsumenten durchaus bereit sind, Geld zu bezahlen.

Es ist nämlich gar nicht so schwer. Ein Autor (kann auch eine Autorin sein) hat Sachkompetenz akkumuliert, nimmt sich ein Thema vor, durchdringt es und fasst seine Erkenntnisse in einem komprimierten Artikel zusammen. In dem kein einziges Mal das Wort «ich» vorkommt. In dem die Befindlichkeit des Autors (kann auch eine Autorin sein) keine Rolle spielt. In dem keine Generallinie nachgebetet werden muss. In dem keine Sätze stehen, die schneller verwehen als man sie lesen kann.

Noch vor zwanzig Jahren hätte sich der ZACKBUM-Leser hier beschweren können, dass das wohl Selbstverständlichkeiten seien. Heute muss man ihm mitteilen: nein, sind es nicht mehr. Oder man nenne spontan einen einzigen Artikel aus jüngster Zeit von Tamedia, der diesen Kriterien genügt. Wir loben dafür Finderlohn aus. In der sicheren Annahme, dass wir das Portemonnaie geschlossen halten können.

Wumms: Lisa Nienhaus

Die «Süddeutsche» hat eine neue Wirtschafts-Chefin.

Da mag der Schweizer Leser noch «na und?» sagen. Also stellen wir einen Schweizer Bezug her. Die Chefredaktorin der «Süddeutschen Zeitung» Judith Wittwer freue sich auf eine «ausgezeichnete Wirtschaftsjournalistin». Wittwer? War die nicht mal was beim «Tages-Anzeiger»? Na, egal.

Seit 1. Oktober amtiert Nienhaus, und schon liefert sie ein erstes Müsterchen ihrer überragenden Kompetenz. «Mann des billigen Geldes», titelt die SZ ihren Kommentar über den frischgebackenen Wirtschaftsnobelpreisträger Ben Bernanke. Der war während der Finanzkrise eins Chef der mächtigsten Notenbank der Welt, des FED.

Wer immer noch «na und?» sagt:

Der Qualitätskonzern Tamedia übernimmt einfach diesen Kommentar und nennt ihn grossspurig in «Analyse» um. Ausserdem spitzt man den Titel noch etwas an. Damit ist allerdings die Energie der Wirtschaftsredaktion bereits erschöpft, denn sie lässt solche Sätze im Text (es gab auch Kritik an Bernankes Notenbankpolitik): «Ganz besonders in Deutschland. Hierzulande werden Staatsanleihekäufe durch die Notenbank traditionell besonders kritisch gesehen …»

Hierzulande? Hilfe, ist für Nienhaus die Schweiz bereits Bestandteil Deutschlands? Oder für die Tagi-Redaktion? Oder ist es einfach Unvermögen? Wer den heutigen Journalismus kennt, setzt auf Inkompetenz.

Auf Inkompetenz der Tagi-Wirtschaftsredaktion. Allerdings bekleckert sich Nienhaus auch nicht gerade mit Ruhm und Ehre mit ihrem ersten grossen Kommentar im neuen Amt. So behauptet sie, Bernanke «prägte die sogenannte unkonventionelle Geldpolitik mit massenhaften Ankäufen von Anleihen durch die Notenbanken und unbegrenztem Geld für die Banken … Es war eine regelrechte Geldschwemme, die die Notenbanker nach 2008 gezielt verursachten. Sie war ein Novum – und Ziel von herber Kritik».

Ein Novum? Der Mann habe das billige Geld erfunden? Ohne Nienhaus zu nahe treten zu wollen, so jung ist sie nun auch nicht, dass sie sich nicht an Alan Greenspan erinnern könnte. Den Erfinder des billigen Geldes, der Geldschwemme, der unmässigen Aufblähung der Geldmenge, der Erfinder des Gratis-Gelds. In seiner Amtszeit schwoll die Geldmenge M3 von 3,6 Billionen US-Dollar auf 10.3 Billionen an, um 284 Prozent. Immerhin räumte er, im Gegensatz zu Bernanke, nach Ende seiner Tätigkeit ein, schwere Fehler begangen zu haben.

Also, Greenspan, nicht Bernanke. Der im Übrigen auch nicht sofort der Finanzkrise mit einer Geldschwemme begegnete, sondern ziemlich herumeierte, Banken rettete (Bear Sterns) oder hopsgehen liess (Lehman).

Mit einem solchen Kommentar wäre Nienhaus selbst an der HSG nicht ungerupft davongekommen, so viele Fehler enthält der. Aber für Tamedia ist das alles kein Grund, ihn nicht eins zu eins zu übernehmen.  Unfähigkeit paart sich eben gerne mit Inkompetenz.

Einerseits – andererseits

Kann man so oder so sehen. Und Analyse nennen.

Ein unbedarfter und mit wenig Fachkenntnis beleckter Journalist ist die Pest. Vor allem, wenn er kräftig austeilt, Regierende, Handelnde und Verantwortungsträger wohlfeil belehrt, was sie alles falsch machen, was sie stattdessen tun sollten. Dabei wird der Redaktor von seiner zunehmenden Bedeutungslosigkeit geschützt. Er gibt zwar haftungsfrei und verantwortungslos seinen Senf zu allem. Wie der Chefredaktor des St. Galler «Tagblatts» mit seinem Stinkefinger-Kommentar. Aber keiner hört auf ihn.

Eine andere Variante ist, sich in ein Einerseits-Andererseits zu flüchten und das dann «Analyse» zu nennen. Damit ist der Redaktor dann für alle Eventualitäten gerüstet. Geht’s tatsächlich in die eine Richtung: er hat’s analysiert. Geht’s aber in die andere Richtung: kein Problem, hat er ja analysiert. Ein schönes Mängelexemplar dieser Methode bietet, wer denn sonst, das Intelligenzblatt «watson».

Denn neben Listicals, den lustigsten Irgendwas und schlüpfrigen Sex-Tipps will «watson» ja auch feste Nahrung anbieten. Also auch etwas zum Ukrainekrieg sagen. Nur ist es da, wie meist bei Kriegen, etwas unübersichtlich. Also ist «die Ukraine gerade im Aufwind». Einerseits. «Aber das muss dennoch nicht die Wende bedeuten», andererseits.

Die Bezeichnung «Analyse» für das, was dann folgt, ist allerdings eine Mogelpackung. Denn es ist einfach ein Zusammenschrieb längst bekannter Meldungen aus teilweise trüben Quellen. «Ein in den sozialen Medien verbreitetes Video soll zeigen, wie sich Soldaten eines LNR-Bataillons weigern, weiterzukämpfen», eine mit Russland verbündete Miliz. Einerseits. «Gleichzeitig wird die Ost-Offensive der russischen Armee unvermindert weitergeführt.» Andererseits.

«Auf dem Süden ruhen die Hoffnungen der sich erbittert verteidigenden Ukrainer.» Einerseits. «Experten sind sich jedoch weitgehend einig, dass der Ukraine sowohl Waffen als auch Soldaten fehlen, um eine gross angelegte Gegenoffensive zum Erfolg zu bringen.» Andererseits.

Analytischer Höhepunkt zum Schluss: «Kiews Truppen rücken zwar vor, aber nur sehr langsam. Beobachter vor Ort berichten, dass seit Wochen und vonseiten beider Kriegsparteien kaum relevante militärische Geländegewinne gab. Die Gefechte bestehen aus einem langwierigen Abnützungskampf. Dieser könnte sich weiter hinziehen, nachdem Russland fortwährend Truppen in den Süden verlegt.»

Nun kann «watson» natürlich als mildernden Umstand anführen, dass dieser analytische Wackelpudding von der «Aargauer Zeitung» hergestellt wurde. Also ein Qualitätsprodukt aus dem Hause CH Media sei. Vielleicht sollte der Wanner-Clan weniger Geld in den eigenen Weinberg, dafür mehr Kohle in die Qualität seiner Redaktion stecken.

Sonst muss der Leser leider Goethes Faust zitieren (kann man googeln, keine Panik): «Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor.»

Wenn zwei das Gleiche tun …

Horizonterweiterung tut Not.

Wir nähern uns mal wieder der Phase, in der auch über die Ukraine alles gesagt ist. Sogar von allen. Sogar in Wiederholungsschleifen. Laut, leise, rechthaberisch, kriegslüstern, bedächtig, dümmlich, alles ist zu haben, alles geschrieben, gesagt, gekräht, gekeift.

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Für die Happy Few, die dafür zu haben sind, könnte doch eine kleine Horizonterweiterung guttun. Nämlich ein gutes Buch. Dem ZACKBUM die These voranstellt: Wenn zwei das Gleiche tun, ist es nicht dasselbe. Denn die beiden bedeutendsten Imperien der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg unterscheiden sich in ihrem imperialistischen Verhalten eigentlich überhaupt nicht.

Die UdSSR war auch Sieger des Zweiten Weltkriegs, dehnte dann ihr Imperium über Osteuropa aus und engagierte sich weltweit in Stellvertreterkriegen. Sie schreckte auch vor militärischen Interventionen nicht zurück, um ihr genehme Regimes zu installieren und störende zu beseitigen. Selbstverständlich neben dem ganzen Instrumentarium der verdeckten Kriegsführung.

Genauso wie die USA auch. Nur unterscheiden sich die beiden Imperien in einem zentralen Punkt. Die Sowjetunion war nicht in der Lage, selbst ihre Eroberungen durch den Zweiten Weltkrieg zu behalten. Der sogenannte Ostblock bröckelte zusammen, und am Schluss löste sich sogar noch die UdSSR selbst in ihre Bestandteile auf.

In ihren besten Zeiten bestand die Union der sozialistischen Sowjetrepubliken aus 15 Mitgliedern. Flächenmässig mit Abstand der grösste und bestimmende Staat war Russland (mit knapp 80 Prozent der Gesamtfläche). Natürlich wurden in Moskau alle wichtigen (und auch unwichtigen Entscheidungen) gefällt. Aber während es einige Jahrzehnte so aussah, als sei der Ostblock sowohl militärisch wie auch wirtschaftlich in der Lage, mit den USA und ihren Verbündeten mitzuhalten, wurde es spätestens Mitte der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts immer deutlicher, dass die sozialistischen Staaten auf beiden Gebieten nicht mehr mithalten konnten. Schlimmer noch: sie waren nicht reformfähig, wie der letzte sowjetische Führer Gorbatschow erkennen musste.

Das treibt den aktuellen Präsidenten Russlands um, der wenigstens die ehemaligen Sowjetrepubliken wieder heim ins russische Reich holen möchte. Allerdings stellt er sich dabei selten ungeschickt an, taumelt von einer Fehlentscheidung zur nächsten, macht sich militärisch lächerlich und hat bereits heute einen wirtschaftlichen Schaden in Russland angerichtet, der das Land um Jahrzehnte zurückwerfen wird.

Ganz anders sieht es in der imperialistischen Geschichte der USA aus. Das Thema ist natürlich ausführlich abgehandelt worden. Aber für Kenner und Laien empfiehlt sich ein Buch, das punktgenau und unaufgeregt, faktensicher, gut lesbar und interessant an ausgewählten Beispielen die etwas mehr als 100 Jahre Geschichte des US-Imperialismus erzählt.

 

Es stammt vom langjährigen Auslandkorrespondenten der «New York Times». In seiner langen Karriere war Stephen Kinzer in über 50 Ländern auf 5 Kontinenten stationiert und hat sich neben dem Tagewerk auch einen Namen als Autor gemacht.

Von ihm stammt «Putsch! Zur Geschichte des amerikanischen Imperialismus». 560 lesenswerte Seiten über die drei verschiedenen Phasen des US-Imperialismus, von Hawaii über Kuba, Vietnam, Afghanistan, Irak. Kinzer geht es dabei nicht um Vollständigkeit, sondern um analytische Einsichten anhand  ausgewählter und präzise beschriebener Beispiele.

Annexion, Beseitigung die US-Interessen störender Regierungen, Kolonisation, militärisches Eingreifen, subversive Massnahmen, wirtschaftliche, militärische, imperiale Interessen, der Bogen ist lang vom Umsturz in Hawaii über die faktische Machtergreifung in Kuba bis zum Irak.

Der interessante Unterschied zur UdSSR selig: meistens waren die US-Interventionen von Erfolg gekrönt. Hawaii ist ein Bundesstaat der USA geworden, Puerto Rico den USA unterstellt, Chiles marxistischer Präsident wurde blutig gestürzt, in Zentralamerika wurden immer wieder liberale Präsidenten durch Bluthunde im Dienst der USA (oder von US-Firmen) ersetzt.

Niemals wäre bis heute ein US-Bundesstaat ernsthaft auf die Idee gekommen, sich von den vereinten Staaten zu verabschieden. In diesem Sinne ist das Buch auch sehr lesenswert als Kontrast zum immer wieder und überall gescheiterten russischen Imperialismus.

Das Buch ist 2007 in «Die andere Bibliothek» erschienen, eine Gründung von Hans Magnus Enzensberger. Dank dem Eichborn-Verlag ist es weiterhin erhältlich. Allerdings beträgt die Erstauflage ganze 7000 Exemplare und ist bis heute noch nicht ausverkauft. ZACKBUM verfügt über das Exemplar Nummer 4492. Vielleicht findet sich noch der eine oder andere Leser …

Und wer mehr Kinzer möchte, sein aktuellstes Werk ist ebenfalls empfehlenswert:

Es gibt noch Journalismus

ZACKBUM lobt nicht? Falsch. Nur gibt’s so wenig zu loben …

Aber ganz, ganz selten gibt es Lobenswertes zu berichten. Zum Beispiel dieses Stück der NZZ:

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Klare Ansage, klare Analyse, klares Resultat. Die Antwort auf die Einleitungsfrage ist ein klares Ja. Der Preis ist heiss, und das Thema auch. Denn in der Schweiz sind die Lebensmittelpreise im Schnitt schlichtweg doppelt so hoch wie im nahen Ausland. Und durch den Krieg in der Ukraine werden sie noch weiter steigen. Woran liegt’s?

Zum einen haben Coop und Migros (mit Denner) im Lebensmitteldetailhandel einen Marktanteil von 80 Prozent. In Deutschland und Österreich gibt es zwar auch starke Anbieter, aber die Märkte sind doch fragmentierter. In Deutschland zum Beispiel teilen sich immerhin vier starke Anbieter den Marktanteil, den in der Schweiz Coop und Migros haben. Durch den Markteintritt von Aldi und Lidl sank der Marktanteil der beiden Fast-Monopolisten lediglich von 85 auf 80 Prozent.

Damit ergibt sich die Frage, ob sich die beiden orangen Riesen nicht branchenübliche Margen leisten. Die Bruttomarge setzt den Bruttogewinn (Umsatz minus Warenaufwand) ins Verhältnis zum Umsatz. Für Supermarktketten sollte diese Marge bei 25 Prozent liegen. Nun geben die beiden Grossen diese Zahlen nicht spezifisch bekannt, aber die NZZ rechnet sie aus den Angaben der Regionalgenossenschaften bei der Migros hoch und kommt auf einen Durchschnitt von 31 Prozent.  Ähnliches ist bei Coop zu vermuten.

Über alle Geschäftszweige hinweg leistet sich Migros eine Bruttomarge von 38 Prozent, Coop von 33 Prozent. Im Vergleich: Lidl liegt im Schnitt bei 26 Prozent, Aldi Süd bei 22.

Eine wirklich informative und mit einiger Eigenrecherche angereicherte Analyse, die immerhin Hoffnung gibt, dass im deutschsprachigen Journalismus nicht immer und überall Hopfen und Malz verloren ist. Allerdings hat die gesamte Analyse eine klitzekleine Schwachstelle. Selbst eine zweistellig höhere Bruttomarge vermag nicht zu erklären, wieso Lebensmittel in der Schweiz schlichtweg doppelt so teuer wie im näheren Ausland sind. Aber vielleicht bekommen wir diese Erklärung noch nachgereicht.

 

Wats-off

«watson» ist die Kriegserklärung an den Journalismus. Der Nocebo-Effekt.

Schädliche Auswirkungen von Journalismus, obwohl gar kein Journalismus drin ist: das ist «watson» in einem Wort.

Vor einigen Jahren war die Idee neu, zur Leserbespassung sogenannte Listicals zu machen. Nach der einfachen Devise: einmal ist langweilig. Zehnmal ist lustig. Oder so. Problem: bei aller Fantasie gehen irgendwann mal die Ideen aus. Das sieht dann so aus:

Vielen Dank, zwei genügen, um Brechreiz auszulösen.

Der grosse Vorteil des Internets gegenüber dem Print besteht darin, dass jederzeit aktualisiert werden kann. Also wäre es zum Beispiel möglich, am Mittwochmorgen mit dieser Story auf einen bevorstehenden Gerichtstermin aufmerksam zu machen:

Dazu ist «watson» tatsächlich in der Lage. Nun endete der Prozess so gegen 11.30 Uhr am Vormittag. Das muss allerdings der «watson»-Crew entgangen sein, denn auch noch am Abend des Tages hing diese Meldung unverändert auf der Webseite.

Aber nun mal ernsthaft, «watson» ist natürlich zu «Analysen» fähig. Wo Analyse draufsteht, ist Philipp Löpfe drin. Das tut allerdings weder der Analyse, noch dem Leser gut. Denn für Löpfe besteht eine Analyse darin, der Realität mal wieder zu zeigen, wie sie zu sein hat. Nämlich so, wie sie ihm passt. Nun hat Löpfe seit Jahren etwas gegen den Ex-US-Präsidenten Donald Trump.

Das ist nicht unverständlich, allerdings sollte es einen nicht dazu verführen, sozusagen in Traumanalyse überzugehen.

Oder auch nicht, erklärt Löpfe dann im Kleingedruckten.

Wir kämpfen uns durch eine Portion Geeiertes. So verkündet Löpfe, dass auch Trump-Anwalt «Rudy Giuliani eine Vorladung erhalten» habe, «als Zeuge auszusagen». Das wird dann doch eng. Oder doch nicht: «Es ist wenig wahrscheinlich, dass Giuliani je aussagen wird. Doch symbolisch ist seine Vorladung von grosser Bedeutung.» Sagt Symboldeuter Löpfe.

Überhaupt wird seine analytische Kraft bei «watson» sehr geschätzt:

Nichts zu klein, um nicht analysiert zu sein.

Aber natürlich kann «watson» nicht ununterbrochen seriös und analytisch sein. Schliesslich muss ja auch Geld reinkommen:

«Rente verbringen würden»? Links Gestammeltes, rechts Beworbenes.

Es gibt aber noch mehr Einnahmequellen, wobei dieser Versuch eher humoristisch gemeint ist:

«Unseren Journalismus»? Was soll denn das sein?

Schliesslich haben wir noch Einnahmequelle Nummer drei. Also den Versuch, ins Portemonnaie des Steuerzahlers zu greifen. Vorteil: der könnte sich nicht dagegen wehren, «watson» zu unterstützen. Dafür dient ein sogenanntes «Erklärvideo», wo mal ganz objektiv und ausgewogen erklärt wird, was es denn mit dem Mediengesetz auf sich hat.

Das diene nämlich dazu, das Zeitungssterben zu unterbinden:

70 verstorbene Zeitungen, verkündet «watson» mit Trauermiene.

Komisch, der Medienexperte Kurt. W. Zimmermann kommt in seiner Zählung auf eine leicht abweichende Zahl: zwei.

Aber wie auch immer, nennen wir das den Streubereich der Wahrheit. Woran liegt das denn bloss?

Diese bösen, bösen US-Konzerne greifen sich doch alle Inserate im Netz ab.

Das ist sogar nicht falsch. Nur: woran liegt das? Könnte es sein, dass die Schweizer Medienclans schlichtweg die digitale Zukunft verschnarcht haben? Könnte es daran liegen, dass der Wanner-Clan bereits Multimillionen in «watson» verröstet hat? Nein, niemals.

Und woran liegt wiederum das? Wir haben so einen Verdacht:

35 plus 16 Prozent ergeben laut «watson» 76 Prozent.

Vielleicht rechnet das Management ähnlich. 35 plus 16 Prozent Verlust ergeben 76 Prozent Gewinn. Oder so. Das nennt man dann wohl den Placebo-Effekt.

Gibt’s denn gar nichts Positives zu vermelden? Doch:

Echt jetzt? Hört wirklich auf? Wahnsinn.

Dass auch die «Kulturjournalistin des Jahres» Simone MeierJuden canceln») den Griffel weglegt, darauf wagen wir aber doch nicht zu hoffen.

 

Ringier! THE Place to be!

Journalismus in der Krise? Ach was. Zumindest Ringier ist ein «Great Place to Work®». Gibt’s denn Doppelgänger?

Endlich konnte Corporate Communication richtig in die Harfe greifen: Die Ringier AG sei «für ihre Arbeitsplatzkultur als Great Place to Work® ausgezeichnet. Mit diesem Resultat gehört die Ringier AG zu den besten Arbeitgeberinnen der Schweiz.»

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Let’s dance, let’s work together, we can do it! Stimmungsbild von Ringier.

Alle sind glücklich. Der Mitbesitzer der Zertifizierungsbude: «Insgesamt sehen wir Ringier auf dem Niveau der besten Arbeitgeberinnen in der Schweiz! Damit hat Ringier eine beeindruckende Entwicklung bei der Zufriedenheit seiner Mitarbeitenden in den letzten Jahren vollzogen. Die Bewertungen des Vertrauens untereinander und der erlebten Fairness liegen weit über dem Durchschnitt vergleichbarer Schweizer Unternehmen.» Tatä.

CEO Marc Walder ist auch glücklich: «Die Zufriedenheit und Akzeptanz unserer Mitarbeitenden ist für uns von zentraler Bedeutung. Wir haben hart gearbeitet, viel unternommen und angepasst, um diese zu steigern.» Tatö.

Natürlich ist auch der «Chief People Officer» glücklich: «Unsere Unternehmenskultur ist stark von einem persönlichen Miteinander geprägt – und das möchten wir aufrechterhalten.» Tatä, tatö.

Die Mitarbeiter sind sowieso glücklich.

«Zufriedenheit 87 Prozent, Trust-Index 76 Prozent.»

Das ergab die «anonyme Befragung» in erster Linie unter den Angestellten von Ringier Schweiz. Da soll noch einer sagen, Journalisten würden leiden. Die haben offenbar gelernt, einfach lautstark zu klagen. Dabei geht’s doch super. Spitze. Denn ab 65 Prozent beim «Trust-Index» gibt’s schon die «Zertifizierung Great Place to Work®».

Da müssen an Dufourstrasse wieder mal die Champagnerkorken geknallt haben; der Verkehr musste umgeleitet werden, weil zu viele glückliche, aber beschwipste Mitarbeiter auf der Strasse torkelten und tanzten.

Das hat sicherlich alle davon abgehalten, die Sache mal näher anzuschauen. Ein Zertifikat ist ja immer so gut wie sein Herausgeber. Das ist hier, Überraschung, die Firma «Great Place to Work». Auf ihrer Webseite wirft sie mit dem üblichen Geblubber um sich. «Ihre Arbeitskultur ist unsere Mission». Wunderbar. Als Medienschaffender wendet man sich für weitere Auskünfte natürlich an die Medienstelle.

Aber kein Great Place für Medienanfragen.

Zunächst wundert man sich, wieso die letzte PM von Anfang April stammt – 2019. Die Erklärung bekommt man sofort: der angegebene Medienkontakt «arbeitet nicht mehr für» die Bude, «Ihre Mail wird nicht weitergeleitet». Ob Ben Seiler den «Great Place to Work» doch nicht so great fand? Man weiss es nicht, aber immerhin wird eine Ersatzperson angeboten. Die arbeitet tatsächlich noch und antwortet sehr abstrakt auf konkrete Fragen.

Konkrete Fragen, sehr flauschige Antworten

Zum Beispiel:

«Es gibt wahrlich immer viel zu pflegen auf den Webseiten und wir werden den Kontakt für zukünftige Medienanfragen gerne aktualisieren.» Ach, nach 2,5 Jahren?

Frage: Ringier liege «weit über dem Durchschnitt vergleichbarer Schweizer Unternehmen», welchen?

«Wir nutzen bei Great Place to Work® eine über Jahrzehnte entwickelte Methodik, um die Arbeitsplatzkultur und das Vertrauen in einer Organisation zu erfassen.» Gut zu wissen, war aber nicht die Frage. Ah, aber vielleicht so: Die Rückmeldung der Mitarbeiter liege «weit über einem repräsentativen Benchmark für die Schweiz (Per Markforschung erhoben, repräsentativ für die Bevölkerung über verschiedene Branchen)». Mark- und Beinforschung?

Aha; aber ein Medienunternehmen sollte wohl mit anderen Medienunternehmen «vergleichbar» sein, die fehlen aber in den Listen von der Great-Firma. Na und, da die Firma «pro Jahr mehrere Millionen Arbeitnehmende» befrage, weiss sie: «eine gute Arbeitsplatzkultur ist demnach keine Frage der Branche. Und die Voraussetzungen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit in einem Medienhaus sind nicht grundsätzlich verschieden als in anderen Organisationen mit vergleichbarer Grösse.» Allerdings:

«In der Schweiz haben wir bisher tatsächlich kein anderes Medienhaus zerfitifiziert.» Ohä, wohl auch nicht zertifiziert.

Aber macht ja nix, nächste Frage: Ringier hat die «Certification only»-Untersuchung in Auftrag gegeben. Laut Eigenbeschreibung eignet sie sich «für Organisationen, die hauptsächlich an der schnellen Auszeichnung zum Great Place to Work® interessiert sind, nur wenige und oberflächliche Einblicke in ihre Arbeitsplatzkultur möchten». Wollte Ringier also nur wenige und oberflächliche Einblicke sowie eine schnelle Auszeichnung?

Aber nein, nein, natürlich nicht. «Der Erhalt einer Zertifizierung macht jedoch im Umkehrschluss keine Aussage dazu, in welchem Umfang wir mit einer Organisation zusammenarbeiten. Ringier möchte mit der Mitarbeitendenbefragung und Analyse einen umfangreichen Einblick und Ergebnisse für Teams und Einheiten erhalten um mit diesen Erkenntnissen weiterzuarbeiten – die Zertifizierung als Great Place to Work ist ein «Sahnehäubchen».»

Alles unklar? Wunderbar. Aber was genau untersucht wurde und was das gekostet hat? Da solle man sich doch an Ringier wenden.

Ringier antwortet noch flauschiger

Nur: leider verzichtet das Unternehmen auf die Beantwortung von 9 konkreten Fragen. Dafür gibt’s eine Kurzzusammenfassung der Jubel-PM, als ob man nur solche blöden Fragen stellen könnte, wenn man die nicht kapiert habe.

Auf jeden Fall sei das eine Super-Sache gewesen: «Das Group Executive Board hat gemeinsam mit HR unternehmensübergreifend Handlungsfelder definiert, die gemeinsam mit interessierten Mitarbeitenden in der nächsten Zeit schwerpunktmässig bearbeitet werden. Zudem setzt sich jeder einzelne Bereich mit seinem individuellen Befragungsergebnis auseinander.»

Wollten wir zwar alles nicht wissen, dafür schon, was denn bezahlt wurde, wie tiefschürfend denn die Befragung war, und dass die Medienseite der Zertifizierungs-Bude in einem jämmerlichen Zustand ist, das bewegt das Medienhaus Ringier auch zu keiner Bemerkung.

Ohne weder oberflächliche noch tiefschürfende Untersuchungen angestellt zu haben, muss ZACKBUM allerdings sagen:

  • «Great Place to Work»: Zertifikat zweifelhaft.
  • Ringier: Zertifikat fragwürdig.
  • ZACKBUM: nicht zerfitifiziert, aber great

Wenn das viel besser als der Benchmark in der Schweiz sein soll, obwohl man nicht weiss, wie der bei «vergleichbaren» Buden erstellt wird, muss es ja grauenhaft zu und hergehen. Ausserhalb von der Insel der Glücklichen, die bei Ringier arbeiten dürfen. Wenn wir das nächste Mal beim Pressehaus vorbeifahren, werden wir darauf achten, wie laut die Jubelchöre sind.

Fakten, Fakten, Fakten

Der heilige Gral aller ernstzunehmenden Berichterstattung. Nur: was sind Fakten? Oben ein faktentreuer Nachbau der Arche Noah.

Ältere Leser erinnern sich: «Fakten, Fakten, Fakten». Das war der Schlachtruf, mit dem der erste Chefredaktor des deutschen «Focus» gegen den damals alleinherrschenden «Spiegel» antrat.

Er wollte damit insinuieren, dass der «Spiegel», obwohl er sich «Nachrichtenmagazin» nennt, die Welt durch eine ideologische Brille sieht, sich als Besserungsanstalt versteht, als Organ von Rechthabern, mit erhobenem Zeigefinger und der leichten Säuernis von Menschen, die es eigentlich besser wissen, nur hört niemand wirklich auf sie.

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Immerhin war «Focus» der erste gelungene Versuch, den «Spiegel» zu konkurrenzieren, und das Magazin existiert bis heute. Aber das Erfolgsgeheimnis war keine Faktentreue, sondern die Vorwegnahme moderner Lesegewohnheiten. Kurzstoffe, üppige Grafik, servicelastig, und «immer an den Leser denken», das war der zweite, weniger häufig zitierte Teil des Schlachtrufs von Helmut Markwort.

Alle denken an die Leser. Das ist das Problem

Damit war er allerdings nicht alleine. Der «Spiegel», eigentlich alle Newsmedien, denken an ihre Leser. Deshalb wollen sie deren Haltung nicht zu sehr mit unangenehmen Fakten erschüttern, das mag der Konsument nicht. Der Sündenfall Relotius beim «Spiegel» war nicht nur Ergebnis eines offenbar pathologischen Lügners. Er wurde auch durch die Absicht möglich, antizipierend dem Leser das zu liefern, was er gerne lesen möchte.

Verschärft beobachtet man dieses Phänomen bei der aktuellen Impfdebatte. Dafür, dagegen, alle Argumente sind eigentlich ausgetauscht. Jetzt geht es nur noch um Haltungen und Polemik. Könnte auch aus dem Lager der Impfkritiker stammen, aber hier ein Beispiel aus dem Lager der Impfbefürworter, vom Oberchefredaktor von Tamedia, in einem Kommentar:

«Nun kaufen wir mit unserem vielen Geld für ein paar egozentrische Impfskeptiker den Stoff, der anderswo Leben retten würde.»

Ein guter Beleg dafür, wie schwierig es mit den Fakten ist. Denn deren unumstössliche Kraft hört schnell einmal auf. Die Erde ist nicht flach, das darf man heute als Fakt bezeichnen, ohne auf dem Scheiterhaufen zu landen. Das Universum ist älter als nur ein paar tausend Jahre, obwohl das Kreationisten aller sich auf biblische Überlieferungen beziehenden Religionen genau so sehen und als Fakt wissenschaftlich untermauern wollen.

Was sind nun Fakten? Die NZZ gibt aus aktuellem Anlass die journalistisch korrekte Definition:

«Sachverhalte, die mit Tatsachen belegt werden können.»

Für Exegeten: und was sind Tatsachen? Fakten oder Sachverhalte. Kicher. Um aus diesem Kreislauf herauszukommen: Tatsachen sind sinnlich wahrnehmbare Vorgänge oder Zustände, die sich mit wissenschaftlich anerkannten Methoden darstellen, überprüfen und experimentell wiederholen lassen.

Fakten sind noch nichts

Die NZZ geht allerdings noch einen wichtigen Schritt weiter:

«Fakten erklären nichts. Genauso wie Daten noch keine Informationen sind. Fakten müssen erklärt, vertieft, eingeordnet und interpretiert werden, damit man sie verstehen kann.»

Genau hier beginnt das Problem der modernen Informationsüberschwemmung. Erklären, vertiefen, einordnen und interpretieren, das ist die eigentlich wichtige Leistung des Journalismus. Neben den entsprechenden professionellen Fähigkeiten braucht es allerdings noch ein entscheidendes Ingredienz: Vertrauen und Glaubwürdigkeit.

Denn der Konsument, der Leser kann nicht jedes erwähnte Faktum selbst nachkontrollieren, geschweige denn, die daraus gezogenen Schlussfolgerungen nachvollziehen und den Weg dahin abschreiten. Entweder vertraut er der Informationsquelle, dann ist’s gut. Oder er zweifelt, dann wird’s schwierig.

Die NZZ kommt nicht aus dem luftleeren Raum zu diesen Überlegungen. Die neue Chefredaktorin von Associated Press hat der NYT ein Interview gegeben. AP ist die grösste Nachrichtenagentur der Welt; angesichts schrumpfender Bordmittel und Eigenleistungen wird ihre Bedeutung monatlich grösser. Da ist es schon wichtig zu wissen, worauf sich diese Julie Pace verpflichtet sieht. Auf Fakten, sagt sie. Das ist gut. Also Dinge, über die man nicht reden oder diskutieren müsse, weil sie feststehen.

Zum Beispiel? Ob die Impfstoffe gegen Covid-19 sicher seien, ob es einen Klimawandel gebe oder ob es bei den US-Wahlen im vergangenen Jahr zu grösseren Betrügereien gekommen sei. Also ja, ja, und nein, laut Pace.

Fakten sind Fakten, können aber falsch sein

Und schon wird’s brandgefährlich. Denn Fakten können auch falsch sein, bzw. widerlegt werden. Mangels technischer Möglichkeiten meinte man lange Zeit, dass ein Atom unteilbar sei, daher auch der Name (altgriechisch «unteilbar»). Der Name blieb, das Faktum nicht.

Natürlich kann nicht jedes Mal in der Berichterstattung alles haarklein hergeleitet und belegt werden. Das würde die Newstexte unlesbar machen. Ungeniessbar werden aber selbst Kommentare, wenn sie Fakten – der Ankauf von «klassischen Impfstoffen» – mit despektierlicher Kritik – «für ein paar egozentrische Impfskeptiker» – und faktenfreier Behauptung – «Stoff, der anderswo Leben retten würde» – vermischt.

Umso unversöhnlicher – und auch faktenfreier – die Debatte um die Pandemie-Massnahmen wird, desto wichtiger wäre es, sich auf altbewährte Prinzipien des Erkenntnisgewinns zu besinnen.

Nur im offenen, tabulosen Schlagabtausch in der Öffentlichkeit ist Erkenntnisfortschritt möglich. Falsche Meinungen können, müssen falsifiziert und mit oder ohne Polemik zurückgewiesen werden. Aber ohne, dass die Meinungsträger persönlich angegangen, ihnen böse oder gute Absichten – je nachdem – unterstellt werden.

Das wäre der Idealfall. Leider entfernen wir uns von diesem Ideal beinahe täglich. Ein erkennbarer Grund dafür: Meinung ist wohlfeil, gratis und schnell gebildet. Fakten zu eruieren, aufzubereiten und darzubieten, das ist aufwendig und anstrengend.

Wäre aber dringend nötig.

9/11: ach, schnarch, gähn

20. Jahrestag des gröbsten Terroranschlags der Neuzeit. Gähn, sagt die Medienmeute.

Schlappe knapp 400 Treffer ergibt die Suche der Verwendung des Worts «Terroranschlag» in den letzten sieben Tagen in der Mediendatenbank am 10. September.

«Seen it all, been there, nothing new» sagt man gelangweilt auf Englisch. Ach ja, die Twin Tower, die Flugzeuge, jeder weiss, wo er war, als er diese Bilder das erste Mal sah. Das erste Mal sogar live sah, wie die eilig vor dem ersten brennenden Turm platzierten Reporter zusammenzuckten, als das zweite Flugzeug einschlug.

Dann noch das Pentagon und die Vereitelung eines dritten Anschlags durch todesmutige und heldenhafte Passagiere in der dritten entführten Maschine. All das ist bis zum Überdruss bekannt, und man will eigentlich nicht nochmal die quälenden Telefonate von Menschen hören, die oberhalb der Einschlagstellen wussten, dass sie sterben werden.

Man will auch nicht mehr das Bild des «falling man» sehen, ein Zufallstreffer eines Fotografen, eigentlich für Modeaufnahmen bestellt, der einen Menschen fotografierte, der mit Würde und Haltung kopfvoran am Gebäude entlang in den Tod flog.

Die Welterklärer fehlen schon

Man ist vor allem müde, die sich immer bildenden Verschwörungstheorien zu hören, über die Beteiligung von Regierungsstellen, der CIA, der jüdischen Weltverschwörung. Aber, muss man zugeben, da fehlt ein Peter Scholl-Latour schon. Für Nachgeborene: das war ein weitgereister Welterklärer. Man musste nicht einer Meinung mit ihm sein, aber Ahnung hatte er schon, Mut auch, dazu sprach er druckreif.

Peter Scholl-Latour (links) und Arnold Hottinger: zwei Koryphäen.

So wie Arnold Hottinger über die arabische Welt, bis ins hohe Alter hinein. Aber heutzutage? Kurzatmiges Japsen beherrscht die Debatte. Die Taliban sind doch nicht so schlimm wie 1996. Sie sind so schlimm. Im «Tal der Helden» leisten mutige Afghanen bewaffneten Widerstand bis zum Äussersten. Der Widerstand ist kläglich zusammengebrochen. Es gibt keine Freiheitsrechte mehr. Es finden Demonstrationen statt, die Taliban schauen zu.

Ein kleiner Lichtblick im Tunnel der Dunkelheit

Es herrscht Unschärfe in der Nahbetrachtung, es herrscht Unkenntnis und Schwachstrom-Analytik in der geopolitischen Einordnung. Immerhin, einer, von dem man das nicht unbedingt erwartet hätte, argumentiert differenziert:

«Ihr Gegenschlag führte die USA nach Afghanistan und in den Irak, aber auch in die Folterkeller der CIA auf dem Balkan und in Bagram. Ist der Sieg der Taliban nur der Schlusspunkt einer von Anfang an verfehlten Politik? Lässt sich, nach Abu Ghraib und Guantánamo, der «Global War on Terror» überhaupt moralisch rechtfertigen?

Die Fragen kann nur ohne Zögern beantworten, wer die Amerikaner ohnehin für Imperialisten hält oder alle Muslime für blutrünstige Fundamentalisten. Alle anderen finden sich in einem Labyrinth wieder. Macht und Menschenrechte, das Recht auf Selbstverteidigung und das Recht des Stärkeren bilden ein schwer entwirrbares Knäuel.»

In seinem «anderen Blick» arbeitet sich Eric Gujer in der NZZ erstaunlich differenziert und nachdenklich an der Frage ab, ob nach 20 Jahren Kampf gegen fundamentalistischen Terror die Zwischenbilanz positiv oder negativ ausfällt. Er kommt zur Schlussfolgerung: «Entscheidend aber ist etwas anderes: dass der Westen einen Weg gefunden hat, den Abwehrkampf im Innern wie im Äussern mit vernünftigem Aufwand zu führen, ohne die zivilisatorischen Grundprinzipien aufzugeben. Der Westen hat seinen Limes errichtet. In diesem Sinn hat er gewonnen.»

Auch darüber kann man geteilter Meinung sein. Aber in der Wüste der Holzschnittanalysen überforderter journalistischer Allzweckwaffen ist das eine Oase der geistigen Labsal. Tamedia hingegen, nichts gegen die Erinnerung an damalige Helden, bemüht das Porträt eines Polizisten und eines Feuerwehrmanns, die damals im Einsatz waren.

«Das lässt sich nicht in Worte fassen», lautet das Titelzitat. Wieso lässt man es dann nicht? Die «Schweizer Illustrierte» interviewt den unter Aufmerksamkeitsdefizit leidenden Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger.

Der Pluralismus in den Schweizer Tageszeitungen …

Wie flache Kieselsteine fallen Dutzenden von Kommentatoren die Worte «Krieg gegen den Terror», «gescheitert», «bittere Ironie der Machtergreifung der Taliban» aus dem Mund, der vermurkste «US-Prozess gegen die Drahtzieher und Urheber von 9/11». Dazu die «Zeitzeugen», gar die «Kinder von 9/11», die Würdigungen, Warnungen, Mahnungen. Ziemlich schräg: «Diese Kunstwerke würde es ohne 9/11 nicht geben». «Zeit für den Schlussstrich» unter die Bewältigung von 9/11, Pakistan als «der eigentliche Feind», der Bataclan-Prozess in Frankreich.

Wo sind die Zusammenhänge und Einordnungen?

Es fehlt eigentlich nur, dass jemand Zusammenhänge zwischen der Pandemie und dem islamistischen Terror, den Taliban, dem Islamischen Staat oder Al Kaida herstellt. Falls es die reduzierte Mannschaftsstärke noch hergibt, sind in den überlebenden Zentralredaktionen kleine Piketts im Einsatz, falls es am 11. September einen neuerlichen terroristischen Grossangriff geben sollte. Eher unwahrscheinlich, denn seither haben die glücklicherweise auch hier versagenden religiösen Wahnsinnigen nur mehr  kleinere Anschläge hingekriegt. Deshalb würde das Schweizer Farbfernsehen sicherlich nicht das geordnete Tagesprogramm unterbrechen.

Mit Lastwagen und Messern, nicht mehr mit Flugzeugen, um es auf den Punkt zu bringen.

Schreibtischstrategen vor dem Sandkasten

So ordnen mehr oder minder überforderte Schreibtischstrategen diese 20 Jahre ein. Nur noch wenigen gelingt es, die Auswirkungen des «Kriegs gegen den Terror» auf die gesamte arabische oder islamische Welt einzuordnen. Kaum einem gelingt es, ein Wort über die Zukunft der Atommacht Pakistan zu sagen, viel bedeutender in Afghanistan als die Taliban-Führer. Kaum einem gelingt es, die Rolle Chinas, die wirklich wichtige Macht hier, zu analysieren.

Der Chor der Afghanistan-Kenner, eigentlich alle mit einem ganz grossen Fernrohr bewaffnet, die Wiederholung der Keywords, das Abholen von Klicks, der menschliche Faktor als Ersatz für Hirnschmalz in der Analyse, der erkennbare Unwillen, sich neben Corona auch noch mit einem zweiten Thema auseinandersetzen zu müssen: ein Trauerspiel der Medien, wieder mal. Der deutschsprachigen, wohlgemerkt.

Afghanistan: Medien im Vollschleier

Der Verkauf einer Zeitung ähnelt immer mehr der Wegelagerei.

Kleine Meldungen können zumindest verzweifelt erheitern. So lud die US Army 640 Afghanen in ein einziges Flugzeug, um sie aus Kabul zu evakuieren. Das nennt man Effizienz. Deutschland, früher mal für Effizienz bekannt, hat auch eine Maschine zum Einsatz gebracht. Allerdings: bloss sieben Afghanen schafften es an Bord.

Immerhin: Das schafft die US Air Force.

Für solche Meldungen ist Tamedia zu haben:

Der «Tages-Anzeiger» erfreut seine Leser (sogar ohne Bezahlschranke) zudem mit einer Analyse zu einem Thema, das viele umtreibt: Wieso ist die afghanische Armee dermassen schnell zu Staub zerfallen?

Wie kann man es erklären, dass Multimilliarden in angeblich 300’000 Soldaten investiert wurden, Ausrüstung, Beratung, High-Tech-Waffen, unterstützt von allem, was moderne Drohnen-Kriegsführung zu bieten hat. Inklusive Fernbombardierungen von Zusammenballungen von Taliban-Kämpfern. Leider wurde ab und an eine Hochzeitsgesellschaft damit verwechselt. Im dümmsten Fall auch die anschliessende Trauerfeier nochmal bombardiert.

Die Analyse im «Tages-Anzeiger»: Qualität halt, die kostet.

Aber wie auch immer, wie kann das erklärt werden? Joachim Käppner hat ein paar Antworten, die Tamedia am Dienstag um haargenau 10.11 Uhr ihren Lesern serviert. Qualitätsmedien halt, das macht den Unterschied, das liest man nur hier, da steckt Eigenleistung dahinter.

Eigenleistung kann auch geliehen werden

Eigenleistung? Um 9.12 Uhr hatte die «Süddeutsche Zeitung» ihren Lesern bereits den gleichen Artikel kredenzt. Mit dem gleichen Titel, gleichen Inhalt, gleichen Autor. Offenbar brauchte die Qualitäts-Auslandredaktion von Tamedia eine Stunde, um das ß durch ss zu ersetzen, und falls irgendwo von «parken» die Rede war, musste das natürlich zu «parkieren» eingeschweizert werden. Ach, und ein anderes (schlechteres) Foto verwendet Tamedia auch.

Das Original; man beachte den gewaltigen Unterschied im Titel.

Wie das? Nun, Dr. Käppner ist «Leitender Redakteur, Innenpolitik» bei der SZ. Pardon, also Redaktor. Das befähigt ihn offensichtlich zu einer Ferndiagnose der Ursachen des widerstands- und beispiellosen Zusammenbruchs der afghanischen Armee (ANSF): «Die ANSF dagegen sind die Armee eines Staates, der nicht funktionierte, und so konnte sie das auch nicht tun.»

Die gleiche tiefschürfende Erkenntnis legte die SZ übrigens ihren Abonnenten bereits am frühen Morgen mit der Printausgabe in den Briefkasten. Denen würde die Wiederholung des Artikels um 10.11 Uhr in den Qualitätsmedien von Tamedia also nur ein müdes Gähnen entlocken.

Was der Artikel mangels Tiefe der Analyse allerdings überall und jederzeit schafft. Nebenbei drischt der Autor, das ist bei SZ obligatorisch, im Nachgang auf den Ex-Präsidenten Trump ein, dem das Schicksal Afghanistans herzlich egal gewesen sei. Was sein Versagen auch hier deutlich zeigt und in völligem Kontrast zu Onkel Biden steht; dem neuen US-Präsidenten liegt das Schicksal Afghanistans offensichtlich ausgesprochen am Herzen.

Ist nichts wert, kostet aber

Wohlgemerkt verlangt Tamedia für diesen aufgewärmten Dünnpfiff satte 581 Franken im Jahr, will man auch noch die SoZ in Print und digital, lässt man 751 Franken liegen. Will man’s digital als E-Paper, muss man immerhin 319 Franken abdrücken. Oder man wählt das schnuckelige Abo «Weekend». Für schlappe 399 Franken ist dann am Samstag und am Sonntag Papier im Briefkasten, das E-Paper während der Woche und alle Abo-Inhalte digital inklusive.

Bei einem solchen Angebot muss man doch zugreifen, liebe ZACKBUM-Leser. Wer’s schon hat, bereut es keine Sekunde, wer’s nicht hat, dem entgehen wichtige Informationen und Zusammenhänge. Nein, das ist nicht unser Ernst.

Die Bestseller aus dem Hause Tamedia.